Disclaimer:

Ich sing für JKR, die ganze Nacht, und ewig weiter...

Bumm, Bumm, Bumm

Was ist das denn?

Das ist ein Trommeln in der Tiefe...

/schaut erschreckt/

/verschwörerisch/ Ja, ihr Zwerge habt ziemlich tief gegraben, oder?

Ähm, ich glaub ich geh besser...

Ja, tu das /murmelt/ Das war Notwehr.


Schatten der Wahl

24. Überlebende

Das erste, was Draco wahrnahm, als er aufwachte, war der seltsame Geruch. Es war ein Geruch, der ihm völlig unbekannt war. Eine flüchtige Note Alkohol, die von etwas Schärferem, völlig Fremden überdeckt wurde. Draco versuchte, sich zu bewegen, und Schmerz durchzuckte ihn so heftig, dass er nach Luft rang und schlagartig die Augen aufriss.

Alles um ihn herum war weiß. Die Decke und die Wände des Raumes – weiß. Das Bett in dem er lag – weiß. Selbst die zugezogenen Vorhänge vor dem Fenster waren weiß. Draco blinzelte in das weiße Licht. Ihm war nie zuvor bewusst gewesen, dass Licht eine Farbe hatte, aber nun wurde ihm klar, dass er ein Licht wie dieses noch nie zuvor gesehen hatte. Das Licht, das er kannte, war das gelbe und orange Licht von Kerzen und Kaminfeuer oder das goldene der Feuerfeen. Dieses Licht war so weiß wie der Raum, kalt. Draco fröstelte und drehte den Kopf zur Seite. Neben dem Bett standen ein weißer Tisch mit weißen Schubladen und ein weißer Stuhl. Auf dem Tisch befanden sich einige eigenartige Apparate, an denen Lichter blinkten.

Draco drehte seinen Kopf zurück und schloss die Augen. Seine Gedanken waren furchtbar langsam. Ihm war klar, dass er sich in der Muggelwelt befinden musste. Dennoch fiel es ihm schwer, zu verstehen, was das zu bedeuten hatte. Er wusste, dass er verletzt war. Sein Arm tat noch immer weh, seit er sich bewegt hatte, ein dumpfer, von seinem Handgelenk ausgehender Schmerz, der sich bis zu seiner Schulter hochzog. Es war schwierig, sich daran zu erinnern, wie es dazu gekommen war. Draco war nicht vollkommen überrascht von seiner Situation, dennoch konnte er sich nicht erinnern warum. Es war, als wären seine Gedanken von einem zähen, undurchdringlichen Nebel durchzogen.

Draco wurde in seinen Überlegungen unterbrochen, als die Tür aufging. Eine Frau kam herein, die vollkommen weiße Kleidung trug. Draco erinnerte sich vage, dass er so etwas aus einem Film kannte, den er mit Richard und Theo gesehen hatte. Schon damals hatte er gedacht, dass Muggel seltsam waren.

„Oh, Sie sind ja wach! Das ist ja eine Überraschung." Sie lächelte ihn an. „Wir hatten noch gar nicht mit Ihnen gerechnet." Sie zog einen Wagen mit sich in den Raum und schloss die Tür, dann kam sie an sein Bett. „Ich bin Anja Pauling. Nennen Sie mich einfach Schwester Anja. Wir sehen uns bestimmt noch öfter in nächster Zeit."

Sie warf ein paar prüfende Blicke auf die Geräte neben Dracos Bett und auf den Beutel mit Flüssigkeit, der an einer Stange daneben hing. Er war beinahe leer und sie nahm einen vollen von dem Wagen und hängte ihn daneben. Die Schwester hantierte geschickt mit den Schläuchen herum, dann schlug sie die Decke zurück und Draco konnte sehen, dass der Schlauch zu seinem Handgelenk führte, wo er unter einem weißen Verband verschwand. Sie tat etwas, was er nicht genau sehen konnte, und der dumpfe Schmerz ließ ein wenig nach.

„Ich muss mir Ihre Wunden noch mal ansehen.", redete sie weiter. Offensichtlich störte es sie nicht besonders, dass Draco ihr nicht antwortete. „Ich fürchte, das wird ein wenig weh tun, aber keine Sorge, ich gebe Ihnen etwas."

Sie nahm zwei Spritzen von dem Wagen und injizierte eine nach der anderen in den Schlauch, der an der Seite eine Abzweigung hatte, die offenbar dafür gedacht war. Danach rollte sie den Wagen einmal um das Bett herum auf Dracos linke Seite. „Ich bin sicher, es wird Ihnen bald besser gehen.", sagte sie, während sie sich auf einen Hocker neben das Bett setzte. „Sie machen schon ganz große Fortschritte."

Draco versuchte ihr zuzuhören und zu erkennen, was sie tat, aber seine Benommenheit war von einem Moment zum nächsten stärker geworden. Er begriff, dass es etwas mit den Spritzen zu tun haben musste, aber war bereits zu müde, genauer darüber nachzudenken. Er nahm noch wahr, wie sie begann, den Verband abzunehmen, der seinen Arm bedeckte. Es schmerzte ein wenig, aber der Schmerz verschwand mit seiner zunehmenden Betäubung. Während sie noch arbeitete schloss er die Augen und fiel wieder in den Schlaf.

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„Daniel? Sind Sie wach, Daniel?"

Draco grummelte leise und vergrub seinen Kopf tiefer in die Kissen. Es waren einige Tage vergangen, seit er das erste Mal aufgewacht war. Es ging ihm von Tag zu Tag besser, auch wenn er noch immer Schmerzen hatte. Er hatte erst wirklich gemerkt, wie stark die Schmerzmittel wirkten, als die Dosis herabgesetzt wurde. Auch ohne die Medikamente war er schwach wie ein Neugeborenes. Es war eine ungeheure Anstrengung, nur die paar Schritte zum Bad und zurück zu laufen, und Draco war lächerlich stolz gewesen, als er es endlich geschafft hatte. Sie ließen ihn nun richtige Dinge essen anstatt dem unidentifizierbaren Brei, den er die ersten Tage vorgesetzt bekommen hatte.

Draco hob schließlich den Kopf. „Ja, ich bin wach, Schwester Anja." Seine Stimme klang auch nach Tagen noch immer rau. Draco befürchtete langsam, sie hatte auf Dauer Schaden erlitten. Severus hatte ihn davor gewarnt, dass es eines Tages passieren könnte, und diesmal hatte er keine Zaubertränke gehabt, um sich zu heilen.

Die Schwester lächelte ihn an. „Soll ich Ihnen heute beim Waschen helfen, Mister Jackson? Wenn Sie sich danach fühlen, es ist Besuch für Sie da."

Draco sah die Schwester verwirrt an. Besuch? Wer um alles in der Welt kam ihn besuchen? Er hatte sich bereits daran gewöhnt, dass die Ärzte und Pfleger davon überzeugt waren, dass sein Name Daniel Jackson sei. Er hatte sie nicht korrigiert, es hatte sicher seinen Sinn. Wer immer ihn hergebracht hatte, musste ihnen diesen Namen genannt haben.

Schwester Anja bemerkte offenbar seine Verwirrung. „Es ist eine Dame von Scotland Yard. Sie möchte Ihnen ein paar Fragen stellen. Ich habe ihr gesagt, wenn Sie sich nicht gut genug fühlen, muss sie wieder gehen."

„Nein. Nein, das ist in Ordnung." Draco war nun sehr neugierig auf seine Besucherin, auch wenn er eine Vermutung hatte, wer es sein könnte. „Wenn Sie mir im Bad ein wenig helfen? Eine Dame will schließlich gebührend empfangen sein." Ein paar Wochen zuvor hätte Draco sich geschämt, auf eine Frau, eine Muggel zudem, beim Waschen angewiesen zu sein, aber nun war es anders. Schwester Anja hatte seine Bettpfanne gewechselt und ihn mit einem Waschlappen gewaschen, als er zu schwach war, sich überhaupt aufzusetzen. Es kümmerte ihn nicht länger, ob sie ihn nackt sah.

Nun grinste sie ihm verschwörerisch zu. „Ich lasse Ihnen ein Bad ein."

Sie tat das und half ihm dann mit erstaunlicher Stärke für eine so zierliche Frau aus dem Bett. Die Badewanne in dem angrenzenden Bad war sehr klein, aber das war nur gut in Dracos Zustand. Er musste sich sehr auf die Schwester stützen, um überhaupt hinein zu kommen, und dann war er froh, dass die Wanne zur Hälfte aus einem Sitz bestand. Er konnte sich zurücklehnen und kam nicht in Gefahr, auszurutschen. Die Schwester ließ ihn allein, so dass er sich waschen konnte, und kam dann zurück um ihm beim Rasieren und Anziehen zu helfen. Draco war froh darüber, denn er hatte keine Ahnung, wie man mit dem Apparat, den die Muggel zum Rasieren benutzten, umging. Zum Glück war der Schlafanzug kein so großes Rätsel, nachdem er schon einige Male in der Muggelwelt gewesen war.

Es war das erste Mal, dass Draco in den Spiegel sah, und er war überrascht, wie fremd das Gesicht war, das ihm entgegenblickte. Obwohl er blass und krank aussah war seine Haut dunkler als jemals zuvor, und seine Haare waren dunkelbraun anstatt blond. Seine Gesichtzüge waren noch dieselben, dennoch machten diese wenigen Veränderungen einen vollkommen anderen Menschen aus ihm. Als er sein Spiegelbild betrachtete, tauchte ungebeten eine Erinnerung auf. Er erinnerte sich, wie er aufgewacht war, und Granger ihren Stab auf ihn richtete. Er war sich nicht sicher, aber er meinte, dass sie sich entschuldigt hatte, bevor sie den Zauber sprach. Alles danach war in Schmerz untergegangen.

Draco war überrascht, als die Schwester ihm eine Brille reichte.

„Sie haben sie ja bisher nicht gebraucht, aber ich nehme an, für Ihren Besuch wollen Sie sie aufsetzen?"

Draco entfaltete das silberne Gestell etwas verwirrt und schob es sich auf die Nase. Es verbesserte seine Sicht nicht im Geringsten, aber entstellte sein Gesicht noch mehr.

„Bereit für Ihren Besuch?", fragte die Schwester.

Draco nickte und sie half ihm zurück in das frisch gemachte Bett, wo sie das Rückenteil nach oben kippte, so dass er aufrecht sitzen konnte. Anschließend ging sie hinaus, um seine Besucherin zu holen. Draco erwartete sie mit Spannung.

Als sie schließlich eintrat, war er nicht überrascht von ihrer Identität, aber von der Art wie sie aussah. Hermione Granger hatte ihre Haare zu einem strengen Knoten zurückgesteckt und trug einen dunklen Muggelanzug, den Draco bislang nur aus Filmen kannte. Sie wirkte kühl und professionell, so als wäre sie tatsächlich nur beruflich hier. Vielleicht war es ja so. Vielleicht war Draco nur ein weiterer Job für sie – wenngleich einer, der ihr ungewöhnlich viele Umstände machte.

„Guten Morgen, Mister Jackson.", sagte sie in einem geschäftsmäßigen Tonfall. „Ich bin Detective Granger. Wir sind uns bereits einmal kurz begegnet, auch wenn ich nicht damit rechne, dass Sie sich an mich erinnern."

Draco wartete, bis Schwester Anja die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Natürlich erinnere ich mich an dich, Granger.", sagte er dann.

Ihre Augen weiteten sich überrascht. „Wirklich? Du erinnerst dich? Wir dachten..."

Draco runzelte die Stirn. „Die größte Besserwisserin unter all meinen Schulkameraden ist wohl schwer zu vergessen."

Sie atmete tief durch und lächelte schief. „Das ist großartig. Dumbledore wird begeistert sein. Erinnerst du dich an alles, was geschehen ist?"

Dracos Stirnrunzeln verstärkte sich. „Ich bin nicht sicher.", sagte er. „Ich fühle mich, als sei ich von einem Lastwagen überrollt worden. Hast du mich hierher gebracht?"

Granger nickte. Dann wurde ihr Blick prüfend, nachdenklich. „Du erinnerst dich daran, dass du ein Zauberer bist, oder, Draco?"

Draco war versucht darüber zu lachen, dass sie diese Frage überhaupt stellte. Natürlich erinnerte er sich, war das nicht offensichtlich? Er lachte, aber aus seinem Mund kam etwas anderes. „Ich habe das schon eine Menge Frauen sagen hören, aber aus deinem Mund ist es eine Überraschung." Er grinste, obwohl alles in ihm versucht war, Grangers entgeisterten Gesichtausdruck zu teilen. Was bei Mordraud...

„Draco, an was genau erinnerst du dich?", fragte Granger. „Du weißt, dass wir zusammen zur Schule gegangen sind, weißt du auch wo?"

„In einem Internat in Schottland. Wir haben zusammen den Abschluss gemacht. Du hast danach Rechtswissenschaften studiert und ich Medizin. Versuchst du mir weiszumachen, dass ich unter Amnesie leide, Granger?"

Granger sank auf den Stuhl neben dem Bett und Draco hätte es ihr gleichgetan, hätte er nicht bereits ein Bett unter sich gehabt.

„Also doch...", murmelte sie. „Ich hatte gehofft..." Sie schüttelte energisch den Kopf und sah ihn an. „Es mag dir nicht klar sein, aber deine Erinnerungen sind unvollständig. Ich bezweifle zum Beispiel, dass du mir den Namen dieses Internats sagen kannst."

Draco öffnete den Mund um ihr zu widersprechen, aber musste ihn schließen, ohne etwas zu sagen. Sie hatte Recht. So sehr seine Gedanken auch ‚Hogwarts!' schreien mochten, er konnte es weder aussprechen noch entsprechend reagieren. Es war, als wäre ein zweites Gedankengebäude in seinem Kopf, das ein Eigenleben führte. Es war ähnlich wie sein Wissen darüber, dass Tigris Harry Potter war. Es war, so wurde Draco sich plötzlich mit eisiger Klarheit bewusst, genau dasselbe. Derselbe Fluch, nur perfider, verwehrte ihm nun die Aussprache von nicht nur einer einzigen Sache, sondern einem kompletten Bestandteil seines Selbst.

„Draco... Daniel...", sagte Granger nun eindringlich. „Ich entschuldige mich für den Namen, nebenbei, aber ich war in Eile, und mir fiel nichts Besseres ein. Als Kind war ich ein großer Fan von Stargate... Aber was rede ich, das ist völlig unwichtig. Daniel, was ich dir nun sage ist sehr wichtig – ich bin Verantwortliche des Zeugenschutzprogramms. Wir haben dich in Sicherheit gebracht, du warst ein Zeuge gegen eine überaus gefährliche Organisation. Ich weiß nicht, an wie viel du dich erinnerst, aber wichtig ist, dass sie auf keinen Fall erfahren dürfen, dass du noch lebst. Wir haben es geschafft, deinen Tod vorzutäuschen..."

Draco fühlte, wie Schock sich in ihm ausbreitete. Granger redete weiter, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren, was sie sagte. Er war tot. Die gesamte Zaubererwelt hielt ihn für tot. Draco war sich nicht sicher, wie es so sein konnte, seine Mutter und sein Vater – vor allem auch Tigris – sollten wissen, dass es anders war. Dennoch war er überzeugt davon, dass sie die Wahrheit sagte. Er war verdammt dazu, verkrüppelt weiter zu existieren, ohne Magie, ohne auch nur über die Zaubererwelt reden zu können. Wie konnte man überhaupt so leben? Die Muggel konnten es, aber Draco war kein Muggel. Er hatte keine Ahnung, was es erforderte, ein Muggel zu sein. Panik stieg in ihm auf und es fiel ihm plötzlich schwer, zu atmen. Schwarze Punkte tauchten vor seinen Augen auf und krochen über sein Blickfeld wie eine aufgescheuchte Kolonie Ameisen.

Draco nahm am Rande seines Bewusstseins wahr, dass die Tür aufflog und Leute hereinstürmten. Jemand presste eine Plastikmaske auf sein Gesicht und das Bett kippte nach hinten. Schwester Anja schrie Granger an und schob sie aus dem Raum. Einige besorgte Gesichter starrten auf ihn herunter und eilten um ihn herum. Draco lächelte, als er schließlich wieder atmen konnte und ihn Müdigkeit aus dem Nichts überfiel. Seltsam, mit all den Muggeln um ihn herum fühlte er sich so sicher und umsorgt, wie nie zuvor. War das nicht ironisch? Vielleicht lachten die Nornen über ihn.

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Die Muggel ließen Granger fürs Erste nicht wieder zu ihm. Draco lernte in der Zwischenzeit, wieder längere Strecken selbstständig zu laufen. Schwester Anja hatte ihn bereits einige Male in einen Rollstuhl verfrachtet und durch die Gegend gefahren. Draco hätte es auch allein tun können, aber nach dem Vorfall mit Granger war ihm nicht danach, seinen Raum zu verlassen. Schwester Anja jedoch kümmerte sich nicht um seine Proteste. Sie bestand darauf, dass er frische Luft und Sonne brauchte, und so schob sie ihn mit überschäumender Energie durch den riesigen Ameisenhaufen, den die Muggel Krankenhaus nannten. Inmitten der großen, viereckigen Gebäude, deren unzählige Fenster alle gleich aussahen, befand sich ein Stück Grün mit wenigen Bäumen, die fast wie eine Entschuldigung für das viele Grau um sie herum erschienen. Schwester Anja bestand darauf, es einen Park zu nennen, und sie schob ihn unermüdlich die asphaltierten Wege um den kleinen Teich in der Mitte herum, auf dem, wenn sie Glück hatten, ein paar Enten schwammen.

Draco ging es zunehmend besser, und etwa eine Woche nach Grangers Besuch begannen die Muggel davon zu sprechen, ihn zu entlassen. Schwester Anja hatte es ihm als eine freudige Nachricht mitgeteilt, aber der Gedanke jagte ihm Angst ein. Das Krankenhaus war ein sicherer Hafen inmitten der Muggelwelt. Alle schwierigen Dinge wurden ihm abgenommen, immer war jemand da, um ihm zu helfen, wenn er nicht zurechtkam. Was sollte er tun, wenn er auf sich selbst angewiesen war?

Die Muggel bemerkten seine Unruhe natürlich, aber sie deuteten sie falsch. Sie versicherten ihm tröstend, dass ein Psychologe ihm bei seiner Amnesie helfen würde und es etwas namens ambulante Therapie geben würde, was ihn unterstützen sollte. Sie sagten ihm, dass er schnell wieder mitten im Leben stehen würde. Aber genau davor hatte Draco Angst.

Eines Abends lag er in seinem Bett und drehte sich von einer Seite auf die andere. Sie hatten ihn inzwischen aus seinem Einzelzimmer in einen Raum mit zwei anderen Männern verlegt.

Draco hasste es. Nicht genug, dass er sein Zimmer und das Bad mit Muggeln teilen musste – es waren auch noch kranke, nervtötende Muggel. Draco konnte nicht schlafen, weil der ältere seiner Zimmergenossen sich ständig ruhelos hin und her drehte.

Er hatte ein Nierenproblem, das in der Zaubererwelt innerhalb von Stunden geheilt gewesen wäre, aber hier musste er jeden Tag an einen Apparat angeschlossen werden, der sein Blut erneuerte. Draco verstand nicht wirklich, wie das möglich war, aber der Mann jammerte ständig darüber, dass er die Maschine hasste und dass sein Leben vorbei sei. Wenn er nicht jammerte, starrte er auf einen Kasten mit bewegten Bildern, der ihnen gegenüber an der Wand hing. Sie ergaben keinen Sinn für Draco, auch wenn ihm klar war, dass sie Muggel zeigten. Es waren nicht die Filme, die er aus dem Kino kannte. Diese erzählten eine Geschichte. Was in dem Kasten passierte war vollkommen sinnlos, zum Beispiel eine Reihe Personen, die um einen Tisch herum standen und sich gegenseitig stundenlang nur anschrieen, oder andere, die sinnlos kreuz und quer über eine Wiese rannten, ebenfalls stundenlang. Manchmal waren es auch Fahrzeuge, die immerzu im Kreis fuhren. Draco fragte sich, ob es eine spezielle Eigenschaft der Muggel war, von Dingen fasziniert zu sein, die sich sinnlos über längere Zeit wiederholten. Es gab Tiere, bei denen das vorkam. In der Schule hatten sie zum Beispiel den langschwänzigen Glappagock durchgenommen. Es war ein dem Pfau ähnelnder magischer Vogel, der inzwischen fast ausgestorben war. Er betörte sein Weibchen, indem er vor ihm über Tage hinweg fortwährend den gleichen Tanz aufführte. Da er diesen um keinen Preis in der Welt unterbrach, war er dabei eine beliebte Beute von Raubtieren.

Zugegeben, der jüngere Muggel störte Draco nicht sehr. Er war ein seltsamer, glatzköpfiger Wicht, der aussah, als hätte er seit Wochen nichts gegessen. Man bemerkte ihn nur, wenn seine Freunde ihn besuchten und leise mit ihm redeten. Die meiste Zeit schlief er. Wenn nicht, dann beschäftigte er sich mit einem Muggelapparat, der zur einen Hälfte aus einer leuchtenden Leinwand bestand, wie Draco sie vom Kino kannte, wenngleich viel kleiner. Es spielten sich jedoch nicht immer Filme darauf ab, manchmal waren es auch Buchstaben oder Bilder, etwas, das die Muggel seltsamer Weise als ein Netz bezeichneten. Die andere Hälfte des Apparats hatte jede Menge Tasten, auf denen der Muggel wie auf Klaviertasten spielte, nur dass dabei keine Musik herauskam. Zu Beginn hatten die kontinuierlichen Klickgeräusche an Dracos Nerven gezehrt, aber inzwischen hatte er sich daran gewöhnt.

Im Moment schliefen beide Muggel im Raum. Der ältere Muggel schnarchte hin und wieder. Von dem jüngeren hörte man nichts. Diesmal waren es jedoch nicht die Geräusche, die Draco wach hielten, es war seine innere Unruhe. Draco grübelte endlos über seine Zukunft nach, und machte sich damit immer nervöser und unglücklicher. Als ein plötzlicher Schmerz seinen Arm entlang schoss, dachte er im ersten Augenblick, seine Wunde hätte sich wieder geöffnet. In den letzten Wochen hatte er ständig Schmerzen gehabt, so dass es fast Alltag geworden war. Erst, als der Schmerz von dem zweiten, viel intensiveren Schmerz gefolgt wurde, der jede Faser seines Körpers ausfüllte, wurde Draco bewusst, dass es sich um einen Ruf des Dunklen Lords handelte. Sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, und er nahm nur nebenbei wahr, dass er aus dem Bett fiel. Das Licht ging an.

Zu seinem Glück dauerte der Ruf nur Sekunden – Draco wusste, dass es nicht länger war, auch wenn es so erschien – und der Schmerz erlosch so schlagartig, wie er gekommen war. In den inzwischen seltenen Fällen, in denen der Lord alle seine Todesser gleichzeitig zu sich rief, dauerten die Rufe nie lange an. Er konnte es nicht riskieren, dass einer von ihnen deswegen enttarnt wurde. Draco kam gerade wieder zu Atem, als die Schwestern mit einem Arzt zur Tür herein stürmten. Es stellte sich heraus, dass der jüngere Mann den Knopf gedrückt hatte, der Hilfe herbei rief.

Draco versuchte ihnen erfolglos zu versichern, dass es ihm gut ging. Es half wenig, dass ihn noch immer leichte Krämpfe durchliefen. Sein geschwächter Körper reagierte überempfindlich auf einen Schock, den er normalerweise problemlos verkraftet hätte. Die Muggel klopften an ihm herum, maßen ihn mit ihren seltsamen Geräten und leuchteten ihm mit einer Lampe in die Augen, nur um ratlos über das zu bleiben, was passiert war.

Der folgende Tag war furchtbar. Der Arzt bestand darauf, dass ‚Komplikationen' aufgetreten wären, und dass sie herausfinden müssten, was los war. Sie fuhren Draco von einer seltsamen Untersuchung zur nächsten, zum guten Schluss eine, bei der sie ihn in einen langen schmalen Tunnel hinein schoben, der so furchtbare Geräusche von sich gab, dass er in Panik geriet und sie abbrechen mussten.

Sie stachen ihn mit ihren Nadeln und spritzten seltsame Flüssigkeiten in seinen Körper. Einige davon sollten angeblich Dinge in seinem Inneren sichtbar machen, was ihm ziemlich unheimlich vorkam. Sie klebten komische Plättchen mit Drähten daran auf seine Haut und er musste längere Zeit merkwürdigen Geräuschen zuhören, während der Arzt auf einen Monitor mit flimmernden Kurven starrte und weise nickte. Danach waren sie jedoch auch nicht schlauer. Sie fotografierten die Knochen in seinem Kopf und redeten darüber mit lateinisch klingenden Worten, die jedoch kein Latein waren. Jedenfalls keines, das Draco beherrschte.

Am Ende des Tages war er jedenfalls sehr verwirrt, ausgesprochen müde und durch und durch gereizt. Er fauchte sogar Schwester Anja an, die es nicht im Geringsten verdiente, aber zum Glück Verständnis hatte. „Ich weiß, es ist unangenehm, aber Sie wollen doch gesund werden, oder?", fragte sie.

Draco wollte ihr sagen, dass es etwas war, das dumme Muggel nicht heilen konnten, aber natürlich tat sein Mund nicht, was er wollte. Als er schließlich in den Schlaf fiel, ertappte er sich dabei, dass er hoffte, Granger würde bald wieder auftauchen, so dass er diesen Ort verlassen konnte.

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„Sie sagen, du leidest unter Epilepsie."

Draco starrte Granger an, frustriert davon, dass er ihr nicht einfach sagen konnte, was los war. „Ja." Sie hatten sie wieder zu ihm gelassen, nachdem ein paar Tage nach seinem Anfall verstrichen waren und es ihm weiterhin gut ging. Er konnte inzwischen gut mit den Krücken, die sie ihm gegeben hatten, laufen.

Sie betrachtete ihn einen Moment nachdenklich, öffnete ihren Mund und schloss ihn wieder. Draco wettete innerlich, sie brannte nur darauf, all ihre Ideen darüber, was diese Epilepsie wirklich war, jemandem mitzuteilen. Einerseits hätte er sie gerne gehört. Andererseits verspürte er eine schadenfrohe Genugtuung darüber, dass sie genauso zum Schweigen verdammt war, wie er.

„Ich habe deine Sachen mitgebracht." Granger deutete auf einen Koffer, den sie zuvor in das Zimmer geschleppt hatte. Sie warf einen kurzen Blick auf den Muggel im Bett nebenan, der auf seinem Gerät herumtippte. „Wenn du soweit bist, fahre ich dich nach Hause."

Draco nickte resigniert. Nach Hause. Sehr wahrscheinlich würde er sein wirkliches Zuhause nie wieder sehen. Er griff nach seinen Krücken und stemmte sich mit Mühe aus seinem Stuhl hoch. Granger eilte herbei um ihm zu helfen, aber er zuckte ärgerlich zurück. „Fass mich nicht an! Ich komme zurecht."

Sie hob beschwichtigend die Hände. „Fein. Wie du willst."

Als sie schließlich ihr Auto erreichten, war Draco erschöpft und schweißgebadet. Granger schwieg taktvoll, als er sich in den Sitz zurücklehnte und nach Atem rang. „Es ist eine Wasserflasche im Handschuhfach.", sagte sie dann. „Falls du Durst hast."

Draco hatte Durst, aber hatte keine Ahnung, wo sich das Handschuhfach befand. Granger schien dies zu ahnen, denn sie lehnte sich etwas zu ihm hinüber und öffnete mit ihrer linken Hand das Fach vor ihm. „Danke.", sagte Draco widerwillig. Er nahm die Plastikflasche und trank einen Schluck. Das Material kam ihm noch immer seltsam vor, aber er hatte sich im Krankenhaus daran gewöhnt. Tag für Tag lernte er mehr über die Muggelwelt und kam ein wenig besser mit ihr zurecht. Wahrscheinlich war das gut so, schließlich war er nun mehr oder weniger ein Muggel. Draco presste die Lippen zusammen. Er hasste es. Er hasste die Fremdartigkeit dieser Welt. Er hasste die Art, wie Leute ständig über Dinge redeten, die er nicht verstand und nicht verstehen wollte. Er hasste es, dass alles, selbst der Geruch, der Geschmack und die Art, wie Dinge sich anfühlten, ihm fremd war.

„Wir hatten nur sehr wenig Zeit, alles zu organisieren.", sagte Granger, während sie ihren Wagen auf eine große Straße steuerte. Eine Autobahn, erinnerte sich Draco von den Kinofilmen, die er gesehen hatte. Der Geruch von verbranntem Erdöl oder etwas ähnlichem stieg ihm in die Nase. „Ich hoffe, du sprichst französisch, denn ich habe dir einen kanadischen Pass besorgt. Ich hielt es für das Beste, deinen Geburtsort ins weitere Ausland zu verlegen, so wird es weniger wahrscheinlich, dass jemand unpassende Fragen stellt. Wir können es zurzeit nicht riskieren, dich außer Landes zu bringen." Sie ging nicht näher darauf ein, aber es rief Besorgnis in Draco hervor. Hatte der Dunkle Lord das Ministerium bereits so stark infiltriert, dass er dessen Ressourcen zur Überwachung internationaler Reisewege nutzen konnte? Selbst wenn, warum würden sie nach ihm suchen? „Fürs erste habe ich dich als einen entfernten Verwandten meiner Familie ausgegeben. Es war das einzige, was auf die Schnelle in Frage kam."

Draco sah sie schockiert an. Hatte er das richtig verstanden, sie wollte ihn bei ihren Muggelverwandten unterbringen?

„Ich habe eine Mappe zusammengestellt, in der sich alle Informationen über deine Vorgeschichte befinden, die in verschiedenen Situationen zur Sprache kommen könnten. Ich schlage vor, du liest sie sorgfältig. Ich habe schon vor einer Weile dafür gesorgt, dass keine Verbindung mehr von meinen Eltern zu mir hergestellt werden kann. Sie haben ihren Namen geändert und sind in eine andere Stadt gezogen. Mir wäre es lieber gewesen, sie hätten England ganz verlassen, aber ich schätze, meine Sturheit ist vererbt." Sie lächelte flüchtig. „Wie auch immer, es sollte sicher sein, aber du musst trotzdem sehr vorsichtig sein."

Draco nickte benommen. „Was... wer bin ich dann, im Verhältnis zu ihnen?"

„Ein Neffe meiner Tante mütterlicherseits, sie ist vor etlichen Jahren nach Kanada ausgewandert. Der Mädchenname meiner Mutter war Conté, das ist der Name, den meine Eltern angenommen haben. Die Schwester meiner Mutter heißt Claudia. Wir haben nur sehr sporadischen Briefkontakt mit ihr. Es steht alles in der Mappe. Ich habe auch Fotos beigefügt, nur um sicher zu gehen. Ich nehme nicht an, dass du diesem Teil der Familie jemals begegnen wirst. Wenn alles gut geht, können wir dir in ein paar Jahren eine bessere Identität verschaffen."

„Ich verstehe.", sagte Draco. „Danke."

Granger nickte nur, und lenkte das Auto auf eine Ausfahrt zu. In der Ferne konnte Draco das Meer glitzern sehen.

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„Leider, leider haben wir geschlossen.", sagte Fred, bevor er die Tür auch nur ganz aufgezogen hatte. Als er sah, wer dahinter stand, erstarrte er einen Moment vor Überraschung. „Tigris!" Er suchte einen Moment nach Worten, aber dann trat er einfach zur Seite. „Komm herein."

„Es tut mit leid, wenn ich störe.", sagte Harry.

„Nein, nicht im Geringsten! Verzeihung, ich muss nur kurz meine Gehirnzellen wieder einsammeln. George!", schrie er. Fred bemerkte mit Genugtuung, dass Harry zusammenzuckte. Geschah ihm recht! Der Bastard hatte sich Ewigkeiten nicht gemeldet und nun stand er plötzlich vor der Tür. „George, komm her! Du glaubst nicht, wer hier ist!"

George, der dabei gewesen war, ihre Tageseinnahmen zu zählen, kam um die Ecke und blieb ebenfalls erst einmal verblüfft stehen. Dann legte er den Kopf schief. „Hmm, du siehst aus wie jemand, den ich mal gekannt habe. Ein paar mehr Falten und graue Haare, aber die Zeit nagt an uns allen. Es ist ein paar Jahre her, aber es fällt mir bestimmt gleich ein... Hilf mir, Fred... Wie heißt dieser Typ noch mal?"

Fred grinste als Harrys Verlegenheit zunahm.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe.", sagte Harry. „Ich hatte so viele Dinge um die Ohren und es war wirklich schwierig..."

„Wir dachten schon, du willst nichts mehr mit uns zu tun haben.", sagte George. Diesmal machte er keinen Spaß. Fred wusste, sein Bruder war enttäuscht von Harry. Fred ging es ebenso, aber er verstand auch, dass es nicht leicht für Harry war. Einen Malfoy zu spielen konnte für niemanden leicht sein. Dennoch, es hatte wehgetan, dass er nur selten schrieb und niemals vorbei kam.

Harry biss sich auf die Lippen. „Niemals! Ihr gehört zu meinen ältesten Freunden. Ich wollte kommen, wirklich. Es ist nur..." Er sah zu Boden. „Ich war mir nicht sicher... mit Percy und allem..."

„So ein Quatsch!", sagte George ärgerlich. „Sicher, wir halten dich für einen Idiot, dafür das du dich mit ihm abgibst..."

„... aber wir haben dich oft genug eingeladen, oder?", beendete Fred den Satz.

Harry errötete. In seinem blassen Gesicht war die Röte noch deutlicher sichtbar.

„Na ja, wenigstens bist du jetzt hier.", sagte George grummelnd. „Du kannst es später wieder gut machen. Jetzt laden wir dich erst mal auf etwas zu Trinken ein."

Harry sah auf, überrascht und dankbar.

Fred lächelte. „Wir sind nur bei auserwählten Individuen nachtragend. Du gehörst bislang noch nicht zu diesem illustren Kreis. Komm her." Er zog Harry in eine Umarmung. Der grauhaarige Junge war steif, als wüsste er nicht genau, wie er damit umgehen sollte. Das war mit Harry schon immer so gewesen. Es machte Fred ein wenig wütend auf die Muggel, mit denen Harry aufgewachsen war. Er war froh darüber, dass George und er die Gelegenheit genutzt hatten, ihnen verhexte Süßigkeiten unterzujubeln. Es machte ihn außerdem wütend auf die Malfoys, aber das war nichts Neues. „Komm.", sagte er, in einem herzlicheren Ton, und schlang einen Arm um ihn. „Ich bin sicher, es gibt viel zu erzählen."

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Ted kroch unter den Brombeerbüschen entlang und fluchte leise, als sich eine Ranke in seinem Hemd verfing und ein Loch hineinriss. „Felicitas!", zischte er leise. Er konnte nicht zu laut rufen, oder seine Mutter würde ihn hören. Sie würde mächtig sauer sein, wenn sie wüsste, dass er sich im Garten herumtrieb. Aber was sollte er auch machen, wenn sein verdammter Kniesel einfach aus dem Fenster sprang! Was, wenn sie sich verletzt hatte? Er musste sie finden und zurückbringen, bevor ihr etwas passierte.

Nach einigem Suchen fand er sie schließlich in einer von Ranken überwucherten Erdgrube. Er schob sich so nah heran, wie es ging. „Komm heraus, Felicitas.", sagte er leise, die Hand ausstreckend. „Komm nach Hause, komm! Ich habe auch etwas Leckeres für dich!" Sein Kniesel betrachtete ihn nur mit einem vernichtenden Blick und kauerte sich weiter in die gegenüberliegende Ecke der Grube. Ted wühlte in seinen Taschen und fand schließlich einen Streifen getrockneten Fisch, den er der Katze hinhielt. „Komm, das ist lecker. Komm!"

Felicitas zögerte einen Moment, aber konnte schließlich dem Fisch nicht länger widerstehen und kroch langsam näher, um daran zu schnuppern. Als sie schließlich den Kopf nach vorne streckte, um hinein zu beißen, beugte sich Ted vor, um sie zu packen – und rutschte kopfüber in die Grube hinunter.

„Verdammt.", murmelte er. Seine Kleider waren ruiniert. Nun würde seine Mutter auf jeden Fall merken, dass er draußen gewesen war! Die Katze saß seelenruhig einige Meter entfernt und knabberte an ihrem Fisch. Ted seufzte. „Du blödes Vieh. Wegen dir bekomme ich wieder Ärger."

Felicitas sah ihn an und leckte sich einmal mit ihrer langen rosa Zunge über das Maul, so als verstünde sie jedes Wort was er sagte und lachte über ihn. Ted warf ihr einen bösen Blick zu. Er begann gerade zu überlegen, wie er wieder aus der Grube herauskam, als er Stimmen in der Nähe hörte. Er duckte sich erschreckt. Es waren nicht die Stimmen seiner Eltern.

„Die Erwachsenen sind im Haus.", sagte ein Mann. „Aber das Kind ist verschwunden."

„Der Bengel kümmert mich nicht. Ich will nur die Frau.", antwortete eine kalte Stimme. „Ich habe dafür gesorgt, dass sie nicht apparieren können. Erledigt den Mann und bringt sie zu mir – nein, warte. Bringt sie beide. Das macht sie vielleicht geneigter, zu reden."

„Ja, Sir."

Jemand lachte boshaft.

Ted kauerte sich tiefer in die Grube, vor Furcht gelähmt. Dies mussten die bösen Leute sein, von denen seine Eltern gesprochen hatten. Sie hatten ihm verboten, aus dem Haus zu gehen, weil es gefährlich war. Sie hatten oft darüber geredet, dass furchtbare Dinge geschahen, wo sie auftauchten. Nun wünschte er sich, er hätte auf sie gehört. Sein Kniesel kam zu ihm und schnurrte beruhigend. Er schlang die Arme um sie und presste sie schützend an sich.

Ein wenig später hörte er die Geräusche einer Explosion und dann das Knistern von Feuer. Als er nach oben sah, war der Himmel in flackerndes Rot getaucht. Der Geruch von Rauch stieg ihm in die Nase. Die Katze wand sich in seinem Griff, aber er hielt sie fest. Jemand schrie, und erst nach einer Weile erkannte Ted die Stimmen seiner Eltern. Sie waren verzerrt vor Furcht.

„Du weißt, wer der Geheimnisbewahrer des Phönixordens ist. Sag es mir.", sagte die kalte Stimme.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.", antwortete die zitternde Stimme seiner Mutter. „Ich habe nichts zu tun mit..."

Ein Schrei unterbrach sie.

„Ich befürchte, ich habe nur wenig Geduld. Ich weiß bereits, dass du es weißt, es hat keinen Sinn es zu leugnen. Sag es mir, und ich lasse euch am Leben."

Seine Mutter lachte schrill. „Sie töten uns doch so oder so! Ich werde es Ihnen nicht sagen, niemals!"

„Deine Entscheidung."

Ein erneuter Schrei, lauter diesmal. Ted presste die Hände auf die Ohren, aber die Schreie ließen sich nicht ausschließen. In der Nähe ihres Dorfes lebten Bauern, und Ted war einmal zu einem der Höfe hinunter gelaufen, neugierig darauf, wie die Muggel lebten. Sie hatten gerade Bullen geschlachtet, und Ted erinnerte sich an die furchtbaren, gequälten Geräusche der Tiere, als sie in ihren Tod gezogen wurden. Er hatte danach nächtelang Albträume gehabt. Die Schreie nun erinnerten ihn daran. Sie waren kaum noch als menschlich zu erkennen. Ted rollte sich zusammen, gelähmt vor Entsetzen.

„Es ist Fleur! Fleur Weasley ist der Geheimnisbewahrer! Sie lebt in Haus Potter, in Helenshill Nummer zehn.", schrie seine Mutter schließlich. „Hör auf! Bitte hör auf!"

„Das war doch ganz einfach, oder?", sagte die Stimme kalt, spöttisch.

Teds Mutter schluchzte.

„Emmi..." Ted erkannte die Stimme seines Vaters fast nicht, so heiser und verzerrt war sie. „Nein, Emmi..."

„Danke, Emmeline.", sagte die schreckliche Stimme, heimtückisch freundlich. „Du bist sehr nützlich für mich gewesen. Avada Kedavra."

Ein Blitz aus grünem Licht mischte sich in das Rot des Feuers, und eine Sekunde später war alles entsetzlich still. Ted wimmerte leise.

„Geht!", befahl die Stimme harsch. „Morsmordre!" Ein weiteres grünes Licht, ein unheimliches Glühen, erhellte den Himmel und verblasste nicht. Ein unheimliches Zischen ertönte und Ted kauerte sich furchterfüllt zusammen.

Etwas raschelte, und Ted kroch aus reinem Instinkt weg von der Richtung, aus der es kam. Er duckte sich zwischen ein paar Wurzeln, auch wenn er wusste, dass sie ihn nicht verbergen konnten. Zwischen den Blättern tauchte der Kopf einer Schlange auf. Ted atmete erleichtert auf, als er die bunte Färbung einer Kornnatter erkannte. Seine Cousine hatte eine Kornnatter, und er wusste, dass sie nicht gefährlich war. Sein Kniesel jedoch war anderer Meinung. Die Katze stellte sich zwischen ihn und die Schlange, ihr Fell gestäubt, und fauchte bedrohlich. Die Schlange erhob sich aus dem Laub und zischte zurück. Sie umkreisten einander, bis plötzlich die Schlange sich abwandte und auf Ted zusauste. Die Katze jagte ihr nach, aber war zu langsam. Die Schlange hatte bereits ihre Fänge in Teds Arm gegraben. Ted griff nach seinem Arm, mehr überrascht als verängstigt. Er spürte keinen Schmerz. Einen Moment später wurde alles um ihn herum schwarz.

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„Wie blind seid ihr, dass ihr das Offensichtliche nicht seht?", schrie Ron Weasley. Sein Gesicht hatte sich rot verfärbt vor Zorn, und er hatte sich aus seinem Sitz erhoben. „Sie lesen uns wie Hühner von der Stange! Es gibt nur eine Erklärung dafür – jemand hat ihnen Namen gegeben. Jemand in diesem Raum hat uns verraten!"

Zustimmendes Murmeln ertönte von einigen Stellen des Tisches. Tonks sah sich unsicher um. Der Gedanke, dass einer ihrer Freunde sie verraten hatte, erfüllte sie mit Unruhe. Ron hatte jedoch Recht, es war unheimlich, mit welcher Präzision die Todesser in letzter Zeit Mitglieder des Ordens angegriffen hatten. Einige Blicke am Tisch wanderten unwillkürlich zu dem leeren Platz rechts von Dumbledore. Snape hatte schon seit einer Weile nicht mehr an ihren Versammlungen teilgenommen, aber Dumbledore hatte ihnen niemals eine Erklärung dafür gegeben.

„Ich gebe zu, die kürzlichen Ereignisse sind besorgniserregend.", sagte Dumbledore ruhig. „Das ist jedoch kein Grund, unhaltbare Anschuldigungen in den Raum zu stellen. Vergesst niemals, nur gemeinsam sind wir stark. Wenn wir beginnen, uns untereinander zu misstrauen, wenn wir unsere Kräfte spalten, spielen wir nur Voldemort in die Hände."

Ron schlug mit der Faust auf den Tisch. „Du hast immer nur schöne Worte für uns, Albus! Ich bin es leid tatenlos herumzusitzen. Wir kennen doch die Schuldigen! Wir müssen handeln, bevor sie es tun!"

„Ich weiß, einige von euch wollen am liebsten unbedacht losstürmen." Dumbledores Tonfall war noch immer ruhig, aber hatte einen harten Unterton hinzugewonnen. Sein Augenzwinkern war verschwunden. „Aber wir werden diesen Krieg nicht gewinnen, wenn wir überstürzt handeln. Unsere Interventionen müssen wohlüberlegt sein. Wir müssen die Ressourcen nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Uns in nutzlose Kämpfe zu verwickeln ist genau das, was Tom Riddle will. Er will uns ablenken von seinen eigentlichen Plänen. Das ist der wirkliche Grund, warum er zulässt, dass Todesser wie Lestrange diese scheinbar sinnlosen Anschläge verüben. Sein eigentliches Ziel ist die Kontrolle über das Ministerium. Wir müssen mit den Kräften im Ministerium zusammenarbeiten, nicht gegen sie."

„Scheiß auf das Ministerium.", fuhr Ron Dumbledore ins Wort. Mrs. Weasley öffnete empört den Mund. „Wozu existiert diese Gruppe, wenn wir nur am Gängelband des Ministeriums hängen? Ich bin beigetreten, weil ich dachte, dass wir handeln, während das Ministerium zu feige ist, es zu tun. Aber stattdessen sitzen wir nur herum, und reden. Ich habe genug davon!"

Tonks wurde klar, dass Ron Dumbledore überhaupt nicht zugehört hatte. Er hatte nichts im Kopf außer seinem blinden Jähzorn.

Dumbledore seufzte. Er sah älter aus, als gewöhnlich. Diese Diskussionen waren nicht neu. Ron war nicht der einzige, der ungeduldig war, aber er gab dem Missmut die lauteste Stimme. Sie verstanden Dumbledores Vorgehen nicht, sein Planen, sein Abwarten. Tonks war von sich selbst überrascht, dass sie es verstand. Es war nicht so, dass sie über Dumbledores Pläne Bescheid wusste, das nicht. Aber sie wusste, dass er Recht hatte – dieser Krieg war nicht mit blindem Aktionismus zu gewinnen. Sie vertraute Dumbledore. Ein Teil von ihr war sehr enttäuscht davon, dass nicht alle im Orden das taten.

„Es ist natürlich allein deine Entscheidung, ob du uns weiterhin unterstützen willst.", sagte Dumbledore.

Ron wurde noch röter als er schon war. „Dreh mir doch nicht die Worte im Munde um! Natürlich will ich den Orden unterstützen! Ich sage nicht, ich will nichts tun, hörst du mir nicht zu? Ich will mehr tun!"

„Was willst du denn mehr tun, Ron?", fragte Dumbledore. „Ich habe dir bereits erklärt, dass wir geduldig sein müssen."

„Wozu?", fauchte Ron. „Wir wissen doch, wer sie sind! Das Ministerium mag es nicht glauben, aber wir sind nicht das Ministerium, oder? Sie haben uns zuerst angegriffen! Wir sollten das einzig Vernünftige tun, und zurückschlagen!"

Tonks presste die Lippen zusammen. Zu ihrem Entsetzen sah sie einige Mitglieder des Ordens, die zustimmend nickten.

„Mord mit Mord zu beantworten wird nur dazu führen, dass es keinen Unterschied mehr gibt zwischen uns und dem was wir bekämpfen. Wenn wir beginnen zu denken wie die Todesser, wenn wir Leben gegen Leben aufrechnen und die Unverzeihlichen benutzen wie gewöhnliche Zauber – wenn wir vergessen, was sie mit der Seele desjenigen anrichten, der sie spricht – dann sind wir nicht länger Verteidiger des Lichts, sondern sind selbst Teil der Dunkelheit geworden.", sagte Dumbledore. „Solange ich lebe wird das niemals geschehen."

„Also sollen wir nur dasitzen und abwarten, wie sie uns einen nach dem anderen erledigen?", entgegnete Ron ärgerlich.

„Es gibt andere Wege..."

„Keiner deiner Wege hat sich bisher als effektiv erwiesen! Ich habe genug von dieser Farce!" Ron zog eine zornige Grimasse, und stürmte aus dem Raum. Die Tür schlug hinter ihm ins Schloss.

„Ronald Bilius Weasley!", rief Molly Weasley empört, aber Ron war längst aus ihrer Hörweite.

Amos Diggory, der bislang nicht viel gesagt hatte, richtete sich auf.

„Warum stimmen wir nicht ab?" Es war ein leise gesprochener Satz, aber er rief Stille im Raum hervor. „Viele von uns sind der Meinung, dass die Zeit zum Handeln schon lange gekommen ist." Er hob seine eigene Hand demonstrativ. „Ich sage, wir haben das Recht, uns zu verteidigen, wenn wir angegriffen werden. Ich sage, wir haben das Recht, unsere Kinder zu schützen, unsere Freiheit, unsere Zukunft. Der Feind kümmert sich nicht um Regeln. Wenn wir jetzt nicht handeln, sind wir nichts als Lämmer auf der Schlachtbank. Wer ist meiner Meinung?"

Murmeln erhob sich, empörte Stimmen redeten durcheinander. Aber nach und nach hoben sich Hände am Tisch, bis mehr als ein Drittel der Anwesenden ihre Zustimmung bekundeten. Tonks sah zu Dumbledore, aber der alte Zauberer tat nichts. Er sah nur müde aus, und, wenn man genau hin sah, enttäuscht und traurig.

„Fred, George!", schrie Molly.

„Sorry, Mum." „So schwer es fällt das zu sagen..." „...Ron hat diesmal Recht. Wir warten schon seit Jahren darauf..." „...endlich handeln zu können." Die Stimmen der Zwillinge klangen belustigt, aber ihr Gesichtausdruck war ernst.

„Was ist mit dir, Bill?", fragte Fred. „Emmeline Vance war deine Geheimnisbewahrerin. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie hinter Fleur und den Kindern her sind."

„Fleur ist in Sicherheit.", sagte Bill, sein Gesicht starr. „Ich werde das Andenken unseres Vaters nicht in den Schmutz ziehen, indem ich zum Mörder werde. Dumbledore hat Recht. Kommt zur Vernunft!"

Dumbledore stand auf. „Ich weiß, einige von euch sind unzufrieden mit meiner Art, diese Gruppe zu leiten. Ich könnte euch viele Dinge sagen. Ihr wisst, dass ich nicht alle meine Informationen mit euch teilen kann, es ist zu gefährlich. Ihr wisst, dass ich unprovozierte Angriffe nicht gutheißen kann. Ihr wisst, dass es das Ziel dieser Gruppe ist, Voldemort zu bekämpfen und nicht, die Kräfte auf unserer Seite durch Anschläge aufzuspalten, die ebenso terroristisch und verwerflich sind, wie die der Gegenseite. Letztendlich jedoch wurde all dies in der einen oder anderen Form schon gesagt. Am Ende muss jeder von euch mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren, was er tut. Mir bleibt nur übrig zu sagen, dass dieser Orden aus gewissen Idealen besteht. Wer sich nicht länger mit ihnen identifizieren kann, für den ist kein Platz hier unter uns." Albus streckte beschwörend die Hände aus. „Ich bitte euch, überlegt es euch gut. Wir können nicht Monster bekämpfen, indem wir selbst zu ihnen werden. Ihr begeht einen furchtbaren Fehler."

Einige der Leute, die ihre Hand gehoben hatten, zögerten. Amos Diggory stand auf, wortlos, und verließ den Raum. Ein paar unsichere Blicke, ein paar grimmige Gesichter, dann erhob sich ein knappes Dutzend der Anwesenden, und folgte ihm. Fred und George waren unter ihnen. Molly schluchzte und Bill legte den Arm um sie. Tonks konnte an seinem Gesicht sehen, dass er nur schwer seinen Zorn im Zaum hielt.

Albus setzte sich wieder, sein Gesichtausdruck sehr ernst. „Ich verstehe ihren Zorn.", sagte er. „Zorn bringt Menschen dazu, törichte Dinge zu tun. Ich hoffe, dass sie alle bald erkennen werden, auf welchem Irrweg sie sich befinden. Es ist wichtiger als je zuvor, dass ihr, ihre Freunde und Familie, für sie da seit, wenn das geschieht." Er sah zu Bill und Molly, als er das sagte. Bill nickte nur, ohne ihn anzusehen.

Dumbledore ließ seinen Blick über den verbleibenden Orden wandern. „Ihr Verlust trifft uns hart, aber leider haben wir nicht die Zeit, darüber zu reden. Ron hatte in einem Punkt Recht – wir müssen handeln, wir müssen die beschützen, die in Gefahr sind. Lasst uns darüber reden, was zu tun ist."

Als die Versammlung sich auflöste, blieb Tonks noch einen Moment zurück. „Geht es Hermione gut?", fragte sie. „Sie hat nun schon bei zwei Versammlungen gefehlt."

Albus strich sich müde über seinen Bart. „Sie arbeitet an einem speziellen Projekt, dass mehr Zeit in Anspruch nimmt, als wir dachten." Er sah plötzlich alt und grau aus, und Tonks betrachtete ihn besorgt.

„Ist mit dir alles in Ordnung, Albus? Es ist furchtbar, was heute geschehen ist, aber wir sind nicht alle wie diese... diese..." Ihr fehlten die Worte und sie holte tief Luft. „Du hast sie doch gesehen – Molly und Bill, viele der anderen. Wir stehen hinter dir, was auch geschieht."

Albus lächelte ihr zu, aber sein Augenzwinkern war müde. „Ich weiß, Tonks, und ich bin sehr froh darüber."

„Aber du fühlst dich verantwortlich für den Rest?", riet sie. Sein Gesichtsausdruck sagte ihr, dass sie Recht hatte. Ärger wallte in ihr auf, Wut auf den Hitzkopf Ron, Diggory, und all die dummen Idioten, die ihm nachliefen. Wo war ihr gesunder Menschenverstand? Wie konnten sie den Orden im Stich lassen, gerade jetzt, wo sie so dringend gebraucht wurden? Was würden sie anrichten? Wenn sie sich nicht in Acht nahmen, würde der Orden bald an zwei Fronten kämpfen. „Du musst dich nicht für alles verantwortlich fühlen.", sagte sie heftig. „Vertraue uns. Teile einen Teil deiner Last mit uns. Wie du gesagt hast, wir kämpfen zusammen, Seite an Seite. Du musst nicht immer die große Schildkröte für uns sein."

Albus sah sie halb überrascht, halb amüsiert über seine halbmondförmigen Brillengläser an. „Wie bitte?"

Tonks spürte, wie sie verlegen errötete. „Es ist nur etwas, das Quanah gesagt hat. Quanah Longman, du erinnerst dich sicher an ihn." Quanah war einer der Kontakte des Ordens in Amerika, der vor einigen Monaten zu Besuch gewesen war. „Er hat uns eine Geschichte seines Volkes erzählt, von der großen Schildkröte, die die Welt auf ihrem Rücken trägt. Er sagte, du erinnerst ihn an diese Geschichte."

Albus lachte leise. „Ich versuche wirklich, mir nicht die ganze Welt aufzubürden." Dann jedoch wurde er schlagartig ernst und ein Glitzern trat in seine Augen. Er stand ruckartig auf. „Tonks, du hast mich da an etwas erinnert. Ich muss etwas nachprüfen. Entschuldige mich bei den anderen, bitte."

Er wandte sich ab, und bevor sie etwas sagen konnte, war er schon in der Feuerstelle verschwunden. Sie starrte ihm mit offenem Mund nach.

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Fünf Schatten rannten einen Hügel hinauf. Es war Nacht, aber fahles Mondlicht erhellte die Landschaft und machte alle Versuche, sich zu verbergen, zunichte. Nicht weit vor ihnen befanden sich Bäume, der Beginn einer Allee, die auf ein großes Landhaus zuführte. Die Schatten bewegten sich mit der Schnelligkeit und Eleganz angreifender Raubtiere. Sie wussten, sobald sie die Allee erreichten konnten sie aus dem Blickfeld der Bewohner des Hauses verschwinden.

Sie hatten ihr Ziel fast erreicht, als etwas Eigenartiges geschah – das Haus und die Allee erzitterten, wie ein Spiegelbild im Wasser eines turbulenten Sees. Einen Moment später waren sie verschwunden, und kahles Land erstreckte sich an ihrer Stelle. Die Schatten hielten inne und ein Wutschrei entrang sich einem von ihnen.

„Der Fidelius muss verankert gewesen sein.", sagte ein anderer, kühl und ruhig. „Sie haben ihn auf einen anderen Geheimnisbewahrer übertragen."

Der Mann der aufgeschrieen hatte fuhr herum, und der Sprecher fiel zu Boden und schrie unter Schmerzen.

Danke, dass du mir das Offensichtliche erläutert hast, Severus.", zischte der Mann. Er drehte sich zu der Stelle um, wo das Haus verschwunden war und ballte die Fäuste. Schließlich wandte er sich ab und ging, es den anderen überlassend, sich um den zu kümmern, den er verflucht hatte. Am Fuß des Hügels disapparierte er, und der Fluch endete, als er verschwand.

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Narcissa war wohlauf. Es gab keinen wirklichen Grund, warum Severus so häufig Malfoy Manor besuchte. Seine Nachfragen nach ihrer Gesundheit waren nichts weiter als ein durchsichtiger Vorwand, aber es war ein Anzeichen für den Geisteszustand der Bewohner, dass niemand seine Besuche in Frage stellte.

Severus hatte eine lukrative Anstellung in einem Forschungsinstitut gefunden. Es war die Stelle, die er sich seit seiner Meisterprüfung gewünscht hatte. Jahre vorher hatte ihn seine Rolle als Doppelspion gezwungen, sie abzulehnen, aber heute brauchte er sich nicht länger darum zu kümmern. Mehr noch, er hatte alle Hilfe die er brauchte, sich das Beste vom Besten auszuwählen. Umso weniger Grund bestand, seine Zeit damit zu vergeuden, die Malfoys zu bemuttern. Dennoch war Severus alle paar Tage im Herrenhaus anzufinden.

Severus hatte ein neues Interesse daran gefunden, Tigris Malfoy zu beobachten. Als ein Spion war es ihm in Fleisch und Blut übergegangen, den Störungen im Muster des alltäglichen Verhaltens von Menschen mehr Aufmerksamkeit zu widmen als irgendjemand sonst. Severus mochte seine Schwierigkeiten haben, mit Menschen umzugehen, aber das hieß nicht, dass er sie nicht verstand. Im Gegenteil. Er war ein Experte darin, zu erkennen, was sie antrieb und warum. Gewöhnlich konnte er das Verhalten der Menschen vorhersagen wie den Verlauf eines Flusses in einer wohlbekannten Landschaft. Wenn das einmal nicht der Fall war, war sehr wahrscheinlich ein Faktor im Spiel, der ihm unbekannt war. Es war seine Aufgabe als ein Spion gewesen, diese Faktoren herauszufinden. Severus besaß jedoch genug Selbsterkenntnis, zuzugeben, dass er auch gerne seiner Neugier nachgab.

Im Moment trat Severus einen Schritt zurück, in seinem Blick Tigris und Rabastan, die im Salon ins Gespräch vertieft waren. Die beiden hatten ihn nicht gesehen, sie waren zu vertieft in ihre Unterhaltung und Severus war zu gut darin, unauffällig zu sein. Es wäre sein gutes Recht gewesen, sich zu ihnen zu gesellen, sicher. Er war ein Mitglied des Inneren Kreises, wie sie. Ihr Gleichgestellter. Dennoch hatte er sich dagegen entschieden. Er gestand sich nicht selbst ein, dass es aus Furcht war. Tigris war unberechenbar in letzter Zeit. Rabastan konnte offenkundig damit umgehen. Severus konnte es nicht. Er hatte ein Talent dafür, das Falsche zu sagen.

Abgesehen davon, Severus wusste nur zu gut, dass er und Tigris alles andere als Gleichgestellte waren. Keiner wagte es auszusprechen, aber Tigris war der Stellvertreter des Dunklen Lords, auch wenn der Lord in nie dazu gemacht hatte – und wahrscheinlich jeden verfluchen würde, der dergleichen behauptete.

Ein Stellvertreter mit der Tendenz, ebenso psychopathisch zu werden, wie ihr Lord. Tigris entwickelte sich schneller als erwartet zu einem von Rache besessenen Schwarzmagier, der in guten Momenten instabil, in schlechten eine Gefahr für alle um ihn herum war. Tigris war immer unbeherrscht gewesen, aber in letzter Zeit neigte er dazu, jeden zu verfluchen, der etwas sagte, das ihm nicht passte. Lucius hatte diese Erfahrung schon einige Male gemacht, was der Grund dafür war, dass er sich im Moment in seinem eigenen Haus versteckte.

Severus runzelte in der Dunkelheit die Stirn. Tigris hatte Rabastan Lestrange nie gemocht, aber plötzlich schmiedete er Pläne mit ihm als sei er ein alter Freund. Tigris hatte etliche Grausamkeiten begangen, aber er war immer davor zurückgeschreckt, Unschuldige umzubringen. Plötzlich schien ihn das nicht mehr zu kümmern. Nichts zählte außer seiner Vendetta gegen den Orden des Phönix, den er aus einem verrückten Grund für Dracos Tod verantwortlich machte. Es ergab keinen Sinn. Severus hasste es, wenn Dinge keinen Sinn ergaben.

Hatte Dracos Tod Tigris wirklich dermaßen getroffen? So stark, dass sich seine Persönlichkeit dermaßen änderte? Es erschien so unglaubwürdig. Sicher, der Tod eines Zwillings war ein Trauma. Aber Tigris hatte nie wie jemand gewirkt, der sich so stark davon beeinflussen ließ. Er war nicht gefühllos, aber er ließ sich nicht von seinem Weg abbringen. Severus war immer der Ansicht gewesen, dass Tigris ein Mann mit einem Ziel war. Er kannte dieses Ziel zwar nicht, aber es war eindeutig in der Zielstrebigkeit, die allem was Tigris tat inne lag. Die Art, wie er stur mit bestimmten Dingen weiter machte, obwohl er sie offensichtlich nicht tun wollte. Selbst der Moment, in dem er sich entschieden hatte, Severus nicht auszuliefern, schien ein Kalkül zu enthalten. Was immer es gewesen war, es war verschwunden. Was Tigris im Moment tat, war Akt um Akt blinder, sinnloser Gewalt. Gewalt, die sich um ihrer selbst willen zelebrierte. Severus konnte nicht glauben, dass Dracos Tod das bewirkt hatte. Es musste einen anderen Grund geben, und er würde ihn herausfinden.

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Draco starrte auf den seltsamen Raum und die zwei Muggel darin, die ihn freundlich anlächelten. Das Haus, zu dem ihn Granger gebracht hatte, war ein kleines Haus in einer langweiligen, von Muggeln geprägten Gegend mit etlichen weiteren gleichermaßen kleinen Häusern. Sie reihten sich in der Straße in der sich das Haus befand aneinander, jedes mit dem gleichen kleinen Garten davor. Jedes war ein wenig anders – ein wenig anders gebaut, andere Farben, andere Pflanzen im Garten – und doch jedes auf so triste Weise gleich, wie die Buchsbaumkugeln im Garten seiner Mutter.

Die Muggel begrüßten ihn herzlich, so als wäre er ein lang erwarteter Gast. Draco wusste nicht, was er zu ihnen sagen sollte. Sie erinnerten ihn an wohltrainierte Schoßhunde, die bellten und mit ihren Schwänzen wedelten, wenn sich Besuch ankündigte. Wie ein Mensch, der Hunde verabscheute, traute er sich nicht, es sich anmerken zu lassen, solange ihr stolzer Besitzer daneben stand. In diesem Fall war es Granger, die hinter ihm stand. Sie wirkte ein wenig nervös, doch zur gleichen Zeit so verdammt bestrebt, alles richtig zu machen. Draco fand sich unfähig, sie zu enttäuschen.

„Ich bin Bernard", sagte der Muggel, „und das ist Hannah. Daniel, richtig?" Er steckte die Hand aus.

Draco überwand sich und ergriff sie. Seltsam, es war ihm leichter gefallen, als die Muggel im Krankenhaus ihn anfassten. Aber da hatte er auch keine Wahl gehabt. Außerdem, dort hatte er sich um Krankheiten und dergleichen keine Gedanken gemacht. Dafür war es, na ja, ein Krankenhaus. Er schaffte es nicht, etwas zu sagen. Stattdessen nickte er nur.

„Hermione hat uns gesagt, dass du eine schwierige Zeit hinter dir hast.", sagte der Muggel. „Keine Sorge, du wirst genug Zeit haben, dich zu erholen. Wir sind mehr als froh, einem Freund unserer Tochter zu helfen."

Draco sah sich ungläubig zu Granger um. Granger lächelte ein wenig schuldbewusst. Offensichtlich hatte sie die Tatsachen gegenüber ihren Eltern ein wenig beschönigt.

„Wir sind also Freunde, Granger?", sagte er amüsiert. „Sieh an, sieh an. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du mich in so warmer Erinnerung behalten hast."

Granger wurde erst rot, dann weiß vor Zorn. „Sei dankbar, dass ich mich überhaupt erinnere.", sagte sie zuckersüß. „Es stimmt, ich hätte mich auch an anderes erinnern können. Du willst nicht vielleicht näher darauf eingehen?"

Sie wusste sehr wohl, dass Draco das nicht konnte.

Grangers Eltern waren ihrem Gespräch mit Verwirrung gefolgt, und sahen ihre Tochter nun fragend an. Granger winkte müde ab. „Ich erkläre es später. Warum zeigen wir Dr... Daniel nicht erst einmal seinen Raum. Ich bin sicher, er ist erschöpft."

Ihr Blick hielt Draco davon ab, zu widersprechen. Es war ohnehin wahr.

Die Muggel warf ihrem Mann einen unsicheren Blick zu, aber dann lächelte sie erneut. „Also gut, dann komm mit. Wir haben dir das Gästezimmer gegeben..."

Sie redete weiter, während Draco ihr mit etwas Mühe die Treppen hinauf folgte. Der Raum in den sie ihn führte war winzig. Sein Bett aus dem Herrenhaus hätte ihn bereits zur Hälfte eingenommen. Das Bett, das sich darin befand, war jedoch um einiges kleiner, so dass noch Platz für einen Schrank und einen Tisch übrig blieb. Sie sagte etwas von einem Bad am Ende des Ganges, und Draco begriff etwas verspätet, dass es nur ein Bad im ganzen Haus zu geben schien. Was bedeutete, dass alle Leute im Haus sich das Bad teilten! Draco verbarg nur mit Mühe sein Entsetzen. Granger hatte nicht gesagt, dass ihre Eltern arm waren. Vielleicht schämte sie sich dafür. Draco konnte das verstehen, nicht jeder trug seine Armut so unanständig zur Schau wie die Weasleys. Dennoch, seine Zukunft sah gleich noch ein Stück düsterer aus.

„Ruh dich erst einmal aus.", sagte die Muggel. „Ich habe ein paar von Bernhards alten Sachen in den Schrank getan. Ich hoffe, der Schlafanzug passt. Du bist etwas schlanker, aber dafür größer, vielleicht haben wir ja Glück. Sobald es dir wieder besser geht, müssen wir dir etwas Passendes kaufen."

Draco nickte nur dumpf. Seine Eltern hätten einem Gast niemals abgelegte Kleidung angeboten. Aber wer weiß, vielleicht hätten die Weasleys es getan? Draco hatte sich niemals übermäßig mit solchen Dingen beschäftigt.

Die Muggel legte ihm den Schlafanzug aufs Bett, lächelte, und ging. Nicht ohne ihm vorher zu sagen, er solle Bescheid sagen, wenn er etwas wollte. Draco ließ sich auf das Bett sinken und ließ seine Krücken dabei zu Boden fallen. Sie klapperten auf dem teppichlosen Boden. Was er wollte, was er wirklich wollte, war aufwachen, und erkennen, dass dies alles ein Alptraum gewesen war. Er wusste jedoch, dass das nicht geschehen würde, also entschied er sich für das Nächstbeste – zu schlafen, und für eine Weile zumindest alles zu vergessen.

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Tigris fröstelte, als er sein Zimmer betrat. Das Feuer war erloschen und es war eisig kalt in dem Raum. Es war untypisch für die Hauselfen, so sorglos zu sein. Es schien fast, als würde das Haus ein wenig verrückt spielen. Tigris erinnerte sich, dass er ein paar Tage vorher auf einer kaputten Stufe ausgerutscht war, die er nie zuvor bemerkt hatte. Er runzelte die Stirn, aber verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Es war bereits spät, der Lord hatte ihn länger aufgehalten, als er gedacht hatte. Er suchte in seiner Kommode nach dem Fläschchen, und war einen Moment verwirrt, als er es nicht fand. Er war sich sicher, dass es noch halb voll gewesen war.

In letzter Zeit vergaß er öfter Dinge, aber dies war wichtig, es würde ihm nicht entfallen. Er suchte in den tieferen Schubladen nach seinem Vorrat, und sein Argwohn wuchs, als er auch diese Fläschchen nicht fand. Jemand hatte sich an seinen Sachen zu schaffen gemacht! Zorn wallte in ihm auf, aber wurde überdeckt von seiner wachsenden Panik. Was, wenn sie alle verschwunden waren? Er hatte nicht die Zeit, neu zu brauen. Zum Glück war dies nicht sein einziger Vorrat. Er verließ hastig den Raum und eilte die Treppe hinunter zu dem unteren Tränkelabor. Niemand außer ihm benutzte es, also erwartete Tigris auch nicht, jemanden anzutreffen.

Er blieb schockiert stehen, als er sah, dass er erwartet wurde. Snape drehte ein leeres Glasfläschchen zwischen den Fingern, einen hämischen Ausdruck im Gesicht. „Suchst du hiernach?"

Tigris begriff mit einem Gefühl der Übelkeit, dass auch seine Reserve dahin war. Irgendwie hatte Snape es herausgefunden. Einen Augenblick lang verschwamm alles vor seinen Augen, doch dann erfüllte ihn blinde Wut. „Wie kannst du es wagen an meine Sachen zu gehen!", schrie er. Seine Stimme überschlug sich und er musste nach Luft ringen. Er nahm beiläufig war, dass seine Hände zitterten.

„Was hast du dir dabei gedacht?", fragte Snape. „Du scheinst dich für einen verkannten Tränkemeister zu halten... Obskure Tränke brauen, die Rezepte willkürlich verändern... Ich weiß nicht genau, was mich mehr irritiert... die Vorstellung, dass du so unglaublich dumm bist, oder die, dass du es mit Absicht getan hast. Hast du es mit Absicht getan?" Snape klang süffisant, abfällig.

Tigris brauchte nicht lange nachzudenken, bevor er ihn verfluchte. Der Cruciatus brauchte nicht viel Konzentration, aber er entspannte ihn. Tigris ging neben dem schreienden, sich am Boden windenden Mann in die Hocke. „Ich werde dich dafür umbringen.", sagte er gefühllos. „War es das wohl wert?"

Der Fluch erlosch von einem Moment auf den anderen, und Tigris war einen Moment lang zu verblüfft um zu reagieren. Schmerz explodierte hinter seinen Schläfen und es war bereits zu spät als ihm klar wurde, dass jemand ihn von hinten angegriffen hatte, dass Snape ihn ausgetrickst hatte. Normalerweise wäre er niemals so leicht angreifbar gewesen, aber Snape hatte sichergestellt, dass seine ganze Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet war. Nun war es zu spät, und Tigris konnte nur noch seine eigene Dummheit verfluchen, bevor er bewusstlos wurde.


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Einen schönen Advent euch allen!