-2- Zwei Welten treffen aufeinander

Das Kichern und die koketten Blicke der Huren verfolgten Jack bis er sich entschlossenen hatte, in einer die zahlreichen Kneipen erst mal einen guten Schluck zutrinken und so die Ankunft der Black Pearl in Dirty Hell zu feiern.

Als er die Kneipe betrat war gerade eine zünftige Schlägerei in Gange und der Pirat nahm unbemerkt einen vollen Bierkrug von einem verlassenen Tisch und setzte sich zufrieden in eine Ecke und beobachtete das Treiben.

Das Bier war schnell ausgetrunken und Jack ging an die Theke um sich was „Richtiges" zu Trinken zu besorgen.

Allerdings wurden er und sein Rum gestört als die Schläger ihre Prügelei auf den hinteren Teil der Kneipe verlegten.

Empört kippte Jack den Rest des Rums runter und verließ so schnell wie möglich das stickige Haus. Konnte man sich denn nicht mal mehr ungestört betrinken?

Plötzlich drang eine aufgebrachte Stimme zu ihm herüber.

„Verschwinde du unnützes Balg, sieh zu wo du bleibst, vielleicht ist ja eine von den Huren so nett und nimmt dich auf!"

Ein ungefähr 30-jähriger Mann von breiter Statur erregte Jacks Aufmerksamkeit. Mit wem sprach der Kerl da?

Die stumme Frage wurde schnell beantwortet, denn der Mann stieß ein vielleicht 3-jähriges Mädchen vor sich aus dem Haus. Die Kleine stürzte heftig zu Boden und sah den Übeltäter mit verzweifeltem Blick an. Aber der Mann konnte nicht mal von den stummen Tränen, die dem Mädchen über die schmutzigen Wangen rollten beruhigt werden.

„Weiß der Teufel warum mein dummer Bruder dich aufgenommen hat, aber da er jetzt endlich verreckt ist, kann ich dich guten Gewissens rausschmeißen!" Angewidert sah der Mann auf die Kleine herab.

Jack war währenddessen näher gekommen und runzelte ungläubig die Stirn.

„Du wirfst ein so kleines hilfloses Ding in so einem Höllennest einfach raus? Das ist ihr sicherer Tod." Wenn Jack wollte, konnte er bedrohlich wirken, aber auf sein gegenüber machte das nur wenig Eindruck.

Der Mann schnaubte verächtlich. „Was hast davon für eine Ahnung, Pirat? Wenn sie dir so Leid tut, kannst du sie ja mitnehmen." Er grinste hinterhältig bei dem Gedanken, was ein so kleines Kind auf einem Piratenschiff tun würde und sah den Piraten, der seine Hände so vom Körper weghielt als würde er Gleichgewichtsprobleme, haben belustigt an.

„Wo hast du die Kleine her?" Der ernste Blick des Captains war nun auf das Mädchen gerichtet und große braune Kulleraugen sahen ihn hilfesuchend an. Ein Anblick der den Piraten bis ins Herz erweichte.

„Mein verdammter Bruder hat sie angeschleppt. Soll die einzig Überlebende von Port Hope sein. Ich weiß nicht was er sich dabei dachte sie mitzubringen." Er spuckte aus. „Wenn sie wenigstens so 10 Jahre älter gewesen wäre, ja dann hätte sie noch Geld gebracht, aber so kann ich den kleinen Bastard nicht gebrauchen."

Der Mann grinste Jack noch einmal abwertend an und schlug dann die Tür seines Hauses laut hinter sich zu.

Erneut sah Jack das kleine Häufchen Elend vor seinen Füßen an und in ihm tobte ein heftiger Kampf. Der Pirat in ihm wollte das Mädchen einfach sitzen lassen, ein Kind auf einem Piratenschiff, so was Lächerliches, es würde nur im Weg sein! Der Mann in ihm und sein Herz wollten die Kleine allerdings mitnehmen. In Dirty Hell war sie dem Tod geweiht! Hin und her gerissen von seinen Gefühlen ging Jack ein Stück weg, aber nur um sich dann wieder umzudrehen, zurückzutänzeln und das Kind unschlüssig anzusehen.

Die Kleine schien irgendwie zu spüren, dass der Mann vor ihr ein „Freund" war und sich vielleicht um sie kümmern würde.

Als Jack nun zum fünften Mal wieder kehrtgemacht hatte, streckten sich ihm zwei kleine dünne Ärmchen entgegen und er wurde aus braunen Kinderaugen bittend angesehen. Der Anblick ging Jack bis unter die Haut und noch viele, viele Jahre später würde er sich an dieses Bild erinnern.

Seufzend legte er seine Arme um den kleinen Körper und hob das Mädchen hoch. Sofort schlangen sich die Ärmchen um seinen Nacken, das kleine Gesichtchen vergrub sich vertrauensvoll in der Halsbeuge des Piraten und wenig später spürte Jack wie viele warme Tränchen seine Hals hinunterliefen.

Jack war froh, dass sich die gesamte Mannschaft in Dirty Hell herumtrieb, denn so konnte er die Kleine unbemerkt in seine Kajüte schmuggeln ohne sich den Fragen und dem Gespött der Crew auszuliefern.

Er setzte die Kleine auf dem Bett ab und betrachtete sie hilflos. Immer noch wurde er von stummen Augen beobachtet. Plötzlich drehte Jack sich entschlossen um und ging aus der Kabine. Sofort flackerte Panik in den Augen des Mädchens auf und die Tränen begannen wieder zu fließen. Das Kind krabbelte umständlich vom Bett und tapste so schnell die kurzen Beinchen es trugen zur Kabinentür. Es flossen noch mehr Tränen als die Kleine feststellte, dass sie nicht an den Türgriff heranreichte.

Sie legte hoffend ihre kleinen Händchen gegen die Tür, durch die der komische, aber nette Mann mit dem lustigen Gang verschwunden war. Jeder Faser in ihrem Kinderherzen hoffte, dass er wiederkommen würde und sie nicht wieder allein sein würde.

Aber die Sorgen der Kleinen waren unbegründet, denn die Tür wurde schwungvoll aufgezogen und Jack hob verwundert eine Augenbraue als im das Mädchen vor die Füße fiel.

„Hey kleine Landratte, hattest du Angst das ich weglaufe?" Jack war von sich selbst überrascht wie sanft seine Stimme klang. Mühelos hob er das Kind mit einem Arm hoch, während er über den anderen einen Stofffetzen gelegt hatte und in der Hand einen Eimer Wasser trug.

Nachdem die Tränchen von den rauen Piratenfingern weggewischt worden waren, wurde die Kleine wieder auf dem Bett abgesetzt.

„So junge Lady, verrätst du mir mal wie du heißt... du kannst doch schon sprechen, oder?" Jack hatte keine Ahnung von Kinder und wann sie normaler Weise mit dem Sprechen anfingen. Geschäftig tauchte der Pirat das Tuch ins Wasser und fühlte sich irgendwie überfordert.

„Myra."

Jack stutzte. Hatte die Kleine was gesagt?

„Wie?" Hakte der Pirat nach.

„Myra." Das Mädchen zitterte am ganzen Körper und sah Jack ängstlich an.

„Ahh, Myra also!" Jack strahlte und klatschte voller Elan in die Hände. Das klappte ja schon mal. „Da hat deine Mutter einen schönen Namen ausgesucht. Ich bin Onkel Jack und jetzt sehen wir zu, dass du kleiner Dreckspatz wieder sauber wirst."

Enthusiastisch aber dennoch versucht sanft begann Jack der Kleinen das Gesicht sauber zu machen. Myra ließ die etwas grobe Waschung, von einem Piraten darf man nicht zu viel verlangen, glücklich über sich ergehen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie solange Jack bei ihr war, nichts zu befürchten hatte.

Nachdem Myra wieder sauber und ordentlich gekämmt war -Jack hatte sich dreister Weise etwas in Anas Kabine umgesehen, um vielleicht eine Bürste erbeuten zu können- gähnte die Kleine und streckte sich lang auf dem Bett aus.

„Das ist nicht fair! Das ist mein Bett!" Empörte sich Jack, der dem müden Blick keine Sekunde widerstehen konnte.

„Ok, ok, dann nehm ich den Stuhl." Es war für den Piraten selbstverständlich, dass er auf dem Schiff blieb, anstatt sich noch ein bisschen zu vergnügen. Er konnte dieses hilflose Ding unmöglich alleine lassen.

Jack war gerade in paar Schritte vom Bett weggegangen, als ihm etwas einfiel.

„Sag mal Krümelchen, wo ist eigentlich deine Mutter?" Sofort begannen die Tränen zu kullern und Jack hätte sich für seine Dummheit selbst ohrfeigen können.

„Och, Spätzchen nicht schon wieder weinen!" Hektisch kniete Jack sich ans Bett und strich Myra über die Wange. „Wir finden sie schon wieder! War sie in Port Hope?"

Das Kind nickte leicht.

„Was ist passiert?"

„Ganz laude Knalle u…nd die Donnen haben schrieen und… und Mommy weg und…" Myra vergrub das Gesicht in der Decke.

„Piraten…" Flüsterte Jack leise. Kein anderer konnte das Klosterdorf angegriffen haben! Aber warum?

„Hör mal zu Krümel: Wir finden deine Mommy schon wieder!"

Braune Äuglein lugten unter der Decke hervor. „Wirdlig?"

„Wirklich!" Bestätigte Jack. „Denn ich bin Captain Jack Sparrow und wenn ich deine Mutter finden will dann tu ich es auch, klar soweit?"

Das erste Mal seit dem sie ihre Mutter verloren hatte lächelte Myra. „Lar!"

„Gut so, und verrätst du mir auch wie alt du bist?"

Drei kleine Finger hoben sich stolz in die Höhe.

„Drei schon!" Jack verzog beeindruckt das Gesicht. Er schätzte, dass die Kleine erst vor kurzem drei geworden sein musste, sie war noch so klein und konnte noch nicht richtig sprechen. Was seiner Meinung nach allerdings kein Wunder war, denn wenn Myra wirklich in dem Kloster aufgewachsen war, würde man ihr nicht viel erlaubt haben zu plappern, wie kleine Kinder es nun mal gerne tun.

„Jetzt schlaf aber Mäuschen, du bist doch hundemüde." Und außerdem kann ich dann endlich wieder durchatmen

Jack stand auf und löschte die Kerzen, so dass die Kabine nur noch vom Mond beschienen wurde.

Seufzend setzte er sich auf dem harten Stuhl zurecht und legte seine Füße mit lautem Poltern auf den Tisch, den Hut ins Gesicht gezogen schloss er die Augen.

Der Pirat war gerade am weg dösen als eine piepsige Stimme ihn weckte.

„Jaahaack?"

„Mhm…?"

„Is dunkel!".

„Dann mach ich die Kerzen wieder an." Seufzend wurde der Hut auf den Tisch gelegt und die Kerzen wieder angezündet.

„Besser?" Jack zeigte mit ausschweifenden Handbewegungen durch den nun hellen Raum.

„Su hell!"

Die Arme fielen ruckartig herunter. Was sollte er den noch machen. Die Hälfte der Kerzen wurde gelöscht.

„Meehr dunkel!"

Jack schnaufte als er alle Kerzen ausmachte. Waren alle Kinder so, oder hatte er das Glück mal wieder an das Schwierigste zu geraten?

Myra war immer noch nicht zufrieden.

„Jaahaack?"

„Was denn, Kind?"

„Der Tuhl is doch nicht bekem, oda?"

Da ging dem Piraten ein Licht auf, was die Kleine die ganze Zeit über gewollt hatte.

„Aye, ich komm ja schon."

Irgendwie berührt legte der ach so gefürchtete Pirat sich neben das kleine Mädchen und versuchte das warme Gefühl in seinem Innern zu ignorieren, welches sich in ihm breit machte, als eine Kinderhand sich vertrauensvoll in seine große Piratenhand schob und Myra sich zufrieden an ihn kuschelte.