Kapitel 13
Herbert war ein wenig überrumpelt, als Alfred so schnell kam.
Aber eigentlich hätte er damit rechnen müssen. Außerdem
fand er es absolut überwältigend, dass Alfred wirklich so
erregt gewesen war. Wahrscheinlich war es auch gut, dass er heute
Nacht nicht weiter gegangen war. Alfred sollte langsam an alles
herangeführt werden. Er wollte ihn schließlich nicht doch
noch verschrecken.
Im Moment sah Alfred allerdings eher so aus,
als schwebe er auf Wolke sieben. Herbert gab ihm einen ganz zarten
Kuss auf die Lippen und legte sich dann glücklich neben ihn.
Seine Finger tanzten über Alfreds jetzt überempfindliche
Haut, während er ihn lächelnd beobachtete.
"Das
war natürlich noch nicht alles" konnte er es sich nicht
verkneifen zu sagen.
"Was?" Alfreds Augen fokussierten sich mit Mühe auf
Herberts Gesicht neben ihm, und sein Gesicht trug den erstaunten
Ausdruck eines Kindes, das hört, dass draußen noch ein
weiterer Berg Geschenke auf es wartet, weil nicht alle unter den
Christbaum gepasst haben.
"Ich... ich dachte... uh... Geht es
noch weiter?" Er fragte sich, wie er jetzt noch weitermachen
sollte. Er fühlte sich völlig fertig, und eigentlich war
alles, was er wollte, die Augen zuzumachen und eine Weile vor sich
hinzudösen. Vorsichtig rückte er näher an Herbert
heran und drängte sich ein wenig an ihn. Das schien er jetzt zu
brauchen.
Ja, aber nicht heute. Ein andermal." sagte Herbert sanft und zog
Alfred an sich. Zärtlich strich er ihm eine Haarlocke aus der
verschwitzten Stirn. Er glaubte nicht, dass Alfred jetzt noch weiter
gekonnt hätte und obwohl er selbst noch nicht gekommen war
genoss er es jetzt einfach neben Alfred zu liegen. Es war schön
wie nah sich dieser an ihn drückte. Im Moment dachte er ganz
bestimmt nicht an Sarah. Zumindest hoffte Herbert das.
Draußen
tobte noch immer der Sturm, aber wenigstens für eine Weile war
es ihm gelungen Alfred davon abzulenken. Er zog die Decke wieder hoch
und küsste Alfreds Hals. "Ruh dich jetzt einfach ein wenig
aus, Cherie. Ich passe auf dich auf."
Alfred lächelte glücklich. Ihm hatte noch nie jemand
gesagt, dass er sich ausruhen sollte, und dass derweilen auf ihn
aufgepasst wurde. Dass er sich keine Sorgen machen und keine Angst
haben musste...
Ihm war ganz warm, und er schloss die Augen und
kuschelte sich an Herbert. Er fühlte sich so gut und so ganz,
dass er mühelos davondöste. Im Halbschlaf streckte er den
Arm aus und legte ihn um Herbert, und er seufzte leise und schlief
ein.
Als er erwachte, lag er immer noch genauso da. Er konnte
nicht allzu lange geschlafen haben, aber er fühlte sich erholt.
Und es war sehr schön, so Arm in Arm mit jemandem aufzuwachen.
'Sarah...', dachte er verschlafen, aber dann fiel ihm alles wieder
ein, und die Röte und ein glückliches Lächeln krochen
ihm ins Gesicht. Er hatte sich mit Herbert vereinigt. Und es war
umwerfend gewesen.
Er öffnete die Augen und sah Herbert an.
Der lag neben ihm und hatte die Augen geschlossen. "Herbert?",
flüsterte Alfred. "Bist du wach? Ich würde dich jetzt
gerne auf dem Flügel spielen hören."
Herbert schlief nicht. Er hatte es einfach nur genossen wie Alfred
neben ihm lag. So warm und weich und verletzlich. Noch nie zuvor
hatte er so sehr das Gefühl gehabt, dass er auf etwas aufpassen
wollte, dass er jemanden beschützen wollte. Bislang war er immer
derjenige gewesen, der Schutz gebraucht hatte und der verwöhnt
worden war. Aber bei Alfred war er der Stärkere und das war ein
schönes Gefühl.
Er hoffte nur so sehr, dass Alfred
jetzt bei ihm bleiben würde. Ihn jetzt noch zu verlieren hätte
ihm das Herz gebrochen.
Als Alfred ihn ansprach schlug er die
Augen auf und sah ihn verliebt an. "Natürlich spiele ich
dir gern etwas vor." Er erhob sich und reichte Alfred die Hand
um ihm dabei zu helfen aus dem Sarg zu steigen. dann zog er ihn noch
einmal in seine Arme und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Er
wusste, dass er heute wundervoll spielen würde und er freute
sich darauf, für Alfred zu spielen.
"Möchtest du
das hier anziehen?" fragte er voller Begeisterung und hielt
Alfred ein prächtiges Bordeauxrotes Kleidungsset hin. "Oder
as hier?" Er griff nach einen nachtblauen. "Das würde
deine wunderschönen Augen hervorheben!"
Alfred hielt sich die Hände vor den Schritt, als er merkte, dass
er immer noch völlig nackt war. Er nickte verlegen zu dem
nachtblauen Set, nahm es mit einer Hand entgegen und drehte sich dann
um, um sich anzuziehen. Herbert musste ihm wieder mit den
Verschnürungen helfen, und beeindruckt sah Alfred an sich herab,
als er fertig war. So schöne Kleider hatte er noch nie
besessen.
Er hielt sich an Herbert fest, und der führte ihn
sicher durch die Gänge. Draußen war es immer noch
stürmisch, und Alfred ängstigte sich. Aber nicht mehr so
sehr, denn er war sich jetzt ganz sicher, dass Herbert auf ihn
aufpassen würde. Und das war ein tolles Gefühl.
Schließlich
kamen sie in einen Saal, der so mit Kerzen erleuchtet war, dass auch
Alfred etwas sehen konnte. Und was er sah, beeindruckte ihn
zutiefst.
Der Saal hatte riesige Fenster, vor denen Schneewehen
hin und her tosten, und davor stand ein großer, glänzend
schwarzerFlügel. Alfred ging ehrfürchtig darauf zu, blieb
in der Mitte des Saales jedoch ziemlich verloren stehen und sah zu
Herbert. Er freute sich schon sehr darauf, ihn spielen zu hören.
"Gefällt dir unser Musikzimmer?" fragte Herbert
euphorisch und machte eine weit ausladende Armbewegung. "Ich
liebe es. Vater hat es extra für mich einrichten lassen. Ist es
nicht fantastisch?" Er strahlte Alfred an und begleitete ihn
dann zu einem gepolsterten Stuhl, von dem aus normalerweise sein
Vater ihm zuhörte. Enthusiastisch drückte er Alfred darauf
und lief dann zum Flügel. "Was möchtest du hören?"
fragte er, während er zärtlich über das glänzend
schwarze Holz des Flügels strich.
Aber als er Alfreds
verwirrten Gesichtsausdruck sah wusste er, dass er diesen damit
vermutlich in Verlegenheit brachte. "Wie wäre es mit etwas
von Chopin?" fragte er deshalb schnell. "Nocturne Opus 27?
Das spiele ich besonders gern. Oder Beethovens Sonata Numero 14? Die
Mondscheinsonate?" Er ließ sich elegant am Flügel
nieder und sah Alfred erwartungsvoll an. Noten brauchte er schon
lange nicht mehr. Viele der endlosen Nächte hatte er sich hier
oben am Flügel vertrieben.
Das wilde Schneetreiben draußen
und Alfred neben ihm machten den Moment, in dem er zu spielen begann,
zu einem der schönsten in seinem endlosen Leben.
Alfred konnte die ganze Zeit, während Herbert spielte, die Augen
nicht von ihm lassen. Er spielte so gefühlvoll und
leidenschaftlich, dass er den Blick nicht von ihm losreißen
konnte. So etwas Schönes hatte er kaum jemals zuvor gesehen oder
gehört, und er war völlig gebannt davon. Die Tatsache, dass
Herbert nur für ihn spielte, machte ihn ganz glücklich. Er
hätte ihm stundenlang zuhören und zusehen können.
Ihm
wurde ganz warm, und er lächelte. Er wünschte wirklich,
Herbert würde nie wieder aufhören. Er dachte gar nicht mehr
an den Sturm oder an die Dunkelheit - ja, nicht einmal an Sarah. Er
hatte nur Augen für Herbert.
Herberts Wangen waren gerötet und er war völlig entrückt,
als er schließlich aufhörte zu spielen. Zuletzt hatte er
für Alfred noch Beethovens neunte Symphonie gespielt, die seit
je her zu seinen Favoriten zählte. Fast ein wenig atemlos sah er
ihn an.
Alfred hatte die ganze Zeit über andächtig
gelauscht und auch jetzt ließ er kein Zeichen von Ungeduld
erkennen. "Es tut mir leid" sagte Herbert, während er
sich erhob und den Deckel schloss. "Wenn ich spiele vergesse ich
die Zeit."
Er warf einen Blick nach draußen. Der Sturm
hatte sich gelegt und der Schnee fiel jetzt ruhig zur Erde. "Ich
hoffe ich habe dich nicht gelangweilt."
Alfred beeilte sich sofort, den Kopf zu schütteln. "Überhaupt
nicht!", versicherte er eifrig. "Es war einfach wundervoll!
Du spielst so schön, ich hätte ewig zuhören
mögen!"
Seine Wangen waren ebenfalls etwas gerötet
vor Begeisterung. So wie er sich im Moment fühlte, hätte er
sich Herbert am liebsten um den Hals geworfen und nicht mehr
losgelassen. Ob Herbert denn überhaupt wusste, was er ihm alles
gab? Er passte auf ihn auf, er schenkte ihm Kleider, er spielte für
ihn auf dem Klavier, er zeigte ihm - Dinge... Das alles bedeutete
Alfred so unheimlich viel.
"Herbert?", sagte er, stand
auf und sah etwas verlegen zu Boden. "Ich möchte mich bei
dir bedanken. Du... du bist wirklich sehr gut zu mir, auch wenn ich
dir gar nichts zurückgeben kann."
Herbert fühlte wie er bei Alfreds Worten wieder etwas
melancholischer wurde. "Du gibst mir viel zurück Cherie"
flüsterte er. "Selbst wenn du meine Gefühle nicht
erwidern kannst (noch nicht erwidern kannst, dachte er) ist es für
mich wundervoll in deiner Nähe zu sein." Er zog Alfred an
sich und führte ihn ein paar Tanzschritte durch den Raum. Dann
blieb er stehen und nahm Alfreds Gesicht zwischen seine Hände.
Ernst sah er ihn an. "Wenn du nicht in meiner Nähe wärest
Alfred, dann würde mein Herz wehtun." flüsterte
er.
Gerade wollte er Alfred noch einmal auf die Lippen küssen,
als die Flügeltüren des Raumes geöffnet
wurden.
Herbert sah überrascht auf. Sein Vater stand hoch
aufgerichtet in der Tür und sah sie beide an. Er wirkte alles
andere als erfreut. "Herbert. Ich möchte mit dir reden"
sagte er knapp.
Herbert sah Alfred entschuldigend an und folgte
dann ein wenig erschrocken seinem Vater.
Alfred sah mit großen Augen zu Herbert auf. 'Der Graf!', dachte
er, und gleich wurde ihm wieder angst und bange. 'Sicher hat er etwas
dagegen dass ich wieder im Schloss bin und wird mich wieder
hinauswerfen.'
Ängstlich sah er Herbert hinterher, und er
streckte die Hand nach ihm aus, als er schon längst außerhalb
seiner Reichweite war. Über sich selbst den Kopf schüttelnd
ließ er die Hand sinken und blieb verloren in dem großen
Saal stehen. Ohne Herbert fühlte er sich gleich wieder fehl am
Platze, und ihm war auch gar nicht mehr warm. Zögerlich trat er
ans Fenster, legte eine Hand an die Scheibe und lehnte die Stirn
dagegen.
Von Krolock hatte die Arme verschränkt und sah seinen Sohn
streng an, als dieser aus dem Saal zu ihm kam. Wortlos ging er den
Gang entlang in das nächste dunkle Zimmer und Herbert folgte ihm
verwirrt. Es gefiel ihm gar nicht Alfred allein lassen zu müssen.
Der würde sich bestimmt wieder ängstigen, aber er musste
wissen, was sein Vater von ihm wollte.
"Vater, was ist los?"
fragte er drängend.
Von Krolock wandte ihm den Rücken zu
und sah aus dem Fenster in das Schneetreiben. "Du hast ihn also
wieder zurückgeholt?"
"Ja natürlich"
Herbert trat einen Schritt näher. Er wusste nicht worauf sein
Vater hinaus wollte. "Ich liebe ihn."
Von Krolock lachte
tief auf.
"Wirklich!" beteuerte Herbert gekränkt.
"Mehr als ich geglaubt habe Vincent zu lieben."
Der Graf
drehte sich zu seinem Sohn um. "Ich weiß Herbert. Aber
sein Herz gehört nicht dir."
Herbert sah zu Boden.
"Jetzt vielleicht noch nicht, aber ..."
Sein Vater
schüttelte den Kopf. "Du kannst ein Herz nicht ändern.
Seine Liebe zu Sarah hat sein Vampirwerden überdauert, dann wird
sie auch alles andere überdauern."
Herbert schüttelte
trotzig den Kopf. "Ich fühle, dass er sich in mich
verlieben wird. Ich weiß es einfach. Heute..."
"Herbert"
Von Krolock legte ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn näher.
"Was wenn dir auch Alfred nicht das geben kann, was du brauchst?
Was wenn es zu spät ist wenn du es bemerkst? Ich kann nicht mit
ansehen wie die Ewigkeit unerträglich für dich wird und wie
sich dein Lebensmut in Todessehnsucht verwandelt." Von Krolock
sah seinen Sohn an und aus seinem Blick sprach seine Angst.
Herbert
sah schweigend zu Boden.
"Wenn du dir seiner Gefühle
sicher bist, dann stelle ihn auf die Probe, solange es noch nicht zu
spät ist. Ich habe heute Sarah klar gemacht, dass meine Gefühle
für sie erloschen sind. Sie will Alfred zurück. Lass ihn
Morgen Nacht zu ihr. Wenn er zu dir zurückkehrt gehört er
dir. Wenn nicht..."
"Nein, das möchte ich nicht" sagte Herbert schnell.
Aber er wusste, dass er eigentlich nur Angst hatte. Angst, dass
Alfred sich wirklich für Sarah entscheiden würde und er ihn
dann ganz verlieren würde.
"Aber ich will es"
sagte sein Vater entschieden. "Wenn dir niocht so viel an ihm
liegen würde, dann wäre es mir gleichgültig. aber ich
habe gesehen wie du ihn ansiehst und ich habe gehört wie du
heute für ihn gespielt hast. So hast du seit Jahren nicht mehr
gespielt Herbert." Er zog seinen Sohn an sich und legte die Arme
um ihn. Dann sah er sorgenvoll in das Schneetreiben. Er hoffte nur,
dass er nicht zu spät eingriff, aber er hatte erst jetzt
wirklich begriffen, wie ernst es Herbert war. Beinahe reuevoll dachte
er daran, dass er selbst es gewsen war, der ihm alfred vorgestellt
hatte, weil er geglaubt hatte, dass der naive schüchterne Junge
eine willkommene Abwechslung für seinen Sohn sein würde.
Dass Herbert sich nach Vincent, der Alfreds komplettes Gegenteil war
ausgerechnet in ihn verlieben würde hatte er niemals gedacht.
Und jetzt hatte er Angst um seinen Sohn.
Alfred war zu gutherzig
und simpel um Herbert mutwillig auszunutzen, aber unbewusst tat er es
trotzdem. Er genoss die Nähe seines Sohnes und re wurde gern
beschützt, aber er liebte Herbert nicht. Nicht so wie er Sarah
liebte.
"Mein Entschluss steht fest" sagte der Graf und
streichelte herbert über die SChultern. "Morgen Abend
bringe ich Alfred zu Sarah. Wenn er nicht von selbst zu dir
zurückkommt musst du dich damit abfinden."
"Aber
sie liebt ihn nicht" beharrte Herbert.
2Sie ist einfach
gestrickt." gab der Graf zurück. "Sie wird sich in ihn
verlieben. Er ist jung, hübsch und freundlich. Sie hätten
sicher geheiratet, wenn sie nicht von mir fasziniert gewesen
wäre."
"Nein" flüsterte Herbert, aber
trotzdem wusste er, dass sein Vater Recht hatte.
Verletzt riss er
sich von ihm los.
Alfred sah hinaus in den Schnee und fürchtete sich vor Herberts
Rückkehr, während er sie zugleich sehnlichst erwartete.
Ohne ihn fühlte er sich hier überhaupt nicht zugehörig,
und erst recht nicht erwünscht. Seit der Graf ihn mit Sarah
erwischt hatte, war er bei ihm wohl unten durch. Fast wünschte
er, er hätte ihn heute Abend zusammen mit Herbert gesehen. Dann
würde er ihn vielleicht wieder mögen.
Sarah... Er kniff
die Augen zusammen, aber wegen der Dunkelheit und dem Schnee draußen
konnte er nicht erkennen, ob man den Friedhof von hier aus sehen
konnte. Er fragte sich, wie es ihr ging, und ob er denn überhaupt
noch hoffen konnte, sich je mit ihr zu vereinigen.
Seine Gedanken
schweiften zurück zum Abend. Was Herbert mit ihm gemacht hatte,
war wirklich das allerschönste auf der Welt gewesen. So schöne
Gefühle hatte er nie zuvor gehabt, und überhaupt fühlte
er sich bei ihm mittlerweile so wohl wie beim Professor die ganzen
Jahre nicht. Herbert passte auf ihn auf. Er widmete sich ihm, sorgte
sich um ihn und gab ihm, was er brauchte.
Und doch zog ihn etwas
zu Sarah, obwohl er mit Herbert viel mehr teilte als mit ihr. Aber
sein Herz schlug immer noch schneller, wenn er an sie dachte. Er
musste sie wieder sehen. Aber wie sollte er das anstellen ohne völlig
Herberts Gunst zu verlieren?
Alfred stand verloren am Fenster. Vielleicht würde das die letzte Nacht sein, die sie zusammen verbrachten. Er machte einen Schritt auf ihn zu.
Alfred fuhr herum, als er Schritte hörte. Er hatte unbewusst mit
dem Finger ein Herz auf die beschlagene Scheibe gemalt. Hastig
wischte er es weg.
Er war erleichtert, als Herbert alleine
zurückkam, aber als er sein Gesicht sah, wurde er wieder
ängstlich. Was, wenn Herbert ihm gleich sagen würde, dass
er gehen sollte? Dass sein Vater recht gehabt hatte und Alfred seine
Aufmerksamkeit gar nicht verdiente?
Alfred griff sich an die
Brust, wo sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog vor Angst. "Herbert,
was ist?", fragte er.
"Nichts" sagte Herbert heiser. Wenn er Alfred jetzt sagte,
dass er Morgen zu Sarah gehen würde, dann würde er sich
nicht mehr zurückhalten können und ihn weinend anflehen bei
ihm zu bleiben. Wahrscheinlich würde er ihn auf Knien darum
bitten. Alfred würde Morgen früh genug erfahren was
geschehen war. Er wollte lieber die heutige Nacht noch mit ihm
genießen.
"Es ging nicht um uns, sondern darum, dass
mein Vater demnächst für eine Weile wegfährt. Er
wollte mir nur ein paar Anleitungen geben. Was möchtest du tun?
Soll ich dir ein warmes Bad einlassen?" Er griff nach Alfreds
Hand, aber sein Lächeln wirkte gequält.
Alfred fiel ein Stein von Herzen, und er lächelte erleichtert.
Im Saal war es kalt, und ein warmes Bad war genau das, was er jetzt
brauchte. Herbert las ihm die Wünsche wirklich von den Augen
ab.
"Sehr gern", sagte er. Er erwähnte lieber
nicht, dass er Sarah gerne wieder sehen wollte. Wenn es sein musste,
würde er sich eben einmal alleine aus dem Schloss stehlen,
obwohl ihm schon beim Gedanken daran die Haare zu Berge standen. Aber
für Sarah würde er es tun.
Herbert geleitete ihn zum
Badezimmer und ließ ihm Wasser ein. Alfred beobachtete ihn, und
irgendwie kam es ihm so vor, als wäre er wegen irgendetwas
geknickt. Vielleicht wollte er ja nicht, dass sein Vater wegfuhr.
Immerhin hatte er ihn sehr gern, das merkte man.
"Dein Vater
bleibt sicher nicht lange weg. Oder?", sagte er und lächelte.
"Und du musst dich ja nicht langweilen. Vielleicht kannst du mir
ein paar Tanzschritte zeigen?" Er zog sich den Gehrock aus und
legte ihn sorgsam über den Stuhl. "Hilfst du mir mit den
Verschnürungen?"
Herbert kniete traurig lächelnd vor Alfred nieder. Der dachte
doch tatsächlich, dass er so unglücklich war, weil sein
Vater wegfuhr. Herbert mochte es tatsächlich nicht, wenn sein
Vater ihn allein ließ, aber dieses Mal hätte es ihm nichts
ausgemacht, weil er ja Alfred hatte. Gehabt hatte.
Er drehte sich
freiwillig um, während Alfred in das Wasser stieg, da es diesem
seltsamerweise ja immer noch unangenehm war, wenn er ihn nackt sah.
aber immerhin war er jetzt gern in seiner Nähe. Das war ein
großer Fortschritt zum Anfang. Aber er wusste, dass sein Vater
Recht hatte. Alfred liebte ihn nicht. Er liebte Sarah. Und wenn
Herbert das weiter zu ignorieren versuchte, dann würde er
vielleicht tiefer verletzt werden, als er ertragen konnte.
Zwischen
Mögen und Lieben war ein großer Unterschied. Wenn nichts
geschah, dann konnte er wahrscheinlich sogar lange so mit Alfred
halbwegs glücklich sein, während dieser sich insgeheim nach
Sarah sehnte. Er konnte sich etwas einbilden was nicht da war, bis er
irgendwann gegen eine Wand prallen würde...
"Ist das
Wasser schön warm?" fragte er um sich abzulenken. Er setzte
sich auf den Wannenrand und hielt eine Hand in das Wasser. Alfred
ließ sich genussvoll zurücksinken.
"Alfred? Wenn
wir jetzt getrennt würden ... glaubst du, du würdest mich
dann vermissen?" fragte er leise.
Alfred öffnete die Augen und sah Herbert erstaunt an. "Aber
natürlich!", sagte er völlig ehrlich und griff nach
Herberts Hand. Er lächelte zu ihm hoch. "Ich würde
dich sehr vermissen. Was bin ich denn ohne dich hier? Ich käme
gar nicht zurecht. Und einsam wäre ich, sehr sogar."
Er
streichelte etwas linkisch mit seinen Fingern über Herberts
Handrücken. "Es tut mir leid, dass ich am Anfang Angst vor
dir hatte. Aber ich wusste nicht, dass Vampire - auch nicht so anders
als Menschen sind." Er lächelte entschuldigend. Er
erinnerte sich noch gut, wie ihm aufgegangen war, dass auch Vampire
Gefühle hatten, wie er selbst. Es hatte ihn damals überrascht,
aber jetzt war es selbstverständlich. Er war jetzt schließlich
auch Vampir, und er hatte eine Menge Gefühle.
"Warum
kommst du nicht auch hinein?", fragte er und rückte
einladend ein Stück beiseite in der großen Wanne. "Es
ist schön warm, und du siehst traurig aus. Bestimmt würde
es dir gut tun."
"Wirklich?" fragte Herbert und sein Herz machte einen
kleinen Sprung. Vielleicht würde Alfred ihn ja gar nicht
verlassen wollen. Vielleicht würde er selbst wenn er bei Sarah
war Sehnsucht nach ihm haben und zurückkommen.
Alfred nickte
nur enthusiastisch
Schon wieder fröhlicher entkleidete
Herbert sich rasch und stieg dann zu Alfred in das warme Wasser. Es
tat wirklich sehr gut. Seine Glieder waren klamm geworden weil er so
lange fast unbeweglich am Klavier gesessen hatte und seine Finger
fast steif gefroren. Genießerisch seufzte er auf, als er neben
Alfred glitt. Ihre Knie berührten sich leicht, aber Alfred
rutschte nicht zur Seite.
"Du hast recht, es ist wundervoll"
flüsterte er und räkelte sich im warmen Wasser.
"Siehst du", sagte Alfred zufrieden. "Und jetzt dreh
dich mit dem Rücken zu mir, dann massiere ich dich. Ich kann das
vom Professor, den habe ich fast jeden Abend massiert, denn er ist
schon langsam steif in den Gliedern geworden", erklärte er
und wärmte sich die Hände auf. Er nahm Herbert bei den
Schultern und drehte ihn so hin, wie er ihn haben wollte. Dann
rutschte er von hinten etwas an ihn heran und begann, ihm sanft die
Schultern zu kneten. Irgendwie wurde er wieder rot dabei,
wahrscheinlich, weil er Herberts Haut so gerne anfasste. Sie war so
wunderschön und fühlte sich so samtig an. Herbert zu
massieren machte richtig Spaß.
"Ist das gut?",
fragte er trotzdem etwas unsicher.
"Oh ja" flüsterte Herbert. Es war das erste Mal, dass
Alfred wirklich die Initiative ergriff. das allein hätte
gereicht um ihn schmelzen zu lassen. Aber was Alfred da mit seinen
Händen tat ... das konnte er wirklich gut. Während er in
allen anderen Dingen, die mit Körperkontakt zu tun hatten sehr
sehr unsicher, aber hierbei schien er wirklich Experte zu
sein.
Herbert stöhnte leise auf, als sich die Spannungen vom
Klavier spielen lösten. Vincent hatte ihn auch schon ab und zu
massiert, aber der hatte immer schnell wieder die Lust verloren,
beziehungsweise Lust auf etwas anderes bekommen.
Herbert hätte
diese Behandlung stundenlang genießen können, aber leider
näherte sich der Morgen.
"Es wird Zeit Alfred"
sagte er leise und plötzlich kehrte seine ganze Traurigkeit
zurück. Impulsiv drehte er sich um und riss den erschrockenen
Alfred in seine Arme so dass das Wasser überlief. dann stand er
abrupt auf.
"Entschuldige mich" brachte er hervor. Dann
schnappte er sich seine Kleider und stürmte aus dem Bad.
Alfred war völlig überrumpelt, als Herbert ihn zuerst
heftig in seine Arme zog, dann aufsprang und völlig übereilt
das Bad verließ. Er hatte sich noch nicht einmal
angezogen.
Alfred stand auf, ließ das Wasser aus der Wanne
und zog sich seine Unterhose über. Seine Kleider nahm er auf
seinen Arm, dann verließ er das Bad und tastete sich vorsichtig
zurück in Richtung Gruft. Obwohl heute wieder mehr Kerzen den
Gang erhellten, war es für ihn immer noch etwas zu dunkel. Aber
er fürchtete sich heute nicht einmal. Er machte sich Sorgen.
Was
war nur mit Herbert los? Wieso war er so traurig und so seltsam? Die
Nacht war doch so schön gewesen...
Und wieso hatte er diese
seltsame Frage gestellt, ob er ihn vermissen würde wenn sie
getrennt würden? Alfred behagte das gar nicht, und Herbert tat
ihm leid.
Weil er nicht aufpasste, lief er gegen die Tür der
Gruft, hielt sich die Nase, während seine Augen tränten,
und trat dann ein. Er legte seine Kleider auf dem Stuhl ab und
kletterte dann in den Sarg, wo Gottseidank schon Herbert lag.
"Was
ist denn los, Herbert?", fragte er besorgt. "Du bist
betrübt. Sag mir doch, was los ist, dann tue ich alles, damit
ich dir helfen kann. Das verspreche ich."
"Es geht mir schon wieder gut" sagte Herbert, sah Alfred
aber lieber nicht an. "Komm, leg dich neben mich. Wenn du bei
mir bist geht es mir sofort besser."
Alfred kletterte in den
Sarg und Herbert zog den Deckel über ihnen zu. Jetzt konnte
Alfred immerhin nicht mehr sehen wie traurig er war. Das hier konnte
doch unmöglich wirklich ihre letzte gemeinsame Nacht sein, oder?
Er brauchte Alfred jetzt schon, das fühlte er. In dieser Nacht
zog er Alfred fest an sich und ließ ihn nicht mehr los, bis der
nächste Abend kam.
Er erwachte davon, dass sein Vater ihn
sanft an der Schulter berührte.
Augenblicklich zog sich sein
Herz zusammen.
"Herbert, es ist besser du gehst jetzt"
sagte von Krolock fest. "Sonst wird es dir nur schwerer fallen
ihn gehen zu lassen." Er sah seinen Sohn mit einem Blick an, der
keinen Widerspruch duldete.
Herbert sah mit traurig auf Alfred
hinab, der sich im Schlaf an ihn gekuschelt hatte. Zärtlich
strich er ihm noch eine goldene Strähne aus dem Gesicht. "Bitte
komm zu mir zurück" flüsterte er unhörbar und
stieg dann aus dem Sarg.
Das Ankleiden fiel ihm heute viel
schwerer als sonst und als er ohne Alfred das Zimmer verließ
kam ihm alles düsterer und leerer vor.
