5.

Die scharfe Klinge des kleinen Messers fuhr blitzschnell in meine Brust und durch sie hindurch.

Unbeholfene Hände führten es und schnitten mich in Scheiben von verschiedener Dicke, manche gar schief. So viel Unbeholfenheit ließ mich vor Wut beben. Wer auch immer diese Zutaten vorbereitete, hatte kein Konzept von Akkuratesse, von Präzision und Sorgfalt!

Das Messer wurde ungenau und mit viel zu viel Kraft gehandhabt.

Beim nächsten Schnitt fuhr das Messer durch meinen Kopf hindurch so tief in das Holzbrett, auf dem ich lag, dass der Unbekannte am anderen Ende dieser Klinge es mit einem Ruck wieder herausreißen musste, der einzelne Scheiben von mir zu den Scheiben einer Alraunenwurzel rutschen ließen, die mir äußerlich wohl sehr ähnlich sein mochte, aber völlig andere Eigenschaften hatte als ich.

Was für ein Desaster! Wenn dieser Idiot die Scheiben von mir zusammen mit der Alraune in den Kessel gab, statt zuerst nur die Alraune, um den Trank dann sieben ein halb Mal im halb Sekundentakt gegen den Uhrzeigersinn zu rühren, würde er den ganzen Kessel in die Luft jagen!

Das Schneidbrett wurde grob durchgeschüttelt, was noch mehr Durcheinander unter den Zutaten verursachte, und schwebte dann durch die Luft.

Ich hörte das Brodeln unter mir, und heiße Schwaden umhüllten mich. Das Brett kippte.

Wollte dieser Irre mich etwa direkt vom Brett in den Trank schmeißen? Wusste er denn nicht, wie viele winzige Verunreinigungen er dem Trank damit antat?

Zitternd vor Wut, und doch unfähig etwas zu unternehmen, versuchte ich das Gesicht dieses Höllenkochs auszumachen. Ich rechnete fest damit, Neville Longbottoms unansehnliches und dümmliches Grinsen zu finden, aber wer über mir auftauchte, mit einem Grinsen, das alles Andere als dümmlich war, war Lucius.

Lucius Malfoy.

Aber wie konnte das sein?

Hatten wir beide nicht gemeinsam die kompliziertesten Tränke gebraut? Ja, sogar einige neue erfunden? Wie konnte er sich nur zu solch einem Verhalten hinreißen lassen? Die Schneide des Messers, das bislang an meiner linken Seite geruht hatte, begann über das Holz des Brettchens zu schaben, um mich schneller in den Trank zu befördern.

Aber das durfte nicht sein.

Ich versuchte zu rufen, ihn auf seine Unachtsamkeit aufmerksam zu machen, ihn davon abzuhalten den Trank zu verderben und mich unnötig zu vergeuden, aber meine Rufe wurden von seinem Fingernagel übertönt, der begann, einen langsamen Rhythmus auf das Brettchen zu trommeln.

Ich rutschte, wurde geschoben, und schließlich kippte ich über die Kante des Brettchens.

Ich fiel und fiel und fiel …

… bis ich schlussendlich mit einem dumpfen Geräusch hart auf dem steinernen Boden meines Wohnzimmers aufkam.

Die erste Erkenntnis dieses neuen Tages kam ungebeten, aber sofort.

Ich hatte auf der Couch geschlafen…?

Ich nahm meinen schmerzenden Schädel in beide Hände und streckte mich auf dem kalten Boden aus, als auch schon die zweite Erkenntnis des Tages mich von hinten überraschte:

Ich hatte NACKT auf der Couch geschlafen…?

Und eine weitere Erkenntnis folgte, sobald der kalte Stein unter meinem Kopf die rasenden und tobenden Hippogryffs im selbigen kurzzeitig etwas gebändigt hatte.

Ich hatte Schmerzen. Sehr bezeichnende Schmerzen. Abgesehen von den offensichtlicheren waren da auch viele kleinere Schmerzen, die ich in meinem momentanen Zustand noch nicht genau identifizieren konnte, von denen aber anzunehmen war, dass es sich hier um Kratzer, Bisse und ähnliches handelte.

Ich hatte Sex gehabt.

Merlin wusste, ich hatte keine Ahnung mit wem.

Dieses neue Problem musste ergründet werden. Zunächst sollte ich meine nähere Umgebung nach Hinweisen dafür absuchen, mit wem ich das Vergnügen (?) gehabt hatte. Dazu bot es sich an erst einmal die Augen zu öffnen. Wenn nur dieses penetrante Trommeln aufhörte….

Mein Gehirn brauchte einige Zeit, bevor es die ihm gelieferten optischen Eindrücke in brauchbare Informationen verwandelte.

Zuerst war da die Decke meines Wohnzimmers: graue Steinblöcke, in gewaltiger Entfernung von meinem jetzigen Standpunkt aus gesehen, die sich aus unerfindlichen Gründen im selben Rhythmus wie das Blut, das in meinen Schläfen pochte, um nicht fixe Punkte herum zu drehen schienen. Dann war da zu meiner linken die dunkelbraune, raue Oberfläche meiner Ledercouch.

Über die obere Kante derselben, die auch schon in erheblicher Entfernung von meinem Standpunkt war, wallte silbernes Haar.

Silbernes Haar….

Entsetzen schüttelte mich, als eine grauenvolle Vision von mir und Minerva MacGonnagal mein gemartertes Gehirn durchzuckte.

Aber nein… die spezielle Art meiner Schmerzen schloss eine Begegnung dieses Typs aus, und sie war auch mehr Grau als Silber.

Beim nächsten Gedanken drehte ich mich vorsichtshalber zur Seite, um nicht gegebenenfalls an meinem Erbrochenen zu ersticken. Albus Dumbledore…

Aber aller Alkohol der Welt hätte mich nicht zu einem derartigen Faux pas bewegen können.

Ein weiterer Schlossbewohner mit silbernem Haar ging mir durch den Kopf, aber auch eine sexuelle Begegnung mit Draco Malfoy war durch die spezielle Art meiner Schmerzen auszuschließen.

Ich schloss die Augen wieder und erinnerte mich an den Anti-Kater Trank, der auf dem Regal hinter der Tür, ganz links, neben dem Veritaserum stand.

Es war wohl das Beste, wenn ich mich zuallererst diesem widmete.

Und dann dem Trommeln, diesem unerträglichen Trommeln von Fingernägeln auf das Holzbrett.

Ich kämpfte mich in eine sitzende Position und drehte mich mit gebotener Vorsicht zur Sitzfläche der Couch, um das Mysterium des geheimnisvollen Beischlafpartners zu lösen.

Lucius Malfoy.

Lucius Malfoy! Wie kam ER hierher?

Ich war doch schon wach genug, um mich eines irritierten Kopfschüttelns zu enthalten, stand auf, taumelte langsam zur Tür und stützte mich schwer auf das Regal dahinter, auf der Suche nach dem Mittel gegen diese schreckliche Herde wilder Hippogryffs.

Endlich gefunden leerte ich die kleine Ampulle trotz ihres widerwärtigen Geschmacks in einem einzigen Zug und lehnte meinen Kopf wartend gegen die kühle Wand.

Und wieder durchzuckte mich eine Erkenntnis: trotz des Anti-Kater Trankes hatte das Trommeln nicht aufgehört.

Jemand war an der Tür. Ein außerordentlich geduldiger, hassenswerter Jemand.

Ich konnte in meinem Zustand natürlich nicht einfach die Tür öffnen. Nicht bevor ich nicht geduscht, meine Haare gezähmt und etwas Präsentables angezogen haben würde, und ich hatte nicht die geringste Absicht, auch nur eine einzige dieser Tätigkeiten in näherer Zukunft auszuführen.

„Wer … ist da?"

Meine Frage war bedeutend kürzer und freundlicher ausgefallen als ich ursprünglich geplant hatte, denn ich hatte nicht vorausgesehen, was für eine Auswirkung das Öffnen meines Mundes auf die pelzige Schicht haben würde, die meine Zunge und Zähne zu bedecken schien: sie wurde dadurch noch ekelhafter.

„Professor Snape, Sir, ich habe ein Problem das ihre Hilfe erfordert. Es ist ein persönliches Problem, aber nichts desto trotz ist es doch wichtig. Wenn sie mir nur für einen Augenblick gestatten würden…"

Know-it-all Granger. Niemand sonst konnte mich so früh am Morgen einem solchen Redefluss aussetzen. Und sie redete immer weiter!

Merlin, warum ich?

Ich war zur Tür gewankt und hatte die Stirn dagegen gelehnt, dem Erfinder der englischen Eiche und dem Architekten, der diese spezielle Tür aus dem Holz derselben hier eingebaut hatte für ihre Dichte und Dicke dankend, die Grangers Stimme zu einem fast erträglichen Nuscheln dämpfte.

„Miss Granger…"

Das hätte sich wie das Grollen eines erbosten Löwen anhören sollen, aber tatsächlich erinnerte es mehr an das kränkliche Säuseln eines Maikäfers.

„…kommen sie heute Abend um Neun in mein Büro"

Das war die einzige Möglichkeit die mir einfiel, ihr Geplapper fürs Erste abzustellen. Alles Andere hätte sie dazu veranlasst noch mehr Terror zu machen.

„Aber Sir, mein Anliegen ist von größter Wichtigkeit und … „

Lange Jahre als Zaubertränkelehrer in der Gesellschaft von Hermione Granger ermöglichten es mir, alles weitere zu ignorieren und mich Wichtigerem zuzuwenden.

Immer noch um mein Gleichgewicht kämpfend torkelte ich ins Bad und entleerte dort meine Blase.

Als ich das Badezimmer wieder verließ wandte ich mich nicht nach links, zu meinem Schlafzimmer, sondern ging ohne zu zögern wieder ins Wohnzimmer zurück.

Lucius lag lang ausgestreckt auf der Couch.

Lange, blonde Wimpern verbargen das eisige Grau seiner Augen; das hüftlange silberne Haar, dass sich in der vergangenen Nacht irgendwann aus seinem im Sommer allgegenwärtigen Zopf gelöst hatte, umwallte sein Gesicht und bedeckte einen Teil der Couch, der darauf liegenden Kissen und seines Oberkörpers. Die sonst makellose blasse Haut darunter, die sich über seinen Muskeln spannte, war von Kratzern gerötet, aber nicht einmal das schadete dem Bild überirdischer Schönheit, während ich mir nur allzu gut vorstellen konnte, wie ich selbst aussah.

Einen Moment lang stellte ich mir vor wie wärmend sein Haar sein musste und verspürte einen kleinen Stich irrationaler Eifersucht, denn mein ganzer Körper war von Gänsehaut bedeckt.

Sogar im Schlaf noch strahlten seine aristokratischen Züge Arroganz und Überlegenheit aus. Für einen Augenblick war ich versucht, nach meiner Kamera zu suchen. Stattdessen machte ich noch ein paar Schritte in Richtung Couch und ließ mich darauf an Lucius Seite nieder. Und während mein Geist schon ins gnädige Nichts abdriftete, und er etwas von Schlammblütern und Schweißtropfen murmelte, schlang er ohne aufzuwachen einen Arm um mich und zog mich zu sich. So wie er es immer tat.

Mit dem vertrauten Gefühl, zur richtigen Zeit mit der richtigen Person am richtigen Ort zu sein, schlief ich ein.