Dritter Abschnitt
Pallando ließ
zufrieden seine Hand über dem Palantir sinken und bedeckte ihn
mit einem Tuch, wobei ein hämisches Grinsen auf sein Gesicht
trat. Die Dinge entwickelten sich völlig zu ihren Gunsten und
sie brauchten nur noch etwas abzuwarten, dann könnten sie ihre
nächsten Schritte unternehmen.
Der König von Rohan hatte
sich als einfache Beute erwiesen, die schnell der Versuchung erlegen
war, die Alatar geschickt als Falle aufgebaut hatte. Die Menschen
waren viel zu schwach, als das sie der Verlockung widerstehen
konnten, sich der Palantiri zu bedienen, um über alles und jeden
in ihrem Lande informiert zu sein.
Eigentlich hatten sie es ja auf
den König von Gondor abgesehen gehabt, doch dieser benutzte den
Stein in seinem Besitz scheinbar nie und es war reiner Zufall
gewesen, dass Eomer Gandalfs Palantir berührt hatte und somit in
ihren Bann geraten war.
Alatar trat hinter ihn und konnte
seine Neugier nicht länger zügeln, denn er konnte Pallando
nur zu gut anmerken, dass es interessante Neuigkeiten aus Minas
Tirith gab.
Pallando drehte sich zu seinem Verbündeten um und
ließ seinen Blick über dessen Erscheinung wandern. Außer
ihren blauen Gewändern hatten sie nicht viel gemein, denn
während sein schwarzes Haar schon von einigen weißen
Strähnen durchzogen wurde, so zeigten die rostbraunen Locken
seines Gegenübers keinerlei Anzeichen auf sein hohes Alter. Die
Falten von Alatar waren fast vollständig hinter seinem Bart
verborgen und Pallando rieb sich sein glattgeschorenes Kinn, denn
allein der Anblick des Bartes, erzeugte einen Juckreiz auf seiner
Haut.
"Nun, es gibt wirklich die besten Neuigkeiten, die
dieser Eomer uns mitteilen konnte!", entgegnete er jetzt auf
Alatars fragenden Blick hin und er berichtete von dem angeschlagenen
Gesundheitszustand von Aragorn und mehreren Umständen, die es
ihnen ermöglichen würden, um Eifersucht und Streit unter
den Verbündeten zu sähen.
"Außerdem scheint
Gandalf, dieser Narr, unseren Köder geschluckt zu haben! Er
grübelt schon darüber nach, was die Risse im Gestein zu
bedeuten haben und wird sich gewiss bald auf den Weg machen, um der
Sache auf den Grund zu gehen! Nicht mehr lange und unsere Falle wird
zuschnappen!"
Er stimmte nach diesen Worten in Alatars
schallendes Gelächter ein.
Endlich, dachte
Aragorn erleichtert, als sich die Türe seines Empfangszimmers
hinter dem Händler schloss, der bis eben mit ihm über die
Pachtgebühren eines Marktstandes gefeilscht hatte. Dies war
seine letzte Amtshandlung für heute gewesen und es war wieder
später geworden, als es zuerst den Anschein gemacht hatte.
Er
fühlte sich einfach schrecklich und konnte an nichts anderes
mehr denken, als sich nach einer kleinen Stärkung endlich ins
Bett zu legen und zu schlafen. Er reckte sich, um die Verspannung in
seinen Gliedern zu lösen und augenblicklich zuckte der Schmerz
durch seine rechte Schulter und er ließ langsam den Arm sinken,
um nicht erneute Schmerzen zu verursachen. Er rieb mit der linken
Hand über die alte Verletzung, eine Geste, die schon zur
Gewohnheit geworden war und unbewusst geschah und er stand auf, um
sich den Freunden anzuschließen, die gewiss schon auf ihn
warteten.
Erst als er das Licht löschte, fiel ihm auf, dass
es draußen bereits dunkel geworden war und das Abendessen
bestimmt schon längst beendet war und die Hobbits bestimmt
keinen Krümel mehr für ihn übrig gelassen hatten. Bei
dieser Erkenntnis stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht und er
machte sich schon etwas entspannter auf den Weg in die Halle.
Genau
wie er vermutet hatte, saßen alle bereits gemütlich
zusammen und zogen genüsslich an ihren Pfeifen, wobei sie
überlegten, wie sie den folgenden Tag verbringen sollten.
Pippin
und Merry wollten natürlich ein großes Festessen
veranstalten, Legolas war mehr an einem Ausritt gelegen und Gimli
schlug eine Wanderung in den nahe gelegenen Höhlen vor. Bald war
eine hitzige Debatte im Gange, die endlos zu dauern schien und keine
Einigung versprach.
Eine Weile verfolgte Aragorn die Argumente der
Freunde und aß dabei die für ihn bereitgestellte Mahlzeit,
doch sein Hunger war bereits nach wenigen Bissen vergangen. Er schob
den Teller beiseite und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit
aller zu erlangen und hob beschwichtigend die Hände, als sie ihn
anblickten.
"Alle eure Vorschläge sind gut und ich
könnte mich ebenso wenig eine Sache entscheiden, wie ihr!
Deshalb lasst uns doch einfach alles machen! Wir lassen uns einige
Picknickkörbe packen und reiten zu den Höhlen! Am
Nachmittag können wir dann den Rückweg antreten, aber eine
andere Strecke, um den Ritt etwas auszudehnen, so kommt jeder auf
seinen Geschmack! Nur einen Wunsch habe ich bei der Sache, ich möchte
auch am Abend an den Fluss, um zu Boromirs Gedenken ein Feuer zu
entzünden, das sind wir ihm schuldig!"
Nach einer kurzen
Überlegung stimmten alle zu und Aragorn schickte einen Boten in
die Küche, damit die Köche für den frühen Morgen
alles vorbereiten konnten.
Angesichts ihres frühen Aufbruchs
am folgenden Tag löste sich die kleine Versammlung bald auf, um
sich zur Ruhe zu begeben.
Der nächste Morgen wurde von einer wärmenden Sonne verkündet, die sich im Osten über der Gebirgskette erhob. Im Hof hatten sich bereits alle Gefährten versammelt und sie scherzten und lachten, als sie sich endlich auf ihren Weg machten, immer die aufgehenden Sonne zu ihrer Rechten. Sie wollten zum Steinkarrental, wo einige kleine Höhlen das Gebirge durchzogen und nach einer kleinen Erkundung dann am Rand des Druadanwaldes rasten. Von dort aus wollten sie in östlicher Richtung auf den Anduin zureiten und dort ein Lager für die Nacht aufschlagen und am Abend an Boromir gedenken. Erst am nächsten Tag wollten sie nach Minas Tirith zurückkehren.
Auch während des Ritts war die
Stimmung ausgelassen und sie hatten kleine Gruppen gebildet, unter
denen eifrig erzählt und gescherzt wurde.
Eomer und Faramir
hatten die Führung übernommen, dann folgten Eowyn, Arwen,
Merry und Gimli und in einigem Abstand Sam, Frodo und Pippin.
Aragorn, Legolas und Gandalf bildeten die Nachhut und fielen bald
beträchtlich hinter den anderen zurück; Eomer legte ein
beträchtliches Tempo vor und die Gemeinschaft zog sich immer
mehr auseinander.
Faramir wunderte sich zwar über die
Eile, die Eomer zu treiben schien, doch er hielt mit ihm Schritt, um
weiterhin seinem Bericht über die Zucht einer neuen Pferderasse
folgen zu können.
Schließlich wechselte Eomer jedoch
das Thema, nachdem er sich durch einen Blick über die Schulter
versichert hatte, dass sie außer Hörweite der anderen
waren.
Er musterte Faramir einige Minuten und wählte seine
Worte sehr überlegt.
"Du musst Boromir sehr vermissen,
mein Freund! Es ist schlimm, wenn ein so tapferer, mutiger und
hervorragender Kämpfer aus der Mitte der Familie gerissen wird!
Ich habe mich oft gefragt, wie es möglich war, dass er so leicht
besiegt werden konnte, obwohl er sich doch in so viel gefährlicheren
Schlachten ruhmreich bewiesen hatte."
Faramir seufzte und
fast von selbst, erschien das Bild seines Bruders vor seinem inneren
Auge, wie er wild und zerzaust mit blutbeschmutztem Schwert siegreich
in die Stadt eingeritten kam.
"Er war fürwahr ein herber
Verlust, den wir erlitten haben, aber die Feinde waren einfach zu
zahlreich, als das er sie alleine hätte besiegen können.
Trotzdem hat er viele mit sich in den Tod genommen und hat seine Ehre
bewart!"
Eomer zog die Augenbrauen hoch und setzte eine
verwunderte Mine auf.
"Boromir war alleine! Haben Aragorn
und Legolas ihm denn nicht beigestanden und ihn einer solchen
Übermacht hilflos ausgeliefert? Gerade Aragorn würde doch
eher selber sein Leben lassen, bevor er einen seiner geliebten
Freunde im Kampf verliert!"
Faramir sah sich nach Aragorn um
und sein Blick verriet, das er das erste Mal aus einer anderen Sicht
an den Tod seines Bruders dachte.
Eomer lächelte verstohlen. Das war ja leichter, als er sich es vorgestellt hatte! Seine Worte hatten genau die richtige Wirkung erzielt, denn jetzt hatte er den Verdacht erregt, dass Aragorn eine nicht so starke Freundschaft mit Boromir geführt und ihn alleine im Kampf zurück gelassen hatte. Eomer war sich sicher, dass er damit die hohe Meinung von Faramir, die dieser von Aragorn hatte, beträchtlich gesenkt hatte und das er bestimmt keinen anderen Gedanken mehr haben würde, als dass Boromir vielleicht noch leben könnte, wenn...
Im
Laufe des Tages gelang es Eomer noch, auch bei Pippin Unmut hervor zu
rufen, weil Merry mehr Zeit mit Eowyn verbrachte, als mit seinem
angeblichen besten Freund.
Auch Gimli erhielt ein neues Bild von
Legolas, der, laut Eomer, die Gebräuche des Zwergenvolkes als
plump und ungehobelt bezeichnet hatte und angeblich froh war, dass
"der einfältige Zwerg diesmal auf seinem eigenen Pony ritt
und ihn nicht, wie sonst, beim Reiten behinderte"!
Vierter Abschnitt
Als sie schließlich
in der Dämmerung den Fluss erreichten und ihr Lager aufschlugen,
fiel Aragorn auf, dass eine seltsame Stimmung in der Luft hing und
diese zum Zerreißen gespannt war. Er war jedoch selber so
erschöpft von den Anstrengungen des Tages, dass er die Ursache
darin sah, dass die Trauer um Boromir wohl jeden überkommen
hatte. Um ehrlich zu sein, machte er sich auch keine weiteren
Gedanken darüber, denn er wollte lieber alleine sein und in
aller Ruhe sein Gedenken an Boromir bekunden, den Freund, den er
verloren hatte, noch bevor ihnen das Schicksal die Zeit gewährt
hatte, um ihre Differenzen beizulegen und den Bund ihrer Freundschaft
zu festigen.
Nur zu gerne hätte er ihn noch an seiner Seite,
um seine Meinung und Unterstützung in vielen Angelegenheiten zu
haben, oder sei es auch nur darum, um seine eigenen Schuldgefühle
zu besänftigen. Tief in seinem inneren, hatte er sich oft
vorgeworfen, nichts gegen die Verlockung getan zu haben, derer
Boromir erlegen war und das er nicht ein einziges Mal versucht hatte,
seine Einstellung in dieser Lage zu verstehen. Und immer wieder
spielte er den Gedanken durch, dass er viel schneller hätte zu
Hilfe eilen sollen, als das Horn von Gondor nach Beistand verlangt
hatte.
Er schüttelte die Gedanken ab und richtete seine
Aufmerksamkeit wieder der Gemeinschaft und dem Errichten des Lagers
zu. Er verschaffte sich einen Überblick und begann dann, die
verschiedenen Aufgaben zu verteilen und wollte sich dann auf den Weg
machen, um die Umgebung nach Feuerholz abzusuchen, als Fetzen eines
Wortgefechtes an sein Ohr drangen.
Merry und Pippin standen bei
ihren Tieren und Pippins Stimme enthielt die Hitzigkeit von Zorn und
Enttäuschung. Als er jedoch Aragorn bemerkte, der stehen
geblieben war und sie ansah, warf er Merry noch einen wütenden
Blick zu und ließ diesen, nicht weniger verärgert, einfach
zurück.
Aragorn wollte gerade zu Merry herüber gehen,
als Gimli an ihm vorbeirauschte und ihn beinahe umgelaufen hätte,
wäre er seiner nicht im letzten Moment gewahr geworden. Doch der
Zwerg rannte weiter und stieß dabei alle lästerlichen
Flüche vernehmen, die er kannte, noch bevor Aragorn ihn
aufhalten konnte.
Aragorn zog verwundert die Schultern hoch und
während er das Feuerholz zusammensuchte, versuchte er, einen
Grund für das Verhalten der Freunde auszumachen, doch ihm wollte
einfach nichts einfallen, so sehr er auch grübelte.
Als
er genügend Holz gefunden hatte, machte er sich auf den Rückweg
und beschloss, gleich nach der kleinen Gedenkfeier mit den drei
Freunden zu reden, doch bereits als das Lager erreichte, musste er
feststellen, dass sie nicht anwesend waren. Außerdem hatte sich
Arwen mit Legolas etwas abseits der kleinen Gruppe im Gras
niedergelassen und redete eifrig auf ihn ein. Verwundert sah er zu
Frodo, der ihm einen bekümmerten Blick zuwarf und ebenfalls mit
seinem Rat am Ende war. Aragorn legte das Holz beiseite und richtete
sich auf, den Blick auf Gandalf gerichtet.
"Was ist denn hier
los? Wo sind Merry, Pippin und Gimli? Wir wollten doch noch an
Boromir gedenken und ihm unsere Ehre erweisen, gerade Merry und
Pippin sollte doch viel daran gelegen sein!"
Gandalf
wollte darauf gerade etwas erwidern, als Faramir herantrat und sich
dicht vor Aragorn aufbaute. Sein Gesichtsausdruck ließ Gandalf
jäh verstummen und auch die übrigen Anwesenden hoben die
Köpfe und sahen in ihre Richtung. Es lag Feindseligkeit, Wut und
Trauer in Faramirs Blick und Frodo glaubte schon, der Freund würde
Aragorn jeden Moment angreifen, so angespannt war jeder seiner
Muskeln. Faramir presste die Lippen zusammen und als er schließlich
zu sprechen begann, spie er die Worte regelrecht aus.
"Du
musst gerade große Reden schwingen! Tu nicht so scheinheilig
und spiele uns deine Trauer vor! Jeder hier wusste, dass du Boromir
gegenüber feindselig gestimmt warst und ihn dann mit Berechnung
alleine gegen die Uruk-hai in den Kampf geschickt hast! Es kam dir
doch gerade Recht, dass du ihn so losgeworden bist, denn ohne ihn
konntest du nachher viel leichter die Herrschaft über Gondor an
dich reißen! Wie blind bin ich nur gewesen, dass ich das nicht
schon viel früher erkannt habe!"
Aragorn war bei
Faramirs Worten alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und Frodo
glaubte, dass er sah, wie er einen Augenblick schwankte. Fassungslos
hatte er die Augen auf Faramir gerichtet, die von unendlichem Schmerz
erfüllt waren und selbst das Atmen schien ihn zu viel
Anstrengung zu kosten. Kraftlos hingen seine Arme an seinen Seiten
herunter und als Faramir dann an ihm vorbeiging, stieß er ihm
bewusst gegen die verletzte Schulter, doch Aragorn zeigte keine
Regung.
Einen Moment verharrte er und als er endlich mühsam
den Kopf hob, traf sich kurz sein Blick mit dem von Gandalf, bevor er
sich schweigend abwandte und hinunter zum Fluss ging.
Arwen sprang
auf, um ihm nachzulaufen, aber Legolas hielt sie zurück.
"Lass
ihn gewähren! Er wird ohnehin kein Wort mit dir wechseln und
Ruhe haben wollen!", flüsterte er, bestürzt über
Faramirs Verhalten.
Arwen sah ihm mit Tränen in den Augen
nach, konnte die Leere in seinem Inneren spüren und war sich
sicher, dass sie auch die Pein seines Herzen fühlen
konnte.
Frodo stand wie vom Donner gerührt neben
Gandalf und konnte nicht glauben, was sich vor wenigen Sekunden
zwischen Faramir und Aragorn abgespielt hatte. Wie um alles in der
Welt, war Faramir nur eine so absurde Idee gekommen und als ob das
alleine nicht schon schlimm genug war, hatten sowohl Merry und Pippin
als auch Gimli und Legolas noch zu streiten begonnen. Was war denn
nur in sie gefahren, dass scheinbar alle nur noch Streit im Sinn
hatten? Und das ausgerechnet an diesem Tag, auf den sie sich gestern
noch so sehr gefreut hatten, doch das schien schon Jahre
zurückzuliegen!
Traurig blickte er Aragorn nach, der ohne ein
Wort den Lagerplatz verließ und Frodo widerstand dem Impuls,
ihm nachzulaufen. Er kannte seinen Freund so gut, um zu wissen, dass
er jetzt alleine sein wollte, auch wenn Frodo nicht ganz wohl bei dem
Gedanken war, denn schon vor diesem Wortwechsel hatte Aragorn mehr
als erschöpft gewirkt und jetzt schien er sich nur noch mit Mühe
auf den Beinen zu halten.
Als Aragorn außer Sichtweite
war, lösten sich alle aus ihrer Starre und wechselten
fassungslose Blicke. Eowyn hingegen kochte vor Wut und schimpfte
gleich drauf los.
"Jetzt hat er doch völlig den Verstand
verloren! Kann mir vielleicht mal jemand erklären, wie Faramir
auf so etwas gekommen ist? Ich werde ihn mir jetzt sofort vorknöpfen
und danach wird er sich wünschen, er hätte mich nie kennen
gelernt!"
Sie raffte ihre Röcke und stürmte
sogleich hinter ihrem Mann her, der hinter einigen Felsbrocken
verschwunden war.
Immer noch wie betäubt begann der verbliebene Rest der Gemeinschaft das Lager herzurichten und Sam schichtete das Holz auf, dass bald darauf zischte und knisterte, als die Flammen es verzehrten. Sie setzten sich um das wärmende Feuer, doch es reichte bei weitem nicht aus, um die Kälte aus ihren Herzen zu vertreiben. Immer wieder wandte einer den Blick verstohlen in die Richtung, in die Aragorn verschwunden war, doch er kam nicht in das Lager zurück.
Fünfter Abschnitt
Aragorn nahm um sich
herum nicht mehr das Geringste wahr, selbst die eben noch schmerzende
Schulter und sein dröhnender Kopf schienen taub zu sein.
Benommen ließ er sich in einiger Entfernung auf das Gras am
Flussufer nieder und starrte auf das schnell fließende Wasser,
ohne einen einzigen Gedanken fassen zu können.
Faramirs Worte
rauschten, ebenso wie der Fluss, in seinen Ohren und nahmen ihm jedes
Gefühl von Zeit. Irgendwann verschwamm der Fluss vor seinen
Augen und die Bilder der Vergangenheit traten an seine Stelle.
Das
Horn von Gondor erklang und Aragorn rannte ohne zu zögern auf
die Uruk-hai zu, die sich ihm in den Weg stellten und ließ sein
Schwert auf sie niederfahren, um durch ihre Reihen zu brechen. Er
stürmte in die Richtung, aus der er das Horn vernommen hatte und
vernahm an dessen Stelle, jetzt den Kampflärm und die Schreie
von Merry und Pippin. Viel zu plötzlich erstarben die Geräusche
und er hörte, dass sich schnell entfernende donnern der Armeen,
als er endlich die Lichtung erreichte.
Der Anblick, der sich ihm
bot, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren und in blinder
Wut raste er mit gehobenem Schwert auf den Führer der Uruk-hai
los, der vor Boromir stand, bereit, den letzten tödlichen Bolzen
seiner Armbrust abzuschießen.
Die Wucht des Aufpralls raubte
Aragorn fast den Atem, aber er rollte sich herum und kam
augenblicklich wieder auf die Füße, um sich dem Kampf zu
stellen, der umgehend losbrach...
Er nahm die Schmerzen der Verletzungen erst wahr, nachdem er mit einem letzten Hieb den Kopf seines Gegenübers von dessen Schultern riss, eilte jedoch, ohne sie zu beachten, an Boromirs Seite. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass er zu spät gekommen war...
Er
konnte immer noch fühlen, wie das Leben mit jedem Atemzug aus
Boromirs Körper entwich und der Glanz aus seinen Augen
verschwand.
Der Schmerz des Verlustes kehrte mit doppelter Kraft
in Aragorns Herz zurück, denn ihm wurde bewusst, dass er eben
auch den zweiten Bruder verloren hatte. Seiner letzten Kraft beraubt
sank er zurück und vergrub sein Gesicht in den Händen.
Der
Morgen dämmerte bereits, als Frodo aus seinem unruhigen Schlaf
hoch schreckte. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er überhaupt
eingeschlafen war und es genügte ein Blick über das Lager,
um ihm zu zeigen, dass er nicht nur geträumt hatte, was zwischen
einigen der Freunde vorgefallen war.
Es herrschte eisiges
Schweigen, während die anderen bereits begonnen hatten ihre
Sachen zusammen zu packen, um sich auf den Heimweg zu machen. Frodo
fragte sich, wo Aragorn wohl steckte, denn er konnte ihn nirgends
erblicken, auch seine Sachen lagen nicht mehr neben dem kleinen
Felsen, wo sie in der Nacht noch gelegen hatten.
Frodo stand auf
und eilte zu Gandalf, der mir ernster Miene bei Arwen stand und er
konnte sehen, dass eine Mischung aus Sorge, Wut und Verzweiflung in
seinem Blick lagen. Er brauchte erst gar nicht fragen, um zu wissen,
dass es keine guten Neuigkeiten gab. Als Gandalf ihn kommen sah,
versuchte er ein Lächeln, doch es wollte dem Zauberer nicht so
recht gelingen.
Frodo wappnete sich auf das Schlimmste und nahm
Gandalfs Bericht so gefasst wie möglich in sich auf.
Vor
einigen Stunden war Aragorn ins Lager zurück gekehrt, ohne auch
nur ein Wort mit dem Zauberer zu wechseln, der auf ihn gewartet
hatte.
"Er war ein Schatten seiner selbst und hat mich nicht
eines Blickes gewürdigt! Er hat seine Sachen gepackt und ist zu
den Pferden, um Brego zu holen und bevor ich auch nur reagieren
konnte, war er auch schon auf und davon! Erst wollte ich ihm auf
Schattenfell folgen, aber dann hättet ihr nicht gewusst was
geschehen ist, deshalb habe ich darauf gewartet, dass ihr endlich
erwacht, damit ich aufbrechen kann!"
Das sah Aragorn
überhaupt nicht ähnlich und Frodo erkannte, dass er
bestimmt zutiefst verletzt war, wenn er noch nicht mal erklärte,
warum und wohin er sich aufmachte. Frodo ahnte, wie es in ihm
aussehen musste und er flehte die Valar an, dass sie Aragorn von
irgendwelchen Dummheiten abhalten würden.
"Was sollen
wir denn jetzt tun?", fragte Frodo und sah erst zu Gandalf, dann
zu Arwen und wartete auf eine Entscheidung der beiden.
Arwen
seufzte und beugte sich dann zu Frodo herunter und fasste ihn an den
Schultern.
"Ich befürchte, dass er nur aus einem Grund
ohne ein Wort aufgebrochen ist! Der Vorwurf von Faramir, dass er die
Herrschaft von Gondor an sich gerissen hat, wird ihn dazu bewegt
haben, sich wieder ins Exil zu begeben. Ganz zu schweigen von der
Schuldzuweisung an Boromirs Tod! Gerade er müsste doch wissen,
dass Aragorn eher sein eigenes Leben riskieren würde, bevor er
einen seiner Gefährten im Stich lassen würde!"
Sie
senkte bestürzt den Blick, als ihr die Tragweite ihrer eigenen
Worte bewusst wurden.
Ja, er hatte sich gewiss dazu entschlossen,
Minas Tirith zu verlassen. Sie selbst hätte an seiner Stelle
wohl genauso entschieden, denn wenn Faramir diese Behauptung ernst
meinte, würde dieser bestimmt auch den eigenen Anspruch als
Truchsess erheben. Aragorn würde in keinerlei Form gegen einer
seiner Freunde kämpfen und hatte sich bestimmt auf den Weg
gemacht, um eine Herrschaftsübergabe vorzubereiten und sein
Leben als Waldläufer wieder führen. Wenn sie sich nicht
beeilte, war er bereits verschwunden, noch bevor sie die weiße
Stadt erreichen würde!
"Kommt rasch! Wenn wir keine Rast
machen, können wir ihn vielleicht noch aufhalten!"
Sie
drehte sich um und trieb auch die Anderen zur Eile an, wobei sie aber
Faramir keine Beachtung schenkte.
Gandalf räusperte sich
und richtete das Wort an Frodo, der noch immer fassungslos neben ihm
stand.
"Ich werde nicht mit nach Minas Tirith reiten! Ich
habe noch etwas hier in der Gegend zu erledigen, was keinen Aufschub
duldet, aber sobald ich alles erledigt habe, werde ich zu euch
stoßen! Ich denke, dass ich bereits Morgen vor der
Abenddämmerung bei euch bin!
Achte auf Arwen und sieh zu,
dass ihr weitere Zwischenfälle verhindert, noch mehr
Streitigkeiten wären nicht ratsam! Ich weiß jetzt schon
nicht, ob wir diesen Disput wieder aus der Welt schaffen
können!"
Frodo nickte und versprach, alles zu tun, worum
der Zauberer ihn gebeten hatte.
Ihm war zwar nicht wohl bei der
Sache, dass Gandalf nicht mit ihnen kam, aber es würde bestimmt
einen wichtigen Grund haben!
Bereits eine Stunde
später, setzte sich die Gruppe, ohne Gandalf, in Bewegung und
dieser lenkte Schattenfell in Richtung Osten, auf das Land Mordor
zu.
Er wäre zwar auch lieber mit zur Stadt geritten, um
Aragorn aufzuhalten, aber das seltsame Gefühl hatte ihn gepackt,
dass die Meinungsverschiedenheiten und Streitereien im Zusammenhang
mit seinen Beobachtungen im schwarzen Land zu tun hatten. Er hatte
sofort gewusst, das Unheil bevorstand, als er die Risse im Erdreich
gesichtet hatte und unmittelbar vor dem Streit zwischen Faramir und
Aragorn hatte er sich wieder seltsam beobachtet gefühlt!
Irgendjemand schien ein großes Interesse daran zu haben, um ihr
Bündnis zu zerstören und war auch auf dem besten Wege, sein
Ziel zu erreichen!
Dieser Jemand hielt sich, so vermutete er, in
Mordor auf und zog die Fäden im Hintergrund, doch Gandalf würde
ihn schon finden und danach konnte er sich um seine Freunde
kümmern.
Darin setzte er jetzt seine ganze Hoffnung, denn er
mochte sich gar nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn
Aragorn wirklich wieder auf Wanderschaft gehen würde und Gondor
sich selbst überlassen würde. Feinde jeglicher Art könnten
dann ihre Machtgier gegen das Land richten und gewiss mit großem
Erfolg, wenn es keinen Führer für das Volk gab, der so
bedacht und weise die Entscheidungen traf.
Gandalf brauchte
Schattenfell nicht weiter anzutreiben, das Tier spürte die
Unruhe seines Reiters und flog wie ein Blatt im Wind über die
Ebene, nachdem sie den Fluss überquert hatten. Vor ihnen
erstreckte sich das Schattengebirge, mächtig und drohend, und
sein Schatten verschluckte das Land, das zu dessen Füßen
lag.
Mit Erschrecken entdeckte Gandalf, dass die Spitzen der Berge
in Nebelschwaden gehüllt waren, die im Inneren des Landes
aufstiegen, ein sicheres Zeichen dafür, dass sein Gefühl
ihn nicht getäuscht hatte. Er passierte den Eingang am Minas
Morgul und sah sich von den Felswänden umgeben, doch würdigte
ihnen keinerlei Beachtung. So sah er auch nicht, wie sich mehrere
Schatten hastig über einige Vorsprünge bewegten und ihm in
der sicheren Höhe folgten, Orks, von den blauen Zauberern
ausgesandt, um die Schlinge zuzuziehen, wenn Gandalf in ihre Falle
tappte.
Etwa zur selben Zeit legte Aragorn die Feder
beiseite und rollte das letzte Schriftstück zusammen, dass er
mit seiner klaren Handschrift gefüllt hatte. Darin bestimmte er
offiziell Faramir als seinen Nachfolger und übertrug ihm die
volle Entscheidungsgewalt.
Drei weitere Schriftstücke lagen
bereits fertig und mit Siegel versehen, auf seinem Tisch, die an
Arwen, Gandalf und Faramir gerichtet waren. Er hatte versucht, ihnen
seine Entscheidung zu erklären und vor allem Faramir darum
gebeten, ihm seine Schuld an Boromirs Tod zu verzeihen, die er sich
selbst auch immer wieder gegeben hatte.
Außerdem bat er
Arwen, sich auf den Weg nach Düsterwald zu machen, wo er sie
erwarten würde, um sich dann gemeinsam auf den Weg zu machen.
Erst hatte er hier auf sie warten wollen, doch er besaß einfach
nicht die Kraft, Faramir noch einmal gegenüber zu treten, oder
die enttäuschten Blicke der Hobbits zu ertragen. Was mochten sie
jetzt von ihm denken, nachdem sie erfahren hatten, wie stark er
wirklich war? Er hatte versagt, daran hegte er selbst nicht den
geringsten Zweifel und es war besser, wenn sie ihr Leben ohne ihn
verbringen würden und falsche Hoffnungen in ihn setzten.
Er
strich sich mit beiden Händen das Haar aus der Stirn und rieb
sich die brennenden Augen. Wie viele Nächte er jetzt schon nicht
mehr geschlafen hatte! Doch es würde noch warten müssen,
bis er sich etwas ausruhen konnte. Er musste nur noch einige Sachen
zusammen packen und dann wollte er aufbrechen, doch die alten
Erinnerungen ließen ihn nicht los und schienen ihn an den Stuhl
zu fesseln.
Schließlich kämpfte er sich mühsam
hoch und überlegte, wie viel Zeit er nun wohl noch haben mochte,
bevor die Gruppe der Freunde zurück waren. Bestimmt hatten sie
sich längst auf den Weg gemacht und Arwen würde das Tempo
antreiben, denn sie kannte ihn zu gut, um zu ahnen was er vorhatte!
Rasch machte er sich auf in seine Gemächer und kleidete sich in
seine alten Gewänder, packte seine Waffen, Wasser und
Nahrungsmittel in sein Bündel und wollte eben das Zimmer
verlassen, als ihm ein Gedanke kam.
Der Palantir! Wenn er ihn
mitnahm, konnte er wenigstens sehen, ob es seinen Freunden gut ging
und auf diese Weise an ihrem leben Teil haben! Er ertrug den Gedanken
einfach nicht, nie wieder etwas von ihnen zu erfahren und deshalb
zögerte er jetzt auch nicht länger. Zielstrebig eilte er zu
der Truhe an seinem Bett und erbrach das Schloss, das nur widerwillig
nachgab.
Eigentlich hatte er sich geschworen, dass er den Stein
nie wieder benutzen wollte, denn das eine Mal, als er davon gebrauch
gemacht hatte, war er Sauron gegenübergetreten. Immer noch wurde
er bei diesem Gedanken von Grauen gepackt, denn viel hatte nicht
gefehlt und er hätte in jener Nacht mit seinem Leben dafür
bezahlt! Die Erschöpfung jener Nacht, hatte selbst bei der
Schlacht um Gondor noch an ihm genagt und war in seiner Erinnerung
immer noch greifbar.
Entschieden schob er seine Bedenken beiseite
und durchsuchte den Boden der Truhe, bis seine Finger schließlich
die Rundungen des Steins erfassten, der in ein Tuch gewickelt in
einer der Ecken lag. Einen Augenblick zögerte er, doch dann nahm
er ihn an sich und hielt den Palantir versonnen hoch und löste
das Tuch.
Die Sonne fiel auf die ebenmäßige Oberfläche und spiegelte sich darin, wobei sie Aragorn kurz blendete. Er schloss die Augen und als er sie wieder öffnete, stockte ihm der Atem. Die Schwärze des Steins löste sich auf und enthüllte nach und nach das Land vor dem Schattengebirge und das, obwohl er keine Anstrengungen unternommen hatte, um die Kräfte des Palantir zu nutzen. Sofort war ihm bewusst, dass hier andere Kräfte als seine eigenen am Werke waren und er versuchte, seinen Blick loszureißen, doch er wurde durch diese Anstrengungen nur noch fester in den Bann gezogen. Immer tiefer und tiefer wurde er gezogen, bis sich plötzlich eine unerträgliche Hitze in seinem Körper auszubreiten begann, ausgehend von der roten Narbe an seiner Schulter. Keuchend kämpfte er gegen den endlosen Strom aus Feuer an, der von ihm Besitz ergreifen wollte, seine Muskeln zuckten und zitterten vor Anstrengung, doch er wurde mit aller Kraft festgehalten.
Am Rande seiner Wahrnehmung sah er plötzlich in dem Stein einen Reiter auf einem weißen Pferd, der in das Land Mordor ritt und erkannte Gandalf.
Ein Steinhagel versperrte dem Zauberer den Vor- und Rückweg und von beiden Hängen der Schlucht, stürmten Orks herab, die sich sogleich erbarmungslos auf den Freund stürzten. Gandalf zog sein Schwert und begegnete dem offenen Angriff mit verzweifelter Entschlossenheit, denn er erkannte seine ausweglose Lage gegen diese Übermacht an Feinden...
Mit jedem Schwerthieb, den Gandalf zu seiner Verteidigung führte, sengten die Flammen in einer feurige Bahn in seinem Inneren entlang. Schweiß brach Aragorn aus und er strengte seinen Willen an, um durchzuhalten und seinem schrecklichen Schicksal zu entgehen, doch das Inferno loderte in ihm so stark, dass er glaubte die Besinnung vor Hitze zu verlieren, doch als ob es ihm den letzten Halt gab, wandte er den Blick nicht von Gandalf ab.
Er hatte keine Chance, die Übermacht war einfach zu groß. Einige Orks zerrten ihn vom Pferd, während andere ihn mit ihren Waffen angriffen und ihn ablenkten. Schließlich verlor er den Halt und rutschte vom Pferd und wurde umgehend von den Orks gepackt und entwaffnet. Er sah noch, wie einer seiner Feinde den Schwertknauf auf ihn nieder fahren ließ, spürte den dumpfen Aufprall und dann wurde alles schwarz um ihn...
Seine Atemzüge wurden flach und hastig und die Luft schien seine Lungen nicht zu erreichen. Alles in ihm zog sich schmerzvoll zusammen und mit einem schwachen Protestschrei krümmte er sich zusammen und der Palantir fiel krachend zu Boden. Aragorn konnte seinen eigenen Fall gerade noch abfangen und der nächste Laut, der über seine Lippen kam, war ein klagendes Stöhnen. Er rollte sich auf den Rücken und streckte Arme und Beine aus, doch auch die kühlen Steinfliesen konnten die sengende Hitze in seinem Körper nicht schwächen. Er konnte nur hoffen, dass er endlich von der Bewusstlosigkeit von seinen Qualen erlöst wurde...
Stunden schienen vergangen, als er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, doch als er den Blick zum Fenster wandte, erkannte er am Stand der Sonne, dass kaum Zeit vergangen war. Das Feuer war genauso schnell erloschen, wie es sich in ihm ausgebreitet hatte, doch hatte er kaum noch die Kraft um zu atmen. Nur die Sorgen um Gandalf halfen ihm, sich langsam und mühselig auf die Beine zu kämpfen und er kam schwankend zum Stehen. Er lehnte sich an die Wand und wartete darauf, dass der Schwindel verging, dann nahm er seine letzte kraft zusammen und stolperte aus dem Zimmer, um sich auf den Weg zu den Ställen zu machen.
