Kaer Morhen.
Ves blickte nervös über ihre Schulter. Seit Lethos Auftauchen fühlte sie sich ständig beobachtet.
Wie konnte Geralt so etwas Dummes tun? Eigentlich hatte sie eine recht hohe Meinung von dem Weißen Wolf. Aber „wir brauchen den Königsmörder"? Ernsthaft?
Sie musste dringend Dampf ablassen. Für Bogenschießen war sie zu angepisst.
Sparring mit Roche? Der besprach irgendetwas mit Geralt. Sie sah sich wütend um. Eskel war frei. Ob sie den schüchtern wirkenden Hexer fragen sollte? Ach was soll´s.
„Bock zu trainieren?", fragte sie ihn und versuchte, nicht auf die dreispurige Narbe zu starren. Sie hatte längst mitbekommen, wie unangenehm sie ihm war. Sie hatte genug Zeit mit Soldaten verbracht, die unter Narben und alten Verletzungen litten. Und sie selbst hatte durchaus auch einige vorzuweisen.
Eskel sah erstaunt auf und hörte damit auf, sein Silberschwert mit einem öligen Lappen zu polieren.
„Klar.", sagte er schulterzuckend. Sie nickte zufrieden, holte zwei hölzerne Übungsschwerter und positionierte sich ein paar Schritte entfernt von ihm. Sie umrundeten einander einige Male, ihre Gesichter konzentriert angespannt. Jeder warte auf ein Vorpreschen des anderen.
„Halt dich bloß nicht zurück!", knurrte sie den abwartenden Hexer an.
Eskel holte aus und täuschte einen Hieb gegen ihren Kopf vor, zielte dann aber doch auf ihren ungeschützten Bauch. Sie drehte sich geschickt weg und blockte seinen Schlag ab. Es entging ihm nicht, dass durch den Luftzug der Drehung ihre Bluse weiter auseinanderrutschte. Sie hingegen bemerkte, dass sein Blick kurz zu ihrem Ausschnitt gewandert war.
Sie grinste verschmitzt und ließ ihre linke Schulter kreisen, wohlwissend, wie magisch die Bewegung ihrer nur mit der dünnen Leinenbluse bedeckten Brüste Männer ablenkte.
Auch hier funktionierte es. Eskels geschlitzte Pupillen weiteten sich ein wenig. Das war der richtige Moment, um anzugreifen.
Er riss sein Holzschwert den Bruchteil einer Sekunde zu spät hoch und Ves traf ihr Ziel. Allerdings wurde sie von einer goldgelb-knallenden Explosion zurückgeschleudert und landete unsanft auf ihrem Hintern.
„Hey, keine Tricks!", beschwerte sie sich schmollend, ergriff aber Eskels Hand, die er ihr hilfereichend anbot. Doch statt sich hochzuziehen, rammte sie ihren Fuß in seine Magengegend und zog ihn kräftig nach vorne, sodass der Schwung ihn zum Überschlag zwang.
Eine schnelle Bewegung später saß sie rittlings auf seinen Hüften und drückte ihm einen Dolch gegen den Hals. Eskel hob sich ergebend die Hände und lächelte verlegen.
„Keine Tricks hast du gesagt", raunte er und konnte nicht verhindern, dass sein Blick erneut zu ihren festen Brüsten bis zur weißen Haut ihres Bauches rutschte.

„Soll ich Vesemir nach einem Zimmer für euch fragen?", ätzte Keira, die – Lambert im Schlepptau – auf den Trainingsplatz zuschritt.
Ves´ Mine verfinsterte sich. Sie hatte sich noch nie mit Kameraden eingelassen und beabsichtigte nicht, ausgerechnet hier damit anzufangen. Sie erhob sich geschmeidig und reichte nun ihrerseits Eskel die Hand.
Keira, die unheimlich gern Showkämpfen zusah, setzte sich auf einen Stapel Pfahlhölzer und deutete Lambert, sich zu den Kämpfern zu gesellen.
„Zwei gegen eine hilflose Frau? Wie unfair!", schmollte Ves, hob aber schelmisch grinsend ihr Übungsschwert.
„Liebchen, kein Mann mit Verstand würde dich hilflos nennen", versicherte die Zauberin ihr und klatschte gespannt in ihre Hände.
Eskel und Lambert brachten sich in Formation und sahen zu, wie Ves auch ihren Dolch mit geübtem Griff hochhob.
Lambert und Eskel waren ein eingespieltes Team, wenn es um das Bekämpfen von Monstern ging, waren aber überrascht, wie schwer es ihnen Ves machte. Sie parierte geschickt ihre schnellen Schwerthiebe, doch auch ihr gelang es nicht, einen der beiden Hexer auch nur annähernd zu treffen.
Außerdem wusste sie genau, dass beide sich zurückhielten. Schließlich hatte sie bereits Geralt im Kampf erlebt und wusste genau, wozu ein Hexer fähig war.
„Kommt schon, Jungs. Ihr macht es mir zu leicht!"
Lambert setzte ein verschwörerisches Grinsen auf und nickte Eskel ermutigend zu. Bevor einer der beiden beginnen konnte, landete plötzlich Letho in ihrer Mitte, der von dem Kletterparkour heruntergesprungen war. Er wirkte schnell Yrden, sodass Ves in einem Kreis aus kleinen lila Flammen stand. Er beobachtete zufrieden, wie sich ihr schönes Mädchengesicht vor Wut verzerrte und sie ihre Bewegungen nur noch stark verlangsamt ausführen konnte. Er schlug ihr zuerst mit dem Handgelenk das Schwert aus der Hand, fing ihre linke Hand mit dem Dolch auf, drehte ihr den Arm auf den Rücken und zwang ihren Oberkörper so heftig nach unten, dass ihr ein spitzer Schmerzschrei entfuhr. Er beendete Yrden, kickte ihre Beine unter ihr weg und kniete sich mit einem Bein auf ihren Rücken.
Keira protestierte sofort. Lambert und Eskel stürzten sich auf ihn und versuchten ihn von seiner deutlich unterlegenen Gegnerin wegzuzerren.
Letho sah gelangweilt auf Lamberts Hände, die seinem mächtigen Bizeps umfassten und an ihm zerrten. Er schaffte es nicht, den Hünen auch nur einen Millimeter zu bewegen.
„Lass sie sofort los, oder ich vergesse mich!", dröhnte Keiras magisch verstärkte Stimme, die einen Kugelblitz in ihren Händen beschworen hatte.
„Geralt, hierher!", rief sie beistandsuchend Richtung Burg.
Letho nahm etwas von seinem Gewicht von Ves´ Körper, ließ sie aber nicht los.
„Denkt ihr Idioten denn, Imlerith würde sie schonen? Oder Caranthir? Wenn auch nur einer von euch an einen fairen Kampf glaubt, seid ihr dämlicher, als ich ohnehin schon dachte", knurrte der Königsmörder.
„Runter von mir!", befahl Ves und starrte Letho so gut die entwürdigende Position es erlaubte, wütend an.
Er betrachtete sie einen Moment, ließ ihren Arm dann aber los. Bevor sie sich aufrappeln konnte, hatte er sie um die Taille gefasst und wie eine Puppe auf ihre Beine gestellt.
Sie trat mit dem Hacken ihres Stiefels auf seinen Fuß und rammte ihm mit voller Wucht den Ellbogen ins Gesicht. Befriedigt hörte sie das Brechen seiner Nase und den unterdrückten Schmerzschrei, den er nun seinerseits von sich gab. Er ließ sie los und fasste nach seiner blutenden Nase. Sie wirbelte herum und stieß ihm mit aller Kraft ihr Knie zwischen seine Beine. Doch er hatte damit gerechnet, fing ihr Bein ein, schleuderte sie herum, umfasste ihren Gürtel und hob sie am ausgestreckten Arm hoch. Ihr Körper klappte zusammen und sie war gezwungen, sich an seinem schwarzbehaarten Unterarm abzustützen, um den Druck auf ihren Bauch zu verringern.
Er grinste sie trotz blutender Nase triumphierend an.

Eine Armbrust klackte. Direkt neben Lethos Kopf schlug ein Bolzen in einen Pfahl ein.
„Nimm sofort deine dreckigen Pfoten von ihr", brüllte Vernon ihn an, der Geralt zum Trainingsplatz gefolgt war.
Letho senkte langsam seinen Arm und stellte Ves erneut auf die Füße.
„Was geht hier vor?", verlangte Vernon Roche zu wissen. Sein Blick wanderte zwischen dem blutenden Hexer und seiner keuchenden, gekrümmt stehenden Stellvertreterin hin und her.
„Training", sagte Letho nonchalant und zuckte mit den Schultern. Geralt reichte ihm einen Heiltrank, den er dankbar nickend entkorkte.
„Hört auf euch gegenseitig zu verletzen, ich brauche jeden von euch!", knurrte der weiße Wolf und hielt Letho drohend den Zeigefinger vors Gesicht.

„Geralt, auf ein Wort!", kommandierte Keira den Hexer zur Seite. Er begann Plötze zu striegeln, während Keira auf ihn einredete.

Ves richtete ihre Kleidung und schnallte wieder ihr richtiges Schwert um. Sie schwor sich, es hier nie wieder abzulegen. Sie warf noch einen vernichtenden Blick auf den massigen Hexer und verschwand zusammen mit Roche und Keira im Inneren der Festung.
„Musste das sein?", fragte Eskel den größeren Hexer.
Letho zuckte erneut mit den Schultern. „Wie gesagt, es wird kein fairer Kampf werden."
Eskel seufzte und sah zu Geralt. Auch in seinem Gesicht spiegelte sich Sorge. Hoffentlich dauerte es nicht mehr lange bis zum Angriff.
Die Chance, dass sie sich gegenseitig umbrachten, war hoch.