Kapitel 11
"Du hast Herbert geküsst?" fragte Sarah und verzog
angewidert das Gesicht. "So ist das also. Du lässt dich von
ihm aushalten und machst sogar solche Sachen mit, damit er dich hier
im Schloss schlafen lässt. Das ist wirklich abartig Alfred."
Sie schüttelte sich. "Es ist ganz und gar nicht normal,
wenn zwei Männer sich küssen. Man darf nicht einmal daran
denken. Ich verstehe nicht, wieso der Graf so etwas duldet."
Sie
beugte sich vor und gab Alfred einen kleinen Kuss auf die Lippen.
"Siehst du? das ist normal" sagte sie. "Und das fühlt
sich auch viel besser an, nicht wahr? Lass so etwas bloß nicht
noch einmal mit dir machen, hörst du? egal was Herbert dir
erzählt."
Sie sah Alfred, der jetzt ziemlich verwirrt
wirkte an. Eigentlich war er ja ganz hübsch und er hatte ihr ja
am Anfang auch sehr gut gefallen. Warum sollte sie nicht...? Jetzt
konnte sie ja alles tun was ihr gefiel. Mit einem Lächeln auf en
Lippen beugte sie sich vor, um Alfred zu küssen.
Alfred war völlig durch den Wind. Was sollte er denn nun
glauben? Das, was Herbert ihm sagte (und zeigte), oder das, was Sarah
sagte?
Aber eigentlich gefiel ihm Herberts Version besser. Er
konnte sich schließlich überhaupt nicht vorstellen, dass
es auf irgendeine Weise irgendwem schadete, wenn man einen Mann
küsste. Ihm war schließlich auch nichts passiert, im
Gegenteil. Er konnte davon ja nur lernen.
Er wollte gerade
widersprechen und sagen, dass er das überhaupt nicht mit Herbert
machte, um ausgehalten zu werden, als sich die Ereignisse plötzlich
überstürzten. Eben noch fühlte er Sarahs weiche Lippen
fest auf seinen und wähnte sich im siebten Himmel, und er wollte
gerade anfangen, anzuwenden, was er gestern gelernt hatte, als die
Tür sich öffnete und der Graf hereinkam.
"Was geht hier vor?" donnerte von Krolock. "Sarah, wer hat dir erlaubt mein Schloss zu betreten. Alfred, wo ist mein Sohn?"
Sofort fühlten sich Alfreds Gliedmaßen weich wie Pudding
an, und er sah mit offenem Mund zu ihm hinauf. Er war böse, und
wie.
"Ich... ich weiß nicht, wo Ihr Sohn ist",
stammelte er ängstlich. "Er war böse auf mich, weil...
weil ich mit Sarah zum Ball wollte, und... Es tut mir leid, ehrlich!"
Von Krolock musterte Alfred und Sarah, die ihn vom Sofa aus
verschreckt anstarrten einen Moment. Er mochte es ganz und gar nicht,
wenn jemand ohne seine Einladung das Schloss betrat. Außerdem
war er im Moment sowieso nicht in der besten Stimmung, da er noch
immer keinen neuen Menschen gefunden hatte, der es schaffte sein
Interesse zu wecken.
Und offensichtlich lief es mit Alfred und
seinem Sohn nicht so, wie Herbert es sich gewünscht hatte. Auch
das verdross ihn.
"Verlasst auf der Stelle mein Schloss"
befahl er, während er sich in einem der Sessel niederließ.
"Herr Graf" begann Sarah und sprang auf. "Es ist
nicht so ... wir..."
Von Krolock machte nur eine
wegwischende Handbewegung zur Tür hin, die keinen weiteren
Widerspruch duldete.
Sarah warf Alfred einen wütenden Blick
zu und lief dann zur Tür. Ohne darauf zu achten ob Alfred ihr
folgen konnte lief sie die Gänge entlang. Erst am Tor angekommen
drehte sie sich wütend zu ihm um. "Was fällt dir ein
mich zu küssen, du ... du Verräter? Was soll der Graf jetzt
von mir denken?"
Alfred starrte Sarah völlig verdattert an. "Was? Aber...
aber du hast doch mich..." Er sah Sarah an und legte ihr
dann eine Hand auf den Arm. "Der Graf denkt sicher nicht
schlecht von dir!", versuchte er sie zu beruhigen. "Er ist
nicht so gut gelaunt in letzter Zeit, glaube ich. Aber das beruhigt
sich sicher wieder! Und außerdem..." Er hob die Hand und
strich vorsichtig über Sarahs Wange. "Mach dir darüber
doch keine Gedanken. Ich jedenfalls mag dich sehr, Sarah. Ich liebe
dich. Ich tue alles für dich."
Er lächelte sie an
und trat dann einen Schritt vor, um sie auf den Mund zu küssen.
Sarah hatte jetzt nicht mehr den Nerv mit Alfred Zärtlichkeiten
auszutauschen. Aus ihrer Sicht hatte es so gewirkt, als sei der Graf
beleidigt, weil sie einen anderen geküsst hatte. Immerhin war
das ein gutes Zeichen, dachte sie, denn er wäre sicher nicht
eifersüchtig, wenn ihm nicht noch etwas an ihr liegen würde...
Schade, dass er sie nicht hatte erklären lassen. das Dumme war,
dass Alfred jetzt da er aus dem Schloss geworfen worden war und
Herberts Gunst wahrscheinlich auch verloren hatte wirklich nichts
mehr wert war.
Naja, sie konnte ihn sich ja immerhin warm
halten. Vielleicht würde er ja irgendwann noch zu etwas gut
sein. Also küsste sie ihn schließlich ein wenig
widerwillig zurück. Im Grunde küsste Alfred gar nicht so
schlecht musste sie zugeben. Und es war ja auch ein wenig rührend,
wie sehr er in sie verliebt war. Aber gegen den Grafen war er nunmal
... gar nichts.
Sie lächelte ihn entschuldigend an. "In
meinen Sarg kann ich dich leider nicht mitnehmen Alfred. Dort ist
nicht genug Platz für uns zwei. Außerdem könnte der
Graf auf falsche Gedanken kommen. Du wirst dir einen anderen Ort
suchen müssen. Ein bisschen Zeit ist ja noch bevor die Sonne
aufgeht, nicht wahr?"
"Aber... aber Sarah!" Alfred lief zwei Schritte hinter
Sarah her, als die sich einfach umwandte und ging, stolperte über
einen Grabstein und fiel der Länge nach in den Schnee. Rasch
rappelte er sich wieder auf, aber Sarah war bereits von der
Dunkelheit verschluckt worden.
Alfred ließ die Schultern
hängen, drehte sich um und sah auf das mächtige Schloss,
das vor ihm in den Himmel ragte. Jetzt war er also verstoßen
worden. Und das nur weil er ein Mädchen liebte. Herbert hatte
ihm doch gestern noch versichert, dass er ihn nicht kränkte,
sondern lediglich zu seinen Gefühlen stand. Aber das war vor dem
Kuss gewesen, und vielleicht hatte der ja etwas geändert.
Vielleicht hatte er Herbert ja irgendwelche Hoffnungen gemacht, ohne
es zu wollen.
Er schlang die Arme um sich und sah sich verloren
in der Dunkelheit um. Wo sollte er denn jetzt hin? Er musste sich
irgendetwas suchen, aber er konnte doch unmöglich an jedes Grab
klopfen. Und bald würde der Morgen anbrechen, und dann wäre
er verloren.
Er machte ein paar zögerliche Schritte nach
rechts, dann nach links und drehte sich dann einmal im Kreis. Würde
Herbert ihn denn wirklich sterben lassen, nur weil er jemand anderen
liebte? Das konnte er doch nicht machen.
"Herbert!",
rief er, dann legte er sich die Hände an den Mund und rief noch
einmal. "Herbert!"
Herbert wischte sich über seine rotgeweinten Augen und erhob
sich von der Fensterbank, auf der er die Nacht verbracht hatte.
Während er in den Nachthimmel geschaut und die Sterne betrachtet
hatte, war seine Enttäuschung der altbekannten Melancholie
gewichen. Er wünschte sich bei Alfred zu sein, in dessen Nähe
er sich immer auf eine gewisse Art fröhlicher und lebendiger
fühlte. Warum konnte Alfred ihn nicht lieben? Warum musste er
Sarah wählen?
trotzdem hatte er jetzt Sehnsucht nach ihm.
Wahrscheinlich war Alfred ganz verloren ohne ihn. Er brachte es
einfach nicht übers Herz, Alfred sich selbst zu überlassen.
Herbert öffnete immer noch sehr geknickt die Tür zum
Kaminzimmer. "Gute Nacht Vater. Hast du Alfred irgendwo
gesehen?" fragte er ein wenig verschnupft.
"Allerdings"
Von Krolock stand auf und ging seinem Sohn entgegen. "Eben
gerade habe ich ihn hier mit Sarah überrascht."
"Mit
Sarah?" Herbert brach sofort wieder in Tränen aus und
diesmal schluchzte er wirklich. "Wie kann er mir das nur
antun?"
Von Krolock legte ihm einen Arm um die Schultern und
reichte ihm ein Taschentuch. Es war nicht das erste Mal, dass er
Herbert wegen so einer Sache trösten musste. "Er war doch
nur irgendein gewöhnlicher Bauernjunge" sagte er
beruhigend. "Du findest schnell wieder jemand anderen."
"Nein,
das war er nicht" schluchzte Herbert. "Alfred ist etwas
Besonderes."
Herbert nahm das Taschentuch seines Vaters und tupfte sich die Augen.
Dass Alfred sofort zu Sarah gegangen war, war wirklich hart. Aber so
war es nunmal. Alfred liebte Sarah und daran konnte er nichts ändern.
Trotzdem war es sehr sehr traurig und ungerecht. Er schluchzte noch
eine Weile an der Brust seines Vaters, der ihm über den Kopf
streichelte. Dann sah er auf.
"Wo sind die beiden jetzt?"
fragte er mit verweinter Stimme.
"Ich habe sie natürlich
sofort aus meinem Schloss geworfen." antwortete von Krolock und
wischte Herbert eine Träne von der Wange.
"Auch
Alfred?" fragte Herbert entsetzt.
"Natürlich auch
Alfred. Was willst du denn noch mit ihm?" fragte der Graf
überrascht.
"Mein armer Alfred" Herbert löste
sich von seinem Vater. "Er wird sich draußen niemals
zurechtfinden und Sarah lässt ihn ganz sicher nicht in ihrem
Sarg schlafen. Ich muss ihn finden, bevor es hell wird."
Geradezu
panisch stürzte er aus dem Raum und der Graf sah ihm Kopf
schüttelnd nach.
Herbert eilte durch die Gänge und sah
sich dann gehetzt im verschneiten Schlossgarten um. Er fühlte
jetzt schon das Nahen des Tages. Dann hörte er Alfreds Stimme,
die ihn rief und erleichtert lief er darauf zu.
"Alfred,
mein Liebling!" rief er, während er ihn in die Arme
schloss. "Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe. Warum
verlässt du denn das Schloss?"
Alfred war sehr erleichtert, als Herbert nach einer kurzen Weile
geradezu auf ihn zugeschossen kam und ihn auch noch in die Arme
schloss. Hier draußen war es bitterkalt.
"Aber dein
Vater hat uns hinausgeworfen!", sagte er. "Ich bin doch
nicht freiwillig hinausgegangen! Ich habe mich im Schloss nicht
zurechtgefunden weil es dunkel war, und auf einmal war Sarah
da..."
Er sah Herbert etwas reumütig an. Würde der
vielleicht gleich wider wütend werden wenn er von Sarah redete,
und ihn dann doch hier draußen erfrieren lassen oder ihn dem
Tageslicht ausliefern?
"Ich war froh, dass mich jemand
gefunden hatte", erklärte er hastig. "Und dann sind
wir ins Kaminzimmer gegangen, wo dein Vater uns gefunden hat."
Er sah Herbert hilflos an. "Ich weiß nicht was ich machen
soll, Herbert! Ohne dich bin ich ausgeliefert, aber ich kann nicht
anders, als Sarah zu lieben! Was soll ich denn tun, sag es mir,
Herbert! Ich werde wirklich alles tun damit -"
Er stockte,
als er im licht des Mondes Herberts Augen sah. "Hast du geweint,
Herbert?", fragte er bestürzt.
Herbert wischte Alfreds letzte Bemerkung mit einer Handbewegung zur
Seite. "Ja, aber jetzt geht es mir schon wieder besser."
Er
nahm Alfreds Arm und geleitete ihn zurück zum Schloss. "Ich
war zwar wütend und enttäuscht, aber ich würde dich
nicht aus dem Schloss werfen, weil du jemand anderen liebst. Mein
Vater ist bei so etwas immer ein wenig aufbrausend. Außerdem
habe ich dir doch erzählt, dass er bei seinen ehemaligen
Liebhabern immer ein wenig empfindlich reagiert."
Er seufzte
auf. "Aber warum muss es denn ausgerechnet Sarah sein, Alfred?
Sogar jetzt hat sie dich einfach stehen lassen. Bist du wirklich so
viel glücklicher wenn du mit ihr zusammen bist? Bedenke doch,
was ich dir alles geben kann. Sie will doch eigentlich meinen Vater.
Das musst du doch einsehen. Ich bin derjenige, der dir alles geben
kann was du dir wünscht Alfred."
"Was!" Alfred blieb kurz stehen, aber Herbert zog ihn
weiter. "Sie will deinen Vater? Das... das kann nicht sein, sie
hat mich doch geküsst! So wie du, Herbert! Dann muss sie mich
doch lieben!"
Er blickte verwirrt zu Boden. Sagte Herbert das
vielleicht nur, weil er etwas zwischen ihn und Sarah treiben wollte?
Er konnte sich nicht vorstellen, dass Sarah ihn vielleicht nur
benutzte und so mit seinen Gefühlen spielte.
Dennoch …
Sarah hatte sich ja wirklich ein bisschen verändert. Und da war
noch etwas... "Sarah hat gesagt, dass wir uns geküsst haben
war abartig. Sie meinte, es sei widernatürlich", sagte er
zu Herbert. "Was stimmt denn nun? Das was du sagst, oder das was
sie sagt?
"Das was ich sage natürlich" fauchte Herbert. "Hat
es sich denn etwa abartig angefühlt? Meine Güte Alfred, du
warst sogar erregt danach. Da musst du doch wissen, dass es nicht
falsch sein kann." Er schüttelte fassungslos den Kopf.
Eigentlich war er allerdings viel aufgebrachter darüber, dass
Alfred immer noch nicht wahr haben wollte, hinter wem Sarah wirklich
her war. War er denn vollkommen blind vor Liebe? Das konnte man sich
ja nicht anhören.
Er drehte sich zu Alfred, packte ihn an den
Schultern und presste ihn an die steinerne Wand des Ganges. "Jetzt
hör mir mal zu Alfred. Sarah hat ihr Dorf verlassen, weil mein
Vater sie gerufen hat. Sie hat dabei keinen Gedanken an dich
verschwendet. als sie hier war wollte sie sich auf gar keinen Fall
von dir retten lassen und mit dir fliehen. Sie ist mit meinem Vater
auf den Ball gegangen und hat sich sozusagen freiwillig von ihm
beißen lassen. Ihr konntet sie nur mit Gewalt von hier
wegbringen. Sie will meinen Vater und nicht dich. Sieh das doch
endlich ein! Ich bin derjenige der dich will Alfred. Mehr als alles
andere!
Alfred riss die Augen auf, als Herbert ihn an die Wand warf, und mit
offenem Mund hörte er dessen Worte. "Das ist nicht wahr!",
brachte er dazwischen hervor, aber Herbert beachtete seinen Einwand
gar nicht. Alfred wurde ganz schwach und merkwürdig im Magen,
als er sich das anhören musste, und er spürte auf einmal,
wie seine Lippe anfing zu zittern und ihm die Augen schwammen. Er
riss sich jedoch zusammen.
"Das stimmt nicht, Herbert",
sagte er, aber nur wenig überzeugend, und er ließ den Kopf
hängen. Irgendwo wusste er schon, dass es stimmte, aber er
wollte es absolut nicht wahrhaben. Sarah war doch damals so nett zu
ihm gewesen - wie sie ihn angesehen hatte...
Er zog die Nase hoch,
um Fassung bemüht, und sah wieder zu Herbert hoch. Wenn er ihm
wehtun hatte wollen, so wie er ihm selbst weh getan hatte, dann hatte
er es geschafft.
Herbert brach es fast das Herz Alfred so traurig zu sehen. Er
wünschte jetzt fast er hätte diese Dinge nicht gesagt, da
er Alfred schließlich nicht einmal trösten konnte. Aber er
hatte es einfach sagen müssen...
"Vielleicht irre ich
mich ja auch" brachte er mühsam über die Lippen. Aber
er konnte einfach nicht mit ansehen, wie Alfreds Augen feucht wurden.
Er würde doch nicht etwa anfangen zu weinen. Wegen
Sarah?
"Vielleicht hat sie einfach noch nicht erkannt, was
für ein wunderbarer Mann du bist Alfred" beeilte er sich zu
sagen und schüttelte über sich selbst den Kopf. "Bestimmt
merkt sie es noch, hm?"
Er geleitete Alfred sanft zu ihrem
sarg. "Du hast mir eben einen solchen Schrecken eingejagt.
Versprich mir bitte, dass du nicht mehr ohne mein Wissen das Schloss
verlässt. Du weißt ja gar nicht wie gefährlich das
Tageslicht für uns ist."
Fast schon gewohnheitsmäßig
half er Alfred bei den komplizierten Verschnürungen an dessen
Kleidung. "Hast du Sarah zum Ball eingeladen?" fragte er
schweren Herzens.
Alfred schüttelte nur den Kopf. Herberts Worte trösteten
ihn auch nicht mehr wirklich, und er wischte sich immer wieder über
die Augen. Sein Herz war ein schwerer kalter Klumpen in seiner Brust,
und er wollte Herbert noch nicht einmal mehr daran erinnern, dass er
nicht freiwillig das Schloss verlassen hatten.
Als Herbert seine
Verschnürungen für ihn geöffnet hatte, wandte er sich
ab und zog sich aus, dann stieg er mit hängendem Kopf in den
Sarg und legte sich still auf seine Seite. Seine Augen waren immer
noch ganz feucht, aber er riss sich zusammen. Trotzdem schmerzte es
ihn so, zu fühlen, dass an Herberts Worten etwas Wahres war.
Vielleicht liebte Sarah ihn wirklich nicht. Sie schien wirklich viel
faszinierter von dem Grafen zu sein, jetzt, wo er drüber
nachdachte.
Alfred schluckte schmerzlich und blinzelte ein paar
Mal, um die Tränen drin zu behalten, aber es half nichts, und
eine rollte ihm über die Schläfe auf den dunkelroten Samt
des Sarges.
"Alfred" Herbert stieg ebenfalls in den Sarg und ließ
sich neben Alfred nieder. Ein wenig hilflos sah er auf ihn hinab.
Jetzt ging es Alfred genauso wie ihm selbst eben gerade. Aber für
Alfred war es wahrscheinlich besser, wenn er einsah, dass Sarah nicht
besonders viel an ihm lag. Dann konnte sie ihn vielleicht wenigstens
nicht mehr ausnutzen.
"Cherie..." sagte er beruhigend.
„Sie ist es doch wirklich nicht wert, dass du so traurig wegen ihr
bist. Du bist wirklich etwas ganz Besonderes."
Er legte sich
hinter ihn und zog ihn an sich, so dass sie jetzt fest aneinander
gedrückt waren. Sanft küsste er Alfreds Hals und
streichelte über seine Arme. "Versuch einfach nicht mehr so
viel an sie zu denken."
'Das sagst du so!', dachte Alfred, aber er konnte nichts sagen, weil
er so einen Kloß im Hals hatte. Er ließ sich von Herbert
umarmen, aber er fühlte sich einsam, und jetzt überschwemmten
die Tränen wirklich seine Augen und tropften eine nach der
anderen auf den weichen Samt.
Zuerst wischte er sie unwillig weg,
aber dann ließ er sie eine Weile laufen, weil es ja doch
irgendwie gut tat.
Schließlich versiegten sie, und er
drehte sich in Herberts Armen um, so dass er ihn ansehen konnte.
Herbert war wirklich außerordentlich hübsch, und Alfred
dachte sich, wenn er auch so hübsch wäre, würde Sarah
ihn vielleicht doch lieben können. Oder wenn er so anmutig und
beeindruckend wäre wie der Graf. Aber so war er eben nicht. Er
war tollpatschig und ängstlich, und in so jemanden verliebte man
sich wohl nicht. Nur Herbert...
"Wenn ich dich lieben würde,
Herbert, dann wäre alles viel einfacher", sagte er und
lächelte ein bisschen.
"Wenn du dich in mich verlieben würdest, dann wäre ich
im siebten Himmel" sagte Herbert seufzend. "Ich würde
dich auf Händen tragen..."
Er streichelte Alfred über
das Haar. "Du würdest mich zum glücklichsten Vampir
von allen machen." sanft küsste er Alfred eine Träne
von der Wange. "Aber Sarah ist nunmal diejenige, die du liebst.
Und vielleicht sieht sie wirklich ein, dass du ihr mehr geben kannst,
als mein Vater. Mein Vater ist ein sehr charismatischer Mann, aber er
würde sich niemals verlieben. Jedenfalls nicht für länger
als einen Abend. Das wird Sarah auch noch einsehen und dann..."
er schluckte und beendete den Satz lieber nicht.
"Alfred,
so gern ich es auch möchte, ich darf dich nicht aufhalten"
sagte er schließlich. "Wenn du lieber bei Sarah sein
willst als bei mir, dann werde ich dich nicht mehr zurückhalten.
Morgen Nacht werde ich meinen Vater bitten für euch einen
größeren Sarg zur Verfügung zu stellen, damit du bei
ihr schlafen kannst." Er schluckte bei Gedanken daran, wie
einsam sein Sarg ihm ohne Alfred vorkommen würde. Selbst wenn
Vincent neben ihm schlief fühlte er sich alleine, so wie Alfred
sich wahrscheinlich neben ihm alleine fühlte. "Nach einer
Weile wird sie dann sicher sehen, was sie an dir hat." Jetzt
kämpfte auch er wieder mit den Tränen. "Ich möchte
nicht, dass du traurig bist, Cherie."
In Alfred erwachte wieder etwas Hoffnung, und seine Augen leuchteten
wieder ein wenig. Das war unglaublich nett von Herbert, und er würde
das sicher immer zu schätzen wissen. Wenn er sich vorstellte, er
müsste Sarah und dem Grafen dabei helfen, zusammen zu kommen,
wurde ihm sehr mulmig. Und so musste das für Herbert
sein.
"Aber ich dachte... Meinst du denn, Sarah würde
mich wirklich deinem Vater vorziehen?" In seinen Augen hatte er
gegen den Grafen kaum eine Chance, aber trotzdem hatte er jetzt seine
Hoffnung wieder. Dank Herbert.
"Vielen Dank, Herbert",
flüsterte er, und dann hob er einen Arm und legte ihn um
Herbert, so wie dessen Arme um ihn selber lagen. Er lächelte,
aber er sah, dass Herbert traurig war und dass seine Augen
glitzerten. "Bitte sei nicht traurig", sagte er leise. "Ich
verdanke dir wirklich soviel und... und du findest bestimmt einen
netten anderen Vampir. Ich bin doch nichts, das man ins Schaufenster
stellen möchte." Das hatte er schon öfter über
sich gehört, und er fürchtete, dass es wahr war. Er war
eher etwas, was man im Hinterstübchen versteckte, schätzte
er.
Er winkelte den Arm an und strich Herbert etwas unbeholfen
mit den Fingern übe die Wange. Das machte der manchmal bei ihm.
und es fühlte sich immer sehr schön und tröstend an.
Er wollte Herbert auch gern trösten.
