Sechzehnter Abschnitt
Der Turm von Cirith
Ungol hatte nichts von seinem erschreckenden, unheilsvollen Aussehen
verloren und sowohl Frodo als auch Sam wurden bei seinem Anblick in
eine längst vergangene Zeit zurück versetzt. Nie hatten sie
es für möglich gehalten, dass sie diesen furchtbaren Ort
noch einmal wieder sehen würden, aber jetzt standen sie dicht an
die Mauer gepresst an seinem Fuß und vermochten sich nicht zu
rühren, aus schier erdrückender Angst.
"Wie hast du
es nur vermocht, dich ganz allein zu überwinden, in diesen
scheußlichen Turm zu gehen, Sam? Ich habe dich an meiner Seite
und trotzdem schlottern meine Knie alleine bei dem Gedanken daran,
dass ich diese Mauern noch einmal betreten soll!"
"Kein
Wunder, Herr Frodo! Sie beschwören ja auch in mir die
grauenhaften Erinnerungen herauf und dich haben sie hier mehr als nur
einmal gefoltert und Schmerzen bereitet! Aber damals war es der
Gedanke, an genau dieses Elend, dass mich fast wie von selbst dazu
trieb, einen Fuß vor den nächsten zu setzen!"
Frodo
schimpfte sich selbst einen Feigling, dass er trotz der Gedanken an
die Freunde, die wahrscheinlich gerade das Gleiche durchmachten wie
er damals, immer noch an Ort und Stelle verweilte, ohne einen Schritt
vorwärts zu tun. Statt dessen legte er den Kopf in den Nacken
und blickte hinauf zu der Spitze des Turms, der sich drohend über
ihm erhob und er fragte sich, wie sie es jemals schaffen sollten, bis
dorthin zu gelangen, um die Freunde zu befreien, die sie genau dort
vermuteten. Und selbst wenn sie dieses aussichtslose Unterfangen
bewerkstelligen sollten, blieb immer noch der Rückweg, der sich
als weitaus schwieriger erweisen könnte, je nach dem, in welcher
Verfassung die Freunde sich befänden. Außerdem war es
weitaus leichter, zwei kleine Hobbits vor unliebsamen Augen zu
verbergen als etwa einen hochgewachsenen Elben oder einen Zauberer!
Und wenn Aragorn und Eowyn wirklich verletzt waren, kamen sie gewiss
nur langsam voran!
Frodo seufzte und zwang sich, den Blick
wieder vom Turm zu nehmen, stieß sich unwillig von der Mauer ab
und folgte Sam, der bereits einige Meter entfernt um die Biegung
lauerte, um die Lage abzuschätzen.
Überrascht stellten
sie fest, dass sich keiner der Orks oder Uruk-hai an der Türe
aufhielten und nach einem kurzen Blickwechsel wagten sie es, die
sicheren Schatten zu verlassen und rannten über den Hof, weiter
um den Turm herum und erreichten schließlich völlig aus
der Puste den Eingang.
Der Treppenaufgang lag in absoluter Finsternis, aber Sam wurde mit aller Deutlichkeit an die Vergangenheit erinnert und fand mühelos den Weg, an weiteren Türen und Öffnungen vorbei, den nur spärlich erleuchteten Gang entlang.
Pallando hatte Aragorn
wieder verlassen, doch seine Worte hallten noch immer wie ein Echo in
der Turmkammer wieder. Er hatte Aragorn Bedenkzeit gegeben und das
Fieber etwas sinken lassen, was ihm zumindest ermöglichte, einen
klaren Gedanken zu fassen.
Er hatte schon immer die Verantwortung
für viele Menschenleben getragen, seit er sich mit Frodo auf die
lange Reise des Ringkriegs begeben hatte, aber jetzt lastete die
Bürde des Überlebens von ganz Mittelerde auf seinen
Schultern und er verspürte plötzlich den Drang, sich zu
bewegen. Er kämpfte sich auf die Beine und ignorierte die
Schmerzen, als er durch den spärlich erleuchteten Raum hinkte.
Er rieb sich den Nacken und schloss die Augen und versuchte seine
Möglichkeiten abzuwägen.
Pallando hatte gefordert,
dass er alle Lande von Mittelerde davon überzeugen sollte, sich
dem Willen der blauen Zauberer zu unterwerfen und wenn es ihm gelang,
würde er die Freunde frei lassen.
Aber was wäre das für
eine Freiheit? In einer Welt, in der nur noch Finsternis und
Schrecken herrschen würde, mit umherstreifenden Orks, Uruk-hai
und anderen furchterregenden Kreaturen, die die Menschen, Elben und
Hobbits und anderen Völker ihren Launen aussetzen würden,
mit Plünderungen, Schändungen und Gewalt, die ein
friedvolles Leben praktisch unmöglich machten. Was wäre das
für eine Zukunft? Und was wäre sein Leben und das seiner
Freunde im Vergleich zu diesen Aussichten?
Konnte er ein solches
Schicksal für Mittelerde mit ruhigem Gewissen verantworten, um
das Leben seiner Freunde zu retten und diese dann ein Leben mit
diesen Aussichten führen lassen?
Sein eigenes Leben war
ohnehin verwirkt, da war er sich sicher und wenn er nicht die Völker
zur Unterwerfung überzeugen würde, würden Pallando und
Alatar ihren Kampf entfesseln, um ihr Ziel zu erreichen und viele
Leben wären beendet, wenn es zum Krieg kam!
Wie er es
auch drehte und wendete, der Preis war zu hoch und er war nicht
bereit, weder den einen, noch den anderen zu bezahlen! Aber welche
Wahl blieb ihm schon? Seine Möglichkeiten waren viel zu
begrenzt, um etwas gegen die Magier zu unternehmen!
Seine Hand
ballte sich wütend zur Faust und sein Blick schweifte über
den Boden der Kammer und blieb an der Falltüre hängen,
durch die Pallando verschwunden war und plötzlich packte ihn die
pure Verzweiflung.
Er musste hier heraus und sich dem Kampf mit
den Magiern stellen! Damit würden sie nicht rechnen und mit
etwas Glück konnte er erst die Freunde befreien und gemeinsam
würden sie es vielleicht schaffen, die Feinde zu besiegen! Er
konnte dieses Schicksal nicht alleine entscheiden! Er brauchte ihre
Unterstützung und er wusste auch, dass er nur einen Versuch
hatte, diese Unterstützung zu erhalten!
Er sank auf die
Knie und untersuchte mit zitternden Fingern die Falltüre. Durch
eine schmale Ritze konnte er den Riegel sehen, der die Türe
verschlossen hielt, unmöglich ihn von Innen zu öffnen! Er
strich am Rand der Bretter entlang und prüfte den Zustand der
Nägel, die sie zusammenhielten, auch hier entdeckte er keine
Schwachstelle. Es musste doch irgend eine Möglichkeit geben,
fluchte er im Stillen und sah sich noch einmal gründlich in
seiner Zelle um.
Sein Blick blieb an dem Wandhalter der Fackel
hängen und mühsam erhob er sich wieder, humpelte zu ihm
herüber und nahm die Fackel heraus. Seine Hoffnungen wuchsen,
als er die Halterung in Augenschein nahm, denn die langen Jahre der
Hitze hatten das Metall brüchig gemacht und er schloss
zuversichtlich die Hand darum.
Mit jedem Ruck durchfuhr ein
stechender Schmerz pulsierend seinen Unterarm, wo sich die Klauen des
Wargs herein gegraben hatten, aber es lösten sich auch mehr und
mehr die Verbindungsstellen der Halterung und mit einem letzten
heftigen Ruck gab es nach und Aragorn hatte Mühe, den
plötzlichen Schwung abzufangen.
Er hielt ein langes, flaches
Stück Metall in den Händen und kehrte mit eiligen Schritten
zur Falltüre zurück. Sein Herz klopfte vor Aufregung bis
zum Hals und er stieß einen erlösenden Seufzer aus, als er
es schaffte, das Stück durch den Spalt an den Riegel zu
schieben. Es erforderte seine ganze Geschicklichkeit und einige Zeit,
aber endlich gab der Riegel nach, ließ sich Stück für
Stück zur Seite schieben und klappte schließlich
zurück.
Hastig ließ Aragorn das Metall fallen, das
klirrend zu Boden polterte und erschreckt lauschte er auf, sich über
sich selbst ärgernd, doch nichts rührte sich. Erleichtert
atmete er auf und öffnete langsam die Türe.
Vor ihm klaffte ein schwarzes Loch, dessen Grund er nur schwach und undeutlich ausmachen konnte. Selbst ohne seine Verletzungen war ein Sprung riskant, doch er würde jetzt nicht aufgeben, nicht, wo er der Freiheit und seinem Plan so viel näher gekommen war! Er versuchte die Entfernung ungefähr abzuschätzen und atmete noch einmal tief durch, um sich zu wappnen, dann schwang er die Beine durch die Öffnung und stieß sich ab.
Dunkel
und schmal wanden sich die Treppen den Turm hinauf und Sam glaubte
mit jedem Schritt, dass seine Beine bald nachgeben würden, sie
hatten schon so viele Stufen hinter sich gebracht und es war immer
noch kein Ende in sicht!
Mehr als einmal hatten sie sich im Dunkel
verbergen müssen und es war eine Fügung der Valar, dass sie
bis jetzt noch nicht entdeckt worden waren!
Frodo schlich leise
hinter ihm her und sah sich immer wieder um, weil er fürchtete,
dass sich Orks unbemerkt von hinten anschleichen könnten und sie
überwältigen könnten. Aber alles war ruhig, fast zu
ruhig.
"Wie weit ist es noch, Sam?", flüsterte
Frodo dem Freund zu, denn auch seine Beine schmerzten von der
ungewohnten Kletterpartie.
"Ich bin mir nicht sicher. Es ist
schon so lange her, weißt du..."
Sie beschleunigten
beide noch einmal ihr Tempo, auch wenn es ihnen schwer fiel, denn sie
spürten irgendwie, dass jede Minute kostbar war, doch selbst
jetzt verstrich die Zeit viel zu schnell und sie schienen überhaupt
nicht vorwärts zu kommen. Fast wie von selbst quälten sie
sich höher und höher und hörten nur ihren eigenen
Atem, aber dann vernahmen sie plötzlich Schritte und sie
wechselten einen erschrockenen Blick. Hastig sahen sie sich um und
entdeckten einen kleinen Vorsprung in der Mauer und ohne sich weiter
absprechen zu müssen, liefen sie hin und verbargen sich, während
Frodo auf den Gang lauerte.
Fackelschein tanzte an den oberen
Wänden und kam langsam um die Ecke und als erstes kam eine
Fackel in Frodos Blickfeld, die von einer Orkklaue getragen wurde.
Frodo stockte der Atem und er konnte nicht einmal mehr Luft holen,
aus Angst, der Ork könne ihn hören. Sam erging es nicht
anders und er zog Frodo noch ein Stück tiefer hinter den
Vorsprung und wartete mit klopfendem Herzen, bis sich der Lichtschein
endlich entfernt hatte.
Als sie sich wieder auf den Weg
machten, waren sie noch mehr darauf bedacht, kein Geräusch zu
verursachen und sie schlichen langsam, wobei sie sich an der Hand
hielten, um sich gegenseitig Mut zu machen.
Bald erreichten sie
einen Treppenaufsatz und von der kleinen Kammer, die dahinter lag,
gingen einige Türen ab. Ein trübes Licht machte sie auf
eine weitere kleine Treppe aufmerksam und Sam nickte Frodo zu. An
diese Stelle konnte er sich noch gut erinnern, denn die Treppe führte
in eine weitere Kammer und erst hatte Sam damals geglaubt, in einer
Sackgasse gelandet zu sein, bis ihm der Zufall geholfen hatte und ihm
den Weg zu der Falltüre gewiesen hatte. Bestimmt hatten sie
jetzt auch Aragorn dort gefangen, denn es gab keinerlei
Fluchtmöglichkeit, selbst wenn man die Türe geöffnet
bekam. Der Raum lag viel zu hoch oben, als das man einen Sprung würde
wagen können, was der Ork damals am eigenen Leib gespürt
hatte, als er herabgestürzt war und sich dabei das Genick
gebrochen hatte.
Sam zog Frodo jetzt mit sich und diesmal waren ihre Schritte wieder eiliger. Sie hatten das Ende der Treppe fast erreicht, als sie einen unterdrückten Schmerzschrei hörten, verbunden mit einem dumpfen Aufschlag. Sie wechselten einen besorgten Blick und zögerten einen Moment, doch dann erfasste sie ein sonderbares Gefühl und sie rannten los.
Sam blieb so
plötzlich stehen, dass Frodo ihn fast umgelaufen hätte und
er begann wütend zu schimpfen, doch als er dann aufsah und den
Grund für Sams abruptes Anhalten erblickte, erstarb jedes Wort
auf seinen Lippen. Gleichzeitig stürmten sie auf Aragorn zu, der
mit dem Rücken zu ihnen am Boden lag, aber den Kopf ruckartig
hob, als er ihre Schritte hörte und sich zu ihnen umdrehte.
Seine Augen, in denen eben noch Entsetzen gestanden hatte, weiteten
sich vor Verwunderung, als er die Hobbits erblickte, aber dann sank
er mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück.
Frodo und Sam
erreichten ihn gleichzeitig, erleichtert und besorgt zugleich und
fielen neben ihm auf die Knie. Beiden standen die Tränen in den
Augen und nach einer Weile, fand Sam als erster seine Stimme
wieder.
"Streicher! Wie schön das du lebst! Wir
dachten... Aber wie fühlst du dich...? Bist du verletzt...? Was
ist geschehen...? Du bist doch nicht etwa gesprungen...? Kannst du
aufstehen...?"
Aragorn konnte, trotz der Schmerzen, ein
Lachen nicht unterdrücken, angesichts dieser Flut von Fragen,
auf die er keine Antwortmöglichkeit bekam und Frodo stieß
Sam mit gerunzelter Stirn, die seine Empörung ausdrückte,
in die Seite.
"Jetzt gib ihm doch auch die Gelegenheit zu
antworten! Außerdem siehst du doch, dass Aragorn verletzt
ist!"
Aragorn richtete sich mit Frodos Hilfe auf und klopfte
ihm dann beschwichtigend auf die Schulter, doch er machte ganz und
gar keinen beruhigenden Eindruck.
"Es geht schon, Frodo,
danke! Ich brauche nur noch einen kleinen Augenblick, aber dann
müssen wir von hier verschwinden! Ich weiß nicht, wann sie
wiederkommen werden und ob sie etwas gehört haben!"
Frodo
reichte ihm etwas zu Trinken und Lembas, die er aus seinem Bündel
kramte und während Aragorn sich etwas stärkte, machte der
Hobbit sich daran, seinen Blick über den Freund wandern zu
lassen.
Aragorn nahm seine Musterung sehr wohl wahr, sagte aber
nichts, denn er wusste selber, was er für einen erbärmlichen
Anblick abgeben musste. Der Sprung in die Tiefe war überdies
alles andere als gut für seine Wunden gewesen, vor allem sein
Bein und die Stichwunde bereiteten ihm große Schmerzen, aber er
versuchte sich so wenig wie möglich davon anmerken zu lassen.
Ihm blieb ohnehin nichts anderes übrig, als seinen Plan in die
Tat umzusetzen, wenn er das Unheil noch abwenden wollte und dazu war
er fest entschlossen.
Er verschloss den Wasserbeutel, drückte
ihn Sam in die Hand und machte Anstalten, sich zu erheben, woraufhin
Frodo ihn mit einer Äußerung und der Hand auf Aragorns
Schulter abhalten wollte, aber ein Blick genügte und Frodo
erkannte, dass er nicht umzustimmen war.
Aragorn atmete tief
durch und sammelte seine Kraft, um sich auf den bevorstehenden Marsch
vorzubereiten und erhob sich mit einiger Anstrengung. Nachdem er sich
wenigstens etwas dazu in der Lage fühlte, beugte er sich zu Sam
und sah ihn auffordernd an.
"Meinst du, du könntest den
Weg zu den anderen finden? Sie müssen hier irgendwo sein! Wo
könnten die Zauberer sie versteckt haben?"
Sam überlegte
kurz und dann leuchteten seine Augen auf, als er eine Möglichkeit
fand.
"Unten, ein Stockwerk tiefer, gibt es eine Kammer mit
drei Türen. Ich weiß nicht welche es ist, aber eine muss
ins Hauptgebäude führen!"
"Das ist möglich!
Gut! Gehe vor, ich werde am Ende gehen. Seid vorsichtig und leise,
hier wimmelt es nur so von Orks und Uruk-hai!"
Frodo hatte
die ganze Zeit stumm zugehört, aber jetzt hielt er die Freunde
zurück.
"Ihr wollt doch nicht einfach so durch diese
Orkfestung spazieren? Außer Sams Schwert Stich und unseren
Dolchen haben wir keine Waffen, mit denen wir uns verteidigen können!
Mal ganz abgesehen, was geschehen wird, wenn wir einem dieser Magier
über den Weg laufen! Wir können von Glück sagen, dass
wir bis jetzt nicht entdeckt worden sind!"
Aragorn sah den
Hobbit ernst und ruhig an.
"Selbst wenn wir bis an die Zähne
bewaffnet wären, würde es uns nicht nutzen, Frodo! Wir sind
ihnen absolut unterlegen und ich könnte sie ohnehin nur wenige
Minuten hinhalten. Unsere Chance besteht nur darin, dass wir uns so
lange es geht verbergen, die anderen befreien und dann die Magier
überwältigen, möglichst alleine! Dazu benötigen
wir aber unbedingt Gandalfs Hilfe, denn ihrer Magie sind wir nicht
gewachsen! Und nun komm, je eher wir hier verschwinden, umso
besser!"
Frodo nickte langsam und wusste, dass Aragorn Recht
hatte, aber er hätte sich ein wenig sicherer gefühlt, wenn
wenigstens Aragorn noch ein Schwert gehabt hätte. Er versuchte
sich seine Angst nicht anmerken zu lassen und folgte dann
Sam.
Pallando fühlte sich absolut zufrieden und
nichts auf der Welt, konnte seine gute Laune noch trüben. Er
hatte den König von Gondor genau da, wo er ihn haben wollte und
seine Ziele waren nun zum Greifen nah! Er und Alatar würden die
Herrschaft über ganz Mittelerde besitzen, selbst wenn Elessar
sich weigern würde, seine Forderungen zu erfüllen, aber
darüber machte er sich nicht allzu große Sorgen, denn er
hatte seine Freunde in seiner Gewalt und kannte ihn gut genug, um zu
wissen, dass Elessar sein eigenes Leben geben würde, um sie zu
retten.
Würde er sich trotzdem weigern, so würde er eben
seine Armee aussenden und sie mit all seinem Zorn durch die Lande
wüten lassen und sein Ziel erreichen. Durch das Wissen, dass er
mit aller Mühe diesem widerspenstigem weißen Zauberer
Gandalf entzogen hatte, konnte er außerdem noch eine Macht
entfesseln, die das Grauen noch übersteigen würde, das
bisher in den Herzen der Völker in Erinnerung war.
Er würde
Iarfalath entfesseln, die ewige Nacht! Die Finsternis würde sich
für immer über das Land legen und keine Sonne würde
mehr die Landschaft oder die Herzen der Völker erhellt und
Freude, Liebe und Hoffnung ersticken. Ja, und Alatar, der die Kälte
heraufbeschwören konnte, würde damit noch größere
Qualen bewirken, bis sie ihre Feinde letztendlich doch in die Knie
gezwungen hatten und sich keiner mehr wagte zu widersetzen.
Sein
volltönendes Lachen hallte durch den Raum, als er seine Hand
über den Palantir hielt, um sich die Zelle des Turms vor Augen
zu führen, denn er wollte sehen, wie König Elessar litt,
während er versuchte, sich zu einer Entscheidung durchzuringen.
Und weil es ihm so unendlich viel Freude bereitete, würde er ein
wenig mit dem Feuer in seinem Inneren spielen, um zu beweisen, wer
hier der Mächtigere von ihnen war!
Langsam verzog sich der
schwarze Rauch und enthüllte den Raum, doch er zeigte nicht das,
was sich Pallando sicher war zu erblicken. Augenblicklich entdeckte
er die offene Falltüre und seine Stimmung schlug abrupt um. Der
Zorn, der in ihm aufwallte, hätte jeden in seiner Nähe das
Leben gekostet, denn er konnte sich nur noch mit Mühe
beherrschen.
Das konnte nicht wahr sein! Wie war es diesem Mann
nur gelungen zu entkommen? Wie hatte er selbst nur so dumm sein
können und das Fieber in ihm sinken lassen, was unweigerlich
dazu geführt hatte, dass Aragorn zu neuen Kräften gekommen
war, um einen Fluchtversuch zu überstehen!
Er schrie so
wutentbrannt auf, dass der Wachposten vor der Türe fluchtartig
das Weite suchte, wohlwissend, dass es besser war, nicht in der Nähe
zu sein, wenn der Magier den Raum verließ.
Pallando zwang
sich, seine Energie wieder auf den Palantir zu lenken. Er würde
den König finden, egal wo er sich verkrochen hatte und dann
würde er keine Gnade mehr zeigen und das beenden, was er bisher
versäumt hatte zu tun!
Legolas, Eowyn und
Gandalf zuckten erschreckt zusammen, als sie den Schrei vernahmen,
der aus den Gemächern neben ihrem Kerker erklang. Er weckte
umgehend wieder die Furcht in ihnen und sie sahen sich voller Sorge
an.
Sie lauschten auf jedes Geräusch, aber außer dem
Summen, das von dem Kristall zu Gandalfs Füßen ausging,
war nichts zu vernehmen. Sie warteten einige Minuten ab und dann
lenkte der Zauberer wieder seine Aufmerksamkeit seinen Bemühungen
zu, den Stab zu sich zu ziehen.
Legolas hatte Eowyn erzählt,
was Gandalf vorhatte, was neue Hoffnung in ihr geweckt hatte, doch
die Sorge um Aragorn hatte diese Nachricht nicht geschmälert.
Außerdem spukte ihr immer noch Eomers Gesicht im Kopf herum,
wie er sie aus seinen leblosen, matten Augen angesehen hatte, nicht
die Spur eines Erkennens darin. Ihre Schilderungen hatten Legolas und
Gandalf zu der Vermutung bewogen, dass ihr Bruder unter der Macht der
Magier stand und sich nicht bewusst gegen sie gewandt hatte. Das
erklärte ihr zwar sein Verhalten, doch hatte auch ihre Angst
steigen lassen, dass sie es nicht schaffen könnten, diesen Bann
zu brechen, oder das er niemals wieder derselbe werden würde.
Beides ließ sie erschaudern und Legolas zog sie noch etwas
fester in seine Arme, um sie zu wärmen.
Sie lächelte ihn
dankbar an und sah immer noch die Erschöpfung und den Schmerz in
seinen Augen, aber er fühlte sich schon um einiges besser, das
hatte er ihr zumindest versichert.
Sie fuhren erschrocken auf,
als die Türen aufgerissen wurden und Pallando mit Alatar in den
Raum stürmte und sie sahen, dass ihre Gesichter von unbändigem
Zorn erfüllt waren.
Während Alatar sich jedoch etwas
zurück hielt, brüllte Pallando unverständliche Worte
und durchquerte mit drei Schritten den Raum. Noch bevor sie reagieren
konnten, packte er Eowyn an den Haaren und zog sie daran in die Höhe,
ohne auf ihren kurzen Aufschrei zu achten, hervorgerufen durch den
Schmerz.
"Euer geliebter Elessar hat einen gewaltigen Fehler
begangen, wenn er meint, er könnte mich überlisten! Er
hätte besser dort bleiben sollen, wo er war, anstatt mit mir
Versteckspielchen zu spielen! Aber eure Schmerzensschreie werden ihn
schon hervorlocken! Bedankt euch schon einmal für euren
qualvollen Tod bei ihm!", schrie er dann, mit kreischender
Stimme.
Er schlug Eowyn mit der flachen Hand ins Gesicht und die
Wucht riss ihren Kopf zur Seite. Legolas war mit einem Sprung auf den
Füßen und wollte sich zwischen Eowyn und den Magier
werfen, aber sein Angriff wurde umgehend von Alatar abgefangen, der
unbeachtet näher getreten war und Legolas herumzog, mit eisernem
Griff gepackt.
Der Elb, nun völlig machtlos, warf Eowyn einen
letzten, verzweifelten Blick zu, bevor er tatenlos zusehen musste,
wie Pallando ihr neue Qualen bereitete.
Pallando würde seine ganze Wut an diesem Weib auslassen, dessen war er sich sicher! Elessar würde schon sehen was er von diesem Versuch hatte, ihn an der Nase herumzuführen! Trotz all seiner Bemühungen war es ihm nicht gelungen, den König ausfindig zu machen, aber er hatte seine beiden Garderegimente losgeschickt, um jeden Winkel der Festung zu durchkämmen, um ihn zu finden und sie würden ihn finden!
Siebzehnter Abschnitt
Faramir warf einen
Blick über seine Schulter auf die folgenden Truppen zurück,
die ihnen im Gleichschritt folgten. Es mochten gut und gerne
zweihundert Elben sein, die ihrem König folgten und die
Entschlossenheit in ihren Gesichtern gab auch Faramir ein Gefühl
der Hoffnung zurück.
Bevor er mit Thranduil aufgebrochen war,
um den Hobbits zu folgen, die so dumm gewesen waren, einfach Hals
über Kopf in die Hände des Feindes zu laufen, hatte er sich
zu Arwen begeben. Das Gespräch mit ihr hatte ihm keine Linderung
der Erleichterung gebracht, wie er erhofft hatte und die Erinnerung
war noch in seinen Gedanken.
Er verweilte noch einen
Moment unentschlossen vor der Türe und hätte fast wieder
kehrt gemacht, doch plötzlich hörte er ihre klare und feste
Stimme.
"Komm herein, Faramir! Du brauchst nicht
auszuweichen!"
Ein beklemmendes Gefühl machte sich in
seinem Magen breit, als er eintrat und ihren Blick auf sich gerichtet
fand, erfüllt von Trauer und Qual. Er machte eine unbeholfene
Geste zur Begrüßung und setzte sich dann auf den Stuhl,
der neben ihrer Lagerstätte stand und brachte es nicht fertig,
sie noch eine Sekunde länger anzusehen.
"Ich... ich
möchte dich um Verzeihung bitten!" Er schwieg und suchte
nach den richtigen Worten, die dennoch nicht auszudrücken
vermochten, was er fühlte. Sie zeigte keine Regung, sondern
wartete einfach ab, was die Sache nicht unbedingt einfacher
machte.
"Arwen, wenn ich die Zeit zurück drehen könnte,
würde ich es auf der Stelle tun! Ich war nicht ich selbst, als
ich Aragorn bezichtigte, er sei schuld an Boromirs Tod und habe die
Herrschaft über Gondor an sich gerissen. Ich weiß jetzt,
dass das nicht stimmt und nur zu gerne würde ich ihn selber
dafür um Verzeihung bitten, aber es ist mir nicht mehr
möglich... ich kann es mir selber nicht verzeihen und ich bitte
auch gar nicht darum, dass du mir vergibst, aber ich flehe dich um
dein Verständnis an! Verständnis dafür, dass ich
fehlgeleitet wurde und nicht Herr meiner Sinne war, als ich diese
absurden Anschuldigungen erhob."
"Du hast ihn mehr
verletzt als es die schärfste Klinge des Feindes vermocht hätte.
Ich habe die Qualen in seinen Augen gesehen und den Schmerz in seinem
Herzen!"
Es war mehr eine Feststellung als ein Vorwurf, doch
ihre Worte riefen noch mehr Schuldgefühle in ihm wach.
"Selbst
wenn ich wollte, könnte ich dir nicht verzeihen oder dir
Linderung deiner Seele bringen, denn ich bin nicht Aragorn! Er
alleine vermag dir zu helfen, aber er..."
Ihre Stimme brach
ab und sie senkte den Blick. Faramir hätte ihr gerne etwas
gesagt, oder sie getröstet, aber er war nicht fähig, sich
auch nur einen Millimeter zu bewegen. Minuten verstrichen, die ihm
wie Stunden vorkamen, als Arwen endlich den Blick wieder hob.
"Ich
vermisse ihn so schrecklich, dass mir der Verlust und der Schmerz
fast die Kraft zum Atmen nimmt..."
Neue Tränen brachen
aus ihren Augen hervor und ein Impuls ließ Faramir reagieren,
als er sie endlich wie selbstverständlich in seine Arme zog, um
sie zu trösten...
Faramir rieb sich die Brust, doch der Schmerz in seinem Herzen vermochte auch diese Anstrengung nicht zu lindern. Die Leere blieb.
Sie waren zwei Tage hinter den Hobbits, solange hatte es gedauert, bis Merry und Pippin Thranduil endlich zum Handeln bewegt hatten und die Truppen Marschbereit waren. Sie würden weitere Zeit dadurch verlieren, dass die Elben zu Fuß unterwegs waren, während Frodo und Sam ihre Ponys genommen hatten und sich scheinbar nur wenig Rast gegönnt hatten. Nirgends hatten sie Spuren eines Lagers gefunden und die Hufabdrucke waren nur noch schwach auf den trockenen Boden sichtbar, verwischt vom Wind und Sturm.
Faramir wandte den
Blick zum Himmel und Besorgnis trat auf sein Gesicht, als er die
Gewitterwolken erblickte, die sich bereits seit einiger Zeit vor
ihnen auftürmten. Wenn das Unwetter losbrach, wären sie
gezwungen anzuhalten und Schutz zu suchen und weitere Zeit ging
verloren!
Gimli schien das genauso zu sehen, denn er grummelte
etwas Unverständliches vor sich hin und richtete dann das Wort
an ihn.
"Eine dunkle Macht scheint gegen uns zu sein und uns
aufhalten zu wollen!"
"Ja, es ist zum Verzweifeln! Wenn
ich an unsere Gefährten denke, wird mein Herz schwer! Unsere
Feinde schrecken vor nichts zurück und werden gewiss nicht
zögern, sie wie Aragorn..."
Pippins Stimme erstarb, als
er an Aragorn denken musste und seine Brust zog sich schmerzvoll
zusammen. Merry legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn voll
Mitgefühl an.
"Wir werden sie retten! Mache dir nicht so
viele Sorgen!", doch sein Zittern in der Stimme verriet seine
wahren Gefühle.
Sam hatte die Freunde durch die
gewundenen Gänge geführt und war von einer
unbeschreiblichen Sicherheit geleitet worden, die er sich selber
nicht zu erklären vermochte. In diesem Bereich der Festung war
er noch nie gewesen und doch hatte er ganz genau gewusst, welche
Richtung sie einschlagen mussten und jetzt hatten sie einen Abschnitt
der Burg erreicht, der Aufgrund seiner Ausstattung darauf schließen
ließ, dass sie sich ganz in der Nähe der Privaträume
der Magier befanden.
Ihre Umgebung wirkte fast wohnlich, es lagen
Teppiche auf dem Steinfußboden, der jeden Schritt dämpfte,
kleinere Möbelstücke standen an den Wänden und in
regelmäßigen Abständen wurde der Flur durch Fackeln
erhellt, die in aufwendig gearbeiteten Halterungen steckten.
Sam
sah sich nach seinen Begleitern um, die ihm dicht folgten und er
blieb stehen, um sich kurz mit ihnen zu beraten und um Aragorn eine
kleine Verschnaufpause einzuräumen, die er sich niemals selber
gegönnt hätte.
Er sah furchtbar aus, um nicht zu sagen
erbärmlich und sein Atem ging in kurzen, heftigen Stößen,
als er sich jetzt an die Wand lehnte und den Hobbit anblickte.
Frodo
wechselte einen vielsagenden Blick mit Sam und dann wandten sie sich
an Aragorn.
"Was jetzt? Die Anderen könnten hier überall
stecken und es gibt etliche Türen und Kammern, wir bräuchten
Stunden, um sie alle zu durchsuchen!"
Aragorn nickte
resigniert und sah in beide Richtungen des Ganges hinunter. Ein Stück
weiter vorn gabelte er sich und von dort gingen ebenfalls weitere
Türen und Durchgänge ab, deren Ende nicht zu sehen
war.
"Uns bleibt wohl nur die Möglichkeit uns zu
trennen! Jeder von uns übernimmt einen Gang und sucht dort. Wir
treffen uns spätestens in einer Stunde wieder an dieser Stelle
wieder, hoffentlich mit guten Nachrichten! Wenn ihr sie findet,
unternehmt nichts, sondern kommt zurück und wartet hier auf
mich! Sam, gib mir deinen Dolch."
Er hielt Sam seine Hand
entgegen und sein Verband schaute unter dem Ärmel seiner Tunika
hervor, der ihnen den Blick auf getrocknete, aber auch frische
Stellen von Blut offenbarte. Dieser Anblick war zuviel für Frodo
und er konnte seinen Ärger nicht länger zurück
halten.
"Aragorn, dass ist Wahnsinn! Wenn wir uns
trennen, haben wir überhaupt keine Chance mehr, falls wir
entdeckt werden! Drei gegen eine Horde von Orks ist schon
aussichtslos, aber alleine! Und du bist schwer verwundet! Sie würden
dich sofort überwältigen und wer weiß was mit dir
anstellen! Sei vernünftig und lass uns zusammen bleiben,
wir..."
Aragorn hatte erst schweigend zugehört, doch
dann hatte sich sein Gesicht verfinstert. Er wusste selber, dass sie
in einer ausweglosen Situation waren, aber es gab nun einmal keine
andere Möglichkeit. Seine Verzweiflung verlieh seiner Stimme
eine unbeabsichtigte Härte, als er Frodo ins Wort fiel.
"Das
war keine Bitte, sondern ein Befehl, Frodo Beutlin! Ich weiß
schon genau was ich tue! Und jetzt gib mir den Dolch, Samweis!"
Sams
Blick wanderte noch einmal zwischen Aragorn und Frodo hin und her,
bevor er zögernd die Hand mit dem Dolch ausstreckte und ihn
Aragorn reichte, der ihn wortlos entgegen nahm. Frodo senkte bedrückt
und auch verärgert die Lider und nahm dann die weiteren
Anweisungen entgegen und schließlich trennten sie
sich.
Aragorn fühlte sich nach diesen barschen Worten
gegenüber den Hobbits noch elender als zuvor, doch soviel hing
von ihrem Gelingen ab, so viel! Er konnte es den Beiden jedoch nicht
so schnell begreiflich machen, die Zeit drängte und so sah er
ihnen mit schwerem Herzen nach, wie sie mit gesengten Häuptern
in ihre zugewiesenen Richtungen verschwanden.
Er wartete, bis sie
aus seinem Sichtfeld verschwunden waren und fasste sich erst dann an
seine schmerzende Seite, lehnte den Kopf gegen die kühle Wand
und atmete tief durch. Nachdem er sich einen Moment gesammelt hatte,
umschloss er fest den Griff des Dolchs und drehte ihn im Schein der
Fackel. Die Elben hatten ihn gefertigt und er lag schwer und sicher
in seiner Hand, perfekt ausbalanciert. Das Heft war schlicht, aber in
die Klinge waren Runen graviert, die der Kraft und des Schutzes.
Diese Feststellung ließ ein zynisches Lächeln auf seinem
Gesicht erscheinen, denn beides konnte er jetzt nur zu gut brauchen
und wenn die Valar ihm gnädig waren, war das ein gutes Zeichen
und wenn nicht...
Er befahl sich selber zum Aufbruch und hinkte
dann den Gang entlang, in der Hoffnung, noch rechtzeitig zu kommen,
um den Freunden zu helfen.
