Disclaimer:

Schni, schna, schnappi...

Hat jemand ein KitKat?

Potter Potti Pott... gehört JKR …


Schatten der Wahl

20. Götterdämmerung

Teil 1

Draco war beunruhigt. Das Gefühl der Unruhe hatte früher an diesem Abend begonnen und seitdem stetig zugenommen. Nun summte es am Rande seiner Wahrnehmung wie ein lästiges Insekt, das sich einfach nicht vertreiben ließ. Draco musste kein Genie sein, um zu wissen, dass es etwas mit Tigris zu tun hatte.

Nach dem Kampf hatte Draco zunächst eine Weile auf einen Ruf gewartet, aber als der nicht gekommen war, war er nach Hause appariert. Sein Vater war eine Weile später aufgetaucht, missgelaunt, wortkarg und kaum bemerkbar nervös. Lucius schien auf das Eintreten eines nicht näher definierten Unglücks zu warten, aber als der Abend voranschritt und nichts geschah beruhigte er sich langsam und zog sich schließlich mit Narcissa zurück.

Draco, der auf seinem Bett lag und vergeblich versuchte einzuschlafen, hatte genau gespürt, wann sein Bruder nach Hause gekommen war. Es war bereits nach Mitternacht, und Draco war froh, dass der nächste Tag ein Sonntag war und er keinen Dienst hatte. Da er ohnehin nicht schlafen konnte, stand er schließlich auf und ging zu Tigris' Zimmer hinüber, um nachzusehen, was los war. Tigris war jedoch im Badezimmer, und die Dusche war an. Draco klopfte ein paar Mal an der Tür, aber erhielt keine Antwort. Er nahm an, Tigris hatte ihn unter dem Rauschen des Wassers nicht gehört, also ging er wieder, und beschloss ein Buch zu lesen und später noch einmal nachzusehen, wenn sein ungutes Gefühl blieb. Wenn Tigris einschlief, würde es verschwinden.

Als er aus dem Raum trat sah er einen Schwarm der kleinen weißen Papiervögel, die seine Mutter vor einiger Zeit zu falten begonnen hatte, und lächelte. Sie flogen zu Dutzenden im Haus herum. Sein Vater grummelte immer vor sich hin, wenn er sie sah, aber hatte bisher nichts dagegen unternommen. Draco mochte es. Es erinnerte ihn daran, dass seine Mutter die Fähigkeit besaß, mit liebevoller Sorgfalt etwas Schönes zu schaffen. Als Draco noch klein gewesen war, hatte seine Mutter eine zeitlang versucht, ihm beizubringen, Origami zu falten. Es hatte ihm gefallen, aber sein Vater war der Meinung gewesen, es sei ein Zeitvertreib für Mädchen, und so hatte sie aufgehört. Es hatte sie jedoch nichts davon abgehalten, einen Musiklehrer einzustellen, egal was sein Vater davon hielt.

Draco lächelte bitter. Sein Vater hatte andere Wege gefunden, seine Missbilligung darüber zum Ausdruck zu bringen. Immer wenn sie Besuch hatten, verlangte er von Draco, dass er für die Gäste spielte, dumme Tanzlieder, für die ein Zauber völlig ausgereicht hätte. Es war seine Art zu zeigen, wie albern und nutzlos er dieses Talent fand, auch wenn er im gleichen Atemzug sagte, wie stolz er auf Dracos Fähigkeiten war. So war es mit vielen Dingen die Draco tat.

Manchmal fragte Draco sich, warum er es überhaupt versuchte. Er würde nie gut genug für Lucius sein. Sein Vater hatte eine Idealvorstellung eines Sohnes, der kein Mensch gerecht werden konnte. Je älter er wurde, desto mehr wurde Draco auch klar, dass er es gar nicht wollte. Es gab Dinge, die er an seinem Vater bewunderte. Es gab Erwartungen, die Draco sich einmal gewünscht hatte zu erfüllen. Aber was war der Sinn darin, etwas sein zu wollen, was nicht in seiner Natur lag? Draco würde nie erfolgreich darin sein, er würde immer nur zweitklassig bleiben. Es waren die Dinge, für die er Talent besaß, in denen er sich hervortun konnte. Leider waren das nicht die Dinge, die sein Vater bewunderte. Doch je länger Draco darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass die Meinung seines Vaters gegenüber der Meinung des Rests der Welt nur sehr wenig zählte. Schließlich würde Draco noch immer am Leben sein, wenn sein Vater längst tot war, und er würde mit dem Leben leben müssen, das er sich geschaffen hatte. Draco zog ein erfolgreiches Leben mit seiner eigenen Art von Macht und Einfluss dem im Schatten eines anderen allemal vor.

Draco runzelte die Stirn. Während er in seinem Zimmer vor sich hin grübelte war über eine halbe Stunde vergangen, aber er fühlte sich noch immer nicht besser. Tigris musste inzwischen längst im Bad fertig sein. Er stand auf und ging ein zweites Mal zum Zimmer seines Bruders hinüber. Überrascht musste er feststellen, dass sein Bruder noch immer im Bad war. Das passte ganz und gar nicht zu ihm. Draco selbst konnte durchaus manchmal eine Stunde im Bad verbringen. Er mochte es, Zeit auf sein Aussehen zu verwenden, aber Tigris war da anders. Außerdem, es war spät in der Nacht, es gab keinen Anlass, aus dem er so viel Zeit im Bad hätte verbringen müssen, selbst wenn ihn ein plötzlicher Anfall uncharakterischer Eitelkeit überfallen hätte.

Draco klopfte erneut an der Tür, aber erhielt wiederum keine Antwort. Schließlich frustriert griff er nach der Klinke und trat ungebeten ein. Er hatte schließlich mehrere Jahre mit etlichen anderen Jungen Gemeinschaftsduschen geteilt, und dies war sein Bruder, kein schamhaftes Mädchen. Außerdem, er machte sich Sorgen, dass sein Bruder vielleicht verletzt war. Er spürte, dass er nicht bewusstlos war, aber das sagte nichts über seinen restlichen Zustand aus.

Als Draco die Tür öffnete schlug ihm eine Wolke von Wasserdampf entgegen. Einen Moment lang fiel es ihm schwer zu atmen, bis sich seine Lungen an die Luftfeuchtigkeit gewöhnt hatten. Er verengte seine Augen und versuchte, etwas in dem zugenebelten Raum zu erkennen.

„Tigris? Alles in Ordnung?", fragte er, und trat einen Schritt vorwärts.

Einen Moment lang erhielt er keine Antwort.

„Ja.", erklang dann Tigris' Stimme aus der Richtung der noch immer laufenden Dusche. Erklang heiser. „Ich bin in Ordnung, tut mir leid wenn ich dich geweckt habe."

„Du bist nicht in Ordnung.", sagte Draco und versuchte, etwas Genaueres zu erkennen. „Es hat mich die ganze Nacht wach gehalten. Ich weiß, dass etwas nicht stimmt. Was ist es?"

„Nichts. Bitte geh einfach, ja?"

„Ich dachte, wir hätten beschlossen, uns nicht mehr gegenseitig anzulügen.", sagte Draco. Er hatte schließlich die Dusche erreicht und stoppte das Wasser mit einer Stabbewegung. Eine weitere, und die Luft klärte sich. Als er schließlich klar sehen konnte holte Draco tief Luft.

„Das nennst du in Ordnung?", fragte er dann fassungslos.

Tigris hatte sich in einer Ecke der Dusche zusammengerollt. Seine Haut war rot und warf Blasen, wo das heiße Wasser darauf eingeprasselt war. An einigen Stellen hatte er sich mit einer Bürste blutig geschrubbt.

„Lass mich in Ruhe.", flüsterte Tigris, das Gesicht hinter den Knien verborgen. „Es ist nichts."

„Nichts?", fragte Draco ungläubig. „Du brauchst einen Heiler! Lass mich..."

Er streckte die Hand aus, aber als er Tigris' Bein berührte zuckte sein Bruder heftig zurück.

„Nein!" Tigris sah auf, zornig, obgleich er ein Sinnbild des Unglücks bot. „Ich habe dir gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen! Ich will deine Hilfe nicht!"

„Es ist mir egal was du willst!", rief Draco, selbst ärgerlich werdend. „Du bist irrational! Diese Wunden werden ernsthaft gefährlich werden, wenn niemand etwas dagegen tut. Willst du dich umbringen?"

Einen Augenblick herrschte Stille.

„Nein.", sagte Tigris dann, den Blick senkend. „Nein, natürlich nicht." Er entrollte sich langsam und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.

„Vorsicht.", sagte Draco. Er half ihm behutsam auf. Tigris entzog ihm seine Hand, sobald er sich sicher an der Wand abstützen konnte.

Als Tigris stand, konnte Draco sehen, dass die Wunden seinen ganzen Körper bedeckten. Dies würde entweder eine Menge Heilenergie oder ein paar gute Heiltränke erfordern.

Draco haderte einen Moment mit sich. Wenn er ging, um Heiltränke zu holen, würde Tigris ihn möglicherweise aussperren und etwas Dummes tun. Wenn er eine der Hauselfen schickte, würde sie ohne Zweifel seine Mutter informieren, und das würde Tigris bestimmt nicht wollen. Heilenergie also. Jetzt musste er nur noch das Problem lösen, wie er Tigris längere Zeit anfassen konnte. Er hatte als Heiler genug erlebt, um eine gute Vorstellung davon zu haben, was mit Tigris passiert war und warum er nicht angefasst werden wollte. Es erregte Übelkeit in ihm, aber im Moment waren andere Dinge wichtiger. Tigris würde ihm ohnehin nicht antworten, wenn er fragte.

„Komm. Schaffst du es zum Bett?", fragte er. Er sprach einen Trocken- und einen Kühlungszauber auf Tigris.

„Ja.", krächzte Tigris, auch wenn er ganz und gar nicht so aussah.

Draco zauberte das Bettzeug zur Seite und verwandelte das Bettlaken in die Art kühlender silbriger Auflage, die sie in St. Mungos benutzten. Irgendwie schaffte Tigris es tatsächlich, sich darauf zu legen.

„Ich muss dich berühren, um dich zu heilen.", sagte Draco sachte, als er neben das Bett trat.

„Ich weiß.", sagte Tigris zornig. „Worauf wartest du?"

Draco unterdrückte seinen eigenen Ärger. Er wusste, Tigris' Tonfall war nur ein Anwehrmechanismus. Vorsichtig legte er seine Hände auf Tigris' Brust.

Tigris zuckte zusammen und hob seine Hände, wie um Draco wegzustoßen, aber nach einem Moment ließ er sie wieder sinken.

„In Ordnung?", fragte Draco besorgt.

„Ja!", zischte Tigris mit zusammengebissenen Zähnen. „Mach schon."

Draco schloss die Augen. Er konnte Tigris' heftigen Herzschlag unter seinen Fingern spüren. Schließlich gelang es ihm, sich auf die Verletzungen zu konzentrieren und er begann die Heilung. Was er fand bestätigte seine vorigen Befürchtungen.

Als er alle Verletzungen geheilt hatte, fühlte Draco sich erschöpft. Er ließ sich neben dem Bett zu Boden sinken und sah zu Tigris hoch.

„Wer?", fragte er leise. Er wusste, dass Tigris nicht darüber reden wollte, aber er musste es einfach wissen.

„Wer was?", schnappte Tigris.

„Jemand hat sich dir aufgezwungen.", sagte Draco. Er versuchte neutral zu klingen, aber das war schwierig, wenn es um seinen eigenen Bruder ging. „Wer..."

„Niemand!", schrie Tigris. „Niemand hat mich zu irgendetwas gezwungen!"

Draco öffnete den Mund um zu widersprechen, aber Tigris sah ihn zornig an. „Ich war einverstanden, okay? Niemand hat mich zu etwas gezwungen. Das ist die Wahrheit."

Draco starrte ihn an und versuchte diese absolut unverständliche Aussage zu begreifen. Tigris' Verletzungen – und nicht nur die, die er sich selbst zugefügt hatte – sprachen eine andere Sprache. Warum log Tigris ihn dann an? Warum stritt er etwas ab, das offensichtlich war?

Die Antwort darauf war nur zu logisch, obwohl Draco sie nicht wahrhaben wollte. Wer konnte seinen Bruder das antun, ohne Gegenwehr befürchten zu müssen? Mit wem hatte Tigris die letzten Stunden verbracht?

Draco wandte sich abrupt ab und rannte ins Bad, um sich zu übergeben.

o

Tigris starrte an die Decke. Er konnte seinen Bruder im Bad hören, und die würgenden Geräusche erinnerten ihn an seine eigene Übelkeit wenige Stunden zuvor. Sie war nun verschwunden. Er fühlte sich, als wäre er für kurze Zeit einem fieberischen Irrsinn verfallen, aus dem er nun erwacht war. Beiläufig ließ er das kalte Laken verschwinden, das Draco gezaubert hatte, und zog die Decke über sich. Er war geheilt, aber seine Nerven erinnerten sich wie bei einem Echo an den Schmerz, den er zuvor ignoriert hatte. Unter dem heißen Wasser hatte nichts anderes seine Gedanken erfüllt als das widerliche Gefühl von leichenkalten Händen auf seiner Haut, das er nicht abzuschütteln vermochte. Der Schmerz war nebensächlich gewesen.

Tigris dachte an die Gier in den roten Augen, und schauderte.

Er wusste nicht, was er tun sollte.

Er hatte gedacht, er wäre stark genug, dies durchzuziehen, aber er war schwach. Erbärmlich. Allein die Vorstellung, dass es nicht bei diesem einen Mal bleiben würde, entsetzte ihn. Er war ein nutzloser Feigling, und all diese Menschen waren umsonst gestorben. Es widerte ihn an.

Was hatte er sich nur gedacht? Draco hatte immer gesagt, Tigris wäre nicht besonders gut darin, nachzudenken. Vielleicht hatte er Recht.

Zu Beginn war es die vage Vorstellung gewesen, seine Bestimmung mit der Rache an seinem Vater zu verbinden. Die Prophezeiung galt noch immer, es war Tigris' Schicksal, Voldemort zu töten. Doch er war ein unerfahrenes Kind gewesen. Wenn er eine Chance gegen den Schwarzmagier haben wollte musste er stärker werden, ihm ebenbürtig werden. Von wem es besser lernen, als von Voldemort selbst? Tigris hatte es für einen brillanten Plan gehalten.

Er hatte nicht damit gerechnet, wie sehr es ihm gefallen würde.

Macht hatte etwas so Berauschendes an sich. Am Anfang hatte Tigris die Demütigungen mit dem Gedanken ertragen, dass es einem höheren Ziel genügte, doch als er mächtiger wurde, hatte er es genossen, diejenigen in die Schranken zu weisen, die zu Beginn auf ihn herabgesehen hatten. Sie respektierten ihn um seiner selbst willen, nicht weil er ein Symbol war. Sie fürchteten ihn. Voldemort hatte die Wahrheit gesagt, Menschen wurden von Furcht beherrscht.

Vielleicht war das der Grund, warum Tigris nichts geändert hatte, als er gesehen hatte, wie Voldemort von den Toten auferstand. Der Schwarzmagier war unsterblich. In diesem Moment hätte er sehen müssen, dass sein Plan zum Scheitern verurteilt war. Er würde Voldemort nicht umbringen können, selbst wenn er ihm eines Tages ebenbürtig war. Aber das hatte ihn nicht gekümmert.

Das Ziel, mächtiger zu werden, hatte sich verselbstständigt. Immer wenn er zweifelte, hatte er sich gesagt, dass es einem höheren Ziel diente, dass er eines Tages die Welt von Voldemort befreien würde... dass er es tun musste. Aber Tatsache war, Tigris hatte es nicht getan, weil er es musste. Tigris hatte es getan, weil er es wollte.

Er hatte es getan, weil er es genoss, wenn die Dunkle Magie in seinen Adern sang, weil er es genoss, wenn er die Furcht in den Augen der Auroren und Todesser sah, weil er es genoss, wie ihm das Zaubern leichter und leichter fiel. Er hatte es getan, weil er sich in seiner eigenen Überlegenheit gesonnt hatte.

Nun, wenn Tigris zurückblickte, kam er sich so töricht vor. Es stimmte, er war mächtig. Dennoch hatte er Voldemort bisher kein einziges Mal in einem Duell geschlagen. Warum nicht? Weil Voldemort ihm nur das beibrachte, was er wollte. Wie hatte Tigris jemals glauben können, der Dunkle Lord würde ihm beibringen, ihm ebenbürtig zu sein! Voldemort hatte mit ihm gespielt, und Tigris hatte es zugelassen.

Vielleicht sollte er es nun beenden, dieser Charade ein Ende setzen. Voldemort offen gegenübertreten. Doch konnte Tigris das? Er war bereits viel zu weit gegangen. Die andere Seite würde ihn nicht länger mit offenen Armen empfangen. Er war ein Mörder. Der Preis auf seinem Kopf war der dritthöchste im Land. Nein, er hatte nicht die Wahl, nun umzukehren. Er hatte die Brücken hinter sich abgebrochen. Nicht nur das, wenn er Voldemort verriet, würde dieser alles zerstören, was Tigris etwas bedeutete – und der dunkle Magier wusste ganz genau, was Tigris am meisten bedeutete. Es wäre das Todesurteil für seine Familie und alle die er kannte.

Tigris konnte Voldemort nicht offen bekämpfen, es war zu spät. Tigris konnte Voldemort nicht töten. Aber konnte er ihn von innen heraus zerstören? Er wusste nicht wie.

Damit nicht genug, er stellte sich nun auch zum ersten Mal die Frage: Was dann? Er hatte nie über Voldemorts Tod hinaus gedacht. Als er noch Harry gewesen war, hatte er nie wirklich damit gerechnet, dass er den letzten Kampf überleben würde. Er hatte geglaubt, er würde heldenhaft mit seinem Nemesis sterben, und die Welt in Frieden und Harmonie zurücklassen.

Merlin, was war er für ein naives Kind gewesen.

Voldemort war nur die Spitze des Eisberges. Die Welt war ein hässlicher Ort, und hässliche Kreaturen lebten in ihr. Wenn ein Monster starb, erhob sich bereits ein nächstes, um seinen Platz einzunehmen. Es würde nie zuende sein.

Vielleicht war Harry Potter selbstlos genug gewesen, heroisch zu sterben, aber Tigris wollte leben. Er wollte leben, und sehen, wie die Welt sich zum Besseren veränderte. Er wollte das Unheil dieser Welt ein für alle mal ausmerzen und die Früchte des Neubeginns genießen.

Tigris lachte heiser. Er klang wie Ron Weasley. Das Unheil ausmerzen, in der Tat. Was genau war überhaupt das Unheil? Die meisten Zauberer und Hexen würden behaupten, dass Tigris selbst ein großer Teil davon war. Feuer mit Feuer bekämpfen? Und dann? Nichts als verbrannte Erde.

Draco hatte Recht, er war ein Narr. Doch Tigris war ein sturer Narr, und er konnte nicht einsehen, dass alles umsonst gewesen war. Er wollte, dass was er getan hatte einen Sinn hatte. Er wollte das Ruder herumreißen und seine Pferde zum Sieg lenken. Er war der Überzeugung, dass es ihm zustand.

Vielleicht war das der Grund für seinen Untergang.

Trotz allem war Tigris sich sicher, dass was er getan hatte nicht völlig falsch war. Voldemort vertraute ihm. Er vertraute ihm genug, um neben ihm einzuschlafen. Das mochte nicht viel sagen, bei jemandem, der auf ihrem eigenen Grund und Boden eine Blutfehde mit blutrünstigen Berbern begann. Andererseits, es mochte die Welt bedeuten.

Voldemort hatte Tigris als seinen liebsten Diener bezeichnet. Tigris war nicht so dumm, diese Schmeichelei als etwas anderes als den Trick zu sehen, der sie war, aber er war dennoch geschmeichelt.

Voldemort war überzeugt, dass er Tigris vollkommen in seiner Kontrolle hatte. Tigris hatte es geschafft, den Magier erfolgreich vorzugaukeln, dass er sein loyalster Gefolgsmann war. Das musste zu etwas nützlich sein, oder?

Andererseits, war dies nicht die gleiche Lüge, die Tigris zuvor in die Irre geführt hatte? Er hatte sich gesagt, dass alles was er tat eines Tages zu etwas führen würde, als würde die Lösung all seiner Probleme eines Tages aus dem Nichts vor ihm erscheinen. Das war töricht. Das Schicksal half denen, die sich selbst halfen.

Wenn er wollte, dass was er tat einen Sinn hatte, musste er wirklich beginnen, darauf hinzuarbeiten, anstatt weiter darauf zu warten, dass sich die Lösung ihm von selbst offenbarte.

Macht war nicht länger das Problem. Tigris musste lernen, wie er Voldemort besiegen konnte. Er musste herausfinden, wo das Herz der Hydra lag. Er musste herausfinden, was Voldemort unsterblich machte.

Bis er das herausgefunden hatte, musste er überleben – und das war wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe von allen.

o

„Es tut mir leid.", sagte Tigris, als Draco wieder aus dem Bad auftauchte.

Draco sah ihn ungläubig an.

„Ich hätte dich nicht so anfahren sollen.", sagte Tigris. „Danke, dass du mir geholfen hast."

„Das war doch selbstverständlich.", entgegnete Draco, Tigris mit einem besorgten Blick messend.

Es war offensichtlich, dass Draco sich zusammengereimt hatte, was geschehen war. Tigris wollte aber nicht darüber reden, und sein Bruder wusste das. Offensichtlich war er unschlüssig, was er sagen sollte.

„Auch für selbstverständliche Dinge kann man sich bedanken.", sagte Tigris. „Ich danke dir. Es geht mir schon wieder sehr viel besser."

„Bist du sicher…", begann Draco.

Tigris unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Das bin ich."

„Ich würde nicht weitererzählen, was du mir erzählst.", sagte Draco. „Das weißt du, oder?"

„Ja." Tigris lächelte etwas bemüht. „Aber es gibt andere Gefahren, die damit verbunden sind. Ich weiß, du wirst mir nicht glauben, wenn ich dir sage, dass alles in Ordnung ist. Ich will dich auch nicht anlügen. Aber du kannst mir vertrauen. Ich kann damit umgehen."

„Es ist deine Selbsteinschätzung, der ich misstraue.", sagte Draco. „Auch wenn du nicht darüber reden willst, ich werde dich im Auge behalten. Ich bin da, wenn du mich brauchst."

„Das weiß ich, und unter anderem darum bin ich sicher, dass ich damit umgehen kann.", sagte Tigris. „Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Wirklich."

Tigris konnte sehen, dass Draco ihm nicht glaubte, aber sein Bruder wusste, wie starrsinnig er war. Draco wünschte ihm eine gute Nacht und ging, aber Tigris wusste, er würde die Sache nicht so einfach vergessen.

o

Tigris schlief am nächsten Tag bis weit in den Mittag hinein. Als er schließlich aufwachte, war er von einem unruhigen Tatendrang erfüllt, der kein bestimmtes Ziel hatte. Er aß hastig das Frühstück, das die Hauselfen ihm brachten und vergrub sich dann in der Bibliothek. Er wusste nicht, wonach er genau suchte, aber er durchblätterte Buch um Buch.

Es musste etwas geben, das ihm weiter half. Tigris wusste nicht genau was. Vielleicht Informationen darüber, wie man mit Hilfe von dunkler Magie Unsterblichkeit erlangen konnte, oder etwas, das ihm helfen würde, es herauszufinden. Bisher hatten ihn Bücher nie im Stich gelassen. Die Bücher in der Bibliothek seines Vaters waren selten und obskur, aber keines von ihnen brachte ihn der Lösung näher. Wie gern hätte Tigris in der Bibliothek des Dunklen Lords selbst gesucht! Doch allein der Gedanke an den schwarzen Magier erfüllte ihn mit Übelkeit. Im Moment wollte er ihm fern bleiben, solange es nur ging.

Tigris fragte sich, ob es ihm helfen würde, sich in einen Basilisk zu verwandeln. Der Basilisk war rationaler. Er mochte Dinge erkennen, die Tigris entgangen waren. Andererseits, der Basilisk war eine MAUS, eine magisch angefertigte unnatürliche Spezies. Er würde sehr wahrscheinlich nicht einmal verstehen, was Tigris so beunruhigte. Für die Schlange waren die Fortpflanzungsrituale von Säugetieren nichts als eine absonderliche Kuriosität. Der Basilisk verstand, dass Voldemort ihr Feind war, und dass sie ihn vernichten wollten. Warum Tigris ihm aus dem Weg gehen wollte, würde er jedoch nicht verstehen.

Tigris starrte auf das Buch, das er gerade durchblätterte, und das ihm nicht im Geringsten half. Ein Teil von ihm – vielleicht war es der Basilisk-Teil – war noch immer der Überzeugung, dass er zuviel aus dem letzten Ereignis machte. Voldemort wollte ihn als seinen… ja, was? Liebhaber konnte man es wohl kaum bezeichnen. Lustknaben vielleicht. Im Grunde wollte er Tigris nur benutzen, wie er ihn auf unzählige andere Weisen benutzte. Wie auch sonst war das mit Schmerzen verbunden. Das gehörte zu dem dunklen Zauberer wie sein Schatten. Tigris hatte alles andere akzeptiert, aus der Überzeugung heraus, dass der Zweck die Mittel heiligt. Warum nicht auch das?

Vielleicht, weil er aufgehört hatte, den Nutzen darin zu sehen. Voldemorts Vertrauen war eine Illusion, in der sich seine ‚Getreuen' trugselig sonnten. Tigris hatte nicht die Absicht, Bellatrix' Nachfolger zu werden. Man sah ja, was es ihr gebracht hatte. Voldemort hatte sie buchstäblich den Wölfen zum Fraß vorgeworfen.

Nein, wenn Tigris weiter machte, dann musste er genau wissen, was es ihm bringen würde. Letztendlich war es das, wonach er suchte. Eine Antwort auf die Frage, was der Sinn in allem war, was er tat. Je mehr Tigris darüber nachdachte, desto sicherer war er, dass er diese Antwort hier nicht finden würde. Er wagte sich nicht in die Bibliothek des dunklen Lords, aber das war schließlich nicht die einzige, die ihm zur Verfügung stand. Wenn einer ihm weiterhelfen konnte, dann Slytherin.

o

Es war einfach, Snape an einem Tag aufzusuchen, an dem der Mann anderweitig beschäftigt war. Tigris fragte sich jedes Mal, wenn er Hogwarts betrat, ob Dumbledore wusste, was seinen Arm zierte. Er ging dem Schulleiter so weit es ging aus dem Weg. Bislang schien Dumbledore keinen Verdacht geschöpft zu haben. Trotz seiner scheinbaren Allwissenheit war er offenbar nicht fähig, das Mal zu erkennen. Kein Wunder, dass Crooch und Quirrel ihm entgangen waren.

Slytherins Bibliothek war so groß, wie Tigris sie in Erinnerung hatte. Es war wie nach Hause zu kommen. Tigris war entschieden zu lange nicht mehr hier gewesen. Es juckte ihn in den Fingern, die Feder neben Slytherins Tagebuch zu ergreifen, und es weiter zu führen, aber er wusste, dass es zu gefährlich war. So unwahrscheinlich es auch war, dass der einzige lebende Parselmund außer ihm diese Kammer je betreten würde, Tigris wollte auch dieses Risiko nicht eingehen.

Nach seinem mentalen Zusammenbruch einen Tag zuvor waren Slytherins Erinnerungen nah an der Oberfläche, und erfüllten Tigris mit einer seltsamen Mischung von Gefühlen. Voldemort war brillant. Er wusste so viel, und hatten sie Wissen nicht immer bewundert? Auch war es sein Ziel, die Zaubererwelt endlich von dem Einfluss der Muggel zu befreien, und das war, was Slytherin immer gewollt hatte. Andererseits, Voldemort war offensichtlich ein Psychopath. Dennoch, sie hatten ihm Loyalität geschworen, das hieß sie schuldeten ihm zumindest Respekt. Slytherin hatte Gryffindor als seinen Lord immer respektiert, auch wenn er ihn am Ende für seine Arroganz und Engstirnigkeit gehasst hatte. Voldemort jedoch war nicht Gryffindor. Er war ihr Feind. Er würde die Zaubererwelt zerstören, wenn ihn niemand aufhielt, er opferte die Mitglieder der ältesten Familien, die, welche die Traditionen weiterführten, wie Spielsteine für seine egoistischen Ziele. Das war es nicht, was Slytherin gewollt hatte. Er hatte die Zaubererwelt erneuern, verbessern wollen, aber nicht durch ein Blutbad, dass kaum etwas von ihr übrig ließ. Nicht durch Terror und Zerstörung.

Viele der Todesser waren nur fehlgeleitet. Andere, wie Bellatrix, waren kaum mehr als Monster. Und was waren sie? Hatten sie nicht auch getötet, viel zu oft sinnlos?

Was von Harry noch übrig war, war entsetzt von dem, was sie geworden waren. Irgendwann in seinem Leben hatte er gelernt, dass es falsch war zu töten, dass jedes Leben wertvoll war. Er wusste, Hermione würde niemals verstehen, was er getan hatte. Sie würde ihn dafür verabscheuen. Wahrscheinlich tat sie es bereits, auch wenn sie nicht wusste, wer er war. Dass er all das für den Mann getan hatte, der die Menschen umgebracht hatte, die für ihn ihr Leben geopfert hatten, machte all das nur noch schlimmer. Er wollte sich einfach in einer Ecke zusammenrollen und alles ungeschehen machen. Oder spurlos aus der Zaubererwelt verschwinden. Was für einen Sinn hatte es, weiter zu machen, wenn er seine Bestimmung nicht erfüllen konnte? Vielleicht sollte er Voldemort einfach direkt angreifen und sein bestes tun, ihn zu erledigen. Wenn er dabei starb, gab es zumindest einen dunklen Magier weniger.

Der Basiliskteil von Tigris betrachtete das Ganze pragmatischer. Schlangen töteten für Nahrung und um sich zu verteidigen. Sie hatten es getan, um zu überleben. Es war ein Teil der Natur, dass Wesen starben. Als ein Raubtier verstand der Basilisk nicht, wo das Problem lag. Die Auroren machten Jagd auf Todesser, also war es nur ihr gutes Recht, sie zu töten. Es widerstrebte dem Basilisk, dass sie für einen anderen töteten anstatt für ihre eigenen Zwecke. Er war ein einzelgängerisches Wesen. Aber er hatte es als eine der vielen menschlichen Eigenarten akzeptiert, die er nicht verstand. Sein einziges Ziel war es, zu überleben, egal was es kostete. Sie hatten sich Voldemort angeschlossen, nun mussten sie tun was er verlangte, einfach und simpel.

Slytherin hatte niemals gezögert, zu töten, wenn es ihn seinen Zielen näher brachte. Er hatte niemals bereut, dass er all die Dorfbewohner umgebracht hatte, die seine Mutter getötet hatten. Seiner Meinung nach hatten sie es verdient. Es kümmerte ihn nicht, wenn Muggel starben. In seinen Augen waren sie kaum mehr als tollwütige Hunde. Slytherin war der eifrigste Verfechter der Überzeugung, dass alles gerechtfertigt war, wenn es einem höheren Ziel genügte. Was ihn störte, war, dass sie bisher keinen Vorteil daraus gezogen hatten. Gut, sie waren mächtig geworden. Aber hätten sie das nicht auch ohne Voldemort erreichen können? Mit geringeren Kosten? Es erfüllte ihn mit Wut. Sie waren ein mächtiger Zauberer, es war inakzeptabel, einfach zu resignieren! Sie mussten einen Weg finden, das Ganze zu ihrem Vorteil zu wenden!

Die Gesamtheit dieser Teile, die Tigris war, war verwirrt von den unterschiedlichen Empfindungen. Er war sich nicht ganz sicher, was ER wollte. Das einzige, was er sicher wusste, war, dass er etwas an der Situation ändern musste, wie sie im Moment war.

Es hatte keinen Sinn, sich in Schuldgefühlen zu ertränken. Tigris hatte von Anfang an gewusst, auf was er sich einließ. Sich nun davon auffressen zu lassen, weil nicht alles so gelaufen war, wie er es sich vorgestellt hatte, war seiner Ansicht nach ziemlich erbärmlich. Er wollte überleben. Aber nicht nur einfach überleben. Er wollte, dass das, was er getan hatte, einen Sinn hatte, denn nur so konnte er damit leben. Er hatte eine Bestimmung, und diese war, Voldemort zu töten. Aber was sprang für ihn dabei heraus? Sein Leben opfern für ein hehres Ziel? Nein, das ging ihm entschieden gegen den Strich.

Was war er denn? Derjenige, der auserwählt war Voldemort zu töten. Ein mächtiger Magier, der auch ein Basilisk war. Ein Slytherin, der mehr als nur Slytherins hochgestochene Pläne für die Zaubererwelt geerbt hatte. Ein Sohn und Bruder. Ein Magister der Artefaktkunde. Voldemorts Schüler und Lustknabe. Einer der meistgesuchtesten Schwarzmagier der Welt.

Ergab sich ein Ziel aus all dem? Und wenn ja, wollte Tigris es erreichen? Was wollte er überhaupt? Frieden? Eine bessere Welt? War es das, was er wollte? Voldemorts Tod?

Wenn er darüber nachdachte, war sein vorrangigster Gedanke, dass er dann sein Leben wie es nun war aufgeben musste, und das widerstrebte ihm. Vom Verstand her wusste er, dass es Wahnsinn war, einfach so weiter zu machen. Seine Gefühle jedoch sprachen eine andere Sprache. Er genoss sein Leben, wie es jetzt war. Er genoss seine Macht und sein Ansehen. Er war zufrieden mit seiner sicheren Position in der Zaubererwelt, der Gunst des Ministers, die er genoss, und seiner Arbeit, die in erfüllte. Es erfüllte ihn mit Genugtuung, dass sein Vater widerstrebend zu ihm aufsah. Er genoss Voldemorts Vertrauen. Wenn er Voldemorts Avancen nicht so verabscheuen würde, wäre er niemals auch nur auf die Idee gekommen, etwas daran zu ändern.

Ein Teil von ihm – wahrscheinlich war es der Harry-Teil – war entsetzt davon. Wann war er so selbstsüchtig geworden? Seit wann war sein eigener Vorteil wichtiger als alles andere?

Ein rationalerer Teil fragte kritisch, wohin das alles führen sollte. Im Moment war er angesehen und mächtig. Doch all das war kurzlebig. Was, wenn er eines Tages den Auroren nicht mehr ausweichen konnte? Was, wenn er seiner Arbeit überdrüssig wurde? Was, wenn Voldemort ein neues Schosstier fand?

Vor langer Zeit einmal hatte er dauerhaftere Ziele besessen. Voldemorts Tod, ja, aber was stand denn dahinter? Eine Welt, in der es sich zu leben lohnte. Damals hatte Tigris an eine Familie gedacht, eine lebenswerte Zukunft für seine zukünftige Frau und ihre Kinder. Warum war das heute nicht mehr so? Er war nicht mehr so naiv zu glauben, dass Voldemorts Tod allein diese lebenswerte Zukunft schaffen konnte. Aber er hatte auch gelernt, wie man die Welt nach seinen Vorstellungen beeinflussen konnte. Hatten er und Blaise es nicht mit Percy Weasley getan? Tigris war kein Stratege wie Blaise, aber auch Voldemort war kein Politiker. Er bediente sich Lucius' und anderer Todesser, um politisch Einfluss zu nehmen. Der Grund dafür, dass er nicht wirklich etwas erreichte, war, dass er zu arrogant war einzusehen, dass andere etwas besser konnten, als er. Wenn er mehr auf seine Ratgeber hören würde... Doch das würde er nie tun. Außerdem, seine Vorstellungen einer perfekten Welt waren nicht Tigris'. Voldemorts Vorstellungen beinhalteten einen Haufen toter Muggel und einen Rest Zauberer, die ihn als ihren Gott und Meister verehrten. Nicht gerade eine erstrebenswerte Zukunft für irgendjemanden außer ihm selbst.

Es lief nur wieder auf das gleiche hinaus – Voldemort musste verschwinden. Nur wie?


Vielen Dank für eure Reviews an: Milli93, roman, Ugur, Imobilus, Real Indy, Reditus Mortis, Dax, Giftschnecke, strega79, Esta, spellwinder, Saleru, marco, sebastian, Zauberlehrling, Harrys dunkle Seite

Reviewantworten wie immer im Forum.