Kapitel 4
Sarah hatte nur ein Badehandtuch um sich geschlungen und sah die
beiden aufgebracht an.
"Was willst du hier?" zischte
Herbert wütend. "Warum bist du nicht in der Badewanne?"
"Ich habe meinen Schwamm nicht gefunden" gab Sarah trotzig zurück. "Zum Glück. Oh Alfred und ich dachte du magst mich!"
Alfred sprang auf und verpasste Herbert dabei unabsichtlich mit
seiner Schulter einen Kinnhaken. "Oh, entschuldige!", sagte
er erschrocken und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Aber
jetzt war es wichtiger, sich um Sarah zu kümmern. Wieso hatte
Herbert das auch gemacht? Er würde ihm noch alles bei Sarah
vermasseln.
"Sarah, das … ich …" Er wusste gar
nicht, was er sagen sollte. Rasch eilte er zu ihr und legte ihr die
Decke um, weil es schließlich kalt war, wenn man nur ein
Handtuch trug. "Das war nicht so, wie es aussah!", sagte
er. "Herbert hat nur … Er wollte mir nur etwas ins Ohr
flüstern…"
Verzweifelt sah er zu Herbert und dann zu
Sarah. "Sarah ich mag dich doch! Ich liebe dich!"
Das reichte. Herbert der von Alfred wirklich ziemlich hart am Kiefer
getroffen worden war, stand auf und warf den Kopf zurück, bevor
er aus dem Zimmer stolzierte. Das brauchte er sich wirklich nicht
gefallen zu lassen. Alfred war nur ein dahergelaufener Vampir, der
ihm ein bisschen den Kopf verdreht hatte. Und auch wenn er noch so
unschuldig und süß war, war er doch ganz und gar nichts
Besonderes. So einen wie ihn würde er schnell wieder finden.
Sollte Alfred sich doch von dieser Sarah veralbern lassen, ihn ging
das nichts mehr an. Er hatte schließlich auch seinen Stolz. Die
Tür des Kaminzimmers knallte schwungvoll hinter ihm zu.
Etwas
ins Ohr flüstern . . .pah! Sollte er sich doch von Sarah etwas
ins Ohr flüstern lassen. Er würde jedenfalls nicht mehr
sein Leben für Alfred riskieren oder ihn neben sich im Sarg
schlafen lassen, auch wenn er es noch so sehr genossen hatte ihn im
Arm zu halten. Und wo er sein Blut herbekam konnte er in Zukunft auch
selbst sehen.
Eine Weile lief Herbert ziellos durch die dunklen Gänge,
bevor er sich auf einer der Fensterbänke der riesigen gebogenen
Fenster niederließ. Er lehnte sich gegen die Wand und stellte
ein Bein vor sich, während er in den Sternenhimmel sah.
Alfreds
große blaue Augen gingen ihm nicht aus dem Kopf. Und seine
sinnlichen Lippen… desto länger er saß, desto deutlicher
wurde die Erinnerung. Was wenn Alfred wirklich mit Sarah das Schloss
verließ? Wenn er ihn nicht wieder sah?
Alfred sah Herbert nach, als er türeknallend aus dem Zimmer marschierte, aber dann wandte er sich sofort wieder Sarah zu und griff nach ihrer Hand. "Das war wirklich nichts, Sarah! Wenn du willst, helf ich dir deinen Schwamm suchen!"
Sarah willigte gnädig ein und entzog Alfred ihre Hand Gott
sei Dank nicht, als sie zum Badezimmer gingen. Denn dann wäre
Alfred ziemlich aufgeschmissen gewesen. Sarah fand sich jedoch
hervorragend zurecht und zog Alfred ein wenig hinter sich her.
Als
sie ankamen, wunderte Alfred sich erst, dass es gar nicht das Bad
war, in dem er heute gebadet hatte, aber vielleicht war es Herberts
gewesen, und der ließ ja auch nur ihn in seinem Sarg schlafen.
Wenn er daran dachte, schauderte er.
Sarahs Schwamm fand sich zwischen Badewanne und Wand, wo Alfred
ihn hervorfischen musste und Angst hatte, sich dabei seine neuen
Sachen zu verdrecken. Er hatte ja gehofft, dass Sarah ihn vielleicht
bleiben lassen würde, vielleicht würde sie ihn sogar in die
Badewanne einladen . . . Aber sie schickte ihn nach draußen,
und er musste die Tür schließen.
Draußen war es
dunkel. Und kalt. Und unheimlich. Alfred dachte sich, dass er genauso
gut wieder ins Kaminzimmer gehen konnte, wenn Herbert sowieso nicht
mehr dort war. Dort war es immerhin gemütlich und warm. Aber in
welcher Richtung hatte das nochmal gelegen?
Er machte einen Schritt in eine Richtung, überlegte es sich
dann anders, drehte sich um und lief gegen eine Wand. Er hielt sich
den Kopf und tastete sich dann vorsichtig an der Wand entlang und
hatte den Eindruck, dass er sich nur immer weiter vom Kaminzimmer
entfernte.
Als er eine Viertelstunde an der Wand entlanggelaufen
war und immer noch keine Tür gefunden hatte, wurde ihm ziemlich
mulmig. Er horchte, aber er hörte nichts mehr. Um ihn herum war
nichts als Dunkelheit, und hier gab es auch keine Kerzen und Fenster
mehr und gar nichts.
Jetzt konnte er eigentlich nur noch zurückgehen, und das
wäre auch nicht so schwer gewesen, hätte er nicht die Wand
losgelassen und sich ein paar Mal im Kreis gedreht. Das hatte er ja
wieder toll hingekriegt.
"Professor?", rief er leise,
aus reiner Gewohnheit. Aber der Professor konnte ihm hier auch nicht
helfen.
"S-Sarah?", fragte er in die Dunkelheit.
"Herbert?"
Sehr lange hatte Herbert es in seiner Fensternische nicht
ausgehalten. Außerdem wollte er Alfred Sarah nicht einfach
kampflos überlassen. Er war schließlich Herbert von
Krolock und bislang hatte er immer bekommen, was er gewollt hatte.
Entschlossen rauschte er den Gang zurück zum Kaminzimmer und
stieß die Tür auf.
Er war eigentlich ganz froh, dass
Alfred und Sarah nicht mehr hier waren. Wer konnte wissen, was sie
sonst getrieben hätten. Schnell fand er heraus, dass Sarah
wieder im Bad war. Ohne Alfred. Gut.
Er bog um ein paar Ecken,
bis er auch Alfred wieder gefunden hatte. Der war mittlerweile im
Nordflügel, dem sehr düsteren Teil des Schlosses
angekommen. Herbert war immer noch wütend auf ihn, also gab er
sich nicht sofort zu erkennen, sondern folgte Alfred in einigem
Abstand. Der schien sich wirklich nicht gut in der Dunkelheit zurecht
zu finden. Er tastete sich an der Wand entlang wie ein Blinder. Das
konnte gefährlich werden, als Vampir.
Herbert hörte
abfällig lächelnd zu, als Alfred nach dem Professor und
nach Sarah rief. "Keiner von den beiden wird dir mehr helfen.
Wann verstehst du das endlich, mein Süßer?" flüsterte
er leise.
Doch dann rief Alfred den richtigen Namen. Obwohl Herbert noch
immer wütend war machte sein Herz einen kleinen Sprung.
"Hier
bin ich mon Cherie." flüsterte er mit süßer
Stimme. "Wie kommst du nur hierher?"
Alfred zuckte zusammen, schaffte es aber diesmal, nicht gleich los zu
schreien. Er war immerhin erleichtert, dass es nur Herbert war, der
da aus dem Dunklen auf ihn zukam.
"Herbert", sagte er
erleichtert. "Ich . . . ich weiß auch nicht, wie ich
hierher komme. Ich wollte ja nur zurück ins Kaminzimmer, aber
irgendwie . . ."
Er trat einen Schritt vor, senkte den Blick
und sammelte Mut. Dann sah er auf zu Herbert. "Ich glaube, bei
mir ist irgend etwas schief gelaufen", gestand er geknickt. "Ich
kann im Dunkeln nicht so gut sehen", flüsterte er so leise,
dass er sich selbst kaum hörte. "Ehrlich … ehrlich gesagt
sehe ich überhaupt nichts."
Herbert lachte leise, aber nicht spöttisch. "Das habe ich mir schon gedacht" sagte er. "Natürlich ist das ein großer Nachteil für dich, aber so schlimm ist es nicht." Er nahm Alfreds Hand. "Bleib am besten immer in meiner Nähe, dann werde ich für dich sehen." Er hob Alfreds Hand an seine Lippen und küsste sie sanft. "Versprich mir nur, dass du dich nicht von Sarah dazu überreden lässt aus dem Schloss zu fliehen. Dann kann ich nichts mehr für dich tun. Du musst in meiner Nähe bleiben, dann kann ich dich beschützen." Er zog Alfred zu sich und hüllte ihn in seinen Mantel ein. "Willst du dich von mir beschützen lassen?"
"Uh... ja", sagte Alfred und guckte ziemlich verschreckt,
als er sich auf einmal eingehüllt in Herberts Mantel wieder
fand. Er würde hier lieber zustimmen als dass er es riskierte,
ganz allein gelassen zu werden. Nach dem was Herbert gesagt hatte,
würde Sarah, auch wenn sie sie heute geweckt hatten, die meiste
Zeit schlafen, und dann konnte sie nicht bei ihm sein. Da war es ihm
schon lieber, Herbert kümmerte sich um ihn als gar keiner.
Er
versuchte, sich wieder etwas aus dem Umhang herauszuwinden. "Wir
sollten nach Sarah sehen", sagte er. "Sicher ist sie lange
fertig. Und wenn sie die meiste Zeit schläft, wie du sagst, dann
will ich wenigstens heute etwas zeit mit ihr verbringen."
Nach diesen Worten hätte Herbert Alfred am liebsten schon wieder
stehen gelassen. Er fragte sich, ob der Junge überhaupt
verstanden hatte, dass er ihn liebte. Es gab genug Menschen und sogar
einige Vampire, die sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen
ausmalen konnten, dass ein Mann einen anderen Mann lieben könnte.
Vielleicht gehörte Alfred ja dazu? Herbert glaubte zwar, dass er
deutlich genug geworden war, aber vielleicht dachte Alfred immer
noch, dass es nur ein Scherz war?
Nach Herberts Meinung gehörte
Alfred zu jenen stillen Seen, die so unergründlich tief waren.
Zwar wirkte er schüchtern, wenn nicht sogar verklemmt, aber wenn
er diese Scheu überwunden hatte, da war sich Herbert sicher,
dann . . .
"Bringst du mich zu ihr?" fragte Alfred in seinen
Gedankengang hinein.
Herbert verdrehte die Augen, nahm aber
Alfreds Hand und führte ihn in die richtige Richtung.
Sarah
war tatsächlich schon fertig und kämmte sich, leise vor
sich hinsummend die Haare. Herbert hasste das Leuchten in Alfreds
Augen, als er sie sah. Er dachte nicht daran sie allein zu lassen. Zu
dritt saßen sie im Kaminzimmer, Alfred und Sarah auf dem Sofa,
Herbert in einem Sessel. Eine Weile sagte niemand etwas.
Sarah fasste sich schließlich ein Herz. "Weißt
du wann der Graf zurück kommt?" fragte sie an Herbert
gewandt.
Der schüttelte nur den Kopf.
"Alfred" versuchte sie es dann. "Möchtest du nicht, dass ich heute bei euch schlafe? Vielleicht kann man für uns einen Sarg in die Gruft stellen?"
"Doch, das wäre schön!", sprang Alfred sofort darauf an. Er war froh, dass er etwas sagen konnte. Neben Sarah zu sitzen machte nämlich seinen Kopf ganz leer und seinen Mund ganz trocken, und dass er auch noch ihre Hand hielt, machte das alles nicht besser. Sein Herz klopfte ganz laut, und er hatte fieberhaft überlegt, wie er denn ein Gespräch anfangen sollte. Er hatte aber nicht nur Angst, sich vor Sarah zu blamieren, sondern auch vor Herbert, der immer noch bei ihnen war und ihn vielleicht auslachen würde, wenn er etwas Dummes sagte. Und früher oder später sagte er immer etwas Dummes.
"Aber ich fürchte . . . ich glaube nicht, dass das geht", sagte er mit einem Blick auf Herbert. "Herbert hat gesagt, es dürfen keine anderen Vampire im Schloss schlafen. Aber kannst du nicht noch einmal deinen Vater bitten, Herbert?", wandte er sich an ihn. "Er hat Sarah doch erst ins Schloss gebracht, da kann er sie doch nicht einfach auf den Friedhof abschieben. Wenn... wenn es sein muss, rede ich auch mit ihm!", sagte er und warf sich in die Brust.
"Nein, das würde mein Vater nicht erlauben" sagte Herbert bestimmt. "Er beschwert sich jetzt schon, dass es ihm im Schloss zu unruhig ist für seine Studien und unsere Gruft ist ihm heilig. Tut mit leid, aber da kann ich nichts für Sarah tun."
Sarah blitzte ihn wütend an. "Ich müsste nur noch einmal selber mit dem Grafen reden" sagte sie zuversichtlich. "Ich bin mir sicher, dass er mich nicht vergessen hat. Wahrscheinlich ist es nur ein Versehen."
Herbert lächelte in sich hinein. "Dazu hast du beim nächsten Mitternachtsball Gelegenheit. Aber glaube nicht, dass er wieder mit dir tanzt. Der Ehrengast ist immer ein Mensch. Wenn du Glück hast bittet dich jemand anders zum Tanz. Ich jedenfalls werde dieses Mal mit Alfred gehen." erklärte er bestimmt. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass Alfred mit Sarah zum Mitternachtsball ging. "Und jetzt ist es besser, wenn wir dich in deinen Sarg zurückbringen. Bevor der Morgen anbricht. Es ist gut möglich, dass mein Vater woanders übernachtet." Das war zwar unwahrscheinlich und auch das Morgengrauen war noch einige Stunden entfernt, aber er wollte Sarah loswerden. Ein bisschen wollte er Alfred noch für sich allein haben.
"Alfred, sag ihm, dass ich hier bleiben soll" sagte Sarah bestimmt. "Du wirst ihn mich doch nicht auf den Friedhof zurück schicken lassen?"
Alfred sah zwischen Sarah und Herbert hin und her. Sie verstanden
sich nicht so sonderlich gut, hatte er den Eindruck, oder Herbert
hatte einfach schlechte Laune. Aber zu ihm war er ja eigentlich immer
nett. Etwas zu nett sogar. Aber sicher war er einfach
launisch.
Und er freute sich schon darauf, mit Alfred zum Ball zu
gehen. Sicher hatte er nur gemeint, dass er ihn hinbringen würde,
dass er sozusagen sein Gast war. Das war ja eigentlich sehr nett von
ihm.
Jetzt sah er etwas irritiert zu Sarah. Was sollte er denn jetzt tun? "Sarah, ich kann das nicht bestimmen . . .", fing er an, aber Sarah schnaubte ihn an und entzog ihm ihre Hand. Er wollte wieder danach greifen, aber sie verschränkte die Arme.
„Wenn ich den Grafen das nächste Mal sehe, dann setze ich mich dafür ein!", versprach er. "Ich will doch auch bei dir sein! Wir müssen nur etwas Geduld haben, Sarah!"
Sarah machte nicht den Eindruck, als würde sie ihm überhaupt noch zuhören, und Alfred sah, wie Herbert aufstand. Er stand ebenfalls auf. Jetzt mussten sie Sarah eben doch wieder auf den Friedhof bringen. Und irgendwie hatte er jetzt auch ein klein wenig Angst, dass Herbert ihn auch draußen lassen würde. Auch wenn er nicht genau wusste, wieso.
So, hier ist auch schon das nächste Kapitel. Ab dem nächsten ist das Rating dann "R", nur damit ihr die story auch findet. Vielen Dank mal wieder für eure reviews!
Gräflicher-Trottel: Das freut uns natürlich, dass es dir immer noch gefällt!
Herbert-von-Krolock: Ja, Sarah hat bei uns ein bisschen zu leiden, wie man sieht...
sweetsakuya: danke für das Review. Über Herberts Vergangenheit erfährt man auch einiges und sicher erzählt er irgendwann auch seine Entstehungsgeschichte.
Steeljren-Dag: Also Vincent bekommt noch eine wichtige Rolle, da wir auch sehr von ihm angetan sind.
