Gibbs seufzte schwer, als er die Tür zum Büro der Direktorin hinter sich schloss. Jenny hatte sich seltsamerweise sehr zurückgehalten. Er hatte erwartet, dass sie versuchen würde, ihm einen Vortrag darüber zu halten, wer beim NCIS das Sagen hatte und dass er langsam mal lernen sollte, Befehle von ihr zu akzeptieren. Doch sie hatte nichts der gleichen gesagt. Konsequenzen des ‚Vorfalls', wie sie die Ereignisse der Nacht bezeichnet hatte, waren ohnehin nicht zu erwarten. Alle würden ihr möglichstes tun, um die Sache unter Verschluss zu halten. Riley und seine Leute waren wahrscheinlich lange aus der Stadt verschwunden, der Job war erledigt. Niemand würde je erfahren, was passiert war.
Langsam trat Gibbs an das Geländer, stützte sich darauf ab und sah runter in das vor ihm liegende Büro. Erste Sonnenstrahlen erhellten den Raum und das gedämpfte Reden einiger Agents war zu hören. Für sie begann ein ganz normaler Tag. Er schloss die Augen für einen Moment und entschied dann zu tun, worum ihn die sterbende Jägerin gebeten hatte. Er richtete sich auf und ging zum Fahrstuhl.
Als die Türen mit einem leisen Geräusch auseinander glitten, stutzte er für einen Moment. Abby saß am Boden, gegen einer der Wände gelehnt und blickte ihn mit großen Augen an.
„Hey, Abbs", sagte er mit einem müden Lächeln. „Ich dachte du wärst bei McGee im Krankenhaus"
Abby schluckte. „Ich wollte, aber…" Sie ließ den Blick auf den Boden fallen. Gibbs wusste, was sie dachte, dass sie sich die Schuld an dem gab, was passiert war. Mit einem weiteren Seufzer ging er neben ihr in die Hocke und sah sie eindringlich an.
„Nichts von dem, was passiert ist, ist deine Schuld", sagte er ernst. Der Ton in seiner Stimme sollte ihr deutlich machen, dass er meinte, was er sagte.
Abby sah zu ihm hoch. „A-aber, wenn ich Timmy diesen blöden Ring nicht… ich wollte ja nicht mal… ich hab' einfach seinen Geburtstag verg-"
„Abby." Gibbs legte einen Arm um ihre Schultern. „Es ist nicht deine Schuld", wiederholte er. Sie sah ihn nur unsicher an. „Ich bin sicher, McGee wartet schon auf dich."
Er drückte sie sanft, ließ dann los, stand wieder auf und streckte ihr mit einem aufmunternden Lächeln eine Hand entgegen. Abby entgegnete mit einem gequälten Lächeln und ließ sich von ihm auf die Beine helfen. Sie drückte Gibbs kurz, flüsterte ein Danke, drehte sich um und verließ den Fahrstuhl. Draußen hielt sie für einen Moment inne und wand sich noch einmal zu ihm.
„Es ist auch nicht deine Schuld", sagte sie leise, dann schlossen sich die Türen vor ihr, ohne dass Gibbs etwas antworten konnte.
Für ein paar Sekunden starrte er auf seine Silhouette, die sich auf den matten, silbernen Türen des Fahrstuhls spiegelte. Sein Verstand sagte ihm, dass Abby – die anscheinend ebenso wusste, was in seinem Kopf vorging, wie er ahnte, was sie dachte – Recht hatte. Dass niemand in seinem Team eine Schuld daran hatte, was in der vergangenen Nacht passiert war. Nicht Abby und nicht Ziva, die sich ebenfalls schuldig gefühlt hatte und nicht er selbst. Doch innerlich – obwohl er es besser wusste, obwohl er wusste, dass er irgendwie keine Wahl gehabt hatte und dass er, käme er erneut in die Situation wieder genauso handeln würde – gab er sich selbst die Schuld. Hätte er Faith gehen lassen und sie nicht gebeten ihnen zu helfen, wäre sie jetzt noch am leben. Doch hätte er sie gehen lassen, wären McGee und die kleine Josy jetzt wahrscheinlich tot. Zwei Leben gegen eines zu tauschen war nicht fair.
Mit einem schweren Seufze schlug er auf einen der Knöpfe des Fahrstuhls, der ihn runter in die Pathologie bringen würde.Die automatische Tür öffnete sich mit einem Zischen und Gibbs betrat den sterilen Raum. Ducky sah ihm mit einem gequälten Gesichtsausdruck entgegen. Auf dem mittleren der drei Autopsietische lag ein abgedeckter Körper. Es war der Leichnam von Jennifer Cross, dem dritten Opfer. Sie war dem hohen Blutverlust erlegen, noch bevor sie von den Soldaten aus der Gruft befreit werden konnte. Robin Wood stand über den hinteren der Tische gebeugt. Vor ihm lag, von einem weißen Laken bis zum Hals bedeckt, Faith. Langsam strich er immer wieder über ihre Wange und hielt dabei eine ihrer leblosen Hände fest in seiner.
Vorsichtig trat Gibbs an den Mann, den er eigentlich gar nicht kannte, heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Robin drehte sich zu ihm um. Gibbs hatte das Gefühl, dass die leeren Augen ihn nicht wirklich wahrnahmen.
„Sie wollte, dass ich ihnen etwas sage", sagte er mit ruhiger Stimme.
Robin verzog kurz das Gesicht, bei dem Versuch die Tränen zurückzudrängen. „Was"
„Danke... Ich soll ihnen danke sagen." Gibbs drückte die Schulter des Mannes kurz, bevor er sie losließ. Robin nickte langsam, Tränen liefen über sein Gesicht, als er Gibbs anlächelte.
Maybe I'm a girl
Maybe I'm a lonely girl who's in the middle of something
That she doesn't nearly understand
Maybe I'm a girl
Maybe you're the only man
Who could ever help me
Baby won't you help me understand
Maybe I'm amazed at the way you're with me all the time
Maybe I'm afraid of the way I leave you
Maybe I'm amazed at the way you help me sing my song
Right me when I'm wrong
Maybe I'm amazed at the way I really need you
(Jem – Maybe I'm Amazed)
Ende
