-3- Seemannskost

Am nächsten Morgen wurde Jack von einem Zupfen an seinem geflochtenen Bart geweckt.
Mürrisch schlug der Pirat die Augen auf. Wer wagte es…?
Doch seine schlechte Laune verflog sofort als er aus einem strahlenden Kindergesicht angelacht wurde.

„Hab Hunger!" Teilte Myra ihrem persönlichen Lieblingspiraten auffordernd mit.
„Na das ist ja was!" Ächzend stand Jack auf. „Dann wollen wir dir mal was zu Essen besorgen, aye?"

Myra wusste zwar nicht was Aye bedeutete, aber es klang schön. „Ei!"
Einigermaßen munter nahm Jack die Kleine auf den Arm und trat hinaus aufs Deck. Er zermarterte sich den Kopf, um auf die Lösung einer sehr schwierigen Frage zu kommen: Was essen drei-jährige Kinder? Er beschloss es mal mit ein bisschen Zwieback zu versuchen und Obst konnte bestimmt auch nicht schaden. Hoffentlich war die Kleine nicht mäkelig!

Ein Teil der Mannschaft hing schon draußen rum und starrte Jack fassungslos an.
„Ähm… Captain?"
„Aye Mr. Gipps?"
„Was ist das?" Geschockt zeigte Gipps mit dem Finger auf die verschreckte Myra.
„Ein Kind Gipps und vorerst neues Mitglied der Black Pearl, falls Ihr nichts dagegen habt." Der spöttische Tonfall ließ Gipps lieber nichts mehr sagen.

„Aber Captain!" Ein großer, muskelbepackter Mann, der ungefähr doppelt so breit wie Jack und mindestens fünf Köpfe größer war hatte sich erhoben. „Wo kommt das Kind her?" Zustimmendes Gemurmel ertönte über das Schiff.

„Sie wurde rausgeschmissen und ich konnte sie nicht einfach alleine lassen, in Dirty Hell wäre sie innerhalb von Stunden tot gewesen." Unsicher sah Jack sich um. Er war ehrlich gewesen und hatte Angst von den anderen Piraten als weichherzig abgestempelt zu werden.

„Aye…." Meinte der Hüne, Clark Thomson, nur nachdenklich. „Der Kerl, der so ein kleines Ding einfach aussetzt soll mir mal über den Weg laufen." Er ließ drohend seine Fingerknochen knacken und die anderen Männer nickten grimmig. Menschen gab es! Und über Piraten wurde geschimpft!

Myra hatte auf Jacks Arm inzwischen zu zappeln begonnen und wurde von dem Piraten entnervt abgesetzt. Neugierig sah die Kleine sich um und tappelte schließlich zu Clark und sah ehrfurchtsvoll zu ihm auf. Die ganze Mannschaft musste über den Anblick lachen, denn das Mädchen ging dem Piraten bis zu den Knien. Lächelnd hockte Clark sich hin und Myra konnte ihm so fast in die Augen schauen.

„Wie heid du?" Alle lauschten verzückt auf Myras hohe Kinderstimme.

„Clark." Clarks Tiefe wirkte dagegen wie ein Donnerschlag.

„Hallo Clak." Vertrauensvoll legte Myra ihr Händchen auf seine Wange und in dem Moment wurde das liebenswürdige kleine Mädchen von allen Black Pearl Piraten ins Herz geschlossen, auch wen keiner von ihnen, außer vielleicht Jack, das jemals offen zugeben würde.

Meckt gut!" Myra saß zufrieden kauend im Laderaum. Ein Stück Schiffszwieback in der einen und ein Apfelstückchen, das vorher ordentlich von Jack geschält worden war, in der anderen Hand.

Der Pirat hingegen knabberte lustlos an seinem Zwieback und fragte sich wie er die Zeit, solange sie Myras Mutter suchten, überstehen sollte.
Ok, bis jetzt klappte es ja, aber der Gedanke die Verantwortung für ein kleines Kind zu übernehmen war dem Piraten unheimlich.
Aber was solls? Er war Captain Jack Sparrow und bis jetzt verstand er sich mit der Kleinen doch prima. Irgendwie würde er das Schiff schon Schaukeln!

„Willt du?" Ein Apfelstück wurde Jack vor die Nase gehalten. Wortlos nahm er es der Kleinen aus der Hand und bemerkte den empörten Blick gar nicht.

„Du mut Danke sagen!"

Verdutzt sah Jack das Kind an. Beim Klabautermann das durfte doch nicht war sein! Ein Kind, das 3 Jahrzehnte jünger als er war, belehrte ihn, dass er Danke zu sagen hatte.

„Ach und warum muss ich das?" Listig blickte er Myra an. Wenn sie ihn schon belehrte, dann wenigstens richtig.
„Hat Mommy gesagt!" Kam die unerschütterliche Antwort, wie nur ein Kind sie geben kann, für das die Mutter der Mittelpunkt der Welt ist.
„Na dann, muss ich es wohl: Danke." Jack wollte der guten Frau mal lieber nicht in ihre Erziehungsmethoden pfuschen.
Unwillkürlich musste er grinsen. Myra war unterhaltsam und er genoss es seine Zeit mit ihr zu verbringen.

„Meine Mommy is hübsch!" Kam es plötzlich stolz von der Seite. Myra hatte festgestellt, dass sie bei den gefährlichaussehenden, aber netten Männern, so viel reden durfte wie sie wollte und die Gelegenheit musste doch beim Schopfe ergriffen werden, um anderen mitzuteilen wie stolz sie auf ihre Mommy war. Die komische Oberschwester hatte immer gesagt, dass wären nur weltliche Dinge und im Reich Gottes unwichtig und außerdem sollten kleine Kinder nicht so viel reden. Aber die Piraten fanden das wohl gar nicht und Onkel Jack redete selbst seeehr viel.

„Ach wirklich?" Jack war begeistert. Nach einer hübschen Mutter suchte es sich doch viel besser als nach einer hässlichen. „Wie sieht sie denn aus?"

Myra strahlte vor Begeisterung, dass es jemanden interessierte was sie sagte.
„Sie hat swarze Haare uuund so dün-graue Augen und sie ist dünn, aber nich so groß wie Schwester Anne." Nachdenklich nagte Myra an ihrem Apfel. Schwester Anne war zwar größer als ihre Mommy, aber noch lange nicht so lieb.

„Und wie heißt deine Mommy?" Jack fand es immer angenehmer mit dem kleinen Mädchen zu plaudern. Das Gespräch war irgendwie so… so unschuldig! Normalerweise drehten sich die Piratenunterhaltungen um Beute, Raub und Frauen, aber das kleine Mädchen erzählte einfach nur stolz von seiner Mutter.
„Elayne!"
„Schöner Name, fast so schön wie Myra." Der Pirat mochte es wenn die Kleine glücklich strahlte.
„Findet du? Die Donnen haben imer gesat Myra wäre ein Heiden-Name, der war ihnen zu eks.. eks.." Die Kleine holperte.
„Exotisch?" Half Jack aus und Myra nickte heftig.
„Dann haben die Nonnen eben Unrecht! Ich find Myra schön!" Was wagten diese verklemmten Weiber es eigentlich an dem Namen eines kleinen Kindes rumzumeckern?

Myra lächelte glücklich und kletterte dem verdatterten Piraten auf den Schoss. „Ich find Jack au schön." Verkündete sie und gab Jack ein feuchtes Küsschen auf die Wange. Sie ahnte gar nicht, wie sehr sie den Captain der Black Pearl damit durcheinander brachte

Seit drei Tagen waren sie nun schon auf See und Myra war stolz darauf was sie schon alles konnte und durfte. Hin und wieder schickte ein Pirat sie los um ihm irgendwelche Kleinigkeiten zu holen. Eine Nadel zum Segelflicken oder einen Lappen. Manchmal durfte sie auch Nachrichten von einem Ende des Schiffes zum anderen bringen. Es störte keinen der Piraten, dass die Nachricht immer etwas verfälscht weitergegeben wurde. Dafür war der Anblick, wie Myra unbeholfen über das schwankende Deck tappelte einfach zu süß.

„Land in Sicht!" Der Ruf aus dem Krähennest hallte über das Schiff.

„Hoffentlich finden wir hier ein paar Antworten." Murmelte Jack leise und starrte das immer weiter vor ihm aufragende Festland an.

Port Hope gab einen armseligen Anblick ab. Das einst stolze Kloster war förmlich in sich zusammengefallen und man konnte deutlich die Einschusslöcher der Kanonenkugel erkennen. Von den Häusern, die mal ein kleines Dorf abgegeben hatten, waren nur noch verkohlte Ruinen übrig. Wer auch immer die Insel angegriffen hatte- er war gründlich gewesen.

„Es ist ein Wunder, dass du das überlebt hast Krümelchen." Jack streichelte Myra sanft über den Kopf. Die Kleine hatte sich an sein Bein geklammert und sah ihr ehemaliges zu Hause verängstigt und entsetzt an.

„Is meine Mommy jetzt tot?" Myra vergrub ihr Gesicht in Jacks Hose und weinte leise. Nichts war mehr von ihrem zu Hause übrig und ihre Mommy hatten sie auch nicht gefunden.

Jack fühlte sich mit der Situation vollkommen überfordert. Das zerstörte Port Hope, die weinende Myra und das unangenehme Stechen in der Brust als er das kleine Kind ansah.

„Nein, natürlich ist sie nicht tot!" Jack kniete sich hin, um Myra in die Augen sehen zu können.

„Wirklig?" Unaufhaltsam flossen heiße Tränen über ihr Gesicht und Jack musste schlucken, um den fürchterlichen Kloß in seinem Hals zu vertreiben. Noch nie hatte etwas ihn, Captain Jack Sparrow, zum Weinen gebracht, aber dieses kleine Mädchen war kurz davor. Einem plötzlichen Impuls folgend zog Jack Myra fest in seine Arme und wiegte sie beruhigend hin und her.

„Wir finden deine Mommy, Engelchen. Sie lebt und freut sich schon darauf dich wieder zu sehen."

Myra kuschelte sich ganz nah an den Piraten. Was wenn ihre Mommy doch tot war, dann wäre sie ganz alleine. Ihre kleinen Ärmchen umklammerten Jacks Nacken, als wollte sie ihn mit allen Mitteln daran hindern, wegzugehen und sie alleine zu lassen.

„Wa…wann kann ich… den… den endlig wieda bei ihr sein?"

„Bald Krümel, bald und solange pass ich auf dich auf, wir alle passen auf dich auf."

„Alle Pidaten?" Schluchzte Myra schon wieder etwas fröhlicher.

Jack lächelte. „Alle Piraten."

Myras tränenverhangende Augen strahlten den Piraten wieder glücklich an. „Ich bin gern bei euch!"

Sie schmiegte sich zutraulich an Jack, der aufstand um die Kleine ins Bett zu bringen, das war alles einfach zu viel für sie. Als er sich umdrehte fiel sein Blick genau auf Clark, der sich verstohlen ein paar Tränen aus dem Gesicht wischte und Jack peinlich berührt ansah. Doch sein Captain klopfte ihm nur verstehend auf die mächtige Schulter und verschwand dann in seiner Kajüte. Beim Klabautermann, hätte er doch einen Bogen um Dirty Hell gemacht!

Dann müsste er sich nicht diesen Gefühlsduseleien hingeben und könnte weiter den lässigen Captain markieren…. aber…. er sah zu dem friedlich schlafenden Mädchen…. dann wäre dieses süße, kleine Wesen mit Sicherheit gestorben und hätte niemals ihn und seine Crew so durcheinander bringen können.

„Setzt die Segel, ihr Landratten! Fangt jedes kleines Lüftchen ein!" Jacks energische Schritte hallten über das Deck, als er seine Mannschaft zur Arbeit anspornte.

„Captain!"

„Ja Ana-Maria?" Die Perlen in seinen Haaren klimperten bei Jacks schwungvoller Drehung.

„Verrätst du uns wohin wir segeln?"

„Nach Tortuga!"

„Tortuga?"

„Tortuga!"

„Aber was sollen wir denn da?" Gipps hatte sich den beiden genähert.

„Mr. Gipps!" Jack legte dem Piraten freundschaftlich einen Arm um die Schulter. „Wenn Ihr jetzt ein boshafter Pirat wärt und ein hilfloses Dorf überfallen würdet, was würdet ihr dann mit den netten, jungen Damen machen, die ihr selbstverständlich verschleppt habt? Mhm!"

„Ahh, jetzt versteh ich was Ihr meint! Die Piraten haben die Nonnen nach Tortuga verkauft. Huren werden da immer gebraucht!"

„Genau Gipps und deswegen werden wir dort nach Myras Mutter suchen, klar soweit?"

Ana und Gipps nickten verstehend.

„Na dann, an die Arbeit! Finden wir die Mutter, ich möchte mein Bett nämlich mal wieder für mich alleine haben!"

Enthusiastisch tänzelte Jack zum Steuerrad und schlug Kurs nach Tortuga.

„Er lässt die Kleine in seinem Bett schlafen?" Gipps war erstaunt.

„Hätte ich ihm auch nicht zugetraut, aber die Kleine hängt halt an ihm." Ana zuckte gleichgültig mit den Schultern, um Gipps zu zeigen, dass ihr das herzlich egal war.

Myra bekam von dem geschäftigen Treiben an Deck nichts mit. Sie träumte davon, endlich ihre Mommy wieder zu sehen und lächelte im Schlaf. Doch wenn man das kleine Mädchen im Schlaf beobachtet hätte, hätte man sehen können, wie sich ein kleiner Schatten über das friedliche Gesicht legte. In ihrem Traum winkten Myra und ihre Mutter einem Schiff zum Abschied nach. Einem Schiff mit schwarzen Segeln.

Manu2211 und Brigitte: vielen Dank für euer Review. Hab mich echt gefreut. knuddel