Kapitel 2
Keine 15 Minuten später fand sich Dr. Gregory House in seinem Büro wieder. Schnell hatte er die Vorhänge geschlossen und sich in seinen Sessel fallen lassen. Die Ruhe sollte jedoch nicht lange andauern, denn nur kurze Zeit später öffnete sich die Tür erneut und Wilson betrat den Raum.
„Wie gut, dass man dich immer hier findet, wenn man dich sucht", stellte er fest.
„Keine Ursache. Für meine Freunde doch immer", war Gregs knappe Antwort.
„Du hast keine Freunde außer mir."
„Das du immer darauf herumreiten musst. Sei einfach froh, dass ich es dir so leicht mache."
James antwortete nicht, sondern nahm stattdessen in einem Besucherstuhl Platz, den er sich vom Schreibtisch heranzog: „Du siehst mitgenommen aus. Wie geht es deinem Bein?"
„Hervorragend, wie immer. Ich fühl mich wie ein junges Reh. Wenn jetzt noch jemand meine Mutter erschießt und du zu einem Hasen wirst, dann rufen wir Walt an und drehen einen Kinderfilm über uns", spottete House.
„Sarkasmus ist auch eine Form von Verdrängung. Du könntest mal einen Urlaub vertragen", war Wilsons Therapievorschlag.
„Urlaub? Du meinst verreisen? Auf keinen Fall. Urlaub findet für mich auf der Couch statt", war Gregs mürrische Reaktion.
„Denk dran, du bist nicht mehr allein", erinnerte Wilson mit ernstem Unterton, "Ich denke, dass sowohl du, als auch Keira ein wenig Urlaub vertragen könntet, nach den letzten Wochen."
„Du denkst ja auch, dass deine Ehe funktioniert. Ich weiß nicht, ob es von dir klug ist noch zu denken", pflaumte Greg ihn an.
„Ich weiß nicht, wie du auf die Idee kommst, dass sie nicht funktionieren würde." fragte Wilson mehr oder weniger erstaunt.
„Das ist keine Idee, sondern Beobachtungsgabe." Genervt sah Greg seinen Freund an.
„Hör zu, egal, was du denken magst, ich hab hier was für dich", James zog eine kleine Karte aus der Kitteltasche, „Hier waren Julie und ich früher im Urlaub. Das ist eine kleine Hütte, oben in den Bergen von Alberta, in der Nähe von Jasper." versuchte er von sich abzulenken, "Dort ist es kalt, es gibt Kaminfeuer, alles was eine junge Beziehung braucht."
„Ich weiß nicht, ob es klug ist, dort hinzufahren, immerhin ist deine Ehe in die Hose gegangen."
Wilson reagierte nicht auf House´ Sticheleien und drückte ihm stattdessen die Karte in die Hand: „Denk mal drüber nach. Ich bin sicher, dass Keira sich freuen würde, wenn du sie einlädst. Du bist nicht mehr allein. Das heißt, dass du nun auch für deinen Partner Dinge tun musst, die dir vielleicht auf den ersten Blick nicht gefallen." James zwinkerte ihm noch einmal kurz zu und verließ dann das Büro. Zurück blieb ein verwirrter und nachdenklich aussehender Greg, der, während er das Stück Papier in der Hand drehte, seinen Gedanken nachhing. Er kam nicht umhin, sie schweifen zu lassen. Nicht sehr weit. Eigentlich nur ein paar Querstraßen weit. Er dachte an Keira und was sie im Moment wohl tat. Sie war, wie er gerade auf Arbeit. Hatte sie auch so viel Zeit an ihn zu denken? Greg erwischte sich dabei, wie er begann - für seine Verhältnisse - kitschige Gefühle zu entwickeln Ja, er hatte Sehnsucht. Das war doch nicht normal. Ihr seid seit drei Monaten zusammen und du benimmst dich wie ein pubertierender Jugendlicher. House atmete einen Moment lang durch und blickte dann wieder auf das Kärtchen in seiner Hand. Vielleicht würden sie damit ihre Beziehung auf eine nächste Ebene bringen können. Ein Urlaub war ja allgemein immer eine Art Härteprobe für ein Paar und wenn Greg ehrlich war, hatte er Urlaub mal wieder dringend nötig.
Als er am Abend die Klinik verließ, setzte sich House auf sein Motorrad. Doch er nahm nicht den gewohnten Weg nach Hause, sondern bog in eine Querstraße ein und legte die knappen zwei Kilometer zu Keiras Arbeitsplatz zurück. Das große Gebäude mit der auffallenden Glasfassade beherbergte viele verschiedene Firmen. Unter anderem auch MedCare, ein Unternehmen, welches häusliche Krankenpflege vermittelte und organisierte. Keira war die Leiterin der Abteilung für unfallbedingte Pflegefälle und arbeitete in einer der obersten Etagen.
Heute Morgen hatte sie ihn gebeten, sie aus ihrem Büro abzuholen. Durch die Wegbeschreibung, die sie ihm gleich dazugab, war es für ihn auch nicht schwer das Gebäude zu finden. Er selbst war zunächst nicht begeistert von der Idee gewesen, sich ihren Kollegen zu zeigen, doch wenn Keira ihn um etwas bat, konnte auch House nicht lange standhaft bleiben. Er erinnerte sich an ihr Gespräch heute Morgen im Wohnzimmer und wie sie sich auf seinen Schoß gesetzt hatte. Beide Arme um seinen Hals gelegt, hatte sie ihm direkt in die Augen gesehen und zwischen der Bitte sie an ihrem Arbeitsplatz zu besuchen kleine Küsse auf seinen Lippen verteilt. Kein Schmerz in seinem Bein hätte das Gefühl, welches er in diesem Moment empfunden hatte, zerstören können und erst recht konnte er ihr so keinen Wunsch abschlagen.
Nun stand er vor dem eindrucksvollen Gebäude, hatte seine Maschine auf dem Parkplatz abgestellt und sowohl seinen, als auch Keiras Helm in der Hand. In der Lobby musterte ihn der Herr vom Wachpersonal skeptisch, beschloss dann aber den aufgesetzt freundlich lächelnden Dr. House durchzulassen. Greg bestieg den Fahrstuhl und betätigte den Knopf, der diesen in den sechsten Stock fahren ließ. Als die Türen sich geschlossen hatten, kramte Gregory in seiner Tasche und zog das Gefäß mit dem Vicodin heraus. Er schluckte eine Pille und ließ die Dose wieder in die Jackentasche fallen – gerade im rechten Augenblick, denn die Türen des Lifts glitten wieder auseinander, und vor seinen Augen tummelten sich eine handvoll Menschen, die den Mann misstrauisch beäugten, der in Motorradkluft nun an ihnen vorbeilief. Greg konnte die Blicke in seinem Rücken spüren, doch er konzentrierte sich auf die Wegbeschreibung Keiras und lief geradewegs in Richtung ihres Büros. Hinter ihm brachen flüsternde Gespräche los, die nur ein Thema hatten – ihn. Was will der hier? Konnte er die Frage auf den Gesichtern der Menschen um ihn herum lesen und er verspürte den Drang seinem Ärger Luft zu machen, doch das konnte er nicht – er durfte es nicht. Es war immerhin Keiras Arbeitsplatz. Nach einigen Schritten den Korridor entlang stand Greg vor der Tür, die sie ihm beschrieben hatte. Na endlich, dachte er und klopfte an. Eine vertraute Stimme rief von drinnen: „Herein." Und House folgte der Aufforderung und betrat das Büro. Nur Sekunden später verharrte er jedoch bereits wieder im Türrahmen, denn die Szene, die sich ihm bot gefiel ihm nicht unbedingt.
Ein Kerl, Mitte Dreißig, hatte sich gemeinsam mit Keira über einen Stapel Akten gebeugt und war dabei, für Gregs Begriffe, zu nah an seine Freundin herangerückt. Mittlerweile lehnte er beinahe über ihr und schien bei Weitem weniger Interesse an dem Inhalt der Papiere zu haben, als daran die Körperliche Nähe zu Keira weiter zu vertiefen. Er ließ sich von dem Besucher nicht irritieren, doch seine Kollegin sah auf und strahlte House an.
Mister Lässig kommentierte stattdessen Gregs Erscheinen: „Die Kundenberatung ist zwei Büros weiter. Aber da werden sie um diese Uhrzeit keinen mehr antreffen."
Greg schluckte. Hatte dieser Kerl ihn gerade als einen pflegebedürftigen Kunden abgestempelt? Das war zu viel für ihn. House wusste, dass jeden Moment etwas aus ihm herausplatzen würde, doch er hatte nicht vor Keira zu verärgern, also machte er lieber Kehrt und lief den Korridor wieder hinunter in Richtung Fahrstuhl, vorbei an den Schaulustigen. Er bekam nicht mit, wie sie sich vom Schreibtisch erhoben hatte und ihm folgte, erst als sie seinen Namen rief erwachte er wie aus einer Trance, in der er immer wieder vor sich her sprach: Es war ein dummer Fehler herzukommen.
„Greg. Greg, warte", drang ihre Stimme erneut an sein Ohr und House blieb stehen. Er beobachtete, wie Keira ihn überholte und vor ihn stellte und sagte: „Es tut mir leid. Das war Marc Limes, er…, er hat dich für…", weiter kam sie nicht, denn ihr Gegenüber fiel ihr ins Wort: „einen Kunden gehalten…", Gregory blickte auf und sah, wie der erwähnte Marc sich in diesem Augenblick zu Keira gesellte und sich drohend vor ihm aufbaute: „… und das im selben Moment, in dem er dich flachlegen wollte." Bei diesen Worten blickte er Limes´ direkt ins Gesicht und bemerkte, wie dieser, anscheinend schockiert zwischen Greg und Keira hin- und herblickte: „Soll das heißen, der da ist dein Freund? Das ist doch ein Scherz, oder? Vor allem, weil es ein echt schlechter wäre." Marc lächelt ungläubigund wies auf House, der sich gerade weniger von Limes´, als von den Gaffern um sie drei herum gestört fühlte: „Hören sie. Ich bin kein Kunde, ich bin lediglich ein Arzt mit einem Stock. Wenn sie etwas über meinen Muskelinfarkt, misslungene Schmerztherapien und mein Liebesleben wissen wollen, meine Telefonnummer ist 555-694-372."
Keira war die ganze Situation sichtlich unangenehm, doch weniger wegen Gregs eindeutiger Ausführungen, als wegen der entstandenen Missverständnisse. Sie wandte sich schließlich Marc zu und erklärte: „Sein Name ist Gregory House und ja, wir sind zusammen. Seit mehr als einem viertel Jahr. Tut mir leid, wenn du dir Hoffnungen gemacht hast. Ich hätte deine Gefühlen eher bemerken und dir sagen müssen, dass es Jemanden in meinem Leben gibt." Ihr Gegenüber schien ihre Entschuldigung weniger gelassen hinzunehmen. Stattdessen wandte er sich prompt ab und verschwand in seinem Büro, nachdem er die Tür lautstark ins Schloss warf. So kam es, dass Greg und Keira schließlich allein auf dem Flur zu sein schienen. Nach einiger Zeit brach House das Schweigen: „Sieht so aus, als ob ich da was missverstanden habe", und Keira erwiderte: „Na ja, ich habe anscheinend auch einige Sachen nicht bemerkt, die dir sofort aufgefallen sind. Tut mir leid."
„Schon OK. Ich war zu schnell und du zu langsam, was das Interpretieren angeht", stellte Greg fest und lächelte leicht, während er sich etwas beschämt durch sein Haar fuhr. Keira stimmte in sein Lachen mit ein und sagte schließlich: „Ich hole nur noch schnell meine Jacke, dann können wir gehen."
„Das klingt gut. Deine Kollegen halten mich vermutlich für einen Psychopathen."
Nachdem beide schließlich schweigend zum Lift liefen und somit auch an den Mitarbeitern von MedCare vorbei, betraten sie die Kabine und es war Keira, die vorsichtig nach seiner Hand tastete, als die Türen sich geschlossen hatten und sie festhielt. Der Pförtner saß noch immer hinter seinem Schalter unten in der Lobby und nickte beiden zum Abschied zu. Vor der Tür fand Greg schließlich die Sprache wieder und sagte: „Lass uns die ganze Sache einfach vergessen."
„Ich Ordnung. Ich denke, damit kann ich gut leben", war Keiras Antwort, bevor sie ihn zärtlich küsste und ihm den zweiten Helm abnahm.
Fortsetzung folgt…
