Nachdem Jürgen gegangen war, ging Lisa das erste Mal alleine durch die ganze Wohnung.
Endlich ist alles fast fertig! Und das obwohl ich bis vor kurzem noch gedacht habe, dass wir niemals umziehen werden. Seit ihrer Hochzeit hatten Lisa und Rokko in Rokkos Wohnung gewohnt, doch ziemlich bald war klar gewesen, dass sie sich eine neue Wohnung suchen würden. Doch leider hatte bei jeder Wohnung, die sie sich ansahen irgendetwas nicht gepasst. Lisa war schon am aufgeben, als sie von Max den Tipp bekamen, dass ganz in der nähe vom Kerima-Gebäude ein Haus mit Eigentumswohnungen gebaut wurde. Sie hatten Glück und eine der Dachwohnungen mit riesiger Dachterrasse war noch nicht verkauft. Und diesmal stimmte alles! Leider war die Wohnung noch nicht bezugsfähig und so hieß es warten. Aber jetzt war das schlimmste überstanden und es waren nur noch wenige Kisten auszupacken.
Lisa ging zum Wohnzimmerschrank, wo Jürgen zum Glück vorhin schon die Stereoanlage angeschlossen hatte und legte wahllos eine der CDs ein, die vor dem CD-Regal in einer Kiste lagen. Danach begann sie, aus einer anderen Kiste, Photos auf dem Kaminsims aufzustellen. Als sie gerade ihr Hochzeitsbild in die Mitte zwischen die anderen Bilder von ihren Eltern und Freunden stellte, erklangen die ersten Töne eines Liedes, das sie seit ihrem Polterabend nicht mehr gehört hatte.
Lay
a whisper on my pillow,
leave the winter on the ground.
I wake
up lonely,
there's air of silence in the bedroom and all
around.
Touch me now,
I close my eyes and dream away.
It
must have been love but it's over now.
It must have been good but
I lost it somehow.
It must have been love but it's over now.
From the moment we touched 'til the time had run out.
Das Lied hatte David auf ihrem Polterabend gesungen. Der ganze Abend war für Lisa nicht wirklich eine gute Erinnerung. Am Tag davor war David auf einem weißen Pferd in den Innenhof von Kerima geritten und hatte ihr kniend einen Heiratsantrag gemacht.
Lisa hatte abgelehnt, doch das ungute Gefühl blieb. Vor allem da sie merkte, dass Rokko vor Eifersucht kochte und David den ganzen Abend nicht aus den Augen ließ.
Schließlich war sie zu David gegangen und hatte noch einmal mit ihm geredet.
Doch David spielte mal wieder den Coolen und wollte ihr keine klare Antwort geben, ob er sich jetzt mit der Tatsache abgefunden hatte, dass sie Rokko liebte und ihn am nächsten Tag heiraten würde. Als David schließlich auf die Bühne kam und ankündigte, dass er jetzt ein ganz besonderes Lied für die Braut singen würde, hätte Lisa sich am liebsten Rokko geschnappt und wäre mit ihm in ein Flugzeug nach Vegas gestiegen und hätte dort ohne Familie und Freunde, ganz in Ruhe geheiratet. Stattdessen bahnte sie sich einen Weg durch all die Leute, die zur Bühne strömten. Dort fand sie Rokko, der, seinem Gesichtsausdruck nach, David am liebsten von der Bühne gezerrt hätte. Lisa stellte sich neben ihn, griff nach seiner Hand und drückte sie leicht. Er sah zu ihr herüber und lächelte, doch das Lächeln, das sie sonst so sehr an ihm liebte, reichte diesmal nicht bis zu seinen dunklen Augen, in denen Lisa nur allzu gerne immer wieder versunken wäre. „Egal, was auch immer er da jetzt zum Besten geben wird, vergiss bitte eins nicht: Ich liebe DICH !" flüsterte Lisa ihm ins Ohr.
Rokkos Lächeln wurde breiter und endlich leuchteten seine Augen auch wieder. Er ließ ihre Hand los, zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich. Als sich die beiden wieder voneinander lösten, hatte David bereits mit seinem Lied begonnen. Als Lisa es erkannte, war sie zuerst nicht sicher was sie davon halten sollte. Verdutzt schaute sie Rokko an und dieser blickte ebenso fragend zu David.
Make-believing
we're together,
that I'm sheltered by your heart.
But in and
outside I've turned to water like a teardrop in your palm.
And
it's a hard winter's day, I dream away.
It must have been
love but it's over now,
it was all that I wanted,
now I'm
living without.
It must have been love but it's over now,
it's
where the water flows, it's where the wind blows.
Das Lied war zu Ende und David stellte sich auf der Bühne direkt vor Rokko und Lisa.
„Ich hoffe ihr habt verstanden, was ich Dir, Lisa, aber auch Dir, Rokko, hiermit sagen wollte.
Ich habe dich geliebt Lisa, weil Du einen besseren Menschen aus mir gemacht hast.
Ich wollte Dich an meiner Seite, aber nicht um Dich glücklich zu machen, sondern mich selbst. Doch ich habe verstanden, dass es um Dich geht, dass Du glücklich sein sollst und es an Rokkos Seite bist und immer sein wirst. Denn er wollte von Anfang an nichts anderes, als Dein Glück zu sein. Ich wünsche Euch für euer gemeinsames Leben alles, alles Gute und hoffe Du bleibst wenigstens eines für mich: Meine Freundin!"
Und so ist es zum Glück auch geblieben. Dachte Lisa. Damals hätte ich wirklich nicht gedacht, dass David und ich einmal nur gute Freunde sein können.
Sie setzte sich wieder auf das Sofa. Für heute ist genug. Morgen ist auch noch ein Tag.
Sie sah auf die Uhr, es war kurz vor 9 Uhr. Dann ruft Rokko sicher gleich an. Wenn der letzte Vortrag pünktlich zu Ende war, müsste er ja bald in seinem Hotel sein.
Lisa beschloss noch schnell etwas zu essen und dann nach Rokkos Anruf schlafen zu gehen.
Hoffentlich kann ich überhaupt schlafen! Das ist das erste Mal seit unserer Hochzeit, dass wir 2 Tage und Nächte getrennt sind. Letzte Nacht konnte ich wenigstens noch sein Kissen im Arm halten. Ich werde wahrscheinlich kein Auge zu machen!
Zum Glück hat Mama heute Mittag für uns eingekauft, bei dem ganzen Stress kommt man ja zu gar nichts.
Lisa hatte sich aus den vielen Tüten und der Kühlbox mit Getränken, die ihre Mutter am frühen Nachmittag vorbeigebracht hatte, etwas zum essen herausgesucht und hatte es sich wieder auf dem Sofa gemütlich gemacht. Im Hintergrund lief immer noch die CD und Lisa genoss den Ausblick über die Dachterrasse auf das nächtliche Berlin. Mittlerweile war es kurz nach 10 und Lisa wunderte sich, dass Rokko noch nicht angerufen hatte. Auf dem Weg in die Küche fischte sie ihr Handy aus der Handtasche, die ihm Flur an der Garderobe hing, und kontrollierte, ob sie überhaupt Empfang hatte. Das Handy funktionierte und sie hatte auch keinen Anruf überhört. Sie nahm es mit ins Wohnzimmer und legte es neben sich aufs Sofa.
Warum er wohl noch nicht angerufen hat? Naja, vielleicht gibt es zum Abschluss des Meetings ja noch einen kleinen Empfang und da ist er noch dort geblieben. Ob ich ihn mal anrufen soll? Nein, besser nicht. Er wird sich sicher bald melden. Er denkt wahrscheinlich, dass ich schon im Bett bin und will mich nicht wecken. Ich schreibe ihm noch schnell eine SMS. Nachdem sie die SMS geschrieben hatte legte Lisa das Handy wieder zur Seite und schaute zur Terrassentür in den Sternenhimmel.
Wie damals im Planetarium, als wir uns das erste Mal geküsst haben. Immer wenn sie an diesen Abend und den ersten Teil ihrer Beziehung dachte, bekam sie ein flaues Gefühl in der Magengegend. Denn genauso wie sie sich an die wundervolle erste Zeit mit Rokko erinnerte, so kamen auch immer wieder die Gedanken an ihre Trennung wieder zum Vorschein.
Ich hab ihn damals so mies behandelt. Dass er ihr nach dieser Abfuhr noch mal eine Chance gegeben hatte, konnte Lisa immer noch nicht wirklich glauben. Wenn sie an seinen Gesichtausdruck dachte, als sie ihm gesagt hatte, dass David sie liebe, kamen ihr auch heute noch die Tränen. Dabei hätte ich doch damals schon merken müssen, dass mir Rokko viel mehr bedeutet. Ich habe ja mehr geheult als er! Es tat so weh, ihn da so stehen zu sehen. Im Vergleich dazu war die Abfuhr von David nach seiner Entführung geradezu ein Spaziergang. Und trotzdem war Rokko weiter für mich da und ist nicht abgehauen, obwohl ich das sogar verstanden hätte. Er war damals da und wird es auch immer sein. Wie ein Versprechen, dass er mir lautlos gegeben hat und nie auszusprechen braucht, weil ich es schon immer gewusst habe.
Im Hintergrund begann gerade ein Lied, dass besser nicht zu Lisas Gedanken hätte passen können.
In
your arms I can still feel the way you
Want me when you hold me
I
can still hear the words you whispered
When you told me
I can
stay right here forever in your arms
Sie musste an den Ausflug zum Minigolf denken. Dort hatte Rokko ihr das erste Mal gesagt, dass er sich in sie verliebt hatte und sie hatte eigentlich gar nicht reagiert. Und trotzdem hat er nicht aufgegeben.
And
there ain't no way
I'm lettin' you go now
And there ain't no
way
And there ain't not how
I'll never see that day...
Wenn ich daran denke, dass ich ihn fast verloren hätte. Wenn David nicht entführt worden wäre, dann wären wir sicher ein Paar geworden. Vielleicht hätten wir sogar geheiratet und Rokko wäre weg gewesen. Das hätte er sicher nicht ertragen, dann weiter mit mir zusammenzuarbeiten. Ich darf gar nicht daran denken, dass ich fast den größten Fehler meines Lebens gemacht hätte, in dem ich mit David zusammengekommen wäre. Nein!
Ich werde Rokko nie wieder los lassen.
'Cause
I'm keeping you
Forever and for always
We will be together all
of our days
Wanna wake up every
Morning to your sweet
face—always
Und mit dem Gedanken an Rokkos leuchten dunkle Augen, die sie immer so sanft ansahen und die all die Liebe, die er für sie empfand widerspiegelten, schlief Lisa auf dem Sofa ein.
In
your eyes
I can still see the look of the one who really loves
me
The one who wouldn't put anything else in the world above me
I
can still see love for me in your eyes
