Zehnter Abschnitt
Legolas war irgendwann erschöpft eingeschlafen, nachdem er vergeblich versucht hatte, sich von seiner Fessel zu befreien und darauf gewartet hatte, dass Gandalf sich regte. Doch weder das eine noch das andere war geschehen und immer noch schmerzte seine Seite von dem heftigen Schlag, den Pallando ihm versetzt hatte. Der Kampf mit den Orks war auch nicht spurlos an ihm vorüber gegangen und sein Kopf hatte gedröhnt, sodass er es als Erleichterung empfunden hatte, die Augen zu schließen.
Das Geräusch von nahenden Schritten ließ
ihn aus seinem traumlosen Schlaf hochfahren und er blickte sofort zu
Gandalf und stellte erfreut fest, dass er nun erwacht war und zu ihm
herüber sah. Im nächsten Moment wurden die Türen des
Zimmers aufgestoßen und Pallando kam herein. Legolas konnte
sofort an dessen Gesicht erkennen, dass er schreckliches im Sinn
hatte und wechselte einen raschen, besorgten Blick mit Gandalf.
Mit
einem Lächeln auf den Lippen trat Pallando vor den Zauberer und
sah ihn lange schweigend an, bevor er das Wort an ihn richtete.
"Nun,
alter Mann, hast du dir überlegt, ob du uns freiwillig an deinen
Kräften teilhaben lässt, oder weigerst du dich immer noch
dagegen? Jetzt, da dein geliebter König Elessar tot ist, besteht
ohnehin keine Hoffnung mehr für euch! Niemand wird kommen und
euch noch retten und selbst wenn sie versuchen euren Spuren zu
folgen, so werden sie zu spät kommen!"
Abwartend sah der
Magier in Gandalfs Gesicht, doch dieser zeigte keine Regung. Nur
Legolas, der die ganze Zeit über aufmerksam den Blick auf
Gandalf gerichtet hatte, konnte sehen, wie viel Anstrengung den
Freund die gespielte Gleichgültigkeit bei Aragorns Erwähnung
gekostet hatte.
Diese scheinbare Gleichgültigkeit ließ
Pallando vor Wut die Farbe ins Gesicht steigen und die nächsten
Worte konnten seinen Zorn nicht länger verbergen.
"Du
Narr! Wenn du nicht anders willst, dann erwarten dich eben unendliche
Qualen, aber es werden keine körperlichen Schmerzen sein, oh
nein!"
Pallandos Stimme nahm eine gefährliche Ruhe ein.
"Deine Seele wird leiden, denn bis du mir nicht alles verrätst,
werde ich deinen Freund hier zu verwöhnen wissen!"
Jetzt
konnte Gandalf seine Angst nicht länger verbergen und er suchte
Legolas' Blick, der wohl auch begriffen hatte, was Pallando damit
bezweckte. Er wollte den Zauberer in die Knie zwingen, indem er ihn
dafür leiden ließ, dass er nicht das Gewünschte
tat.
Legolas kam auf die Beine und schüttelte den Kopf, um
Gandalf zu bedeuten, dass dieser auf keinen Fall nachgeben durfte und
sah dann Pallando entgegen, der langsam auf ihn zukam.
Mit
regungslosem Gesicht hielt er dessen Blick stand und hob stolz das
Kinn.
Pallando blieb dicht vor ihm stehen und musterte den Elben
prüfend, dann zog er verächtlich die Mundwinkel nach
unten.
"Mal sehen, ob ihr wirklich so widerstandsfähig
seid, wie man von eurem Volk behauptet!", zischte er und schlug
Legolas ohne Vorwarnung ins Gesicht. Legolas Kopf wurde durch die
Wucht zur Seite gerissen und als er ihn wieder hob, konnte Gandalf
eine blutende Schramme sehen, die der Ring des Magiers hinterlassen
hatte.
Pallando lächelte grimmig und auf sein Zeichen hin,
traten einige Orks ein, die allerlei Waffen hereintrugen und einige
Ketten. Sofort packten sie Legolas, der keine Chance hatte sich zu
wehren und fesselten ihm die Hände. Danach befestigten sie die
Kette an den Schlingen und lösten die Fußfessel, dann
wurde die Kette durch einen Ring an der Decke gezogen und sie zerrten
solange daran, bis der Elb, mit schmerzvoll nach oben gereckten Armen
in der Luft hing.
Anfangs versuchte Legolas noch durch Kraft
seiner Muskeln, sich hoch zu ziehen, doch bald gab er auf.
Pallando
richtete noch einen fragenden Blick auf Gandalf, aber dieser bemühte
sich, seine Ruhe zu bewahren und heftete seine Augen auf seinen
Freund.
"Du hast es nicht anders gewollt!", flüsterte
Pallando und griff nach einer Peitsche, an dessen zahllosen
Lederriemen kurze Silberspitzen blinkten.
Bereits als er zum
ersten Schlag ausholte, glaubte Gandalf, den Schmerz von Legolas zu
fühlen.
Aragorn zuckte zusammen, als er
versuchte, sich in die Steigbügel zu stellen, um Brego den
Abstieg ins Tal etwas zu erleichtern. Stöhnend sank er zurück
in den Sattel und presste sacht seinen Arm an die schmerzende
Wunde.
Eowyn sah die Erschöpfung in seinem Gesicht und suchte
die Umgebung nach einem geeigneten Unterschlupf ab, wo sie für
die hereinbrechende Nacht rasten konnten.
Sie entdeckte, nicht
weit entfernt, den Eingang einer Höhle und drehte sich dann
wieder zu Aragorn um und zeigte in diese Richtung.
"Komm, für
heute haben wir genug geschafft! Lass uns dort rasten und die Pferde
versorgen. Außerdem könnte ich etwas zur Stärkung
gebrauchen!"
Aragorn nickte und so schlugen sie die Richtung
ein, die sie zur Höhle führte.
Aragorn stieg mühsam
ab und wollte die Zügel von Brego packen, um ihn zu der Stelle
zu führen, an der Eowyn bereits dabei war, ihr Pferd zu
versorgen, doch der aufkommende Schwindel zwang ihn dazu, sich am
Sattel festzuhalten und er lehnte die Stirn an Bregos Hals. Es
dauerte eine Weile, doch schließlich fand er die Kraft und
führte Brego neben die Stute und löste den Sattelgurt.
Eowyns Hand ließ ihn jedoch in seinen Bemühungen
innehalten und sie zog ihn bestimmt von den Tieren fort.
"Du
wirst dir jetzt endlich etwas Ruhe gönnen! Wenn ich die Pferde
versorgt habe, werde ich ein kleines Feuer machen und unsere Lager
richten. Bis ich damit fertig bin, rührst du dich nicht vom
Fleck, hast du verstanden?"
Einen Augenblick huschte ein
Lächeln über seine müden, viel zu kantigen
Gesichtszüge, doch dann ergriff er ihre Hand und sah sie ernst
an.
"Danke Eowyn! Ich wüsste nicht, wie ich es ohne dich
schaffen sollte!"
Er drückte kurz ihre Hand und lehnte
sich dann an die Felswand. Eowyn nickte ihm aufmunternd zu und machte
sich dann an die Arbeit.
Einige Zeit später knisterte ein
gemütliches Feuer in der Mitte der Höhle und sie wärmten
ihre Hände an Bechern mit heißem, dampfendem Tee, den
Eowyn gekocht hatte. Nach der Mahlzeit von Brot und Käse fühlten
sie sich ausreichend gestärkt und schließlich machten sie
es sich so gut es ging bequem. Es dauerte nicht lange, da war Aragorn
auch schon völlig erschöpft eingeschlafen und Eowyn
beobachtete seinen unruhigen Schlaf.
Vorsichtig, um ihn nicht zu
wecken, strich sie ihm eine Strähne seines Haares aus der Stirn
und legte ihm eine Hand auf die Brust. Sofort entspannte er sich
etwas und eine Weile verharrte sie neben ihm, doch dann überkam
auch sie die Müdigkeit und sie rollte sich in ihre Decke ein, um
zu schlafen.
Gegen Morgen schreckte Aragorn auf und aus einem
Reflex heraus, packte er nach seinem Dolch, der griffbereit neben ihm
gelegen hatte. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an das
fahle Licht in der Höhle, dass durch den Eingang fiel, aber er
konnte nichts Beunruhigendes entdecken und entspannte sich wieder. Er
rieb sich die letzte Müdigkeiten mit einer Handbewegung aus den
Augen und sah zu Eowyn herüber, die immer noch schlief. Ihre
goldenen Haare lagen wie ein glänzender Teppich um ihr hübsches
Gesicht, auf dem ein ruhiger, entspannter Ausdruck lag, doch trotzdem
blieben ihm nicht die Sorgen verborgen, die ebenfalls in ihr
ruhten.
Eine so tapfere Frau wie sie war ihm noch nie begegnet und
er musste daran zurückdenken, wie er sie das erste Mal gesehen
hatte, auch damals hatte Sorge ihr Gesicht gezeichnet, die sie sich
um ihren Onkel gemacht hatte.
Leise stand er auf und schlich
zum Eingang der Höhle, um die Landschaft zu beobachten, die sich
vor seinen Augen erstreckte. Dieser Anblick ließ ihn immer noch
erschaudern, denn obwohl bereits einige Jahre vergangen waren, war
dieser Fleck von Mittelerde immer noch vom dunklen Herrscher
gezeichnet. Kaum eine Pflanze wuchs in dem kargen Boden und kleine
Sumpffelder erstreckten sich überall um graue Felsbrocken. Kein
Wunder, dass sich alle zwielichten Gestalten aus Mittelerde hierher
zurückzogen, das Land bot zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel
und kein ehrliches Wesen setzte je auch nur einen Fuß
hinein.
Doch sie hatten es getan, von Sorge und Verzweiflung
getrieben und sie hatten Tribut zahlen müssen. Gandalf und
Legolas gefangen und der Bund zerfallen, es gab für Aragorn kaum
einen schlimmeren Gedanken.
Ein Geräusch veranlasste ihn,
sich umzudrehen und er sah, dass Eowyn erwacht war und jetzt auf ihn
zukam.
"Wie fühlst du dich? Hat dir der Schlaf ein wenig
Linderung verschafft?"
"Der Schlaf und dein Athelas-Tee!
Ich habe sehr wohl gemerkt, dass das Kraut darin enthalten war, aber
es hat seine Wirkung nicht verfehlt!"
Er musste lächeln,
als sie beschämt und ertappt die Augen senkte, doch dann hob sie
wieder den Blick und sah ihn fragend an.
"Welchen Weg werden
wir einschlagen? Hast du schon etwas entdecken können, was auf
eine Vermutung schließen lässt, wohin wir gehen
müssen?"
"Jeder Weg birgt Gefahren mit sich, aber
ich will mich nach Norden halten. Wenn mich nicht alles täuscht,
haben sie sich nach Udûn zurückgezogen. Dort sind noch
einige Festungsanlagen erhalten, die genügend Möglichkeiten
enthalten, um Gefangene unter zu bringen."
"Dann lass
uns rasch aufbrechen! Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl,
dass mir sagt, dass Eile Not tut!"
Aragorn nickte zustimmend
und sie suchten ihre Sachen zusammen, um sich so schnell wie möglich
auf den Weg zu machen.
Sorgenvoll hatte Gandalf den
Blick auf Legolas gerichtet, der immer noch völlig regungslos an
den Ketten hing, qualvoll die Arme nach oben gereckt. Sein Gewand
hing zerrissen herunter und sein Oberkörper war gezeichnet von
zahlreichen Striemen, von der Peitsche hinterlassen. Immer noch
sickerte aus einigen Wunden das Blut und die Wucht der Schläge
hatten Blutergüsse entstehen lassen, die sich dunkel von der
blassen Haut des Elben abhoben.
Pallando hatte es sichtliches
Vergnügen bereitet Legolas zu foltern und mit jedem neuen Hieb,
den er gegen ihn führte, hatte der Wahnsinn in seinem Blick
zugenommen. Besessen von der Lust, Schmerz zu bereiten, hatte er erst
inne gehalten, als der Elb schließlich das Bewusstsein verloren
hatte, vom Schmerz übermannt.
Seitdem war er nicht wieder zu
sich gekommen, obwohl bereits Stunden vergangen waren und nur die
Bewegung seines Atems, ließ erkennen, dass noch Leben in ihm
war.
Gandalf hatte mit Schrecken und verzweifelter Ohnmacht
dabei zusehen müssen, wie Legolas litt, doch der Elb hatte seine
Gedanken auf den Freund gerichtet und zu Gandalfs Verwunderung hatte
er den Freund verstanden, obwohl kein Wort seine Lippen verlassen
hatte.
Halte stand und nimm keine Rücksicht auf mich! Es
gibt Schlimmeres als den Tod! Kämpfe! Kämpfe für
Mittelerde und unsere Freunde!
Es hatte Gandalf fast das Herz
zerrissen, aber er hatte Legolas zugenickt und zu den Valar gefleht,
dass sie seine Qualen lindern mochten und ihm nicht noch einen Freund
rauben mochten.
Unweigerlich erschien Aragorns Bild vor ihm und er
dachte voll Kummer an den Freund. Er hatte sich geopfert, um das
Leben des Elben zu retten und wofür? Damit Pallando jetzt das zu
Ende führte, was seine Orks eigentlich beabsichtigt hatten?
Und
das alles nur, um einem alten Mann zu Hilfe zu eilen, der blind in
eine Falle gelaufen war, anstatt ihnen beizustehen, schimpfte Gandalf
mit sich selber. Was mutete er seinen Gefährten nicht noch alles
zu? Reichte es nicht, dass er Frodo und Aragorn schon so oft das
Schicksal von Mittelerde aufgebürdet hatte? Eine Last, die sich
mit den Giften der dunklen Feinde immer noch mit sich herumtrugen und
die sie für immer gezeichnet hatten.
Nun wurde Legolas dazu
benutzt, um ihn gefügig zu machen und er konnte es nicht länger
ertragen, den Freund so leiden zu sehen. Doch seine Worte hallten
immer noch in Gandalfs Kopf und er vergrub verzweifelt sein Gesicht
in den Händen.
Was sollte er nur tun?
Alatar
war auf dem Weg in die tiefen Verliese der Festung und fluchte leise
vor sich hin. Er hasste diesen dunklen, feuchten und stinkenden Ort,
der den Orks und ihren fürchterlichen Kreaturen als Unterkunft
diente, doch Pallandos Anweisungen waren unmissverständlich
gewesen und er wagte es nicht, sich dem zu widersetzen.
Er stieß
eine letzte, schwere Türe auf und der Gestank steigerte sich ins
unermessliche und die Luft war von Schreien und Wortfetzen erfüllt,
die jedoch unmittelbar erstarben, als sie ihn erblickten.
Ein
Hauptmann der abscheulichen Horde kam auf ihn zu und verbeugte sich
tief.
"Was bringt ihr für Anweisungen, mein Herr und
Gebieter?"
"Schickt eure Wargreiter aus. Im Süden
des Schattengebirges wartet eine Abwechslung für ihren
Speiseplan. Und sorgt dafür, dass diesmal keiner
überlebt!"
Fluchtartig verließ Alatar die
Verliese, um dem grauenhaften Ort zu verlassen, während der
Hauptmann lautstarke Befehle erteilte.
Elfter Abschnitt
Aragorn und Eowyn waren
bis zum Mittag geritten, sorgsam darauf bedacht, immer im Schatten
der Berge zu bleiben, um unentdeckt ihrer Wege gehen zu können.
Eowyns Pflege, der Tee, aber vor allem der Schlaf hatten Aragorn neue
Kraft gegeben und trotz des langen Ritts, waren die Schmerzen in
seiner Seite gering. Dennoch mussten sie endlich eine Pause einlegen
und ihren Pferden eine Rast gönnen. Aragorn saß ab und
untersuchte prüfend einige Abdrücke von klobigen Füßen,
die sich tief in den feuchten Boden gedrückt hatten.
Er sah
Eowyn an und entdeckte ihren fragenden Blick.
"Ungefähr
zwanzig Orks! Und einer trägt eine leichte Last, sein Abdruck
ist etwas tiefer als die übrigen. Sie haben Legolas also
mitgenommen!"
Eowyn konnte die Erleichterung aus seiner
Stimme heraus hören und sie schenkte ihm ein freudiges Lächeln.
Aragorn erwiderte es nur zu gerne und wollte sich gerade wieder
erheben, als er zögerlich inne hielt. Er legte eine Hand flach
auf das Erdreich und das Lächeln verschwand umgehend aus seinem
Gesicht, abgelöst von Sorgenfalten, als er die Brauen
zusammenzog.
Ein Dröhnen erschütterte die Erde und
pflanzte sich auf seinen Arm hin fort, der leicht zu zittern begann.
Hastig stand Aragorn auf und kniff die Augen zusammen, um bei der
blendenden Sonne besser sehen zu können, den Blick unverwandt
nach Süden gerichtet. Eowyn versuchte seinem Blick zu folgen,
doch sie konnte nichts ungewöhnliches entdecken.
Erst
konnte auch Aragorn nichts ausmachen, aber dann weiteten sich seine
Augen vor Entsetzen und Panik ergriff ihn.
"Warge! Komm
rasch!", herrschte er Eowyn an, packte sie an der Hand und
versuchte im Laufen einen Unterschlupf ausfindig zu machen, der ihnen
vor der drohenden Gefahr Schutz bieten könnte.
Die Pferde
witterten ebenfalls die kommende Bedrohung und nachdem Aragorn seinen
Bogen von seinem Sattel gelöst hatte, trieb er die beiden Tiere
mit einem Schlag auf die Flanken weg. Sie mussten sich selber einen
Weg zur Flucht suchen.
Aragorn folgte Eowyn, die bereits ein
ganzes Stück den Berg herauf geklettert war, auf eine schmale
Felsspalte zu, aber plötzlich rutschte sie aus und mit einem
kurzen Aufschrei glitt sie in den Abgrund, und nur Aragorns schnelles
Handeln rettete sie. Er packte sie am Arm und half ihr, in Sicherheit
zu kriechen. Er warf einen schnellen Blick über seine Schulter
zurück und sah, dass die Warge mit ihren Reitern bereits in
wenigen Minuten bei ihnen sein würden.
Er machte zehn der
riesigen Wölfe aus und prüfte seine Pfeile. Sieben! Selbst
wenn jeder sein Ziel todbringend traf, würden sie sich drei der
Bestien gegenüber sehen.
Eowyn war bereits an der Spalte
angelangt und quetschte sich hindurch, eine Anstrengung, die ihm
zeigte, dass er es niemals schaffen würde. Der Durchlass war
einfach zu schmal für ihn.
Er erreichte den Vorsprung und
drehte sich um, wobei er gleichzeitig seinen Bogen spannte und den
ersten Warg ins Visier nahm. Sicher traf er sein Ziel und der Wolf
fiel mit seinem Reiter in die Tiefe. Schwirrend verließen auch
die übrigen Pfeile seinen Bogen, bis seine Hand keinen weiteren
in seinem Köcher fand. Er ließ ihn ungeachtet zu Boden
fallen und zog Anduril, um sich den Angreifern in den Weg zu
stellen.
Eowyn kehrte an seine Seite zurück, ebenfalls mir
gezogener Waffe und noch bevor er sie zu dem Spalt zurückdrängen
konnte, war der Feind bei ihnen angelangt.
Den Fels sicher im
Rücken, brach der Kampf mit aller Heftigkeit los und ihre Waffen
trafen klirrend aufeinander. Bald perlte ihnen der Schweiß von
der Stirn, als sie sich bemühten den Angriffen der Orks stand zu
halten, aber auch den Klauen und Reißzähnen der Warge zu
entkommen. Ein heller Aufschrei zeigte Aragorn, dass Eowyn getroffen
worden war und er fuhr zu ihr herum. Eine Klinge hatte an ihrem
Schwertarm einen tiefen Schnitt hinterlassen und jede ihrer
Bewegungen bereitete ihr Schmerzen.
Seine Wut über ihre
Verletzung, verlieh ihm neue Kraft und Anduril fuhr auf die Feinde
nieder und brachte zwei weiteren den Tod. Der Kampf war beinahe
ausgeglichen, denn nur noch zwei Warge mit Reiter waren übrig
geblieben und Eowyn drängte den einen geschickt zurück,
sodass der Warg mit den Hinterläufen den Halt verlor. Als das
Tier nach vorne sprang, warf es den Ork von seinem Rücken, der
mit einem Schrei den Abhang hinab stürzte.
Aragorn konnte den letzten Warg samt Reiter niederstrecken und fuhr zu Eowyn herum, die sich den kraftlosen Arm hielt. Bei ihrem letzten Hieb war ihr das Schwert aus der Hand gefallen und sie sah sich nun wehrlos dem Wolf gegenüber, der um sie herumschlich, die Entfernung abschätzte, zum Sprung bereit. Aragorn zögerte nicht lange, er schleuderte seinen Dolch auf den Hals der Bestie, verfehlte ihn jedoch und die Waffe bohrte sich in die Schulter. Der Warg riss den Kopf herum und fand den Verursacher seiner Verletzung. Er ließ von Eowyn ab und noch bevor einer der beiden reagieren konnte, sprang er mit einem riesigen Satz auf Aragorn zu.
Aragorn wurde von den Füßen
gerissen und der Aufprall raubte ihm den Atem. Im Nu war sein
Angreifer über ihm, wild knurrend und ihn erbarmungslos zu Boden
drückend. Felsbrocken gruben sich in seinen Rücken und er
versuchte sich hin und her zu winden, um sich zu befreien. Die Klauen
schlossen sich in festem Griff um seine Glieder und tief gruben sich
die Krallen in sein Bein und der Schmerz lähmte ihn
regelrecht.
Er versuchte Anduril zu heben, doch mit einem Hieb
seiner gewaltigen Tatze schlug der Warg es ihm aus der Hand und
hinterließ eine Risswunde entlang seines Unterarms. Ein Furcht
einflößendes Knurren entrann seiner Kehle und er fletschte
die Zähne. Gerade als er sein Maul aufriss, um Aragorn den
tödlichen Biss zu geben, warf er den Kopf in den Nacken und
jaulte ein letztes Mal auf, bevor er schwer auf Aragorn
niedersank.
Keuchend taumelte Eowyn, Anduril noch immer mit
beiden Händen haltend und sie sah erschöpft und
erleichtert, dass die Bestie tot war. Sofort ließ sie das
Schwert fallen und rannte zu Aragorn, der sich mühsam von seiner
Last befreite und mit ihrer Hilfe rollte er den Warg von seinen
Beinen.
Aragorn stöhnte schmerzvoll auf, als er versuchte
aufzustehen und Eowyn wollte ihm helfen.
"Nein, lass nur",
sagte er und winkte sie fort. "Es wird schon gehen!"
Er
kam zum Stehen, aber Eowyn sah, welch große Anstrengungen es
ihn kostete, dann ergriff er ihre Hand und nach einem schnellen Blick
hinunter und über das Land, eilte er hinkend zu ihren Sachen.
Sie fühlte, dass seine Muskeln vor Anstrengung steinhart waren
und er sich nur mit Mühe aufrecht hielt. Sie selbst war völlig
erschöpft und ihr Arm schmerzte fürchterlich, doch sie
wusste, dass sie auf keinen Fall hier bleiben durften.
Aragorn hob
sein Schwert auf und sah sich noch einmal um, um sich zu orientieren
und schlug dann den Pfad ein, der sie etwas höher auf das
Gebirge führen würde. Hierher konnten Warge nur schwer
gelangen, denn der Grat war zu schmal, außerdem konnte man nur
hintereinander gehen, was ihnen erleichterte einen weiteren Angriff
leichter abzuwehren.
Bei jedem Schritt schoss ein stechender
Schmerz durch sein Bein, doch Aragorn wagte nicht anzuhalten und
wertvolle Zeit zu vergeuden. Er war sich sicher, dass sie
wiederkommen würden und dann wollte er so weit wie möglich
von diesem Ort entfernt sein. Doch irgendwie fühlte er auch,
dass es ein aussichtsloser Versuch war, denn ihre Feinde schienen
genau gewusst zu haben, wo sie nach ihnen suchen mussten.
Eine
schreckliche Gewissheit überkam ihn und er blieb abrupt stehen
und rieb sich den Nacken.
"Saurons Palantir! Natürlich!
Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich hätte es bereits wissen
müssen, als ich meinen Stein hielt und mich die Macht in ihren
Bann zog. Gandalf muss etwas geahnt haben, deshalb ist er auch nach
Mordor aufgebrochen!"
Er sah Eowyn an und wusste nun, dass es
aussichtslos war, noch weiter zu fliehen. Egal wohin sie gingen, man
würde sie entdecken!
Frodo war die Erleichterung
anzusehen, als sie endlich die Dichte des Waldes durchbrachen und
sich vor ihnen das Reich der Waldelben erstreckte.
Hier standen
die Bäume nicht so dicht gedrängt, doch sie waren üppig
und von einen intensiveren Grün. Hoch in ihren Wipfeln konnte
man die Behausungen der Elben ausmachen, die geschickt und ohne die
Rinden und Zweige zu beschädigen, in die Kronen gebaut waren.
Frodo fragte sich immer wieder, wie sie diese Meisterleistung wohl
vollbracht hatten, doch als er Legolas einmal danach gefragt hatte,
hatte er nur gelächelt und ihm kein Wort verraten.
Auf dem
Waldboden, zwischen Efeu und Farn, waren kleine Feuer entzündet,
um die einige Elben saßen und ihren Tätigkeiten
nachgingen. Es wurden Speisen zubereitet, aber einige waren auch
damit beschäftigt, Pfeile zu fertigen und die Klingen der
Schwerter und Dolche zu schärfen.
Frodo überkam bei
diesem Anblick ein ungutes Gefühl und wechselte einen
vielsagenden Blick mit Arwen. Es sah fast so aus, als rüstete
sich Thranduils Volk für einen Angriff, aber gegen wen?
Ihre
Befürchtungen wurden bereits wenige Minuten später
bestätigt, als der König der Elben, Legolas' Vater, ihnen
entgegentrat, um sie zu begrüßen. Sein sonst so
würdevolles und gütiges Gesicht war gezeichnet von Sorge
und bitterer Entschlossenheit und Frodo konnte es kaum abwarten, bis
sie endlich die formelle Begrüßung beendet
hatten.
Thranduil unterzog sie alle mit einem prüfenden Blick
und als Arwen ihm den Grund für ihr Kommen erzählt hatte,
seufzte er und sah sie wehmütig an.
"Dann ist es also
wahr! Ich hatte gehofft, ihr würdet meine Befürchtungen
zerstreuen, als mit meine Kundschafter von eurem Erscheinen
berichteten."
Thranduil machte eine Pause und schien nach den
richtigen Worten zu suchen, als er den Kopf hob und zu sprechen
begann, konnten sich alle nur noch mit Mühe
zusammennehmen.
"Gestern kam eine Horde Orks an den Rand
von Düsterwald und überbrachte eine Nachricht, die nur für
mich bestimmt war. Sie war von zwei Zauberern namens Pallando und
Alatar, die mir mitteilten, dass sie Legolas in ihrer Gewalt hätten
und ich sein Leben nur retten könnte, wenn sich mein Volk ihnen
unterwerfen würde. Ansonsten würden sie uns angreifen und
dieses Reich mit Gewalt an sich reißen!"
Arwen blickte
den Elbenkönig völlig bestürzt an und ihre Stimme
zitterte bei ihren Worten.
"Aber Legolas war doch mit Aragorn
unterwegs! Haben sie etwas über ihn geschrieben? Sind sie beide
in ihrer Gewalt?"
Thranduil schwieg einen Moment, der ihnen
wie Stunden vor kam, doch endlich begann er leise zu sprechen.
"Sie
schrieben, dass ich erst gar keine Hilfe aus Gondor anfordern
bräuchte! König Elessar könne mir nicht mehr
helfen...! Er..., er..."
"Was? Was ist mit ihm? Nun sagt
es uns schon!" Sam war erzürnt auf den Elben zugegangen und
sah den König herausfordernd an.
Thranduil schluckte und
suchte Arwens Blick.
"Er ist... in den Abgrund gestürzt.
Er ist tot..."
"Nein!" Frodo wurde von seiner
Trauer übermannt und sprang auf die Füße, packte
Thranduil und schüttelte ihn, der ohne sich zu wehren vor ihm im
Gras saß.
"Das ist nicht wahr! Ihr lügt, und diese
Zauberer ebenfalls!" Tränen verschleierten Frodos Blick und
Arwen gelang es nur mühsam, seine Hände von den Schultern
des Königs zu lösen. Sie zog ihn in ihre Arme und er
fühlte, wie ihre Tränen auf seine Stirn perlten.
Auch
die übrigen Gefährten waren ungläubig in sich
zusammengesunken, unfähig, auch nur noch eine Regung zu zeigen.
Selbst Faramir schluckte schwer, doch dann fing er sich wieder und
richtete sich an Eomer. Was er jedoch im Gesicht des Freundes
erblickte, ließ ihn erstarren.
Er zeigte nicht die kleinste
Regung von Trauer, sondern hatte seine Lippen zu einem freudigen
Lächeln verzogen und in seinen Augen stand eisige Kälte,
die Faramir frösteln ließ.
In diesem Moment
zweifelte er das erste Mal an seinem Vorwurf gegenüber Aragorn,
denn sein Verlust schmerzte ihn zutiefst und er dachte an die vielen
gemeinsamen Stunden zurück, die sie zusammen erlebt
hatten.
Aragorn war es auch gewesen, der ihm geheilt hatte und ihm
somit einen qualvollen Tod erspart hatte und dank ihm war auch Eowyn
geheilt worden. Durch ihn war es ihm vergönnt gewesen, sie
kennen und lieben zu lernen und er begriff nun, dass sie Aragorn nur
verteidigt hatte, weil sie ebenfalls diese Dankbarkeit für ihn
empfand. Auch Liebe, aber die für einen Freund, dem sie ihr
Leben verdankte. Wie hatte Faramir nur jemals an Aragorn zweifeln
können? Wie oft hatte er sein Bedauern über Boromirs Tod
geäußert und sich von Faramir erzählen lassen, wie er
als Bruder gewesen war! Das war echtes Interesse gewesen und keine
Fragen aus Pflichtgefühl.
Plötzlich wurde Faramir
bewusst, wen er verloren hatte und in seinem Inneren schien eine
Mauer einzustürzen, die alle seine Gefühle wie eine Welle
über ihm zusammenbrechen ließ.
Er sank auf die Knie und
vergrub sein Gesicht in den Händen. Niemand bemerkte, wie Eomer
sich von der Gruppe entfernte und zwischen den Bäumen in
Richtung Mordor verschwand.
Wie sie in ihre Unterkünfte
gelangt waren, konnten sie nicht mehr sagen. Stumm saßen die
Freunde zusammen, darum bemüht, ihre Fassung wieder zu
erlangen.
Arwen war zu Thranduil gebracht worden, wo er sie so gut
es ging versorgt hatte und schließlich war sie in tiefen Schlaf
gesunken.
Faramir ging als einziger unruhig in dem Gewölbe
aus Blättern und Ästen hin und her, seine Gedanken um Eowyn
kreisend. Wo steckte sie nur? War sie auch gefangen genommen worden?
Hatte sie die beiden Freunde überhaupt schon erreicht, als sie
überfallen wurden?
Er wurde fast wahnsinnig vor Sorge um sie
und er konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, sich gedankenlos
auf die Suche zu machen.
Frodo ließ seinen
tränenverschleierten Blick über die Freunde schweifen und
trotz seiner Trauer konnte er erkennen, dass sich eine Veränderung
bei ihnen vollzogen hatte. Merry und Pippin hatten sich wieder
vertragen, Gimli sorgte sich um Legolas und Faramir stand eine
ehrliche Trauer, aber auch Schuldgefühl im Gesicht, das ihn wohl
immer begleiten würde, denn er konnte Aragorn nun nicht mehr um
Verzeihung bitten.
Aragorns Tod hatte den Bann gebrochen, der von
den Zauberern auf sie gelegt worden war, doch es war einfach zu spät
und der Preis, den sie hatten zahlen müssen, war viel zu hoch
gewesen.
Aragorn, dachte Frodo bestürzt. Er würde den Freund nie wieder sehen! Der Schock saß so tief, dass ihn selbst das Luftholen schmerzte. Seine Augen brannten, doch er hatte keine Träne mehr in seinem Inneren, um sie zu befeuchten und so schloss er die Augen, um sich Linderung zu verschaffen. Irgendwann überkam ihn die Müdigkeit und er glitt in einen unruhigen Schlaf.
