Disclaimer:
Ich habe Peter Pettigrew gesehen.
Wirklich? WO?
Er tarnt sich als Student in meinem Informatik-Kurs. Aber ich bin nicht zu täuschen. Sobald ich ihn sah, wusste ich: ER ist es.
Ahh jaa., ich verstehe... Komm mal mit, ich kenne da eine nette Dame, mit der du darüber reden kannst. Hast du sonst noch ein paar seltsame Begegnungen gehabt in letzter Zeit? Aliens zum Beispiel? Rosa Elefanten?
Nun da du es erwähnst, es gibt da diesen rosa Elefanten im Atrium der Biowissenschaften...
Aha. Keine Sorge. Stress bewirkt das manchmal.
Was? Nein, halt, es ist wahr! Ich habe ihn gesehen! Es war die Ratte!
Ja, ja, ich glaube dir... Nun komm, es wird alles besser mit ein wenig heißem Tee und etwas Ruhe...
Schatten der Wahl
4. Abrechnung
„Also, wie wollen wir es anstellen?", fragte Blaise.
Sie saßen auf dem Rand der Bühne und betrachteten die Anfängergruppe beim Training. Eigentlich war es Blaises Tag, aber Tigris hatte Lust gehabt, sich zu beteiligen. Die Erstklässler waren sehr enthusiastisch, auch wenn sie mehr Fehler machten. Es freute ihn zu sehen, dass Priscilla Faberge, das nervöse Mädchen vom letzten Jahr, es eine Gruppe weiter geschafft hatte. Vincent und Gregory waren allerdings noch immer hoffnungslos. Zumindest hatten sie ihre OWLs im letzten Jahr geschafft.
Tigris wandte sich zu seiner Freundin und zog eine Braue hoch. „Wollen wir was anstellen, Liebling?"
Blaise grinste, öffnete den Mund und schien im Begriff, etwas nicht ganz Jugendfreies zu sagen, aber unterbrach sich im letzten Moment, als sie zwei der Kinder zu ihnen herüberkommen sah. „Du weißt schon…", sagte sie stattdessen. „Uns einen Vorteil im Quidditchspiel verschaffen."
„Ihr plant etwas gegen Weasley, hab ich Recht?", fragte Sameth spitzbübisch. Es waren er und sein Freund, die zu ihnen gekommen waren. Die Jungen setzten sich zu beiden Seiten von ihm und Blaise.
„Wie kommst du darauf, du kleiner Unruhestifter?", fragte Blaise amüsiert.
Sameth grinste. „Das kommt von meiner überlegenen Intelligenz, große Schwester."
Blaise schnaubte spöttisch.
„Na ja, und ich könnte ein paar Sachen zufällig überhört haben."
Blaises Augen verengten sich etwas. „Hast du uns etwa belauscht?"
Sameth sah sie verletzt an. „Ich? Wieso sollte ich das tun? Niemals!"
Sameths Darbietung wäre einwandfrei gewesen, hätte Melvyn MacFusty neben ihm nicht gekichert. Sameth warf seinem Freund einen ungehaltenen Blick zu.
„Du, mein Freund, bist dabei dir Ärger einzuhandeln.", drohte Blaise.
Sameth stand gekränkt auf. „Ich dachte ja nur, wir könnten euch helfen. Aber wenn ihr keine Hilfe wollt… Komm, Mel, die fühlen sich zu alt für uns."
Tigris packte den Jungen amüsiert am Ärmel. „Ich habe bisher noch nichts gesagt."
Sameth grinste und quetschte sich zwischen Blaise und ihn. „Siehst du, Blaise, dein Galan erkennt das Potential, das du so einfach wegwerfen wolltest."
Blaise zog ihren kleinen Bruder an den Haaren. „Zeig ein wenig mehr Respekt, Kleiner."
Zu Tigris' Überraschung war Sameth tatsächlich für einen Augenblick verunsichert. „Tschuldigung.", murmelte der Junge, und rutschte ein wenig von ihm weg.
Tigris warf Blaise über Sameths Kopf hinweg einen ärgerlichen Blick zu. Was sollte das denn?
„Hör nicht auf sie.", sagte er, dem Jungen durch die Haare rubbelnd. „Sie verträgt nur keine Kritik."
Sameth grinste, und der angespannte Moment verflog.
„Wie ist es, habt ihr einen Plan?", fragte Tigris die beiden Jungen.
Sameths Grinsen wurde verschlagen. „Eigentlich war es Mels Idee, er kennt da dieses tolle Geschäft in Diagon Alley. Erinnerst du dich, wie du mir die Geschichte mit der Spinne erzählt hast, Blaise?"
„Ja.", meinte Blaise, nun auch neugierig.
„Nun…"
Sie hörten sich die Idee der beiden an, und je mehr sie erzählten, desto mehr gefiel sie Tigris. Sie hatte eine Menge Vorteile, der größte davon das Dumbledore niemals etwas in der Art von ihm und Blaise erwarten würde. Als der Junge geendet hatte wechselte er einen Blick mit Blaise und die nickte.
„Ich denke, ihr beiden habt euch einen Versuch verdient.", meinte er.
„Ja!", rief Sameth enthusiastisch und hielt Melvyn die Hand hin, der einschlug. „Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich, Primus."
„Primus?", fragte Tigris erheitert.
Sameth sah ihn etwas unsicher an. „Ein paar von den Viertklässlern nennen dich so. Ich dachte…"
Tigris machte eine abtuende Handbewegung. „Wenn es denn unbedingt sein muss. Ich schätze ich entkomme den Spitznamen auf Dauer ohnehin nicht."
Blaise schmollte. „Meine haben dir nicht gefallen."
„Ich habe nicht gesagt, dass mir dieser gefällt, ich habe nur gesagt, ich kann ihm ohnehin nicht entkommen."
„Vielleicht waren deine Spitznamen auch einfach nicht kreativ genug.", meinte Melvyn. „Wie nennst du ihn denn?"
Blaise wollte antworten, aber Sameth hielt ihr die Hand vor den Mund. „Nicht nötig, Schwester. Wir haben noch unschuldige Ohren, weißt du?"
„Hey…!", rief Blaise.
Sameth schoss kichernd von seinem Sitzplatz hoch. „Tut mir leid, nettes Gespräch, aber wir müssen trainieren… Wir wollen ja schließlich etwas lernen." Er zog Melvyn mit sich zu den anderen, die noch immer unter Aquilas Anleitung den Spruch trainierten, den Blaise vor einer Weile vorgestellt hatte.
„Na warte.", murmelte Blaise, aber sie grinste. „Wenn ich darüber nachdenke… Ich sollte ein paar Spitznamen für dich haben. Ein paar wirklich kuschelige, furchtbar peinliche Spitznamen, mit denen ich dich für immer ärgern kann, falls wir uns mal trennen sollten."
„Wag es nicht.", grollte Tigris. „Eine Pansy im Leben ist genug."
Blaise zog ein beleidigtes Gesicht. „Wieso? Wie hat sie dich denn genannt? Tigi-Schatzi-Mausi?"
Tigris zog seinen Stab. „Ich denke, wir sollten diesen Anfängern mal ein paar fortgeschrittenere Hexe zeigen. Meldest du dich freiwillig als mein Demonstrationsobjekt?"
Blaise stand lachend auf. „Ich dachte, das wäre meine Gruppe heute? Wenn irgendeiner etwas demonstriert, dann ja wohl ich."
Tigris grinste. „Ah, aber du vergisst, ich bin der große Meister hier. Ich kann verhexen wen und wann ich will."
Sie verbeugte sich spöttisch. „Schön zu sehen, dass du bescheiden bleibst, auch trotz deiner großen Verantwortung."
Er lachte. „Geh, bring den Kleinen lieber etwas Vernünftiges bei. Die Zeit ist ohnehin bald um."
„Aye aye, Knuddelmuff!"
Tigris sandte einen spasshaften Hex in ihre Richtung, dem sie lachend auswich.
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Mabon kam und verstrich. Dieses Mal nahm Tigris Blaise zu Liebe an dem Ritual teil, was zu seiner Überraschung dazu führte, dass viele der Slytherin sich ihnen anschlossen. Zum Glück fiel das Fest auf einen Sonntag, so dass es nicht so anstrengend war zu fasten, wie es an einem Schultag gewesen wäre. Sie alle fanden viel, um sich abzulenken und das Festmahl am Ende war wahrlich lohnenswert.
Tigris hatte keine Ahnung, ob die Rituale abgesehen von der Tradition einen magischen Sinn hatten, aber Blaise freute sich, dass er Teil nahm, und das war Sinn genug. Es zeigte ihm jedoch, wie sehr er sich daran gewöhnt hatte, regelmäßig und viel zu essen. Als er noch bei den Dursleys gelebt hatte, hätte ihn ein Tag des Fastens nicht sehr gestört.
Es erinnerte Tigris an das miserable Leben, dass er bei diesen Muggeln geführt hatte und machte ihn dankbar für das, was er gewonnen hatte.
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Am Tag des Quidditchspiels war es nebelig und kalt. Tigris zog seinen Mantel enger um sich und ließ seinen Blick über die Tribüne wandern. Richard und Theodore saßen etwas weiter vorne, wie üblich. Das Slytherinteam flog ein paar gelangweilte Manöver über dem Platz. Alle warteten auf das Team von Gryffindor, das noch nicht aufgetaucht war. Madame Hooch schritt ärgerlich am Rand des Platzes auf und ab. Schließlich gestikulierte sie in Richtung von McGonagall, die nur mit den Schultern zuckte.
Tigris wurde abgelenkt, als Blaise ein paar Loopings in seiner Nähe flog und ihm zugrinste. Er winkte ihr. Zwei kleine Gestalten hasteten die Tribüne hinauf und quetschten sich zwischen ihn und Gregory. Ihr warmer Atem formte Wolken in der kalten Luft und ihre Gesichter waren von der Kälte gerötet.
„Hat das Spiel noch nicht angefangen?", fragte Sameth unschuldig. „Ein Glück, ich dachte schon, wir kämen zu spät."
„Verdammt ist das kalt.", murmelte Melvyn. „Ich wünschte, ich wäre zuhause, dann könnte ich mich zu den Drachen verkriechen."
Tigris erinnerte sich, dass Melvyns Familie sich um die Drachen auf den Hebriden kümmerte. Er lächelte bei der Vorstellung, wie sich der kleine Junge vor der schottischen Kälte in die Wärme einer Drachenhöhle flüchtete.
Er zog seinen Stab hervor und sprach einen Wärmezauber, der alle um ihn herum erfasste.
„Danke.", sagte Melvyn.
„Du bist wie ein großer Bruder für mich!", rief Sameth theatralisch und schlang die Arme um Tigris.
„Bei Circe, ich hoffe nicht!", entgegnete Tigris amüsiert. „Dass du Blaises kleiner Bruder bist ist schlimm genug."
Sameth schmollte.
Unten auf dem Spielfeld kam schließlich Ginny Weasley aus den Umkleidekabinen und redete auf Hooch ein.
„Was soll das heißen, Ihr Hüter ist verschwunden?", rief die Trainerin zornig. „Dieses Spiel ist seit Wochen festgesetzt, erwarteten Sie etwa, dass wir es verlegen, weil Ihr Captain nicht aus dem Bett kommt?"
Ginny entgegnete etwas, offensichtlich nervös.
„Es interessiert mich nicht, was Sie glauben!", rief Hooch. „Noch nie in meiner ganzen Laufbahn habe ich es erlebt, dass ein Spieler sich weigert… Ja, ja, ich habe Sie gehört, Miss Weasley, ich bin nicht taub! Ist er verletzt? Also bitte, da haben Sie es. Wenn er nicht verletzt ist, kann er auch spielen."
„Aber wir wissen nicht, wo er ist!", ertönte Ginnys schrille Stimme vom Spielfeld herauf. „Wir können nicht ohne Hüter spielen!"
„Wie bitte?", rief Hooch empört. „Was für ein Quidditch Geist ist das? Nicht für das Spiel auftauchen und dann auch noch das ganze Team nicht spielen wollen… Zu meiner Zeit haben wir einmal zwei unserer Jäger während eines Spiels verloren und wir haben trotzdem gewonnen, nur dass Sie es wissen! Die Holyhead Harpies spielten 1965 zwei Tage ohne ihre Treiber, aber hat sie das aufgehalten? Nein! Wirklich, die Kinder heutzutage…"
Sameth kicherte.
„Rolanda!", rief Dumbledore von der Tribüne herunter. „Ich denke, wir sollten vielleicht nachsehen…"
„Ich kann spielen!", rief eine Stimme von den Gryffindor-Rängen. „Ich bin ein wirklich guter Hüter, wenn Sie mir erlauben…"
Ginny warf einen bösen Blick in Richtung des Jungen, der gesprochen hatte. Es schien ein Fünftklässler zu sein.
„Ha, wie es aussieht hat jemand in Ihrem Haus noch Teamgeist!", rief Hooch triumphierend. „Kommen Sie herunter, Mister Crowe."
„Aber…", begann Ginny zu protestieren.
„Kein Aber, Miss Weasley.", unterbrach Hooch sie. „Seien Sie dankbar für Mister Crowes großzügiges Angebot. Sie haben zehn Minuten, bis das Spiel beginnt."
Ginny starrte die Trainerin mit offenem Mund an. Schließlich fing sie sich und packte den braunhaarigen Jungen am Arm, um ihn mit sich zu den Umkleiden zu schleifen.
Dumbledore hatte sich wieder gesetzt, offenbar hatte er es sich anders überlegt und wollte nicht länger gegen Hooches Entscheidung Einspruch erheben.
Sameth neben Tigris hatte einen Lachanfall. „Die Gryffis sind so was von geliefert!", jappste er. „Charles hat mir von Crowe erzählt, der Typ ist ein aufgeblasener Idiot."
„Wer weiß.", meinte Tigris. „Vielleicht taucht Weasley ja noch auf."
Sameths Augen glänzten. „Willst du darauf wetten? Ich könnte ein paar zusätzliche Galleonen gebrauchen."
Der Junge lachte erneut, und diesmal fiel Melvyn ein. Die Beiden mussten sich aneinander festhalten, um nicht von der Bank zu rutschen.
Tigris betrachtete die Beiden amüsiert. „Beruhigt euch wieder, ihr beiden Lausejungen. Jemand wird sich noch fragen, was ihr so lustig findet."
„Die Gryffis, was sonst?", grinste Sameth, aber fasste sich langsam wieder.
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Das folgende Spiel war lang und eintönig. Es bestand, kurz und bündig, aus dreieinhalb Stunden, in denen Slytherin Punkte gewann. Tigris hatte das Gefühl, Draco gab Aquila schließlich aus Mitleid mit den Gryffindors das Zeichen, den Schnatz zu fangen. Immerhin, Gryffindors Jäger warfen den Quaffel dreimal durch den Ring. Es brachte ihnen zumindest dreißig Punkte, um sich über Slytherins vierhundertzehn hinweg zu trösten. Am Ende hatte Tigris sich wenigstens gut amüsiert. Besonders, als Sameth und Melvyn sich nach den ersten zwei Stunden zu langweilen begannen, und sich zu der hintersten Reihe Gryffindors schlichen, um deren Hüte grün zu verzaubern, was die Gryffis nicht merkten, bevor die beiden Unruhestifter wieder unschuldig an ihren Plätzen saßen, an ein paar Zuckerstangen lutschend, die sie nebenbei geklaut hatten. Dass sie diese mit Vincent und Gregory teilten, brachte ihnen wahrscheinlich zwei lebenslange Freunde ein.
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Beim Abendessen machte es schnell die Runde, dass Ron Weasley sich im Krankenflügel befand, besonders, da die Gryffindors lautstark ein Wiederholungsspiel verlangten. Madame Hooch blieb jedoch eisern.
Als Draco und Tigris die große Halle verließen, trafen sie auf Hermione und Ginny, die von Neville begleitet wurden.
„Stimmt es, dass Gryffindors Hüter in Ohnmacht gefallen ist, weil er eine Assel gesehen hat?", fragte Draco die Mädchen mit unverhohlener Schadenfreude.
„Das ist nicht witzig, Malfoy!", sagte Hermione ärgerlich. „Er hat Arachnophobie!"
„Also stimmt es?", grinste Draco. „Man sollte glauben, Weasley wäre an Ungeziefer gewöhnt… Wo er doch in einem Stall aufgewachsen ist und so…"
„Nein, es stimmt nicht!", fauchte Hermione. „Es geht dich auch nicht das Geringste an!"
Die drei Gryffindors wandten sich ab, um in Richtung des Krankenflügels zu gehen.
Draco lachte. „Armes Wiesel.", sagte er mit gespieltem Mitleid. „Von solch furchtbaren Kreaturen überfallen zu werden. Verständlich, dass es da selbst ein Gryffindor mit der Angst zu tun bekommt."
Vincent und Gregory kicherten.
„Ich konnte diesmal keinen Wein bekommen.", meinte Blaise. „Mein Vater hat mit Fiorelli geredet. Er war… nun ja, ein wenig unglücklich wegen der letzten Male."
„Sabina hat welchen.", grinste Draco. „Fiona hat sie dazu überredet."
„Klasse!", rief Blaise. „Dies ist mit Sicherheit ein Sieg, auf den es sich anzustoßen lohnt."
„In der Tat.", meinte Draco. „Lasst uns gehen, es ist bereits spät."
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Während die Party in vollem Gange war, trafen Tigris, Draco und Blaise sich in Tigris' und Dracos Raum mit Sameth und Melvyn, die offensichtlich darauf brannten, ihnen zu erzählen, was sie angestellt hatten.
„Also, kleiner Bruder, lass hören.", sagte Blaise. „Wie ist es gelaufen?"
Sameth schwoll förmlich an vor Stolz. „Lasst mich euch von einem Streich erzählen, wie er von wahrhaften Meistern ausgeführt wird.", sagte er pompös.
Blaise winkte ungeduldig. „Ja, ja. Nun erzähl schon."
Tigris musste ein Grinsen unterdrücken.
„Geduld, Schwester.", entgegnete Sameth. „Du musst die Kunst zu wertschätzen wissen, von der ich im Begriff bin, dir zu berichten. Du könntest das ein oder andere dabei lernen, weißt du?"
Blaise schnappte nach Luft. „Komm zur Sache, du aufgeblasener kleiner Pfau."
Sameth schnaubte. „Wenn uns nicht der Respekt entgegengebracht wird, den Künstler verdienen, brauche ich dir gar nichts zu erzählen."
Blaises Augen verengten sich. „Oder vielleicht sollte ich dich einfach kitzeln, bis du mir all deine kleinen Geheimnisse verrätst."
Sameth sprang aus ihrer Reichweite und versteckte sich hinter Tigris. „Das ist Erpressung!"
Blaise grinste raubtierhaft. „Sieh an, da ist ein wenig Intelligenz nach mir übrig geblieben."
„Was für eine undankbare Zuhörerschaft!", rief Sameth mit gespielter Beleidigung.
Tigris zog den kleinen Jungen auf seinen Schoß. „Na komm, Draco und ich sind ja auch noch da. Ich verspreche dir, wir sind hochgradig gespannt."
Tigris' Bruder hatte die Szene amüsiert verfolgt. „Heraus damit, Frechdachs. Wir sind ungeduldig."
„Also gut." Sameth lehnte sich gegen Tigris, offenbar sehr zufrieden mit seinem Platz.
Tigris merkte währenddessen, dass ein Elfjähriger weitaus schwerer war, als er aussah.
„Nachdem wir mit List und Spürsinn ausgekundschaftet hatten, wo sich auf Weasleys Weg vom Gryffindor-Gemeinschaftsraum ein unbenutzter Raum befindet, benutzten wir unsere wertvollen Ressourcen…"
„Ein Paket ‚Krabbelfreunde' von Weasleys Wizarding Wheezes.", warf Melvyn ein.
„…um unsere Überraschung für den verehrten Wieselkönig vorzubereiten.", fuhr Sameth fort.
„Dieses Paket ist super!", sagte Melvyn. „Man braucht es nur mit seinem Stab zu berühren, und schon ist der ganze Raum voll mit Spinnen. Sie knacken sogar, wenn man auf sie tritt."
„Igitt.", sagte Blaise. „Erspar uns die niedlichen Details."
„Sie fühlen sich wie echt an, wenn man sie über seine Hand krabbeln lässt.", erklärte Sameth fröhlich. „Acht haarige Beine in allen Formen und Größen."
„Toll.", meinte Draco, offensichtlich nicht sehr angetan. „Und weiter?"
„Nun, Melvyn hat sich als ein Hufflepuff ausgegeben, wie geplant. Wir haben den Verwandlungszauber benutzt, den ihr uns gezeigt habt, um Melvyns Robe und Haarfarbe zu ändern. Er sagte Weasley, Granger wolle etwas von ihm."
Melvyn setzte einen bewundernden Gesichtsausdruck auf. „Mister Quidditchcaptain, Sir, die Schulsprecherin schickt mich. Sie sagt, sie will mit Ihnen reden!"
„Ihr hättet Wiesel sehen sollen, er ist auf seine zweifache Größe angeschwollen.", kicherte Sameth. „Wie wir es gedacht haben, hat er die anderen voraus geschickt und ist mit Melvyn mitgegangen. Ich habe hinter einer der Ritterstatuen gelauert und Weasley mit einem Stolperhex erwischt. Er ist genau in den Raum mit den Spinnen gefallen. Wir mussten nur die Tür zuwerfen."
„Ich habe diesen Verschlusszauber angewandt, den du mir beigebracht hast.", fügte Melvyn zu Tigris gewandt hinzu. „Weasley wusste nicht, wie man ihn aufhebt, wie du gedacht hast."
„Hat euch jemand gesehen?", fragte Tigris.
Die beiden schüttelten den Kopf. „Alle waren schon auf dem Weg zum Spiel. Vielleicht die Porträts…"
„Ich glaube kaum, dass Dumbledore wegen eines Erstklässlerstreichs seine Karten offen legt.", meinte Blaise.
Tigris nickte. „Ja, damit rechne ich auch."
„Und so, verehrte Bewunderer, sieht Perfektion aus.", sagte Sameth. Er rutschte von Tigris' Schoß hinunter und verbeugte sich dramatisch.
Tigris klatschte amüsiert. „Meisterhafte Unruhestifter, in der Tat. Ich bemitleide die uns nachfolgenden Jahrgänge. Zum Glück müssen wir nicht mehr miterleben, wie ihr eure Kunst perfektioniert."
„Wir würden dir und meiner lieben süßen Schwester doch niemals Streiche spielen!", sagte Sameth gespielt gekränkt. „Schließlich sind wir Scherzbolde von Ehre!"
Melvyn nickte ernsthaft, dann grinsten die beiden und wechselten einen unheilverheißenden Blick.
„Ich danke euch.", sagte Draco. „Ich könnte mir keine bessere Vergeltung vorstellen. Nun haben wir das Material, Wiesel den Rest des Schuljahrs zur Hölle zu machen."
Blaise nickte zustimmend.
Die beiden Erstklässler strahlten. „Wir haben da schon ein paar Ideen…"
„Tatsächlich?", meinte Draco amüsiert. „Lasst hören…"
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Der September ging seinem Ende zu, und eines Montagmorgens beim Frühstück verkündete Dumbledore mit seiner niemals endenden Fröhlichkeit, dass Ende Oktober erneut ein Halloweenball stattfinden würde. Tigris fragte sich, warum Professor Snape dem Schulleiter bei dieser Ankündigung noch düstere Blicke als gewöhnlich zuwarf. Sicher, es war allgemein bekannt, dass ihr Hausvorstand Schulfeiern verabscheute, aber diesmal schien er noch etwas griesgrämiger als sonst. Das Rätsel klärte sich, als Dumbledore verkündete, dass dieses Mal Kostümpflicht für alle bestehen würde, Lehrer eingeschlossen. Der Grund dafür, so der Schulleiter, sei, das Fest interessanter zu machen. Mit einem Zwinkern fügte er hinzu, die Kostüme sollten möglichst so geschaffen sein, dass die Person darunter nicht ohne weiteres zu erkennen sei.
In Slytherin war keiner besonders angetan von dieser neusten Idee Dumbledores. Es war eines der wenigen Male, dass Draco und Helena Wilkes einer Meinung waren. Beide erklärten, bevor sie einen solch lächerlichen Muggelbrauch mitmachten, würden sie dem Ball lieber ganz fernbleiben. Nicht alle der Slytherins stimmten ihnen zu. Einige waren sich offenbar nicht sicher, ob sie sich den Ball nur wegen der Kostümpflicht entgehen lassen wollten. Es gab jedoch keinen, der den Beiden geradeheraus widersprach. Es war eine dieser Situationen, in denen sich zeigte, welchen Einfluss ihre Meinung auf das Haus hatte.
Tigris selbst war auch nicht gerade glücklich über Dumbledores Anordnung. Es schien zu sehr, als bezwecke der alte Mann etwas ihm Unbekanntes damit, auch wenn er nicht sagen konnte was. Dumbledores Gedankengänge waren seltsam und schwer nachzuvollziehen, aber sie führten meistens zu einem Ziel. Dracos und Helenas Ablehnung passte Tigris jedoch genauso wenig. Er hatte nicht aus Prinzip etwas gegen Muggelbräuche und er hätte gerne wieder einmal mit Blaise getanzt. Zwischen seinen Pflichten als Schulsprecher, den herannahenden NEWTs und der Schattengemeinschaft hatte er selten genug Zeit für seine Freundin.
So wie es aussah würde daraus jedoch nichts werden. Slytherins tendierten dazu, Entscheidungen als gesamtes Haus zu fällen, und wenn ihre Anführer dem Ball fernblieben, würde kaum einer sich trauen, dennoch hinzugehen. Nicht, wenn er es nicht riskieren wollte, sich den Unwillen seiner restlichen Hausgenossen zuzuziehen.
Tigris, als Dracos Bruder, war erst Recht nicht in der Position, aus der Gruppe auszuscheren. Abgesehen davon, dass Draco sich dadurch persönlich angegriffen gefühlt hätte, konnte er seinem Bruder nicht einfach in den Rücken fallen. Das einzige was er tun konnte, war, zu versuchen, Draco umzustimmen. Das allerdings war kein einfaches Unterfangen, und Tigris hatte nicht die geringste Idee, wie er es anfangen sollte.
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Am Montagabend lag Tigris auf seinem Bett und starrte missgestimmt auf den Betthimmel über sich. Er hatte die übertriebene Verachtung der Reinblütler gegenüber allem was muggel war nie besonders gemocht, und gerade im Moment verabscheute er sie geradezu. Er mochte Muggel auch nicht, aber musste deswegen alles was sie taten automatisch schlecht sein? Es war engstirnig, es hinderte Reinblütler daran, Dinge zu lernen, die ihnen möglicherweise zum Vorteil dienten. Wie Slytherin war das? Jetzt zum Beispiel verhinderte es, dass Tigris mit Blaise tanzen konnte, und das war ein dummes Vorurteil definitiv nicht wert. Nein, es war ganz und gar nicht im Sinne Slytherins, zuzulassen, dass dämliche Prinzipien sich dem was man tun oder erreichen wollte in den Weg stellten. Tigris grinste flüchtig. Es war natürlich auch nicht sehr slytherin, Prinzipien geradeheraus zu brechen. Slytherin hätte einen Weg gefunden, sie zu umgehen. Nur, dass Tigris keine Idee hatte, wie er das tun sollte. Er verfluchte ärgerlich eine Fliege, die sich irgendwie in den Raum verirrt hatte, und sah mit Genugtuung, wie das Insekt zu Boden fiel.
Schließlich rollte Tigris sich vom Bett und ging zu seinem Bücherregal hinüber. Er hatte alle Bücher darauf mindestens einmal gelesen, keins von ihnen war wirklich geeignet ihn abzulenken. Er konnte auch nicht in Slytherins Bücherei gehen, da Blaise an diesen Abend ihren Kurs in Slytherins Kammer hatte. Seufzend griff er nach „Von Taliesin über die Hexen von Salem" und begann darin zu blättern. Tigris fand ein Kapitel über Gullveig, eine skandinavische Hexe, die vor so langer Zeit gelebt hatte, dass sie sich schon fast in der Sage befand. Es fand nicht wirklich sein Interesse und er blätterte zurück zu den frühen ägyptischen Zauberern. Er las ein weiteres Mal, wie sie Jahrhunderte lang die Muggel dazu gebracht hatten, sie für Götter zu halten, bis das Zeitalter der Pharaonen zu Ende ging. Ähnlich der Zauberer in Afrika hatte es auch in Ägypten Zaubererfamilien gegeben, die über Generationen hinweg Rechte und Pflichten der Götterrolle weitervererbten. Viele dieser Familien waren inzwischen ausgestorben, aber die Horus-Familie existierte noch immer und hatte großen Einfluss in der Zaubererwelt. Die Isis-Familie war verarmt und ihre Mitglieder in der Welt verstreut. Andere Familien mochten ihre Namen über die Jahrhunderte hinweg geändert haben, aber das war nur noch schwer nachzuvollziehen. Tigris dachte flüchtig an Professor Hatkee zurück. Er wusste, dass sie zu einer mächtigen afrikanischen Zaubererfamilie gehörte, aber er wusste nicht, welche es war. Die afrikanische Zaubererkaste war eine geheimnisumwitterte Elite und die wahren Namen der Familien ein streng gehütetes Mysterium. Er fragte sich, ob sein Vater darüber Bescheid wusste. Schließlich schien er Hatkee ganz gut zu kennen.
Tigris lehnte sich auf seinem Bett zurück. Sein Vater hatte ihm erzählt, dass er in seiner Jugend in Nigeria gewesen war, vielleicht hatte er Hatkee so kennen gelernt. Tigris konnte verstehen, dass sein Vater von den afrikanischen Zauberern fasziniert gewesen war. Sie waren ein bisher ungelöstes Rätsel. Im Zeitalter transatlantischer Portale und Hochdistanzportschlüsseln gab es keinen wirklichen Abstand mehr zwischen den Zauberergesellschaften in aller Welt, dennoch hatten die afrikanischen Zauberer es geschafft, sich ihre Autonomie zu bewahren. Sie akzeptierten nur selten Besucher in ihren großen Städten, und wenn unterlagen diese strengen Auflagen. Viele westliche Zauberer hatten Afrika besucht, um an das gehütete Wissen der Loas zu gelangen, aber keinem war es bisher gelungen. Als Folge davon wurden die afrikanischen Zauberer von vielen mit Skepsis betrachtet. Sie waren elitär und mächtig, etwas das besonders den westlichen Zauberern Angst einjagte. Wie vieles was sie nicht verstanden, assoziierten sie sie mit dunkler Magie… vielleicht nur um über ihren Neid hinweg zu täuschen. Es half nicht, dass die Sprecher der afrikanischen Zauberergemeinschaft Vorreiter der Ansicht waren, dass Muggel Zauberern von Natur aus unterlegen seien. Aber warum sollten sie auch etwas anderes von Menschen glauben, die sie Ewigkeiten als Götter verehrt hatten und es zum Teil noch immer taten?
Man sollte glauben, dass jemand wie Voldemort unter diesen Zauberern herzlich willkommen gewesen wäre, aber das Gegenteil war der Fall. Tigris wusste, dass Voldemort versucht hatte, mit den Loas zu reden, und rüde abgewiesen worden war. Es mochte daran liegen, dass sie sich nicht nur den Muggeln, sondern auch den meisten anderen Zauberern als überlegen erachteten. In ihren Augen war es wahrscheinlich eine tödliche Beleidigung, dass ein westlicher Zauberer für sich in Anspruch nahm der mächtigste Zauberer der Welt zu sein. Angesichts der Tatsache, dass niemand genau wusste, wie mächtig die afrikanischen Zauberer tatsächlich waren, war es schwer zu sagen, ob Voldemorts Anspruch auf diesen Titel gerechtfertigt war.
Als Hatkee in Hogwarts unterrichtet hatte, hatte Tigris dies alles noch nicht gewusst, sonst hätte es ihn mehr gewundert. Im Nachhinein fragte er sich, was sie dazu gebracht hatte, sich dazu herabzulassen. Sie hatte nicht arrogant gewirkt. Vielleicht war sie nicht sehr weit oben in der Hierarchie, oder sie war einfach abenteuerlustig.
Tigris grinste flüchtig. Er vermisste Hatkee. Es gab so viel, was er sie noch hatte fragen wollen. Fides war nur ein blasser Abklatsch gegenüber ihr. Der Lehrer hatte endlich mit dem praktischen Teil begonnen, aber er hörte einfach nicht auf zu betonen, wie gefährlich alles war, womit sie sich beschäftigten. Sie lernten nun, wie man dunkle Artefakte erkannte und zerstörte. Das gefährlichste, was sie bisher zu Gesicht bekommen hatten war eine Halskette, die angeblich bereits duzende Muggel auf dem Gewissen hatte, und Fides hatte sie nicht einmal nah an sie heran gelassen. Es war absolut nervtötend und langweilig. Mit dem Wissen aus Slytherins Bibliothek konnte Tigris Artefakte herstellen, die weitaus gefährlicher waren und von keinem der Zauber die sie gelernt hatten erkannt wurden. Was Fides für dunkel hielt waren zumeist Artefakte, die Händler in Knockturn Alley verkauften. Solche simplen Sachen wie Geschirr, das den Besitzer krank machte, oder Möbel, die Irrwichte anzogen. Sicher, es war nützlich zu wissen, wie man derartige Dinge erkannte, aber es interessierte Tigris nicht. Als Fides gesagt hatte, sie würden dunkle Artefakte besprechen hatte er gehofft, sie würden etwas lernen, was er noch nicht wusste.
Nach der Definition des Ministeriums war alles das ein dunkles Artefakt, dessen magische Eigenschaften nicht mit einem einfachen Diagnosezauber feststellbar waren. So gesehen gehörte Tigris bereits nach Askaban, denn mehrere Dinge die er mit Hilfe von Tränken und Runen hergestellt hatte waren illegal. Die Halskette, die er für seinen Vater gefertigt hatte zum Beispiel. Sie hatte zwei Lagen Zauber enthalten, von denen eine die andere überdeckte. Der zweite Zauber – der Gedächtniszauber – war dormant, bis die überlagernden Zauber deaktiviert wurden. Er war nicht feststellbar, solange die Schutzzauber aktiv waren. Im selben Moment als Tigris die Schutzzauber des Amuletts durch Finite magicum ausschaltete, trat der Gedächtniszauber in Kraft. Tigris war beim Lesen eines Buches aus der Malfoy – Bibliothek auf die Idee gestoßen und hielt sie für äußerst nützlich.
Er hatte bereits Dinge getan, die weit illegaler waren, also störte Tigris die Ansicht des Ministeriums nicht sonderlich. Ohnehin fand er die Definition ziemlich lächerlich. Warum war es strafbar, Artefakte herzustellen, die niemandem schadeten, nur weil sie nicht einfach zu erkennen waren? Was für einen Nutzen hatte ein Schutzamulett, wenn jeder sofort wusste, was es war?
Als Tigris über Amulette nachdachte, noch immer „Von Taliesin über die Hexen von Salem" in den Händen, hatte er eine Idee. Er hatte vor kurzem über ein Amulett gelesen, mit dem man sein Aussehen verändern konnte. Es war erstaunlich einfach herzustellen und weitaus effektiver als Maskierungszauber. Es war nicht einmal illegal, obwohl der zur Herstellung verwendete Trank Vielsaft ähnelte. Das mochte daran liegen, dass das Rezept seit Slytherins Zeiten verloren gegangen war, aber es war auch nicht schwer, die Magie des Amuletts aufzuheben, wenn man wusste wie. Es war der perfekte Weg zu einem unkomplizierten, einfallsreichen Kostüm. Außerdem hatte Tigris gerade eine wunderbare Idee für die Art des Kostüms. Eine, die dem einmischungsfreudigen alten Mann eine Lehre erteilen würde. Nun musste er nur noch Draco überzeugen.
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„Ich habe über diesen Halloweenball nachgedacht.", sagte Tigris. Es war Sonntag und das Training mit der Fortgeschrittenengruppe der Schattengemeinschaft war gerade zu Ende. Das hatte den Vorteil, dass Helena ebenfalls da war.
„Tatsächlich?", meinte Draco.
„Ja." Tigris setzte sich im Schneidersitz auf den Rand der Bühne. „Ich denke, wir sollten uns durch Dumbledores Einmischung nicht den Ball verderben lassen."
„Und was schlägst du vor?", fragte Helena abfällig. „Sollen wir diesen abstoßenden Muggelbrauch mitmachen?"
„Wir haben wohl keine Wahl, wenn wir an dem Ball teilnehmen wollen. ABER", begann Tigris etwas lauter, als Helena Einspruch erheben wollte, „wir können es möglicherweise zu unserem Vorteil beeinflussen."
„Und wie?", fragte Blaise neugierig.
Tigris lächelte ihr zu. „Ich habe mir gedacht, wir könnten als Haus eine Aussage machen."
Er holte das Buch hervor und stützte es vor sich auf, so dass sie den Titel lesen konnten. „Ich habe neulich noch einmal dieses Buch gelesen. Es handelt von der Geschichte der Zaubererwelt. Ich habe mir gedacht, wir könnten unsere Kostüme nutzen, um unseren Schulkameraden etwas über die Zauberer beizubringen, die unsere Welt geprägt haben."
Helenas Augen verengten sich ein wenig. „Ich kann dir nicht ganz folgen."
Er grinste. „Es ist im Grunde einfach. Ich schlage vor, dass wir uns absprechen, um berühmte Zauberer der Geschichte darzustellen. Zauberer, die gewöhnlich nicht die Beachtung finden, die ihnen gebührt. Wie zum Beispiel…" Er blätterte in dem Buch. „…Melusina."
Helenas Augen weiteten sich. „Sie war eine Dunkle Lady!"
Tigris zog die Brauen hoch. „Das mag sein, aber du kannst nicht abstreiten, dass sie unsere Welt nachhaltig geprägt hat. Außerdem waren nicht alle ihre Ansichten falsch. Ich habe kürzlich ‚Essayer d'obtenir le renouveau' gelesen und ich fand es sehr… erhellend. Die Idioten glauben doch ohnehin, dass unser Haus voller dunkler Zauberer ist. Wäre das nicht ein Schlag ins Gesicht für den alten Mann? Er hat jahrelang versucht, diesen Teil unserer Geschichte in Vergessenheit zu bringen, uns die Bräuche der Muggel aufzuzwingen als wären sie um so viel besser als unsere alten Traditionen… nun sorgt gerade solch ein Brauch dafür, dass die Vergangenheit ihn einholt. Er kann nicht einmal etwas dagegen tun, schließlich hat er angeordnet, dass wir uns verkleiden. Er kann sich kaum darüber beschweren, wenn unsere Kostümwahl ihm nicht gefällt."
Helena erschien tatsächlich angetan von der Idee. „Schön und gut.", meinte sie dennoch. „Aber wie zeigen wir, was unsere Kostüme darstellen? Kostüme sind tausendfach interpretierbar, das schmälert den Effekt, denkst du nicht?"
Tigris grinste erneut. „Nicht, wenn es eindeutig ist, wer dargestellt wird. Nicht, wenn man exakt so aussieht, wie die Person als die man sich ausgibt."
„Ich nehme an, du hast eine Idee, wie sich das bewerkstelligen lässt.", meinte Blaise.
Tigris zog eine Pergamentrolle hervor. „So ist es, die habe ich."
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„Also, das einzige, was jeder braucht, ist ein Zaubererphoto oder Porträt der Person die er sein will.", schloss Tigris seine Erklärung. Er legte ein paar Bilder in die Mitte, die er gefunden hatte. Nicht alle waren brauchbar, aber sie hatten ja noch ein paar Wochen Zeit, bessere zu finden.
„Es ist interessant.", gab Helena zu. „Aber es funktioniert nur, wenn alle mitmachen."
„Deswegen habe ich es hier vorgeschlagen.", sagte er. „Wenn Draco und du zustimmt, werden die anderen bestimmt auch teilnehmen."
„Du hast nicht viel gesagt, Draco.", warf Charles ein. „Was denkst du?"
Draco betrachtete ihn nachdenklich. „Ich bin nicht sicher. Ich komme nicht umhin zu denken, dass es unser Haus weiter in Misskredit bringen wird. Wie Tigris sagte, sie halten uns ohnehin alle für dunkle Zauberer. Warum dieses Vorurteil noch bestärken, indem wir die verpöntesten Figuren der Geschichte darstellen?"
„Weil sie in unserer Geschichte wichtig sind!", rief Helena. „Sie mögen verpönt sein, aber sie alle standen für die richtigen Werte… die Reinheit des Blutes, die Trennung unserer Welt von den Muggeln. Diese muggelliebenden Narren mögen es nicht, an sie erinnert zu werden, aber man sollte sich an sie erinnern. Sie sind Helden, die für ihre Überzeugungen gestorben sind! Unsere Geschichte ist unvollständig ohne sie."
„Aber Draco hat nicht ganz Unrecht… es könnte dem Ruf unseres Hauses schaden.", meinte Fiona.
Blaise schnaubte. „Als wenn der noch schlechter werden könnte. Die anderen Häuser glauben doch ohnehin alle, wir sind vom ersten Schuljahr an Todesser. Diese kleine Maskerade kann da kaum noch etwas verderben. Wir sind ein starkes Haus. Solange wir zusammenhalten, können sie uns nicht schaden. Mögen werden sie uns ohnehin nie."
„Aber was ist mit denen von uns, die Freunde aus anderen Häusern haben?", fragte Lydia Grimstone. „Es mag nicht gern gesehen sein, aber es gibt sie. Ich selbst habe Freundinnen aus Ravenclaw. Sie werden wahrscheinlich verstehen, warum wir das tun, aber es wird eine Zeit brauchen, es zu akzeptieren." Sie sah etwas nervös zur Seite. „Außerdem… ihr hört es wahrscheinlich nicht gerne, aber… nicht alle teilen Helenas Sicht über… nun sie sind Dunkle Zauberer, ihr könnt das nicht abstreiten! Nicht jeder ist bereit, sich so ohne weiteres zu ihren Idealen zu bekennen!"
„Nur weil wir uns als sie verkleiden, bekennen wir uns nicht zu ihren Idealen.", wandte Tigris sanft ein. „Wir provozieren nur ein wenig. Dennoch, wenn es dir nicht passt musst du ja keine so prominente Person darstellen. Ich dachte, jeder Jahrgang sucht sich eine berühmte Persönlichkeit aus uns beschäftigt sich ein wenig näher mit ihr. Es gab immer etliche Personen um sie herum, die auch wichtig waren, aber nicht so bekannt. Das wird es auch einfacher machen, die nötigen Photos zu finden."
Lydia schien nicht ganz einverstanden, aber sagte nichts weiter.
„Ich muss zugeben, ich finde diese Idee interessant.", meinte Fiona. „Ich persönlich bin von Baba Yaga fasziniert. Ich bin sicher, Sabina und Kira würden liebend gerne Dunkelelben sein."
„Ich bin Melusina. Wenn wir das machen.", sagte Helena in einem Ton, der keine Diskussion zuließ. Sie hatte sich ein Bild genommen, das eine blonde Hexe darstellte, die im Stil des 15. Jahrhunderts gekleidet war und hochmütig auf den Betrachter herabsah, obwohl das Bild nur handtellergroß war. Abgesehen davon war sie von jener berückenden Schönheit, die Tigris schon bei Bellatrix irritiert hatte.
„Wer ist das?", fragte Charles, ein Photo eines braunhaarigen Mannes in die Hand nehmend, der selbst auf dem Bild Autorität ausstrahlte.
„Lord Grindelwald.", antwortete Tigris.
Charles grinste. „Der bin ich. Er ist cool."
„Dir ist schon klar, dass Dumbledore dein Kostüm dann am meisten verabscheuen wird?", meinte Draco.
Charles zuckte mit den Schultern. „Soll er sich doch an seinem Bart verschlucken. Hast du das Bild gesehen?"
„Grindelwald war verheiratet.", warf Tigris ein.
Charles grinste. „Umso besser. Dann habe ich einen Vorwand, um mit Ninive auszugehen."
„Also, Draco?", sagte Blaise. „Was sagst du?"
„Ich bin noch immer nicht glücklich darüber.", sagte Draco. „Aber es sieht aus, als wäre ich überstimmt. Gut geplant, Tigris." Sein Bruder klang nicht gerade glücklich.
„Draco…", begann Tigris.
Draco machte eine abwehrende Handbewegung. „Es hängt ohnehin davon ab, ob der Rest des Hauses mitmacht, aber ich stimme nicht dagegen."
„Gut!", rief Helena, in die Hände klatschend. „Dann müssen wir nur noch die anderen überzeugen."
„Ich schlage vor, dass falls dies funktioniert diejenigen von uns, die Ahnung vom Tränkebrauen haben, den Bindetrank für alle vorbereiten. Die, die sich mit Runen auskennen, können sich um die Amulette kümmern. Damit braucht der Rest sich nur noch um die Photos zu sorgen."
„Das wäre großartig.", seufzte Fiona. „Glaubt es oder nicht, ich bin lausig in Zaubertränken."
„Und ich habe keine Ahnung von Runen.", stimmte Charles zu.
„Das sind siebzig Liter Trank und siebzig Amulette!", protestierte Draco.
„Zwei große Kessel sollten ausreichen. Wir brauchen sie erst am Ende aufteilen. Die Zauber für die Amulette sind auch schnell gesprochen. Die Runen zu ziehen braucht vielleicht ein wenig Zeit, aber zehn oder mehr Leute sollten nicht lange dafür brauchen."
„Was ist mit den Zutaten?", fragte Fiona.
„Ich werde sie per Eule bestellen. Außerdem hat Dumbledore ja zusätzliche Hogsmeade – Wochenenden angekündigt, damit wir uns um die Kostüme kümmern können. Was die Amulette angeht… eine Halskette aus Silber mit einem unbeschrifteten Anhänger ist am Besten. Ich schlage vor, jeder besorgt sie selbst und zahlt mir ein paar Galleonen für die Zutaten."
„Das hört sich vernünftig an, solange es sich im Rahmen hält.", meinte Lydia.
„Was ist mit denen, die es sich nicht leisten können?", fragte Clarissa.
Tigris hielt inne. Daran hatte er nicht gedacht. Er hatte sich so daran gewöhnt, dass alle um ihn herum aus reichen Familien stammten, dass er nicht daran gedacht hatte, dass es auch in Slytherin andere geben könnte. „Ich weiß nicht. Aber ich bin sicher, uns wird etwas einfallen. Im Zweifelsfall werfen wir zusammen."
„Niemand will Almosen.", wandte Clarissa ein.
„Es geht nicht um Almosen, sondern um die Hausgemeinschaft.", widersprach Blaise. „Wenn jemand Hilfe braucht, dann bekommt er sie auch. Es gibt genug von uns, die mehr Geld haben als sie ausgeben können."
Tigris nickte zustimmend. Clarissa schien zufrieden gestellt.
„Ja, wie sieht es aus, sind alle die hier sind bereit, mitzumachen?", fragte Tigris.
Alle Anwesenden nickten.
„Gut, dann können wir den Rest des Hauses fragen.", sagte Blaise.
„Wen willst du eigentlich darstellen?", fragte Helena, als sie die Treppen hoch gingen.
„Ich habe eine Idee, aber ich muss sie erst mit jemandem absprechen.", antwortete er.
Blaise warf ihm über Helenas Schulter hinweg einen nachdenklichen Blick zu.
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„Heraus damit, wenn willst du darstellen?", fragte Blaise, als sie mit Draco allein waren.
„Ja, das würde mich auch interessieren.", meinte Tigris' Bruder. „Besonders, da ich keine Ahnung habe."
„Darum wollte ich dich auch fragen.", entgegnete Tigris. „Ich dachte, wir kostümieren uns als ein Teil der Abschlussklasse von 1945."
Blaise bedachte ihn mit einem verwirrten Blick.
Draco runzelte die Stirn, dann zeichnete sich Erkenntnis auf seinem Gesicht ab. „Nie im Leben!", sagte er entsetzt. „Das ist Wahnsinn! Er wird das niemals gutheißen."
„Wer?", fragte Blaise verwirrt.
„Deswegen habe ich vor, ihn zu fragen.", entgegnete Tigris.
Draco schüttelte den Kopf. „Du hast den Verstand verloren. Das ist Selbstmord. Ohne mich."
„Wovon redet ihr?", fragte Blaise, nun alarmiert.
„Du übertreibst.", sagte Tigris, sie ignorierend. „Ich denke, er wird die Idee gut finden."
„Nun, ich denke das nicht.", widersprach Draco fest. „Wenn du so besessen davon bist, dann versuch es, aber ich sage dir, es ist Selbstmord. Du wirst ohnehin nicht auf mich hören, da du nie auf mich hörst, also sage ich nicht mehr dazu. Aber wenn du das machen willst, dann kannst du ihn darstellen. Ich bin sicher ich finde eine andere Person aus diesem Kreis, die mir keinen schmerzhaften Tod einbringen wird."
„Fein.", sagte Tigris verärgert. „Wenn du es willst." Ein Teil seines Ärgers kam daher, dass er nie daran gedacht hatte, dass eigentlich Draco diese Rolle einnehmen müsste. Draco war der Anführer ihres Jahrgangs, wie Helena, Charles und Fiona die Anführer der anderen Jahrgänge waren. Aber Tigris war ihrer aller Anführer, oder nicht? Er runzelte unwillig die Stirn.
„Das reicht.", sagte Blaise. „Ihr sagt mir jetzt auf der Stelle, worüber ihr redet, oder ich verhexe euch."
Draco ließ sich auf sein Bett zurück fallen. „Dein Idiot von Freund will als der Dunkle Lord zum Halloweenball gehen.", antwortete er müde. „Genauer, als der Dunkle Lord zu einer Zeit zu der noch niemand wusste, wer er war. Tom Riddle, Schulsprecher im Jahr 1945. Unser Lord wird ihn umbringen. Aber was ich denke ist ja unwichtig."
Blaise starrte Tigris mit großen Augen an.
„Ich werde ihn um Erlaubnis fragen!", rief Tigris entnervt. „Aber ich denke nicht, dass er dagegen ist. Wir können kaum die mächtigsten Zauberer der Geschichte darstellen und ihn auslassen, und wir können ihn kaum darstellen, wie er jetzt ist. Es würde eine Panik auslösen und wir würden der Schule verwiesen werden."
„Er wird vielleicht mit einer Runde Cruciatus davonkommen, wenn der Dunkle Lord gerade gute Laune hat.", sinnierte Draco. „Er ist bereits verrückt, also wird es wahrscheinlich keinen großen Unterschied machen, wenn er vollkommen den Verstand verliert."
„Wir können ihn nicht auslassen.", wiederholte Tigris.
Draco setzte sich auf und sah ihn an. „Ich denke, dass er besser reagieren wird, wenn wir ihn auslassen, als wenn wir die Welt daran erinnern, dass er einmal Tom Riddle war. Er wird uns wahrscheinlich so oder so verfluchen, aber im ersten Fall haben wir eine größere Chance am Leben zu bleiben. Danke im Übrigen, dass du uns diese wunderbare Grube gegraben hast."
„Tom Riddle war ein herausragender Schüler. Vertrauensschüler, Schulsprecher, brillant…"
„…und ein Halbblut.", vollendete Draco.
Blaise schnappte schockiert nach Luft. „Der Dunkle Lord ist ein Halbblut?"
„Ja, und wenn dir dein Leben lieb ist erwähnst du das nie wieder.", schnappte Draco.
„Er war auch der Sohn von Cicuta Bator, letzte Nachfahrin Salazar Slytherins. Er wurde in einem Waisenhaus geboren, niemand wusste wer sein Vater war."
„Aber Riddle ist kein Zauberername."
„Er könnte auch erfunden sein. Er war eine Waise. Es gibt keine Unterlagen, die beweisen, wer Tom Riddles Vater war. Wenn es sie gäbe, wäre er nicht in einem Waisenhaus aufgewachsen."
„Leute werden es herausfinden."
„Nur wenn sie wirklich tief graben. Selbst wenn, glaubst du, jemand geht und veröffentlicht es im Daily Prophet? Kaum."
Draco seufzte und verbarg sein Gesicht in den Händen. „Dann stürz dich auf das, was Engel nicht zu betreten wagen, wie du es immer tust. Ich weiß ich kann dich nicht aufhalten. Aber versuch wenigstens am Leben zu bleiben. Ich will unseren Eltern nicht erklären müssen, dass du dich wegen einem Kostümball umgebracht hast."
„Er wird mich nicht töten." Tigris wusste nicht, wie er Draco davon überzeugen sollte.
Sein Bruder warf ihm einen unglücklichen Blick zu. „Du hörst nie auf mich. Ich weiß nicht, warum ich es versuche."
„Weil ich dein Bruder bin, und du mich vermissen würdest.", sagte Tigris neckend.
Draco warf ihm einen düsteren Blick zu. „Ja, vermutlich." Er wandte sich ab.
Blaise strich mit der Hand über Tigris' Gesicht. „Wann hast du vor zu gehen?"
„Nächstes Wochenende."
„Er hat Recht, es ist Wahnsinn. Tu es nicht."
„Wenn er uns ohnehin verflucht, was gibt es zu verlieren?"
Sie vergrub ihre Hände in Tigris' Haaren. „Dein Leben, du dummer Kerl. Es gibt dein Leben zu verlieren."
„Warum glaubt ihr mir nicht, dass er mich nicht umbringen wird?", fragte Tigris frustriert.
„Weil er der Dunkle Lord ist, und weil er schon Leute wegen weniger umgebracht hat. Leute die älter und wichtiger waren als du. Tu es nicht, Tigris, bitte."
Tigris lächelte ihr zu. „Ich verspreche dir, er wird mich nicht umbringen. Vielleicht habt ihr Recht und er verflucht mich, aber das riskiere ich. Wenn ich verletzt werde, kannst du mich wieder gesund küssen."
Sie zog an seinen Haaren. „Du bist so ein sturer, idiotischer… Gryffindor!"
Tigris grinste. „Ich bin getroffen. Wirklich, das war ein Schlag unter die Gürtellinie."
Sie seufzte. „Oh, sei verdammt noch mal still."
Sie schubste ihn auf das Bett und schloss die Vorhänge um sie herum. „Wenn irgendjemand das durchziehen kann, dann du. Aber ich bleibe dabei, Draco hat Recht."
Tigris öffnete den Mund, aber sie küsste ihn und hinderte ihn so an einer Erwiderung.
„Sei still.", murmelte sie dabei. „Sei einfach nur still."
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Tigris konnte Blaise und Draco kaum sagen, dass er sicher war, dass Voldemort ihn nicht umbringen würde, weil er den Dunklen Lord besser kannte als irgendjemand sonst, sinnierte er. Es war Donnerstagabend, einer der wenigen Tage, an denen er Zeit hatte, sich in seiner Basiliskform zu entspannen. Vielleicht würde Voldemort ihn verfluchen, aber Tigris bezweifelte es. Der Dunkle Lord hatte auch etwas durch diesen Kostümball zu gewinnen. Vielleicht hätte er den beiden von seinem zweiten Plan erzählen sollen. Plan im Plan könnte man es nennen. Aber nein, Tigris würde erst Voldemorts Antwort abwarten. Es gab schließlich keinen Anlass, grundlos Aethonans scheu zu machen. Er fühlte sich rastlos. Vielleicht war er doch nicht ganz so ruhig was diese Idee anging, wie er es sich und den anderen glauben machen wollte.
Ungehalten verwandelte Tigris sich zurück. Er brauchte etwas, um sich abzulenken. Wenn er darüber nachdachte… Er hatte Snape schon lange keinen Besuch mehr abgestattet.
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Der Tränkemeister war in seinem Büro und korrigierte Hausaufgaben. Als Tigris eintrat sah er missgestimmt auf, aber sobald er ihn erkannte wurde sein Gesicht blank.
„Mister Malfoy.", begrüßte er ihn in einem neutralen Tonfall.
„Wir haben uns lange nicht gesehen.", sagte Tigris, die Tür hinter sich schließend.
„Ja, genau einen Tag seit Ihrer letzten Zaubertränkestunde.", entgegnete Snape sarkastisch.
„Sie wissen was ich meine.", sagte Tigris.
Snape legte seine Feder beiseite und rieb sich die Schläfen. „Tun Sie es und dann gehen Sie. Es ist spät, ich habe Arbeit zu erledigen und die unfähigen Idioten die ich heute unterrichten musste haben bereits dafür gesorgt, dass ich Kopfschmerzen habe."
„Soll ich sagen, dass es mir leid tut?", fragte Tigris spöttisch.
Snape warf ihm einen bösen Blick zu. „Nein, weil ich es verabscheue angelogen zu werden. Bitte, vergeuden Sie nicht unnötig meine Zeit."
„Wie Sie wollen."
Tigris sah in Snapes schwarze Augen und in seinen Geist. Er überflog die Erinnerungen und fand nichts Ungewöhnliches. Tigris hielt sich nicht lange damit auf und suchte stattdessen nach den Erinnerungen, die ihn mehr interessierten. Er würde endlich herausfinden, wie Neleus Snape gestorben war. Einen Moment fühlte er sich wie in einem sich drehenden Kaleidoskop, dann war er in der Erinnerung, die er gesucht hatte.
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Severus musste etwa fünfzehn sein. Er sah aus wie in der Erinnerung, die Tigris zwei Jahre zuvor in dem Denkarium gesehen hatte, ein hagerer, blasser Teenager mit fettigen schwarzen Haaren. Im Moment ging er auf ein düster wirkendes Gebäude zu, das sich inmitten einer menschenverlassenen Einöde befand. Rechts und links von ihnen erstreckte sich das Moor. Wenn es jemals einen Weg zu dem Haus gegeben hatte, war er der Zeit zum Opfer gefallen. Reste von Steinmauern wiesen darauf hin, dass es vor langer Zeit einmal von einem ummauerten Garten und vielleicht Stallungen umgeben gewesen sein musste, doch davon war nichts mehr zu sehen. Severus' Truhe schwebte wenige Meter hinter ihm her. Es war Sommer. Offensichtlich kam er gerade von Hogwarts, also musste das Haus Snape Hall sein. Es war ein verfallenes, verlassen wirkendes Herrenhaus, das Grimmauld Place freundlich erscheinen ließ. Die einst vielleicht schönen Glasfenster waren blind und staubig und die gesamte Vorderseite wurde von der großen, schweren Eingangstür dominiert. Der Treppenaufgang war von Unkraut überwuchert, dorniges Gestrüpp säumte den im Nirgendwo beginnenden Weg, welcher dorthin führte, und Efeu rankte sich an der Fassade hoch. Der gesamte Ort erschien verwahrlost und feindselig. Severus verharrte am Beginn des Weges und starrte auf das Gebäude. Er schlang die Arme um sich. Bei genauerem Hinsehen erkannte Tigris, dass der Junge zitterte. Anscheinend fürchtete er sich davor, weiter zu gehen.
Schließlich atmete Severus tief durch und ging mit zögernden Schritten auf die Eingangstür zu. Er öffnete sie mühselig und trat mit gesenktem Blick ein. Die Halle dahinter war düster. Als die Tür sich quietschend wieder geschlossen hatte, verharrte der Junge einen Moment lang von der Halle abgewandt. Als Severus sich schließlich umdrehte erstarrte er.
Inmitten der Halle lag Neleus auf dem Boden. Eine Lache von Blut umgab ihn. Über dem Körper kniete ein älterer Lucius, als in der letzten Erinnerung, beide Hände um ein Messer verkrampft. Der blonde Mann war nun erwachsen, aber hatte nichts von dem aristokratischen Erscheinungsbild an sich, das ihn später auszeichnen sollte. Seine Robe war blutbesudelt und seine Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Lucius versenkte das Messer mit einer mechanisch anmutenden Bewegung in dem leblosen Körper unter sich, zog es heraus und stach erneut zu. Neleus war offenkundig schon längst tot. Sein Brustkorb war eine einzige blutige Masse.
„Lucius?", fragte Severus unsicher.
Der Mann vor ihm reagierte nicht.
Severus trat langsam auf Lucius zu, so als würde er sich einem gefährlichen Tier nähern, und legte vorsichtig seine Hand auf Lucius' Arm. Lucius zuckte zusammen und hielt in seiner Bewegung inne. Eine Sekunde später glitt das Messer aus seiner Hand und fiel klappernd auf den Steinboden. Severus kniete neben den Beiden nieder und begegnete Lucius' leerem Blick.
„Komm zu dir, Lucius. Er ist tot. Hörst du mich? Er ist tot."
Ein Schauer durchlief Lucius' Körper und er holte zitternd Luft. Dann brach er plötzlich zusammen und vergrub seine blutigen Hände in Severus' Robe. Severus schlang die Arme um seinen Cousin, während der haltlos zu schluchzen begann.
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Tigris zog sich zurück, verwirrter als je zuvor. Seit er erfahren hatte, dass sein Vater Neleus Snape umgebracht hatte, hatte er gedacht es wäre ein kalter, geplanter Mord gewesen. Aber die Person die er in dieser Erinnerung gesehen hatte war in Nichts wie der gefühllose, kalkulierende Todesser den er kannte. Es war ein verzweifelter Mann der anscheinend im Affekt gehandelt hatte und von dem was er getan hatte schockiert war. Es passte nicht zusammen.
Snape sah auf die Papiere auf seinem Tisch hinunter und, nach einem kaum merklichen Zögern, griff entschlossen nach seiner Feder und begann, die Aufgaben weiter zu korrigieren.
„Wenn Sie erfahren haben, was Sie wollten, gehen Sie bitte."
Tigris starrte den Professor an. Er wurde nicht schlau aus ihm. Nichts ergab mehr wirklich Sinn. Frustriert wandte er sich ab und verließ das Büro. Er freute sich beinah auf sein Gespräch mit dem Dunklen Lord an diesem Wochenende.
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Am Morgen des Hogsmeade-Wochenendes stand Tigris früh auf. Er plante, einen der ersten Züge zu nehmen, so dass er von Hogsmeade aus apparieren konnte, bevor das Dorf von Schülern überrannt wurde. Durch die Schlange auf seinem Arm wusste er, dass der Dunkle Lord am Wochenende regelmäßig Versammlungen abhielt, um Berichte der niederrangigeren Todesser einzuholen. Das Gefühl, wenn der Lord sie zusammenrief, war nur ein Schatten dessen, wie sich das wirkliche Dunkle Mal anfühlte, und gewöhnlich ignorierte Tigris es. Er war nicht verpflichtet, darauf zu antworten, solange er in Hogwarts war. Es würde jedoch genügen, um zu dem Versammlungsort zu apparieren, der ihm natürlich unbekannt war. Der Dunkle Lord hatte irgendwo eine Basis, da die Mitglieder seines Inneren Kreises ihn auch ohne gerufen zu werden aufsuchten, aber sie war allen anderen unbekannt. Die Plätze an denen die größeren Versammlungen stattfanden änderten sich jedes Mal.
In Hogwarts herrschte noch morgendliche Stille, als Tigris sich zum Hogwarts-Express aufmachte. Es war vor dem Frühstück. Er würde etwas essen, sobald er in London war. Er plante, nach London zu apparieren, da er nicht wusste, wann genau der Dunkle Lord seine Todesser zusammenrufen würde. Es war normalerweise am späten Vormittag – die Versammlungen dauerten oft bis in die Nacht hinein. Er hoffte, relativ früh mit dem Dunklen Lord sprechen zu können, so dass er mit den anderen Schülern aus Hogsmeade zurückkehren konnte. Es würde schwierig werden, sich nach Sperrstunde in die Burg zurück zu schmuggeln.
Als Tigris die Kerker verließ, hatte er für einen Moment das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete, aber er tat es ab. Das ganze Schloss war noch im Tiefschlaf, es war allenfalls Mrs. Norris. Er war bereits die ersten Treppenstufen hinauf gegangen, als er ein Geräusch hörte, das definitiv nicht von Mrs. Norris stammte, aber da war es bereits zu spät. Er kam nicht einmal mehr dazu, sich umzudrehen, bevor ein Betäubungszauber ihn in den Rücken traf. Das Letzte, was er wahrnahm, war der Mobilicorpus, der ihn auffing, bevor er die Treppe hinunterfallen konnte.
Vielen Dank für eure Reviews an: HermyBookworm, alge28, das-som, SoleilNoir, burningange184
Zu Halloween ein neues Kapitel, leider nicht das Halloweenkapitel, das ich geplant hatte (dauert noch ein wenig). Zum Glück habe ich endlich ein wenig mehr Zeit, deshalb gibt es das nächste Kapitel spätestens in zwei Wochen.
