8.
Warum?
Warum machte ich mir all die Mühe für diesen selbstverliebten, arroganten, egozentrischen…?
Seufzend sah ich von dem uralten und stinkenden Ledereinband auf, über dem ich bislang gebrütet hatte, auf der vergeblichen Suche nach einem Trank gegen Hitzewallungen.
Man könnte meinen er sei eine Frau in den Wechseljahren und kein Mann in den besten Jahren…
Ich streckte mich ausgiebig, bis jeder einzelne Knochen in meinem Nacken mindestens zwei Mal geknackt hatte, und ich mich etwas wacher fühlte.
Die Bewegungen ließen meine Kleidung über die Haut unter ihnen reiben und brachten einige Kratzer darunter zum Kribbeln.
In den besten Jahren, fürwahr…, dachte ich mit der Andeutung eines schiefen Grinsens.
Und das war auch schon der einzige Grund, den ich brauchte, um mich überhaupt auf Lucius Spielchen und Launen einzulassen.
Oft genug waren die Ergebnisse überaus amüsant, und ich hatte nicht allzu oft die Gelegenheit mich zu amüsieren.
Nicht mit Albus Dumbledore als Schulleiter.
Was für ein pflichtbewusster Mann. Immer bereit, die Verantwortung für alles zu übernehmen.
Ich lachte laut auf, beschloss dann aber, dass es besser war meine Zeit nicht mit derart schwachsinnigen Gedanken zu verschwenden, und beugte mich erneut über das nach Staub und alter Fäulnis riechende Buch.
Hitzewallungen, da war es…endlich… aber dieser Trank löste Hitzewallungen aus…
Ich sah mir das Rezept und die Angaben zur Zubereitung des Trankes genau an und dachte nach.
Wenn ich zu den Zutaten noch Hahnenfuß, etwas Blut und ein paar andere Kleinigkeiten hinzufügte und das ganze eine Woche lang auf kleiner Flamme köcheln ließ, statt nur drei Tage lang, dann sollte sich eine halbwegs zuverlässige Pomade zum Auftragen auf die Haut entwickeln lassen.
Und so wie ich Lucius kannte, war es wohl auch angebracht, dem ganzen eine nicht unbeträchtliche Menge von Parfum beizugeben.
Ich brütete noch ein Weilchen über meinem Plan, aber letzten Endes war dies nicht das erste Mal, dass ich mit Lucius einen neuen Trank erfand, auch wenn wir die meisten für uns behielten.
Die Zauberwelt war noch nicht bereit für einen Trank, der sämtliche Frauen zu willenlosen Liebessklavinnen machte. Nicht, dass einer von uns beiden es jemals nötig gehabt hätte, auf solch einen Trank zurückzugreifen, obwohl wir ihn damals an Narcissa ausprobiert hatten, und daher sicher sein konnten, dass er auch funktionierte.
Ich erinnerte mich mit Freuden an dieses Ereignis zurück. Was für ein Abend….
Entschlossen griff ich nach Pergament und Feder und kopierte zunächst sorgfältig das Rezept für Hitzewallungen, um dann meine Notizen darüber an den Rand zu schreiben, wie man diesen Trank verändern konnte.
Ich hatte es vor langer Zeit aufgegeben, direkt in Bücher zu schreiben.
Ich trocknete die Tinte, rollte das Pergament zusammen, schloss das Tintenfässchen und verließ erleichtert die Bibliothek.
Obwohl verlassen war dies ein eindeutig zu öffentlicher Ort für mich, aber ich hatte keine Lust gehabt den stinkenden Einband mit in mein sauberes Labor zu nehmen.
Durch die Fenster, an denen ich vorbeikam, sah ich, dass der Sonnenuntergang die Welt draußen in eine breite Palette aus Rot- und Orangetönen tauchte. Es musste mittlerweile nach Neun sein, denn ich hörte auch keine Schüler auf den Gängen.
Einerseits bedeutete das, dass ich niemandem außer eventuell dem einen oder anderen verwirrten Geist begegnen würde, und die wussten es besser und würden mich nicht ansprechen.
Andererseits bedeutete es aber, dass ich auch das Abendessen verpasst hatte.
Ich beschloss auf dem Weg zurück in meine Räume einen Umweg über die Küche zu machen, denn seit dem Aufstehen am späten Nachmittag hatte ich noch nichts gegessen, und es war anzunehmen, dass auch Lucius nicht zum Abendessen in die große Halle gegangen war.
Als ich an den offenen Torflügeln derselben vorbeikam sah ich zu meiner Überraschung einen silbernen Schopf im Licht einer Fackel glitzern. Bei genauerem Hinsehen stellte es sich als das Haar Dracos heraus.
Der junge Mann, der auf seinem Stammplatz am Slytherin-Tisch saß, hob den Kopf von den Armen und sah mich aus blutunterlaufenen Augen schweigend an. Ich sah den müden, gehetzten Ausdruck in seinem für gewöhnlich so beherrschten Gesicht.
„Ist es wahr? Ist ER hier?" fragte er mich leise mit heiserer Stimme.
Ich hätte wirklich Mitleid mit meinem Patensohn haben sollen, aber dieser Ausdruck auf seinem Gesicht erinnerte mich zu sehr an meine Schüler, wenn ich sie nachsitzen ließ.
Aber er war trotz allem immer noch Draco, und ich mochte den Jungen, also verkniff ich mir mit etwas Mühe alle Äußerungen, die mir in den Sinn kamen, und von denen ich wusste, dass sie ihn in die Verzweiflung treiben würden, und hob stattdessen nur im Vorbeigehen die Hand zum Gruß.
„Draco…"
Als ich an den Torflügeln vorbei war hörte ich ein dumpfes Geräusch, das von seinem Kopf kommen musste, der auf die Tischplatte prallte, und ich konnte mir ein winziges, gehässiges Lächeln nicht länger verkneifen.
Armer, armer Draco….
Er wusste natürlich, dass sein Vater sich ganz auf ihn konzentrieren würde, sobald er begann sich zu langweilen. Und Lucius väterliche Zuwendungen konnten mitunter überaus nervenzehrend sein, das wusste ich sehr wohl.
Aber vielleicht hatte Draco ja auch Glück, vielleicht würde Lucius sich nicht langweilen….
Mir kam sein breites Grinsen in den Sinn, als ich mich erinnerte wie er mich, nachdem er mich äußerst unsanft geweckt hatte, nochmals auf die Wette vom Abend zuvor erinnerte. Nicht umsonst, denn ich hatte sie längst verdrängt.
Aber wie hatte ich kurz zuvor festgestellt? Lucius Launen hatten manchmal außergewöhnlich amüsante Resultate.
Ich ging in die Küche und ließ die Hauselfen ein großes Tablett voll mit verschiedenen Speisen zubereiten und gab ihnen die Anweisung, es direkt in meinem Wohnzimmer erscheinen zu lassen. Ich selber würde noch ein paar Flaschen aus meinem privaten kleinen Weinkeller unter meinem Labor beisteuern.
Mit deutlich besserer Laune als noch kurz zuvor begab ich mich in die Kerker der Schule, holte ich drei Flaschen Wein und ging zu meinen Räumen.
Ich sah einen ereignisreichen Abend voraus.
Als ich die Tür zu meinem Wohnzimmer öffnete fiel mein Blick sofort auf das Tablett mit unserem Abendessen, aber bei genauerem Hinsehen fehlte etwas.
Und was fehlte war Lucius.
Schwarze Wut machte sich in mir breit bei dem Gedanken, dass ich stundenlang über diesem Wälzer gehockt hatte, um für ihn nach einem Trank zu forschen, während er wahrscheinlich irgendwo seinen Spaß hatte.
Daran gewöhnt, meine Gefühle nicht offen zu Schau zu tragen, schloss ich die Tür leise hinter mir und beschloss zähneknirschend, mich zunächst in den anderen Räumen umzusehen.
Ich verließ das Wohnzimmer und hielt mich nicht damit auf in den anderen Räumen zu suchen, sondern ging durch den Flur direkt auf mein Schlafzimmer zu, sobald ich bemerkte, dass die Tür zu diesem nicht geschlossen war.
Was ich durch die halb geschlossene Tür sehen konnte ließ alle meine Wut verpuffen und meine Bewegungen mit einem Schlag ersterben, und für einen Moment blieb ich wie angewurzelt stehen und sah mir das Schauspiel an.
Da stand Lucius, eine Schülerin auf dem Arm haltend.
Jetzt senkte er sie langsam auf mein Bett herunter, und ich erkannte, dass er es tatsächlich geschafft hatte, Hermione Granger aufzutreiben.
Oder vielleicht hatte ich sie ihm auch in die Arme gespielt? Ich erinnerte mich an etwas, was ich nach dem Aufstehen als Teil eines Traumes abgetan hatte: hatte ich sie nicht selbst für Neun Uhr in meine Räume bestellt?
Lucius ließ sich mit der ihm eigenen Eleganz auf dem Bett nieder. Die ganze Zeit hatte die musterhafte Gryffindor den Blick für keinen Moment von ihm gelassen.
Dem weltberühmten Malfoy-Charme konnte also nicht einmal Miss Perfect widerstehen.
Lucius beugte sich zu ihr herunter und küsste sie. Ich hatte die Wette so gut wie verloren.
Wenn nicht…
Vielleicht konnte ich mir noch Chancen ausrechnen, wenn ich als Retter in glänzender Rüstung auftrat. Nur eben ohne Rüstung.
Auf jeden Fall konnte ich von meinem momentanen Standpunkt nicht besonders viel sehen.
Ich betrat mein Schlafzimmer, schloss die Tür leise hinter mir und ging um das Bett herum, um mich an der Lucius gegenüberliegenden Seite in einen bequemen Sessel zu setzen, in dem ich für gewöhnlich gern die Hausaufgaben meiner schlechtesten Schüler bewertete, denn nirgendwo besser als hier konnte man schlechte Noten verteilen.
Lucius öffnete die Augen ohne den Kuss zu lösen, sah mich intensiv mit einem überaus selbstzufriedenen Ausdruck im Gesicht an, dann löste er den Kuss.
Die kleine Granger lag still da, mit geschlossenen Augen und geröteten Wangen.
Wenn sie nicht dauernd redete war sie gar nicht mal so abstoßend.
„Severus. Bist du gekommen um dich uns anzuschließen?"
Ihre Augen öffneten sich langsam, so als träume sie, und sie drehte ihr Gesicht in meine Richtung.
Dieser Abend würde in der Tat ereignisreich werden
