Kapitel 9

Alfred erwachte, und als er sich aufsetzte fühlte er sich leicht benommen. Er war allein im Sarg, der Deckel war beiseite geschoben, und Alfred hatte keinerlei Antrieb, aufzustehen. Also legte er sich wieder hin, sah an die Decke und dachte nach.

Er fand es irgendwie faszinierend, dass Männer auch Männer lieben konnten. Warum hatte er davon bisher nie etwas mitbekommen? Er hatte noch nie davon gehört, dass ein Mann mit einem anderen Mann verheiratet war. Und in keinem der Bücher, die er gelesen hatte, war so etwas je vorgekommen.

Er erinnerte sich nur daran, dass der Professor sich einmal über eins seiner griechischen Bücher aufgeregt hatte, weil "Knabenliebe" darin vorgekommen war. Damals hatte Alfred nicht gewusst, was das bedeutete, aber vielleicht war es ja das gewesen. Aber wieso hatte der Professor sich dann aufgeregt?

Andererseits hatte er sich auch über Männer und Frauen aufgeregt, erinnerte sich Alfred. In dem Sinne war da wohl doch kein Unterschied gewesen.

Herbert hatte es ganz und gar nicht gefallen Alfred allein im Schloss zurück zu lassen. eigentlich war er dort ja sicher, aber man wusste nicht, auf welchen dummen Gedanken er kommen würde. Was wenn er nach draußen ging, um Sarah zu besuchen, sich dabei verlief und von den Wölfen angegriffen wurde? Was wenn er wehrlos einem hungrigen Vampir über den Weg laufen würde, der ihn restlos austrank? Oder er erkältete sich im Schnee. Schließlich hatte er seinen Pelzmantel noch nicht.

Herbert malte sich die schlimmsten Szenarien aus, die Alfred zustoßen konnten. Aber sein Durst war so groß, dass ihm einfach nichts anderes übrig blieb, als ins Dorf zu gehen. Er würde sich eben einfach beeilen.

Den Weg durch den Wald brachte er schnell hinter sich und schon breitete sich unter ihm das Dorf aus. Alle Fenster waren bereits dunkel und kein Mensch befand sich mehr auf den Straßen. Herbert überlegte, ob er heute zwei Brüder besuchen sollte, von denen er schon des Öfteren getrunken hatte. Für sie war es wie ein Traum und Herbert sorgte dafür, dass es ein schöner Traum war... manchmal im Sommer ließen sie ihr Fenster offen, beinahe wie eine Einladung...

Gerade wollte er sich ins Dorf begeben, als er in seiner Nähe eine menschliche Gestalt wahrnahm. Sie saß im Schnee und war an einen Baum gelehnt und zitterte vor Kälte.
Herbert trat auf sie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Der Junge drehte sich erschrocken zu ihm um und sah ihn an. Er wollte gerade anfangen zu schreien, als Herbert ihm die Hand auf den Mund legte.

"Was machst du bei dieser Kälte so spät hier draußen?" fragte er sanft.

Der Junge vor ihm war bleich vor Angst. Er war vierzehn oder vielleicht fünfzehn. Nicht unbedingt sehr hübsch aber auch nicht hässlich, wie Herbert erfreut feststellte. Er hatte rote Haare und wässrigblaue Augen, die jetzt vor Schreck weit aufgerissen waren.
"B-bi-bist du ein V-Vampir?" stotterte er.

Herbert nickte und der Junge versuchte sich mit einem Schrei von ihm los zu reißen.
"Wovor hast du denn Angst?" fragte Herbert sanft. "Hier draußen im Schnee wirst du so oder so sterben. Findest du nicht, dass du mir dann auch dein Leben überlassen könntest?"

"Ich will aber nicht sterben" sagte der Junge kläglich. "Ich war doch nur zum Holzsuchen draußen und ... und dann habe ich mir den Fuß verstaucht. Darum schaffe ich es nicht mehr zurück ins Dorf. Und weil alle Angst haben seit Chagalls Tochter entführt wurde ist keiner gekommen um mich zu suchen." In seiner Aufregung plapperte der Junge einfach drauflos.

Herbert lachte. dann streichelte er dem Jungen über die Wange und zog ihn verführerisch an sich. "Glaubst du nicht, in meinen Armen könntest du einen schönen Tod finden?"
"D-doch..." Beinahe ergeben ließ der Junge sich von ihm umarmen.

Herbert beugte sich herab und als der Junge, der schon ganz schwach vor Kälte die Augen schloss biss er ihn in den Hals. Der Kleine stöhnte auf und köstliches junges Blut strömte in Herberts durstende Kehle.

Eine kurze Weile später bettete er den ohnmächtigen Jungen auf die Kaminbank im nächst besten Haus. Er hatte ihm sein Leben gelassen. Der Junge hatte ihn auch so mehr als gesättigt. Morgen würde er glauben geträumt zu haben und die Bissspuren würden kaum noch zu erkennen sein.

"Vergiss mich nicht so schnell" flüsterte er, bevor er das Haus verließ.
Jetzt wollte er nur noch zurück zu Alfred.

Alfred hatte es nicht mehr ausgehalten, im Sarg zu liegen. Er hatte sich hastig angezogen - Herbert hatte ihm schon wieder andere, wunderschöne Kleider herausgelegt - und dann zehn Minuten unschlüssig vor dem Ausgang der Gruft herumgestanden. Er traute sich nicht so recht hinaus, aber würde er das Schloss jemals kennen lernen, wenn er sich nie bemühte?
Also hatte er die Tür geöffnet, war entschlossen den Gang entlang gegangen - und hatte sich verirrt. Er war irgendwie in einen Teil des Schlosses gelangt, in dem es düsterer war. Alfred hatte sich anfangs nicht getraut, die Türen rechts und links zu öffnen, aus Angst, der Graf könnte hinter einer sitzen und wütend werden, weil er ihn störte.

Jetzt allerdings riss er jede Tür auf, an der er vorbeikam, aber die Zimmer waren alle düster und unheimlich, und Alfred fürchtete sich.

Er passte nicht auf, und bei seinem nächsten Schritt sackte der Boden plötzlich ab. Er war an eine Treppe gekommen, und sehr unelegant stolperte er und fiel sie herab. Unten blieb er erstmal benommen liegen, dann rappelte er sich auf und sah sich um.

Er war in einer großen Halle gelandet, die ebenfalls nicht erleuchtet war, aber sie hatte riesige Fenster, durch die er das Schneetreiben draußen sehen konnte. Er lief durch die Halle, und das laute Geräusch seiner Schuhe machte ihm Angst. Rasch stellte er sich ans Fenster und sah hinaus. Es schneite wirklich ziemlich stark, und er dachte an Herbert und an Sarah. Aber Sarah war wenigstens sicher im Grab. Und Herbert? Hoffentlich wurde er nicht eingeschneit oder so. Alfred leckte sich nervös die Lippen. Wer sollte ihn denn hier wieder herausholen, wenn Herbert nicht wiederkam?

Alfred hatte sich auf das Fensterbrett gesetzt und den Kopf auf die Knie gestützt. Langsam wurde es sehr kalt, aber er wagte es nicht, weiterzulaufen. Irgendwie hatte er sich bei seinem Sturz das Knie verletzt, und außerdem hatte der Professor ihm immer eingeschärft, wenn er jemals verloren ging, sollte er immer an der Stelle warten, wo ihm das aufgefallen war. Natürlich war Alfred öfter verloren gegangen, aber es war nicht immer klug gewesen, zu warten. Denn der Professor hatte meist viel später gemerkt als er, dass er nicht mehr da war.
Jetzt starrte er hinaus in die Nacht und summte leise vor sich hin, um seine Angst zu vertreiben. Er versuchte, leise ein Lied zu singen, das er als Kind gekannt hatte, aber es war unheimlich, in so einem riesigen Raum zu singen, wo es von allen Enden widerhallte, als würden noch mehr Leute mit ihm singen. Tote vielleicht. Er schauderte.
"Herbert, komm doch wieder", flüsterte er und schlang die Arme fest um seine Beine, während er angestrengt in das Schneegestöber starrte.

Völlig durchgefroren kam Herbert wieder im Schloss an. Leider hatte er für den Rückweg länger gebraucht als gedacht, da er einem Rudel Wölfe hatte ausweichen müssen, das ihm sonst hätte gefährlich werden können. Bald schon würde der Morgen dämmern und er machte sich ein wenig Sorgen um Alfred. darum lief er auch sehr schnell die Gänge entlang.
Zuerst sah er im Kaminzimmer nach, aber dort war Alfred nicht. Auch in der Gruft und im Badezimmer war er nicht mehr. Er würde doch nicht so dumm gewesen sein, bei dem Wetter raus zu gehen? Besorgt eilte Herbert die Gänge entlang, bis er schließlich eine leise Stimme aus einem der großen Säle hörte. Schnell lief er in die Richtung und riss die Tür des Saales auf.

"Alfred!" rief er erleichtert und lief auf ihn zu. "Warum bist du hier in diesem ungemütlichen Teil des Schlosses. Hier ist es so kalt und finster. Du musst ja völlig durchgefroren sein!" Er schloss ihn in die Arme.

Alfred war so froh, Herbert zu sehen, dass er ihn seinerseits umarmte. Dann ließ er ihn jedoch erschrocken wieder los. "Du bist ja selbst eiskalt!", rief er. "War es beschwerlich? Es tut mir leid, ich habe mich verlaufen! Ich habe hier die ganze Zeit auf dich gewartet, und es war so kalt und unheimlich, Herbert!"

Er schlang die Arme um sich, stand auf und humpelte neben Herbert her. "Gehen wir ins Kaminzimmer?"

Herbert nickte. Da er selber völlig durchgefroren war hielt er das für eine sehr gute Idee. "Du humpelst ja Alfred!" sagte er und stützte ihn fürsorglich. "Hast du dich verletzt? Du hast sicher Hunger, nicht wahr? Keine Angst, ich lasse dich gleich von mir trinken, Chérie."
Das Kaminzimmer war jedoch nicht leer als sie ankamen. In dem Sessel vor dem Kamin saß Herberts Vater und sah nachdenklich und abwesend in die Flammen. Er blickte jedoch auf, als er die beiden hereinkommen hörte.

"Stören wir dich, Vater?" fragte Herbert, während er Alfred auf das Sofa verfrachtete. Er wollte sich sein Knie ansehen.

"Nein" von Krolock machte eine freundlich einladende Bewegung. "Du warst heute aus? Warst du erfolgreich?"

"Ja. Wie steht es mit dir? Hast du schon einen neuen Gast für unseren Ball gefunden?"
"Nein. Darüber wollte ich mit dir sprechen. Das Dorf hat im Moment seinen Reiz für mich verloren. ich würde mich gerne mal wieder in etwas weiterem Umkreis umsehen. Es kann also sein, dass das Schloss in manchen Nächten in deiner Hand ist, Herbert."
Herbert nickte. Es war nicht das erste Mal, dass sein Vater weitere reisen unternahm. Und er hatte ja jetzt Alfred, der ihm Gesellschaft leistete.

"Wie ich sehe versteht ihr euch noch immer gut?" von Krolock blickte wohlwollend zu den beiden hinüber.

Alfred nickte schüchtern. Er fragte sich, ob er wohl wieder wütend werden würde, wenn er sich nach einiger Zeit immer noch nicht in Herbert verliebt hatte. Aber wie sollte er das denn machen? Eigentlich bemühte er sich ja schon, aber er bekam es einfach nicht hin.
Er verzog ein wenig das Gesicht als Herbert seine Hose hochschob um sich sein Knie anzusehen. Es war schon ein bisschen blau, aber Alfred hatte schon schlimmere blaue Flecken gehabt.
"Das ist nicht so schlimm", sagte er leise, fast schon flüsternd, um den Grafen bloß nicht zu stören.

Herbert streichelte zärtlich über Alfreds Knie. Es sah schmerzhaft aus, aber ungeschickt wie Alfred war hatte er sich wahrscheinlich schon schlimmere blaue Flecken geholt. Er musste noch besser auf ihn aufpassen, damit sein Liebling sich nicht andauernd verletzte.
"Du brauchst wirklich jemanden, der auf dich aufpasst, Chérie" sagte er, während er immer noch Alfreds Bein streichelte. "Ich möchte auf gar keinen Fall, dass du dich noch einmal verletzt. Ich habe mir die ganze Zeit Sorgen um dich gemacht während ich weg war, mein Schöner."

Der Feuerschein des Kamins ließ Alfreds Augen noch glänzender erscheinen und Herbert hätte sich am liebsten vorgebeugt, um ihn zu küssen. aber wahrscheinlich hätte Alfred aufgeschrieen und damit Herberts Vater erzürnt. Also begnügte er sich damit näher zu rutschen und Alfreds Hand in seine zu nehmen und diese sanft zu küssen. Er küsste jeden einzelnen Finger und dann die empfindlichen Stellen zwischen den Fingern.

Der Graf hatte sich hoheitsvoll in seinem Sessel zurückgelehnt und sein Blick schweifte in die Ferne, ohne dass er Alfred und seinen Sohn weiter beachtete.

Alfred wurde sehr rot im Gesicht, als Herbert seine Hand nahm und sie küsste. Er sah leicht nervös zu Herberts Vater, aber der schaute nicht einmal her und wirkte sehr abwesend.
Alfred zuckte zusammen, als Herbert etwas mit seiner Hand anstellte, und er sah fasziniert zu, wie er sie kunstvoll küsste. Es fühlte sich ganz kribbelig an, und einen Moment war er nahe dran, zu kichern. Er spürte so ein komisches Glucksen im Bauch, das heraus wollte, aber ein Kichern hätte den Grafen oder Herbert oder beide sicher verärgert. Aber es musste trotzdem heraus, und als er den Mund aufmachte und versuchte, nicht zu kichern, kam stattdessen ein leises Seufzen heraus.

Er wurde noch röter und zog seine Hand schnell aus Herberts Griff. Seine Wangen brannten, und er sah schnell ins Feuer.

Herbert sah erfreut zu Alfred. ganz offensichtlich hatte die Behandlung ihm gefallen. Diesmal zog er seine Hand nicht zurück, weil er es unangenehm fand, sondern weil er selber darüber erschrak, dass er es mochte. Herbert hatte langsam eingesehen, dass er es mit Alfred langsam angehen musste, wenn er wirklich eine Chance haben wollte und er war bereit dazu. allerdings wollte er Alfred jetzt trotzdem sehr gerne nahe sein. So nahe wie möglich.
Dass der Junge jetzt auch noch so aufreizend errötete war fast zu viel für ihn.

"Alfred, wollen wir uns hinlegen, damit du von mir trinken kannst?" fragte er mir vor Erregung leicht zitternder Stimme.

"Ja, gut", sagte Alfred sofort und stand auf. "Gute Nacht, Herr Graf", flüsterte er, um höflich zu sein und ihn aber doch nicht zu stören, verneigte sich ein bisschen und ging dann neben Herbert in Richtung Gruft, nachdem Herbert seinem Vater ebenfalls gute Nacht gesagt und ihm einen Kuss gegeben hatte.

Beim Laufen sah Alfred auf seine Hand herab, und er biss sich auf die Lippe. Das hatte sich phantastisch angefühlt. So etwas hatte er noch nie erlebt. Es hatte gekitzelt und geprickelt und gekribbelt, und er sah immer noch staunend seine Hand an, als sie ankamen.

Er wandte Herbert den Rücken zu und zog sich aus, um dann mit ihm in den Sarg zu steigen. Etwas scheu sah er ihn an.

"S-soll ich wirklich von dir trinken?", fragte er. Er hatte Hunger, aber er hatte solche Angst, dass ihm wieder das peinliche passieren würde. Er sah Herbert furchtsam an.

Herbert hatte es auf dem Weg hierher kaum ausgehalten ohne über Alfred herzufallen. Er hatte einfach zu süß ausgesehen, wie er neben ihm die Gänge entlanggelaufen war. Immer ein wenig verunsichert und scheu, so als könne ihn jeden Moment etwas aus der Dunkelheit anspringen.
Und auch, dass er ihm jedes Mal den Rücken zudrehte, wenn er sich auszog, obwohl sie gleich darauf fast nackt im Sarg nebeneinander liegen würden ... und dann legte er seine Kleider immer extrem ordentlich auf dem Stuhl zusammen, als seien sie etwas sehr wertvolles...

Herbert liebte einfach alles an ihm. Heute musste er ... er musste ihn einfach küssen.
"Ja Alfred, ich liebe es wenn du von mir trinkst" hauchte er und lehnte sich über Alfred, der gegen den Sarg gelehnt war. "Aber bitte lass mich dir heute vorher einen Kuss geben. Nur einen einzigen..."

Herbert beugte sich vor und seine Lippen näherten sich Alfreds. Halb rechnete er damit, dass Alfred schreien oder ihn zurückstoßen würde, aber er wollte es darauf ankommen lassen. er verzehrte sich nach Alfreds sinnlichen Lippen. Und wenn er schon nicht derjenige war, der ihn ausgesaugt hatte, dann sollte ihm doch wenigstens sein erster Kuss gehören...