Vogelgezwitscher weckte Ves bei Sonnenaufgang. Sie blinzelte gegen die ersten Sonnenstrahlen, die ihr direkt ins Gesicht schienen. Sie drehte ihren Kopf und vergrub ihr Gesicht in ihrem Kissen, das so herrlich herb nach Lagerfeuer, Kiefernadeln, Leder und Letho roch.
Erschrocken riss sie ihren Kopf zurück. Sie hatte ganz vergessen, was heute Nacht passiert war.
Sie sah sich um und stellte erstaunt fest, dass der Hexer noch immer in derselben Position vor ihrem, halt… seinem! Bett kniete.
Sah furchtbar unbequem aus. Erneut wanderte ihr Blick über seine beeindruckenden Körper. Dieser Kerl musste bestimmt mehr essen, als ein Bär, um all diese Muskeln zu füttern. Sein etwas dunklerer Hautton und die dunklen Brustwarzen, die zwischen dem üppigen schwarzen Brusthaar hervorlugten, ließ Vorfahren aus südöstlicheren Gebieten vermuten. Ihre Augen folgten den fingerdicken Venen, die sich über seine Oberarme hinunter bis zu seinen Handgelenken schlängelten. Handflächen nach oben gedreht erkannte sie ein paar Schwielen, die aber ganz anders als ihre aussahen und sowohl seine linke als auch seine rechte Hand zierten. Musste an den kunstvollen Dolchen liegen, die er führte. Soweit sie wusste, kämpfte er normalerweise nicht mit zwei Schwertern, wie Geralt.
Überhaupt konnte sie nicht einmal sagen, dass er Stahl- und Silberschwert besaß. Sie hatte ihn immer nur mit Dolchen gesehen, die er vor dem Bauch geschnallt trug oder mit einigen Wurfmessern bewaffnet. Sicherlich hatte ein Attentäter wie er einiges drauf, was Gifte anging.
Ihr Blick glitt zwischen seine Hände. Seine dünne Hose war bis zum Zerreißen gespannt. Als sie bemerkte, wo genau sie hinsah, hob sie ihren Blick und starrte in die gelbgeschlitzten Katzenaugen des Hexers.

„Morgen", grumelte sie leise und setzte sich an den Bettrand. Sie streckte die Arme über den Kopf und ließ ihre Schultern kreisen. Letho gab ein tiefes Knurren von sich und erhob sich mit einer geschmeidigeren Bewegung, als sie ihm aufgrund seiner Masse und der Tatsache, dass er die ganze Nacht auf Knien zugebracht hatte, zugetraut hätte.
Letho trat an die Tür, öffnete sie und steckte seinen Kopf hinaus.
„Die Luft ist rein", berichtete er sich umdrehend und erstarrte. Das einfallende Sonnenlicht beschien Ves´ helle Bluse in dem perfekten Winkel, der den Stoff durchscheinend werden ließ, was ihm einen guten Blick auf ihren perfekt geformten Busen erlaubte. Sie bemerkte es nicht, kratze sich gähnend am Hinterkopf. Das Gewackel half nicht unbedingt, Lethos Libido im Zaum zu halten.
Er räusperte sich, schnappte sich sein Hemd, was er am Abend achtlos weggeworfen hatte und hielt es vor seinen Unterbauch. Auf Gezanke wegen einer Morgenlatte am frühen Morgen konnte er gut verzichten.
Sie kontrollierte ihren Verband, der immer noch gut saß und ging mit vorsichtigen Schritten zur Tür. Kurz bevor sie hindurch schlüpfte, flüsterte sie noch ein kurzes "Danke" und verschwand.

Letho warf knurrend sein Hemd aufs Bett und goss erst einmal kaltes Wasser in die Waschschüssel, die am Fenster stand. Dann seufzte er. Er würde viel mehr kaltes Wasser brauchen nach diesem Anblick. Und diesem Duft. Die ganze Kammer roch nach ihr. Er nahm sein Kissen und hielt es sich vors Gesicht, schloss die Augen und inhalierte ihren Geruch, der sich darin mit seinem vermischt hatte. Ein durchaus reizende Vorstellung.
Kaltes Wasser! Viel, viel mehr kaltes Wasser…

-oOo-

„Jetzt du, Vernon!", feuerte Lambert später am Mittag den Kommandanten der Blauen Streifen an. Roche rollte mit den Augen. Er brauchte hier niemandem etwas zu beweisen.
„Ves und ich werden nicht an vorderster Front kämpfen, Lambert. Wir sind für die Fallen zuständig."
„Hört ihr auch Hühnergegacker?", fragte Lambert die umstehenden Trainierenden. Zoltan lachte. Seine Axt steckte bereits tief mitten in der Zielscheibe, die Lambert und Vesemir aufgestellt hatten. „Außerdem ist Ves viel treffsicherer als ich."
Die Angesprochene nickte und trat hinter die Linie, die man in den Boden geritzt hatte. Sie zog ein paar Wurfmesser aus ihrer Tasche und ließ sie fliegen. Nach und nach wurde Zoltans Axt in genau gleichem Abstand von einigen Messern umrahmt.
Lambert klatsche Beifall. „Yeah, Baby, genau so macht man das!"
Sowohl Keira als auch Ves funkelten ihn bösen an. Zoltan ging zur Zielscheibe und zog Die Wurfmesser heraus, um sie in der Hand zu wiegen.
„Perfekt ausbalanciert, ich erkenne die Zwergenarbeit. Bis auf dieses hier", er hielt ein leicht verbogenes Messer in die Höhe. „Wenn du willst, richte ich es für dich", bot er an.
Ves nickte nur. Zoltan lächelte zufrieden und drehte sich zu seiner Axt herum. Als er nach dem Stiel griff, sauste etwas durch seinen Irokesen und trennte das Holz vom Axtkopf.
„Hey, was fällt dir ein!", brüllte er den Werfer suchend. Ves erkannte den Griff des Dolches, der bis zum Heft im Holz steckte und blickte sich ebenfalls um. Letho stand weit oben hinter einer halb eingestürzten Mauer und sah hinunter. Ves konnte nicht anders, als seine Zielgenauigkeit und die Kraft seines Wurfes zu bewundern. Er war ein gutes Stück entfernt von ihnen.
„Ihr müsst während des Kampfes eure besten Waffen nehmen", erklärte Vesemir, der nun ebenfalls an die Zielscheibe trat und nur mit einiger Mühe den lilaglänzenden Dolch herausziehen konnte. Er betrachtete eine Weile die Klinge und murmelte etwas Unverständliches. Als Letho unten bei ihnen im Hof ankam, reichte er ihm seinen Dolch mit dem Heft voraus.
„Dimeritium und Silber, hm?", sagte er beeindruckt. Letho, der nun ebenfalls seine volle Lederrüstung inklusive der Beinschienen trug nickte nur. Keira horchte auf. Ihr schönes Gesicht verzog sich zu einer säuerlichen Mine.
„Perfekt, um Monster UND Zauberinnen zu töten, was!", schnappte sie beleidigt.
Wieder nickte Letho nur und steckte seinen Dolch in die gestählte Scheide.
„Konzentration, Leute! Es geht hier darum, voneinander verschiedene Kampftechniken zu lernen, nicht uns gegenseitig zu beleidigen", ermahnte Roche alle.
„Genau, danke Vernon", sagte Vesemir mit seiner Lehrerstimme. „Soweit wir von Yen wissen, führt Caranthir einen Morgenstern, der ziemlich schwer sein soll. Große Reichweite, vernichtende Schlagkraft, aber langsam in der Bewegung." Er kratzte sich am Kinn, während ihm all seine „Schüler" aufmerksam zuhörten.
„Haben wir hier einen Morgenstern?", fragte Lambert Eskel leise.
„Keinen, den DU hochheben kannst", antwortete Eskel und sah zu Letho. „Aber er könnte." Alle blickten zu dem offensichtlich körperlich stärksten der Runde. Lambert rannte in die Waffenkammer und kam einige Minuten später sich mit einem riesigen Morgenstern abmühen zurück.
„Dieser ist zwar nicht langstielig wie Caranthirs, aber zum Üben reicht es", dozierte Vesemir, während Lambert Letho den Kurzstiel der schweren Waffe in die Hand drückte. „Ihr drei! Nehmt eure echten Stahlschwerter und geht in Formation", befahl Vesemir den drei anderen Hexern. „Und benutzt Quen, ich will hier keine zersplitterten Knochen sehen."

Geralt, Eskel und Lambert wirkten ihre Zeichen und positionierten sich auf drei Seiten um Letho herum.

„Moment", bat dieser und legte den Stiel auf den Boden. Dann entblößte er seinen Oberkörper.
Yen rollte mit den Augen. „Gockel", zischte sie, doch Ves widersprach ihr. „Nein, das ist schlau von ihm. Wenn er mit diesem Monstrum in seiner Kleidung oder seinem Halfter hängen bleibt, verletzt er sich oder die anderen. Er muss sich frei bewegen können. Wenn er das Teil erst mal in Schwung bringt, kann er es nicht so einfach anhalten", erklärte sie. Letho warf seine Lederrüstung inkl. Halfter und Hemd vor Yens Füße, die naserümpfend ein paar Schritte zurück wich. Dann ließ er seine Nackenmuskeln knacken, vollführte kreisende Bewegungen mit seinen Schultern, um sie ein wenig zu lockern.

„Na los, oder bekommst du ihn nicht hoch?", lästerte Lambert. Letho lächelte nur, blickte kurz zu Ves, die gespannt zusah und zog seine Dornenbesetzen Handschuhe fest. In aller Seelenruhe schloss er seine Fäuste um den dicken Stiel der Waffe. Die schwere Kette, an der die zackenbesetzte Kugel in der Größe einer Wassermelone hing, klirrte als er begann die Waffe um seinen Körper zu schwingen.
„Shit, er kriegt ihn hoch!", jammerte Lambert. „Lasst euch bloß nicht treffen, das wird höllisch weh tun!", empfahl er den Kameraden.
Eskel murmelte ein „Hab ich nicht vor!" und hielt sein Schwert parrierbereit hoch.
Ves war völlig gefangen vom Spiel der nun weit hervorgetretenen Muskeln des Königsmörders. Letho stand inmitten seiner „Gegner", zu seiner vollen Größe aufgerichtet und schwang mit beiden Händen die massive Waffe nun um seinen Kopf. Er wartete auf einen Angriff der anderen.
Irgendwann hatte Lambert genug und machte einen Schritt nach vorne, sein Schwert auf das breite Ziel gerichtet, das Lethos Rumpf bot.
Letho bewegte sich nur einige Zentimeter nach hinten, veränderte sie Haltung seiner Hände und schon zischte die Stahlkugel knapp an Lambert Schwertspitze vorbei. Eskel sah seine Chance und griff von der anderen Seite an. Auch ihn verfehlte die Kugel nur knapp und er musste sich sogar abrollen, um nicht an der Schulter getroffen zu werden.
Geralt tauchte mit einer unfassbar schnellen Bewegung unter der schwingenden Kette hindurch, wirbelte herum und holte weit aus. Letho blockte seinen Schlag mit dem kurzen Stiel mit solcher Wucht, dass beide Quen auslösten. Geralt wurde einige Meter zurückgeschleudert, rollte sich ab und stürmte erneut vor. Auch Lambert und Eskel standen ihm in nichts nach. Immer schneller prasselten sie Angriffe auf Letho ein, der längst schweißgebadet war.
Keiner der drei schaffte es öfter als einmal nah genug an ihn heran, er hingegen löste regelmäßig die Schutzschilde der anderen aus.
Ves fiel auf, dass Lethos Schild im Gegensatz der anderen bläulich schimmerte und statisch aufgeladen zu sein schien. Sie sah fasziniert zu, wie er den Morgenstern nur noch mit der rechten Hand führte und gleichzeitig nach den anderen Hexern mit kunstvollen Drehungen kickte oder sie mit Luftstößen zu Boden schleuderte. Nicht nur einmal landete die schwere Kugel nur knapp neben dem Kopf eines „Gegners" auf der Erde, was Ciri und Triss jedes Mal ein erschrecktes Keuchen entlockte.
Geralt, Lambert und Eskel bildeten ein sich wild drehendes, umherwirbelndes, kickendes Trio. Gepaart mit des leichtfüßigen Bewegungen Lethos ein unfassbar faszinierendes Spektakel.
„Zielt auf die Beine. Balance ist schwierig mit dem Ding", brüllte Letho plötzlich und die anderen konzentrierten sich auf Tiefschläge. Einige Hiebe und Konterangriffe später gelang es Geralt, oft genug Quen auszulösen, sodass Letho ungeschützt war. Endlich gelang dem weißen Wolf ein harter Treffer.
Die Kugel flog weit in den Wald hinaus, Letho brüllte animalisch auf, stürzte auf die Knie und hielt sich den rechten Unterarm an den Bauch gepresst.
Die Frauen schrien entsetzt auf oder schlugen sich die Hände vor den Mund, während Ves erbleichte. „Oh Götter, seine Hand!", dachte sie.
Lambert, Eskel und Geralt stürzten zu Letho, der sich, kaum dass sie bei ihm angekommen waren, nicht mehr beherrschen konnte und dröhnend loslachte. Er ließ sich vollends auf den Boden fallen und hielt sich den Bauch vor Lachen.
„Pisser!", schimpfte Lambert und kickte eine Ladung Dreck auf den vor Lachen bebenden Körper des Verlierers.
„Beine also", wiederholte Geralt keuchend. Er war völlig fertig.
„Hat Spaß gemacht", schnaufte Eskel und legte sich ebenfalls keuchend in den Staub. Die Runde löste sich langsam auf, schließlich war es Zeit fürs Mittagessen.
Letho, der als Letzter noch am Boden liegend die Augen geschlossen hatte, bemerkte einen Schatten, der sich über sein Gesicht legte. Er hob die Lider und erblickte Ves, die mit Händen in die Hüften gestemmt über ihm stand.

„Das war nicht witzig", sagte sie mit strafendem Blick. Letho stemmte seine Hände neben seinem Kopf in den Boden und brachte sich mit einem Kip-Up zurück auf die Füße. Ves war einige Schritte zurückgewichen und konnte ihre Augen nicht von dem graubestäubten Oberkörper losreißen.
„Hab ich dich endlich beeindruckt?", fragte er mit einem schiefen Grinsen.
„Nein... Ein bisschen vielleicht", entgegnete sie und zeigte ihm zum ersten Mal ein echtes, wenn auch kleines Lächeln. Er klopfte seine schweißnasse Hose vergeblich ab und sammelte schließlich seine Sachen auf.
„Du stinkst wie ein nasser Iltis", bemerkte Ves.
„Ich wollte eh zum Fluss. Schrubbst du mir den Rücken?"
„Leck mich."
Schalk blitze in seinen Augen auf. „Gleich hier? Nein, das würde der alte Vesemir nicht verkraften."
Ves versuchte im in den Hintern zu treten, doch er war schon längst ausgewichen und über die halbhohe Mauer gesprungen.
„Bastard", motzte sie ihm hinterher und begab sich kopfschüttelnd hinein zu den anderen.