Kapitel 10
Alfred drückte sich an den kalten Sarg hinter ihm, und er wäre
zurückgewichen, wenn er gekonnt hätte. Aber es ging keinen
Millimeter mehr zurück, und ängstlich sah er, wie Herbert
sich ihm näherte und dann die Augen schloss.
'Herbert', wollte er sagen, aber da fühlte er schon Herberts
Lippen auf seinen. Seine Hand, die sich an Herberts Brust gelegt
hatte, um ihn zurückzuschieben, rutschte kraftlos etwas tiefer,
aber sonst erstarrte er…Was sollte er denn jetzt tun? Er hatte
noch nie jemanden geküsst, er wusste gar nicht wie das ging.
Unsicher versuchte er, die Lippen ein bisschen zu bewegen, so wie
Herbert das tat. Er hätte ihn gerne gefragt, ob er es richtig
machte, aber natürlich konnte er das nicht. Sicher machte er es
sowieso nicht sehr gut.
Er sah, dass Herbert immer noch die Augen
geschlossen hatte, und zögerlich schloss er seine auch.
Vielleicht würde es ja dann besser gehen.
Herbert vergaß in dem Moment als seine Lippen Alfreds berührten
alles andere. Jeder andere Mann, den er in den Jahrhunderten geküsst
hatte, war aus seinem Gedächtnis verschwunden und es gab nur
noch ihn. Alfreds Lippen waren weich und warm und unglaublich zart
für einen Mann. Zuerst hielt er ganz still, aber dann küsste
er vorsichtig zurück. Herbert stöhnte leise auf vor Glück.
Endlich rannte Alfred nicht mehr von ihm davon.Auch wenn es nur
ein Kuss war bedeutete das für ihn doch unendlich viel. Er
fühlte sich wie im siebten Himmel. Eine Hand legte er an Alfreds
Hinterkopf um ihn näher zu ziehen und die andere um seinen
Körper um ihn zu stützen, während seine Zunge jetzt
fordernder Alfreds Mund erforschte.
Alfred zuckte zusammen, als er plötzlich Herberts Zunge in
seinem Mund fühlte, und einen Moment lang wollte er sich ihm
entziehen, aber dann legte sich der erste kleine Schreck, und er
entspannte sich wieder ein bisschen.Herbert schien es nichts
auszumachen, dass er nicht soviel machte. Und er musste zugeben, dass
er überwältigt war. Das war also Küssen. Es fühlte
sich sehr ungewohnt an, und es machte ihn unsicher, aber gleichzeitig
war es unglaublich toll, und soweit er das beurteilen konnte, konnte
Herbert es wirklich gut. Nie würde er das mal so
hinkriegen.
Sehr zögerlich bewegte er jetzt auch seine Zunge,
und er öffnete kurz die Augen, ob Herberts Züge irgendetwas
verrieten. Aber der hatte immer noch die Augen geschlossen und schien
ganz konzentriert, also machte auch Alfred die Augen wieder zu. Er
legte eine Hand unsicher auf Herberts Schulter und berührte dann
mit seiner Zunge vorsichtig Herberts spitze Zähne. Er musste ein
bisschen lächeln. Das hier war wirklich toll.
Es gefiel Alfred. Herbert war so froh darüber, dass er ganz
weiche Knie bekam und sich jetzt selber ein wenig an Alfred
festhalten musste. Dass Alfred jetzt sogar selber ein wenig die
Initiative ergriff ließ ihn noch mutiger werden. Er streichelte
mit einer Hand Alfreds Hals und ließ die andere tiefer, bis zu
seinem Po gleiten. Alfred zuckte kurz zusammen, hielt dann aber
wieder still.Schwer atmend löste Herbert sich schließlich
von ihm. Wenn er jetzt nicht aufhörte würde er sich nicht
mehr zurückhalten können, das wusste er. Und er wollte
Alfred dadurch nicht verschrecken. Einen Moment blieb er mit
geschlossenen Augen stehen, rang nach Atem und versuchte seine
Fassung wieder zu finden.
Dann sah er Alfred lächelnd an.
"Du küsst phantastisch, Liebling" hauchte er. "Und
jetzt..." Er glitt in den Sarg und streckte sich auf den
Polstern aus. Verführerisch bog er den Hals zurück. "Trink
so viel du willst, Mon Cher."
Herbert ließ Alfred etwas atemlos zurück, als er sich von
ihm löste. Benommen lehnte er sich an den Sarg, und er war schon
wieder leicht errötet, weil Herberts Hand an seinem... Po
gelandet war. Das war irgendwie aufregend gewesen, und peinlich
zugleich.Jetzt kletterte er ihm hinterher in den Sarg, und er
rang etwas mit sich, bevor er dann die Zähne in Herberts weißem
Hals versenkte. Beim Anblick seiner durchscheinenden, pochenden
Halsschlagader konnte er einfach keinen klaren Gedanken mehr
fassen.
'Herbert hat gesagt, ich kann gut küssen.' Das ging
ihm durch den Kopf, als das warme Blut in seine Kehle lief, und er
schloss überwältigt die Augen. Wieder kroch diese Wärme
in ihn und nahm von ihm Besitz, und zwar überall. Sie
durchspülte jedes Körperteil, und Alfred spürte voll
Scham, wie ihm tatsächlich das gleiche passierte wie gestern. Er
rückte mit der Hüfte ein wenig von Herbert ab, trank jedoch
weiter. Dieses süße Blut war das Beste, was er je gekostet
hatte.
"Ja gut so Liebling" flüsterte Herbert und drückte
Alfreds Kopf an seinen Hals. Wenn Alfred nur wüsste, was er mit
ihm anstellte. Herbert war gar nicht mehr wirklich er selbst. Leider
rückte Alfred etwas von ihm ab, so dass er dessen Erregung nicht
mehr spüren konnte, aber er selbst war auch erregt, oh ja...
Er
konnte auch nicht verhindern, dass er wieder näher zu Alfred
rutschte und sich an ihn presste. Seine Hände liebkosten Alfreds
Oberkörper und er glaubte fast, dass er hätte kommen
können, wenn es noch etwas länger gedauert hätte.
Alfred ließ keuchend von ihm ab und schnappte nach Luft. Seine
Lippen waren dunkelrot von Blut und Herbert richtete sich etwas auf,
um ihn sauber zu küssen.
Dann ließ er sich wieder
zurücksinken und zog Alfred mit sich.
"Hat es dir
gefallen mich zu küssen?" flüsterte er. "und
trinkst du gerne von mir?"
Alfred fühlte sich berauscht, und zum ersten Mal in seinem Leben
für den Moment wirklich frei. Er war noch nie betrunken gewesen,
aber er schätzte, dass es sich ungefähr so anfühlen
könnte. Sein Kopf war ganz leicht, seine Glieder schwer, es
drehte sich ihm alles, aber auf eine angenehme Weise, und er fühlte
das Blut heiß durch seinen Körper rauschen.Er drehte
den Kopf, um Herbert anzusehen. "Ja", sagte er und lächelte
leicht. Er fühlte immer noch diese Härte, und irgendwie
hatte es sich gut angefühlt, als Herbert sich so an ihn gepresst
hatte. Es war gar nicht schmerzhaft gewesen, wie er es erwartet
hätte.
"Ich... ich hab ja noch nie jemanden so geküsst",
gestand er. "Aber es war wirklich toll!" Er stellte sich
vor, wie es wäre, Sarah zu küssen, aber davon fing er jetzt
lieber nicht an. Das hätte Herbert jetzt sicher sehr
verletzt.
"Ich hätte nie gedacht, dass es sich so gut
anfühlt", gab er zu. "Es war wirklich sehr schön,
Herbert." Er lächelte ehrlich. Doch dann wurde er etwas
ernster. "Und ich trinke auch sehr gerne von dir. Nur... Immer
wenn ich es tue, dann..." Er verstummte errötend und wies
in Richtung seiner Körpermitte. Es war ihm peinlich, aber wenn
er sich jemandem anvertrauen konnte, dann Herbert. "Wozu ist das
gut?", fragte er. "Passiert das jedem dabei?"
"Wozu ist das gut?" wiederholte Herbert entsetzt Alfreds
Frage und sah ihn ungläubig an. aber dann wurde ihm klar, dass
Alfred wirklich nicht wusste was los war. Beinahe wäre er in
schallendes Gelächter ausgebrochen, aber er wusste, dass er
Alfred damit verletzt hätte. Also hielt er sich nur kurz die
Hand vor den Mund, bis er sich wieder beruhigt hatte. "Man
sollte doch wirklich denken, dass du zumindest über die
wichtigsten Sachen des Lebens bescheid weißt, Cherie, wenn du
schon der Assistent eines Professors bist, der sich angeblich für
den Fortschritt der menschlichen Natur einsetzt." sagte er Kopf
schüttelnd. "Aber wahrscheinlich war Abronsius so sehr auf
den Fortschritt aus, dass er die Fortpflanzung völlig
vernachlässigt hat, nicht wahr?" Herbert lachte in sich
hinein. "Nun ja" er wurde wieder ernst. "das was da
mit dir passiert ist notwendig, wenn du dich mit jemandem vereinigen
willst. Sei es nun mit einem Mann oder einer Frau. Ich kann nicht
glauben, dass du dir niemals Gedanken darüber gemacht hast, was
nach dem Küssen kommt Alfred. Du musst doch..." er sah
Alfred an und streichelte ihm dann sanft über die Wange.
"Überkommt dich nicht manchmal das Gefühl, dass du
unbedingt berührt werden willst? Verzehrst du dich nicht
manchmal danach? Hast du dich denn noch nie selbst berührt? Aber
zumindest Träume musst du doch gehabt haben, nicht wahr?"Er
sah Alfreds verwirrten und fast etwas ängstlichen blick. "Kein
Angst, Cherie. Ich werde dich nach und nach alles lehren was du
wissen musst." flüsterte er. "Und dann wird dir
niemand mehr widerstehen können."
Alfred schwirrte schon wieder Kopf. Fortpflanzung? Sich selbst
berühren? Träume?Er blinzelte verwirrt. Fortpflanzung
hatte er schon bei Tieren beobachtet, vor allem bei den vom Professor
so sehr geliebten Fledermäusen. Paarung war das, wovon Herbert
hier redete. Er hatte nie so recht einen Zusammenhang zwischen Mensch
und Tier hergestellt, und er hatte auch noch nie eine Frau nackt
gesehen. Woher sollte er denn wissen, wie das ging?
Er wand sich
etwas unter Herberts Fragen und nickte dann. "Doch", sagte
er. "Doch, komische Träume habe ich schon gehabt, aber der
Professor hat immer nur geschimpft wenn ich das Bett beschmutzt
habe."
Er dachte beschämt daran, wie es ihm das erste
Mal passiert war, und wie sie beide erst angenommen hatten, er habe
ins Bett gemacht. Er wäre am liebsten im Boden versunken, aber
als sie herausgefunden hatten, was wirklich passiert war, war es kein
bisschen besser geworden. Der Professor hatte ihm nicht mal erklärt,
was das war.
"Aber ich habe mich da nie angefasst",
sagte er fast stolz. "Der Professor hat gesagt, das wäre
ungesund. Aber gegen die Träume konnte ich ja nichts tun.
Gestern... gestern hatte ich wieder einen." Er wurde knallrot
und sah Herbert fast hilfesuchend an. Er kam sich so unglaublich dumm
vor, und es wunderte dass Herbert ihn nicht lange schon ausgelacht
und stehen lassen hatte. Der wusste irgendwie alles, und Alfred war
froh, dass er es ihm erklärte.
Er runzelte die Stirn. "Aber
Herbert", sagte er nachdenklich. "Wenn das notwendig ist
zur Vereinigung, warum passiert es dann jetzt? Ich habe doch nicht
vor, mich mit irgendwem zu verinigen."
"Du hast es vielleicht nicht vor" sagte Herbert mit einem
verschmitzten Lächeln. "Aber dein Körper denkt
offensichtlich anders darüber. Das kann man nunmal nicht immer
beeinflussen. Immerhin warst du mir gerade sehr nahe und auch das
Bluttrinken ist äußerst erregend... da ist es ganz normal,
dass dir das passiert." Er lächelte Alfred an. "Ich
freue mich jedenfalls, dass es dir in meiner Gegenwart passiert. Das
bedeutet immerhin, dass du meine Gesellschaft genießt. Denk
nicht mehr daran, was der Professor dir darüber erzählt
oder nicht erzählt hat. Er ist nur ein vertrockneter alter Mann,
der von diesen Dingen keine Ahnung hatte."Enthusiastisch
griff er nach Alfreds Händen und hielt sie in seinen fest.
"Alfred." begann er. "Gehst du mit mir zum nächsten
Mitternachtsball? der Ball am ersten Dezember ist immer etwas ganz
besonderes. Das ganze Schloss wird hell erleuchtet sein und es kommen
Vampire von weit her. Und um Mitternacht tanzen wir ein Menuett im
Schnee. Ach Alfred es wird phantastisch sein, mit dir zusammen dort
hin zu gehen! versprichst du es mir diesmal?"
Alfred sah ihn
überrascht an, als er nach seinen Händen griff und ihn dann
mit leuchtenden Augen bat, mit ihm zum Ball zu gehen. Alfred wurde es
ein bisschen schwerer ums Herz.
"Du bist wirklich sehr nett",
sagte er vorsichtig. "Aber ich würde doch am liebsten mit
Sarah gehen." Immerhin würde er sie bis dahin wohl nicht
mehr sehen, und wenn er an sie dachte, vermisste er sie schon ganz
schön. Er musste daran denken, wie sie ihn auf den Mund geküsst
hatte. Das war ja noch nichts gewesen im Vergleich zu Herberts Kuss,
aber er wollte es so gerne ausprobieren, wie es wäre, Sarah so
zu küssen. Wenn er daran dachte wurde ihm wieder ganz heiß.
Er
sah Herbert ein wenig ängstlich an. Er wollte ihn nicht
verärgern oder enttäuschen, aber er freute sich schon so
sehr darauf, mit Sarah zum Ball zu gehen... mit ihr zu tanzen... Und
vielleicht könnte er sie im Mondlicht küssen. Das wäre
das allerschönste auf der Welt für ihn.
Herberts Lächeln verschwand und er sah Alfred beinahe kalt an.
Sarah. Immer wenn es gerade besonders gut lief kam sie ihm
dazwischen. Sie war einfach nicht aus Alfreds Gedanken zu vertreiben,
egal was er tat. Und Alfred, der sonst so schüchtern und ja,
beinahe feige war, riskierte für diese Frau alles. Sogar, dass
er wütend auf ihn wurde und ihm aus dem Schloss warf. Und für
einen Moment spielte er wirklich mit dem Gedanken. Sollte Alfred doch
ein paar Nächte auf dem kalten Friedhof schlafen und selber für
seine Nahrung verantwortlich sein. Wahrscheinlich würde er in
weniger als einer Woche wieder zu ihm zurückgekrochen kommen und
darum flehen, dass er sich wieder um ihn kümmerte. Dann würde
er ja sehen, dass Sarah keinen Finger für ihn rührte..."Dann
geh doch mit deiner Sarah zum Ball" fauchte er "Es gibt
genug andere Vampire die sich freuen werden, wenn ich sie darum
bitte." Tief gekränkt drehte er sich zur Seite und starrte
an die Seitenwand des Sarges. Noch nie hatte es jemand gewagt, ihn so
zu verletzen. Was fand Alfred bloß an dieser Sarah? Hatte sie
jemals etwas für ihn getan? Einen lächerlichen Schwamm
hatte sie ihm geschenkt ... er konnte sich nicht eingestehen, dass
Alfred scheinbar wirklich in Sarah verliebt war und, dass weder die
schönen Kleider, noch die gute Behandlung dagegen ankommen
konnten.
Er lag noch lange wach und hörte Alfred neben sich
atmen.
Am nächsten Abend stand er auf, bevor Alfred
erwachte und verließ den Sarg. Heute legte er ihm keine neue
Kleidung bereit und er sorgte auch nicht dafür, dass Kerzen
angezündet wurden. Sollte Alfred doch selbst sehen, wie er sich
zurecht fand. Immer noch tief gekränkt zog er sich in die
abgelegensten Zimmer des Schlosses zurück. Er wollte heute
niemanden sehen.
Auf dem kalten verschneiten Friedhof erwachte
Sarah aus ihrem Schlaf. Missmutig stellte sie fest, dass sie sich
immer noch auf dem Friedhof befand und der Graf nicht gekommen war um
sie zu holen. Hatte Alfred nicht ein gutes Wort für sie einlegen
wollen? Hatte er sie jetzt etwas auch vergessen? Sie beschloss
nachzusehen.
Alfred erwachte, und als erstes fiel ihm auf, dass er ziemlich düster
war. "Herbert?", flüsterte er und griff neben sich,
aber er griff ins Leere. Jetzt fiel ihm auch wieder alles von gestern
wieder ein, und er bekam ein ganz blödes Gefühl im Bauch,
fast wie Magenschmerzen.Er kletterte aus dem Sarg und tastete
sich vorwärts. Heute lagen keine neuen Kleider für ihn
bereit, also zog er die alten an, die schließlich auch heute
noch bezaubernd schön waren.
"Herbert?", rief er
leise in die Dunkelheit, aber nichts rührte sich. Da er jetzt
ungefähr wusste, wo der Ausgang war, bewegte er sich vorsichtig
darauf zu, fand ihn und ging in den Flur. Aber auch dort war es
stockduster. Alfred fing sofort an, sich zu fürchten.
Er
ahnte, dass heute die Kerzen extra wegen ihm nicht angezündet
worden waren. Weil Herbert böse auf ihn war. Aber was sollte er
denn tun? Er liebte nun einmal Sarah, und er konnte Herbert doch
nicht anlügen. Dass er ihm die Wahrheit sagte, war doch nun
wirklich kein Grund, derart beleidigt zu sein und auch noch die
Kerzen nicht anzumachen, fand er. Das war schon fast gemein.
Aber
seine Wut hielt sich nicht lange - wenn es überhaupt wirklich
Wut gewesen war, und er begann, sich vorsichtig die Wand entlang zu
tasten. Aber nach einer Weile kam ihm das so sinnlos vor, und er ließ
sich daran herabsinken und legte das Gesicht in die Hände. Er
war Herbert so ausgeliefert. Er konnte sich nicht ernähren, er
konnte nichts sehen... Er war so ein schlechter Vampir und auf
Herberts Gunst angewiesen. Aber er konnte doch nicht lügen, nur
um sich Vorteile zu verschaffen.
Er schniefte leise und sah
ängstlich in die Dunkelheit um sich. Irgendwann würde schon
jemand über ihn stolpern und ihn irgendwo hinbringen.
Sarah gelang es ohne größere Probleme sich in das Schloss
zu schleichen. Nicht einmal die Tür war verriegelt. Sie wusste
zwar von Herbert, dass es nicht erwünscht war, dass Vampire
einfach in das Schloss kamen, aber sie hatte ja auch nicht vor, sich
erwischen zu lassen.Außerdem war es eine bodenlose
Unverschämtheit, sie einfach auf dem Friedhof liegen zu lassen.
Immerhin war sie etwas Besonderes. Sie erinnerte sich noch gut daran,
was der Graf ihr alles versprochen hatte. Hier sollten ihre kühnsten
Wünsche erfüllt werden und dazu gehörte es ganz
bestimmt nicht auf dem kalten Friedhof herumzuliegen.
Sie hatte
sich schon mit einigen anderen Vampiren unterhalten und
herausgefunden, dass es vielen so ging wie ihr. Allerdings hatten
sich die meisten in ihr Schicksal gefügt und waren trotzdem mit
ihrem Vampirleben zufrieden. Schon die allmonatlichen prunkvollen
Bälle schienen sie zufrieden zu stellen. Aber Sarah hatte es
sich in den Kopf gesetzt, den Grafen zurück zu erobern. Und
Alfred würde ihr dabei helfen.
Auch über Herbert hatte
sie einige interessante Dinge in Erfahrung bringen können und
alles deutete darauf hin, dass es Alfred bald nicht anders gehen
würde als ihr. Sie musste also die Gunst der Stunde nutzen
während Alfred noch etwas Besonderes war und Privilegien hatte.
Als Vampir hatte Sarah jegliche Skrupel abgelegt.
Sie fand
Alfred ein paar Gänge von der Gruft entfernt kläglich am
Boden sitzend. Allein.
"Na? Bist du jetzt auch schon im Stich
gelassen worden?" fragte sie fast schadenfroh.
Alfred sah auf, und selbst in der Dunkelheit erkannte er Sarah. Rasch
stand er auf, und ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht
aus."Sarah!", rief er voller Freude und griff nach
ihren Händen. "Wie schön, dass du da bist!"
Er
konnte es kaum fassen, dass sie wirklich vor ihm stand. Sie war zu
ihm gekommen, hatte ihn gesucht. Vielleicht hatte sie Sehnsucht nach
ihm gehabt. Sein Herz klopfte freudig in seiner Brust.
"Ich
habe dich so vermisst! Ich bin... etwas ausgeliefert alleine. Weißt
du, ich kann noch nicht so gut im Dunkeln sehen, aber das kommt
sicher noch!", beeilte er sich zu versichern. "Und Herbert
ist böse auf mich, weil er mit mir zum nächsten Ball gehen
wollte. Aber ich habe gesagt, dass ich mit dir gehen möchte. Das
willst du doch auch, oder, Sarah? Diesmal werde ich richtig schöne
Kleider haben, nicht so wie das letzte Mal. Siehst du?" Er sah
an sich herab. "Herbert hat sie mir gegeben, sind sie nicht
bezaubernd?"
Vor Freude plapperte er wie ein Wasserfall.
"Was möchtest du denn tun? Wollen wir vielleicht im
Mondschein Spazieren gehen?" Seine Wangen färbten sich
rötlich, als er daran dachte, dass er Sarah dann vielleicht
küssen könnte. Ihre Lippen auf seinen... Ihm lief ein
wohliger Schauer den Rücken hinab.
Sarah sah ein bisschen neidisch an Alfred hinab. Seine neuen Kleider
waren wirklich wunderschön und aus erlesenen Stoffen gefertigt.
Ihr Ballkleid hingegen hatte bei der Flucht im Wald schon ein wenig
gelitten und war an mehreren Stellen zerrissen. Sie brauchte
unbedingt ein neues.Die Vorstellung mit Alfred zum Ball zu
gehen begeisterte sie nicht gerade sehr. Sie sah sich schon in den
Armen des Grafen. Aber wahrscheinlich war es besser sich diese Option
offen zu halten...
Also lächelte sie Alfred freundlich an. "Nun, wir
werden sehen, was die Zukunft bringt" sagte sie ein wenig
unbestimmt. "Der Ball ist ja noch fast einen Monat hin."
Sie sah sich auf dem Gang um. "Lass uns lieber wieder in dieses
gemütliche Zimmer gehen, in dem wir letztes Mal waren. Draußen
war ich lange genug. Ich muss mich unbedingt ein wenig
aufwärmen."Sarah hatte eine gute Orientierung.
Selbstsicher schritt sie durch die Gänge, knapp gefolgt von
Alfred und stieß schließlich die Türen zu dem Zimmer
auf. "Herrlich" sagte sie begeistert und ließ sich
auf eins der weichen Sofas sinken. Dann sah sie Alfred Stirn runzelnd
an. "Aber was ist das eigentlich mit Herbert und dir? Was will
er von dir? Das ist doch geradezu widernatürlich. Zwei Männer
auf einem Ball... das habe ich ja noch nie gehört." Sie
schüttelte den Kopf. "In unserem Dorf sind mal zwei Jungen
dabei erwischt worden, dass sie sich geküsst haben. Sie wurden
weggejagt."
"Was? Warum?", fragte Alfred erstaunt.
"Herbert liebt mich, sagt er. Deswegen war er sehr enttäuscht,
dass ich mit dir zum Ball gehen möchte. Und es tut mir auch sehr
leid für ihn, denn er ist so nett zu mir."
Er sah Sarah
ein wenig fragend an. "Ist es denn nicht in Ordnung, wenn zwei
Jungen sich küssen? Bei Herbert fand ich es jedenfalls nicht
schlimm. Und er meinte auch, dass das normal wäre. Er hat mir
ganz viel erklärt!" Er strahlte und legte Sarah schüchtern
eine Hand auf den Arm. Wenn er sie so ansah, würde er sie am
liebsten sofort in seine Arme ziehen und so küssen, wie Herbert
gestern ihn geküsst hatte. Und dann...
Sein Kopf wurde ganz
heiß, als er rot anlief. Er wollte sich gerne mit Sarah
vereinigen, das merkte er. Er wusste nicht einmal genau, wie es ging,
aber es musste wunderbar sein wenn schon Küssen so berauschend
war. Aber natürlich würde er warten, bis Sarah es auch
wollte.
An dieser Stelle wollen Sevvie und ich uns nochmal ganz herzlich für eure Reviews bedanken! Jedes einzelne ist wirklich unheimlich motivierend für uns.
