Achter Abschnitt

Pallando und Alatar hatten den Kampf durch ihren Palantir beobachtet und voller Zufriedenheit, mit einem überheblichen Lächeln auf den Lippen, wandten sie sich an ihren Gefangenen.
In einem gewaltigen Lichtkegel, der von einem sonderbaren Kristall am Boden ausging, wurde Gandalf in der Luft gefangen gehalten. Er sah ein wenig blass und ausgezehrt aus und an seiner Stirn klebte getrocknetes Blut, doch seine Augen schauten klar und aufmerksam auf seine Gegner. Sein Stab lag in einiger Entfernung auf dem Boden, unerreichbar für ihn, aber sein Wille war ungebrochen und er wendete seine verbliebene Kraft darauf, den Stab mit seinen Gedanken in seine Richtung zu ziehen. Ein kurzes Mal hatte er leicht unter seinen Anstrengungen gezittert und Gandalfs Hoffnung war wieder erwacht, auch wenn sich sein Vorhaben als äußerst mühsam erwies.
Er unterbrach seine Tätigkeit aber sofort, als er jetzt die beiden Magier auf sich zukommen sah, um keinen Verdacht zu erregen. Innerlich spürte er, dass sie etwas vorhatten und wappnete sich gegen das, was ihn nun erwartete.

"Nun, Gandalf der Weiße! Bald wirst du etwas Gesellschaft bekommen! Unsere Orks sind mit einem deiner Freunde auf dem Weg hierher und es wird uns eine Freude sein, ihm die gleiche Gastfreundschaft zu Teil kommen zu lassen, die wir dir bereiten."
Gandalf hoffte bei diesen Worten inständig, dass sein Gefährte wohlauf sein möge, denn er hatte noch etwas in Alatars Stimme mitschwingen gehört, dass wie eine dunkle Bedrohung im Raum zu schweben schien. Außerdem fragte er sich fieberhaft, wen sie wohl gefangen genommen hatten. Sicherlich war es jemand, der ihnen von großem Nutzen sein würde, aber er flehte dennoch, dass es nicht Aragorn sein möge.
Nur er würde jetzt noch die Kraft aufbringen können, die Streitigkeiten zu schlichten, die ihre Feinde so geschickt zwischen ihnen verursacht hatten, und den alten Bund wieder zu vereinen. Die Stärke der Freundschaft würde ihnen die nötige Kraft verleihen, um sich dem Feind zu stellen und das Böse wieder aus ihren Herzen zu vertreiben. Doch es würde auch für ihn schwierig werden, denn er wusste nicht, dass Eomer unter dem Bann der blauen Zauberer stand und sie über jeden ihrer Schritte auf dem Laufenden hielt, das hatte Gandalf kurz bei einem Gespräch zwischen ihnen hören können. Aragorn musste auf der Hut sein, denn Faramir war schon sehr stark von Eomer beeinflusst worden und sein Hass hatte sich gegen ihn gerichtet.

Das dröhnende Lachen von Pallando ließ Gandalf aufsehen und als er den kalten Blick seines Feindes sah, lief ihm ein kalter Schauer das Rückrat entlang. Pallando ging einige Schritte auf ihn zu und er sah Gandalf gefährlich ruhig an.
"Hoffe nicht vergeblich auf die Hilfe von deinem König Elessar, alter Narr, denn er wird nicht kommen! Er hat es vorgezogen, sich für einen seiner Freunde zu opfern! Er ist ...TOT!" Das schallende Lachen von Pallando traf Gandalf wie eine Welle und eine tiefe Trauer ergriff ihn bei dessen Worten.
Fassungslos sah er hinter den Magiern her, die ihn zurückließen und immer noch lachten. Das durfte einfach nicht war sein! Das konnte nicht war sein!
Gandalf schloss für einen Moment die Augen, überwältigt von dem Gefühl des Verlustes und der Angst, dass sie Recht hatten.
Die Qual riss ihn herab und er fühlte sich plötzlich unendlich alt, schwach und besiegt. Jetzt war alles verloren.

Langsam kam Legolas zu sich. Sein erster Gedanke kehrte sofort auf den Felsvorsprung zurück und er sah hinter den geschlossenen Lidern, wie Aragorn von dem Dolch getroffen wurde und dann mit dem Ork in die Tiefe stürzte. Dieses Bild brannte sich in seiner Erinnerung ein und rief Sorge in seinem Inneren wach, aber auch wieder das Gefühl von Schuld. Diese Erkenntnis holte ihn nun auch gänzlich aus seiner Bewusstlosigkeit und er schlug die Augen auf.
Er sah sich um und erkannte, dass sie sich in einem Raum befanden und ihm stockte der Atem, als er in dessen Mitte Gandalf entdeckte, der mit geschlossenen Augen in der Luft zu schweben schien, von Licht gehalten. Legolas wollte zu ihm herübereilen, doch ein Eisenring um seinen Knöchel hielt ihn an der Wand gefangen und er konnte sich nicht von seinem Platz entfernen.
Außer dem Lichtschein um Gandalf war das Zimmer völlig in Dunkelheit gehüllt, so wie auch Legolas' Gedanken.

Sie waren erfüllt von den Bildern des Kampfes und Aragorn, der in die Tiefe stürzte. Er hatte keine Rücksicht auf seine eigene Gesundheit genommen, und die Sorge über Gandalf über sein eigenes Wohl gestellt und war ohne zu zögern aufgebrochen, um ihn zu suchen. Um den Elb zu retten, hatte er sich ohne nachzudenken auf seinen Gegner gestürzt und dafür mit dem Leben bezahlt!
Legolas saß regungslos da, unfähig sich zu rühren. Ihn überkam eine große Traurigkeit, die aber nach und nach in unglaubliche Wut umschlug. Er würde herausfinden, wer dahinter steckte und sie mit dem Leben dafür bezahlen lassen, egal was ihm dabei passieren würde. Er würde bis zum Ende kämpfen, selbst wenn es sein eigenes Leben fordern würde.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die Türe sich öffnete und ein Mann, begleitet von einer Horde Orks, eintrat. Zielstrebig kamen sie auf ihn zu und musterten ihn mit kalten Augen, die Legolas die Nackenhaare aufstellten.
"Sieht mir ganz so aus, als hätten wir den Elben erwischt! Schade, dass statt deiner der König den Tod fand, aber früher oder später hätten wir sowieso keine Verwendung mehr für ihn gehabt!"
Legolas wurde von unglaublicher Wut gepackt und er kam blitzschnell auf die Füße und packte Pallando an der Kehle, um ihn für seinen Verlust zahlen zu lassen.
Sofort sprangen die Wachleute auf und eilten ihrem Herrn zu Hilfe. Sie zogen Legolas von ihm weg, der sich immer noch unter den festen Griffen wand.
Pallando ging auf ihn zu und versetzte ihm einen knochenzerschmetternden Schlag gegen die Rippen. Legolas biss die Zähne gegen den rasenden Schmerz zusammen der durch seinen Körper fuhr. Er krümmte sich qualvoll zusammen und sackte auf die Knie. Ein mörderischer Blick ruhte auf ihm, als er den Kopf wieder hob und Pallando rieb sich die Kehle, dann stieß er die Worte mit seinem ganzen Hass hervor.
"Das wirst du noch bereuen und dafür bezahlen. Wenn ich zurück komme, werde ich Herrscher über alles sein, was dir einst lieb und teuer war und bevor das Elbenweib sterben wird, werde ich ihr erzählen, dass Aragorn deinetwegen sein Leben lassen musste! Vor ihrem Ende wird sie dich hassen!"

Legolas warf einen verzweifelten Blick in Gandalfs Richtung, doch noch immer rührte sich der Zauberer nicht. Pallando lachte auf, als er seinem Blick folgte.
"Er kann dir auch nicht mehr helfen, seine Macht schwindet und das Bündnis zerbricht! Bald ist Mittelerde mein!"
Mit einer einzigen, fließenden Bewegung erhob sich der Magier wieder und machte auf dem Absatz kehrt, gefolgt von den Orks und er blickte nicht zurück, doch spürte er ganz deutlich den Blick des Elben in seinem Rücken.

Kalter Regen trommelte auf sein Gesicht und holte Aragorn aus seiner Bewusstlosigkeit. Die Hitze, die ihn noch vor einigen Stunden vollends ausgefüllt hatte, war von frostiger, eisiger Kälte abgelöst worden und über ihm war nur die Leere der finsteren Nacht, nicht einmal die Sterne standen am Himmel. Er versuchte, sich an die Geschehnisse zu erinnern, die sich auf dem Vorsprung ereignet hatten und tastete dann an seine schmerzende Seite. Er fühlte feuchte Wärme und als er die Hand hob, klebte sein Blut an ihr. Mühsam rappelte er sich auf, rutschte auf den nassen Felsen ab und fiel auf den Rücken, wobei ihm die Luft in einem Stöhnen entwich. Ihm war entsetzlich kalt und er konnte nur mit Mühe das Zittern unterdrücken, das seinen Körper schüttelte. Der Regen hatte ihn bis auf die Haut durchnässt und sein Körper schmerzte mit jedem neuen Tropfen, der ihn traf, mehr.
Er wollte sich herumrollen, um einen neuen Versuch zu wagen aufzustehen und fast hätte er das Gleichgewicht verloren und wäre in den endlosen Abgrund gestürzt, der sich unmittelbar neben ihm auftat. Erst jetzt nahm er seine Umgebung war und erkannte, dass er auf einem schmalen Vorsprung lag, der gerade breit genug war, dass er darauf liegen konnte. Aragorn begriff, dass er unglaubliches Glück gehabt hatte, nicht wie der Ork in die Tiefe gestürzt zu sein, doch jetzt war er auf diesem Absatz gefangen, hilflos der Witterung ausgesetzt. Er richtete seinen Blick erneut nach oben und konnte, nicht sonderlich hoch, den Rand des Felsen erkennen, von dem er gestürzt war, doch die Wand war zu glatt und bot keinerlei Risse oder Vorsprünge, um daran hochzuklettern.
Mit einem Fluch auf den Lippen, lehnte er sich gegen den Felsen und zog den Mantel enger um sich, doch es war ein unnutzer Versuch, sich vor dem Regen zu schützen.

Ein kleiner Steinhagel ließ ihn ruckartig den Kopf heben und als er seinen Blick wieder an den oberen Felsrand heftete, wurde sein Inneres von Freude erfüllt. Schnaubend stand Brego am Abgrund und scharrte mit den Hufen, wobei er freudig wieherte, als er seinen Herrn erblickte. Er schüttelte den Kopf, um sich den Regen aus der Mähne zu schleudern und dabei rutschten seine Zügel über seinen Hals und fielen ein Stück den Abgrund herunter.
Hoffnung keimte in Aragorn auf und vorsichtig, um nicht erneut auszurutschen, kam er zum Stehen und versuchte, die Enden zu erreichen, doch es fehlte noch ein beträchtliches Stück. Er lockte Brego noch ein wenig näher an den Rand und das Pferd verstand wohl seine Absichten und ließ sich auf die Knie nieder.
Trotz der schmerzenden linken Seite suchte Aragorn mit den Füßen einen Halt in der Felswand und mit seiner letzten Kraft bekam er endlich das eine Ende der Zügel zu fassen. Seine eiskalten Hände konnten nur schwer das nasse Leder halten, aber er klammerte sich verzweifelt daran fest und Brego machte die ersten, langsamen Schritte zurück, um ihn Meter für Meter hochzuziehen. Zweimal prallte Aragorn hart gegen die Felswand, als die Zügel hin und her schwankten und er versuchte verzweifelt, nicht den Halt zu verlieren, um doch noch in die Tiefe zu stürzen.

Gerade als ihn die Kräfte zu verlassen drohten und seine linke Hand von den Schmerzen geschwächt von den Zügeln abrutschte, zog Brego mit einem letzten Ruck seinen Herrn über den Rand der Klippe.
Aragorns Atem ging stoßweise und seine Seite zog sich qualvoll zusammen. Regungslos blieb er liegen und schloss die Augen. Er war nicht mehr in der Lage, auch nur eine Bewegung auszuführen, selbst das Zittern seines Körpers erstarb.
Vorsichtig stupste Brego ihn an der Schulter an, doch die Anstrengungen hatten ihren Tribut gefordert und Aragorn hatte erneut das Bewusstsein verloren.

Neunter Abschnitt

Arwen saß am Rande des Lagers, den Kopf auf die Knie gestützt und den Blick in Richtung des Schattengebirges gerichtet, das fast mit der schwärze der Nacht verschmolz. Sie hörte nicht, wie Frodo hinter sie trat, so sehr war sie in Gedanken versunken, und schreckte auf, als sie seine Hand auf ihrer Schulter fühlte.
Sie sah Frodo aus ihren großen, wunderschönen Augen an, in ihnen lag eine Traurigkeit, die ihm das Herz zuschnürte und einen Moment wusste er nicht, was er sagen sollte, doch dann begann er zu sprechen.
"Arwen, es ist sehr spät. Versuche endlich, zu schlafen!", doch er kannte ihre Antwort schon, noch bevor sie es ausgesprochen hatte.
"Ich kann nicht schlafen! Wenn ich die Augen schließe, sehe ich immer das gleiche Bild vor mir! Ich ertrage es nicht!"
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie groß ihre Ängste tatsächlich waren.
"Was, Arwen? Was siehst du?" Frodo hatte jetzt das Gefühl der Zerrissenheit, denn einerseits wollte er wissen, was in Arwen vorging, andererseits fürchtete er sich vor der Wahrheit. Trotzdem konnte er diese Ungewissheit keine Sekunde länger aushalten und drängte sie noch einmal, aber sie schüttelte nur den Kopf.
Sie zögerte, doch dann lag wieder Hoffnungslosigkeit in ihrem Blick. Sie schauten zusammen in die Ferne, ohne das sie miteinander sprachen. Arwen begann schließlich zu sprechen.
"Warum bist du nicht auf deinem Lagerplatz? Kannst du auch nicht schlafen?"
"Es ist ähnlich wie bei dir! Ich wache auf, weil ich schreckliche Dinge in meinen Träumen sehe, aber wenn ich erwacht bin, kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich Angst hatte!"
"Wir sorgen uns beide sehr um sie! Unsere Ängste suchen uns im Schlaf heim. Ich glaube, nein, ich wünsche mir, bei ihnen zu sein. Dann würde es mir besser gehen!"
"Du hast Recht. Hier in dieser Ungewissheit zu sein ist schlimmer als in einer Schlacht!"
Wieder schwiegen beide, doch plötzlich richtete Arwen sich auf und sah Frodo direkt in die Augen. Entschlossenheit hatten die Traurigkeit von eben abgelöst.
"Wir werden ihnen folgen! Dass ich darauf nicht schon früher gekommen bin!"
"Aber das ist viel zu gefährlich! Du hast doch gehört, was Aragorn berichtet hat und wenn diese fiesen Orks uns auch noch erwischen, verschlechtern wir nur noch unsere Situation! Nein, Arwen, auch wenn ich ihnen nur zu gerne folgen würde, so hält mich mein Verstand dennoch davon zurück! Wir müssen eine andere Lösung finden und ich habe da auch schon eine Idee!"

Arwen wusste, dass Frodo Recht hatte, doch sie spürte in ihrem Herzen, dass etwas Schreckliches geschehen war, sie vermochte nur nicht zu sagen, was. Einen Augenblick hatte sie gehofft, dass Frodo etwas in seinen Träumen gesehen hatte, auch wenn es ihre Ängste bestätigt hätte, so wäre es dennoch besser gewesen, als diese Ungewissheit.
Doch Frodo hatte ihr Interesse geweckt und sie war gespannt auf seine Idee. Egal um was es sich handelte, es würde sie zumindest von ihren Sorgen ablenken und wer konnte schon wissen, ob es nicht sogar wirklich helfen könnte, deshalb forderte sie den Hobbit auf, ihr zu berichten.
"Wir können alleine nichts ausrichten, aber wenn wir Beistand ersuchen, haben wir gewiss bessere Chancen etwas zu unternehmen. Wenn Aragorn und Legolas erst einmal das Versteck von Gandalf gefunden haben, dann brauchen wir Unterstützung, wenn wir ihn befreien wollen. Ich habe mir auch schon überlegt, wen wir um Hilfe bitten können! Lass uns nach Düsterwald reiten und Legolas' Vater von allem berichten! Er ist ein Freund von Gandalf und Aragorn, außerdem wird er seinem Sohn mit Sicherheit beistehen!"

Arwen dachte einen Moment über Frodos Vorschlag nach. Ihr war nicht wohl dabei, ohne das Wissen von Aragorn ihr Lager zu verlassen. Wenn sie zurück kamen und das Lager leer vorfanden, würde er sich gewiss Sorgen machen und einen Hinweis zu hinterlassen, könnte auch den Feind auf ihre Spur führen. Dennoch bot sich hier eine Gelegenheit, etwas zu tun und einen möglichen Angriff besser abzuwehren, wenn sie Verstärkung holten. Sie kannten zwar ihre wirklichen Gegner noch nicht, doch wenn bereits Orks angriffen, dann hatten sie mit Sicherheit mit einem mächtigen Gegner zu rechnen, der listig genug war, ihre alten Widersacher auf seine Seite zu ziehen.
"Du hast Recht! Morgen werden wir in aller Frühe aufbrechen. Ich weiß nicht, ob alle uns begleiten werden, aber wir werden auf jeden Fall nach Düsterwald reiten!"
Nach diesem Entschluss fühlte sie sich befreit und dann sprach sie mit Frodo noch einige Einzelheiten ab, bevor sie sich endlich zur Ruhe legten.

Eowyn wartete lange, bis sie es wagte, sich zu erheben. Sie hatte ebenfalls nicht schlafen können und jedes Wort der Unterhaltung zwischen Frodo und Arwen mit angehört. Sicherlich war es gut, wenn sie Beistand bei den Elben suchten, doch sie hatte auch gespürt, wie Arwen gezögert hatte und sie kannte sie lange genug, um die Bedeutung dieses Zögerns zu verstehen. Arwen hatte bestimmt eine schlechte Ahnung und auch Frodos Träume ließen sie zu der Annahme neigen, dass etwas geschehen war. Sie dachte an Aragorn und Legolas und sie war sich sicher, dass sie nicht einfach nach Düsterwald reiten konnte, ohne sich zu vergewissern, dass bei ihnen alles in Ordnung war. Deshalb würde sie sich so schnell wie möglich davonschleichen und die beiden suchen, denn alleine würde Arwen sie nicht ziehen lassen und auf Faramirs Beistand konnte sie ebenfalls nicht hoffen. Sie war sogar froh, seiner Nähe auf diese Weise zu entgehen, denn er sah sie mit einer solchen Gefühlskälte an, dass sie es ohnehin nicht ertragen konnte. Es schien sie innerlich in Stücke zu reißen und selbst der Gedanke an ihn ließ ihr die Tränen in die Augen treten.
Entschlossen schnappte sie sich ihr Bündel und schlich sich zu den Pferden, führte ihres weit von der Lagerstätte fort und schwang sich erst in den Sattel, als sie sicher sein konnte, dass niemand den Hufschlag mehr hören würde.
Sie trieb ihr Tier zur Eile an und je weiter sie sich entfernte, desto freier fühlte sie sich, doch auch das Gefühl verstärkte sich, dass ihre Ahnung, es könnte etwas geschehen sein, sich als richtig erweisen würde. Die Sorge um die beiden Freunde ließ sie noch schneller reiten.

Bei der kleinsten Bewegung zuckte Aragorn zusammen und presste seine Hand auf die schmerzende Wunde an seiner Seite. Der Dolch war tief eingedrungen und immer wieder riss die dünne Schicht von getrocknetem Blut auf und hinterließ neue, feuchte Blutflecken auf der zerrissenen Tunika. Trotzdem durfte er nicht länger an diesem Ort verweilen, es grenzte ohnehin schon an ein Wunder, dass er bis jetzt nicht von Orks entdeckt worden war, denn die Sonne stand schon hoch am Himmel und es musste schon Mittag sein. Er fluchte über sich selber, dass er es nicht geschafft hatte, gegen die Bewusstlosigkeit anzukämpfen und seiner Schwäche nachgegeben hatte, doch daran ließ sich jetzt auch nichts mehr ändern. Die kostbare Zeit war verloren und er schickte ein Stoßgebet zu den Valar, dass Gandalf und Legolas nicht dafür büßen mussten.
Er kam schwankend auf die Beine und lehnte sich gegen den Fels, dann sammelte er seine Kräfte und ging zu Brego herüber, wobei ihn jeder Schritt mit Qualen erfüllte. Er hielt sich an Sattelknauf fest und durchsuchte seine Taschen nach dem Wasserbeutel und etwas Essbarem. Er fand noch Reste von Lembas und nach der kleinen Stärkung wollte er sich gerade wieder auf den Weg machen, als er den Hufschlag eines Pferdes vernahm. So rasch wie er konnte, führte er Brego hinter einen kleinen Vorsprung, zog Pfeil und Bogen und kauerte sich selber in den Schatten.

Als er den Bogen spannte, zitterte er vor Anstrengung und er hoffte inständig, dass es sich nur um einen Gegner handelte, denn er würde es kaum schaffen einem Schwertkampf zu führen.
Die Gestalt, die nach einiger Zeit zu dem Vorsprung gelangte, hatte die Sonne im Rücken und ließ sich nicht erkennen. Aragorn wartete noch einen Moment, um eine bessere Treffsicherheit zu haben, doch gerade, als er den Pfeil abschoss, trat das Erkennen in seine Augen. Er riss in einem verzweifelten Versuch den Bogen nach oben, um die Flugbahn des Pfeils zu verändern und er verfehlte sein Ziel nur knapp. Das Pferd scheute und bäumte sich auf, doch Eowyn gelang es, die Stute zu beruhigen und zu verhindern, dass sie vorwärts stürmte und somit in den Abgrund gestürzt wäre.

Die ruckartige Bewegung hatte einen heftigen Schmerz durch seine Seite fahren lassen und mit einem Keuchen sank Aragorn in die Knie und umschlang seine Mitte, während ihm der Bogen aus der Hand fiel. Augenblicklich entdeckte Eowyn ihn und war mit wenigen Schritten bei ihm, nachdem sie abgesprungen war. Ohne ein Wort drückte sie ihn entschieden zu Boden und zog seine Hände beiseite, um die Ursache für seine Schmerzen auszumachen. Ein Fluch entschlüpfte ihr und sorgenvoll suchte sie seinen Blick.
Aragorn wagte den Versuch aufzustehen, doch Eowyn ließ es nicht zu.
"Und wie ist das geschehen und wo ist Legolas?", fragte sie ihn dann beunruhigt.
Aragorn sank zurück auf den Rücken und schilderte ihr von dem Kampf. Er vermutete, dass sie den Elb nun ebenfalls in seiner Gewalt hatten. Das hoffte er zumindest, denn ebenso gut konnten sie ihn auch einfach in die Tiefe gestürzt haben, doch daran wollte er nicht einmal denken.

Es war alles seine Schuld! Warum nur hatte er Legolas überredet ihn zu begleiten? Jetzt war es ungewiss, dass sie überhaupt eine Chance hatten, etwas auszurichten und er hatte erneut versagt und ihre Situation nur verschlimmert. Durch seinen Leichtsinn hatte er Legolas in Gefahr gebracht und wer wusste schon, was ihre Feinde mit ihm gemacht hatten.
Faramir hat recht gehabt, dachte er verbittert. Durch mich hat Boromir den Tod gefunden und jetzt ist Legolas ebenfalls durch meine Schuld in Lebensgefahr. Und Gandalf lebte vielleicht schon nicht mehr, wer konnte das schon mit Gewissheit sagen?

Notdürftig versorgte Eowyn die Wunde von Aragorn und verband sie mit einigen Streifen Stoff, die sie sich aus dem Saum ihres Reitkleides riss. Mehr konnte sie nicht tun, doch immerhin war es ihr gelungen, die Blutung zu stillen. Von seinem Sturz hatte Aragorn unzählige Prellungen und blaue Flecken davon getragen und eine kleine Platzwunde an der Schläfe, die sie vorsichtig reinigte. Als sie fertig war, wischte sie sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und sah Aragorn noch einmal prüfend an.
"Was sollen wir denn jetzt tun? Hier können wir nicht bleiben, die Orks können uns sofort entdecken, so ganz ohne Deckung! Habt ihr wenigstens die Möglichkeit gehabt, das Versteck von Gandalf ausfindig zu machen?"
Wie sie befürchtet hatte, schüttelte Aragorn betrübt den Kopf, deutete aber dann auf den Pfad, der von dem Felsen herabführte.
"Lass uns den Spuren der Orks folgen, die sie uns ja so zahlreich hinterlassen haben. Wenn wir Glück haben, haben sie Legolas zu Gandalf gebracht und wir können herausfinden, wie wir sie befreien können."
"Du willst allen ernstes in deinem Zustand weiterreiten? Ich sollte dich besser nach Düsterwald bringen, dorthin ist Arwen mit den anderen unterwegs. Die Elben haben bessere Heilkünste als ich und außerdem könnten wir Verstärkung holen und dann Legolas und Gandalf mit Hilfe der Elben befreien!"
"Dazu haben wir keine Zeit! Noch sind ihre Spuren frisch und wir haben gute Chancen das Versteck zu finden. Und was das Reiten angeht...," er versuchte ein gequältes Lächeln,"...so werde ich das wohl besser zustande bekommen, als zu laufen!"
Einen Moment zögerte sie noch, doch dann seufzte sie und half Aragorn auf die Beine. Ihn auf Bregos Rücken zu helfen, gestaltete sich schon weitaus schwieriger, aber schließlich schafften sie es und nachdem auch Eowyn aufgesessen hatte, trieben sie ihre Tiere an und folgten den Spuren.

Pallando stieß einen lästerlichen Fluch aus und widerstand nur schwer dem Versuch, den Palantir quer durch den Raum zu schleudern. Als er sich von dem Stein abwandte, verschwand das Bild der beiden Reiter und das Innere war wieder in Finsternis gehüllt.
Was musste er denn noch alles anstellen, um diesen König Elessar loszuwerden? Bereits bei der Benutzung des Palantir hatte er sich als viel zu widerstandsfähig erwiesen, denn jeden anderen hätten seine Flammen das Leben gekostet. Doch sein Herz war viel zu rein und sein Wille zu stark, sodass er sich mit Erfolg gegen die Hitze gewehrt hatte.
Das er in die Tiefe der Schlucht gestützt war, war eigentlich nicht vorgesehen gewesen, aber Pallando hatte geglaubt, dass er ihn dadurch nun endlich los war. Aber er hatte sich getäuscht und sich in falscher Sicherheit gewogen. Er durfte auf keinen Fall zulassen, dass dieses Weib und der Waldläufer ihr Versteck entdeckten, denn sie brauchten noch Zeit, um Gandalf auch das letzte Wissen zu entziehen, was er in sich trug. Doch auch er war stärker als vermutet, denn er leistete alle Gegenwehr, die er aufbringen konnte und seitdem der Elb bei ihm war, schien er wieder genug Hoffnung erlangt zu haben, um sich noch besser zu wehren.

Wieder fluchte er und dann keimte ein neuer Gedanke in seinem Kopf auf. Wenn Gandalf sich nicht durch seine eigenen Folterungen zum reden bewegen ließ, wie sah es denn aus, wenn er den Elb stattdessen quälte? Wie lange würde der Zauberer zusehen, wenn sein Freund vor Qualen schrie?
Dieser Entschluss ließ ihn dröhnend lachen und er begab sich zurück zu Alatar, um ihm von den Neuigkeiten zu berichten.
Dieser musste sich jetzt um die beiden Spurensucher kümmern, er hatte besseres zu tun. Vielleicht könnte Alatar die Warge auf sie hetzen? Oder einen der Bergtrolle? Ihm würde schon etwas einfallen!
Seine Gedanken kehrten zu dem Elb zurück und dabei überkam ihn eine freudige Erregung. Folterungen waren ganz nach seinem Geschmack und für dieses Spitzohr würde er sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen.

Die kleine Gruppe war noch nicht weit gekommen und Frodo fragte sich allmählich, ob seine Idee wirklich so gut gewesen war.
Als sie am Morgen erwacht waren, hatten sie mit Entsetzen festgestellt, dass Eowyn verschwunden war. Rasch hatte sich die erste Aufregung jedoch gelegt, als Merry den Brief von ihr gefunden hatte, den sie mit einem Dolch an einen der Bäume genagelt hatte. Der Inhalt des Briefes war zwar alles andere als beruhigend, aber wenigstens war sie nicht, wie alle anfangs vermutet hatten, dem Feind in die Hände gefallen.
Faramir hatte vor Wut getobt und nur noch seine Vermutung bestätigt gesehen, dass Eowyn nur wegen Aragorn hinter den beiden her geritten war und sich gegen ihn entschieden hatte. Arwen versuchte zwar ihr möglichstes, um ihn von dieser absurden Idee abzubringen, aber er hatte sie nur unsanft zur Seite geschubst und war mit Eomer wieder davongegangen.
Die Hobbits waren über die Selbstverständlichkeit, mit der Faramir seine Kraft gegen Arwen einsetzte, schockiert und auch Eomer hatte sich sehr verändert. Die beiden waren nicht mehr wieder zu erkennen und Sam fürchtete sich bereits vor ihnen. Er hielt immer einen sicheren Abstand zu ihnen ein und sprach kaum noch ein Wort mit ihnen.

Überhaupt herrschte eine bedrückende Stimmung, denn Merry und Pippin hatten sich immer noch nicht wieder vertragen und Gimli schnaubte nur verächtlich, wenn Frodo ihn auf Legolas ansprach. Was konnte er nur tun, um die Freunde wieder versöhnlich zu stimmen?
Sam holte ihn jäh aus seinen Überlegungen, als er ihm die Hand auf den Arm legte. Sie waren stumm nebeneinander her geritten, dicht hinter Arwen, doch jetzt rutschte der Freund unruhig auf seinem Sattel hin und her, so aufgeregt schien er zu sein. Er lehnte sich so weit wie möglich zu Frodo herüber und flüsterte, damit niemand ihn hören konnte.

"Mir ist nicht wohl bei der Sache, Herr Frodo! Faramir und Eomer sind so seltsam in letzter Zeit! Sie zeigen nicht einmal die kleinste Spur von Sorge um unsere Freunde. Das Einzige woran sie noch denken, ist ihre Wut und ihr Zorn auf alles und jeden! Und das Eowyn alleine los ist, gefällt mir ebenfalls nicht! Ich weiß zwar von Merry, dass sie immer schon ihre eigenen Wege geht, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, aber das sie so unvernünftig ist, habe ich nicht gedacht!"
"Beruhige dich, Sam. Sie weiß sich schon zu helfen! Außerdem können Legolas und Aragorn bestimmt jede Hilfe gebrauchen. Lass uns hoffen, dass sie zu dritt Gandalfs Versteck finden und endlich herausfinden, wer hinter allem steckt!
Etwas anderes macht mir viel mehr Sorgen. Wie sollen wir uns unserem Gegner gegenüber wehren, wenn wir uns schon untereinander nur bekriegen? Ich denke, dass genau das von unseren Feinden so beabsichtigt war, um uns verwundbar zu machen! Einer alleine kann nicht viel ausrichten, aber zusammen haben wir bisher noch immer alles zum Guten gewendet!"
Frodo berichtete Sam auch von seinem Verdacht, dass einer aus ihrer Gruppe mit dem Feind im Bunde stehen musste, denn bisher schien ihr Gegner immer genau gewusst zu haben, wie er einen Streit hervorrufen konnte und bat Sam, seine Augen offen zu halten, ob ihm etwas ungewöhnliches auffallen würde.
Sam versprach ihm zu helfen und etwas beruhigter setzten sie ihren Weg fort.