Kapitel 3
Als Hermione den Wunsch geäußert hatte, ohne einen Besen fliegen zu können, hatte sie sich ehrlich nicht gewünscht, völlig ohne Hilfsmittel zu fliegen. Die Nacht, in der der Orden Professor Moody verloren hatte, war zu voll von Wolken und Flüchen gewesen, um auch nur einen Blick auf Voldemort zu erhaschen, als er Harry hinterhergeflitzt war, aber sie hatte die Gesichter von Leuten gesehen, die ihn gesehen hatten. Die Geschichte von Snapes Abgang via beabsichtiger Fensterzerstörung hatte sie erst nach der Schlacht von Hogwarts erfahren, aber diese Story war wiederum mit ausgeprägtem Unbehagen erzählt worden. Hermione nahm an, dass dies eines der Dinge war, für die man unter Zauberern aufgewachsen sein musste, um sie zu verstehen, genau wie warum es völlig akzeptabel war, einen Drachen unterirdisch anzuketten und ihn zu quälen, während ein Einhorn zu töten gleichbedeutend damit war, ein Baby abzuschlachten. Ohne Besen zu fliegen kam dem gleich, ein Parselmund zu sein.
Dennoch, je mehr Hermione darüber nachdachte, desto vernünftiger klang es.
Harrys Fragen brachten sie dazu zu realisieren, dass ihr keine klaren Vorgaben gegeben worden waren, um den Test zu bestehen; einfach nur, dass sie in der Lage sein musste zu fliegen. Sie verstand die Bedeutung so, dass sie ein Wonky-Faint-Ding auf Profiniveau auf einem Besen fliegen lernen konnte, auch wenn sie sich selbst und Harry dabei Herzrasen bescherte, oder dass sie einfach ohne anderen Antrieb als ihre eigene Magie Hilarys Büro von einem Ende zu anderen durchqueren konnte.
Ihre eigene Magie – das war das Stichwort. Sie hatte keine Witze gemacht, als sie einen Besen mit einem verzauberten Zweig verglichen hatte. Egal, wie gut jemand anderes' Magie war, gab es immer eine Chance, dass sie für sie versagen mochte. Hermione kannte ihre eigene magische Fähigkeit und vertraute ihr. Sie konnte ihre Magie fühlen, die ruhig und konstant direkt unter ihren Rippen surrte, und hatte sie einmal dank eines experimentellen Törtchens in Canberra sogar gesehen. Sie war real, und sie war verlässlich.
Wenn sie einen Weg finden konnte, aus eigener Kraft zu fliegen, dann wäre ihre Zukunft in der Mysterienabteilung gesichert.
Es war einfach ziemlich bedauerlich, wie Harry aufgewiesen hatte, dass es nur einen Mann gab, der ihr helfen konnte.
Snape zu finden war besorgniserregend einfach. Am Montag schloss Hermione sich einfach Harry aus seinem Rückweg vom Mittagessen an und wartete im Atrium des Ministeriums, bis die Menge sich verlaufen hatte. Wie Harry vorhergesagt hatte, war ihr ehemaliger Professor ebenfalls anwesend. Er wartete am Sicherheitsschalter, und seine dunklen Augen schweiften über die dünner werdende Menge.
Hermione hoffte trotz Harrys Befürchtungen, dass er nicht wirklich böse Absichten hegte, während er da herumlungerte. Obgleich Hermione bezweifelte, dass er sich so offensichtlich im Ministerium herumtreiben würde, falls er tatsächlich etwas im Schilde führte. Snape mochte vieles sein, aber er war ganz bestimmt nicht nachlässig.
Als sei er in der Lage, durch das Gerede ihre Gedanken zu hören, hob er den Kopf und fing ihren Blick auf. Sofort sah Hermione nervös weg. Idiotin, schalt sie sich selbst. Jetzt weiß er, dass du ihn beobachtet hast. Es wäre weniger seltsam erschienen, wenn sie einfach seinen Blick erwidert hätte. Als sie aufsah, lagen seine Augen immer noch auf ihr. Im Gegensatz zu ihr schien Snape wegen unverhohlenen Anstarrens keine Bedenken zu hegen. Hermione verspürte den flüchtigen Drang, ihn niederzustarren zu versuchen, nur um herauszufinden, ob dies möglich war. In dem Wissen, dass dies höchstwahrscheinlich genauso sinnlos war wie zu versuchen, einen Kniesel niederzustarren, sah sie wieder weg und schaute nach links, dann nach rechts, ehe sie das belebte Atrium zu ihm hin durchquerte.
Auf halbem Weg wurde ihr klar, dass sie keine Vorstellung hatte, wie sie ihn ansprechen sollte. Bei Harry hatte sie ihre Bitte einfach unverblümt geäußert und gehofft, dass er ja sagen würde. Severus Snape war jedoch eine ganz andere Hausnummer. Er war nie einer ihrer Lieblingslehrer gewesen, als sie in der Schule war, und sie war sich ziemlich sicher, dass die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte. Es war auch nicht so, als ob sie ihm sagen konnte, warum sie es lernen musste.
Wenn Harry es jedoch erraten konnte, der mehrere Jahre Erfahrung als Auror hatte, würde Professor Snape sicher auch nicht lange dazu brauchen.
Ihre Handflächen wurden feucht, und sie konnte diese furchtbare Spannung im Magen fühlen, die immer auftrat, wenn sie sich darauf vorbereitete, vor einer Menschenmenge zu sprechen.
Severus war verblüfft.
Er hatte bereits versucht, mit Harry Potter zu sprechen, aber der Junge wollte nichts mit ihm zu tun haben. Selbst als Severus das Undenkbare getan und angeboten hatte, mit ihm über Lily zu reden, hatte Potters Sohn den Kopf geschüttelt und war davongegangen. Minervas hatte formale, gestelzte Entschuldigung dafür, dass sie das Schlimmste von ihm angenommen hatte, war mit so viel frostiger Zurückhaltung vorgebracht worden, dass Severus wusste, dass die Ereignisse des Vorjahres immer zwischen ihnen stehen würden. Die übrigen Mitarbeiter in Hogwarts hatten sich immer von der Schulleitung leiten lassen, und das war jetzt nicht anders. Die Familie Malfoy hatte finanzielle Unterstützung angeboten – als ob so etwas notwendig wäre –, aber es hatte wiederum zu viele Lügen gegeben, zu viele Ausflüchte für eine ungezwungene Freundschaft.
Es war traurig, wie wenige Möglichkeiten ihm noch blieben.
Severus spielte mit dem Papierstück in seiner Tasche herum. Ein kleines Wort war alles, was zwischen ihm und einer möglichen zweiten Chance in den Mysterien stand. Jeder wusste, dass die Abteilung voll von Sonderlingen und schwarzen Schafen war – Severus' Vergangenheit erschien zahm im Vergleich mit einigen der länger im Dienst befindlichen Zauberer – und das waren lediglich die wenigen, deren Identität er kannte. Das ließ ihn hoffen.
Und daher kehrte er ins Ministerium zurück. Er hätte es in den Drei Besen versuchen können, im Tropfenden Kessel oder beliebigen anderen Zaubereretablissements, aber das Ministerium erschien ihm am sinnvollsten. Als der größte Arbeitgeber magischer Personen innerhalb des Vereinigten Königreichs bot es ihm die höchste Konzentration möglicher Zielobjekte zu jeder beliebigen Zeit.
Zumindest war das der Gedanke. In Wahrheit – und Severus hatte so lange gelogen, dass er jetzt großen Wert darauf legte, die Wahrheit zu sagen, zumindest sich selbst gegenüber – tat er es einfach, um sich selbst daran zu erinnern, dass er immer noch Teil dieser Welt war. Wenn er bei seiner Aufgabe versagte, dann wäre kein Ort mehr für ihn offen zugänglich. Viele Jahre zuvor hatte er die Muggelwelt hinter sich gelassen, aber erst, als klar geworden war, dass es auch dort keinen Platz für ihn gab.
Irgendwo innerhalb der Menschenmenge befand sich seine zweite Chance.
Als er einen Blick auf sich spürte, drehte sich Severus in dessen Richtung. Sein Eigentümer, eine junge Frau in geschneiderten Roben, sah schnell weg und errötete anmutig. Es reichte, um ihn neugierig zu machen, und er beobachtete, wie Frustration, Zweifel und Bedenken über ihr Gesicht flackerten, ehe sie einen Entschluss zu fassen schien und in seine Richtung losging.
Er brauchte nur wenige Sekunden, bis er sie einordnen konnte; zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihn fast erreicht. Die schicke Robe und die elegante Frisur verkleideten sie, aber sie täuschten nicht über ihren grundsätzlichen Knochenbau hinweg.
Hermione Granger.
Severus war nicht klar, dass er laut gesprochen hatte, bis sie antwortete: „Professor Snape."
„Nein", antwortete er.
Ihre Augen weiteten sich. „Nein?"
„Ich bin kein Professor mehr, Miss Granger."
Sie errötete. „Nein, natürlich nicht." Dann endete das Gespräch, während sie sich unglücklich umsah, und Severus spürte einen Anflug von Ärger, der größtenteils über sich selbst war. Er machte einen neuen Versuch.
„Wie kann ich Ihnen helfen?"
„Ich –", begann sie, nur um zu stocken, und sie sah elend dabei aus. „Wie geht es Ihnen, Sir?"
„Recht gut, danke." Als die junge Hexe nicht antwortete, versuchte er es wieder. „Und Ihnen?"
„Mir geht es sehr gut, danke", antwortete sie automatisch. „Können wir miteinander reden?"
„Anscheinend nicht ohne Mühe", murmelte Severus.
„Ich … ich nehme an, ich sollte damit beginnen, mich dafür zu entschuldigen, dass ich Sie nicht früher aufgesucht habe. Sie waren immer noch rekonvaleszent, als ich abgereist bin, und ich bin einige Jahre nicht zurückgekommen, aber ich hätte nicht abreisen sollen, ohne mich ordentlich bei Ihnen zu bedanken. Ich habe Ihnen eine Karte geschickt, aber ich bin nicht sicher, ob Sie sich überhaupt daran erinnern."
Severus erinnerte sich. Eine Karte von einer muggelgeborenen Gryffindor, die Grund hatte, ihm gegenüber einen persönlichen Groll zu hegen, war einer der Gründe, weshalb er dummerweise geglaubt hatte, es könne ihm wirklich gestattet sein, die dunklen Tage des Krieges hinter sich zu lassen. Wenn sie willens gewesen war, ihm zu verzeihen, dann bestand wirklich begründete Hoffnung. Er hatte sich gefragt, ob sie zu Besuch kommen würde, hatte sorgsam überlegt, was er sagen könnte, wenn sie an seinem Krankenbett auftauchte. Natürlich hätte er sich entschuldigt, hätte er zu erklären versucht, dass er keine Wahl im Umgang mit ihr gehabt hatte, hätte um Vergebung gebeten.
Aber sie hatte ihn nie besucht. Niemand hatte ihn besucht.
Es hatte ihm eine recht bittere Genugtuung verschafft, ihre Karte zusammen mit den anderen an dem Tag verschwinden zu lassen, als er sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte.
„Das letzte Mal, als ich Sie gesehen habe … nun, zum Zeitpunkt davor, standen Luna und ich vor Ihrem Büro Wache. Draco ließ die Todesser in die Schule, und Sie brachten uns dazu, in Ihrem Büro zu warten, bis alles vorüber war. Die ganze Zeit dachte ich, dass es der Felix Felicis war, der uns von ihnen fernhielt, aber in Wirklichkeit waren Sie es. Wir dachten, Sie hätten Übles im Sinn."
Severus hob eine Hand. Er war gezwungen gewesen, sich eine Anzahl ähnlicher Ansprachen von denjenigen anzuhören, die den Wunsch hegten, die Schuldgefühle zu verringern, die sie seinetwegen empfanden. Anfangs hatten sie ihm einige Genugtuung verschafft, aber bald war ihm klar geworden, dass sie kaum seinetwegen gehalten wurden. „Erwarten Sie ehrlich, dass ich mit Ihnen über diesen Abend rede, Miss Granger?"
„Nein, natürlich nicht! Ich bin überrascht, dass Sie mich so lange haben reden lassen, um ehrlich zu sein. Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten, aber ich erkenne jetzt, dass ich nicht das Recht dazu habe. Es tut mir leid, dass ich Sie belästigt habe, Profes… – Mr Snape, es wird nicht wieder vorkommen. Und es tut mir wirklich leid, dass ich das Schlimmste von Ihnen angenommen habe. Ich weiß, wir sollten das, aber Sie hatten uns bereits so viele Gründe geliefert zu glauben, dass sie einer der Guten waren. Ich hätte Ihnen vertrauen sollen."
„Warten Sie!", rief er. „Fragen Sie wegen Ihres Gefallens."
„Oh!" Sie errötete und sah sich im jetzt leeren Atrium um. „Es war ohnehin weit hergeholt, aber sehen Sie, ich hatte eigentlich gehofft … Ich möchte, dass Sie mich zu fliegen lehren."
Hermione hatte genügend Naturdokumentationen gesehen, um zu wissen, dass dann, wenn ein Raubtier sehr ruhig und unbewegt wurde, es sich darauf vorbereitete zuzuschlagen. Oder es schlief. An Snapes hartem Blick war nicht im Entferntesten etwas Lethargisches, während er sie betrachtete.
„In Ordnung", stimmte er zu.
„In Ordnung?" echote Hermione. „Warten Sie, Sie meinen, Sie werden mich unterrichten? Einfach –" Einfach so? Es lag ihr auf der Zunge, aber sie hatte nicht den Wunsch, irgendetwas zu tun, das diese Gelegenheit in Gefahr brachte.
„Einfach so?", fragte Harry. „Er war einfach einverstanden, dich zu unterrichten?"
„Ich weiß, ich war genauso geschockt wie du! Ich soll ihn morgen früh treffen, um mit unserem Unterricht anzufangen."
„Mir ist wirklich nicht wohl bei dem Gedanken, dass du in sein Haus gehst, Hermione", sagte Ron. „Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, etwas zu sagen, aber dies erscheint mir ein wenig verdächtig."
„Oh, mir auch!", stimmte Hermione zu. „Aber wir treffen uns im Ministerium. Anscheinend haben sie im Erdgeschoss Räume, die man für Versammlungen und Konferenzen mieten kann. Ich werde die ganze Zeit in Verhexeabstand zum Aurorenbüro sein."
„Ich frage mich, was er vorhat." Harry runzelte die Stirn.
„Vielleicht vermisst er es zu unterrichten?" Hermione zuckte mit den Schultern. „Vielleicht versucht er wirklich, ein zugänglicher, hilfsbereiter Mensch zu werden. Vielleicht ist er das die ganze Zeit gewesen, aber wir konnten es nie erkennen, weil er sich so verhalten musste, als sei er Voldemorts Mann."
„Nein, er mag bis zur Grenze der Belastbarkeit gestresst gewesen sein, aber seine Abneigung war wirklich echt. Vielleicht war sie immer nur auf mich gerichtet. Wer weiß, wenn ich nicht da gewesen wäre, hätte er euch beide vielleicht sogar gemocht."
„Mich nicht, Kumpel." Ron grinste. „Nach Percy und den Zwillingen bestand keine Chance, dass er jemals einen Weasley freundlich ansehen würde. Selbst Ginny ist ihm immer auf den Wecker gegangen." Er warf Harry einen Blick zu. „Oh, sorry, Kumpel."
Hermione fing den schmerzlichen Ausdruck auf Harrys Gesicht auf. „Sind die Dinge zwischen euch beiden immer noch schwierig?"
„Das wären sie, wenn sie länger als fünf Minuten im Land bliebe. Die Harpies touren im Moment durch Südafrika."
„Sie war dem Eindruck erlegen, dass Harry mitkommen könnte", erklärte Ron.
„Aber ich kann nicht einfach los und meine Arbeit wochenlang am Stück liegenlassen", seufzte er. „Sie wurde immer ärgerlich, weil ich so hart darauf hingearbeitet habe, ein Auror zu werden, aber ich glaube, sie hat sich selbst eingeredet, dass es ruhiger wird, sobald ich mit der Ausbildung fertig bin. Dann dachte sie, ich würde es ruhiger angehen, sobald ich eine Beförderung hätte, aber ich kann einfach nicht aufhören, meinen Job ordentlich zu machen. Ein Auror zu sein, ist … ist, was ich mache."
„Du hattest immer ein wenig einen Hang dazu, Leute zu retten", stimmte Hermione zu. „Aber Ginny weiß das, seit du sie gerettet hast, als sie klein war. Sicher weiß sie, dass Menschen sich nicht einfach ändern, selbst wenn der Krieg vorbei ist?"
„Genau", antwortete Harry. „Was der Grund ist, weshalb ich ganz und gar nicht davon begeistert bin, dass Snape einfach einverstanden ist, dir zu helfen."
