Disclaimer:
Grund 6 der Gründe warum Harry Potter Joanne K. Rowling gehört und nicht pilarius:
pilarius hätte der Versuchung Albus Dumbledore umzubringen nicht bis zum 6. Band widerstehen können (Gib's zu, Joanne, das ist in Wirklichkeit die Szene, die dich mit boshafter Freude erfüllt hat...).
Schatten der Wahl
Teil 2
30. Schlangenzungen
Hermione war zurück. Draco konnte ihre Stimme und die ihrer Eltern hören, als sie sich leise in der Küche unterhielten, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Er wollte sie sehen, aber gleichzeitig fürchtete er sich vor dem Moment. Er wusste nicht, was er zu ihr sagen sollte. Als er ihre leichtfüßigen Schritte die Treppe hoch kommen hörte, strich er nervös mit seinen Händen über die Decke über seinen Beinen. Er saß noch immer im Rollstuhl, aber sein rechter Arm war inzwischen gut verheilt. Sein linker Arm war noch immer geschient, aber die Ärzte sagten ihm, er würde mit der Zeit vollständig heilen, auch wenn es Monate der Physiotherapie brauchen würde, bis er wieder laufen konnte. Draco war unendlich dankbar für Bernhard, der sich beurlaubt hatte, um Draco bei alltäglichen Dingen helfen zu können.
Als die Tür aufging, zuckte er beinahe zusammen. Hermione sah müde aus, und zum ersten Mal seit Langem trug sie eine Zaubererrobe.
„Darf ich rein kommen?"
Draco nickte und räusperte sich verlegen. „Ich habe nichts Besseres zu tun, wie du siehst." Die Worte klangen bitterer, als er sich fühlte, und er sah hastig zur Seite. Er wusste nicht, warum er es nie schaffte, normal mit ihr zu reden. „Tut mir leid, ich meinte… komm herein, bitte."
Sie trat ein und setzte sich in den Sessel ihm gegenüber und faltete ihre Hände in ihrem Schoss. Eine Zeit lang betrachtete sie ihn wortlos, bis er den Blick abwendete und seinen Stuhl zurück zum Fenster rollte, den Baum davor betrachtend. Manchmal, so wie heute, war das alles, was er tat. Etwas weiter weg befand sich eine Straße, auf der Muggel umtriebig hin und her liefen. Er betrachtete sie, und betrachtete die Vögel auf dem Baum, und beide erschienen ihm gleichermaßen faszinierend und fremd.
„Ich habe lange über diese Situation nachgedacht", sagte sie schließlich, „und es ergibt nicht den geringsten Sinn. Die Art wie du dich verhalten hast, immer seit du hierhergekommen bist… am Anfang habe ich gedacht, es hat mit deinem Gedächtnisverlust zu tun, aber es passt einfach alles nicht zusammen. Ich meine, warum würde dein Bruder dein Gedächtnis überhaupt löschen? Warum diese Art der Rache? Er hat zu Dumbledore gesagt, dass er die Absicht hatte, dich zu foltern, dich umzubringen, aber warum auf so inkompetente Weise? Er hätte dich jederzeit umbringen können, und wenn es so einfach für ihn ist, deine Gedanken zu lesen, wie kommt es, dass er nicht weiß, dass du noch lebst? Ich habe darüber nachgedacht, und nachgedacht… ich habe Kopfschmerzen davon bekommen, weil es dermaßen unlogisch ist. Bis es mir dann aufgegangen ist – er hat es Dumbledore angekündigt, die perfekte, filmreiche Verkündung der boshaften Pläne des Schurken, und wir haben sie vereitelt. Wie großartig, wie heroisch… wie leichtgläubig."
Draco rollte seinen Stuhl zu ihr herum und begegnete ihrem Blick. Sie nickte grimmig.
„Er hatte niemals vor dich umzubringen, nicht wahr? Du bist schließlich sein Bruder. Er hat sich darauf verlassen, dass wir dich in Sicherheit bringen. Hat uns den perfekten Grund gegeben, dich aus der Zaubererwelt fernzuhalten. Du reagierst schließlich allergisch auf Magie. Zudem, du hast alles vergessen, was für uns nützlich sein könnte. Oder vielleicht doch nicht?"
Draco ballte die Fäuste, aber antwortete nicht. Er würde ihr nie sagen können, was er ihr sagen wollte, der Fluch würde das nicht zulassen. Er würde seine Worte verbiegen, sobald sie seinen Mund verließen. Hatte sie die Wahrheit herausgefunden? Was würde passieren, wenn es so war?
„Dein Gedächtnis zu löschen, deine Identität…", fuhr sie fort, „das wäre nicht viel anders als wenn er dich umgebracht hätte, nicht wahr? Nein, ich denke nicht, dass es wirklich das ist, was er getan hat. Ich denke, es war alles ein Theaterspiel, eine Lüge. Er hat etwas anderes getan, ich bin mir nur noch nicht sicher was. Magie fügt dir Schmerzen zu, soviel ist sicher, also das zumindest war die Wahrheit. Er wollte dich in Sicherheit bringen, aber das ist nicht alles. Er ist ein Todesser. Du hast seinen Meister verraten. Er wollte dich ebenso bestrafen, nicht wahr? Dies ist nicht nur Schutz, dies ist ebenso Exil. Wir haben ihm dabei geholfen. Perfide. Wir dachten, du hättest die Erinnerungen eines Muggels, und so haben wir dich auch so behandelt. Haben ihm geholfen, dich zu isolieren, aus unserer Welt auszugrenzen. Warum hast du nie etwas gesagt? Weil du es nicht kannst, nicht wahr? Das ist es, was er getan hat, nicht wahr?"
Als Draco schwieg lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und nickte erneut. „Ich war mir nicht sicher, dass das funktionieren würde. Ich dachte, der Fluch, oder was auch immer es ist, das dich beeinflusst, würde dich dazu bringen, es abzustreiten. Ich bin froh, dass es nicht so ist. Draco."
Draco rollte seinen Stuhl zurück zum Fenster und klammerte seine Hände um die Lehnen. Er konnte fühlen, wie der Fluch ihn dazu drängte, es abzustreiten, sie auszulachen und es als lächerlich abzutun. Er kämpfte dagegen an. Dies war seine Chance die Wahrheit ans Licht zu bringen, und er wollte, dass sie die Wahrheit wusste. „Da ist ein roter Vogel in diesem Baum", sagte er schließlich mühsam. „Ich habe ihn nun schon mehrmals gesehen, ich weiß nicht, wo er hergekommen sein könnte. Ich habe diese Spezies noch nie zuvor hier gesehen."
Sie trat hinter ihn und legte ihre Hände auf seine Schultern. „Danke, Draco."
Sie verharrten eine Weile, ihre Hände warm auf seinen Schultern. Er konnte fühlen, wie sie atmete, ruhig und stetig.
„Liebe ist stets blind für Fehler; immer sucht sie die Freude - ungezügelt, beschwingt, und grenzenlos", sagte er schließlich, fast schockiert darüber das der Fluch ihn nicht daran hinderte.
Der Griff ihrer Hände verstärkte sich einen Moment lang. „Ich habe Blake nie besonders gemocht, aber manche seiner Gedichte sind sehr treffend." Sie atmete tief durch und schwieg einen Moment. „Dein Bruder ist vor einigen Wochen verhaftet worden", sagte sie dann. „Die Todesser haben ihn befreit und die Kontrolle über das Ministerium übernommen. Minister Weasley ist geflohen. Er hat noch immer die Unsäglichen auf seiner Seite, aber die meisten Auroren sind übergelaufen. Dumbledore hat Hogwarts mit dem Fidelius belegt, um eine Zuflucht für diejenigen zu schaffen, die weiter Widerstand leisten. Wie du weißt kann sich der Geheimnisbewahrer nicht lange an dem Ort aufhalten, dessen Geheimnis er trägt. Ich werde für die nächste Zeit hier sein."
Draco griff ihre Hand und drückte sie.
„Ich wollte niemals wirklich ein einfacheres Leben, aber vielleicht ist es Zeit, es auszuprobieren", sagte sie mit falscher Fröhlichkeit. „Wenn ich darüber nachdenke, ich habe auch noch nie wirklich versucht, wie ein Muggel zu leben. Vielleicht lernen wir beide noch etwas dabei?"
„Ich bin sicher, du wirst in allem gut sein, was du dir vornimmst", sagte Draco lächelnd. Er hatte immer gedacht, dass er vor Furcht gelähmt sein würde, wenn der Dunkle Lord schließlich die Macht übernahm, aber tatsächlich fühlte er kaum etwas bei dieser Neuigkeit. Vielleicht, weil er es immer erwartet hatte. Er hatte es verhindern wollen, aber ein Teil von ihm hatte immer gewusst, dass es eine zwecklose Rebellion gegen das Unvermeidliche war. Er lehnte seinen Kopf gegen Hermiones Bauch und schluckte seine Bitterkeit herunter. Zumindest war er nicht länger Teil davon. Das war es am Ende alles wert gewesen.
.
Tigris schenkte den roten Dächern und steinernen Gebäuden von Dubrovnik nicht viel Aufmerksamkeit als er durch die engen Gassen der alten Stadt schritt. Es waren nur wenige Wochen vergangen, seit er England verlassen hatte, aber er war die Muggeltransportsysteme bereits gründlich leid. Es mochte unauffälliger sein, so zu reisen, aber er wäre das Risiko einer Portalreise gerne eingegangen, wenn er dafür für immer kreischenden Muggelkindern, betrunkenen Flugpassagieren, und übereifrigen Sicherheitsbeamten hätte aus dem Weg gehen können. Wer immer den Flughafen in Paris entworfen hatte musste ein perverses Vergnügen dabei empfinden, seine Mitmenschen zu quälen.
Narcissa war begeistert davon gewesen, dass Tigris einige Wochen in Frankreich verbringen würde, und hatte tagelang von den Geschäften und Restaurants im magischen Paris geschwärmt. Tigris konnte im Nachhinein nicht nachvollziehen, was an der Stadt so wundervoll war. Zugegeben, er hatte nicht viel davon gesehen. Francoise Brumaire, die Kontaktperson, die er in Frankreich aufgesucht hatte, hatte ihn von einem Hinterhoftreffen zum nächsten geschleift, so dass er kaum Zeit hatte Luft zu holen, geschweige denn, Paris zu genießen. Alles woran er sich erinnerte waren eine unsägliche Anzahl an Treppen, und Essen das fast ausnahmslos aus Zucker zu bestehen schien. Das einzige, was er in guter Erinnerung hatte, war der Wein. Die reinblütige Aristokratie Frankreichs war der englischen sehr ähnlich, mit dem Unterschied, dass sie vorwiegend aus arroganten, trägen Redenschwingern bestand, die hofften, dass andere ihre Probleme für sie lösen würden. Sie hassten Muggel, und redeten gerne und ausgiebig darüber warum. Sie verachteten alles was nicht Französisch war, und redeten ebenso gerne und ausgiebig darüber. Sich dem Dunklen Lord offen anzuschließen, davon waren sie weit entfernt. Erstes, er war Engländer. Zweitens, es hätte ihr bequemes und komfortables Leben verkomplizieren können. Tigris war sie bereits nach zwei Tagen leid gewesen, nach zwei Wochen hatte es ihm in den Fingern gejuckt, ein oder zwei Morde zu begehen.
Kroatien war eine willkommene Veränderung. Das Wetter im Spätfrühling war wundervoll, und die Menschen, selbst die Muggel, waren zuvorkommend und freundlich. Die magische Gemeinschaft war mit der Muggelwelt verwoben und zugleich von ihr getrennt, eine Parallelwelt, die inmitten der Muggelwelt existierte. In Dubrovnik konnte man von einer Gasse in die nächste abbiegen, und nur die Krupps und Kniesel wiesen darauf hin, dass man von einer Welt in die andere gewechselt war. Es schien gefährlich, aber die Zauberer und Hexen hier kamen offenbar gut damit zurecht. Sie machten ausgiebig von Bemerkmichnicht-Zaubern und Obliviate Gebrauch, und die Muggel blieben unwissend, selbst wenn einmal jemand aus Versehen in ihrer Mitte einen Zauber tätigte.
In England hätte ein solches Verhalten Empörung hervorgerufen. Das Risiko! Die Verletzung von Muggelrechten!
Tigris lachte leise als er den Marktplatz betrat. Mit etwas Abstand erschien all diese Aufregung wie Hysterie. Zauberer in England hatten sich jahrhundertelang darauf versteift, dass die Koexistenz mit Muggeln nur auf eine bestimmte Weise möglich war, und ignorierten dabei dass es dutzende anderer Systeme auf der Welt gab, die ebenso gut funktionierten. Die Zauberergemeinde in Kroatien war klein, und er würde nicht viel Zeit hier verbringen, auch wenn er gerne länger geblieben wäre. Er freute sich bereits auf seine bevorstehenden Aufenthalte in Deutschland, Russland und Persien. China machte ihn ein wenig nervös, hauptsächlich deshalb, weil er so gut wie nichts über die Zauberer dort wusste. Seine Mutter hatte ihm die Adresse von Lin Yun gegeben, dem chinesischen Meister bei dem sie nach der Schule in die Lehre gegangen war, aber Tigris kannte den Mann nicht, und hatte keine Vorstellung davon, was die Kunst der Platzierung die er gemeistert hatte beinhaltete. Australien, Indien und Amerika waren zugleich beunruhigender und vertrauter, zumindest würden die Zauberer dort vermutlich Englisch sprechen. Er war froh, dass er Afrika auf seinen Reisen auslassen konnte, die Loas dort wollten nichts mit Voldemort zu tun haben, und hätten ihn nicht besonders wohlwollend empfangen.
Der Markt war voll um diese Tageszeit. Die Stände hier waren überwiegend magisch, der Markt im Muggelteil der Stadt, auf dem Obst und Gemüse angeboten wurde, befand sich nur ein paar Straßen weiter. Hier fand man magische Kräuter und Kreaturen, Artefakte und Dienste. Als Tigris zwischen den Besuchern hindurch ging, fiel sein Blick auf eine alte Frau, die auf einem kleinen Tisch eingekeilt zwischen zwei größeren Ständen Karten auslegte. Auf ihrer Schulter saß ein Rabe, der mit beunruhigend intelligenten Augen die Marktbesucher beobachtete. Plötzlich sah sie auf und starrte ihn mit ihren gelblichen Vogelaugen an. Ihr Blick hatte etwas zugleich Beunruhigendes und Faszinierendes an sich, und Tigris trat ohne es wirklich zu wollen näher.
„Sieh an, sieh an", krächzte die Hexe, die Lippen zu einem Grinsen verzerrt. „Wenn das nicht der formvollendete Wunsch ist. Was sagen wir dazu, Corvus?"
Der Rabe stieß einen heiseren Schrei aus und schlug mit den Flügeln. „Wer bist du? Was willst du?"
„Ich…" Tigris hielt inne. Er war sich nicht sicher, warum er an diesen Stand herangetreten war. Neben den Karten war einiger Tand ausgelegt, den die Hexe offenbar verkaufte: Edelsteine, getrocknete Kräuter, Töpferwaren. Nichts, an dem er wirklich Interesse hatte.
„Weißt du darauf keine Antwort? Suchst du etwas Bestimmtes?", fragte die Hexe mit einem durchdringenden Blick. „Du siehst so aus, das ist sicher. Ich bin nicht diejenige. Du bist falsch hier. Du suchst das Falsche am falschen Ort, so scheint es. Schade, schade. Geh nach Hause, Junge. Finde eine Katze. Hier, nimm das."
Sie hielt ihm eine kleine hölzerne Schatulle hin, nicht grösser als ein Snitch. Sie war aus dunklem Eisenholz, und die Schnitzereien auf dem Deckel waren überraschend kunstvoll. Tigris nahm sie zögernd. Die Schatulle war leer, als er sie öffnete, aber im Deckel befand sich eine silberne Plakette mit einer Inschrift. Anscheinend war sie das Geschenk eines Liebhabers an eine Frau gewesen, Hagar Sinistra. Die Frau musste sie verkauft haben, oder vielleicht war sie gestohlen worden. Wertvoll schien sie jedenfalls, merkwürdig ungewöhnlich unter all dem Plunder auf dem Tisch. Tigris drehte sie zwischen den Fingern. Sie würde seiner Mutter gefallen, sie suchte immer nach ausgefallenen Gefäßen für ihren Schmuck. Nach einem Moment des Überlegens bezahlte er die Hexe. Sie grinste, als sie sein Geld nahm. „Das Alte, was das Neue wird, ist unser größter Schatz. Viel Glück, Du-ohne-Namen."
Tigris nickte nur, und ging. Er spürte ihren Blick im Rücken bis er den Platz verließ, und ihre Stimme blieb ihm in Erinnerung. Es kam ihm vor als würde er sie von irgendwoher kennen, und doch war er sich sicher er hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Das Lokal, das sein Ziel war, befand sich nicht weit vom Marktplatz entfernt, und es dauerte nicht lange, bis er seinen Kontakt fand, eine kleine, rothaarige Hexe. Sie lud ihm zum Essen ein, und sie teilten sich eine Platte gebratenen Fisch während sie ihre Unterhaltung begannen. Die Hexe, deren Name Oresta war, wusste bereits sehr viel über die Vorgänge in England, was ihn vermuten ließ, dass sie regelmäßig mit jemand im inneren Kreis in Kontakt stand. Sie bestätigte das, als er fragte. Anscheinend war ihre Familie verwandt mit den Dolohovs.
„Es scheint mir, dass Sie hier ganz gut mit den Muggeln zurechtkommen", sagte Tigris. Sie war offensichtlich von der Agenda des Dunklen Lords überzeugt, aber Tigris fragte sich warum. Es wirkte nicht so, als hätten die Kroatier viele Probleme mit Muggeln.
„Wenn sie nicht gerade Krieg führen, meinen Sie?", fragte die Hexe sardonisch. Sie zuckte mit den Schultern. „Zugegeben, im Moment ist alles friedlich, aber Sie wissen, wie schnell sie sich vermehren. Noch sind wir eine kleine Gemeinschaft, das macht es einfacher. Es wird nicht immer so bleiben, und mit jedem Jahr wächst die Gefahr. Wir müssen jetzt handeln, solange sie noch beherrschbar sind. Eines Tages in der Zukunft werden sie uns finden, und wenn das geschieht, ist es unser Ende. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein naiver Narr."
Tigris nickte. Sie hatte seine eigenen Gedanken ausgesprochen. „Bedauerlicherweise gibt es zu viele solcher naiver Narren, mit zu viel Einfluss."
„Deshalb unterstützen wir, was Sie in England tun. England ist eine große Gemeinschaft, sobald Sie dort die Macht übernommen haben, wird es für uns hier sehr viel einfacher werden. Italien und Griechenland werden folgen, und Deutschland wird nicht im Weg stehen. Frankreich könnte zum Problem werden, aber sie werden einen offenen Krieg niemals gewinnen. In weniger als zehn Jahren könnte der Dunkle Lord Europa regieren. Wenn er Russland und China als Alliierte gewinnen kann, und im Moment sind die Aussichten dafür gut, wird diese Welt bald unsere Welt sein. So, wie es einst war. So, wie es sein sollte."
„Das Alte, was zum Neuen wird", sagte Tigris nachdenklich.
Sie hob ihr Glas. „Darauf trinke ich."
Tigris stieß mit ihr an. Seltsam, er hatte niemals so darüber nachgedacht. Natürlich hatte er gewusst, dass die Ambitionen Voldemorts nicht an Englands Grenzen endeten. Es so zusammengefasst zu hören, jedoch… es war alles wahr, er wusste das. Er war sich nicht sicher, welche Gefühle das in ihm hervorrief, aber die Genugtuung, die es hätte sein sollen, fühlte er gewiss nicht.
„Ich habe eine merkwürdige alte Händlerin auf dem Markt getroffen", sagte er, das Thema wechselnd. „Ich habe kaum ein Wort verstanden von dem was sie gesagt hat, aber die Schmuckbox die sie mir verkauft hat ist ein wahres Fundstück."
Oresta zog eine Braue hoch. „Hat sie Karten gespielt? Hatte sie einen Raben?"
„Ja", sagte Tigris überrascht. „Woher wussten Sie das?"
„Das ist Starica. Sie ist eine bekannte Seherin." Die rothaarige Hexe lachte. „Sie verkauft nicht oft etwas. Was immer sie Ihnen gegeben hat, Sie sollten es gut aufbewahren. Es wird sicher einmal nützlich sein."
.
Draco rannte den Hügel hoch, aber Hermione überholte ihn schnell, und auf halber Höhe musste er atemlos innehalten. Die Muskeln, die er so lange nicht benutzt hatte, brannten, aber er hatte sich lange nicht mehr so gut gefühlt.
„Gibst du schon auf?", fragte sie lachend.
„Warte nur ab, in ein paar Wochen stichst du mich nicht mehr so leicht aus", erwiderte er, nach Luft ringend.
„Du musst lauter reden, ich kann dich nicht hören", rief sie spöttisch.
Draco holte tief Luft und kletterte dann langsam die letzten Meter hoch bis er sie erreichte. Sie grinste, und er ließ sich neben ihr ins Gras sinken. „Du bist nur so selbstzufrieden weil du einen unfairen Vorteil hast, Granger."
Hermione lachte. „Vielleicht, na und?" Sie reichte ihm ihre Wasserflasche, und er trank gierig.
„Es ist schön hier", sagte er dann. Im Frühsommer waren die Wiesen voller Blumen und Schmetterlinge, und es schien als wären Hermione und er die einzigen Menschen weit und breit.
„Ja, ich habe diesen Ort immer gemocht."
Draco schloss für einen Moment die Augen und genoss das Gefühl der Sonne auf seiner Haut. „Sucht deine Bekannte noch immer eine Aushilfe für ihre Gewächshäuser?", fragte er dann.
„Ja, warum? Denkst du darüber nach, für sie zu arbeiten?" Hermione klang überrascht. Offensichtlich hatte sie inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass er seine Meinung je ändern würde.
„Ja." Seltsam, inzwischen konnte er sich nicht einmal genau erinnern, warum der Gedanke ihn einmal so abgestoßen hatte. „Ich bin es leid, im Haus zu sitzen und nichts zu tun."
„Das ist großartig!", sagte sie erfreut. „Ich rufe sie gleich morgen an."
Draco lächelte, als er den Enthusiasmus in Hermiones Stimme hörte. Er bewunderte ihren unermüdlichen Optimismus. Sie änderte sich niemals. Er hatte ihre manchmal an Obsession grenzende Sturheit einmal als nervtötend empfunden, aber inzwischen fand er sie anziehend. Wann war das passiert?
.
Es war noch immer kalt in Deutschland, und Tigris schauderte, als er aus dem Zug trat. Der Regen tauchte die Stadt die vor ihm lag in ein hässliches Grau. Er ignorierte die Taxis, die vor dem kleinen Bahnhof warteten, und versuchte, durch den Regenschleier die Umrisse der magischen Stadt auszumachen, von der er gehört hatte. Ohne Erfolg.
„Können Sie mir sagen, wie ich zum Schloss komme?", fragte er widerwillig einen der jungen Muggel, die mit ihm aus dem Zug ausgestiegen waren.
Der junge Mann musterte ihn neugierig. „Sicher, folgen Sie einfach der Straße, und gehen Sie bei der ersten Möglichkeit den Berg hoch. Der Weg ist ausgeschildert. Sie können auch den Bus bis zur Innenstadt nehmen, aber er fährt nicht bis zum Schloss hoch."
„Danke", sagte Tigris, sich abwendend. Er hatte nicht vor, sich mit einem Haufen Muggel in einen vollen Bus zu zwängen. Die Zugfahrt war schlimm genug, aber zumindest war der erste Klasse Wagen so gut wie leer gewesen.
Durch den Regen standen die meisten Muggel unter dem Dach der Bushaltestelle, und nur vereinzelte Fußgänger waren unterwegs. Tigris fand ohne Probleme den Kopfsteinpflasterweg, der den Berg hinauf führte. Marburg war eine alte Stadt, voller kleiner Fachwerkhäuser die sich am Rande schmaler Gassen zusammendrängten. Als er höher den Berg hinauf ging sah er schließlich die Zwillingsstadt, die auf dem Berg hinter der Muggelstadt lag. Nun, da er sich in Blickweite befand, wäre es einfach gewesen, zu apparieren, aber leider ließen das die deutschen Gesetze nicht zu. Tigris verzog missmutig das Gesicht und lenkte seine Schritte in Richtung Schloss. Er wusste, dass sich hinter dem Schloss Fußwege durch den Wald befanden, die ihn zu seinem Ziel führen würden. Auf dem Weg durch die Stadt begegneten ihm mehrmals Gruppen junger Muggel, die sich offenbar von dem Regen nicht abhalten ließen die zahlreichen Kneipen aufzusuchen.
Der Weg zum Schloss hoch ging steil bergan, und das Kopfsteinpflaster war glitschig vom Regen. Tigris war ein wenig außer Atem, als er das Schloss erreichte, aber fand zum Glück schnell den Pfad, der hinter dem Schloss in den Wald führte. Er holte unwillkürlich Luft, als er endlich die Barriere durchtrat, und sprach hastig ein paar Zauber um seine Kleidung zu trocknen und den Regen abzuweisen.
Ein alter Mann erschien plötzlich vor ihm, und Tigris zuckte beinahe zusammen, so überraschend war es. „Tigris Malfoy?", fragte der Mann. „Ich bin Alberich Schatzhauser."
Schatzhauser war ein untersetzter Mann mit gelockten grauen Haaren und einem Bart, der Tigris an Dumbledore erinnerte. Seine blauen Augen musterten Tigris prüfend. „Kommen Sie, wir waren zwar vorsichtig, aber man kann nie wissen wann das Ministerium den Barrieren wieder mal Aufmerksamkeit schenkt. Ich kann meinen Leuten hier vertrauen, aber es wäre bedauerlich, wenn unsere Pläne durch einen übereifrigen Beamten zu Fall gebracht würden."
Tigris schüttelte seine Hand. „Ich bin mir sicher, ich habe keine unnötige Aufmerksamkeit erregt."
Schatzhauser strich über seinen Bart. „Ich bin mir sicher, Sie denken das, aber ihr Engländer seit immer nachlässig. Sie haben Ihr Gepäck mit sich, nicht wahr?"
„Natürlich."
„Dann haben Sie eine magische Signatur, die Agenten der BILD wahrnehmen können. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich."
Tigris schüttelte überrascht den Kopf. „Solch eine Signatur ist dermaßen schwach, sie geht doch unter im magischen Hintergrundrauschen."
Schatzhauser schüttelte den Kopf. „In England vielleicht, aber nicht hier. Es gibt hier keine Magie inmitten der Muggel, Mr. Malfoy. Frankfurt ist nicht London."
„Das war es also", sagte Tigris nachdenklich. Die Stadt hatte ein merkwürdiges, unangenehmes Gefühl in ihm hervorgerufen, aber er hatte es darauf geschoben, dass er sich in einem fremden Land befand. „Das ist schwer vorstellbar. Wie kommen Sie damit zurecht?"
Schatzhauser zuckte mit den Schultern. „Kaum einer von uns verlässt die magischen Enklaven. Auch wenn ich schon oft in England war, kommt es mir noch immer eigenartig vor, dass Sie so eng mit Muggeln zusammenleben können. Wie kommen Sie damit zurecht? Offensichtlich schaffen Sie es irgendwie." Er machte eine verächtliche Geste zu Tigris' Muggelkleidung.
„Ein Ding der Notwendigkeit", erwiderte Tigris steif, und schwenkte seinen Stab, um Anzug und Mantel in eine Zaubererrobe zu verwandeln.
„Somit haben wir alle unsere Notwendigkeiten, an die wir uns gewöhnt haben. So sehr ich auch ihre offenherzige englische Kultur schätze, ich fühle mich nie wirklich sicher in ihrem Land."
Sie erreichten das Schloss, beinahe eine perfekte Kopie zu dem, das Tigris gerade hinter sich gelassen hatte, mit dem Unterschied, dass der Schlosshof hier voller Menschen war.
Eine Hexe mittleren Alters trat zwischen den Leuten hervor. „Vater, wie ich sehe ist dein Gast sicher angekommen."
Schatzhauser lächelte. „Mr. Malfoy, dies ist meine älteste Tochter Isar. Ohne sie hätte schon lange mein Vermögen verspielt, und mich in der Lahn ertränkt, meine Leute in Anarchie und Verzweiflung zurücklassend."
„Vater!", sagte die blonde Hexe scheltend. Sie knickste. „Es ist mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Malfoy. Ich habe bereits viel von Ihnen und Ihrer Familie gehört."
Tigris küsste ihre Hand. „Die Freude ist meinerseits, Frau Schatzhauser."
„Ich war gerade dabei, mit meiner Tochter Judith einzukaufen. Geben Sie mir einen Moment, sie zu finden, und ich zeige ihnen Ihre Räume."
Schatzhausers Blick verdüsterte sich etwas. „Bitte nehmen Sie es nicht persönlich, wenn Judith sich etwas merkwürdig verhalten sollte. Meine Enkeltochter ist ein verstörtes Mädchen. Es ist…"
Er unterbrach sich, als Isar mit einem vielleicht achtzehn Jahre alten Mädchen zurückkam. Tigris war schockiert davon, wie attraktiv die junge Frau war. Mit ihren großen blauen Augen und ihrem lockigen blonden Haaren sah sie aus wie eine Nymphe aus einem Gemälde Bouguereaus.
„Das unser Gast, von dem ich dir erzählt habe", sagte Isar. „Willst du nicht guten Tag sagen, Judith?"
Das Mädchen starrte ihn einen Moment an, dann trat sie einen Schritt hinter ihre Mutter zurück und schüttelte heftig den Kopf.
Isar seufzte und schlang einen Arm um sie. „Ist tut mir leid, Mr. Malfoy…"
Tigris betrachtete Schatzhausers Enkelin neugierig. „Schon gut, Ihr Vater hat mich vorgewarnt."
„Ich bin nicht verrückt!", schrie das Mädchen.
„Natürlich nicht, Liebling", sagte Isar, ihre Tochter in den Arm nehmend. Sie warf ihm über ihre Schulter hinweg einen entschuldigenden Blick zu. „Warum gehen wir nicht nach Hause? Die Elfen haben sicher schon das Abendessen zubereitet."
Sie führte sie zu einem Seiteneingang des Schlosses, und das Mädchen folgte ihnen missmutig. „Ich mag Sie nicht", sagte sie zu Tigris gewandt.
„Woher wissen Sie das?", erwiderte Tigris gutmütig. „Sie haben mich heute das erste Mal gesehen."
„Ich kenne Sie", entgegnete das Mädchen trotzig. „Ich habe Sie gesehen."
„Judith, das reicht jetzt", sagte Schatzhauser ärgerlich.
Das Mädchen presste die Lippen zusammen, und Tigris fand ihren kindlichen Ärger überaus lieblich. Er konnte ihre Bemerkungen nicht als Angriff empfinden, sie war einfach zu hübsch dafür, und zudem war sie offensichtlich nicht ganz richtig im Kopf. Er bedauerte Isar. Es musste schwierig sein, solch eine Tochter großzuziehen.
Judith weigerte sich, mit ihnen zu Abend zu Essen und verzog sich auf ihr Zimmer, was Schatzhauser offensichtlich verstimmte, aber er bestand nicht auf ihrer Anwesenheit. Im Speisesaal trafen sie auf den Rest von Schatzhausers großer Familie, Isars Mann und ihre anderen drei Kinder, den Mann ihrer Schwester und deren Kinder, und Schatzhausers Schwiegertochter mit ihren Kindern, von denen die Älteste bereits verheiratet war und selbst zwei Kinder hatte. Schatzhausers Sohn Lech war der deutsche Botschafter in England, was Tigris natürlich bereits gewusst hatte, und befand sich zurzeit außer Landes. Seine Tochter Iller arbeitete für das deutsche Zaubereiministerium, ebenso wie seine zwei Schwiegersöhne – beide in der Bundesinstitution für landesweite Desinformation, was Schatzhauser ohne Zweifel dabei half die strengen deutschen Zaubereigesetze öfter einmal zu umgehen. Schatzhauser war ein einflussreicher Mann, aber auch das hatte Tigris gewusst. Der Mann war einer der größten Unterstützer Voldemorts, und wenn man Gerüchten glaubte, kannten sie sich bereits seit ihrer Jugend.
„Wie es scheint haben wir etwas gemeinsam", sagte Isar nach ein paar Gläsern Wein.
„Haben wir das?"
„Ja, unsere Vornamen."
Tigris sah sie verwirrt an. Er konnte keine Gemeinsamkeit zwischen ihren Vornamen sehen.
„Wir sind beide nach Flüssen benannt?"
Es dauerte einen Moment, bis Tigris diese Aussage verstand, aber dann lachte er. „Ein lustiger Gedanke, aber nein, ich bin nicht nach dem Fluss benannt." Er hatte natürlich gewusst, dass es einen Fluss gab der Tigris hieß, aber es hatte das bislang nie mit seinem Namen in Zusammenhang gebracht.
„Oh?" Nun erschien sie verwirrt.
Tigris schüttelte amüsiert den Kopf. „Meine Mutter ist aus der Black Familie, wie Sie vielleicht wissen. Es ist die Tradition der Blacks, Kinder nach Sternen und Sternenkonstellationen zu benennen. Die Malfoys andererseits wählen üblicherweise Namen einflussreicher Zauberer aus der römischen Zeit. Meine Eltern wollten beiden Traditionen genügen, aber da mein Bruder und ich Zwillinge waren stellte es sich heraus, dass das nicht so einfach ist wie es klingt. Da meine Mutter in China studiert hat, wählte sie schließlich zwei chinesische Sternenkonstellationen für unsere Namen aus, Quinglong und Baihu, Draco und Tigris. Draco Asclepiades und Tigran Artashesyan."
„Interessant." Sie lächelte. „Sie haben einen Zwillingsbruder? Das wusste ich nicht."
„Ich hatte einen Bruder. Er ist tot." Ein Moment betretenen Schweigens folgte.
„Ist Ihre Tochter Judith schon immer so gewesen?", fragte Tigris, das Thema wechselnd.
Isar Schatzhauser wechselte einen Blick mit ihrem Vater. „Judith… ist eine sehr begabte Hexe, aber ihre Begabungen haben leider ihren Preis. Sie hat… gute und schlechte Phasen. Was sie heute erlebt haben, war eine ihrer schlechten Episoden. Ich würde es vorziehen, nicht weiter darüber zu reden."
„Natürlich", sagte Tigris sofort. „Verzeihung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten."
Isar lächelte gezwungen. „Das ist in Ordnung, ich verstehe, dass Sie nach dem was passiert ist neugierig sind, aber es ist ein schwieriges Thema."
„Ich verstehe das natürlich, Madam", sagte er hastig.
„Wollen wir uns ins Fumoir zurückziehen?", fragte Schatzhauser. „Wir haben viel zu besprechen."
Tigris nickte und erhob sich. Die restlichen Mitglieder der Familie schenkten ihnen nicht viel Aufmerksamkeit, als sie den Raum verließen.
.
Einige Tage später waren die Verhandlungen mit Schatzhauser abgeschlossen, und der Dunkle Lord würde diesmal mit dem Ergebnis sehr zufrieden sein. Schatzhauser hatte die Unterstützung mehrerer einflussreicher deutscher, tschechischer und österreichischer Zaubererfamilien gewinnen können.
Im Allgemeinen war die Stimmung Muggeln gegenüber hier sehr viel kühler als in England, was möglicherweise an Dumbledore lag. Andererseits, es hatte auch historische Gründe. Die Zauberer hier hatten sich nach dem zweiten Muggelweltkrieg vollkommen von den Muggeln isoliert. Sie hatten es bitter bereut, dass sie nach seiner Kanzlerernennung Hitler über die Zaubererwelt informiert hatten. Der verrückte Muggel war schnell besessen davon gewesen, mit Hilfe von Magie mehr Macht zu erlangen, was ihn zu einem willigen Werkzeug Grindelwalds gemacht hatte. Eine Zeit lang hatte er versucht, Zauberer für seine Elitetruppen zu rekrutieren, aber so sehr er ihre Macht auch begehrte, er fürchtete sie ebenso, und hatte schnell begonnen, Zauberer und Hexen umzubringen. Es war ein gutes Beispiel dafür, dass die durchschnittlichen Zauberer und Hexen kaum Chancen gegen Muggel hatten, wenn diese in der Überzahl waren und wussten, was sie erwartete. Die meisten Zauberer waren ohne ihren Zauberstab hilflos.
Die Zerstörung vieler Städte während des Krieges, die Zauberer ebenso traf wie Muggel, hatte ihr übriges getan. Die überlebenden Zauberer und Hexen hatten sich in kleine, ländliche Gemeinden wie diese zurückgezogen, und ihren Kontakt zur Muggelwelt vollkommen abgebrochen. Anders als in England identifizierten sie Muggelgeborene bereits in ihren ersten Lebensjahren und das Ministerium für Zauberei holte sie und ließ sie von Zaubererfamilien aufziehen, die sie als ihre eigenen Kinder adoptierten.
Der Kontakt zu Muggeln wurde streng reguliert, und nur Agenten des Ministeriums war es erlaubt, außerhalb der abgeschirmten Gemeinden Magie anzuwenden. Tigris war daher ein gewisses Risiko eingegangen, als er mit dem Flugzeug gekommen war, aber das magische Portal in Schierke wäre ein noch größeres Risiko gewesen, es wurde zu sehr überwacht.
Die gesamte Situation führte dazu, dass die Zauberer hier Muggel weitaus mehr fürchteten als in England. Sie sahen die Verhältnisse in England als ein stetiges Risiko an. Die immer zunehmende Zahl der Muggel und ihre fortschreitende Technologie ängstigten sie. Zugegeben, die elektronische Technologie der Muggel funktionierte nicht in Anwesenheit von Magie, aber Sprengkörper, Chemiewaffen und biologische Waffen konnten Zauberer ebenso verletzen wie Muggel. Was, wenn ein weiterer verrückter Diktator wie Hitler an die Macht kam? Es war eine Furcht mit der sie beständig lebten, und einige von ihnen waren bereit, alles zu tun, um das zu verhindern. Der erste und logische Schritt war es, Zauberer in anderen Ländern daran zu hindern, den Muggeln alles über die Zaubererwelt zu erzählen. Voldemort hatte versprochen das sicherzustellen, und das war alles, was sie über ihn wissen mussten um ihn zu unterstützen.
Der Abend vor Tigris' Abreise war Mittsommer, und die Bewohner der Stadt versammelten sich auf dem Schlosshof, um den Anlass zu feiern. In der Mitte des Hofes loderte ein riesiges Feuer, und die Schlossbewohner hatten Speisen und Getränke zubereitet, die die nun frei verteilt wurden. Alberich Schatzhauser betrachtete das Geschehen mit seiner Familie vom Balkon des Schlosses, und es war offensichtlich, dass er die lachenden und tanzenden Menschen als seine Leute ansah. Wie in England hatte es in Deutschland einst Lordschaften – Grafschaften – gegeben, aber sie waren mit der Zeit verschwunden. Trotzdem besaßen alte Familien wie die Schatzhausers noch Ländereien, und die Familien, die dort wohnten, waren Nachkommen ihrer ehemaligen Lehnsleute. Es bestand ein besonderer Bund zwischen ihnen, insbesondere, da die Magie von Schatzhausers Schloss nun die gesamte Gemeinschaft beschützte. Er war der König seines kleinen Königreichs, ein gutmütiger, väterlicher König, aber sein Wort war dennoch unausgesprochenes Gesetz.
Die Leute hier schienen glücklich, dachte Tigris nachdenklich, als er die Gäste des Festes beobachtete. Sorglos. Etliche von ihnen waren bei ihnen vorbeigekommen um Schatzhauser zu grüßen, und es war offensichtlich, dass sie ihn mochten, ihm vertrauten, und ihn respektierten. Die Malfoys hatten ebenfalls einmal eine Lordschaft besessen, aber Tigris konnte sich seinen Vater nicht an Schatzhausers Stelle vorstellen.
Als Mitternacht näher rückte versammelten sich einige Leute in der Mitte des Schlosshofes. Das Feuer war nun weit herunter gebrannt, und der Monolith, um den das Holz aufgeschichtet worden war, glühte schwach von der verbleibenden Hitze. Einige Kinder von vielleicht zehn oder elf Jahren formten eine Reihe vor dem Feuer, und knieten eines nach dem anderen vor dem erlöschenden Feuer nieder und gossen etwas aus einer Schale in die Asche.
Tigris betrachtete das Ritual interessiert.
„Sie schwören ihre Magie dem Land", sagte Isar, seine Neugier bemerkend.
Tigris sah sie fragend an. „Ich muss gestehen, dass ich mit diesem Ritual nicht vertraut bin."
Isar lächelte. „Mir ist bewusst, dass es in England nicht üblich ist. Wenn ein Kind magische Reife erlangt, gibt es einen Teil seiner Magie dem Land, in dem es aufgewachsen ist. Es ist nur ein kleiner Teil, aber in ihrer Gesamtheit stärken all diese kleinen Teile die Magie unserer Barrieren. Alle Hexen und Zauberer die hier geboren wurden geben diesem Ort seine Magie, auch wenn sie inzwischen woanders leben. So trägt jeder hier einen kleinen Teil zu unser Sicherheit und unserem Wohlstand bei."
„Interessant", sagte Tigris fasziniert. Es war vergleichbar mit der Art, wie seine Eltern die Magie ihres Hauses stärkten, und doch sehr viel extremer. Ein solches Ritual wäre in England unmöglich gewesen, das wusste Tigris. Die Vorstellung, den magischen Kern eines Kindes an einen Ort zu binden, so dass es lebenslang einen Teil seiner Zauberkraft verlor, hätte die meisten englischen Zauberer und Hexen entsetzt. Hier jedoch war es offenkundig völlig selbstverständlich.
„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich ein wenig unter die Leute mische?" Er wollte sich das Ritual näher ansehen, um besser zu verstehen, wie es funktionierte.
„Keinesfalls." Isar lächelte. „Genießen Sie das Fest!"
Die Luft im Schlosshof roch nach gutem Essen, Rauch und Feuer. Etliche Frauen lächelten ihm einladend zu, aber Tigris ignorierte sie und trat näher an das Feuer, um die Kinder zu beobachten.
Ein kleines Mädchen in einem rosafarbenen Kleid trat mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck an das Feuer. Sie berührte mit der rechten Hand ein Schwert, das vor dem Monolith in der Erde versenkt worden war. Es hätte heiß sein müssen, aber sie sah nicht so aus als hätte es ihr wehgetan. Im Gegenteil, sie lächelte zufrieden als sie einen Schluck aus der Schale vor ihr trank, bevor sie ein paar Tropfen ihres Blutes hineinfallen ließ und den verbleibenden Inhalt in das Feuer goss. Anschließend tauchte sie die Schale in einen an der Seite stehenden Krug, um sie wieder zu füllen, und trat beiseite um dem nächsten Kind Platz zu machen. Ihre stolzen Eltern nahmen sie in Empfang, und das Mädchen strahlte als sie mit den anderen als junge Erwachsene willkommen geheißen wurde.
Er wurde abgelenkt, als sein Blick auf Schatzhausers Enkelin Judith fiel, die offenbar schließlich aus ihrem Zimmer gekommen war. Er hatte die junge Frau seit ihrer ersten Begegnung nicht mehr gesehen. Nun trug sie ein enganliegendes Ballkleid, und tanzte mit mehreren der jungen Männer. Tigris bemerkte aufs Neue, wie ausgesprochen hübsch sie war. So wie sie lachte und mit ihren Tanzpartnern scherzte genoss sie offensichtlich das Fest, und es machte sie noch anziehender als bei ihrer ersten Begegnung. Er war überrascht, als sie in seine Richtung kam.
„Ich entschuldige mich für mein Verhalten bei Ihrer Ankunft, Mr. Malfoy", sagte sie mit einem Augenaufschlag. „Ich war nicht ganz bei Sinnen. Gewähren Sie mir diesen Tanz, damit ich es wieder gut machen kann?"
Tigris war schockiert von der Veränderung, aber erholte sich rasch. „Natürlich, es ist mir eine Freude, Fräulein Schatzhauser."
Sie schenkte ihm ein blendendes Lächeln. „Bitte, nennen Sie mich Judith."
„Gerne, Judith", sagte er, ihre Hand greifend. „Mein Name ist Tigris."
Judith war eine gewandte Tänzerin, und Tigris stellte fest, dass er sich nicht von ihr trennen konnte, als der Tanz zu Ende war. Sie tanzten einen weiteren Tanz, und noch einen, bis sie beide erschöpft waren. Schließlich griffen sie sich beide ein Glas Wein, und Judith bot ihm an, ihm den Rosengarten des Schlosses zu zeigen.
„Es tut mir wirklich leid, wie ich mich bei unserer ersten Begegnung verhalten habe", sagte sie schließlich, als sie sich auf einer Bank unter einem Bogen weißer Rosen niedergelassen hatten.
„Es ist bereits vergessen", sagte Tigris leichthin, abgelenkt von ihrem makellosen Dekolleté. Der tiefe Ausschnitt ihres Kleides wäre in England gewagt gewesen, aber er hatte hier mehrere Hexen mit ähnlicher Kleidung gesehen.
„Gefällt dir, was du siehst?", fragte sie, mit dem Medaillon an der silbernen Halskette spielend, die sie trug.
Tigris wurde sich bewusst, dass er sie angestarrt hatte und richtete sich ertappt auf. „Es tut mir leid, ich…"
Sie lachte. „Nicht doch, ich fühle mich geschmeichelt." Sie rutschte etwas näher zu ihm. „Du bist sehr attraktiv." Ehe ihm klar war was geschah hatte sie sich vorgebeugt und küsste ihn. Es ging ihm flüchtig durch den Kopf, dass dies die unzurechnungsfähige Enkeltochter seines Gastgebers war, aber der Gedanke war schnell vergessen. Wenn er ehrlich war, hatte er sie begehrt, seit er sie das erste Mal gesehen hatte.
Judith führte ihn zu einem Pavillon in der Mitte des Gartens, und griff nach seinem Stab um einige Zauber zu wirken, die andere von dem Ort fernhalten würden. Sie lachte, als sie seine Überraschung sah. „Sie geben mir keinen Stab, weil… nun, du weißt warum, aber das heißt nicht, dass ich nicht weiß wie man einen benutzt." Sie zog ihn mit sich auf die Matratze, die sie auf den Boden des Pavillons gezaubert hatte.
„Du bist wunderschön", sagte er, und öffnete den Verschluss ihres Kleides. Sie lächelte und lehnte sich zurück, von Rosenblättern umgeben.
„So wie du. Es ist ein Mysterium der Natur. Oder vielleicht ist es Bestimmung. Alles hat seine Bestimmung." Sie richtete sich plötzlich auf und Tigris fühlte einen scharfen Schmerz in seiner Brust. Einen Moment lang begriff er nicht, was geschehen war, bis er den Griff des Dolches sah, den sie in seine Brust gestoßen hatte. Er wollte sie von sich wegstoßen, aber fühlte sich plötzlich unglaublich schwach. Sie ließ ihn auf die Matratze sinken und sah lächelnd auf ihn herunter. „Die gefährlichsten Kreaturen sind oft die wunderschönsten. Es tut mir leid, ich musste es tun. Ich habe gesehen, was du tun wirst, und ich konnte dich nicht leben lassen. Es ist ein schnelles Gift. Der Skorpion kann seine Natur nicht verleugnen."
Sie strich über seine Brust. „Du bist der erste Mann, den ich geküsst habe. Der erste und der letzte. Sie denken alle, dass die Dunkelheit sie retten wird, aber wir beide wissen, dass das Torheit ist. Dunkelheit verschlingt alles Leben. Keine Sorge, er wird gestürzt werden. Er wäre vor langer Zeit besiegt worden, wenn du nicht gewesen wärst." Sie beugte sich vor und küsste seine Stirn. „Schlaf, mein Schöner. Schlaf, und wache niemals wieder auf, so dass eine neue Zukunft entstehen kann."
Tigris hörte plötzlich andere Geräusche, Stimmen, und Judith stand auf und sah ruhig dem Pfad entgegen. Tigris' Sicht begann zu verschwimmen, und er erkannte nur den Schemen von Alberich Schatzhauser, als er im Eingang des Pavillons erschien. „Bei Loki, Judith, was hast du getan!", rief er entsetzt.
„Was die Nornen mir gesagt haben", entgegnete das Mädchen.
Tigris hörte einen dumpfen Schlag, und dann ein Knacken, als ihr Körper auf einer der Steinbänke aufprallte.
„Bringt einen Heiler!", schrie Schatzhauser. Er kniete neben Tigris nieder und zog den Dolch aus seiner Brust.
Tigris rang nach Luft als Schmerz wie Feuer ihn durchfloss und die dumpfe Betäubung auf einen Schlag wich.
„Meister."
Tigris hatte Sarin in seinem Raum zurückgelassen, aber es überraschte ihn nicht, dass sie ihm gefolgt war. Sarin spürte immer, wenn er in Gefahr war. Die Schlange kroch näher, und biss in die Wunde, die der Dolch hinterlassen hatte. Tigris hob eine Hand, als Schatzhauser seinen Stab hob. Ein Rausch Magie durchfuhr ihn, und einen Moment später war er geheilt. Er richtete sich schwer atmend auf.
Schatzhauser starrte ihn an. „Dieses Gift hätte sie umbringen sollen."
„Ich bin nicht so einfach umzubringen", entgegnete Tigris. Er sah sich um und sein Blick fiel auf Judith, die neben der Steinbank lag. Ihr Kopf lag in einem unnatürlichen Winkel, und ihre Augen waren leer und leblos.
„Sie haben sie umgebracht."
„Es war nicht meine Absicht. Der Fall hat ihr das Genick gebrochen." Es klang kein Bedauern in Schatzhausers Stimme mit. Er betrachtete seine tote Enkelin. „Seher und Wahnsinnige. Immer ein und dasselbe, wenn Sie mich fragen. Isar wird um sie trauern, das arme Mädchen. Ich wünschte, ich hätte es nicht so lange zugelassen." Er sah zu Tigris. „Sie sollten den Zauber auf Ihren Augen erneuern."
Schatzhauser wandte sich ab, und ging. Tigris holte tief Luft und schluckte den bitteren Geschmack in seinem Mund herunter. Er wand Sarin um seinen Arm und erneuerte den Zauber. Sein Blick fiel auf das tote Mädchen. Selbst im Tod sah sie noch schön aus, schön und unschuldig. Plötzlich war ihm kalt, und er stand hastig auf und verließ den Ort.
.
Draco lehnte sich auf der Couch zurück und trank einen Schluck aus seiner Bierflasche. Seine Kollegen hatten ihn neulich damit aufgezogen, dass Watney's nur von armen Studenten getrunken würde, und er gewann einen gewissen Genuss aus den leicht angewiderten Blicken, die Hermione ihm hin und wieder zuwarf, während sie an ihrem Weinglas nippte.
Draußen prasselte der Herbstregen gegen die Fenster, und der Wind rüttelte an den Fensterläden. Es war die perfekte Zeit gemeinsam zuhause zu sitzen, während im Kamin ein Feuer prasselte. Hermiones Eltern waren in Frankreich, und sie hatten das ganze Wochenende das Haus für sich. Draco überraschte sich selbst damit, wie sehr er das genoss.
„Ich verstehe diesen Film nicht", sagte er, nur um sie aufzuziehen. „Er handelt von zwei Leuten, die nichts tun. Nachts."
Sie sah ihn empört an. „Es ist ein Kunstfilm, Daniel. Er ist zu Recht in Cannes für die Palme D'Or nominiert worden! Es ist nicht nur die philosophische Idee, die dahinter steht, es geht auch um Kunst und Musik, Wissenschaft und Geschichte…"
Draco schmunzelte amüsiert. Sie hatte seit Tagen von diesem Film geredet, und hatte sogar mit ihren Prinzipien gebrochen und ihn sich aus dem Internet heruntergeladen, weil sie ihn ihm unbedingt zeigen wollte. „Gib es zu, du wolltest ihn nur sehen, weil du in die Schauspieler vernarrt bist."
Hermione schnappte nach Luft. „Das ist nicht…" Sie unterbrach sich. „Du bist unmöglich. Ich dachte, du würdest die die Musikinstrumente zu wertschätzen wissen, selbst wenn du für die wissenschaftlichen Bezüge nichts übrig hast."
Draco musterte sie wohlwollend. Der Film hatte ihm gefallen, aber es machte sehr viel mehr Spaß, ihr das nicht zu sagen. „Ich sehe es daran, wie du sie angesehen hast. Du warst enttäuscht, dass keine Nacktszenen dabei waren."
Sie rollte mit den Augen. „Das ist nicht der Grund, warum ich ihn sehen wollte. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich Tilda Swinton attraktiv finde."
Er war ein Narr, dachte Draco, und trank einen weiteren Schluck Bier. Ein hoffnungsloser Narr, und er hatte das immer gewusst, aber das hielt ihn nicht davon ab, törichte Entscheidungen zu treffen. Im Grunde war das in der Natur der Sache, nicht wahr? „Für Tom Hiddleston hast du nicht das Geringste übrig? Schwer zu glauben."
Sie zuckte mit den Schultern. „Er ist nicht wirklich mein Typ."
Er drehte sich zu ihr herum und musterte sie. „Was ist dein Typ? Sommersprossig und rothaarig?"
Hermione runzelte die Stirn und starrte ihn prüfend an. „Warum? Ist das deine Art mich zu fragen, ob Ginny und ich noch zusammen sind? Nein, Daniel, wir haben schon vor Jahren Schluss gemacht."
„Vielleicht ist es meine Art, zu fragen, ob du Männern für immer abgeschworen hast." Draco sah hastig zur Seite und biss sich auf die Lippen. Das war idiotischer gewesen, als gewöhnlich. „Warum habt ihr euch getrennt?", fragte er hastig. „Ich dachte, ihr hättet euch gut verstanden?"
Hermione leerte ihr Weinglas und füllte es wieder, trank einen weiteren Schluck. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Wir haben uns einfach auseinandergelebt, nehme ich an. Ginny ist… sehr emotional, sehr lebenshungrig, und ich war immer beschäftigt… mit meinem Job, mit allem anderen… sie brauchte mehr als das. Es hat einfach nicht funktioniert. Was deine andere Frage angeht, ich habe nie auf diese Weise darüber nachgedacht. Ich bin nicht wie Ginny. Sie war so wütend auf die Männer, mit denen sie vorher zusammen war, und manchmal kam es mit so vor als wollte sie es ihnen nur heimzahlen… ich habe sie geliebt. Ich habe Ron auch geliebt. Ich habe immer Personen geliebt, das Geschlecht hat dabei für mich nie wirklich Bedeutung gehabt. Ich bin nicht wie Parvati, die sich überhaupt nicht vorstellen kann, einen Mann auch nur anzufassen… ich meine, dann hätte es mit Ron nicht funktioniert… oder, vielleicht… aber das würde ich nicht tun, mich zu etwas zwingen, wenn kein Gefühl dabei ist. Ich hab nie verstanden, wie Leute dazu fähig sind." Sie leerte ihr Glas. „Ich habe auch nie vorher so darüber geredet. Ich analysiere das nicht, weißt du?"
„Dabei dachte ich, es gibt nicht das Geringste, was du nicht analysierst", sagte Draco schmunzelnd.
Sie lachte unwillkürlich. „Stimmt. Vielleicht habe ich es ein wenig analysiert… Aber es ist anders, dies sind meine Gefühle. Ich weiß, was ich fühle. Ich muss es nicht auseinandernehmen, ergründen und begründen."
Die kleinen Falten um ihre Augen vertieften sich, wenn sie lachte. Sie trug ihre Haare nun kurz und hatte sie blond gefärbt, damit sie nicht zufällig erkannt wurde. Draco vermisste ihre wilden braunen Haare, aber es brachte ihr Gesicht mehr zum Ausdruck, besonders ihre hübschen bernsteinfarbenen Augen. Leider versteckte sie sich meistens hinter einer großen schwarzgerandeten Brille, aber zuhause nahm sie sie zum Glück ab.
„Was hast du dann die letzten Jahre gemacht, wenn du schon so lange nicht mehr mit Ginny zusammen bist?", fragte er, sich eine neue Flasche Bier aufmachend.
Sie legte ihre Füße auf die Lehne der Couch und lehnte sich gegen ihn. „Ich war beschäftigt. Mein Job, der Orden… es blieb nicht wirklich Zeit für was anderes."
„Klingt einsam", sagte er, einen Schluck trinkend.
Sie zuckte leicht zusammen. „Nein… Ich hab nicht wirklich was vermisst. Ich habe Freunde und Kollegen."
Er griff nach einem der langen Ohrringe, die sie gerne trug, und betrachtete ihn. „Das ist nicht das Gleiche."
„Was ist mit dir", sagte sie abwehrend. „Hast du jemanden gefunden?"
Der Gedanke rief instinktiv Abscheu in ihm hervor und er musste sich zusammenreißen, damit sie es nicht merkte. Er kam gut mit seinen Kollegen zurecht, sie waren alle sehr nett, aber die Vorstellung mit einer der Frauen zu schlafen… er konnte sich nicht vorstellen jemals so verzweifelt zu sein, selbst wenn er für immer in der Muggelwelt bleiben würde. „Nein. Hab's nicht vermisst."
„Lügner", sagte sie gutmütig.
„Topf. Kessel. Schwarz", sagte er, und lachte. Nach einem Moment fiel sie ein.
Sie drehte sich herum, kniete sich neben ihn auf die Couch und sah auf ihn herunter. „Weißt du, was ich an Tilda so mag? Sie ist blass und blond und elegant und klug. Sie weiß was sie will. Sie ist ein bisschen traurig, aber trotzdem irgendwie weise."
Er sah zu ihr hoch und sah ihr in die Augen. „Bist du sicher es ist nicht dieser gefährliche böses Mädchen Charakter, den sie spielt? Der, der von weitem und in der Theorie unheimlich anziehend erscheint, aber dich in Wirklichkeit umbringen würde, wenn du ihm zu nahe kommst?"
Sie lächelte. „Das ist nur eine Rolle, die sie spielt. Ich weiß, dass sie in Wirklichkeit ein guter Mensch ist. Ein Mensch, der das Richtige tut, wenn es darauf ankommt."
„Du bist dir immer so sicher. Du kennst sie nicht einmal wirklich."
„Ich weiß genug über sie." Sie lehnte sich über ihn. „Ich weiß genug über dich."
Er schlang unwillkürlich die Arme um sie. „Dies eine schlechte Idee, Hermione."
„Ich sehe das anders. Selbst wenn, es ist mir egal." Sie neigte sich zu ihm herunter, um ihn zu küssen.
Draco schloss die Augen und erwiderte den Kuss. Er wusste, dies konnte nicht gut enden. Sie verdiente etwas Besseres, und sie lebten in einem Traum, der sich eines Tages in einen Albtraum verwandeln würde. Dennoch, er fand nicht die Kraft, sie aufzuhalten. Er war zu selbstsüchtig dafür.
.
Die Luft war schwer und feucht als Tigris apparierte, und er trat hastig einen Schritt zurück als sein Schuh im Schlamm versank. Jemand lachte, und er fuhr herum und beherrschte sich mühsam als er den Mann sah der seine Situation offensichtlich überaus amüsant fand.
Der schwarzhaarige Mann grinste. „Sie müssen der Engländer sein. Ich bin John."
Tigris streckte zögernd die Hand aus. „Tigris Malfoy."
Der Mann sah nicht so aus wie er erwartet hatte. Mit seinen Jeans und dem ausgewaschenen Baumwollhemd wirkte er wie ein Muggel. „John?", konnte er sich nicht enthalten zu fragen.
Der Mann zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Es ist einer meiner Namen. Der, der für Sie am einfachsten auszusprechen ist."
Tigris runzelte die Stirn. Er hatte das Gefühl, dass der Mann sich über ihn lustig machte. „Warum versuchen Sie es nicht erst einmal?"
‚John' grinste. „Wie Sie meinen. Der Name, bei dem mich die meisten hier rufen, ist Arpeiacahacho."
Tigris starrte ihn an, nicht sicher ob das ein Scherz war. Er versuchte, den Namen nachzusprechen, ohne sich dabei lächerlich zu machen, aber ihm war schnell klar dass dies ein sinnloses Unterfangen war. „In Ordnung, John,", sagte er. „Wie kommen wir von hier in die Stadt?"
Er war zu den Koordinaten appariert, die seine Kontakte in Havanna ihm gegeben hatten, aber die Gegend in der sie sich befanden sah aus wie Sumpfland, und nirgendwo waren Gebäude oder Straßen zu sehen.
John schwenkte seine Hand und ein flaches Boot kam unter dem Schilf hervor und stieß mit einem dumpfen Geräusch ans Ufer. „Steigen Sie ein."
Tigris trat zögerlich auf das sehr unzuverlässig aussehende Gefährt zu, und schrie beinahe auf als sich etwas das er für einen Baumstamm gehalten hatte plötzlich bewegte und wenige Meter entfernt von ihm ins Wasser fallen ließ. Er atmete einmal tief durch und betrat entschlossen das Boot, das unter seinem Gewicht gefährlich hin und her schwankte. Er ging vorsichtig in die Hocke und setzte sich. John folgte ihm ins Boot und setzte sich ihm gegenüber, und auf eine weitere Handbewegung von ihm glitt das Boot zurück in das schlammige Wasser. „Die Alligatoren sind harmlos, keine Sorge. Sie würden nie einen von uns angreifen, im Gegenteil, sie sind aufmerksame Wächter. Natürlich haben die Muggel sie inzwischen fast alle umgebracht."
Das Boot bewegte sich auf dem Wasserweg zwischen Mangroven und Schilf hindurch, und Tigris sah ein paar mehr Alligatoren die ihnen vorweg schwammen und ihnen folgten.
„Zu unserem Glück haben es die Muggel erst sehr spät geschafft, die Peheiokie zu besiedeln. Wir hätten es vielleicht dauerhaft geschafft sie fernzuhalten, wenn dieses Schlammblut Sturtevant ihnen nicht geholfen hätte. Das ist das Problem, das ihr Europäer dadurch schafft, dass ihr sie so lange mit Muggeln zusammenleben lasst. Sie halten sich für halbe Muggel und glauben alles wäre besser, wenn wir zusammenarbeiten würden. In Wirklichkeit ist unsere Hilfe das letzte was die Muggel brauchen. Sie überrennen und zerstören auch so schon alles, was sie anfassen."
„Das ist ein Problem das unser Lord versucht zu lösen", sagte Tigris.
„Wirklich?" John lehnte sich im Boot zurück und betrachtete ihn mit verengten Augen. „Nach dem was ich gehört habe, tut er genau das Gegenteil. Er zwingt die Schlammblütler sich zu registrieren und ihre Zauberstäbe abzugeben, so dass sie am Ende zurück zu den Muggeln fliehen, wo sie ein noch viel größeres Problem werden als vorher. Das ist keine Lösung, es ist ein Desaster."
Tigris presste die Lippen zusammen. Der Mann hatte Recht. Das letzte Mal, als er in England gewesen war, waren die Zeitungen voller Propaganda gewesen dass Muggelgeborene ihre Magie von reinblütigen Zauberern gestohlen hätten. Es war so unsinnig, dass es ihn schockiert hatte, insbesondere da Voldemort dergleichen nie zuvor erwähnt hatte. Der Schwarzmagier glaubte nicht einmal daran.
Es war lediglich ein politisches Manöver um davon abzulenken wie wenig sich in der Zaubererwelt seit seiner Machtübernahme tatsächlich verbessert hatte, und wie viele Probleme der Widerstand noch immer verursachte. Percy Weasley war inzwischen nach Norwegen geflohen, aber er hatte dort eine Exilregierung aufgebaut die eifrig Unterstützung für seine Gefolgsleute in England sammelte, und Hogwarts war nach wie vor unauffindbar. Muggelgeborene waren Voldemorts Sündenbock für alles was in England schief lief, und es war beinahe erschreckend wie gut diese Strategie funktionierte. Anscheinend glaubten die durchschnittlichen Zauberer und Hexen alles, was der Daily Prophet behauptete.
Diagon Alley ist voller Taschendiebe? Muggelgeborene. Eine Hexe wurde in Knockturn überfallen? Muggelgeborene. Du hast keine Arbeit? Muggelgeborene schanzen sich gegenseitig die besten Stellen zu. Du hast deinen Abschluss nicht geschafft? Das Schulsystem ist so auf Muggelgeborene eingestellt dass echte Zauberer hinten dran bleiben. Deine Ex-Freundin verabscheut dich? Ein Muggelgeborener hat sie verführt und gegen dich aufgehetzt. Deine Kleider sind hässlich? Muggelgeborene haben unsere Mode ruiniert. Deine Kinder sind Squibs? Muggelgeborene haben ihre Magie gestohlen.
Es war so absurd das man denken sollte jeder normaldenkende Mensch würde darüber lachen, aber die Leute glaubten es. Leute bevorzugten einfache Lösungen, die nicht dazu führten dass sie wegen Landesverrat in der Nacht abgeholt wurden.
Tigris war sich nicht sicher, was er erwartet hatte. Natürlich hatte er gewusst dass Voldemort Muggel und Muggelgeborene hasste. Er hatte die vage Idee gehabt, dass er die Gesetze zur Geheimhaltung der Zaubererwelt verschärfen würde… genaugenommen hatte er nie wirklich darüber nachgedacht was passieren würde, wenn Voldemort tatsächlich die Macht übernahm, aber was im Moment passierte war abscheulich. Mehr als das, seine Gespräche mit dem Dunklen Lord bewiesen ihm dass der Mann in Wirklichkeit nicht die geringsten Ideale hatte. Er hatte nie vorgehabt die Probleme in der Zaubererwelt zu lösen. Seine ganze Philosophie hatte nur ein einziges Ziel – ihn an die Macht zu bringen und zu halten. Alles andere war nur eine Frage dessen, was er als am entbehrlichsten betrachtete, und im Moment waren das Muggelgeborene. Es könnten genauso gut rothaarige Zauberer sein oder Leute die das Runenalphabet nicht beherrschten. Wenn irgendwann keine Muggelgeborenen mehr da waren, würde er eine andere Gruppe finden, die an allem was schief ging Schuld war, Hauptsache niemand stellte seine Herrschaft in Frage.
Tigris starrte den Mann ihm gegenüber an, der ihn mit großem Interesse betrachtete. All dies waren Dinge die er zu einem Verbündeten des Dunklen Lords nicht sagen konnte.
„Es ist eine Phase des Übergangs", sagte er stattdessen. „Sobald die Macht unseres Lords mehr gefestigt ist, werden wir auch dieses Problem lösen."
„Wie?" fragte John. „Die einzige Lösung bei dem jetzigen Stand der Dinge wäre es, sie alle umzubringen."
Er hatte wiederum Recht, und Tigris hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte. „Es wäre eine Lösung."
John verzog sein Gesicht in Abscheu. „Ja, es wäre eine Lösung, weil es am Ende das Ende von uns allen bedeuten würde. Wie wollt ihr in England überleben ohne Muggelgeborene? Insbesondere da alle von euch Todessern nur ein einziges Kind haben? Es ist simple Mathematik, es wird nicht funktionieren."
Tigris verkrampfte seine Hände um den Rand des Bootes. „Unser Lord wird eine Lösung finden", sagte er, und John bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. „Was habt ihr denn hier für eine Lösung?", fragte Tigris herausfordernd. „Ihr versteckt euch in den Sümpfen während die Muggel Jahr für Jahr mehr und mehr von eurem Land beschlagnahmen und die Tiere und Pflanzen vernichten von denen ihr lebt. Sie vergiften selbst die Luft und das Wasser. Wieviele von euch sind noch übrig? Früher hat euch einmal dieser ganze Kontinent gehört."
John lächelte melancholisch. „Unsere Vorfahren glaubten, dass sie mit ihnen in Frieden leben könnten. Sie überließen ihnen einen Teil des Landes und verbargen den Rest. Wieviele von uns gibt es noch? Mehr als genug. Zugegeben, wir hatten einige Rückschläge, Ms. Sturtevant einer der größten davon. Ich gebe zu, ich bin ein wenig verbittert darüber, denn meine Familie lebte in der Gegend in der sich heutzutage diese abscheuliche Muggelstadt Miami befindet. Es ist nicht einfach Land zu verlieren, auf dem man für Generationen gelebt hat. Das Land nimmt es einem übel und es ist nicht einfach, sein Wollwollen zurück zu gewinnen. Dennoch, dieser Kontinent ist groß, und es ist genug Platz darin für alle von uns. Bislang konnten wir den meisten Schaden beheben, den die Muggel angerichtet haben. Wir holen die Kinder, wenn sie geboren werden, und sie sind glücklicher so. Sie wissen, wo sie hingehören. Nein, Mr. Malfoy, wir haben kein Problem mit Muggelgeborenen. Es gibt keine Schlammblütler bei uns, denn jedes Kind das wir aufnehmen wird ein Teil von uns, sie sind alle reinblütig."
„Warum brauchen Sie dann unsere Hilfe, wenn alles hier so gut läuft?", fragte Tigris missmutig. „Warum haben Sie mich überhaupt eingeladen, wenn Ihnen die Politik des Dunklen Lords so widerstrebt?"
John lächelte. „Es ist nicht Riddle, den wir eingeladen haben, nicht wahr?"
Tigris zuckte unwillkürlich zusammen und starrte ihn mit offenem Mund an. „Wa… Wie meinen Sie das?"
John zuckte mit den Schultern. „Schließen Sie daraus, was immer Sie wollen, Mr. Malfoy. Um Ihre Frage zu beantworten… Muggelgeborene sind nicht unser Problem. Muggel sind unser Problem. Wir könnten friedlich zusammenleben, wenn sie sich nicht so dermaßen ausbreiten würden, und wenn sie nicht Dinge wie Flugzeuge und Atombomben erschaffen würden, die zufällig irgendwo hinfallen, oder Dinge wie Satelliten, Computersysteme und Mobiltelefone, die Dinge aufnehmen die sie nicht sollten – Messwerte die nicht stimmen und leere Gebiete wo keine sein sollten, verlorengegangene Zeit. Jedes Jahr kostet es uns mehr Arbeit unsere Welt vor ihnen zu verbergen, und früher oder später werden wir einen Fehler machen. Wir wollen diesen Konflikt nicht, aber er ist unausweichlich. Wenn wir wollen, dass er zu unseren Gunsten ausgeht, müssen wir ihn nach unseren Bedingungen austragen."
„Was wollen Sie damit sagen? Sie warten darauf dass wir Ihr Problem für Sie lösen?" Ein Moskito schwirrte an Tigris vorbei und er ließ ihn ärgerlich in Flammen aufgehen bevor er sich auf sein Gesicht setzen konnte. Er dachte darüber nach dass er nun in Griechenland sein könnte und wie wunderbar das Wetter in Griechenland gerade war. Angenehm warm, nicht zu kalt, und alles andere als feucht und schwül. Es gab keine Moskitos in Griechenland.
„Wir warten darauf, dass jemand eine sinnvolle Lösung vorschlägt."
Würde Voldemort es nicht lieben, das zu hören? Tigris öffnete seinen Mund um eine weitere dumme Plattitüde von sich zu geben, und schloss ihn wieder. Johns Augen betrachteten ihn mit mehr Verständnis, als ihm lieb war. „Ich bin nur ein Gefolgsmann, und nicht einmal einer, der bei dem Dunklen Lord hoch in der Gunst steht", sagte Tigris. „Dies ist vergeudete Zeit für uns beide."
John zuckte erneut mit den Schultern und Tigris war versucht ihn zu schütteln. „Wenn Sie meinen. Es ist die Überzeugung meines Volkes das Zeit niemals vergeudet ist. Vielleicht haben Sie nur gelernt dass Sie keine Angst vor Alligatoren haben müssen, und ich konnte eine Bootsfahrt ohne Moskitos genießen. Diese Dinge mögen unwichtig erscheinen, aber sie haben ihren Zweck. Wir weiß, vielleichtet rettet Ihnen einmal ein Alligator das Leben."
John drehte sich um und Tigris setzte sich überrascht auf als der Dunst sich auflöste und seine Augen auf die gigantische steinerne Pyramide fielen, die über ihnen aufragte.
„Wir feiern heute Abend einen sehr besonderen Anlass", sagte John. „Nicht nur sind die fünf letzten Tage des Jahres vorbei, es ist auch die längste Nacht des Jahres und eine Zeit des Umbruchs und des Neubeginns. Heute bekommt unser Volk einen neuen Namaku. Ich würde mich freuen, wenn Sie an unserer Feier teilnehmen würden."
Tigris hatte beinahe vergessen, dass es bereits Yule war. Eine solche Einladung war unmöglich abzulehnen, und er nickte. Er starrte auf die Pyramide. Tigris hatte die schwammige Vorstellung gehabt dass die amerikanischen Zauberer in Steinsiedlungen lebten, ähnlich denen die er in Lybien gesehen hatte. Er war sich natürlich bewusst dass Dutzende von Völkern in Amerika lebten die alle unterschiedliche Bräuche und Lebensgewohnheiten hatten, aber er hatte das nicht wirklich verinnerlicht. Waren Pyramiden nicht eigentlich in nur Südamerika? Er hatte einige in Mexiko gesehen. Diese sah allerdings anders aus, wie er zugeben musste. Ihr unterer Teil bestand aus Steinhäusern, die bis zu zwei Drittel ihrer Höhe ausmachten. Der oberste Teil hingegen sah eher so aus wie das, was er in Mexiko gesehen hatte, eine lange Treppe, die auf einer Plattform endete, auf der mehrere Feuer brannten.
Er konnte von weitem den dumpfen Klang von Trommeln ausmachen.
„Was ist ein Namaku?" fragte er.
John sah überrascht aus, beinahe beleidigt. „Namaku ist wer unsere Anführer anführt", sagte er dann. „Die Weisheit von uns allen."
Das beantwortete nicht wirklich Tigris' Frage, auch wenn es sich so anhörte als wäre der Namaku so etwas wie ihr Zaubereiminister oder König. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals gelesen zu haben, dass die amerikanischen Zauberer Könige hatten, aber die meisten Bücher die er gelesen hatte beschrieben die Kulturen im amerikanischen Nordosten, welche von europäischen Zauberern gegründet worden waren nachdem ein paar in der neuen Welt geborene Muggelgeborene beinahe die Zaubererwelt preisgegeben hätten. Damals hatten sich die amerikanischen Zauberer noch nicht viel um die neuen Muggel gekümmert, die plötzlich in ihr Land gekommen waren. Sie hatten später erkannt, dass das ein Fehler gewesen war.
Tigris ärgerte sich plötzlich darüber, dass Voldemort nie mit ihm über seine Verbündeten redete, bevor er sie traf. Der Schwarzmagier war zurückhaltend geworden, nachdem Tigris gefangengenommen worden war. Tigris war sich nicht sicher woran es lag. Zu Beginn hatte er gedacht Voldemort nahm ihm sein Versagen übel, aber nachdem er erkannt hatte wie wichtig seine Aufgabe war musste er davon ausgehen dass der Dunkle Lord ihm noch immer vertraute. Er holte ihn noch immer ihn sein Bett, aber etwas schien ihn zu beunruhigen, so als hätte er gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte. Er sagte es nicht geradeheraus, aber aus den Fragen die er manchmal stellte schloss Tigris dass es ihn beunruhigte, dass er sich nicht an alles erinnern konnte, was in der Nacht geschehen war. Tigris wusste die Antwort zu diesem Rätsel lag in etwas, das Voldemort ihm einmal gesagt hatte, aber er konnte sich nicht daran erinnern, was es gewesen war. Wenn er sich hätte erinnern können, hätte er vielleicht etwas tun können, um was immer es war aus dem Weg zu räumen, aber Tigris war nicht sicher ob er das wollte. Er hatte viel aus den Erinnerungen des Dunklen Lords gelernt, aber nicht das, was er eigentlich hatte lernen wollen, und inzwischen bezweifelte er, dass er es jemals auf diese Weise in Erfahrung bringen würde. Das Geheimnis von Voldemorts Unsterblichkeit war zu tief in seinem Bewusstsein vergraben.
Tigris hatte in jedem Land das er besucht hatte nach Antworten gesucht, aber keine gefunden, und je mehr er danach suchte, desto mehr frustrierte es ihn. Es musste eine Antwort geben, und manchmal hatte er das Gefühl sie war zum Greifen nah, aber er konnte sie nicht fassen. Zauberer hatten seit Jahrhunderten nach Unsterblichkeit gestrebt, und manche waren nahe daran gekommen, aber Voldemort hatte etwas anderes getan. Er war kein Vampir, er besaß keinen Stein der Weisen, er hatte seine Seele nicht an ein Objekt gebunden und er wurde nicht in seinen Kindern wiedergeboren. Wie war er unsterblich geworden? Tigris hatte eines bei seinen Nachforschungen gelernt, keine Art der Unsterblichkeit war unumkehrbar. Es musste einen Weg geben.
Andererseits, wenn er es herausfinden würde, was dann? Er wusste es nicht.
Tigris folgte John die schmalen Treppen zwischen den Häusern hoch die Pyramide hinauf. Je höher sie kamen, desto lauter wurden die Trommeln. In den Klang der Trommeln mischten sich der Gesang und die Musik von Leuten die auf den Dächern der Häuser feierten und tanzten. Viele von ihnen trugen farbenprächtige Kostüme, aber manche trugen auch einfache Kleidung wie John. Sie alle schienen aufgeregt, in Erwartung eines besonderen Ereignisses. Die Spannung war fast körperlich spürbar, als würde sich ihrer aller Magie über ihnen sammeln. Je höher sie kamen, desto intensiver wurde das Gefühl, bis es sich anfühlte als sei die Luft statisch aufgeladen.
Tigris hatte von weitem bunte Farben und Feuer über der Pyramide gesehen, aber als sie näher kamen sah er mit Staunen dass es Phönixe waren, die in der Luft über der Pyramide mit Quezalcoatl tanzten. Es war das außergewöhnlichste, was er jemals in seinem Leben gesehen hatte. „Ich wusste nicht, dass es noch so viele von ihnen gibt", sagte er ehrfürchtig.
„Sie kommen hierher, um mit uns zu feiern", sagte John. „Die Magie der Pyramide ruft sie zu uns."
„Unglaublich." Tigris betrachtete die magischen Wesen und konnte sich kaum von dem Anblick losreißen wenn John an seinem Arm zog um ihm zu bedeuten, dass sie weiter hoch gehen sollten.
Am Fuß der Haupttreppe waren bewaffnete Wächter in goldener Rüstung, aber sie ließen sie ohne Probleme passieren. Tigris sah auf seine einfache Zaubererrobe und hatte plötzlich das Gefühl, nicht passend genug angezogen zu sein. „Sind Sie sicher…", murmelte er.
„Es spielt keine Rolle", sagte John. „Sie werden sehen."
Auf der Spitze der Pyramide gesellten sie zu einer Gruppe von Leuten die einen weiten Kreis um einen Altar bildeten, der sich in der Mitte der Plattform befand.
Weiter innen standen kostümierte Männer, die die Trommeln schlugen, und eine Figur in einem langen, federbesetzten Mantel, die etwas in einer Sprache sang die Tigris nicht verstand.
Sie verstummte plötzlich und von einem Augenblick auf den nächsten herrschte totengleiche Stille.
Zwischen den Zuschauern traten zwei Männer hervor die auf ihren Schultern eine alte Frau trugen, die an die zweihundert Jahre alt sein musste. Sie war dünn, und ihre Haut spannte sich wie Leder über den Knochen ihres Gesichts. Die Trommeln begannen langsam wieder zu schlagen als die Männer sie auf dem Altar absetzten.
Die Frau nahm einen weißen Dolch von ihrem Gürtel und hielt ihn hoch, sagte etwas. Die Trommeln schlugen schneller.
Von der anderen Seite der Plattform kam ein kleines Kind, ein Junge, vielleicht vier Jahre alt, und schritt langsam auf den Altar zu.
Die Leute, die dem Altar am nächsten standen halfen ihm darauf zu klettern.
Der Junge und die alte Frau saßen einander gegenüber und sahen einander an. Jemand reichte ihnen eine Schale, und sie tranken daraus.
Für einen Augenblick schwiegen die Trommeln, dann begannen sie erneut zu schlagen, schneller und schneller. Die Figur im Federmantel begann wieder zu tanzen, um den Altar herum, und die Leute die um ihn herum standen stampften mit den Füßen bis die ganze Pyramide zu beben schien. Über ihnen tanzen die Phönixe und Quetzalcoatl, und die Farben schienen miteinander zu verschwimmen.
Der Junge nahm den Dolch aus der Hand der alten Frau, und in einer Bewegung so schnell dass Tigris sie kaum wahrnahm schwang er seinen Arm und durchschnitt ihre Kehle.
Einen Moment lang schien alles gefroren. Die alte Frau fiel, wie eine Marionette mit durchschnittenen Fäden. Dann richtete der Junge sich auf und hob den blutigen Dolch in der gleichen Bewegung wie sie zuvor, und rief etwas. Die Magie um sie herum schien auf sie herabzufallen und sie auszufüllen, und alle auf der Plattform begannen zu jubeln.
John umarmte Tigris und rief etwas was Tigris nicht verstand, aber es war ihm egal weil das euphorische Gefühl das ihn erfüllte alles war, was ihn kümmerte. Er jubelte und tanzte mit ihnen.
Der Junge sah ihnen zu und lächelte ein Jahrhunderte altes Lächeln.
Tigris erwachte in einem Bett ohne zu wissen wie er dorthin gekommen war. Eine schwarzhaarige Frau die er noch nie zuvor gesehen hatte lächelte, küsste seine Wange und verschwand durch einen Perlenvorhang.
„Warte…", sagte er heiser, aber bis er sich aufgesetzt hatte war sie längst verschwunden. Sein Kopf hämmerte.
Tigris wurde sich bewusst, dass er nackt war, aber so sehr er es auch versuchte, er konnte sich nicht daran erinnern was am Tag zuvor geschehen war. Jedenfalls nahm er an dass es morgen war, durch das Fenster sah er die weißen Strahlen der aufgehenden Sonne. Er fand seine Kleidung auf dem Boden neben dem Bett und zog sich an, trank einen Schluck Wasser aus dem Becher der auf dem Tisch stand. Anschließend stand er schwankend auf und ging langsam zur Tür.
Die Welt draußen war zu hell, leer, und stumm. Er war in einem der Gebäude am obersten Ende der Pyramide. Die Straßen und Dächer unter ihm waren verlassen. Die Treppe und die Plattform über ihm waren leer. Nichts wies darauf hin was am Tag zuvor geschehen war.
Tigris ging langsam die Treppe hinauf. Als er die frische Luft einatmete verschwanden seine Kopfschmerzen langsam. Er suchte nach einem Anhaltspunkt das die Geschehnisse am Abend vorher mehr gewesen waren als ein Fiebertraum, und fand keinen. Die Plattform war leer. Der Altar war verschwunden. Auf dem Boden der Plattform sah er eine Reihe von Symbolen, die ihm nicht das Geringste sagten. Er ging zum gegenüberliegenden Rand der Plattform und sah auf Wasser und Mangroven soweit das Auge reichte.
Jemand räusperte sich. Tigris fuhr herum und seine Augen fielen auf den kleinen Jungen, der in der Mitte der Plattform saß als wäre er immer dagewesen. Er trug Jeans, ein T-Shirt mit irgendeinem Muggellogo, und Turnschuhe. „Ich habe auf dich gewartet", sagte er.
Tigris starrte ihn an. „Wer bist du?", fragte er.
Der Junge schien darüber nachzudenken. „Sie nennen mich nun Namaku. Sie haben mir viele Namen gegeben. Du kannst mich Liam nennen. Es ist ein guter Name. Ich denke, ich werde für eine Weile Liam sein."
„Was bist du?", fragte Tigris ungläubig. Er konnte die Magie fühlen, die sich um den Jungen konzentrierte.
Der Junge lachte. „Spielt das wirklich eine Rolle? Ich glaube nicht, dass das das ist, was du mich fragen willst."
Tigris setzte sich ihm gegenüber, weil er sich albern vorkam, wenn er auf ihn herunter blickte. „Ich weiß nicht was ich fragen soll."
„Ja, das ist offensichtlich dein Problem." Der Junge sah an ihm vorbei auf den Mangrovenwald. „Als ich Tom vor vielen Jahren begegnete wusste er genau was er mich fragen wollte. Er wusste immer, was er wollte. Damals dachte ich er könnte sein, wonach ich gesucht habe. Ich weiß nun, dass ich mich geirrt habe."
„Was hat er dich gefragt?"
„Er fragte ‚Wie bist du dem Tod entkommen?'"
„Und was hast du geantwortet?", fragte Tigris atemlos.
Der Junge lächelte. „Ich habe ihm gesagt: Alle zwölf Jahre betritt ein Kind diesen Altar, und alle zwölf Jahre stirbt es als alter Mensch. Leben und Tod sind ein Kreis der für immer weitergeht. Ich bin jedes Kind und jeder Alte die je hier gelebt und gestorben sind. Ich bin all ihre Erinnerungen, alle ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihr Zorn, ihre Liebe, ihr Leben und ihr Tod. Ich gebe mein Leben an dieses Land so dass es sich erneuert, wie alle, die mir vorangegangen sind, und alle die nach mir kommen." Er breitete die Arme aus. „All dies sind wir."
„Ich vermute, das hat ihm nicht besonders gefallen", sagte Tigris enttäuscht. Offensichtlich war dies nicht die Art, wie der Dunkle Lord unsterblich geworden war.
„Nein." Der Junge lachte. „So wenig wie dir. Keine Sorge. Wenn du die Frage weißt, wird die Antwort einfach sein."
„Ich verstehe nicht was das bedeutet", sagte Tigris. Ein Phönix trällerte über ihm und er sah zu dem leuchtenden Vogel hoch, der über ihnen seine Kreise zog. Als er wieder auf die Plattform sah, war der Junge verschwunden.
.
Draco sah von Alberts Essentieller Zellbiologie auf, als Hermione eintrat. Sie setzte sich auf seinen Schoss und stellte eine Schale Trauben neben ihm auf den Tisch. „Wie kommst du voran? Brauchst du Hilfe?"
Er lächelte. „Ich komme zurecht. Aber ich habe gerade an dich gedacht."
„Wirklich?" Sie schob sich eine Traube in den Mund. „Wie kommt das?"
„Weißt du, dass es einen Prozess innerhalb von Zellen gibt bei dem diese kleinen Moleküle darin die voller Informationen sind sich unwiderstehlich voneinander angezogen fühlen und sich in der Mitte zusammenfügen und überkreuzen, um mehr kleine Zellen zu erzeugen? Tatsächlich ist das der allererste Schritt ist um Babys zu machen." Er zog sie näher an sich.
„Das erinnert dich an mich, ja?"
„Ja. Nun ja, in gewisser Weise. Der Begriff dafür hört sich fast so an wie dein Name, denkst du nicht das ist ein Zeichen?"
Hermione lachte. „Ich denke, wenn du auf solche Gedanken kommst, machen dich all diese Bücher langsam unzurechnungsfähig, und es ist höchste Zeit, dass du dich eine Weile von ihnen entfernst."
„Ich bin sicher, du kennst das richtige Heilmittel."
„In der Tat, das tue ich." Sie stand auf und zog ihn hoch. „Es nennt sich Schokoladenpudding, und meine Mutter hat ihn gerade gemacht. Er steht auf dem Küchentisch, ganz heiß und süß und schokoladig, und er wartet nur auf dich."
„Ich kann mir etliche Wege vorstellen, wie ich mich damit behandeln lassen könnte", sagte er und küsste sie.
„Das ist großartig, ich weiß, aus dir wird irgendwann noch ein fantastischer Arzt werden." Sie grinste und rannte ihm voraus die Treppe hinunter. „Aber wenn du dich nicht beeilst, bleibt nichts für dich übrig!"
Draco lachte und sah ihr einen Augenblick lang in Gedanken versunken nach. Es waren Momente wie dieser in denen er sich wünschte, nichts würde sich jemals ändern, und sie könnten für immer in diesem Moment leben. Er dachte an das, was er gelesen hatte. Die kleinen Moleküle in den Zellen konnten nicht für immer zusammen bleiben, die Prozesse der Natur gingen weiter und rissen sie auseinander. Zeit war unerbittlich. Er schüttelte den Kopf und verdrängte diese Gedanken. Heute gab es Schokoladenpudding, und Hermiones liebliches Lächeln, und vielleicht, wenn sie genug daran glaubten, würde der Morgen niemals kommen.
.
Als Tigris schließlich Italien erreichte waren fast sieben Jahre vergangen. Er hatte mehr als ein Jahr in China verbracht. Es war ein faszinierendes Land, mit einer Kultur und Magie die dem Englischen beinahe so fremd waren, wie die Persiens. Er mochte Russland, und hatte seinen Besuch in Durmstrang genossen, insbesondere die Gelegenheit, Durmstrang's ausgiebige Bibliothek zu studieren. Australien war eigenartig, aber interessant gewesen, und all die kleineren Zauberergemeinschaften die er dazwischen besucht hatte ebenso. Er hatte viel gelernt, und zu seiner Überraschung England nur selten vermisst. Der spannendste Aufenthalt jedoch war der in Indien gewesen.
Voldemorts ehemaliger Kontaktmann war gerade gestorben als Tigris ankam, aber sein Sohn hatte ihn herzlich empfangen. Jitendra Rohan Agastya war ein sehr intelligenter Mann, der ein unglaubliches Wissen über die Geschichte seines Landes und magische Praktiken besaß, und Tigris und er hatten festgestellt, dass sie viel gemeinsam hatten. Die Zauberer in Indien waren lange Teil der indischen Gesellschaft gewesen, hatten sich jedoch nur selten aktiv in die Politik des Landes eingemischt. Sie waren Berater gewesen, und geistliche Führer. Erst durch den Zusammenbruch des Kastensystems hatten sie sich mehr und mehr aus der Muggelwelt zurückgezogen, aber sie waren sehr unzufrieden mit dieser Situation. Manche von ihnen hatten sich entschieden, sich ein zweites Leben als Muggel aufzubauen um weiter Teil der Gesellschaft zu bleiben, aber es frustrierte sie wie wenig Einfluss sie noch auf die Entwicklung des Landes hatten. Es war Jitendras Traum, das zu ändern. Er wusste, dass es ein nahezu unerreichbarer Traum war, aber er war überzeugt, dass nur die Wiedereinführung der Kasten Indien vor dem Zusammenbruch retten konnte, und er war der Ansicht, dass die Zauberer die Verantwortung trugen, das Wohlergehen aller in seinem Land sicherzustellen. Ihre Gespräche hatten oft bis weit in die Nacht hinein gedauert, und Tigris hatte es genossen seine Gedanken mit Jitendra zu teilen, und seine Ansichten zu hören. Es fühlte sich an als würden diese Gespräche etwas in ihm wecken, was lange vergessen worden war, und je mehr sie sich unterhielten, je mehr hungerte er danach, mehr zu hören und mehr zu lernen. Er hatte seine Truhe mit Büchern und Artefakten gefüllt und wäre am liebsten geblieben. Leider war das nicht möglich, und er war schließlich widerstrebend nach Griechenland weiter gereist, und nun, Italien.
Er hatte Italien zuvor auf seinen Reisen ausgelassen, da mehrere andere Todesser Verwandte dort hatten die sie regelmäßig besuchten. Nun allerdings hatte Voldemort es für nötig gehalten, dass er seinen Kontaktleuten einen offiziellen Besuch abstattete. Er hoffte, dass Tigris sie überzeugen konnte, ihm bei der Bekämpfung des Widerstands in England zu helfen – jedenfalls schloss Tigris das aus seinen kryptischen Bemerkungen. Lord Voldemort würde schließlich nie zugeben, dass er bei etwas Hilfe brauchte. Tigris rollte gedanklich mit den Augen, wenn er daran dachte.
Die Lage in England hatte sich seit er das Land verlassen hatte kaum verändert. Der Dunkle Lord hatte einige Gesetze in seinem Sinne ändern lassen, aber das Gegenministerium bekämpfte ihn noch immer, und Dumbledore verschanzte sich in Hogwarts mit vielen der muggelgeborenen Zauberer und Hexen. Trotzdem hatte der Lord Tigris jedes Mal wenn er in England war, um Bericht zu erstatten, sofort wieder weiter gesandt. Obwohl er ihn immer wieder zu sich rief schien er seine Nähe zur gleichen Zeit abzulehnen. Es beunruhigte Tigris manchmal, aber er tat es ab, da sich sonst nichts zwischen ihnen geändert hatte. Falls Voldemort ihm nicht länger vertraute verbarg er das gut, und warum sollte der Dunkle Lord sich diese Mühe machen? Nein, er schätzte ihn und seine Arbeit nach wie vor. Er war nur vollauf mit den Problemen in England beschäftigt, und wollte es nicht eingestehen, dass er die Lage nach wie vor nicht unter Kontrolle hatte.
Tigris hatte nie versucht ihn davon zu überzeugen, ihm eine andere Aufgabe zu geben. Er musste zugeben, dass er die Kämpfe manchmal vermisste, Draco hatte offensichtlich nicht Unrecht gehabt als er ihm das unterstellt hatte, aber er genoss seine diplomatische Arbeit, und zu seiner eigenen Überraschung war er gut darin. Er hatte dabei seine alte Neugier Neues zu lernen wieder entdeckt, und war froh, sich damit beschäftigen zu können anstatt mit England und seinen Problemen.
Tigris apparierte vom Flughafen nach Proledi Amalfi, dem kleinen Fischerdorf wo er seine Kontakte treffen würde. Es war früher Nachmittag, und die meisten Dorfbewohner waren mit den Booten auf dem Meer draußen.
Einige Frauen und ältere Leute waren unterwegs und warfen ihm neugierige Blicke zu. „Suchen Sie jemanden?", fragte ihn schließlich ein älterer Mann, der auf der Veranda seines Hauses im Schaukelstuhl saß.
„Ja, ich bin hier um Marius Gioia zu besuchen", antwortete er zurückhaltend.
„Ah, Sie müssen der Zauberer sein!" Der Mann drehte sich in seinem Schaukelstuhl zur Tür des Hauses um. „Komm her, Maria, meine Liebe, der Zauberer ist da!"
Einen Augenblick später erschien eine dunkelhaarige Frau in der Tür, sich die Hände abtrocknend. „Sie sind der Mann, den Marius erwartet? Entschuldigen sie meinen Vater, er hat keine Manieren. Der Name dieses alten Gauners ist Lorenzo Marcora, und ich bin Maria Lo Giglio."
Tigris deutete eine Verbeugung an. „Signora Lo Giglio. Wissen Sie, wo ich Marius Gioia finden kann?"
„Natürlich, nur einen Moment, ich bringe Sie zu ihm." Sie nahm ihre Schürze ab.
Einen Augenblick später war sie an seiner Seite und ging ihm auf der Schotterstraße voraus. „Ich bin mir nicht sicher, ob er schon zuhause ist, ich denke, er hat sie erst später heute erwartet."
„Ich bin von Palermo aus appariert."
„Ah, natürlich, das ist so praktisch!" Sie klatschte in die Hände. „Ich vermute Signora Aeliana wird daheim sein, und vermutlich ein oder zwei ihrer Söhne? Wir hatten ein kleines Problem letzte Woche, Fabius ist weg um es zu klären, aber Manfredi ist hier. Hiero ebenso, aber ich wette er ist draußen auf dem Meer mit den Fischern."
Sie gingen zwischen den eckigen weißen Häusern des Dorfes hindurch, bis sie die Villa sahen, die sich hinter dem Dorf am Hang befand. Als sie näher kamen hörten sie Kinderlachen.
„Oh, wie wundervoll, Lucilia ist hier mit den Kindern!", sagte Maria. „Lucilia ist Hieros Frau, sie haben vor vier Jahren geheiratet. Zweimal Zwillinge, können sie sich das vorstellen? Die arme Frau kommt nie zum Schlafen."
Maria winkte den zwei Männern zu, die an der Mauer lehnten, durch die die Straße zu der Villa führte. „Hallo Jungs, ich bringe Signor Gioias Gast. Ist er schon zuhause?"
Die beiden Männer musterten ihn. „Er hat gesagt, sie haben eine Schlange bei sich, ist das wahr?", fragte dann einer von ihnen.
Tigris strich mit der Hand über Sarins Kopf und sie kroch unter seiner Jacke hervor und wand sich um seinen Arm. „Ja, ist das ein Problem?"
Der Mann grinste. „Nein, ich war nur neugierig. Hübsches Biest. So eine hätte ich auch gerne."
„Ich mag ihn", zischte Sarin. Tigris musste sich beherrschen, nicht mit den Augen zu rollen.
Der Mann nickte Maria zu. „Il Conte ist gerade zurückgekommen."
„Danke, Antonio. Wage es nicht, Schlangen in mein Cafe zu bringen, das vertreibt mir alle Kunden!", fügte sie scherzhaft hinzu, während sie zwischen den Männern hindurch ging. „Ich schwöre, ich verkaufe dir nie wieder was!"
„Würde ich dir jemals so etwas antun, meine Schöne?", rief der Mann ihnen hinterher.
„Ja!", rief Maria zurück.
„Ah, du kennst mich zu gut." Die Männer lachten.
Der Steinweg war von Palmbäumen gesäumt, und sie erreichten schließlich den Eingang der Villa, durch den man in das Atrium blicken konnte. Ein hochgewachsener Mann mittleren Alters trat aus einem der Seiteneingänge hervor, einen Jungen von vielleicht fünf Jahren auf dem Arm.
„Oh, Signora Abriella ist hier", sagte Maria mit Überraschung.
Der Mann nickte flüchtig und richtete seinen Blick auf Tigris. „Mr. Malfoy, Sie sind früh hier. Ich bin Marius Gioia, dies ist Marcellus." Er hob den Jungen hoch. „Er ist ein wenig schüchtern."
„Stimmt nicht!", protestierte der Junge, und strampelte, bis Gioia ihn absetzte. Der Junge straffte sich und verbeugte sich andeutungsweise. „Hallo, Mr. Malfoy."
Er erinnerte Tigris an Draco, als er jünger gewesen war, und einen Moment lang schmerzte der Gedanke. „Hallo", erwiderte er. „Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen."
„Ist deine Schlange giftig?", fragte der Junge neugierig.
„Nur wenn sie es sein will", antwortete Tigris amüsiert.
„Troppo figo! Kann ich sie mal halten?"
„Nein, kannst du nicht", sagte Gioia. „Geh und finde deine Mutter."
Der Junge schmollte einen Moment lang, bevor er gehorchte.
Gioia schüttelte den Kopf und lachte. Er warf Maria einen Blick zu. „Danke dass du meinem Gast den Weg gezeigt hast."
Sie knickste. „Es war mir eine Freude, Signor Conte." Maria nickte Tigris zu und ging.
„Muggel können bisweilen nützlich sein", sagte Gioia, als sie ein Stück von ihnen weg war.
Tigris sah der Frau überrascht nach. „Ich dachte, sie wäre ein Squib."
Gioia schüttelte den Kopf. „Nein. Kommen Sie herein, ich will Sie nicht hier in der Tür stehen lassen, und bitte, nennen Sie mich Marius."
„Danke", sagte Tigris, die Hand ausstreckend. „Ich bin Tigris."
Marius ergriff seine Hand und lächelte. „Wie geht es Ihrem Vater? Es ist eine Weile her, seit ich Lucius gesehen habe. Gehen die Geschäfte gut?"
„Ja, soweit ich weiß", sagte Tigris überrascht.
„Das mit Ihrem Bruder tut mir leid. Ich mochte ihn. Nun, er war vierzehn als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Es ist sehr traurig."
„Ja, allerdings", sagte Tigris bitter. Lucius hatte ihm nicht gesagt, dass er Marius kannte, aber sie hatten auch nicht viel Zeit gehabt, seinen Auftrag zu diskutieren bevor er England verließ.
Marius schlug ihm auf die Schulter. „Dies ist nicht die Zeit die Vergangenheit zu bedauern. Lassen Sie mich Ihnen meine Familie vorstellen. Essen Sie mit uns. Ich freue mich, dass Sie hier sind. Es wird Ihnen hier gefallen, das verspreche ich."
Die Gioia Familie war ausgesprochen zahlreich. All die Töchter, Söhne, Cousins und Cousinen und ihre Kinder füllten das Atrium des Hauses, und die beiden langen Tische boten ihnen gerade eben allen Platz, wobei, da war sich Tigris sicher, Magie im Spiel war.
Tigris saß an Marius' Seite am Kopfende von einem der Tische, und um sie herum saßen seine ältesten Kinder, sein ältester Sohn Hiero ihm gegenüber. Tigris war überrascht wie alt Hiero aussah, älter als sein Vater.
‚Habe ich eine Feier unterbrochen?', fragte Tigris, als das Essen begonnen hatte. Er erinnerte sich plötzlich, dass es Lammas war.
Marius sah einen Augenblick verwirrt aus, dann lachte er. ‚Warum, weil alle hier sind? Nein. Wir hatten ein paar Probleme mit ein paar Muggeln, und auch wenn ich volles Vertrauen in meinen Sohn Fabius habe, es zu lösen, fühle ich mich wohler wenn alle in der Nähe sind.'
„Ich dachte, Sie kommen gut mit den Muggeln zurecht", sagte Tigris. Er füllte seinen Teller nach. Die Spaghetti waren ein Genuß. „Dieses Essen ist wirklich gut."
„Danke, ich werde es meiner Mutter ausrichten", sagte Abriella, und winkte der Frau, die am anderen Ende des Tisches saß.
„Das tun wir, keine Sorge." Marius grinste. „Dies ist kein Muggelproblem in dem Sinne, es ist nur Geschäft. Sie versuchen immer mal wieder in unserem Gebiet ihre Drogen zu verkaufen. Ich habe ihnen wieder und wieder gesagt, ich will das nicht bei uns. Alle paar Jahre vergessen sie das, dann schicke ich einen meiner Söhne damit er sie daran erinnert. Muggel sind dumm, sie haben kein gutes Gedächtnis. Hat keinen Sinn sich darüber zu ärgern. Trotzdem, es ist besser vorsichtig zu sein. Sie sind dumm, aber das heißt nicht dass sie nicht gefährlich sein können."
„Macht Ihnen das keine Sorgen?"
Marius zuckte mit den Schultern. „Was sollten wir sonst dagegen tun? Sie alle umbringen? Viel zu viel Arbeit. Wir kommen wunderbar miteinander zurecht. Haben Sie einen Hund? Nein? Hippogreife? Aethonaner, ich weiß Lucius hat Aethonaner. Sehen Sie, das ist das Gleiche. Wunderschöne Pferde, aber wenn sie ungezähmt und ohne Einschränkung herumlaufen zertrampeln sie den Garten, vielleicht beißen sie sogar oder werfen Sie ab. Es ist ihre Natur. Jedes Tier hat seine Natur. Wenn Sie wissen, wie sie mit ihm umgehen müssen, ist es loyal zu Ihnen. Das ist der einzige Weg."
„Vielleicht."
Der grauhaarige Mann lachte. „Ich weiß Tom sieht das anders."
Tigris zuckte unwillkürlich zusammen. Marius nannte den Dunklen Lord Tom?
„Ich will Ihnen nicht zu Nahe treten, aber sehen Sie sich an was in England passiert. Er kommt nicht weiter. Er schickt Sie hier zu mir um mich um Hilfe zu bitten. Ich weiß das. Sie sind ein netter Junge, aber Sie werden mich nicht überzeugen. Es wäre Verschwendung. Verschwendung meiner Leute, Verschwendung meiner Zeit."
Tigris öffnete den Mund, und Marius hob die Hand. „Ich weiß, was sie sagen wollen. Sie wollen gehen. Tun Sie es nicht. Bleiben Sie noch ein paar Tage hier. Sehen Sie sich an wie wir hier leben. Ich werde meine Meinung nicht ändern, aber vielleicht ändern Sie seine."
Tigris lachte abfällig. „Geht die Sonne irgendwann demnächst im Westen auf?"
Marius musterte ihn interessiert, und Tigris hatte das Gefühl der Mann sah mehr als er ihn sehen lassen wollte. „Bleiben Sie. Meine Tochter wird Sie herumführen. Sie ist ein gutes Mädchen, sehr klug. Hören Sie ihr zu."
Der Mann stand auf. „Ich muss mich noch mit ein paar anderen Leuten unterhalten. Es wäre unhöflich sie noch länger warten zu lassen. Bitte, genießen sie das Essen."
„Danke für Ihre Gastfreundschaft", sagte Tigris, seinen Missmut verbergend. Voldemort würde diese Nachricht nicht gut aufnehmen. Er war sich sicher gewesen, dass die Italiener ihm helfen würden. Sie waren langjährige Verbündete. Mehr als das, die Weigerung deutete an, dass Gioia glaubte dass der Dunkle Lord über kurz oder lang den Krieg verlieren würde, ansonsten wäre er besorgter gewesen, dass er ihn irgendwann dafür zur Rechenschaft zog.
„Ihr Vater ist ein mutiger Mann", sagte er zu Abriella als ihr Vater gegangen war.
Marius' Tochter war eine schöne Frau, mit langen schwarzen Haaren und warmen braunen Augen die von Lachfalten umgeben waren. Tigris schätzte dass sie vielleicht fünfzig Jahre alt war. „Mein Vater ist ein Mann mit viel Erfahrung", antwortete sie lächelnd. „Erfahrung, und etwas Wissen über die Zukunft."
„Was meinen Sie damit?", fragte Tigris misstrauisch.
Sie lachte nur und deutete zu einer Gruppe von Frauen und Männern mit ihren Kindern weiter unten am Tisch. „Sehen Sie, das sind meine Kinder. Sie haben Marcellus ja schon getroffen. Ein hübscher Junge, nicht wahr? Mein Enkelsohn. Das da, das sind die Kinder meiner Brüder und Schwestern, und deren Kinder. Familie ist sehr wichtig für uns, Mr. Malfoy. Die Familie ist die wahre Macht eines Mannes. Wissen Sie, was das bedeutet?"
„Ich bin mir nicht sicher."
„Oh, aber ich glaube, Sie wissen es sehr gut. Sie hatten einmal eine Schwester, wurde mir gesagt."
„Und einen Bruder", antwortete Tigris wider Willen.
Sie musterte ihn durchdringend. „Ein Bruder, den sie verloren haben?", fragte sie.
Ein kalter Schauer überlief ihn. Es klang nicht wie eine Frage, oder besser gesagt, es klang so, als wenn sie die Antwort bereits wusste.
„Ich habe eine gewisse Gabe, Mr. Malfoy", sagte sie. „Eines Tages wird mein Vater abtreten, und einer meiner Brüder oder Enkelsöhne wird Conte sein. Er weiß, dass er diese Macht nicht für immer halten kann. Er möchte ein Vermächtnis hinterlassen, auf das er stolz sein kann. Ich habe ihm gesagt, verbünde dich nicht mit diesem kinderlosen Mann. Er weiß nichts über Familie. Das ist ein fataler Makel."
Sie stand auf. „Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen."
Tigris folgte ihr, neugierig und zugleich besorgt. Wenn sie vermutete, dass Draco noch am Leben war, war er sicher, dass sie es Voldemort nicht sagen würde. Ohnehin, niemand glaubte den verrückten Äußerungen von Sehern. Dennoch, es beunruhigte ihn. Er hatte genug Seher auf seinen Reisen gesehen um zu wissen, dass Voldemort Recht gehabt hatte, Trelawney töten zu lassen. Ein wahrer Seher konnte eine gefährliche Waffe sein, und auch wenn Trelawney die unzuverlässigste Seherin gewesen war, der er je begegnet war, hatte sie Dumbledore einmal einen Vorteil verschafft. Es hätte wieder geschehen können.
„Ich hatte einmal einen Traum", sagte Abriella, als sie den Garten betraten. „Ich habe nie herausgefunden, was er bedeutet, wenn er überhaupt etwas bedeutet. Ich sah einen großen Drachen am Himmel, und einen Tiger, der durch eine Wüste rannte. Sie kämpften miteinander, und der Drachen fiel in eine tiefe, tiefe Schlucht. Am Boden dieser Schlucht war eine Schildkröte, ein riesiges Ungeheuer. Sie trug einen Berg auf ihrem Rücken, aber der Berg war ein Vulkan, und aus seinem Feuer flog ein Vogel der den Himmel in Brand setzte. Ich sah den Tiger brüllen und der Vogel ging in Flammen auf, und die Flammen wurden von Schlangen verschlungen. Was denken Sie bedeutet dieser Traum, Mr. Malfoy?"
„Keine Ahnung, ich bin kein Traumdeuter."
„Nein, das weiß ich." Sie seufzte. „Wie schade. Aus irgendeinem Grund dachte ich, Sie könnten mir damit weiter helfen." Sie beugte sich über einen Lavendelbusch und atmete seinen Duft ein. „Ich hatte noch einen anderen Traum. In diesem Traum sah ich eine kahle Steinwüste, und diese Wüste war voller schwarzer Schlangen. Als ich jedoch näher kam sah ich, dass all diese Schlangen die Köpfe eines riesigen Ungeheuers waren, und ich wusste, dieses Ungeheuer träumt davon die Welt zu verschlingen. Haben Sie jemals die Legende von Herakles gelesen, Mr. Malfoy?"
„Vor langer Zeit einmal." Tigris sah sich in dem Garten um. Er war wunderschön, wenn auch sehr anders als der seiner Mutter. Blumen und Kräuter wuchsen wild durcheinander, und dazwischen verliefen schmale Steinpfade. In der Mitte des Gartens war ein großer Findling, und als er genauer hinsah bemerkte er, dass sich zwischen den Pflanzen weitere, kleinere Findlinge befanden. Nun da er darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass sie im Kreis liefen, oder besser gesagt, in einer Spirale deren Zentrum der Findling zu sein schien. Er war sofort fasziniert.
„Dann wissen Sie, dass nur einen Weg gibt, die Hydra zu töten. Ihre Macht ist in ihren Köpfen."
„Ist dieser Ort eine alte Kultstätte?", fragte er.
„Es ist ein Ort alter Macht", sagte sie. „Es ist sehr viel Macht in bestimmten Orten, Mr. Malfoy, etwas, das Sie wie ich denke ebenfalls wissen. Vielleicht haben Sie es vergessen."
Tigris dachte an das Malfoy Herrenhaus. „Nein, ich weiß das." Er fragte sich, welche Macht die Gioia Familie aus diesem Ort zog. Die Steine sahen alt aus, vielleicht tausende von Jahren alt. Magie konzentrierte sich an solchen Orten, Orten für seltene Zauber und Rituale. Er wünschte sich, er hätte die Zeit, den Garten genauer zu studieren. Er war sich sicher er würde seltene Pflanzen und Tiere finden, und Tränkezutaten mit ungewöhnlicher Stärke.
„Gibt es etwas, womit ich ihnen helfen kann, Mr. Malfoy?"
Er sah die Frau an. Abriella begegnete seinem Blick mit gutmütiger Neugier.
„Sie scheinen ein Mann mit mehr Fragen als Antworten zu sein. Jemand, der nach etwas sucht."
Tigris drehte sich um und sah wieder zu dem Stein, unsicher, was er darauf antworten sollte. „Ich habe lange in der Abteilung für Mysterien in unserem Ministerium gearbeitet", sagte er schließlich. „Mysterien aller Art faszinieren mich. Jede Antwort enthält wieder neue Fragen."
„Das muss ermüdend sein."
„Nein. Im Gegenteil… es ist niemals langweilig." Er zögerte einen Moment. „Ein Mysterium, das mich seit langem beschäftigt ist das der Unsterblichkeit. Es gibt so viele Wege, das Leben zu verlängern, aber es scheint keine wahre Unsterblichkeit zu geben."
„Natürlich gibt es wahre Unsterblichkeit", sagte sie, und er drehte sich überrascht um. „Selbst Muggel wissen darüber Bescheid. Ihre großen Philosophen, Künstler und Wissenschaftler, ihre Feldherren und Politiker, sie alle sind in ihrer Erinnerung unsterblich. Selbst der einfachste Mann kann unsterblich sein in der Erinnerung derer, die ihn geliebt haben." Sie schwieg für einen Moment. „Aber ich sehe schon, das ist nicht die Art von Unsterblichkeit, die Sie meinen. Sie meinen die unnatürliche Art. Nein, es gibt keine Unsterblichkeit auf solche Weise. Es gibt Perversionen die vorgeben, Unsterblichkeit zu sein. Sie zersetzen die Seele und den korrumpieren den Geist, sie zerstören, denn Leben kann niemals aus dem Nichts entstehen. Es hat immer einen Preis."
„Kennen Sie…"
Sie hielt ihre Hand hoch, ihre Miene kalt. „Ich kann Ihre Frage nicht beantworten." Sie presste die Lippen zusammen, und sah zu dem Findling in der Mitte des Gartens. „Es gibt allerdings eine Frau, die es vielleicht kann."
„Können Sie mich zu ihr bringen?", fragte er sofort. Er hatte ein Gefühl, das Gefühl dass er seinen Antworten noch nie so nahe gewesen war.
„Sie gibt solchen Rat nicht umsonst, aber vielleicht haben Sie etwas, das sie will." Sie streckte die Hand aus.
Tigris zögerte einen Moment, unsicher. Es schien töricht, ein solches Risiko einzugehen. Er schüttelte den Kopf. Die Hexe war keine Gefahr für ihn, er war ein Gast ihrer Familie. Er griff ihre Hand. Sie apparierte, und sie erschienen vor einem Steinhaus am Hang eines Berges.
„Dies ist ihr Haus", sagte Abriella. „Viel Glück. Ich warte hier auf Sie."
„Wie lautet ihr Name?", fragte Tigris.
Abriella schwieg einen Moment. „Hagar Sinistra", sagte sie dann.
Der Name kam ihm bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern warum. Vielleicht, weil die Astronomieprofessorin in Hogwarts Sinistra geheißen hatte?
Er ging den steinernen Pfad zum Haus hoch und klopfte an der hölzernen Tür. Niemand antwortete. Er klopfte erneut, dann drückte er die Klinke herunter. Die Tür war offen, und er trat zögernd ein. Das Haus bestand nur aus einem einzigen Raum, in dessen Mitte sich eine Feuerstelle befand. An einer Seite befand sich ein schmales Bett, an den restlichen Wänden standen Regale voller Bücher. Auf dem kleinen hölzernen Tisch standen eine dampfende Kanne Tee und ein Becher, aber der Stuhl davor war leer. Auf dem Fensterbrett vor dem großen Fenster lag eine unglaublich hässliche rote Katze, der beide Hinterpfoten und eine Vorderpfote fehlten. Eines ihrer Augen war blind, und ihr Körper war von Narben verunstaltet. Das verbleibende, blassblaue Auge starrte ihn an.
„Kann ich Ihnen helfen?"
Er fuhr herum. Hinter ihm stand eine betörend schöne, rothaarige Frau. Sie war vielleicht fünfundzwanzig, und trug ein enganliegendes grünes Kleid das ihre vollen Kurven betonte. Ihre großen blauen Augen betrachteten ihn unschuldig, als wäre sie die ganze Zeit schon dagewesen. „Sind Sie gerade hereingekommen?", fragte er unsicher. Er war sich sicher, die Tür war nicht aufgegangen.
Sie antwortete nicht auf die Frage, aber musterte ihn eindringlich.
„Sind Sie Hagar Sinistra?", fragte er.
„Sie haben etwas, das mir gehört. Eine kleine Schatulle, die ich vor langer Zeit verloren habe. Sie ist aus Eisenholz gemacht."
Ein Schauer überlief Tigris, und er erinnerte sich plötzlich, woher er ihren Namen kannte. „Ja." Er hatte die kleine Schatulle, die die Hexe in Kroatien ihm gegeben hatte, nie seiner Mutter geschenkt. Er hatte sie behalten, auch wenn er nicht genau wusste warum.
Er vergrößerte sein Gepäck, holte die Schatulle hervor, und reichte sie ihr. Sie trat einen Schritt zurück. „Stellen Sie sie auf den Tisch."
Er tat das, und steckte sein Gepäck wieder ein. „Abriella Gioia hat mich zu Ihnen geschickt. Sie hat mir gesagt…"
„Sie haben mir einen Gefallen getan, mir diese Schatulle zu bringen. Sie haben mir noch einen anderen Gefallen getan. In ihrem Geist sehe ich die Erinnerung an den Tod der Frau die mein Kind getötet hat. Sie ist einen gerechten Tod gestorben."
Tigris trat zwei Schritte zurück. Er hatte seine Okklumentikschilde nicht gesenkt, wie konnte sie seine Erinnerungen betrachten?
„Gib mir ein Versprechen und das sind drei. Drei Gefallen. Dafür beantworte ich deine Frage."
„Welches Versprechen?"
„Sagen Sie Rodolphus Lestrange dass er sterben wird, bevor die Tage wieder länger werden, und dass ich lächeln werde wenn ich davon höre."
Tigris starrte sie an. „Ich verspreche es." Ein Kitzeln von Magie überlief ihn, und er wusste, dass er gerade einen Zauberereid geleistet hatte.
Ihre Augen weiteten sich und ihre Stimme wurde lauter, bis dass sie in dem Raum zu hallen schien. „Du willst wissen, wie du den Dunklen Lord töten kannst. Dies ist deine Antwort:
Das Ende kostet den Anfang, der Tod kostet das Leben, und die Sonne gebiert die Schatten. Alles, was du brauchst, ist bereits in deinem Besitz. Alles, was du wissen musst, weißt du bereits. Du musst in deine Seele sehen und dich entscheiden."
Einen Augenblick lang war alles um ihn herum in Dunkelheit getaucht, und als er die Augen öffnete, ohne sie bewusst geschlossen zu haben, war die Hexe verschwunden. Das Starren der Katze schien ihn zu verspotten. Tigris wandte sich ärgerlich ab, und verließ das Haus. Das war keine Antwort! Das war nur ein weiteres Rätsel!
„Haben Sie gefunden, wonach Sie gesucht haben?", fragte Abriella.
„Nein", sagte er knapp.
„Das ist schade", sagte sie. „Vielleicht ist morgen ein besserer Tag. Kommen Sie, ich bin sicher, meine Mutter hat inzwischen einen Raum für sie hergerichtet."
„Hat sie keine Hauselfen?", fragte er missmutig.
Abriella lachte. „Es gibt Dinge, die eine Frau lieber mit eigener Hand tut. Es gibt immer Dinge, die man nur selbst wirklich gut tun kann. Stimmen Sie mir da nicht zu? Ich denke, das tun Sie."
.
Es war früher Morgen, als Draco wach wurde. Er hörte die ersten Töne von Vögeln draußen, die gerade wach wurden. Er betrachtete Hermione, die friedlich in Träume versunken schlief, und der Gedanke durchzuckte ihn wie sehr er sie liebte, mehr als er je für möglich gehalten hätte. Sie war die Frau, mit der er sein Leben verbringen wollte, und so sehr ihn der Gedanke auch erschreckte, er wusste, das würde sich niemals ändern.
Er fragte sich, ob sie wusste, was er fühlte. Er hatte es niemals laut ausgesprochen. Hatte er genug getan, um es ihr zu zeigen?
Wenn ihm etwas passieren würde, würde sie wissen, was er für sie empfunden hatte, oder würde sie es anzweifeln? Nur zu bald mochte eine Zeit kommen in der es keine Gelegenheit mehr gab, es ihr zu sagen, sich zu versichern, dass sie es wusste.
In diesem Moment gab er sich selbst ein Versprechen, das Versprechen, dass er ihr sagen würde, wieviel sie ihm bedeutete. Am nächsten Morgen, und jeden darauffolgenden Tag, solange er es konnte. Was immer die Zukunft bringen würde… sie verdiente es, es zu wissen.
.
Ron fluchte, als das Artefakt, das er hatte zusammenbauen wollen, seiner Hand entglitt und auf dem Boden aufschlug. Antony Goldstein, der am Tisch neben ihm saß, fuhr auf und atmete erleichtert auf, als er sah dass die Flasche mit dem Trank mit dem Ron es hatte tränken wollen noch auf dem Tisch stand.
„Verdammt, Fuchs, pass auf was du tust."
„Tut mir leid, Tony", sagte Ron mit zusammengebissenen Zähnen. Er hob das kleine Plättchen mit etwas Mühe auf und legte es wieder auf den Tisch. Immer seit dieser verdammte Hurensohn Tigris Malfoy ihn mit seinem Dolch getroffen hatte war sein linker Arm nahezu nutzlos. Die ersten Wochen nach dem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war es ihm gut gegangen, aber dann war der Arm nach und nach tauber und tauber geworden, und inzwischen hatte er jedes Gefühl in seinen Fingern verloren. Das einzig Gute daran war, dass die Heiler ihm versicherten, dass es sich nicht länger ausbreitete. Eine Zeit lang hatte er geglaubt, dieses Gift würde ihn eines Tages umbringen.
Er sah auf das Artefakt. Die Zwillinge waren ausgesprochen gut darin geworden, diese kleinen Dinger herzustellen die etwas nachmachten was die Muggel C-4 nannten. Leider war es nicht einfach, an die Zutaten für die Tränke zu kommen. Dennoch, Fred und George verbrachten jede freie Minute im Tränkelabor, und bald würden sie genug davon zusammen haben, um das verdammte Lager anzugreifen, in dem die Todesser die Muggelgeborenen gefangen hielten. Ron hatte alle Absicht, es in Grund und Boden zu brennen.
Percy hatte ihnen kürzlich eine Nachricht geschickt dass sie sich zurückhalten sollten, weil was sie taten seine Verhandlungen komplizierte. Ron schnaubte. Sein lieber Bruder hatte keine Ahnung, wie die Realität in England aussah. Er saß mit seinem fetten Hintern in Lillehammer und sah den Schneeflocken zu, während Ron jeden Tag zusah wie die Todesser durch Diagon spazierten als gehöre ihnen die Welt. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen Muggelgeborenen gesehen hatte. Die Zeitungen behaupteten, dass sie zurück in die Muggelwelt gegangen waren, aber Ron wusste, das war eine dreiste Lüge. Manche von ihnen waren damit durchgekommen, sich als Halbblütler auszugeben, aber das würde nicht mehr lange gut gehen. Schon jetzt war es schwer für ein Halbblut, Arbeit zu finden. Laut Voldemorts Propaganda waren Halbblütler nicht viel besser als Muggelgeborene selbst, sie hatten angeblich die kriminellen Instinkte ihres nichtmagischen Elternteils geerbt. Ihm wurde übel, wenn er das las.
Das schlimmste daran war, Ron hatte das Gefühl es war zum Teil seine Schuld. Wenn er es nur geschafft hätte diesen verdammten Todesser rechtzeitig zum Reden zu bringen hätten sie erfahren, dass Voldemort vorhatte, das Ministerium anzugreifen, und sie hätten es verhindern können. Er war sich sicher, dass der Mistkerl alles gewusst hatte. Er war so verdammt arrogant gewesen, so sicher dass sein Meister ihn rausholen würde. Wenn er ihm nur besser zugehört hätte… Merlin, wie er den Bastard hasste.
Er wurde abgelenkt, als Schritte die Treppe hoch kamen, und er und Tony griffen nach ihren Zauberstäben. Er atmete auf, als die Tür sich öffnete und Neville herein sah.
„Ihr könnt nicht mehr lange bleiben", sagte er. „Hannah und die Kinder sind bald zurück."
Es war Ron immer noch unverständlich, wenn er darüber nachdachte. Während alle anderen mit dem Krieg beschäftigt waren, hatte der dicke, dumme Neville Longbottom es geschafft, eine Firma aufzubauen, die nun der Hauptkräuterlieferant in England war, hatte die hübsche Hannah Abbott geheiratet, und hatte drei Kinder. Niemand hatte ihn auch nur in Verdacht mit dem Widerstand zusammenzuarbeiten, was verdammt nützlich war, dennoch… wie war das passiert?
„Neuigkeiten?", fragte er.
„Ich habe einen Tipp bekommen. Es sind Haftbefehle gegen Jiggers und Cavendish in Arbeit. Staatsverrat und Terrorismus."
„Deine anonyme Quelle?"
Neville nickte. Ron presste die Lippen zusammen. Das waren schlechte Nachrichten. Nevilles unbekannter Informant hatte bisher immer Recht behalten, und Jiggers war ihr Hauptlieferant für Tränkezutaten.
„Hat er gesagt wann?"
„Heute. Ich habe schon einen Patronus geschickt."
„Verdammt." Ron packte hastig die Sachen an denen er gearbeitet hatte in seine Tasche. „Wir müssen gehen. Wie sind sie Jiggers überhaupt auf die Spur gekommen?"
„Gringotts. Seine Abrechnungen haben nicht gestimmt."
„Verdammte Scheiße!", fluchte Ron. „Diese verdammten Kobolde konnten nicht noch ein paar Monate länger neutral bleiben?"
„Passt auf euch auf", sagte Neville.
„Ja, du auch." Ron nickte Tony zu. Sie konnten nur hoffen, dass sie nicht zu spät kamen.
.
Als Tigris nach draußen trat, wartete eine verärgerte Adlereule auf ihn, die wütend nach seiner Schulter pickte. Er erkannte sie sofort, es war eine der Eulen seiner Familie. Er öffnete hastig den Brief den sie trug. Die Schrift auf dem Pergament war die seiner Mutter, und die verwischten Linien am Ende verrieten uncharakteristisch die Hast und die Erregung, mit der er geschrieben worden war.
‚Der Widerstand hat deinen Vater', sagten die Zeilen. ‚Komm heim.'
[1]
Love to faults is always blind;
Always is to joy inclined,
Lawless, winged and unconfined,
And breaks all chains from every mind.
Deceit to secrecy confined,
Lawful, cautious and refined;
To anything but interest blind,
And forges fetters for the mind.
William Blake
[2] Normalerweise versuche ich immer echte Ereignisse mit meiner Zeitlinie in Einklang zu bringen, aber diesmal hat sich eine kleine temporale Anomalie eingeschlichen. Der Film den Hermione und Draco sehen ist offensichtlich erst acht Jahre später in die Kinos gekommen.
Vielen Dank für eure Reviews (und für eure Geduld!) an Gandalf90, peterse, Milli93, mimaja, Fill, Damian Black, Chrissi ,Chrisiiiiiiiiii, Nine, Mideon, Tora-Kokoro, JubiaSmiley, lantashgmx.
Ich bin dabei, meine Geschichten auf AO3 zu archivieren, was den Vorteil hat dass man sie dort als MOBI, ePUB oder PDF herunterladen kann, falls jemand daran Interesse hat. Abgesehen davon bin ich ein großer Fan von AO3 geworden, auch wenn die deutsche Fangemeinschaft da leider so gut wie nicht vertreten ist.
Ausführliche Reviewantworten gibt's wie immer im Forum. Danke, dass ihr alle immernoch dabei seit!
Dieses Kapitel hat mit mir gekämpft, es wollte nicht geschrieben werden. Das nächste kommt hoffentlich schneller. Es sind nicht mehr viele übrig!
