7.
Lucius Malfoys Arm lag schwer auf meiner Schulter. Durch die verschiedenen Stoffschichten unser beider Kleidung konnte ich seine Wärme spüren.
Also sind die Malfoys doch keine Kaltblüter… stellte meine innere Stimme unnötigerweise bezüglich der dümmlichen Legende fest, die Mitglieder der uralten reinblütigen Familie seien Schlangen in Menschengestalt.
Als, zusammen mit dieser inneren Stimme, meine eigenen Gedankengänge sich langsam aus der hypnotischen Starre lösten, und ich mir klar wurde, dass dies kein Traum sein konnte, kamen mir dutzende Fragen in den Sinn, die ich dem bekannten Todesser gern gestellt hätte.
Letzten Endes war ich hier mit ihm gefangen, und meine Fluchtchancen waren, mit diesem Arm auf meiner Schulter, nicht gerade rosig, vor allem, da ich meinen Zauberstab nicht erreichen konnte, solange ich weiter wie gelähmt hier saß, denn meine geistigen Funktionen waren meinem Körper im Sinne der Beweglichkeit ein weiteres Mal weit voraus.
Warum also sollte ich nicht ein Gespräch mit meinem Gegenüber beginnen, immer in der Hoffnung, baldmöglichst von Professor Snape gefunden und gerettet zu werden?
Ich fragte mich, ob Professor Dumbledore über Mister Malfoys Anwesenheit informiert war, konnte diese Frage aber selbst beantworten, als ich an Draco Malfoys dunkle Augenringe dachte. Jetzt war klar, warum Malfoy Junior nicht hatte schlafen können. Ganz offensichtlich war der Mann, dessen Atem ich jetzt auf meinem Gesicht spürte, was mir einen Schauer über den Rücken jagte, ganz offiziell hier, und nur ich hatte nichts davon gewusst.
Also gut. Fein. Eine Frage. Rede, Hermione, ich weiß, du kannst es. Das ist deine Spezialität!
„Ähm…"
Sehr gut ausformuliert, Kompliment.
Und meine Hoffnungen, heil aus dieser prekären Situation hervorzugehen sanken auf unter Null.
Ich stellte mir vor wie ich wohl aussah: wie versteinert dasitzend, den Kopf in beinahe rechtem Winkel nach links gedreht und mit offenem Mund und einem Gesichtsausdruck zwischen „Verzaubert" und „Todesangst" Lucius Malfoy, den Spross einer uralten, traditionell im Slytherin-Haus unterrichteten Zaubererfamilie, anstarrend.
Jetzt wünschst du dir, du hättest dir die Zähne noch mal geputzt, wie? - flüsterte erneut die gemeine, kleine Stimme, und wieder liefen meine Ohren hochrot an, so wie vermutlich auch der Rest meines Gesichtes.
Etwas, das ich nicht anders als Zufriedenheit nennen konnte, schlich sich beim Anblick meines beschämten Selbst in Malfoys Gesichtszüge und intensivierte die Gänsehaut, die sich seit unserem ersten Blickkontakt noch nicht wieder verflüchtigt hatte.
Mit einem Lächeln, dass eine lange Reihe perfekter weißer Zähne vermuten ließ, und das scheinbar verzweifelt zu einem raubtierhaften Grinsen wachsen wollte, und einem Glitzern, das tief aus dem Innersten seiner Augen zu kommen schien, beugte er sich wie zufällig zu mir hinunter, wie in einem ganz gewöhnlichen Gespräch, aber etwas in mir zweifelte ernsthaft daran, dass irgendetwas am Tun meines Gegenübers zufällig war.
„Entspannen sie sich, Miss Granger. Ich werde sie nicht beißen."
Dasselbe etwas in mir zweifelte auch daran sehr ernsthaft.
„Ich… natürlich… Mr. Malfoy…"
„So wortkarg, Miss Granger?"
Da war immer noch dieses gruselige Lächeln, gegen welches die gefletschten Zähne von Fluffy wie eine Einladung zu Tee und ofenfrischen Plätzchen wirkte, noch immer dieses unwirkliche Glitzern in den atemberaubenden stahlgrauen Augen….
Ich verlor mich im Anblick dieser Augen. Ein dunkler Ring umrandete die Iris, die ein Mosaik aus Silber, Hellblau und unzähligen Grauschattierungen um die schwarze Pupille herum war, ein Mosaik das ein Bild ergeben musste, nur konnte ich es nicht erfassen.
Ich sah mein eigenes Spiegelbild in seinen Augen, und der Anblick holte mich zurück aus dieser anderen Dimension, in der es nur graues Eis und seine tiefe, ruhige Stimme gab.
Ich dachte daran, dass Draco Malfoy noch einen langen Weg zurücklegen musste, bevor er den Charme seines Vaters erreichen würde, wobei mit Charme keinesfalls das allgemein übliche Null-acht-fünfzehn Geplänkel gemeint war, dass von aller Welt dort draußen, außerhalb dieses Zimmers, als Charme missverstanden wurde.
Mit Charme meinte ich das, was mich an seinen Blick fesselte, mir meinen eigenen Willen und alle Kraft raubte und mich wie Wachs in seinen Händen zurückließ.
Plötzlich fühlte ich eine Hitze, die es in dem kühlen Kerkerzimmer de facto nicht gab.
Mir wurde in diesem Moment klar, dass sich Lucius Malfoy seiner Wirkung auf mich durchaus sehr bewusst war, und dass er in diesem Moment nichts anderes tat als das Gefühl totaler Macht zu genießen und mit mir zu spielen wie eine Katze mit einem kleinen Vogel.
Und leider begriff ich noch etwas Anderes: obwohl ein kleiner rationaler Teil meines Ichs es noch nicht glauben wollte und dagegen ankämpfte lag mir in diesem präzisen Augenblick nichts ferner als auf Flucht oder auf Professor Snapes Auftauchen zu hoffen.
Ich wollte dieser kleine Vogel sein.
Meine verhasste innere Stimme unterstrich diese Erkenntnis sehr treffend mit der stummen Aussage: Zieh endlich dieses nutzlose Zeug aus und zeig mir, was du darunter versteckst!
Obwohl er es nicht gehört haben konnte, wäre ich bei diesem Gedanken am liebsten in der Couch versunken. Was den überraschenden Nebeneffekt hatte, dass ich mich etwas entspannte, und diesen Umstand nutzte ich, um mich zu überwinden, unter seinem Arm wegzuschlängeln und aufzustehen.
„Ich glaube, ich sollte wohl besser gehen. Ich kann ja auch morgen noch mit Professor Snape sprechen und außerdem ist schon vor einer ganzen Weile Zapfenstreich gewesen…"
Mit diesen zugegebenermaßen meiner unwürdigen, einfallslosen Worten wollte ich mich rückwärtsgehend aus dem Kerkerzimmer schleichen.
Rückwärtsgehend, weil ich es noch immer nicht geschafft hatte, meinen Blick von den fürchterlichen wunderschönen Augen dieses viel zu faszinierenden Mannes zu lösen.
Der Ausdruck, den ich dann jedoch in ihnen sah, löste in mir einen neuen Wirbel verschiedener Gefühle aus, größtenteils Entsetzen, Aufregung und – ich musste es mir selbst eingestehen – hemmungslose, kranke und völlig unangebrachte Wollust, die meinen ohnehin schon langsamen taktischen Rückzug zum versiegen brachten.
Ich sah in ihnen eine Vorfreude wie die eines Raubtieres, das die Fährte seiner Beute aufgenommen hatte und diese in Gedanken schon zerreißt, und ich wusste, ich hatte nie eine Chance gehabt, von dem Augenblick an, in dem ich durch die Tür getreten war.
Eine große Hand legte sich eisern um mein Handgelenk, und ich legte den Kopf in den Nacken um meinen Blick nicht von den wunderbar schrecklichen, von langen Wimpern gesäumten eisigen Seen lösen zu müssen, als er langsam aufstand und einen Schritt auf mich zumachte, bis ich seinen überraschend warmen Atem auf meinem Gesicht spürte und meine Knie wieder weich wurden.
„Sie wollen mich doch nicht etwa allein hier warten lassen? Ich würde ihre Gesellschaft der all dieser Tränke und Bücher bei weitem vorziehen."
Er löste einen Moment lang seinen Blick von mir um mit den Augen für den Bruchteil eines Augenblicks in Richtung der mit Ampullen und Gläsern, Pergamenten und Büchern in einer präzisen Ordnung beladenen Regale an der Wand zu schweifen, und erst danach wieder mich anzusehen, und in diesem Bruchteil eines Augenblicks spürte ich eine Leere, die dieses eisige Grau bis dahin ausgefüllt hatte, eine unerträgliche Leere, und ich vermisste die lähmende Kälte, die er in mir verbreitete. In diesem Bruchteil eines Augenblicks war ich eifersüchtig auf die Regale, über die er seinen Blick hatte wandern lassen.
Aber dann sah er mich wieder an, sah in meine Augen, und obwohl sein Blick mir mehr Angst einjagte als alles Andere was mir bisher begegnet war, obwohl ich mich fühlte wie ein wehrloses kleines Tier das in die Augen einer Boa starrt, während diese langsam das Leben aus ihm herauspresst, ich hätte alles dafür getan, damit er seinen Blick nie wieder auf etwas Anderes als mich richtete.
„Was für ein hübsches Mädchen. Jemand der sie zum ersten Mal sieht, würde niemals annehmen, dass sie eine Muggelgeborene sind."
Trotz der Tatsache, dass ich ganz genau wusste, dass ich keinen Anlass dazu hatte, lächelte ich glücklich, ganz so, als ob ich gerade ein großes Kompliment erhalten hätte – und für Lucius Malfoy war dies sehr wahrscheinlich das größte Kompliment, das er einem Schlammblut nur machen konnte.
Zwei Finger seiner rechten Hand fuhren von meinem Scheitel über meine Schläfen und Wangen bis zu meinem Kinn, und wo sie eben noch gewesen waren kribbelte meine Haut in der Erinnerung an die zarte Berührung.
Meine Knie gaben unter mir nach und ich wäre gestürzt, hätte er mich nicht mit einer blitzschnellen, fließenden Bewegung auf den Arm genommen. Ganz automatisch legte ich meinen Arm um seine Schultern, und das brachte mein Gesicht dem seinen noch näher.
Ich verspürte die irrationale Lust meine Finger durch seinsilbernes Haar wandern zu lassen.
Ich wollte es aus seinem Zopf befreien und fühlen, ob es so weich war, wie es aussah.
Er lächelte noch immer, es war ein überlegenes und zufriedenes Lächeln, und trug mich mühelos und zielsicher aus dem, was Professor Snapes Wohnzimmer sein musste in einen Korridor und zu einer Tür am Ende desselben.
Mich ohne Anstrengung auf nur einem Arm haltend benutzte er die andere Hand, um die Tür zu öffnen und trug mich in ein in Schwarz und Grüntönen ausgestattes, großes und sehr elegantes Schlafzimmer.
Das Spiel seiner Muskeln unter seiner Kleidung ließ mein Herz schneller schlagen, und die Seide selbst unter meinen Händen, so glatt und schimmernd wie die Haut einer Schlange, schien berührt werden zu wollen, schien zu wollen, dass ich meine Wange darauf legte, dass ich meine Finger über jeden Zentimeter wandern ließ um die Konturen des Körpers darunter zu ertasten, um mir ein Bild davon zu erfühlen, was meine Augen nicht sehen konnten.
Noch nicht.
Lucius Malfoy duftete wie etwas, das mich an Wind und Herbst und Wald denken ließ; nein, kein Wind, ein Sturm, der alles, was ihm im Weg war, mit sich riss.
Ich wurde langsam auf das Bett herunter gelassen. Die weichen Laken waren aus dunkelgrünem Satin und mein Kopf versank in einem noch weicheren, duftenden Kissen. Er sah mich an und lächelte, und es war mir als schwebe ich. Dann zog er seine Arme unter mir weg, und wo sie gewesen waren breitete sich Kälte aus, eine unerträgliche Kälte.
Das ist der Moment, in dem die Schlange ihre Beute verschlingt, nicht wahr? Vielleicht war doch etwas dran an dieser Legende…?
Als wolle er diesen Gedanken bestätigen ließ sich Lucius neben mir nieder und beugte sich beinahe andächtig über mich. Sein Zopf fiel über seine Schulter und floss wie ein silberner Wasserfall über das schwarze Kissen neben meinem Gesicht – so nah... – aber ich war wie gelähmt, konnte die Hand nicht danach ausstrecken, es nicht berühren, streicheln, nicht darin ertrinken.
Statt mich zu verschlingen legte er eine Hand auf meine Wange und die Welt, die eben noch so groß gewesen war, beschränkte sich plötzlich nur noch auf weiche, warme Lippen auf meinen, die zarte Berührung einer großen Hand und die Hitze, die sie in meinem Innersten auslösten.
Alles Andere war vollkommen unwichtig.
Wenn dies doch ein Traum war, dann wollte ich nicht mehr aufwachen. Nie mehr.
Ich schloss die Augen.
