Disclaimer:

Grund 3 der Gründe warum Harry Potter Joanne K. Rowling gehört und nicht pilarius:

pilarius hat im Geschichtsunterricht immer Comics gezeichnet.

Schatten der Wahl

35. Heimkehr

Tigris blätterte durch den Ordner, den Theo ihm gegeben hatte. Wie er es erwartet hatte, war sein alter Schulfreund mehr als gründlich gewesen, vor ihm befanden sich alle Informationen, die er sich erhofft hatte, und mehr. Er grinste kurz schief. Theo hatte sich in all den Jahren nicht verändert, er bedauerte es ein wenig, dass er in den letzten Jahren keinen Kontakt zu ihm gehalten hatte. Er war in seinen Schulzeiten ein guter Freund gewesen, und Tigris war sich sicher, dass er nun ebenfalls außerordentlich nützlich sein würde. Theo wusste immer ohne dass es ausgesprochen werden musste, was er tun sollte. Dracos Name, seine Adresse, seine Arbeitstelle, seine Handynummer. Seine Arbeitszeiten, und was er in seiner Freizeit tat. Anscheinend machte er noch immer Kampfsport. Und er war seit über einem Jahr verheiratet, mit einer Muggelfrau namens Sally Conte. Tigris konnte sich kaum vorstellen, was seine Mutter dazu sagen würde. Er hoffte, die Frau war nicht schwanger.

Er blätterte zu dem hinteren Teil des Ordners, wo Theo ein paar Fotos eingefügt hatte, die er in einem sogenannten Buch der Gesichter gefunden hatte, wo die Muggel anscheinend Fotos aus ihrem Leben und dem Leben ihrer Freunde veröffentlichten. Ein paar von Dracos Freunden hatten offenbar Fotos von ihm dort eingestellt, ohne dass er es wusste – nahm Tigris jedenfalls an. Ansonsten war sein Bruder sehr töricht gewesen. Eines davon war von seiner Hochzeit. Daniel und Sally Jackson, glückliches Hochzeitspaar, auf dem Weg in die Flitterwochen.

Tigris starrte auf das Bild.

„Verdammte Scheisse! Hermione!"

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„Draco ist mit Hermione Granger verheiratet."

Sein Vater blieb überraschend gelassen. „Zum Schein, nehme ich an. Ein guter Schachzug des Ordens, um seine falsche Identität glaubwürdiger erscheinen zu lassen."

Tigris hatte das in Erwägung gezogen, aber er hatte die Fotos gesehen. „Nein, ich denke, sie meinen es ernst. Das sieht nicht nach einer Heirat zum Schein aus."

Er hielt seinem Vater die Fotos hin, auf denen der enthusiastische Bräutigam die Braut küsste. Und die zwei weiteren, in denen er sie immer noch küsste, während ein Publikum von Muggeln im Hintergrund applaudierte.

Lucius runzelte die Stirn. „War das die Hochzeit? Es ist nur eine Muggelheirat, ein wertloses Stück Papier."

„Wir müssen damit rechnen, dass er es ernst meint."

„Sicherlich nicht. Ich kann verstehen, dass ein Mann nach all den Jahren ohne eine Hexe irgendwann verzweifelt ist - Draco war schließlich nie ein Kostverächter." Lucius lachte. „Aber wenn er wieder bei uns ist hat er seine Auswahl unter reinblütigen Hexen, die mehr als glücklich sein werden, den Erben der Malfoys zu heiraten."

„Vater…" Tigris konnte nicht glauben, dass sich sein Vater wirklich einer solchen Illusion hingab. Er hatte den Ausdruck in Dracos Gesicht gesehen. Sein Bruder war nicht nur einfach verliebt, er hatte Hermione angesehen, als hätte er die Frau seines Lebens gefunden. Er hatte keine Ahnung, wie das passiert war, aber es war Realität. „Was, wenn sie schwanger ist?"

Lucius gab einen abfälligen Laut von sich. „Sie ist muggelgeboren. Sie wird sich mit einer moderaten Summe zufrieden geben."

Tigris konnte sich lebhaft Hermiones Gesicht bei diesem Vorschlag vorstellen. „Bist du Hermione Granger schon einmal begegnet? Hermione Granger, Vater! Sie wird keine einzige Summe akzeptieren. Wenn Sie ihn geheiratet hat, dann, weil sie ihn liebt, und wenn sie ihn liebt, dann wird sie ihn nicht gehen lassen."

„Es gibt Wege, auch solch ein Problem zu lösen."

Tigris schloss die Augen und rieb sich die Stirn. Seit er zum Teil Basilisk geworden war, hatte er keine Kopfschmerzen mehr gehabt, aber es fühlte sich so an, als würden sich nun welche ankündigen.

Er atmete tief durch, dann ein zweites Mal. „Lass mich eines klarstellen, damit keine Missverständnisse entstehen. Ich werde nicht zulassen, dass du Hermione Granger umbringst, oder sie verfluchst, oder ihr Gedächtnis löschst, oder jemanden bezahlst, der das tut. Wenn Draco sie wirklich liebt und sie heiraten will, werdet Mutter und du das einfach akzeptieren müssen. Das ist kein Vorschlag von Sohn zu Vater, das ist ein Befehl, denn wir können die Probleme nicht gebrauchen, die eine solche Einmischung verursachen würde. Hinzu kommt, wenn Draco auf unserer Seite ist, ist diese Beziehung sehr nützlich für mich."

Lucius starrte ihn an. „Natürlich ist Draco auf unserer Seite."

Tigris sah auf seinen Tisch hinunter, und war sehr versucht, seinen Kopf darauf sinken zu lassen und seine Stirn gegen die kühle und einladende Oberfläche zu schlagen. Er wusste nicht genau, wie sein Vater es immer noch schaffte, diese Gefühle in ihm zu wecken. Er redete täglich mit Hexen und Zauberern, und nichts was sie sagten brachte ihn aus dem Gleichgewicht, aber nachdem er sich zehn Minuten mit seinem Vater unterhalten hatte, fühlte er sich wieder wie ein fünzehnjähriger Junge und musste gegen das Gefühl ankämpfen, ihn erwürgen zu wollen.

„Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er auf Dumbledores Seite."

„Da war Voldemort der Dunkle Lord. Nun ist ein Malfoy der Dunkle Lord. Draco würde seine Familie nicht verraten." Lucius klang wie immer selbstsicher und unberührt, und sprach seine Meinung aus als würde es sich um offenkundige Fakten handeln.

„Das hat er bereits! Er hat mich verraten!", schrie Tigris frustriert.

Einen Moment herrschte Stille.

„Ist das der wahre Grund dafür, warum du ihn nicht zurückholen willst?", fragte Lucius dann ruhig.

Tigris atmete tief durch. „Der Grund ist, dass ich nicht weiß, wie er reagieren wird. Er hat sich ein Leben in der Muggelwelt aufgebaut. Er ist mit einer von Dumbledores eifrigsten Anhängerinnen verheiratet. Hermione Granger ist eine Heldin, Vater. Niemand hat mehr Muggelgeborene in Sicherheit gebracht als sie. Sie war die Geheimnisbewahrerin von Hogwarts. Kannst du dir vorstellen, wie sehr Dumbledore ihr vertraut? Was das bedeutet? Denkst du nicht, dass Draco einige der Ideale der Frau teilt, mit der er verheiratet ist? Ich kenne meinen Bruder. Sieh dir diese Bilder an. Er liebt sie. Ich werde ihn fragen, ob er sich mir anschließen will. Was wenn er ablehnt? Willst du gegen deinen eigenen Sohn kämpfen? Stell dir vor, was es für uns bedeuten würde, wenn er und Hermione Granger uns im Wizengamot gegenüber stehen. Nein, nicht Granger. Hermione Malfoy. Denn sobald Draco zurück ist, kann er unser gesamtes Vermögen beanspruchen. Was, wenn er es für Dumbledore einsetzt?"

Lucius schwieg. Wie es schien, dachte er zum ersten Mal an diesem Tag wirklich über das nach, was Tigris ihm sagte. Sein Gesicht wurde ausdruckslos.

„Wenn er sich uns anschließen würde, wäre er ein unschätzbarer Gewinn. Mit Hermione Granger an seiner Seite hätte er Zugang zum Herz von Dumbledores Organisation. Mit ihr und dem Malfoy-Vermögen gibt ihm das eine unvergleichliche politische Reichweite. Es könnte unseren Zeitplan um Jahre verkürzen. Hinzu kommen die Verbindungen, die er in der Muggelwelt hat. Sie könnten sogar besser sein als Theos."

„Ja."

Sein Vater verschränkte die Hände auf dem Rücken. „Das ist also der wirkliche Grund, warum du mich heute hierher gerufen hast. Nicht, um mit deinem Vater über deinen Bruder zu reden. Du brauchst mein Talent, Leute zu überzeugen."

„Wirst du es tun, wenn notwendig sein sollte?"

Lucius sah regungslos zu ihm. Tigris konnte nicht beurteilen, was er dachte, und er versuchte auch nicht, es herauszufinden. Es interessierte ihn nicht sonderlich. Es interessierte ihn nur, was er tun würde.

„Ich habe nicht den Wunsch, gegen meinen Sohn zu kämpfen", sagte Lucius schließlich. „Ich habe es dir bereits einmal angeboten, aber du hast abgelehnt. Vielleicht wäre es für uns alle besser gewesen, wenn du es nicht getan hättest." Er trat zum Fenster und sah auf den Friedhof hinunter. „Wenn du mir einen Befehl gibst, werde ich ihm gehorchen, mein Lord."

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Die schwarze Limousine, die Goldstone Crescent herunter fuhr, zog einige neugierige Blicke auf sich. Sie hielt an einer Straßenseite, und zwei Männer im schwarzen Anzug stiegen aus und wechselten ein paar Worte. Sie beide hatten lange Haare, die sie zum Pferdeschwanz gebunden hatten, der eine blonde, der andere graue.

Einige der Anwohner sahen neugierig aus dem Fenster. Wer waren diese Leute? Filmindustrie? Mafia? Amerikanische Touristen? Hoffentlich wohl nicht Immobilienmakler?

Der grauhaarige Mann ging über die Straße, und plötzlich war der Wagen vollkommen uninteressant. Die Leute zogen sich von den Fenstern zurück, und hatten bereits einen Moment später vergessen, dass sie etwas Ungewöhnliches gesehen hatten. Wenn Sie dem Wagen weiter Aufmerksamkeit gewidmet hätten, hätten sie sich gewundert, als er schimmerte, und verschwand.

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Es klingelte. Bernard öffnete, und sah sich einem grauhaarigen jungen Mann im Anzug gegenüber, der trotz des wolkenverhangenen Tages eine getönte Brille trug. „Wir kaufen nichts", sagte er. „Und wir sind glücklich mit unserer Religion."

Der Mann lachte. „Ich bin hier, um Daniel zu besuchen. Ist er zuhause?"

„Oh." Bernard spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Auf den zweiten Blick konnte er leicht sehen, dass er sich in seiner ersten Einschätzung geirrt hatte. „Es tut mir leid. Kommen Sie herein. Nein, Daniel ist noch nicht da, aber er müsste jeden Moment hier sein. Wahrscheinlich steht er wieder im Stau. Sind Sie ein Kollege vom Krankenhaus?"

Der Mann trat ein, und sah sich im Wohnzimmer um. „Ich bin nur ein Freund. Wir haben ab und zu zusammen trainiert."

„Ah, das macht Sinn. Sie sehen nicht wie ein Arzt aus." Er streckte die Hand aus, und musterte den Mann dabei unauffällig. Er sah auch nicht so aus, als wäre er einer von Dracos Kollegen. Draco konnte manchmal ein Snob sein, und seit er Oberarzt war hatte Bernard unter seinen befreundeten Arbeitskollegen nur noch selten Männer in Jeans und T-Shirt gesehen, aber der Mann trug Kleidung, die mindestens eine Null im Jahr darüber lag. „Ich bin Bernard Conte, Daniels Schwiegervater."

Der Mann ergriff seine Hand. „Tim Mallory. Sie haben Recht, ich habe nicht das geringste Talent für Medizin."

Bernard deutete zum Sofa. „Setzen Sie sich doch. Kann ich Ihnen etwas anbieten, während Sie warten? Ein Bier?"

Der Mann setzte sich und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Gerne, das ist sehr nett von Ihnen, Mr. Conte."

Bernard ging in die Küche und holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Er zögerte einen Moment. Etwas an dem Besucher war eigenartig. Bildete er sich das nur ein? Er sah auf den roten Knopf, der an der Tür des Kühlschranks hang. Es war ein Notrufknopf, den Hermione eingerichtet hatte. Eigentlich sollte er ihn immer bei sich tragen, aber es störte ihn, wenn er ständig das Band um den Hals hatte. War er nur paranoid? Wenn er ihn drückte, würden Hermione und Draco einen warnenden Anruf bekommen, und Hermione würde wahrscheinlich einige von ihren magischen Polizeibeamten schicken. Ein ziemlicher Aufwand für ein ungutes Gefühl. Bernard schüttelte den Kopf. Er war ein törichter alter Mann. Wahrscheinlich kam ihm der Mann nur eigenartig vor, weil er anders aussah, als die meisten Leute, die er kannte. Vor allem die langen Haare… meine Güte, wurde er auf seine alten Tage wirklich so konservativ? Er lachte über sich selbst und ging zurück ins Wohnzimmer.

„Sind Sie in Daniels Trainingsgruppe?", fragte er. „Haben Sie auch einen Dan?"

Der Mann nahm die Bierflasche entgegen. „Danke. Nein, Daniel war immer um Längen besser, als ich. Er hat mir viel beigebracht. Ich bin nur ab und zu hier."

Bernard trank einen Schluck und vermied es, die Stirn zu runzeln. Dafür, dass er Draco zuhause besuchte, schien der Mann ihn nicht sehr gut zu kennen. Sonst hätte er gewusst, dass Draco es nie geschafft hatte, einen Dan zu bekommen, auch wenn er sehr gut war. Er hatte einfach nicht die Zeit dafür gehabt. Das war wirklich merkwürdig. Draco gab nicht vielen Leuten seine Adresse. Plötzlich wünschte Bernard sich, er hätte den Knopf in die Tasche gesteckt. „Sind Sie beruflich viel unterwegs?"

„Ja. Mein Chef hat mich in den letzten Jahren ziemlich viel in der Welt herumgeschickt, aber ich habe vor kurzem die Firma übernommen. Jetzt sind die Dinge etwas entspannter." Mallory stellte die Bierflasche vor sich auf den Tisch, ohne etwas zu trinken. Bernard dachte flüchtig darüber nach, ihm ein Glas zu bringen, und entschied sich dann dagegen.

„Es ist immer gut, wenn man sich seine Zeit selbst einteilen kann. Meine Frau und ich haben schon lange unsere eigene Praxis."

„Wie ich sehe, habe Sie ein paar französiche Bücher in ihrem Regal. Sind Sie aus Frankreich? Paris ist eine sehr schöne Stadt."

Sie unterhielten sich eine Weile über Frankreich, und dann über die anderen Länder, die Mallory bereist hatte. Der Mann war wirklich viel in der Welt herumgekommen. Bernard vergaß für eine Weile seine Bedenken, bis sich schließlich der Schlüssel im Schloss drehte. „Das muss Daniel sein", sagte er. „Er wird überrascht sein."

„Da bin ich sicher", sagte der Mann mit einem seltsamen Lächeln.

Draco kam ins Wohnzimmer, seinen Mantel noch über dem Arm und die Tasche in der Hand. „Hallo Bernard, ich…" Er sah ihren Besucher und ließ Tasche und Mantel fallen, bleich werdend. „Bernard, verschwinde. Jetzt!"

Bernard sprang auf und wich zurück, aber es war, als würde er durch Honig waten. Ihm wurde klar, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Sie hatten nicht oft über die Möglichkeit gesprochen, dass eines Tages so etwas passieren würde, aber er hatte sich immer eingebildet, er würde angemessen reagieren. Überlegt und durchdacht, so wie er es in anderen Krisensituationen auch tat. Dies war anders. Er spürte, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand.

„Was für eine unfreundliche Begrüßung. Dabei haben wir uns so wunderbar unterhalten." Die Lippen des Mannes kräuselten sich spöttisch. Er nahm seine Brille ab, und Bernard fuhr zurück, als er die schlangengleichen, schlitzförmigen Pupillen sah. Hatte Hermione nicht gesagt, der Schwarzmagier, der angeblich tot war, hatte solche Augen? Aber waren seine Augen nicht rot?

„Seaptum solvitur", sagte der Mann, einen Zauberstab in Dracos Richtung schwenkend.

Draco schrie auf und taumelte.

Wie war das möglich? Hermione hatte gesagt, dass in ihrem Haus keine Magie ausgeübt werden konnte!

Der Mann stand auf. „Ich bin hier, um dich nach Hause zu holen, Bruder."

Bernard wusste damit, wer sein Gast war. Tigris Malfoy, der Todesser, der Draco verflucht hatte. Tigris Malfoy – Tim Mallory. Was für ein Narr er war! Er wich weiter zurück, in der Hoffnung, dass der Mann einem alten Muggel wie ihm nicht viel Aufmerksamkeit schenken würde. Wenn er es schaffte, in die Küche zu kommen… Er erreichte die Tür. Sein Herz raste, als wäre er einen Marathon gelaufen.

Er streckte die Hand aus, und konnte sie gerade noch zurückziehen, als die Küchentür vor seinem Gesicht zuschlug.

„Ich denke, mehr Gesellschaft würde unser gemütliches Miteinander nur stören. Denkst du nicht auch, Draco? Ich muss sagen, die Einrichtung dieses Hauses ist abscheulich. Hermione hat offenbar kein Talent dafür, aus einem Haus ein Zuhause zu machen."

„Lass ihn gehen", keuchte Draco. „Ich komme mit dir, aber bitte lass ihn gehen."

Malfoy schüttelte traurig den Kopf. „Nach all den Jahren kannst du nicht einmal sagen: Es ist schön, dich zu sehen, Bruder? Ich habe dir das Leben gerettet. Du könntest ein wenig dankbarer sein."

Draco richtete sich sichtlich mühsam auf. „Es freut mich, dich zu sehen, Bruder. Ich bin dir sehr dankbar, und ich kann es nicht erwarten, mit dir zu kommen. Komm, lass uns gehen."

„Ich freue mich, dich das sagen zu hören."

Malfoy schwenkte seine Hand in Bernards Richtung, und ihm wurde schwarz vor Augen.

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Draco schrie auf, als der Muggel zusammensackte. Tigris rollte mit den Augen.

„Es geht ihm gut. Ich habe ihn nur betäubt."

„Wie ist das überhaupt möglich?", sagte Draco schwer atmend. „Hermione hat gesagt…"

Tigris verzog angewidert das Gesicht. Hermione hatte wie es schien etliche magieunterdrückende Steine auf dem Anwesen vergraben. Eine geniale und abartige Idee. Kein Wunder, dass es ihm schwer gefallen war, herauszufinden, wo Draco sich befand. Mehr als das, Draco trug auch einen dieser Steine mit sich – am Finger seiner Hand.

„Wie es aussieht bin ich zu viel Zauberer für deine Hexe." Tigris deutete auf den Ring. „Nimm das ab. Ich will dieses widerwärtige Ding nicht in meiner Nähe haben."

Draco nahm den Ring zögernd ab, und legte ihn vorsichtig auf den Tisch.

„Können wir jetzt gehen?"

Tigris deutete zur Tür und Draco ging voran, wartete aber, bis er aus dem Haus war, und schloss die Tür. Es gab ein paar zusätzliche Schutzzauber, nahm Tigris an. Rührend, wie besorgt Draco um den Muggel war. Als wenn er dem alten Mann etwas getan hätte. Er hatte ihn gemocht, wenn er ehrlich war.

Draco rannte. Es war eine dumme Entscheidung. Tigris nahm an, dass sich am Rand der magiefreien Zone ein Portschlüssel befand, oder dass Draco einen solchen bei sich trug. Es war eine Verzweiflungstat, die ihn ein paar Minuten zuvor möglicherweise umgebracht hätte. Nun, da Draco den Ring nicht mehr trug, fiel es Tigris nicht schwer, auf sein Mal zuzugreifen. Draco schrie auf, taumelte, und fiel auf die Knie.

Er würde den Portschlüssel nicht bei sich tragen. Ein Portschlüssel war ein magisches Artefakt, und hätte ihm ständig Schmerzen bereitet. Also wo war er? Tigris sah sich um und sein Blick fiel auf die bronzenen Vögel auf dem Pfeiler am Eingang. Schlau. Typisch Hermione.

„Willst du mir bereits davonfliegen?", fragte er amüsiert. „Das wird Mutter aber sehr enttäuschen. Sie freut sich so darauf, dich wiederzusehen."

Draco stand resigniert auf. „Es war einen Versuch wert."

„Warum? Wovor hast du Angst? Voldemort ist tot. Sicher weißt du das inzwischen. Du hast keinen Grund, mich zu fürchten."

„Wirklich?" Draco ließ sich von ihm durch das Tor auf die Straße schieben. „Es fällt mir schwer, das zu glauben."

Der Wagen erschien, und Tigris öffnete die Tür. „Steig ein."

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Es war Jahre her, seit Draco zuletzt diese kalte Panik gespürt hatte, die sich wie ein Gift durch seine Eingeweide fraß und ihn sich fühlen ließ, als wäre er bereits halb tot.

Sein Herz raste, als er sich bückte und in den Wagen stieg, und pumpte das Blut so schnell durch seine Adern, dass ihm schwindlig und übel wurde.

Es spielte kaum eine Rolle, dass Tigris den Fluch aufgehoben hatte. Noch einige Stunden zuvor wäre er vor Schmerzen zusammengebrochen, wenn er dieses so offensichtlich magische Gefährt betreten hätte. Er hatte sich jahrelang vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, wenn der Fluch endlich aufhörte, zu wirken. Hatte sich diesem Augenblick entgegen gesehnt, auch wenn er insgeheim geglaubt hatte, dass es bedeuten würde, dass sein Bruder tot war.

Nun war der Augenblick da, und er fühlte nichts von der Freude, dem Jubel und der Erleichterung, die er erwartet hatte, zu fühlen. Nur eisige Furcht, die fast schmerzhaft jeden Muskel in seinem Körper lähmte.

Das Innere des Autos sah aus, wie ein Teezimmer in einem viktorianischen Herrenhaus. Es war bizarr. Es fühlte sich unnatürlich an, und gleichzeitig so, als würde er nach Hause kommen.

Draco atmete zweimal tief durch, aber die Anspannung in seinem Brustkorb wich nicht. Er hoffte, dass Tigris nicht gelogen hatte, und dass es Bernard gut ging. Die Zauber, die Tigris verwendet hatte, hatten sicher den Alarm ausgelöst, aber Draco hatte bereits geahnt, dass die Auroren zu spät kommen würden. Er hatte es gehofft. Er wusste, Tigris hätte sie umgebracht, wenn sie versucht hätten, ihn aufzuhalten. Er wollte nicht für weitere Tote verantwortlich sein.

„Draco."

Draco fuhr herum, und fand das Gesicht zu der vertrauten Stimme. Gott, sein Vater war älter geworden. Er sah hager aus, und müde. Seine Stimme klang, als wollte er den Namen austesten, um sich zu überzeugen, dass er real war.

Tigris hatte seinen Eltern offensichtlich nicht gesagt, dass er noch am Leben war. Natürlich nicht. Wahrscheinlich war er nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass es grausam sein könnte, sie im Unwissen zu lassen.

Sein Bruder hielt sich immer für das Alpha und das Omega, und wie es aussah, war er auf dem besten Weg dahin, einer der mächtigsten Zauberer in der Zaubererwelt zu werden. Tigris hatte Voldemort schließlich besiegt. Draco hatte nie bezweifelt, dass er seinen Platz einnehmen würde, wenn das geschah, aber dennoch war es seltsam enttäuschend, Recht zu behalten.

„Vater", sagte er heiser.

Lucius kam ein paar Schritte auf ihn zu und umarmte ihn. Es war eine tollpatschige Umarmung, die sich mehr so anfühlte, als müsste er sich überzeugen, dass Draco wirklich aus Fleisch und Blut war. Draco erwiderte die Umarmung, und merkte, dass sein Vater zitterte. „Wir dachten, du wärst tot", flüsterte Lucius.

Draco war überrascht, wie dünn er sich in seinen Armen anfühlte. Lucius war nur wenige Jahre jünger als Bernard, dachte er plötzlich. Er würde in diesem Jahr 59 werden. Bernard und Hannah dachten bereits darüber nach, die Praxis zu verkaufen und sich ein Haus in Frankreich zu kaufen, um dort ihren Lebensabend zu genießen.

Plötzlich war es schrecklich klar, wie die Zeit vergangen war, wie viel geschehen war.

„Wie geht es Mutter?", fragte er heiser.

Lucius straffte sich und trat einen Schritt zurück, aber er hielt noch immer seine Schultern fest, so als fiele es ihm schwer, Draco loszulassen.

„Ihr geht es gut", sagte er. Er zögerte einen Moment. „Sie ist froh, dass es dir gut geht." Er musterte Draco, und Draco konnte die Missbilligung in seinen Augen sehen, als sein Blick auf seine Muggelkleidung fiel.

„Es war nicht immer einfach, ohne Magie zurechtzukommen, aber ich habe mich daran gewöhnt", sagte Draco kühl. „Ich verstehe natürlich, warum Tigris mich verflucht hat."

Es brachte eine gewisse Genugtuung mit sich, wie überrascht Lucius aussah. Natürlich hatte Tigris ihm nicht gesagt, was er getan hatte, warum auch? Sein Bruder hatte sich offensichtlich nicht verändert.

Er drehte sich zu Tigris um, der sich in einen der Sessel gesetzt hatte und sie beobachtete. „Es ist nun über ein Jahr her, seit du die Macht übernommen hast. Ich hatte früher mit dir gerechnet."

Die Panik wich langsam, und wurde von eisiger Kälte ersetzt. Er konnte nichts daran ändern, was nun geschehen würde. Es war die Situation, die er und Hermione lange gefürchtet hatten. Mehr als das, er hatte darüber nachgedacht, seit Voldemort gefallen war. Er hatte früher mit Tigris gerechnet. Als die Zeit vergangen war, hatte er begonnen, zu hoffen, dass sein Bruder sich entschieden hatte, ihn zu ignorieren, ihn in Ruhe das Leben leben zu lassen, zu dem er ihn verdammt hatte.

Es war ein törichter Traum gewesen. Im Grunde hatte er immer gewusst, dass Tigris ihn niemals vergessen würde, dass dieses Leben und seine Familie ihn irgendwann einholen würden.

„Du warst nicht so einfach zu finden", sagte Tigris. „Du hast dich für Magie ziemlich unauffindbar gemacht."

Hermione. Draco lächelte unwillkürlich. Seine Frau war nicht ohne Grund eine der schlausten Hexen ihrer Generation. „Wie hast du mich dann gefunden?"

„Muggel", sagte Tigris mit einem leicht angewiderten Gesichtausdruck. „Theodore ist immernoch sehr begeistert von ihnen."

Draco wusste sofort, welchen Fehler er begangen hatte. Er hatte gehofft, dass Theodore ihn nicht erkannt hatte, als er ihn im Krankenhaus gesehen hatte. Er lächelte zynisch. „Der gute alte Oscar hat wieder einmal Recht behalten, nicht wahr? Keine gute Tat bleibt unbestraft."

Sein Vater trat einen Schritt weiter zurück und ließ die Hände sinken. „Siehst du dies als eine Strafe, Draco? Du kannst nun nach Hause kommen! Alles kann wieder so sein, wie es war!" Er klang fast beschwörend.

„Kann es das?" Draco drehte seinen Ehering am Finger, und wurde sich dessen erst bewusst, als sich die Augen seines Vaters darauf richteten.

Ihre Blicke trafen sich.

„Liebst du sie?", fragte Lucius mit offensichtlich großer Überwindung. „Diese… Hexe?"

Es gab so viele Antworten, die er darauf hätte geben können. Draco war überrascht, dass sein Vater von der Heirat wusste und gleichzeitig nicht überrascht. Theodore war immer gründlich gewesen. Es war dumm gewesen, ihm zu schreiben, noch dümmer, sich von ihm sehen zu lassen. Draco hatte nicht erwartet, dass sein alter Freund noch immer so mit der Muggelwelt vertraut war, dass er so häufig in die Klinik kommen würde, um Richard zu besuchen. Er hatte gehofft, dass er ihn um ihrer alten Freundschaft willen nicht verraten würde. Aber warum sollte Theodore es vor seiner Familie geheim halten, nun, da Voldemort tot war? Er hatte wahrscheinlich gedacht, dass er ihm einen Gefallen tat.

Draco wusste, was sein Vater ihm dazu sagen würde, hatte es schließlich oft genug gehört. Er könnte Hermione verleugnen, behaupten, es sei nur eine leidenschaftslose Abmachung gewesen, die sich nun leicht ignorieren ließ. Könnte sein Leben dort weiterführen, wo er aufgehört hatte.

Plötzlich erfüllte ihn Wut. Warum sollte er lügen? Warum sollte er weiter vortäuschen, etwas zu sein, was er nicht war, nach allem, was er geopfert hatte? Er hatte darum gekämpft, das zu werden, was er war, es offen und ehrlich sein zu können, gegen alle Widerstände. Warum sollte er es nun alles aufgeben, nur, weil es leichter wäre?

„Ja", sagte er. „Ich liebe sie. Sie ist meine Ehefrau."

Sein Vater zuckte zusammen, als hätte er ihn geschlagen. „Nicht durch Magie."

Draco sah den unsicheren Blick, den er dabei Tigris zuwarf. Interessant.

„Noch nicht. Doch nun, da ich nach Hause zurückgekehrt bin, steht uns nichts mehr im Weg, oder?"

Sein Vater starrte ihn an. „Du hast dich verändert, Draco", sagte er dann. „Aber wenn es das ist, was du willst, werden wir einen Weg finden."

Nun war es Draco, der überrascht einen Schritt zurück wich. Was war das? Er sah zu Tigris, der zufrieden lächelte. Sein Bruder war der Grund für diese schnelle Akzeptanz, aber warum?

„Setz dich, Draco", sagte Tigris, auf einen der Sessel deutend. „Wir haben viel zu bereden."

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„Wir müssen ihn finden!" Hermione wusste, dass sie nicht rational und gelassen klang, und dass das alles andere als hilfreich war, aber sie konnte sich nicht länger beherrschen. Keinen der Anwesenden schien es zu kümmern, dass Draco schon seit mehr als einem halben Tag verschwunden war.

„Das Ministerium hat keine Kapazitäten übrig, eine großangelegte Suche nach einer einzelnen Person zu starten, die sich wahrscheinlich nicht einmal in Gefahr befindet", sagte Percy.

Hermione ballte die Fäuste. „Wie kannst du das sagen?" Sie wusste natürlich genau, warum er das sagte. Hatte diese Argumente heute schon mehrmals gehört. Draco und Tigris waren Familie, einmal ein Todesser, immer ein Todesser. Ganz egal, was Draco riskiert hatte, um diesen undankbaren, arroganten Mistkerlen zu helfen.

„Dein Vater hat gesagt, er ist freiwillig mit ihm gegangen", sagte Albus in einem Tonfall, der wohl beruhigend sein sollte, den sie aber nur gönnerhaft fand.

„Um Papa zu beschützen! Was er auch gesagt hat! Er hat ganz klar gesehen, dass er ihm Schmerzen zugefügt hat!"

„Er hat vielleicht was er gesehen hat falsch interpretiert…"

„Mein Vater mag ein Muggel sein, aber er ist kein Idiot!"

Das brachte Dumbledore zum Schweigen. Gott, der Mann konnte manchmal verdammt arrogant sein. Hermione atmete ein paarmal tief durch.

„Ihr schuldet es mir", sagte sie dann mit zusammengebissenen Zähnen. „Nach allem, was ich für unsere Sache getan habe, schuldet ihr es mir verdammt nochmal, meinen Ehemann sicher nach Hause zu bringen!"

Sie sah den Blick, den die beiden Männer wechselten. Bevor sie wieder wütend werden konnte, nickte Albus.

„Du hast Recht." Er sah Percy an, der offensichtlich etwas einwenden wollte. „Sie hat Recht. Außerdem, Draco Malfoy könnte nützlich für uns sein. Narcissa Malfoy legt uns ständig Steine in den Weg. Wenn wie es aussieht der Fluch aufgehoben ist, und Draco uns hier beim Aufbau unterstützen würde…"

Percys Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde kalkulierend.

Hermione presste die Lippen zusammen. Natürlich, das war alles, was den Minister kümmerte. Sein politischer Vorteil.

„Denkst du, er wird uns unterstützen?", fragte er an sie gewendet.

„Natürlich wird er das", sagte sie mit Überzeugung. Es war eine glatte Lüge, aber in diesem Moment hätte sie noch weit mehr getan, um sie dazu zu bewegen, zu handeln.

Sie wusste nichts über Dracos zauberpolitische Überzeugungen, aber sie vermutete, dass sie sich nicht fundamental geändert hatten. Sie bezweifelte sehr, dass er Percy Weasley unterstützen würde. Wenn überhaupt, dann hoffte sie, dass er neutral bleiben würde.

Albus warf ihr einen Seitenblick zu. Hermione verengte die Augen etwas. Sie wusste, dass er sie durchschaute. Er wusste es aber hoffentlich auch, dass sie es ihm nie verzeihen würde, wenn er ihr nun in den Rücken fiel.

Der Schulleiter lächelte. „Unsere Zusammenarbeit ist bislang immer erfolgreich gewesen, Percy. Ich bin sicher, du hast zumindest ein paar Auroren, die sich dieser Sache annehmen könnten."

Der Zaubereiminister nickte schließlich widerwillig.

Hermione atmete innerlich ein wenig auf. Äußerlich konnte sie sich nicht anmerken lassen, wieviel Angst sie hatte und welche Zweifel sie erfüllten.

Sie wusste nur, was Ginny ihr über Tigris Malfoy erzählt hatte, und was von den Medien berichtet worden war. Draco hatte nie über seinen Bruder reden können. Aber was ihr Vater ihr erzählt hatte passte zu dem Bild, was sie sich von ihm gemacht hatte.

Aus ihrer Schulzeit erinnerte sie sich an einen arroganten, vielleicht zu klugen Jungen, der sich irgendwann entschieden haben musste, die Stimme zu ignorieren, der sie ihr ganzes Leben lang gefolgt war. Sie hatte ihn immer für ein Beispiel dafür gehalten, was falsche Entscheidungen auch aus ihr hätten machen können, wenn sie es zugelassen hätte.

Aber auch wenn Draco nie über sie geredet hatte, sie wusste, dass er seine Familie liebte.

Liebte seine Familie ihn genauso? Genug, ihn am Leben zu lassen?

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„Du kannst nicht wirklich diese Kreatur lieben."

Draco schloss die Augen. Es hatte nicht lange gedauert, bis die Freude der Wiedervereinigung der Realität wich, wie er es immer vorhergesehen hatte.

„Mutter…", sagte Tigris leicht vorwurfsvoll.

In gewisser Weise hatte Draco die Reaktion seiner Mutter immer mehr gefürchtet, als die seines Vaters. Während sein Vater ein im Grunde nihilistischer Pragmatiker war, der die Dinge wie sie waren akzeptieren mochte, wenn er davon profitieren konnte, hatte seine Mutter Überzeugungen.

„Was? Du weißt, das ich Recht habe." Narcissa atmete tief durch. „Nein, ich habe dir zugehört. Ich weiß, du bist der Überzeugung, dass wir sie brauchen. Ich kann sogar verstehen, warum. Aber sicher schließt das nicht ein, sich mit ihnen zu paaren."

Tigris und sein Vater seufzten fast zeitgleich, und überraschenderweise in einem sehr ähnlichen Tonfall.

„Das habe ich die ganze Zeit versucht, zu erklären", sagte Tigris. „Es gibt keinen Grund, der dagegen spricht. Es gibt keinen Unterschied zwischen uns und ihnen. Nichts, was nicht durch die richtige Erziehung geändert werden kann."

Narcissa sah vollständig angewidert aus. „Das kannst du nicht wirklich glauben!"

Tigris lächelte. „Denk nach, Mutter. Würde Magie sich ein Kind auswählen, das ihrer nicht wert ist? Wenn du dir die Muggelgeborenen genauer ansiehst, würdest du sehen, dass alle von ihnen etwas Besonderes sind. Sie alle bringen neue Talente in unsere Welt, sie machen uns stärker. Nicht umsonst waren die beiden mächtigsten Zauberer des letzten Jahrhunderts ein Halbblut. Es ist ihre Unwissenheit, die sie gefährlich macht. Ihre falschen Überzeugungen."

„Ja, das kommt noch dazu", fauchte Narcissa. „Denkt ihr, ich erinnere mich nicht an Hermione Granger? Eine Hexe, die schon in der Schule darauf aus war, unsere Traditionen zu zerstören?"

„Du meinst die Hauselfen", seufzte Draco. „Das war kindisch, sie ist inzwischen erwachsen geworden."

„Ist sie das?"

„Willst du dich wirklich die ganze Zeit hier mit Draco darüber streiten? Er wird seine Meinung nicht ändern."

Narcissa starrte Tigris an und presste die Lippen zusammen. Dann seufzte sie. „Du hast Recht, es tut mir leid. Es ist nur, der Gedanke, dass du all diese Jahre an diesem entsetzlichen Ort leben musstest, unter all diesen… Muggeln. Ich nehme an, sie war wenigstens eine Hexe, aber Draco…" Sie unterbrach sich. „Es tut mir leid. Ich bin so froh, dass du zurück bist. Ich will nicht mit dir streiten."

„Ich auch nicht, Mutter." Draco griff ihre Hände. Seine Mutter hatte sich im Gegensatz zu Lucius nicht sehr verändert, dachte er. Sie sah aus wie immer. Schön und makellos. Hermione hätte sie kalt genannt, aber Draco wusste, dass sie das nicht war. Narcissa war…beherrscht, aber unter ihrer Fassade brannte ein heißes Feuer, das nur zu leicht verbrennen konnte.

Er dachte einen kurzen Moment darüber nach, wie sehr sich Lucius und Narcissa von Bernard und Hannah unterschieden. Wie würde Hermione jemals seine Familie verstehen können? Vielleicht hatte seine Mutter Recht, und ihre Beziehung war zum Scheitern verurteilt. Es war einfach gewesen, als sie in ihrer eigenen Welt gelebt hatten, ohne jemals in der Lage zu sein, über die Zaubererwelt und ihre Überzeugungen zu reden.

„Ich lasse euch Abendessen, aber morgen sollten Draco und ich reden", sagte Tigris.

Lucius sah leicht beunruhigt aus. Draco fröstelte. Sein Bruder und er hatten bislang über nichts von Relevanz geredet. Tigris hatte ihm von seinem Sieg über Voldemort erzählt, und wie er die Todesser übernommen hatte, aber er hatte ihm nicht wirklich gesagt, was er von ihm wollte.

„Willst du nicht mit uns essen?", fragte seine Mutter.

Tigris lächelte, aber seine Augen waren kalt. „Nein. Ich habe noch etwas… Geschäftliches… zu erledigen."

Draco sah seinem Bruder nachdenklich nach, als er ging. Er war in so vielen Dingen gleich geblieben, aber er hatte sich auch verändert. Als wenn etwas, das in der Vergangenheit in ihm gewachsen war, kristallisiert wäre und sich verhärtet hatte. In der Vergangenheit war Tigris immer mit sich selbst in Konflikt gewesen, hatte an den Entscheidungen gezweifelt, die er getroffen hatte, auch wenn ihn das nicht davon abgehalten hatte. Offensichtlich hatte er seine Zweifel überwunden. Er war sich nicht sicher, was das bedeutete.

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„Ich habe dem Minister gesagt, dass ihr mir etwas schuldet, aber wenn du ehrlich bist, dann weißt du, dass wir Draco ebenso viel schulden. Ohne sein Opfer hättest du nie rechtzeitig begonnen, zu handeln. Ohne ihn hättest du Tigris Malfoy nie als das gesehen, was er ist."

Albus sah sie über ihre Brille hinweg an. „Wieso denkst du das?"

Hermione schnaubte abfällig. „Versuch das nicht mit mir, Albus. Hast du gedacht, Minerva und ich reden nicht miteinander? Jemand musste etwas gegen deine ewige Geheimniskrämerei tun, wenn wir gewinnen wollten. Du bist nicht unsterblich, auch wenn du selbst das zu denken scheinst. Wir brauchten einen Plan B."

Sie tigerte vor seinem Schreibtisch auf und ab. „Ich habe das nie verstanden, wenn ich ehrlich bin. Warum warst du so überzeugt, dass Tigris derjenige aus der Familie wäre, der Voldemort den Rücken kehren würde? Er war immer arrogant. Ich war ein blutjunges Mädchen und ich habe ihn als das gesehen was er war. Wie konnte es dir entgehen? Du hast es schon zweimal zuvor erlebt."

Albus seufzte und wich ihrem Blick aus. „Ich vermute, auch ich werde langsam alt. Hoffnung kann etwas Gefährliches sein."

Hermione runzelte die Stirn. Er wollte es ihr nicht sagen, und das machte sie umso mehr neugierig. Eines Tages würde sie die Antwort herausfinden. Aber heute war nicht dieser Tag.

„Ich bin froh, dass du mich im Ministerium unterstützt hast, aber du kannst mehr tun. Bitte tu nicht so, als wenn du nicht wüsstest, wovon ich rede. Zwing mich nicht dazu, mich zu wiederholen."

Albus strich über seinen Bart. „Nein. Es ist Zeit, alle zusammenzurufen. Es gibt ohnehin vieles, was wir bereden müssen."

Hermione stemmte die Hände in die Hüften. Das war beinahe zu einfach gewesen. „Gut."

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Am nächsten Morgen brachte Lucius Draco zu einem Haus, in dem Tigris nun anscheinend lebte. Ein Haus, das davor das Hauptquartier Voldemorts gewesen war. Es fühlte sich nicht so an. Im Gegenteil, es erinnerte Draco an eine Abtei, die er einmal mit Hermione besucht hatte.

„Es war lange Zeit eine."

Draco zuckte unwillkürlich zusammen. Er hatte vergessen, mit welcher Leichtigkeit sein Bruder wusste, was er dachte.

„Dies ist ein magisch mächtiger Ort. Es haben einmal Druiden hier gelebt, lange bevor die Muggel es übernahmen, und die Blacks es sich zurückholten. Einer der Gründe, warum Voldemort diesen Ort so begehrt hat."

„Und du?"

Die Nacht, die Draco in Malfoy Manor verbracht hatte, war lieblich gewesen und surreal. Die Hauselfen waren außer sich vor Freude gewesen, dass er zurück war. Selbst das Haus selbst schien ihn freudig zu begrüßen. Er hatte in seinem alten Raum übernachtet, der noch genauso aussah, wie er ihn Jahre zuvor verlassen hatte. Kein Körnchen Staub, kein Ding verändert. Es fühlte sich an, als hätte er es nie verlassen, und doch war alles anders. Er hatte Dilly gebeten, ihm alte Zeitungen zu bringen, und die halbe Nacht gelesen. Die Artikel während Voldemorts Herrschaft waren widerwärtig, und er fragte sich, wie die Zaubererwelt nach all den Jahren dieser Propaganda aussah. Konnte es wirklich einfach vorbei sein? Änderten sich die Gedanken der Menschen so leicht? Nachdem sie so reuelos ihre Mitzauberer und Hexen denunziert und dem Tod ausgeliefert hatten? Sie zum Objekt all ihres Hasses gemacht hatten und zur Ursache all ihres Unglücks? In der Geschichte der Muggel zeigte sich das Gegenteil. Vielleicht schämten sie sich nun. Vielleicht waren sie still, weil eine neue Autorität ihnen sagte, dass was sie getan hatten falsch war. Die Worte änderten sich, aber die Gedanken nicht. Es brauchte nur die Erlaubnis, einen neuen Anführer, der ihnen sagte, dass sie sich nicht länger zu schämen brauchten, um alles von vorn beginnen zu lassen.

„Ich werde nicht dieser Anführer sein."

„Wirklich?" Draco sah auf das Symbol, was über dem Schreibtisch hing. Er wusste, was es bedeutete.

„Ich weiß, du hast dich in all der Zeit an die Muggel gewöhnt, und denkst nun, sie unterscheiden sich nicht wirklich von uns…"

Draco lachte. Er drehte sich zu Tigris um und bemerkte amüsiert, dass sein Bruder ein wenig überrascht aussah. „Für jemanden, der ständig meine Gedanken liest, kennst du mich nicht besonders gut, nicht wahr, Bruder?"

Draco atmete tief durch. „Du hast Recht, Muggel unterscheiden sich in vielen Dingen nicht besonders von uns. So wie Hauselfen, Goblins, Zentauren und Werwölfe sich nicht viel von uns unterscheiden. Aber in anderer Hinsicht unterscheiden sie sich völlig von uns. Ich habe mit ihnen gelebt, ja. Du hast mich gezwungen, mit ihnen zu leben, sie zu verstehen."

Tigris sah ein wenig verwirrt aus. Er deutete zum Sofa. „Bitte, setz dich doch."

Draco setzte sich und schloss einen Moment die Augen. Er wusste, dass er vorsichtig mit dem sein musste, was er sagte. Er schwieg einen Moment. „Warum sagst du mir nicht einfach, was du willst", sagte er schließlich.

„Ich will, dass du dich mir anschließt", sagte Tigris. Nach all dem, was seit dem vorigen Tag geschehen war, war Draco darüber nicht im Geringsten überrascht. Er bezweifelte nur sehr, dass sein Bruder ein Nein akzeptieren würde. „Ich erwarte nicht, dass du es blind tust. Wenn du mich nach meinen Zielen fragst, werde ich dir antworten."

„Damit du mir wohlklingende Lügen erzählst?", fragte Draco bitter. „Darauf bin ich schon einmal hereingefallen. Ich weiß, was du getan hast, Bruder. Das zeigt deine Überzeugungen deutlicher, als deine Worte es je können werden."

„Ich hätte Voldemort niemals nah genug kommen können, um ihn zu töten, hätte ich es nicht getan."

Draco lachte zynisch. „Natürlich. Alles was du getan hast war nur Teil eines raffinierten Plans zur Rettung des Großen Ganzen. In Wirklichkeit hast du deine gryffindorschen Überzeugungen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit niemals aufgegeben. Tief in deinem Herzen liebst du Muggel und Muggelgeborene und würdest keiner Fliege etwas tun. Du bist einfach nur missverstanden! Warum ist mir das nicht schon früher klar geworden?" Er wusste, dass er seinen Bruder provozierte, aber er konnte sich nicht helfen. Vielleicht wollte ein Teil von ihm herausfinden, wie weit er gehen konnte, und was passieren würde, wenn er diese unsichtbare Linie überschritt.

Tigris' Hand griff reflexartig nach seinem Stab, aber er beherrschte sich und faltete seine Hände auf dem Rücken. „Sei kein Idiot!", zischte er. „Ich verabscheue Muggel, und daran hat sich nichts geändert. Die Überzeugungen meiner Kindheit habe ich lange hinter mir gelassen, sie waren naiv und hielten vor der Realität nicht stand. Ich werde niemals Dumbledores Überzeugungen teilen. Spiel mir nicht vor, das würde dich unglücklich machen, es ist nicht so, als ob DU sein eifrigster Anhänger wärst."

„Vielleicht", sagte Draco kühl. „Aber das heißt nicht, dass ich alle Muggel tot sehen will. Du hast mir bereits alles gesagt, was ich wissen muss. Egal, mit welcher glorreichen Ideologie du es rechtfertigst, du wirst genau da weiter machen, wo Riddle aufgehört hat. Ich will damit nichts zu tun haben. Ich werde mich dir niemals anschließen. Wenn du mich dafür umbringen willst, dann tu es. Ich habe schon vor Jahren die Entscheidung getroffen, dass mein Leben nicht das von unzähligen anderen wert ist, muggelgeboren oder nicht."

„Ich bin nicht Voldemort", zischte Tigris.

Draco sah ihn tief durchatmen, offenbar in einem Versuch, sich zu beherrschen. Sein Bruder war erwachsener geworden, aber in vieler Hinsicht war er noch immer so, wie er früher gewesen war. Der Junge, der gedankenlos seinen Lehrer und seine Mitschüler gefoltert hatte, und sich ohne zweimal darüber nachzudenken Voldemort als Schüler angeboten hatte, weil es ihm Macht und Einfluss brachte.

„Er hatte nicht vollkommen Unrecht, und ich will nicht abstreiten, dass ich einige seiner Ansichten teile. Muggel sind gefährlich, und sie zerstören diese Welt, eine Welt in der auch wir Zauberer leben. Unsere Kultur, unsere Traditionen sind wichtig. So wie die Dinge im Moment gehandhabt werden, wird unsere Welt langsam aber sicher von der Kultur der Muggel assimiliert, und wir verlieren unsere Identität. Die Art, auf die ich vorhabe etwas daran zu ändern ist es, was uns unterscheidet. Ich habe nicht vor, Muggelgeborene umzubringen. Meiner Meinung nach ist ein Zauberer ein Zauberer, egal wer seine Eltern sind. Sie werden niemals sein was wir sind, denn sie teilen unsere Geschichte nicht, aber das macht sie nicht weniger magisch. Wenn sie lernen, was es wirklich bedeutet ein Zauberer zu sein, wenn sie beginnen unsere Traditionen zu teilen und bereit sind Teil unserer Kultur zu werden gibt es keinen Unterschied mehr zwischen uns."

Tigris hatte das zuvor gesagt, aber Draco war sich noch immer nicht sicher, ob er es glaubte. Ja, Tigris war einmal mit Hermione befreundet gewesen, aber das war lange her. Viel hatte sich seitdem verändert.

Mehr als das, er war sich weit weniger sicher als Tigris, dass dies eine einfache Lösung sein würde. Ironischerweise erkannte er nun, wie sehr diese Idee aus reinblütiger Arroganz geboren war, der absoluten Überzeugung, dass alles in der Zaubererwelt der Muggelwelt weit überlegen war, und dass das einzige, was Muggelgeborene daran hinderte, das zu erkennen, Unwissen war.

Vielleicht lag es auch an den Muggeln, mit denen Tigris aufgewachsen war. Muggel, die ihm nie eine Seite ihrer Welt gezeigt hatten, die er hätte mehr lieben können als die Zauberwelt, in die er ihnen entflohen war.

Draco zweifelte nicht daran, dass es Muggelgeborene geben würde, die sich Tigris anschließen würden. Aber er bezweifelte ebensowenig, dass viele von ihnen niemals bereit sein würden, die Welt völlig aufzugeben, aus der sie kamen.

„Voldemort hat immer gewusst, dass ich so dachte", sagte Tigris. „Es hat ihn nur nicht interessiert. Er hat es niemals geschafft, seine Besessenheit mit unwesentlichen Dingen hinter dem höheren Ziel zurückzustellen. Ich will die Welt zum Besseren verändern. Nicht nur die Zaubererwelt, die gesamte Welt. Muggelgeborene sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Pläne. Sie sind unsere Verbindung zur Muggelwelt. Ohne sie kann ich niemals erreichen, was ich will."

„Und du glaubst, sie werden dir helfen?", fragte Draco ungläubig. „Helfen, ihre Eltern und Verwandten umzubringen?"

„Hörst du mir denn gar nicht zu?", fragte Tigris frustriert. „Ich will sie nicht umbringen. Die Muggelgeborenen werden erkennen, dass ich Recht habe. Sie gehören nicht in die Muggelwelt, sie sind Zauberer. Sie haben ein Recht darauf, Teil unserer Kultur zu sein. Das Ministerium und Dumbledore verweigern ihnen das. Sie machen sie zu Halbwesen, die weder hier noch dorthin gehören. Sie idealisieren die Muggel. Muggelgeborene, die sie selbst kennen gelernt haben, wissen am Besten, wie sehr Dumbledore sich irrt. Muggel sind keine süßen schwachen Wesen, die beschützt werden müssen. Wenn sie überhaupt beschützt werden müssen, dann vor sich selbst. Muggelgeborene, die sich mir anschließen, bekommen die Möglichkeit, zu werden, wozu sie wirklich bestimmt sind. Sie werden Macht und Einfluss erlangen, die sie sich in Dumbledores Welt nicht erträumen können. Natürlich werden sie mir helfen. Nicht alle, sicherlich, aber genug."

Draco konnte plötzlich sehen was Tigris dachte, was er wollte, und es war ein erschreckender Gedanke. Der Gedanke, dass er damit Erfolg haben könnte. „Du willst sie nicht umbringen, du willst sie vor sich selbst beschützen?", fragte er halb spöttisch, halb ungläubig. „Und wie bitte willst du das machen?"

„Ich habe auf meinen Reisen eine Menge interessanter Dinge gelernt", erwiderte Tigris lächelnd. „Wirklich interessante Dinge. Du hast so viel Zeit mit den Muggeln verbracht, hast du dich jemals mit ihrer Geschichte beschäftigt?"

„Nicht sehr viel", sagte Draco zurückhaltend. Hermione war fasziniert von Geschichte in all ihren Formen, und hatte einen großen Anteil an Geschichtsbüchern in ihrer Sammlung. Draco hatte hin und wieder mal eines in die Hand genommen, aber die Wahrheit war, Muggelgeschichte frustrierte ihn.

Er hatte versucht, Hermione zu erklären warum, aber sie verstand es nicht, wenn er ihr sagte, dass die berühmten Muggel der Vergangenheit keinen Bezug zur Gegenwart hatten, und niemand wissen konnte, ob was in den Büchern stand wahr oder frei erfunden war. In der Zaubererwelt sammelten die alten Familien sorgfältig historische Aufzeichnungen, und sie wussten wie ihre Vorfahren die Geschichte ihrer Welt beeinflusst hatten. Die Porträts der Familien erzählten ihre Geschichte, und schulten ihre Enkel und Urenkel darin, wie ihre Gegenwart entstanden war. Brachten Ihnen bei, welche Entscheidungen zu Triumph führten und welche zu Ruin. Die berühmten Muggel hatten keine Nachfahren. Die einzigen, die er hatte finden können, die dem was er aus der Zaubererwelt kannte ähnlich waren, waren die Savoyen in Italien, und selbst deren Nachfahren waren weit verstreut und weitgehend unbekannt. Es gab ein paar Familien, die von den Muggeln als alt angesehen wurden, so wie Haus Saud und die Sumitomo Familie, aber ihre Geschichte war nicht einmal 500 Jahre alt, was Draco lächerlich erschien. Muggel schienen ein Talent dafür zu haben, ihre besten Blutlinien in Kriegen und Unruhen zu vernichten, oder schlicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Kein Wunder, dass es sie nicht kümmerte, wer zu ihrer Weiterentwicklung beitrug und wer sie anführte. Kein Wunder, dass Muggelgeborene die Zaubererwelt so wenig verstanden. Sie glaubten, es spiele keine Rolle, woher jemand kam. Sie dachten, Herkunft bringe weder ein Privileg noch eine Verantwortung mit sich. Vielleicht war das ja bei Muggeln auch so, vielleicht war jeder von ihnen ein von seiner Geburt an unbeschriebenes Blatt und konnte mit seinem Leben tun, was immer er wollte. Es war ein zugleich erschreckender und abstoßender Gedanke.

„Sie wiederholt sich", sagte Tigris. „Sie ist wie ein Kreis, der immer zu seinem Anfang zurückkehrt, aber sie nehmen das nur selten wahr. Wenn sie es bemerken, erfinden sie nicht selten Verschwörungstheorien über Geheimbünde, die Politik und Wirtschaft in ihrem Interesse beeinflussen, aber die Wahrheit ist, dass sie schlicht und einfach nie aus der Vergangenheit lernen. In jedem Jahrhundert denken sie, sie hätten sich weiterentwickelt, sie wären besser als ihre Vorfahren und könnten somit ignorieren, was diese falsch gemacht haben, aber in Wirklichkeit sind sie sehr vorhersagbar. Wenn es wirklich solche Verschwörer gäbe, hätten sie nicht sehr viel Arbeit."

Tigris hielt einen Moment inne um nachzudenken.

„Als ich in Italien war habe ich mit großer Überraschung beobachtet, dass die Koexistenz von Muggeln und Zauberern tatsächlich möglich ist. Die Muggel dort wissen von den Zauberern. Sie hören ihnen zu, wenn sie ihnen Rat geben. Sie vertrauen darauf, dass die Zauberer sie beschützen, ihnen helfen und sie leiten. Vor Jahrtausenden war dies auf der ganzen Welt so. Doch mit der Zeit begannen die Muggel, uns zu fürchten und zu misstrauen. Dies hat zu dem Dissens geführt, mit dem wir heute leben. Würde nun die ganze Welt von uns erfahren, würden die Muggel uns jagen und versuchen, uns für ihre Zwecke zu missbrauchen. Vielleicht würde es ihnen sogar eines Tages gelingen. Mit jedem Jahr, in dem ihre technologische Entwicklung voranschreitet, wächst diese Gefahr. Wir müssen einschreiten, bevor es zu spät ist.

In Deutschland haben die Muggel seit dem Desaster Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts keine Ahnung, dass Zauberer unter ihnen leben. Die BILD leistet dermaßen gute Arbeit, dass eine Zusammenarbeit mit der Muggelregierung niemals notwendig wurde. MACUSA in Nordamerika hat aus ähnlichen Gründen entschieden, dass es gefährlich und unnötig ist, die Muggel zu informieren. Meiner Überzeugung nach sollte das auch in allen anderen Ländern so sein. Das Wissen der Muggelregierung über uns hat keinerlei Nutzen und birgt eine umso größere Gefahr.

Was nötig ist, ist ein mehr subtiler Einfluss, ein Einfluss, dessen sich die Muggel nicht bewusst sind. Ein Einfluss, den wir sehr einfach ausüben könnten. Eine Kontrolle von innen heraus.

Muggel zerstören diese Welt durch ihre Technologie, durch ihre Waffen, die immer zerstörerischer werden, und durch ihre schiere Zahl. Indem wir sie kontrollieren, retten wir die gesamte Welt – und das ist nicht mehr als unsere naturgegebene Verantwortung. Wir sind die überlegene Spezies. Das waren wir immer. In einigen Jahrzehnten, oder vielleicht Jahrhunderten, können wir wieder offen das Zepter übernehmen, wie zu Anbeginn der Zeit."

Tigris strich mit der Hand über das Zepter des Re, das auf seinem Tisch lag und sah auf das Graue Mal, wo es sich mit dem Lilienzepter kreuzte. Herrschaft über die Zauberwelt und die Muggelwelt, vereinigt im Zeichen der Unendlichkeit. Es war ein utopisches Ziel. Aber wann hatte er sich jemals davon aufhalten lassen?

„Du sagst, Muggel zerstören diese Welt durch ihre Zahl, dennoch behauptest du, du willst sie nicht umbringen? Das erscheint mir sehr seltsam." Draco wusste, dass er zynisch klang. Es war nicht einmal so, dass es ihn wirklich besonders kümmerte. Er wusste, niemand war besser darin, Muggel umzubringen, als die Muggel selbst.

Tigris hatte ihn nicht gefragt, welchen Unterschied er zwischen Zauberern und Muggeln gesehen hatte. Es gab unzählige, aber vor allem einen. Muggel waren hungrig. Ihnen war was sie hatten nie genug. Zauberer hatten über Jahrhunderte in ihrem kleinen Teil der Welt gelebt, mit wenigen Kindern und einem langen Leben. Entwicklung in der Zaubererwelt verlief langsam, weil niemand viel Sinn darin sah. Es gab nur alle paar hundert Jahre einen Nicholas Flamel, und ein solcher Zauberer wurde immer als exzentrisch und etwas verrückt angesehen.

In dieser Zeit hatten sich die Muggel über die ganze Welt ausgebreitet, und nun, da sie sie fast völlig ausgefüllt hatten, redeten sie darüber, den Mond zu kolonisieren, und den Mars. Firmen war es nicht genug, etwas zu produzieren, sie wollten wachsen. Selbst einzelne Menschen waren nicht einfach damit zufrieden, einer Arbeit nachzugehen und sie gut zu tun, sie wollten immer mehr erreichen, mehr besitzen. Es gab auch in der Zaubererwelt solche Personen, aber die meisten von Ihnen hielten irgendwann ein. Selbst Dumbledore war mit Hogwarts zufrieden gewesen. Muggel hörten niemals auf. Muggelgeborene brachten diesen Hunger mit.

Es gab gute Gründe, warum so viele der erfolgreichsten Erfinder und Firmengründer Muggelgeborene waren. Fast alle der neueren Zaubertränke waren von Muggelgeborenen kreiert worden. Der Eigentümer von Nimbus war muggelgeboren. Etliche dunkle Lords und Ladys waren muggelgeboren. So sehr er seine Frau auch liebte, Draco wusste, sie war von der gleichen Unruhe getrieben. Egal wieviel sie bereits erreicht hatte, sie war niemals mit dem zufrieden, was war.

„Ich brauche sie nicht umzubringen", sagte Tigris lächelnd. „Sie tun das ganz alleine. Muggel sind gierige Tiere, aus den lächerlichsten Gründen fallen sie übereinander her. Ihre große Zahl hat dazu geführt, dass ihre Ressourcen immer knapper werden. Die Wohlhabenden unter ihnen hängen zu sehr an ihrem Wohlstand und an ihrer bequemen Lebensweise, um sie aufzugeben. Sie fürchten und hassen die anonymen Massen, deren Begierde ihre Privilegien gefährden könnte. Diejenigen, die weniger haben, hassen sie im Gegenzug genauso. Es braucht nur einen winzigen Anlass, eine Entschuldigung, ihre abstrakten Moralvorstellungen zu vergessen, und sie gehen aufeinander los.

Furcht und Gier regieren den menschlichen Geist... noch etwas, was ich von Voldemort gelernt habe. Erschieße einen Prinz in Sarajewo, und die Welt versinkt im Krieg. Zerstöre einen Turm in Amerika, und Länder werden in Flammen aufgehen. Es ist enttäuschend einfach.

Es gibt so viele tragische Ereignisse, denen Muggel zum Opfer fallen. Kathastrophen und Krankheiten. Ja, sie haben viele interessante Dinge erfunden, aber diejenigen, die sie haben, teilen sie nicht mit denen, die sie brauchen, somit spielt das keine Rolle. Ihr bequemes Leben ist ihnen wichtiger, als das Überleben von anderen Muggeln, die sie nie getroffen haben. Vielleicht halten sie es sogar für human nichts zu tun – sie wissen schließlich selbst, dass sie zu viele sind. Je mehr sie werden, je größer wird in ihnen die Angst, dass sie den Wohlstand verlieren könnten, an dem sie so hängen.

Du siehst also – es werden nicht wir sein, die sie umbringen. Sie tun das ganz von selbst. Die Muggel haben errechnet, dass diese Welt ein Drittel der heutigen Erdbevölkerung ernähren kann. Im Grunde müssen wir uns also nur zurücklehnen und abwarten, bis sie sich gegenseitig zerfleischen. Wir werden die nächsten Jahrhunderte in jedem Fall überleben. Das einzige, worum wir uns kümmern müssen, ist, dass die Welt die uns bleibt noch lebenswert ist."

Darco starrte Tigris einen Moment lang an. Er hatte oft das Gleiche gedacht, aber es jagte einen Schauer über seinen Rücken, es so kühl und unbeteiligt zu hören. Als wenn es unvermeidlich wäre. Er dachte an Bernard, der eine solche Hoffnung hatte, dass die Muggel sich eines Tages ändern würden, dass sie erkennen würden was sie taten und sich entscheiden würden, aufzuhören. Selbst Bernard wusste, dass es nur ein Traum war.

„Du willst sie kontrollieren, indem du ihre Regierungen infiltrierst, sehe ich das richtig?", sagte er dann. „Dazu brauchst du Muggelgeborene, denn die können sich als Muggel ausgeben, ohne aufzufallen. Ich halte das für utopisch, aber sei's drum. Was ist mit unserer Welt? Was hast du da vor? Willst du das Zaubereiministerium genauso infiltrieren? Was ist, wenn jemand Wind davon bekommt, was du tust? Der Orden und die Auroren werden nicht aufhören, dich zu bekämpfen."

„Sie können nicht bekämpfen, was sie nicht kennen", entgegnete Tigris. „Solange sie nicht wissen, wer wir sind und wo wir sind, was können sie tun? Nichts. Wenn sie mich direkt angreifen, habe ich kein Problem damit, sie umzubringen. Aber das wird nicht geschehen.

Ich habe dir zum Teil schon gesagt, was ich will. Ich will, dass unsere Traditionen wieder mehr an Bedeutung gewinnen, dass unsere Welt sich stärker von der Muggelwelt abgrenzt, dass Muggelgeborene lernen, was es wirklich heißt, ein Zauberer oder eine Hexe zu sein. Ich will, dass die Zaubererwelt sich ihrer Identität wieder neu bewusst wird, und dass Narren wie Dumbledore als das erkannt werden, was sie sind. Ich will, dass wir die Stärke zurückgewinnen, die wir einst besaßen. Ich will, dass allen Zauberern und Hexen bewusst wird, dass diese Stärke und die Verantwortung, die mit ihr kommt, rechtmäßig uns gehört.

Das alles lässt sich sehr viel besser durch Politik und Propaganda erreichen, als durch Gewalt.

Ja, ich werde versuchen, das Ministerium zu infiltrieren. Es ist der schnellere Weg. Aber ich werde die anderen Wege deswegen nicht vernachlässigen. Ich weiß, dass die Menschen uns nach einiger Zeit zuhören werden, weil ich weiß, dass ich die Wahrheit sage. Sie werden das erkennen. Wenn genug Leute lange genug verständlich genug sagen, an was sie glauben, werden andere sich ihnen anschließen.

Voldemorts Fehler war es, dass er die Welt mit Terror regieren wollte. Terror bringt Menschen dazu, sich zu unterwerfen, aber nicht dazu, zu erkennen, dass man im Recht ist. Wenn überhaupt bewirkt er das Gegenteil. Viele intelligente Leute, die Vater unterstützten, weil sie seine Meinung teilten, distanzierten sich von ihm, als der Terror zunahm. Mit ihrer Unterstützung hätte er vielleicht einen politischen Umschwung erreichen können. Aber das war es nicht, was Voldemort wollte. Voldemort interessierte sich nicht dafür, was das Beste für unsere Welt ist. Er wollte als ein Gott gefeiert werden, als alleiniges Gesetz. Das ist nicht mein Ziel. Ich ziehe es vor, im Schatten zu bleiben."

„Um ein Gott im Schatten zu sein. Ich frage mich, was gefährlicher ist."

„Ich habe keine Absicht, ein Gott zu sein. Ich bin bei weitem zu menschlich dafür. Aber jemand muss das Zepter führen, und ich habe nicht vor es abzugeben, das ist wahr. Eine Herrschaft von vielen ist Anarchie. Dumbledore weiß das ebenso gut wie ich. Das ist der Grund dafür, dass er seine Herrschaft nicht teilt. Außerdem höre ich auf meinen Inneren Kreis... oder bemühe mich zumindest, es zu tun." Tigris grinste selbstironisch.

„Weil die Androhung des Cruciatus sie so sehr dazu inspiriert, die Wahrheit zu sagen?", fragte Draco, wenig überzeugt.

„Sie können mich nicht anlügen", sagte Tigris geradeheraus. „Das Mal verhindert das. Ich werde sie nicht dafür verfluchen, dass sie mich kritisieren. Meine Strafen beschränken sich auf beabsichtigten Ungehorsam und vermeidbare Fehler. Wenn ich beginne, meine Leute zu verfluchen, weil mir das, was sie sagen, nicht gefällt, bin ich vermutlich ebenso geisteskrank wie Voldemort und es wird Zeit, dass jemand mich erledigt. Mein Innerer Kreis weiß genug, um zumindest eine gute Chance zu haben. Wenn es ihnen nicht gelingt... Nun, falls ich jemals wirklich den Verstand verlieren sollte, dann hat diese Welt ein größeres Problem als ein paar Crucios zuviel."

Draco fühlte, wie ein Schauer sein Rückgrat hinunter lief. Es war dieser Moment, in dem er wusste, dass Tigris Erfolg haben würde.

Nicht, weil er mit dem, was er sagte, Recht hatte. Nicht, weil Draco an das glaubte, was er sagte. Aber weil er es sagte, als würde er es glauben. Draco konnte nicht einmal mit Gewissheit sagen, dass er log.

Er hatte immer gewusst, dass sein Bruder die Gabe hatte, Menschen zu überzeugen. Er war in diese Gabe hineingewachsen. Es würde mehr als genug Zauberer und Hexen geben, die ihm glaubten. War es nicht das, wonach sie sich alle sehnten? Einen Anführer, der der offen und ehrlich die Wahrheit sagte? Ein Anführer, der wusste, wovon er sprach und mehr noch, eine Lösung für all ihre Probleme kannte? Eine Lösung, die niemandem wehtun würde, und von den meisten nicht einmal viel Anstrengung erforderte?

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Tigris konnte sehen, dass Draco ihm glaubte. Warum auch nicht? Schließlich sagte er die Wahrheit. Tigris schloss die Augen und verfolgte das geistige Netzwerk seiner Schatten in Gedanken. Er konnte die Magie von jedem einzelnen darin spüren. Ceridwen hatte nicht gelogen. Er war nun so mächtig, wie es ein Mensch nur hoffen konnte, zu werden. Er war unsterblich... unsterblicher als Voldemort. Soweit er wusste, gab es nur wenige Wege, einen Basilisken zu töten, und diese würden sehr wahrscheinlich nicht funktionieren, solange das Netzwerk seine Seele verankerte. Er war zufrieden damit, im Schatten zu bleiben. Er wusste, dass er nicht immer Recht hatte, im Gegenteil. Er war froh darüber, dass er das Netzwerk hatte. Unzählige Stimmen, die ihn daran erinnerten, wie menschlich er war, und wie oft er sich irrte. Wenn er eines Tages beschloss, nicht mehr auf sie zu hören... nun, er hoffte, dass sein Innerer Kreis wirklich genug wusste, um es mit ihm aufzunehmen. Tigris würde alles dafür tun, dass dieser Zeitpunkt niemals eintrat.

„Was willst du dann von mir?", fragte Draco frustriert. „Welchen Nutzen hat es, wenn ich den Schatten beitrete? Es gibt dutzende Zeugen, dass ich mit dir gegangen bin. Jeder wird es wissen."

Tigris trat ans Fenster, und sah auf den Hof hinaus. Er war noch nicht dazu gekommen, daran etwas zu ändern. Eines Tages würde sich dieser Friedhof in einen Garten verwandeln, aber noch sah er auf moosbewachsene Grabsteine.

„Ich brauche einen Spion im Orden des Phönix", sagte er.

Eine Weile herrschte Schweigen, dann lachte Draco hemmungslos. „Bist du verrückt? Sie werden mir niemals vertrauen!"

„Sie vertrauen Hermione", sagte Tigris. „Sie werden dir vertrauen, wenn sie dir vertraut."

Draco schnaubte. „Sie mag verliebt in den Muggel gewesen sein, der ich gezwungen war zu sein, aber sie ist keine Idiotin."

„Sie liebt dich genug, um dich geheiratet zu haben. Ich weiß, du liebst sie genauso viel. Warum auch nicht, sie ist eine beeindruckende Hexe. Eure Kinder werden ohne Zweifel der Malfoydynastie Ehre machen, auch wenn Vater das anders sehen mag." Zwischen den Grabsteinen flogen einige kleine Vögel umher. Tigris hatte nie zuvor Vögel auf dem Friedhof gesehen. Vielleicht war es ein Zeichen von Neubeginn. „Sie wird dich noch mehr lieben, wenn du die Folter durch meine Schatten überlebst und dem Orden alles über mich erzählst, was du weißt."

Als Tigris sich umdrehte, war Draco bleich geworden. „Ich würde dich nicht verraten..."

Tigris lächelte trocken. „Ah, aber du hast mich gefragt, was ich von dir will. Das ist es, was ich von dir will. Ich habe die Zauber aufgehoben, die dich zur Verschwiegenheit verdammten. Alle von ihnen. Ich will, dass du redest. Ich will, dass du ihnen alles erzählst, was ich dir gesagt habe, alles was du über mich weißt. Alles, außer dass du loyal zu mir bist. Danach werden sie dir vertrauen."

Draco schlang die Arme um sich und sah zu Boden. „Warum redest du dann von Folter?"

„Weil sie niemals glauben werden, dass ich dich einfach so gehen lassen habe. Du bist ein Verräter. Wenn ich nicht damit gerechnet habe, dass du überlebst, ist die Tatsache, dass ich die Zauber aufgehoben habe, nur eine weitere Form der Folter. Schließlich bin ich davon ausgegangen, dass du niemals jemandem sagen kannst, was du weißt. Warum sollte ich dich so gehen lassen? Es wäre offensichtlich, dass ich etwas plane. Außerdem würden sie niemals jemandem misstrauen, der beinahe für sie gestorben ist."

„Ich verstehe", sagte Draco heiser. „Was, wenn ich ablehne?"

„Ich werde dich nicht töten, wenn du das meinst. Schließlich habe ich mir mehr als genug Mühe gegeben, dich am Leben zu halten. Ich werde dich entweder hier behalten, oder deine Erinnerung wirklich löschen und dich in die Muggelwelt zurück schicken. Allerdings nicht hier, und nicht mit diesem Aussehen. Wenn Zauberer dich finden, wirst du lernen, wieder Magie zu benutzen, und ich möchte dir niemals auf der anderen Seite gegenüberstehen."

„Also habe ich die Wahl, ein Gefangener zu sein, oder ein ahnungsloser Muggel", sagte Draco bitter.

„Ich werde dich nicht in einer Zelle einsperren. Du kannst in diesem Haus alles tun was du willst, auch zaubern. Du kannst es nur nicht verlassen."

Draco lächelte ironisch. „Ein Gefangener in einem goldenen Käfig."

„Du wirst leben."

„Das ist kein Leben."

Tigris seufzte. „Ich kann dich nicht einfach so gehen lassen. Wenn ich dich gehen lasse, wirst du zu Hermione laufen. Selbst wenn du mich nicht verrätst, selbst wenn sie dir misstraut und dich verstößt... du wirst entweder in Askaban oder auf Dumbledores Seite landen. Ich bin nicht selbstlos genug, das zuzulassen."

„Ich könnte in der Zaubererwelt untertauchen. Du würdest niemals wieder etwas von mir hören."

„Du überschätzt dich selbst und unterschätzt den Orden. Sie werden dich finden, und wenn sie es nicht tun, dann finden Todesser dich. Die meisten von ihnen wissen nicht, dass es mir egal ist, was du getan hast."

Draco ballte die Fäuste. „Die Wahl, die du mir lässt, ist keine Wahl!"

„Warum nicht? Du kannst die Muggelwelt wählen. Du würdest vollkommen von neuem beginnen. Du würdest nichts und niemanden vermissen. Oder du kannst Gefangenschaft wählen, aber dies ist ein luxuriöses Gefängnis. Es wird lange dauern, bis du dich langweilst. Du wirst dich daran gewöhnen."

„Ich will meine Freiheit zurück", sagte Draco leise. „Meine Freiheit als Zauberer."

Tigris atmete tief durch. „Vor einigen Jahren hast du mir ein Versprechen gegeben. Du hast mir versprochen, du würdest eine Wahl treffen, mit der du leben kannst. Du hast mich belogen. Ich habe dir gesagt, dass ich dir nicht helfen würde, wenn du dein Versprechen brichst. In dem Moment, in dem du es gebrochen hast, hast du deine Freiheit verloren. Das war deine Entscheidung. Nun kannst du dich erneut entscheiden."

.

Draco lachte bitter. Er hatte gewusst, dass es hierzu kommen würde. Er dachte zurück an den Tag, an dem er Voldemort verraten hatte. An dem er das Versprechen gebrochen hatte, das er Tigris gegeben hatte. Oder hatte er es nicht schon viel früher gebrochen, als er sich entschieden hatte, seine vermeintliche Pflicht über das zu stellen, womit er wirklich leben konnte? Er dachte an die große Schlange, die sich in seinen Gedanken um ihn gewunden hatte, eine Schlange, die, wie er nun wusste, wirklich existierte. Schlangen waren langsame und geduldige Jäger. Katzen spielten mit ihrer Beute, aber die Beute einer Schlange hatte kaum noch eine Chance zu entkommen, wenn ihr bewusst wurde, dass sie gejagt wurde.

Er hatte immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde… und er hatte auch gewusst, wie er enden würde, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte.

In seinen Träumen hatte er sich heldenhaft geweigert, sich eher für den Tod entschieden. Das war noch immer eine Möglichkeit, er wusste das. Tigris konnte ihn in diesem Haus einsperren, aber irgendwann würde er ihm für immer entkommen, wenn er es wirklich wollte.

Die Zeit hatte ihn allerdings gelehrt, dass er es nicht wollte. Er wollte leben. Er wollte seine hübsche Frau wieder in den Armen halten, seine Kinder aufwachsen sehen und mit ihr alt werden. Egal wie utopisch das sein mochte.

Nun wusste er, dass es nicht so utopisch war, wie er noch vor einigen Tagen gedacht hatte. Tigris würde ihn unterstützen. Es spielte ihm schließlich in die Hände.

„Ich werde nie wieder für dich kämpfen und morden", sagte er. „Ich will kein aktiver Gehilfe zu dem was du tust sein. Ich kann dir schwören, dass ich nicht gegen dich handeln werde. Frag mich nicht nach mehr."

Draco wusste, dass er sich selbst belog. Tigris würde immer wissen, was er wusste. „Bleib aus meinen Gedanken. Ich will nicht, dass du mich manipulierst, wie du es früher getan hast. Ich werde dir die Wahrheit sagen, wenn du mich fragst."

Tigris grinste. Offensichtlich war ihm klar, dass er gewonnen hatte. „Damit kann ich gut leben. Du bist mir ohnehin auf andere Weise viel nützlicher."

Draco atmete tief durch. Was spielte es am Ende für eine Rolle, wie er sich entschied, dachte er müde. Tigris würde tun was er wollte, egal ob er ihn unterstützte oder nicht. Es war nicht einmal so, dass er seine Ziele für unsinnig hielt.

Wenn es wahr war, dass er alle seine Ziele ohne Terror und Blutvergießen erreichen konnte, was war so falsch daran?

Das Problem war, dass Draco nicht wirklich glaubte, das es so sein würde. Es würde immer Leute geben, die Tigris bekämpften, und die Muggel würden nicht einfach von alleine verschwinden.

Draco schloss die Augen. Es würde nicht wie Voldemorts Herrschaft des Terrors sein. Er würde nicht Tag für Tag die Toten und Verletzten auf seinem Behandlungstisch sehen. Das war immerhin etwas.

Er war kein Held. Am Ende war er ein Feigling, der einfach nur sein Leben leben wollte. Aber er konnte es nicht auf die Kosten von unzähligen anderen tun.

„Versprich mir, dass du keinen neuen Krieg beginnen wirst", sagte Draco, ohne Tigris dabei anzusehen. „Versprich mir, dass ich mein Leben in Frieden leben kann und nie wieder solchen Horror sehen muss, wie Riddle ihn verursacht hat, und ich werde mich dir anschließen."

Er konnte den Blick seines Bruders wie ein Kribbeln auf seiner Haut fühlen, als würde er jede Zelle seines Körpers betrachten und bewerten.

„Ich verspreche es es dir."

Draco öffnete überrascht die Augen und starrte Tigris an. Er hatte nicht erwartet, dass sein Bruder das sagen würde, auch wenn es eine Lüge sein mochte.

Tigris lächelte schief. „Es ist ein einfaches Versprechen, Bruder. Unsere Ziele gleichen sich mehr, als du denkst. Du wirst das mit der Zeit erkennen, und wir haben mehr als genug Zeit."

Draco atmete tief durch. Er bezweifelte das stark, aber letztendlich hatte er keine Wahl. „Wo ist das Buch, in das ich meinen Namen schreiben soll?"

„Ich würde einen sehr armseligen Teufel abgeben", antwortete Tigris amüsiert.

„Dennoch, ein oder zwei Wünsche sollte ich zumindest frei haben, wenn ich schon keine unendliche Macht oder unendlichen Reichtum bekomme. Hör auf, meine Gedanken zu lesen."

„Wie du willst." Tigris streckte die Hand aus. „Komm und schwöre, Bruder. Dieses Mal wirst du mich nicht wieder verraten."

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Draco sah zu, wie das neue Mal auf seinem Arm verschwand, und den alten Narben Platz machte. Er strich mit dem Finger über das Wort, dass Tigris vor all den Jahren in seinen Arm gebrannt hatte. „Du könntest das nun verschwinden lassen."

„Das würde dem, was ich erreichen will, widersprechen." Tigris hielt ihm ein Fläschchen mit einer grauen Flüssigkeit hin. „Trink das."

Draco tat es. Es schmeckte wie Kreide. Er hustete. „Was hat das bewirkt?"

„Zweierlei." Tigris tippte mit zwei Fingern auf seinen eigenen Arm. „Es sorgt dafür, dass die letzte halbe Stunde tief in deinem Geist vergraben wird, überlagert von allem, was in den nächsten Stunden geschehen wird, unerreichbar für jeden Legilimens. Selbst du wirst diese Geschehnisse verdrängen, solange dich nichts daran erinnert. Es führt auch dazu, dass alles, was dein Körper in den nächsten Stunden erlebt, dir unwirklich vorkommen wird, so als wäre es ein Traum oder das Erleben eines anderen."

Draco rieb sich fahrig über die Hände. „Ich hatte gehofft, du würdest nicht wirklich..."

„Ich habe dir gesagt, warum es so geschehen muss." Tigris zog seinen Stab und Draco wich unwillkürlich zurück. „Du brauchst keine Angst zu haben, Bruder. Crucio."

Draco wusste, wie es sich hätte anfühlen sollen. Stattdessen war es so, als hätte ihn etwas mit einem Ruck aus seinem Körper herausgeschleudert, und er sah auf sich selbst herab, wie er schrie und sich unter dem Fluch wand. Er sah zu seinem Bruder. Tigris Gesicht war vollkommen ausdruckslos.

Die Tür öffnete sich, und sein Vater kam herein, gefolgt von Nott und Avery. Er sah nicht überrascht aus. Offensichtlich hatte er erwartet, dass dies geschehen würde.

Draco musterte die beiden ehemaligen Todesser. Es überraschte ihn nicht, dass die beiden sich Tigris angeschlossen hatten, und doch war er merkwürdig enttäuscht davon, dass sie hier waren. Es überraschte ihn nicht sehr, seinen Vater zu sehen. Auch wenn er sich mehr von Tigris erhofft hatte, so hatte er doch geahnt, dass es darauf hinauslaufen würde.

„Ich vertraue darauf, dass du dich hierum kümmerst", sagte Tigris.

Lucius sah auf Draco herunter. „Ja, mein Lord."

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Hermione lehnte sich schwer atmend gegen die Wand in ihrer Wohnung. Ihr war schwindelig. Sie hasste die Wohnung plötzlich, den nichtssagenden, unpersönlichen Raum der nie wirklich aufgeräumt war, weil sie nie genug Zeit hatte, die sterile Küchenzeile, in der sie nie kochte, die Tatsache, dass Draco nie hier gewesen war, und sie viel zu oft. Sie schlief nur hier, wenn Sie in der Zaubererwelt war, weil es einmal sicherer gewesen war. Aber in den letzten Tagen und Wochen war es auch praktischer gewesen, weil sie so beschäftigt gewesen war. Praktischer, als Draco wenn sie spät abends nach Hause kam aufzuwecken. Einfacher, als wenn ihre Eltern jeden Abend ein Essen für sie aufhoben, das sie fast nie aß. Jedenfalls hatte sie es sich in dem Moment so gedacht. Nun kam es ihr unsinnig vor, scheinheilig und feige. Sie hatte sich nur der Wahrheit nicht stellen wollen, dass nun alles so viel schwieriger war. War den Erklärungen aus dem Weg gegangen, den Anschuldigungen, von denen sie wusste, dass sie kommen würden. Der Wahrheit.

Sie hatte Angst vor der Zukunft, die vor ihnen lag, den Entscheidungen, die sie irgendwann treffen mussten.

Jetzt waren ihr die Entscheidungen aus der Hand genommen worden, die Zeit hatte sie eingeholt. Jetzt gab es vielleicht überhaupt keine Zukunft mehr für sie, und all die Zeit, die sie zusammen hätten haben können war für immer verloren, weil sie sie vergeudet hatte. Wann hatten sie zuletzt miteinander geschlafen? Vor vier Wochen? Sechs? Sie konnte sich nur noch erinnern, dass sie beide nicht genug Zeit gehabt hatten, dass es sich angefühlt hatte, als hätten sie beide etwas sagen wollen, vor dem sie geflohen war. Wann hatte sie ihm das letzte Mal gesagt, dass sie ihn liebte?

Das Gefühl, dass sie schon den ganzen Tag verfolgt hatte, wurde stärker. Es kam ihr vor, als würden die Wände immer näher rücken, als wäre die Decke kurz davor, über ihr einzustürzen.

Ihre Übelkeit wurde von einem Moment zum nächsten überwältigend, und sie rannte zum Badezimmer, und übergab sich.

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Es dauerte nicht lange, bis Draco klar war, dass Lucius nichts von dem Trank wusste, den er getrunken hatte.

Dies war ein Test für Lucius, dachte er ein wenig ärgerlich. Vielleicht hätte er enttäuscht sein sollen, dass sein Vater ihn mit solcher Leichtigkeit bestand, aber das war er nicht. Er kannte seinen Vater.

Es machte Lucius keinen Spaß, ihn zu verletzen, aber er dachte, er könnte ihm so das Leben retten.

Lucius versuchte, mit ihm zu reden, und Anfangs hatte Draco versucht, ihm zu antworten, aber wenn er es versuchte, begann er zu fühlen, was sein Körper fühlte. Er wusste nicht genau wie der Trank wirkte, aber er wollte sicherlich nicht, dass er seine Wirkung verlor.

Draco sah, wie sein Vater verzweifelter wurde, und er wurde zornig. War es nicht genug? Er versuchte, Tigris über ihre Verbindung zu erreichen, und zu seiner Überraschung war er plötzlich in seinem Raum. Tigris hatte sich in seinem Sessel zusammengerollt und die Augen geschlossen. Nun öffnete er sie.

„Was ist los mit dir?", fragte Draco. Tigris sah nicht gut aus.

Sein Bruder lachte heiser. „Ich habe keinen Trank genommen. Hast du vergessen, dass ich fühle, was du fühlst?"

„Aber ich fühle nichts…", sagte Draco verwirrt.

„Du fühlst den Teil von dir nicht, der es fühlt, aber ich fühle ihn."

„Dann beende es!"

Tigris schüttelte den Kopf. „Geh zurück. Du brauchst diese Erinnerungen, sonst war dies alles umsonst. Geh, oder ich gebe sie dir zurück."

Furcht erfüllte ihn, und einen Moment später war er zurück in dem Raum mit Lucius.

„Es ist sinnlos", sagte Nott. „Er wird nie aufgeben, Lucius. Sieh doch hin."

„Nein!" Lucius griff Dracos Kinn. „Warum gibst du nicht auf? Kannst du nicht sehen, dass du keine andere Zukunft hast? Du warst immer einer unserer besten Kämpfer, auch wenn es dir nie gefallen hat. Ist es das? Ist es dieser verdammte Asklepiosfluch, der dich daran hindert, zuzustimmen?"

Draco wäre zurückgezuckt, wenn er nah genug in seinem Körper gewesen wäre. Sein Vater verstand es nach all den Jahren immer noch nicht. Er hatte es nie zuvor einen Fluch genannt, aber Draco hatte immer gewusst, dass er das dachte. Lucius glaubte, dass es seine Heilerbegabung war, die dazu geführt hatte, dass Draco Voldemort und seine Machenschaften verabscheute, dass er nie ein Todesser hatte sein können, wie sein Vater es sich gewünscht hatte. Vielleicht hatte das dazu beigetragen, aber Draco war sich sicher, dass er es auch so verabscheut hätte. Sein Vater verstand einfach nicht, wer er war.

Lucius hob seinen Stab und sprach einen Fluch.

Er traf Dracos rechte Seite und einen Moment lang war der Trank völlig wirkungslos. Es fühlte sich an, als würde jeder einzelne Knochen in seinem Bein zersplittern.

„Was..?", krächzte Draco. Seine Stimme war heiser, und es schmerzte, zu sprechen.

Dann kam die Wirkung des Tranks zurück und Draco starrte Lucius entsetzt an. Was hatte er getan?

„Wenn du nicht kämpfen kannst, kann er es dir auch nicht befehlen. Dann gibt es keinen Grund mehr, der dich davon abhalten könnte, aufzugeben! Ist es nicht so?"

Draco schüttelte den Kopf, und nahm vage war, dass sein Körper die Geste mitmachte. Dachte Lucius, es wäre so einfach?

„Gib auf!", rief Lucius. „Ich will dich nicht noch einmal verfluchen!"

Avery trat zwischen ihn und Draco. „Er wird nicht aufgeben, und wir haben unsere Befehle."

Lucius schüttelte den Kopf. „Nein, das könnt ihr nicht machen! Ich brauche nur mehr Zeit. Er ist keine Gefahr für uns!"

Theos Vater stieß ihn aus dem Raum.

Lucius schrie ihn an, aber er versuchte offenbar nicht, wirklich an ihm vorbeizukommen. Draco wusste, dass Nott kein Gegner für seinen Vater war, wenn er ihn wirklich hätte ausschalten wollen.

Einen Augenblick später hörte er die Stimme von Tigris im Gang, und er hoffte, dass sein Bruder dies nun endlich beenden würde.

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„Es reicht", sagte Tigris. Er nickte Nott zu. „Du hast deine Befehle."

Der Mann nickte und ging in den Raum zurück.

Lucius fiel auf die Knie. „Bitte…"

„Denkst du wirklich, ich würde meinen eigenen Bruder umbringen?" Er konnte es nicht verhindern, dass er verärgert klang, auch wenn es genau das war, was er hatte erreichen wollen.

Hatte er sich insgeheim gewünscht, dass Lucius diesen Test nicht bestehen würde? Dass er loyaler zu Draco wäre, als zu ihm? Das er… was? Sich weigern würde, Draco zu foltern und sich gegen ihn wenden würde?

Lucius sah zu ihm hoch.

„Draco hat sich mir angeschlossen. Er…"

„Was?" Lucius sprang auf und stieß ihn gegen die Wand. „Weißt du, was ich getan habe?"

„Genau das, was ich von dir wollte."

Lucius ballte die Faust, und einen Moment lang dachte Tigris, er würde ihn schlagen.

„Du…"

„Ja?"

Sein Vater atmete tief durch und trat einen Schritt zurück, dann einen weiteren.

„Du hast ihm etwas gegeben."

„Ja."

Lucius lachte. „Ich wusste, dass etwas nicht gestimmt hat. Er hätte schon vor Stunden aufgeben sollen."

„Er hat nichts davon gefühlt."

„Spielt das wirklich eine Rolle?" Lucius schüttelte den Kopf. „Du verstehst es nicht, oder?" Er lachte erneut. „Kann ich gehen, mein Lord?"

Tigris nickte, und Lucius disapparierte.

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„Warum bist du hier, Lucius? Warum behelligst du mich damit, und nicht deine Frau?"

Severus klang so ungehalten wie immer. Lucius wusste, dass er es nicht wirklich meinte, ansonsten wäre er nicht zu ihm gekommen. Er trank einen weiteren Schluck Feuerwhisky. Er hatte seinen eigenen mitgebracht. Severus hasste es, wenn er sich an seinem bediente, was ihn nicht besonders gestört hätte, aber der Mann hatte auch nie vernünftige Spirituosen in seinem Schrank.

„Was würde ich zu Narcissa sagen, Severus? Denkst du, sie hätte Verständnis für das, was passiert ist?"

Lucius musste zugeben, dass er in diesem Fall keine Ahnung hatte, wie Narcissa reagieren würde. Der Alkohol machte seine Gedanken langsamer, machte es schwer, sich zu konzentrieren.

„Hast du den Trank gebraut?"

Severus' schwarze Augen musterten ihn wie ein nicht besonders interessantes Insekt. „Natürlich. Offensichtlich hatte ich keine Ahnung, wofür er ihn benutzen würde." Er wandte sich von ihm ab. In der Dunkelheit des Raumes schien er halb in den Schatten zu verschwinden. Draco hatte ihm einmal erzählt, dass es in der Schule das Gerücht gab, Severus wäre ein Vampir. Er hatte die Dummheit seiner Mitschüler für amüsant gehalten, und Lucius zweifelte nicht daran, dass es Severus amüsiert hatte. Er wusste jedoch auch, dass sein Cousin etwas Unnatürliches an sich hatte wenn er wollte. Daran war nicht das Geringste lustig.

Lucius war schon vor einer Weile klar geworden, dass er niemals wusste, wann Severus die Wahrheit sagte. Er war ein wenig stolz darauf, dass er den Mann besser kannte, als die meisten anderen, die glaubten, ihn zu kennen, aber dass hieß nicht, dass er ihn wirklich kannte.

„Ich verstehe nicht, warum er das getan hat", sagte Lucius. Es war eine Lüge, er wusste es nur zu gut. Alle Gründe. Natürlich würde Dumbledore Draco nun vertrauen. „Sag mir, dass er sich nicht an das erinnern wird, was passiert ist."

Severus warf ihm einen abfälligen Blick zu. „Er wird sich an alles erinnern. Mit den Jahren wird die Erinnerung klarer werden, bis er sich so erinnern wird, als hätte er es wirklich erlebt. Aber ein Teil von ihm wird immer wissen, was wirklich geschehen ist."

Lucius schloss die Augen und leerte ein weiteres Glas. Der Alkohol half nicht. Wenn er ehrlich war, dann half er nie. Die Gefühle, der er damit betäuben wollte, kamen nur umso stärker wieder zurück, wenn er wieder nüchtern war. Die Gedanken, die er damit verdrängen wollte, waren am nächsten Tag noch ebenso da. Im Moment gelang ihm nicht einmal das, seine Gedanken kreisten noch immer viel zu klar um das, was geschehen war.

Der kleine Raum voll mit Bücherregalen kam ihm plötzlich erstickend vor. Wie konnte Severus so leben? Auch wenn sein Vater ihm außer Land nicht viel vererbt hatte, Lucius wusste, dass er inzwischen ein stattliches Vermögen besaß. Er hätte nicht in einer Hütte wie dieser leben müssen, in der man sich kaum um sich selbst drehen konnte.

„Ich hätte aufhören sollen, als ich gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt."

Severus lehnte sich gegen eines der Regale und betrachtete Lucius. Wie eine Maus, dachte Lucius, und trank noch einen Schluck. Wie ein Insekt im Netz einer Spinne. „Welchen Sinn hätte das gehabt? Er hätte nur einen anderen mit weniger Skrupeln geschickt." Er wusste, dass Severus einen Weg gefunden hatte, Seelentiere zu sehen. Lucius hatte ihn einmal gefragt, was er selbst für ein Seelentier hatte. Severus hatte behauptet, dass es eine Sandspinne wäre. Er wusste bis heute nicht, ob das ein Scherz gewesen war.

„Wenn der Trank nicht gewesen wäre, hätte er schon lange vorher aufgegeben! Ich kenne Draco, ich weiß, was er aushalten kann und was nicht! Wenn er sich irgendwann an alles erinnern wird, was wird das mit ihm anrichten? Es ist schon genug, dass er weiß, was ich getan habe! Wenn er sich so erinnert, als wenn er es erlebt hat, wer weiß, ob er dabei bei Verstand bleibt!"

„Ah." Severus lehnte den Kopf zurück und schien ein paar Bücher auf den Regalen über ihm zu betrachten. „Du brauchst dir darüber keine Sorgen machen. Dieser Trank basiert auf einem Trank, den Heiler für Prozeduren benutzen, bei denen es wichtig ist, dass der Patient bei Bewusstsein bleibt. Er wurde entwickelt, um Schaden zu vermeiden. Wenn die Erinnerungen zu traumatisch sind, wird er sie mit der Zeit vergessen."

„Es war ein Trank, der zum Heilen verwendet wird?" fragte Lucius schockiert.

„Eine modifizierte Version, ja."

Lucius wusste nicht genau, ob er sich dadurch besser fühlte.

„Ich habe ihn ruiniert", flüsterte er heiser. „Er wird niemals wieder in der Lage sein, mit diesem Bein zu laufen. Wie wird er jemals in der Lage sein, mir das zu vergeben?"

Severus sah ihn wieder an, und Lucius begegnete seinem Blick. Sollte er ruhig aus seinen Gedanken lesen, was er getan hatte.

Der Blick der schwarzen Augen wurde kälter. Lucius hatte ihn provozieren wollen, aber er wich trotzdem etwas zurück. „Es wird sicherlich von Vorteil sein, wenn eine dauerhafte Behinderung Dumbledores Leute ständig daran erinnert, was er geopfert hat, um sich ihnen anzuschließen. Insbesondere eine, die von seinem Vater verursacht wurde", sagte Severus seidig.

Lucius fühlte sich, als hätte er einen Kübel Eiswasser über ihm ausgegossen.

„Tigris hat mir nicht befohlen…"

„Aber er war nicht gerade unglücklich darüber, oder?" Seine Stimme wurde leiser, gewann einen gefährlichen Unterton.

Lucius rang nach Luft. Severus schien andeuten zu wollen, dass Tigris ihn absichtlich dazu gebracht hatte, Draco so zu verletzen. Er erinnerte sich plötzlich an die Gespräche, die er davor mit seinem Sohn geführt hatte. Tigris hatte ihm gesagt, dass Draco es gehasst hatte, an den Kämpfen teilzunehmen. Er hatte auch gesagt, dass sie Draco vielleicht nicht verloren hätten, wenn er zuhause geblieben wäre, und nicht ständig hätte gegen seine Instinkte ankämpfen müssen. Aber es war allein seine Entscheidung gewesen, Draco zu verfluchen.

„Ich weiß, was du denkst, aber…"

„Ich denke, es war kein Zufall, dass er so lange gewartet hat. Er kennt dich und dein Temperament ebenso wie ich, Lucius."

„Das ändert nichts daran, dass ich es getan habe!"

„Nein, und ich denke, Draco wird dir noch dankbar dafür sein. Tigris hat ihm wahrscheinlich versprochen, dass er nie wieder an Kämpfen teilnehmen muss, aber wir beide wissen, dass unser Lord nicht sehr gut darin ist, solche Versprechen zu halten. Es war er, der Voldemort vorgeschlagen hat, Draco in den Kampf zu schicken. Angeblich, damit er Draco mehr vertraut, aber ich vermute, er hatte seinen Bruder einfach gerne an seiner Seite. Zudem, Draco war ein guter Kämpfer, und Tigris vergeudet nicht gerne Talent."

Lucius starrte zu Boden. Er wusste, dass Severus Recht hatte, dennoch…

„Reiß dich zusammen!", fauchte sein Cousin plötzlich. „Du warst bereit, ihn zu foltern, bis er zusammenbricht. Es war einfacher als das. Komm jetzt nicht mit solchem verdammten Selbstmitleid. Du weißt, wie ich Gejammere hasse."

Die Flasche war noch halb voll, und Lucius füllte sein Glas erneut, leerte es in einem Zug. Er wünschte, er könnte die Erinnerungen an den letzten Tag auslöschen, wie der Trank es für Draco sehr wahrscheinlich tun würde. Er hoffte, dass es so sein würde. Er hätte niemals zustimmen dürfen, auch wenn er wusste, was es ihn gekostet hätte, wenn er sich geweigert hätte. Wie Severus gesagt hatte, Tigris hätte nur jemand anderen geschickt, er wusste das. Er hatte gedacht, das würde seine Entscheidung rechtfertigen, aber das tat es nicht. Er hatte gedacht, er hätte das Richtige getan, aber in Wirklichkeit hatte er sich und seinem Sohn nur Albträume geschaffen. Und für was? Hybris.

„Wenn du mich loswerden willst, schmeiß mich raus. Wenn du es kannst."

Severus war plötzlich neben ihm und schlug ihm die Flasche aus der Hand. „Denkst du, das wird es dich vergessen lassen?" Er packte ihn bei den Haaren. „Warum sagst du nicht ehrlich, warum du wirklich hier bist, Lucius?"

Lucius biss die Zähne zusammen und sah zu ihm hoch. „Du kannst es mich vergessen lassen." Bei jedem anderen hätte er sich für die Verzweiflung in seiner Stimme geschämt.

Severus lächelte grimmig. „Ich nehme an, dass du keinen einfachen Obliviate meinst. Du weißt das hat einen Preis."

Lucius leckte sich nervös über die Lippen. Vielleicht war es töricht, Severus darum zu bitten, aber es war ihm in diesem Moment egal. Severus war der einzige, dem er genug vertraute, es zu tun. Er wusste, welchen Preis Severus' Kunst hatte, aber hier und jetzt kümmerte es ihn nicht. Vielleicht ersehnte er es sogar.

„Dann lass ihn mich bezahlen."

Severus musterte ihn, dann grinste er plötzlich, ein gefährliches Glitzern in seinen Augen. „Wie du willst", sagte er. „Wie ich mich erinnere habe ich mich noch für einen Vergessenszauber zu revangieren, den du einmal auf mich gesprochen hast – ohne meine Erlaubnis."

Lucius fröstelte. Er hatte immer gewusst, dass ihn das eines Tages kosten würde, aber in dem Moment damals war ihm das egal gewesen. Wie bei so vielen Dingen, wenn es um Tigris ging.

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Ein Rotkehlchen hüpfte auf der Steinmauer hin und her und betrachtete Ginny furchtlos und neugierig. Sie war einen Moment versucht, die Hand auszustrecken, aber wusste, der Vogel würde flüchten, wenn sie es tat.

Der Friedhof war verlassen. Sie war die einzige, die jedes Jahr wieder an diesem Tag hierher kam. Selbst ihre Mutter hatte sich entschieden, es hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken.

Wie schön das klang.

Ginny hatte es hinter sich gelassen, dachte sie zumindest. Aber sie wollte sich trotzdem erinnern. Der Grabstein ihres Vaters sah zwischen all den anderen monumentalen Steinen der reinblütigen Familien klein und unscheinbar aus. Anspruchslos, so wie er es selbst gewesen war.

Sie liebte ihre Familie, aber manchmal hatte sie das Gefühl, ihr Vater war der einzige gewesen, der sie wirklich verstanden hatte. Der sie gesehen und niemals verurteilt hatte. Der keine einzige Erwartung an sie gehabt hatte, außer, dass sie sie selbst war und glücklich.

Sie war gekommen, um ihm zu erzählen, was sie vorhatte. Sie bildete sich ein, dass er es gutheißen würde. Ginny sah nach oben in den Himmel und lächelte. Er würde der einzige sein, das wusste sie. Es kümmerte sie nicht länger. Sie hatte jahrelang für ihre Familie gelebt, für ein höheres Ziel, für die Erwartungen anderer. Es war höchste Zeit, dass sie anfing, für sich selbst zu leben. Sie hatte ein Recht, glücklich zu sein.

Sie lächelte dem Grabstein zu und wandte sich ab, um zu gehen.

Als sie nach ihrem Stab griff, um zu apparieren, hörte sie ein Geräusch. Stirnrunzelnd sah sie sich um, aber sah niemanden.

Es waren die Jahre des Krieges, die sie dazu brachten, ihren Stab zu ziehen, und dem Geräusch nachzugehen. Es gab keinen Grund, zu vermuten, dass es auf eine Gefahr hindeutete, aber die alten Reflexe ließen sich nicht so einfach ablegen. Es war, als wenn sie etwas dazu drängte, sich vorwärts zu bewegen.

Sie war schnell in dem älteren Teil des Friedhofs. Die meisten Gräber hier waren schon viele Jahre alt, aber eines davon sah neu aus, so als wäre es gerade erst mit Erde aufgefüllt worden. Sie trat näher, und sah mit Überraschung, dass es Draco Malfoys Grab war. Eine ungute Vorahnung erfüllte sie plötzlich, und sie trat näher.

Hermione hatte dem Orden zwei Tage zuvor erzählt, dass er am Leben war, und dass er von dem Ort, wo er sich versteckt gehalten hatte, entführt worden war. Das Grab hätte alt sein sollen. Malfoy war vor über zehn Jahren hier beerdigt worden, auf dem Grabfeld der Dumbledore-Familie, da Lucius Malfoy sich geweigert hatte, ihn in der Malfoy-Gruft beerdigen zu lassen. Warum sollte es frisch aussehen?

Ginny hörte ein weiteres Geräusch, und ohne groß zu überlegen hob sie ihren Stab und bewegte die frische Erde zur Seite. Der Sarg, der zum Vorschein kam, sah nicht aus, als wäre er zehn Jahre alt. Sie zischte einen Fluch, und der Deckel flog zur Seite.

Sie hätte sich gewünscht, sie hätte sagen können, dass sie von dem was sie sah überrascht war, aber das einzige, was sie überraschte, war, als sie sah, dass Malfoy noch atmete.

Sie rannte vorwärts, griff ihn, und ließ sie von ihrem Notfallportschlüssel nach St. Mungos bringen.

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Draco erwachte langsam zu dem seltsam vertrauten Geruch von Rosmarin, Salbei und Gamander. Einen Augenblick lang weigerte sein Gehirn sich, die Verbindung herzustellen, aber als er langsam seine Augen zu dem warmen gelben Licht öffnete, wusste er, dass er in St. Mungos war.

Wie oft war er in Zimmern wie diesem gewesen, so oft, dass er den Geruch nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte? Den Geruch der desinfizierenden Tinkturen, die verwendet wurden, um die Patienten vor Infektionen zu schützen. Ebenso vertraut, wie der Geruch von Sterilium und Chloroform, der in Krankenhäusern alltäglich war.

Er schlug die Decke zurück, und zuckte zusammen, als Schmerz von seiner Hüfte zum Fuß herunter schoß. Offenbar war die Wirkung des Zaubers gewichen. Er setzte sich langsam auf.

Sein linkes Bein blieb steif und unbeweglich. Er zog zögerlich die Decke zur Seite und verzog das Gesicht. Selbst ohne die halb verblichene Erfahrung seiner Heilerausbildung hätte er gewusst, dass St. Mugos dies nicht heilen konnte. Der Fluch hatte Muskeln und Knochen zu einer unappetitlichen Masse verknotet. Er wusste nicht genau, welcher Fluch es war, er hatte nie mehr von den Dunklen Künsten gelernt, als er musste, aber es war eine Mischung aus Verwandlung und Blutzauber. Sein Vater hatte immer eine Vorliebe dafür gehabt. Sie hatten den Fluch offenbar stabilisiert – die Schmerzen, die er fühlte, waren vernachlässigbar – aber er würde sicher nie wieder normal laufen können.

Er lehnte sich in die Kissen zurück und schloss einen Moment lang die Augen. Sein Vater hatte sehr sicher erreicht, was er hatte erreichen wollen. Ein Teil von ihm war dankbar dafür. Er hatte kein wirkliches Vertrauen gehabt, dass Tigris sein Versprechen halten würde. Nun hatte sein Bruder keine Wahl.

Draco atmete tief durch, dann schob er resolut das Bein über den Bettrand. Er hatte oft genug seinen Patienten gesagt, dass es keinen Sinn hatte, sich auf das zu konzentrieren, was verloren war. Er musste zugeben, dass er die Muggel oft bewundert hatte. Ihre Hartnäckigkeit, mit der sie sich ans Leben klammerten. Ihre Sturheit, mit der sie sich durch ihre langen und mühsamen Heilungswege kämpften, aber auch die Brillanz, mit der sie ohne Magie, und ohne wirkliches Wissen, was ihrem Körper fehlte, Heilmethoden erfunden hatten. Teilweise solche, die selbst Zauberer noch nicht entdeckt hatten.

Was er nun tun konnte! dachte er plötzlich, die grünen Wände seiner alten Wirkungsstätte betrachtend. Er hatte so viel gelernt in den letzten Jahren. Etliches davon war sinnlos, aber manches – vieles – mochte helfen, die Heilmethoden der Zaubererwelt zu revolutionieren. Es würde lange dauern – alle Neuerungen in der Zauberwelt brauchten lange, bis sie akzeptiert wurden. Aber er hatte nun Zeit. Jahre. Jahrzehnte.

Er griff nach dem Rand des Bettes und stemmte sich hoch, euphorisch, als er sein Gleichgewicht halten konnte. Langsam humpelte er zum Bad, sah in den Spiegel.

Er sah in ein neues, und doch altes, von blonden Haaren umgebenes Gesicht.

„Du hast schon einmal besser ausgesehen, Junge", sagte der Spiegel.

Draco zuckte zusammen, dann lachte er. Es würde einige Zeit dauern, bis er sich wieder an all dies gewöhnt hatte.

Die Tür schlug auf, und eine atemlose Hexe in grünem Gewand stand in der Tür. „Heiler Malfoy!", rief sie. „Sie sind wach…" Sie rang nach Luft. „Warum sind sie aufgestanden?!"

Draco lachte lauter. Plötzlich fühlte er sich zu Hause.