Zwölfter Abschnitt
Legolas erwachte, als
er unsanft auf den Boden aufschlug und brauchte einen Moment, um
wieder richtig zur Besinnung zu gelangen. Er wollte sich auf den
Rücken rollen, doch bei der ersten Bewegung schoss ihm ein
Schmerz durch den Körper, der all seine Anstrengungen zunichte
machte.
Seine Arme waren taub, aber seine Schultern waren so lange
verrenkt gewesen, dass sie bei der kleinsten Drehung aus den Gelenken
zu springen drohten.
Sein Oberkörper brannte und nur
schwerfällig hob und senkte sich sein Brustkorb. Wie tausend
Nadelstiche brannte das Licht in seinen Augen, doch allmählich
gewöhnte er sich an die Helligkeit und er erfasste Gandalf, der
immer noch in dem Pegel aus Licht gefangen war und ihn erleichtert
ansah.
Die Orks hatten ihre Aufgabe erledigt und verließen
das Zimmer wieder, aber nicht, ohne dem Elb noch einige Tritte
mitzugeben und ihm den Fuß zu verdrehen, als sie ihn wieder an
den Eisenring ketteten. Legolas keuchte unter der rauen Behandlung
und war froh, als sie endlich von ihm abließen. Die Türe
wurde knallend ins Schloss geworfen und sie hörten, wie ein
Riegel vorgeschoben wurde. Erst als sich die Schritte entfernten,
begann Gandalf zu sprechen.
"Wie fühlst du dich, mellon
nin?"
Legolas lachte gequält auf und kämpfte sich
auf die Knie, um sich an der Wand anzulehnen.
"Die Schmerzen
sind nichts, im Vergleich zu der Pein meines Herzen! Aragorn..."
"Ich
weiß, Legolas! Pallando hat es Freude bereitet, mir von seinem
Tod zu berichten, doch ich hatte bis zuletzt die Hoffnung, es würde
nicht stimmen, bis sie dich hierher brachten."
"Es ist
wahr, doch es ist meine Schuld! Ich..."
"Nein Legolas!
Dich trifft nicht die geringste Schuld! Mache dir keine Vorwürfe,
denn du konntest nichts daran ändern! Es war Aragorns
Entscheidung, für dich sein Leben zu lassen! Ich bin mir sicher,
er würde es immer wieder tun, wenn er die Wahl hätte!"
Legolas
ließ dennoch den Kopf hängen, unfähig etwas darauf zu
erwidern. Ohne sein eigenes Zutun tauchten wieder die Bilder des
Kampfes vor ihm auf und er schloss erneut die Augen.
Aragorn
tupfte vorsichtig das Blut von Eowyns Arm und überlegte
fieberhaft, wie er sie dazu bringen konnte, ihn hier alleine zu
lassen und nach Düsterwald zu reiten, um Verstärkung zu
holen. Diese Entscheidung hatte er vor wenigen Minuten gefällt,
denn es schien ihm das Sicherste zu sein. Sie mussten die Pferde
finden, damit Eowyn so schnell wie möglich aufbrechen konnte,
denn er mochte sich nicht vorstellen, was mit Legolas und Gandalf
geschehen mochte, wenn die Warg-Reiter und Orks nicht zurückkehrten
und was ihnen selbst dann bevorstand. Es reichte, wenn Faramir ihm
die Schuld an Boromirs Tot gab, er wollte nicht auch noch Eowyns Tot
auf dem Gewissen haben.
Er wickelte, nach der Reinigung der Wunde,
ein Stück Tuch um ihren Arm und sie bemühte sich sichtlich,
den Schmerz zu ignorieren. Seine eigenen Verletzungen schmerzten
nicht weniger, aber das musste warten. Geschickt verknotete er die
Enden des Verbands und blickte zu Eowyn auf.
"Unsere
einzige Chance die wir noch haben, sind die Elben! Du musst nach
Düsterwald reiten und sie um Hilfe bitten!"
Wie er
befürchtet hatte, widersprach sie ihm umgehend.
"Ich
werde nicht ohne dich reiten! Alleine hast du überhaupt keine
Möglichkeit, dich zu verteidigen! Nicht in deiner
Verfassung!"
"Eowyn! Du musst das tun! Ohne mich bist du
viel schneller und ich kann deine Spuren verwischen, damit sie dir
nicht folgen können!"
Sie öffnete den Mund, um
etwas zu erwidern, aber dann sah sie seinen entschlossenen Blick und
schloss ihn wieder. Sie sah auch ein, dass er recht hatte, aber wie
sollte sie es sich verzeihen, wenn ihm dann etwas geschah?
"Lass
mich wenigstens deine Wunden versorgen! So werde ich dich nicht
zurück lassen!"
Er nickte zustimmend und Eowyn begann
sogleich mit ihrer Arbeit. Sein Schwertarm sah furchtbar aus und sie
konnte sich nur wundern, dass er überhaupt in der Lage gewesen
war, sie zu verbinden. Ein tiefer Riss verlief von der Elle bis an
sein Handgelenk und sein Hemd war durchtränkt mit Blut. Bei der
kleinsten Berührung zuckte er zusammen und stieß
geräuschvoll die Luft aus. Sie bemühte sich, ihm so wenige
Qualen wie möglich zu bereiten und atmete selber erleichtert
auf, als sie ihn verbunden hatte.
Sein Bein war leichter zu
versorgen, aber sie zweifelte nicht daran, dass ihm das Gehen alleine
schon Schmerzen bereitete, zumal an der gleichen Seite auch die
Stichwunde des Dolchs war. Sie mochte gar nicht daran denken, was er
für eine leichte Beute abgeben würde.
Ihre letzte
Hoffnung, sie würden die Pferde ohnehin nicht finden, wurde
zerschlagen, denn es genügte ein Pfiff von Aragorn, hell und
durchdringend, da kam Brego auch schon angetrabt, dicht gefolgt von
ihrer Stute. Innerlich fluchte sie lästerlich, denn jetzt gab es
keine Ausrede mehr, hier zu bleiben.
Nachdem er ihr in den Sattel
geholfen hatte, legte er noch einmal seine Hand auf ihre.
"Reite
schnell und sorge dich nicht um mich!"
Noch bevor sie etwas
darauf erwidern konnte, gab er ihrem Pferd einen Schlag auf die
Flanken und die Stute trabte davon.
Erst, als sie aus seinem Blickfeld verschwand, gab er endlich seine mühsam bewahrte Haltung auf und sank kraftlos zu Boden. Er lehnte seinen Oberkörper gegen einen Felsen und streckte sein schmerzendes Bein aus, wobei er sich bemühte, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Brego kam einige Schritte auf ihn zu und seine Nüstern streiften sacht seine Wangen, dann stupste er seinen Herrn an, um ihn zum Weitergehen aufzufordern.
"Ja, Brego! Wir werden sofort weiter reiten. Lass mir nur noch einen Augenblick um zu verweilen."
Aragorn hob die Hand und klopfte dem Tier auf den Hals, dann seufzte er und zog sich am Halfter in die Höhe. Irgendwie schaffte er es in den Sattel und Brego setzte sich ohne weitere Aufforderung in Bewegung.
Während sich langsam die Sonne herabsenkte, kehrten Aragorns Gedanken auf seine nächsten Schritte zurück. Er wollte sich so weit wie möglich an die Festung heranschleichen und versuchen, ungesehen einzudringen, um sich dann auf die Suche nach Legolas und Gandalf zu machen. Alleine konnte er sich besser verbergen und die Wachen umgehen und er hoffte inständig, dass er bis dahin nicht von dem Benutzer des Palantir entdeckt werden würde. Dies war ein unkalkulierbares Risiko, dass er eingehen musste, wenn er die Freunde befreien wollte. Vielleicht gelang es ihm ja, sich solange zu verbergen, bis Verstärkung aus Düsterwald kam, die den Feind ablenken würde und er konnte sie befreien, ohne entdeckt zu werden. Eins war sicher, was auch immer geschehen mochte, er würde alles versuchen, um Gandalf und Legolas zu finden.
Pallando wusste nicht, ob er sich nun freuen sollte, oder vor Wut schäumen. Eomer sandte ihm gute Nachrichten, denn durch die Nachricht von Aragorns Tod hatten die verbliebenen Gefährten all ihren Kampfwillen verloren, niedergeschmettert durch den unersetzbaren Verlust, den sie erlitten hatten und betäubt durch die tiefe Trauer. Von ihnen hatte er nichts mehr zu befürchten und die Elben würden ebenfalls nicht wagen, einen Angriff zu führen, solange er ihren Prinzen in seiner Gewalt hatte.
Gandalf würde außerdem nicht mehr lange zögern, sich ihnen anzuschließen, denn er hatte schon jetzt fast seinen Widerstand aufgegeben, als er gesehen hatte, wie sehr dieser Elb gelitten hatte. Es hätte wahrlich nicht mehr lange gedauert, aber Pallando hatte aufhören müssen, denn sonst wäre ihm der Elb wahrscheinlich schon bei der ersten Folterung unter den Händen weggestorben und das konnte er noch nicht riskieren. Wer wusste schon, wozu er dieses Spitzohr noch brauchen würde?
So hatte er zähneknirschend aufhören müssen, kurz bevor der Zauberer nachgegeben hätte, davon war er überzeugt.
Doch diese erbärmlichen Orks hatten schon wieder versagt und das, obwohl sie in der Überzahl gewesen waren, noch dazu mit den Wargen, auf denen sie ritten! Aber dieser König war viel zu waghalsig und tollkühn und selbst diese Frau hatte sich dem Kampf mit allem Mut entgegen geworfen und trotz einigen Verletzungen hatten sie es geschafft. Zu allem Übel, war sie jetzt auch noch auf dem Weg nach Düsterwald, aber er hatte dafür gesorgt, dass sie dort niemals eintreffen würde. Wenn die Gefährten erst erfahren würden, dass König Elessar noch lebte, würden sie von neuer Hoffnung beflügelt und somit unberechenbar sein. Wer weiß, was sie dann unternehmen würden! Aber er hatte die wenigen Uruk-hai ausgesandt, die sich ihm unterworfen hatten und ihr Hauptmann war um einiges gerissener als diese einfältigen Orks! Außerdem hatte er einen guten Köder! Der Herr Eomer würde sie in den Hinterhalt locken und dieses Weib einfangen und sie hierher bringen. Noch eine Geisel, die ihm nützlich sein könnte.
Für diesen König Elessar hatte er ganz andere Pläne. Bisher hatte ihn nur eine Sache kampfunfähig gemacht und Pallando hatte noch genug Kraft in sich, sie erneut anzuwenden. Das Feuer des Palantir würde Aragorn in die Knie zwingen und dann konnten ihn selbst die Orks überwältigen. Es würde ihn selbst zwar auch schwächen, da sich der König nicht durch einen Blick in seinen eigenen Stein bannen ließ, aber er konnte ihn trotzdem binden, durch das Feuer des Palantir, das noch immer in geringen Mengen durch seine Adern floss, auch wenn es ihm nicht mehr zu schaffen machte! Pallando musste nur seinen ganzen Willen auf ihn richten, dann konnte er es wieder in ihm entfachen, heiß und glühend, wie sein Ursprung, aus den Tiefen des Schicksalsberges.
Eine Woge der Zufriedenheit überkam ihn und er machte sich auf den Weg hinunter in das Verließ, um sich die Gefangenen noch einmal vorzunehmen. König Elessar konnte noch warten. Es würde leichter sein, wenn er näher an der Festung war und mit Hilfe des Steins würde er ihn schnell ausgemacht haben!
Die Uruk-hai lagen bereits auf der Lauer nach der Frau und so blieb ihm noch genügend Zeit, um etwas mit dem Elben zu spielen...
Dreizehnter Abschnitt
Eowyn hatte fast den Fuß des Berges erreicht, was sie beträchtliche Mühe gekostet hatte und ihre Gedanken von ihren Sorgen um Aragorn abgelenkt hatte. Sie hatte sehr wohl gemerkt, dass er sich nur mit Mühe auf den Beinen gehalten hatte, aber es hatte keinen Sinn gemacht, mit ihm über sein Vorhaben zu streiten. Sie kannte niemanden, der auch nur annähernd so stur sein konnte wie er! Höchstens sich selbst, doch einer Auseinandersetzung mit ihr wäre er nicht gewachsen gewesen und er würde seine verbliebenen Kräfte noch brauchen. Sie hatte seine Wunden versorgt und ihm den Streit erspart, mehr hatte sie nicht tun können, außer nachzugeben und sich auf den Weg zu machen.
Ihr Arm schmerzte mit jedem Pulsschlag und ihr Herz raste von der Anstrengung des Abstiegs. Aber nur noch einen Vorsprung der Felsen galt es zum Umrunden, dann wäre sie auf ebenen Gelände und könnte endlich zum Galopp ansetzen!
Nach wenigen Metern erreichte sie die Biegung des Pfads und wollte gerade ihrem Pferd die Sporen geben, als sie einen Reiter in einiger Entfernung ausmachte.
Sie hätte ihn selbst in völliger Finsternis erkannt und ihr Herz machte einen Freudensprung vor Erleichterung. Eomer! Jetzt konnte sie ihm die Nachrichten mitteilen und sich umgehend wieder zu Aragorn begeben, um ihm beizustehen. Was für eine glückliche Fügung des Schicksals, dass er jetzt hier war!
Dieser Gedanke ließ sie jedoch mitten in ihrer Bewegung inne halten. Was machte er nur so mutterseelenallein in dieser gefährlichen Gegend, bei Einbruch der Nacht? Oder waren vielleicht die anderen irgendwo in der Nähe? Vielleicht sogar schon mit Verstärkung der Elben?
Sie ließ ihren Blick über die Umgebung gleiten und machte einige Gestalten in der Dunkelheit aus, die etwas hinter Êomer her gingen.
Sie zögerte und kniff angestrengt die Augen zusammen, um die Gestalten besser ausmachen zu können. Es waren ungefähr zwanzig, alle groß und breitschultrig und ganz und gar nicht von so zierlicher Statur der Elben. Je näher sie kamen, desto lauter vernahm sie die stampfenden Schritte, ein weiteres Indiz dafür, dass es sich keinesfalls um die leichtfüßigen Waldbewohner handelte. Aber es war einfach zu dunkel, um sie klar erkennen zu können.
Sie war hin und her gerissen, unfähig zu entscheiden, was sie tun sollte, denn ein seltsames Gefühl beschlich sie.
Gerade als sie sich dazu entschließen wollte, ihm entgegen zu reiten und die Hand hob, um auf sich aufmerksam zu machen, erstarrte sie mitten in der Bewegung.
Uruk-hai! Jetzt konnte sie die Horde klar erkennen, die sich Eomer näherte. Sah er die drohende Gefahr denn nicht? Konnte er sie nicht hören, wo es ihr doch bis hierhin gelang? Sie musste ihn auf die Bedrohung aufmerksam machen und ohne weiter zu überlegen stürmte sie vorwärts, wobei sie sich immer noch fragte, warum ihr Bruder nicht schon längst auf die Truppe aufmerksam geworden war.
Schnell hatte sie eine beträchtliche Entfernung hinter sich gebracht und rief verzweifelt eine Warnung aus und mit Erleichterung stellte sie fest, dass er seinen Ritt beschleunigte.
Erst als er nur noch wenige Schritte entfernt war, konnte sie sein Gesicht erkennen und zog viel zu heftig an den Zügeln, um ihr Pferd zum Stehen zu bringen. Das war nicht das Gesicht ihres Bruders, was sie kannte! Eiskalt blickte er sie an, ein zynisches Lächeln verzog seine Lippen. Als er sah, dass sie in Panik ihre Stute wenden wollte, trieb er sein Tier zur Eile an und noch bevor sie wieder genug Geschwindigkeit aufgenommen hatte, holte er sie ein.
In vollem Galopp sprang er aus dem Sattel und bekam sie zu fassen. Mit einem Ruck wurde sie aus dem Sattel gerissen und prallte heftig auf dem Boden auf. Das Gewicht ihres Bruders landete mit voller Wucht auf ihr und presste ihr die Luft aus den Lungen. Einen Moment lähmte sie der Schmerz, doch dann wurde ihre Wut so groß, dass es ihr ungeahnte Kräfte verlieh. Sie gab Êomer einen heftigen Schlag gegen die Schulter, dem es noch nicht gelungen war, ihre Hände zu packen und versuchte sich unter ihm heraus zu winden.
Doch wie bereits in Kindertagen, war sie seinen Kräften hilflos unterlegen. Er fing den Schwung ihres Schlages ab und mit einem mühelosen Satz war er wieder über ihr. Sein Lachen schallte in ihren Ohren, dass fast hysterisch klang vor Freude.
Vergeblich versuchte sie einen erneuten Fluchtversuch und Tränen der Wut traten ihr in die Augen und schließlich überkam sie Gewissheit. Eomer hatte die Seiten gewechselt! Er würde sie erbarmungslos an den Feind ausliefern, seine eigene Schwester!
"Eomer! Bitte! Was tust du? Lass mich los!" wimmerte sie, doch seine Hände schlossen sich immer fester um ihre Gelenke und sein Gewicht drückte sie nieder. Irgendwann verließen sie die Kräfte und sie erschlaffte unter seinem Griff und genau in diesem Moment tauchte das schreckliche Gesicht eines Uruk-hais über Êomers Schulter auf und sie wusste, sie war verloren...
Gandalf spürte die kommende Gefahr bereits, noch bevor Legolas die Schritte auf dem Gang vernahm, und es dauerte nicht lange, da wurden die Türen aufgestoßen und Pallando war mit wenigen Schritten vor Gandalf. Unwillkürlich straffte der Zauberer die Schultern und machte sich auf das Schrecklichste gefasst. Er konnte die Unruhe fühlen, die von Legolas Besitz ergriff und nahm sich vor, Pallando so lange wie möglich von dem Elb abzulenken, der noch lange nicht fähig war, weitere Qualen zu ertragen.
Pallandos Blick fixierte Gandalf aber nur kurz, eine stumme Aufforderung, sich endlich zu unterwerfen, aber er gab ihm auch keine wirkliche Gelegenheit, denn noch während er seinen Blick abwandte, richtete er die Hand auf Legolas und eine unsichtbare Macht traf den Elb und stieß ihn gegen die scharfkantige, raue Oberfläche der Wand.
Legolas keuchte auf und sein Gesicht verkrampfte sich, wobei er die Arme um seinen Oberkörper schlang, der ohnehin noch geschmerzt hatte und nun zu zerspringen drohte.
Sehnsüchtig richtete Gandalf den Blick auf seinen Stab, den er zwar schon ein beträchtliches Stück auf sich zu bewegt hatte, aber immer noch unerreichbar für ihn war. Und selbst wenn es ihm gelang, ihn bis an seine Füße zu lenken, so bestand immer noch die Frage, ob er ihn auch unbeschadet durch den Lichtkegel zu fassen bekam. Darin ruhte aber die ganze Hoffnung von ihm und auch von Legolas, wobei der Zauberer vermutete, dass nur das dem Freund die Kraft gab, die Folterungen durchzustehen.
Pallando ging auf Legolas zu und ballte dabei seine Hand langsam zur Faust, was bewirkte, dass sich der Brustkorb des Elben scheinbar zusammenzog und ihm jede Möglichkeit des Atmens versagte. Er schnappte nach Luft, aber ebenso plötzlich wie diese Qualen begonnen hatten, wurden sie auch von einer Handbewegung beendet.
Legolas sank in sich zusammen und zog rasch die Luft in seine Lungen, in kurzen, heftigen Stößen. Schweiß rann an seinen Schläfen entlang seine Augen zeigten den Ausdruck von unendlicher Erschöpfung.
Pallando schien das nur noch zu mehr Folterung anzuspornen wieder reichte ein Drehung seiner Hand, um den Freund auf die Füße zu ziehen, sodass er aufrecht vor dem Magier stand. Wilde Entschlossenheit blitzte jedoch plötzlich in Legolas' Augen auf, als Pallando auf ihn zu kam und man konnte sehen, wie er gegen die unsichtbare Macht ankämpfte. Als Pallando in seine Reichweite gelangte, spannten sich alle Muskeln von Legolas an und er versuchte, den kommenden Schlag abzuwehren. Kurz konnte Gandalf erkennen, die der Elb über die Gewalt seines eigenen Körpers mit dem Magier rang, doch dieses Kräftemessen war ein auswegloser Versuch, den Legolas mehr kostete, als er zu geben imstande war. Mit doppelter Wucht traf der berührungslose Schlag den Freund und er wurde herumgerissen, schlug der Länge nach auf den Boden und rutschte weiter, bis er gegen die Wand schlug. Sein Hinterkopf prallte gegen einer der scharfen Kannten und als er regungslos liegen blieb, breitete sich eine Blutlache unter seinem Kopf aus.
Gandalf stockte der Atem und sein eigenes Blut gefror ihm in den Adern, während er Legolas' Namen rief. Pallando lachte mit soviel Hass auf, wie Gandalf es noch nie zuvor vernommen hatte und er senkte in purer Verzweiflung den Blick und sandte ein Stoßgebet an die Valar, doch er glaubte nicht mehr an ihren Beistand. Es war ohnehin zu spät...
Die Nacht näherte sich ihrem Ende und noch eher die Sonne ihre ersten Strahlen über das trostlose Land warf, quälte Aragorn sich von seinem Lager hoch, um seinen Weg fort zu setzen. Er war bis spät in die Nacht geritten, weil er die Hoffnung gehegt hatte, in der Dunkelheit nicht von dem Palantir erfasst werden zu können und hatte erst Halt gemacht, als der Weg vor seinen Augen vor Müdigkeit und Erschöpfung verschwamm.
An Schlaf war jedoch nicht zu denken gewesen, denn er hatte all seine Sinne darauf verwandt, die kleinste Veränderung seiner Umgebung in sich aufzunehmen, was sich aufgrund seiner schmerzenden Wunden als äußerst schwierig erwiesen hatte.
Dennoch gönnte er sich keinerlei weiteren Aufschub und setzte seinen Ritt umgehend fort, nachdem er seine Sachen eingesammelt hatte und sie sicher verstaut hatte.
Bereits nach einer Stunde war er gezwungen abzusteigen, was ihm einen gemurmelten Fluch entlockte, denn der Pfad war so steinig und uneben, dass Brego keinen sicheren Tritt mehr fand und er ihn nun führen, oder zurücklassen musste. Er entschied sich für letzteres und löste sein Bündel, dass er sich über Kopf und Arm streifte, um es quer über seine Brust zu tragen. Er war gezwungen, sein Schwert an die andere Seite seines Gürtels zu hängen, damit es nicht ständig gegen den verletzten Schenkel schlug, der den Marsch ohnehin schon qualvoll genug gestalten würde.
Als er alle notwendigen Dinge aus den Satteltaschen geholt hatte, streichelte er Brego über den Nasenrücken und lehnte dann seine Stirn kurz dagegen, wobei er dem Tier elbische Worte des Abschieds zuflüsterte. Brego schnaubte kurz und nachdem er ihn aus seinem Griff entließ, trottete er auf dem Pfad zurück. Aragorn war sich sicher, dass das Tier den Weg nach Düsterwald problemlos finden würde, sein Instinkt würde es führen.
Weitere drei Stunden vergingen, in denen sich Aragorn durch die Bergpfade kämpfte, die oft gefährlich nah am Abgrund entlang führten, oder über rutschige Geröllhaufen aus Steinbrocken.
Er hatte sich gerade einen riesigen Ausläufer umrundet, als er ein Kribbeln im Nacken fühlte und sich die dort befindlichen Härchen aufrichteten. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen und setzte seinen Weg fort, aber seine Augen suchten wachsam die Umgebung ab, ohne jedoch das Geringste zu entdecken.
Erst nahm er die Veränderung in sich selbst nicht wahr, so sehr konzentrierte er sich auf seine Umwelt, doch dann spürte er sie umso heftiger. Sein Blut fing Feuer, entfacht in seiner rechten Schulter und begann durch seine Adern zu rasen, mit einer immer größeren Intensität. Sein Atem beschleunigte sich zu kurzen heftigen Stößen und er begann unter der Hitze zu schwanken, machte einen Schritt vorwärts, um sich an einem Felsbrocken abzustützen, bevor ihm der Boden gänzlich unter den Füßen weg glitt. Das innere Feuer wand sich um seine Arme, schnitt wie messerscharfe Klingen in seine Haut und er keuchte vor Schmerz.
Er schloss für einen Moment die Augen und bedeckte sie mit seiner Hand, denn der Schlag seines Herzen hallte dröhnend in seinem Kopf wieder und er befürchtete schon, er würde jeden Moment zerspringen.
Aragorn zog die Hand von den Augen und wünschte sofort, er hätte es nicht getan. Alles um ihn herum begann sich zu drehen und die Ränder seines Blickfeldes zerflossen.
Wie war das möglich? Nach der letzten Benutzung durch den Palantir waren die Feuer verloschen und wieder abgekühlt und er hatte ihn nicht wieder benutzt, geschweige denn bei sich! Und trotzdem wurde er wieder von seinen Flammen erfasst!
Welche dunkle Magie war hier nur am Werk, die solche Kräfte besaß? Aragorn war sich sicher, dass der Palantir beobachtet wurde und der Benutzer diese sengende Hitze hervorrief, doch was er auch versuchen mochte, es gab kein Entrinnen. Obwohl er wusste, dass er niemanden entdecken würde, schweifte sein Blick gehetzt über seine Umgebung. Er glaubte, sich nähernde Schatten zu sehen und wollte Anduril ziehen, doch seine Hand griff ins Leere, da das Schwert nicht an seinem gewohnten Platz war. Noch bevor er reagieren konnte, schlossen sich die Schatten zusammen und er fühlte feste Griffe, die seine Arme packten, doch er vermochte sich nicht zu rühren. An seinen Haaren wurde sein Kopf in den Nacken gerissen und er schmeckte eine bittere Flüssigkeit auf seinen Lippen und er presste sie in einer letzten Anstrengung zusammen, doch er fühlte sie bereits seinen Rachen herab rinnen und eine Woge der Finsternis schlug über ihm zusammen.
