4. Kapitel

Die große Halle wurde vom Schein der Fackeln erhellt und Aragorn schritt in ungeduldiger Erwartung immer wieder im Saal auf und ab, begleitet von den vielsagenden Blicken der Anderen, die an einem der Tische saßen, wobei er ständig auf die Türe starrte, durch die Frodo und Sam verschwunden waren, um nach Legolas zu suchen. Er hatte es für besser empfunden, wenn Legolas beim Eintreffen seines Vaters an seiner Seite war, denn sonst hätte Thranduil wieder einen Anlass zum Tadeln gefunden und nach ihrer letzten Begegnung wollte Aragorn einen weiteren Zwischenfall dieser Art so lange es ging vermeiden. Es musste nicht noch einen Grund geben, sich um Legolas zu sorgen, denn er hatte seine Beobachtungen auf dem Kampfplatz längst nicht vergessen und er hoffte, dass ihm vor dem Eintreffen der Elben noch Zeit blieb, den Freund zur Rede zu stellen.
Wieder sah er ungeduldig zur Türe und fragte sich, warum die Hobbits so lange ausblieben, als sein Warten endlich ein Ende hatte und die riesigen Flügel aufschwangen. Völlig außer Atem stürmten Frodo und Sam auf Aragorn zu und der Ausdruck ihrer Gesichter veranlassten Eomer und Faramir sich umgehend zu erheben und die Gespräche verstummten augenblicklich.

Sam fand als Erster seine Stimme wieder und zog bei seinen Worten entschuldigend die Schultern hoch.
"Wir haben wirklich überall gesucht, Streicher, aber er ist nicht aufzufinden und niemand hat ihn gesehen. Wir waren sogar im Lager vor der Stadt, aber ebenfalls ohne Erfolg!"
Frodo nickte bestätigend.
"Dann haben wir Tanhis gesucht, weil sie doch sicher wissen würde, wo er sich aufhält, aber sie ist auch weg!"
Frodo wandte sich nach seinen Worten zu den Freunden, denn er wollte Gimli fragen, ob er vielleicht eine Ahnung hatte, wo sich die Beiden befanden. Er war der beste Freund des Elben und würde sicher etwas wissen oder vermuten. Verwundert hielt Frodo inne, als er die Runde vergeblich nach dem Zwergen absuchte.
"Wo ist denn Gimli?", fragte er unvermittelt und erst jetzt fiel auch den Anderen seine Abwesenheit auf.

Aragorn zog die Augenbrauen zusammen und versuchte angestrengt seine Gedanken zu ordnen. Er hatte alle drei Freunde das letzte Mal auf dem Kampfplatz zusammen gesehen und Gimli war mit den Hobbits gegangen, nachdem Legolas zu Boden gegangen war. Dann war ihm dieser entgegengekommen, ohne mit ihm zu reden und auch Tanhis war ihm ausgewichen, als er sie auf den Vorfall angesprochen hatte.
Tanhis und Gimli waren am Morgen beide anwesend gewesen, als die Nachrichten eingingen, dass die Elben bald in Minas Tirith eintreffen würden, aber Legolas hatte er seid dem Vortag nicht mehr gesehen, weder am Abend, noch am nächsten Morgen, um sich an der Beratung für ihr weiteres Vorgehen zu beteiligen. Erst jetzt wurde ihm das Ausbleiben des Freundes bewusst, dass ganz und gar nicht zu ihm passte er machte sich selber den Vorwurf, dass es ihm nicht schon früher aufgefallen war. Er hatte doch mit ihm reden wollen, doch die Vorbereitungen auf die Schlacht hatten ihm keine Zeit gelassen und dabei war es ihm so wichtig gewesen!
Aragorn dachte an das Blut und unweigerlich wurde er von Sorgen gepackt, als er sich das Gesicht des Elben ins Gedächtnis rief und feststellen musste, dass es seid seiner Befreiung vom Schmerz gezeichnet gewesen war. Selbst nach dem Aufenthalt in Lôrien hatte er erschöpft und kraftlos gewirkt, doch Aragorn war mit so vielen Dingen beschäftigt gewesen, dass er diesem Umstand nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt hatte und ihn überkam das schlechte Gewissen, dass er seinen Freund vernachlässigt hatte. Er musste ihn suchen!

Aragorn wandte sich zu Gandalf, um ihn darum zu bitten, an seiner Stelle die Elben zu begrüßen, als durch einen Seiteneingang plötzlich Gimli in den Saal stürzte, nicht minder atemlos als eben noch Frodo und Sam. Er schnaubte und jappste nach Luft, doch er wartete nicht darauf, dass sich dieser Umstand änderte, sondern platzte gleich mit den Neuigkeiten heraus.
"Sie kommen! Der Feind marschiert über die Felder auf die Stadt zu, Aragorn, und wie wir vermutet haben, greifen sie von allen Seiten gleichzeitig aus an!"

Aragorn fluchte. Dies war der denkbar schlechteste Zeitpunkt für den Angriff! Seine Anwesenheit wurde nun bei den Truppen verlangt, doch sein Herz zog sich alleine bei der Vorstellung zusammen, dass er nicht wusste, wo Legolas steckte und wie es ihm ging.
"Gimli! Hast du Legolas seit gestern gesehen?", fragte er hoffnungsvoll, doch dieser schüttelte zu seinem Bedauern niedergeschlagen den Kopf.
Alles in Aragorn sträubte sich dagegen, seiner königlichen Pflicht nachzukommen, doch er hatte nicht die Wahl, sich anders zu entscheiden. Sein Volk brauchte ihn und viele Leben hingen von dem ab, was er tat. Er sah zu Arwen, die ihm auch ohne ein Wort zeigte, dass sie sich denken konnte, wie es in ihm aussah, doch auch sie wusste, dass er keine andere Möglichkeit hatte!
Eomer, Faramir und Eowyn hatten bereits ihre Waffen ergriffen und musterten Aragorn abwartend, der schließlich unwillig nickte und somit das Zeichen zum Aufbruch gab.

Die Hobbits sahen den Freunden mit gemischten Gefühlen nach, denn es fiel ihnen schwer, einfach zurück zu bleiben, doch Aragorn hatte sie ausdrücklich schon vor Tagen darum gebeten und schließlich hatten sie seinem Drängen nachgegeben.
Frodo ging zum Fenster, als die Gruppe aus seinem Blickfeld verschwunden war und der Anblick, der sich ihm bot, verursachte ihm eine Gänsehaut.
Die feindlichen Truppen waren bereits erschreckend nah an der Stadt und schoben sich in einer Masse aus wild kreischender Menschen und brennenden Fackeln immer näher. Er konnte riesige Katapulte, Leitern und Rammböcke ausmachen, die sich deutlich im Schein der Fackeln abhoben und er mochte sich nicht einmal denken, welchen Schaden diese Teufeleien anrichten würden.
"Die Valar möge ihnen beistehen!", murmelte er.

Alcthon warf einen prüfenden Blick auf den geknebelten Elben, der von zwei der Männer gehalten wurde, während sie ihn fest zu Boden drückten, um ihn daran zu hindern, die kleine Gruppe, die jetzt den Palast verließ, auf sich aufmerksam zu machen. Trotz der Dunkelheit und seiner heftigen Gegenwehr konnte er sehen, dass ihn langsam die Kräfte verließen und seinen Bewegungen immer leichter durch von Männern Einhalt geboten wurde.
Der Elbin erging es nicht viel besser, obwohl sie lange nicht so geschwächt war, doch Rinyaviê hielt sie in einem schraubstockartigen Griff, der ihre zierliche Gestalt fast zerquetschte.
Fast empfand er Mitleid mit den Elben, die sicher noch in dieser Nacht den Tod finden würden, den sie am Schluss womöglich als Erlösung empfinden würden, wenn Rinyaviê mit ihnen fertig war.

Als sich die Gruppe ihrer Freunde dann entfernt hatte und es keine Möglichkeit mehr gab, dass sie doch noch entdeckt werden konnten, schleiften Rinyaviê und seine Männer die beiden Elben mit sich in den Palast und Alcthon folgte ihnen mit Unbehagen.
Er war von den gleichen Zweifeln erfüllt, wie schon damals in seiner Höhle, als er diesen Legolas gepflegt hatte. Er wusste genug über die Elben, um auch von den Legenden um sie zu wissen. Eine dieser Legenden besagte, dass sie imstande waren, Kräfte zu beschwören, die sich gegen ihre Feinde richteten, wenn sie einen ihres Volkes nicht die nötige Würde und Achtung entgegen brachten und Rinyaviê tat noch schlimmeres! Was Alcthon jedoch am Meisten beunruhigte, war der Umstand, dass er nicht weniger Schaden angerichtet hatte, denn er war es gewesen, der das Gift dieser verfluchten Pflanze angewandt hatte! Er hatte dem Elben damit zwar vorübergehend das Leben gerettet, doch langsam machte das Gift seine negative Wirkung sichtbar.

Legolas war erfüllt von Wut und Verzweiflung und warf immer wieder einen Blick auf Tanhis, die inzwischen ihre Gegenwehr aufgegeben hatte und sich nun von Rinyaviê mitschleifen ließ. Hin und wieder trafen sich ihre Blicke und er konnte die Angst in ihren Augen sehen, was ihn ihm das Bedürfnis weckte, sie tröstend und beruhigend in seine Arme zu schließen.
Seine Angst um Tanhis hatte vorübergehend seine Schmerzen betäubt und ihm die Kraft zum Kämpfen verliehen, doch inzwischen waren sie schlimmer als vorher zurückgekehrt und er fühlte feucht und klebrig das Blut auf seinem Rücken. Der breite Streifen schmutziges Tuch, dass sie ihm als Knebel umgebunden hatten, stank Ekel erregend und Legolas spürte, wie ihn langsam immer mehr die Kräfte verließen und wieder fragte er sich, was der Grund dafür sein mochte. Er suchte Alcthon in der Gruppe, der sich jedoch rasch abwandte, als er Legolas' Blick sah, was Legolas als Bestätigung für seine Vermutung genügte, dass er etwas wusste.
Der Mann der ihn hielt, zog ihn plötzlich in die Höhe und Legolas stöhnte gequält auf, als dabei seine Arme in einem schmerzhaften Winkel nach hinten gezogen wurden, was seinen Bewacher nur auflachen ließ.

Rinyaviê war in der großen Halle stehen geblieben und sah sich suchend um, bis er den Durchgang entdeckte nach dem er Ausschau gehalten hatte und weiter in Richtung Treppen eilte, die auf den Turm herauf führte. Die Elbin in seinen Armen wehrte sich wieder heftig, als sie den Elben hinter sich aufkeuchen hörte, doch das trieb ihm nur wieder ein Lächeln in sein Gesicht. Vielleicht würde es ihm noch von Nutzen sein, dass eine so tiefe Beziehung zwischen den Beiden bestand! Er konnte der Elbin vielleicht einige Informationen entlocken, wenn er den Sohn des Elbenkönigs nur ordentlich quälte! Nicht zu viel, aber doch so sehr, dass sie alles tun würde, um ihn vor weiteren Qualen zu bewahren.

Tanhis wand sich heftig und fluchte erbittert und konnte Rinyaviê einige gezielte Fußtritte verpassen, aber all ihre Bemühungen waren zwecklos. Sie war gefangen und wurde so fest gehalten, dass ihre Arme und ihr Brustkorb schmerzten. Sicher fühlte auch ihr Träger, wie wild ihr Herz in ihrer Brust klopfte und sie fluchte nochmals, um das Schluchzen zu unterdrücken, dass ihr bei Legolas' Anblick in die Kehle stieg.
Erbarmungslos wurde er hinter ihnen die Treppen heraufgezogen und sie sah, wie er immer wieder stolperte und kaum sein Gewicht tragen konnte. Diese Haradrim waren schreckliche, furchteinflößende Menschen, die keine Rücksicht auf seinen Zustand nahmen und Tanhis zerriss es fast das Herz, als sie ihn so leiden sah. Sie musste doch irgendetwas tun können!
Zu ihrem Entsetzen knurrte Rinyaviê seinen Männern einen Befehl zu und sie verdoppelten noch einmal ihr Tempo, als sie die Treppe heraufeilten.
Verloren, dachte Tanhis. Wir sind verloren.

Frodo und Sam hatten sich mit Merry und Pippin in Aragorns Empfangszimmer zurückgezogen, weil man von den Fenstern eine bessere Sicht über die Stadt hatte und somit auch über die Schlacht.
Was sie jedoch sahen, erfüllte sie mit Angst und Schrecken, denn bedrohlich hatten sich die feindlichen Heere der Stadt genähert und ihre Katapulte in Position gebracht. Hier und da tobten schon vereinzelte Kämpfe, wo ihre eigenen Truppen den Gegnern entgegengestürmt waren, um sie zurückzudrängen und der Geruch nach Tod, Mord und Hass lag über allem.
Irgendwo da unten kämpften gerade ihre Freunde gegen diese Übermacht und Frodo dachte voll Sorge an sie, denn er mochte keinen von ihnen missen. Er bat stumm, dass sie alle wohlbehalten aus dieser Schlacht zurückkehren würden und nur zu gerne hätte er auch diesmal gegen Aragorns Wunsch gehandelt und wäre den Freunden gefolgt.

Sam, der neben ihm stand, schien seine Zerrissenheit zu spüren, denn er legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an.
"Ich weiß, was du denkst, Herr Frodo! Aber wir sollten wirklich hier bleiben! Irgendetwas sagt mir, dass wir hier noch eine Aufgabe zu erfüllen haben und wir froh sein werden, dass wir Aragorns Bitte entsprochen haben!"
Frodo sah Sam wehmütig an.
"Du siehst wirklich in allen Dingen etwas positives, Sam! Aber ich fühle mich im Augenblick nur entsetzlich nutzlos!"
Sam nickte zustimmend, doch trotz aller Angst um die Freunde war er froh, dass sein Herr in Sicherheit war.

Ein plötzliches Geräusch ließ die Hobbits herumfahren und sie starrten alle auf die Türe und lauschten angespannt. Dann vernahmen sie klar und deutlich donnernde Schritte, die über den Gang hallten, von den Wänden wiedergeworfen wurden und den Boden erzittern ließen. Sie erwarteten, dass jeden Augenblick die Türe aufflog und sich eine Horde Orks oder Haradrim auf sie stürzen würde und sie zogen eiligst ihre Schwerter. Erleichtert stellte Frodo fest, dass Stich nicht seinen bläulichen Glanz angenommen hatte, doch die Aussicht auf die feindlichen Krieger erfüllte ihn auch nicht gerade mit Zuversicht.
So standen sie, mit erhobenen Waffen, dicht aneinander gedrängt im Zimmer und warteten darauf, angegriffen zu werden. Unaufhörlich näherten sich die Schritte und die Angst stieg mit jedem donnernden Stampfen an, bis sich die Truppe genau vor der Türe befand, doch anstatt des erwarteten Angriffs, passierte die Truppe den Eingang und die Geräusche entfernten sich. Erleichtert atmeten sie auf, doch Pippin, der seine Neugierde wieder einmal nicht beherrschen konnte, schlich mutig zur Türe. Sam wollte ihn schon durch einen Ruf davon abhalten, doch Frodo schaffte es gerade noch, ihm die Hand auf den Mund zu drücken. Sam wurde rot als er erkannte, dass er mit seinem Vorhaben selber den Feind angelockt hätte und senkte beschämt die Lider.
Pippin hatte die Klinge langsam und leise heruntergedrückt und spähte hinaus in den Flur, wo er nur noch die letzten Haradrim, gekleidet in ihre roten Umhänge, um die Ecke biegen sah. Er wollte sich schon wieder zu den Freunden umdrehen, als sein Blick auf einen Fetzen grünen Stoff fiel und im nächsten Moment sah er einen blonden Haarschopf und das Seitenprofil eines wohlbekannten Gesichts – Legolas!
Er schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien und wirbelte zu den Freunden herum, die ihn abwartend musterten.

Endlich gelangten sie in das obere Turmzimmer, wo Rinyaviê Tanhis einen kräftigen Stoß versetzte und sie mit Schwung zu Boden warf. Sie fing den Sturz ab und rollte sich herum, denn sie wollte Rinyaviê keine Gelegenheit bieten, sich ihr ungesehen zu nähern und tatsächlich kam er jetzt einige Schritte auf sie zu und sie reckte aufsässig ihr Kinn, um ihren Widerstand mehr Ausdruck zu verleihen. Dieser Ausdruck wandelte sich jedoch augenblicklich in nackte, entsetzliche Angst, als Rinyaviê Legolas neben sich zog und sie hämisch angrinste.
"Wehre dich ruhig, kleine Wildkatze! Aber es wird deinem Freund nicht gut bekommen, wenn du weiterhin so stur bleibst!"
Tanhis konnte den Blick nicht von Legolas wenden, dessen Aussehen ihr einen Stich ins Herz versetze. Er war erschreckend bleich, seine Lippen schimmerten blau, der kalte Schweiß stand auf seiner Stirn und hatte sein Haar befeuchtet und seine Augen hatten jeden Glanz verloren. Er hing schlaff in Rinyaviês Armen, der ihn dann in ihre Richtung stieß und dabei gehässig auflachte. Mit einem Satz war Tanhis auf den Beinen und schaffte es nur mit Mühe, Legolas aufzufangen und ihn sacht zu Boden gleiten zu lassen, bevor er gefallen wäre. Sie löste hastig den Knebel und bettete seinen Kopf in ihren Schoß, während sie ihm das nasse Haar zurückstrich und gegen die Tränen ankämpfte.

Sie riss sich von seinem Anblick los und funkelte Rinyaviê mit feuchten, hasserfüllten Augen an.
"Was habt ihr mit ihm gemacht, ihr Ekel! Was hat er euch getan, dass ihr ihn so quält und leiden lasst? Ich werde euch...!"
"Du wirst gar nichts!", zischte Rinyaviê. "Höchstens um sein Leben betteln!"
Prickelnde Vorfreude und Erregung breitete sich bei dieser Vorstellung in seinem Inneren aus und er musterte mit neu erwachtem Interesse die Elbin vor sich. Sie war wirklich einer Wildkatze gleich, die grünen Augen funkelten zornig und ihr Haar war in verschiedenen Blondschattierungen gemustert, die in Zöpfen und Strähnen ihr hübsches Gesicht umrahmten. Doch das faszinierendste waren ihre Ohren, die spitz und schmal am Ende zuliefen und sie als Elbin kennzeichneten.
Mit einem süffisanten Lächeln beugte er sich zu ihr herunter und schob ihr Haar zur Seite, um ihr Ohr näher zu betrachten, doch er kam nicht dazu, es zu berühren.

Legolas sah, was Rinyaviê beabsichtigte und hörte den verlangenden Unterton in dessen Stimme, der in ihm umgehend seine letzte Kraft weckte. Er würde nicht zulassen, dass er Tanhis in irgendeiner Weise etwas antun konnte, nicht, solange er noch lebte.
Nur schemenhaft erfasste er Rinyaviês Hand, die sich Tanhis näherte und so unerwartet, dass Tanhis erschrocken aufkeuchte, bäumte Legolas sich auf und packte den Arm des Haradrim. Tanhis stieß einen angsterfüllten Schrei aus, als Legolas Rinyaviê zu Boden riss und sich auf ihn stürzte, doch Legolas war fest entschlossen, sie zu verteidigen, egal was für Folgen sein Handeln für ihn bedeutete.
Rinyaviê war ihm an Kräften klar überlegen und nur dem Überraschungsmoment hatte Legolas es zu verdanken, dass er ihn überwältigt hatte, doch gleich darauf packte sein Gegner ihn an den Schultern und rollte sich auf ihn. Er schlug mit dem Kopf auf die Steinfliesen und brauchte einen Augenblick, bis sich die Benommenheit legte. Diese Zeit nutzte Rinyaviê und schloss seine Hände um Legolas' Hals, um ihm die Luft abzudrücken. Legolas blickte in das von Hass gezeichnete Gesicht, zerrte verzweifelt an den Händen und wäre fast ohnmächtig geworden, denn der Schmerz zog sich wie ein Schwertstreich durch seinen Kopf und er rang keuchend nach Luft, die seine Lungen gierig verlangten.
Viel zu plötzlich löste sich Rinyaviês Griff und Legolas rollte hustend und keuchend zur Seite, wobei er Tanhis suchte, die nicht mehr an ihrem Platz saß. Er fand sie, heil und unversehrt stand sie mit gestrafften Schultern zwischen ihm und Rinyaviê, ihre Füße fest auf den Boden gestemmt und bereit, ihn erneut zu verteidigen.

Rinyaviês Stimme hallte in dem kleinen Raum wieder, als er sich an Tanhis richtete.
"Ergib dich, oder ich werde ihn auf der Stelle töten lassen!", schrie er und wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Lippe, wo Tanhis Tritt ihn getroffen hatte. Umgehend spannten seine Männer ihre Bögen und richteten ihre Pfeile auf Legolas, der völlig schutzlos hinter ihr lag und sich nicht rührte.
"Was verlangst du für seine Freilassung, Rinyaviê?" , fragte Tanhis und es war schiere Verzweiflung, die sie zu dieser Frage bewog. Sie würde alles tun, nur um sein Leben zu retten und genau das war es, was Legolas noch mehr fürchtete, als seinen eigenen Tod!
Nur im Unterbewusstsein hörte Legolas Rinyaviê amüsiert auflachen, als Tanhis ihre Frage gestellt hatte.
"Für seine Freilassung?", lachte er dröhnend. "Mädchen, ich werde so oder so alles bekommen, was ich verlange! Erst Gondor, dann die Elbenreiche und als ganz besondere Zugabe ... DICH!"
In Legolas zog sich bei dieser Vorstellung alles in ihm zusammen und ihm entfuhr ein gequältes Aufstöhnen, dass Tanhis umgehend von Rinyaviê ablenkte und sie eilte auf ihn zu.
"Tanhis!", murmelte er unter größter Anstrengung und versuchte, ihren Blick festzuhalten, doch er konnte ihre Züge nur noch unscharf erkennen. Er wollte ihr sagen, dass sie sich in Sicherheit bringen sollte, wenn sich ihr die Gelegenheit dazu bot. Das sie ihn zurücklassen sollte, um ihr eigenes Leben zu retten und ihn seinem Schicksal überlassen, doch selbst dazu fehlte ihm die nötige Kraft. Mit einer letzten Anstrengung versuchte er, sich zu erheben, bevor er wieder auf den Boden sank und seine Augen sich schlossen.

Tanhis fiel neben ihm auf die Knie und glaubte, das Herz würde in ihrem Inneren zerspringen und der Schreck schien sie zu betäuben. Fassungslos starrte sie auf Legolas, während sich ihre Brust heftig unter einem großen Schmerz hob und senkte, während sie zu begreifen versuchte, was mit Legolas geschehen war.
"Legolas. Legolas!"
Er antwortete nicht und sie zwang sich dazu, ihn zu berühren, zog ihn schluchzend in ihre Arme und vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge, während ihr Haar über seiner Schulter fiel.
Sie hielt Legolas umschlungen, schmiegte sich an ihn und spürte seinen schwachen Herzschlag an ihrer Brust, der es jedoch nicht vermochte, ihre Tränen aufzuhalten, denn die Angst um ihn breitete sich immer weiter in ihr aus und sie wünschte, sie könnte ihm helfen – rechtzeitig!
Sie vernahm nur undeutlich Rinyaviês Stimme hinter sich, der seinen Männern die Anweisung erteilte, sie nicht aus den Augen zu lassen und hörte dann seine sich entfernenden Schritte.

Frodo, Sam und Merry hatten nicht glauben wollen, was Pippin ihnen erzählte und doch war ihnen klar, dass alles was er sagte, stimmte. Rinyaviê war hier in der Feste, im Kern der Stadt, ohne dass Aragorn davon wusste und etwas gegen diese Gefahr tun konnte und noch schlimmer, er hatte es wieder geschafft, Legolas zu finden und in seine Gewalt zu bringen!
Frodo war die ganze Tragweite dieser Erkenntnis bewusst und noch etwas wurde ihm immer klarer: Sam hatte Recht gehabt! Sie waren aus einem einzigen Grund hier, wo sie jetzt mehr benötigt wurden, als draußen auf dem Schlachtfeld! Sie mussten versuchen, Rinyaviê zu überwältigen und Legolas zu befreien, damit es ihm nicht gelang, ihn gegen Aragorn einsetzen zu können und den König so zur Aufgabe zu zwingen, denn das alleine konnte nur sein Ziel sein! Sie mussten handeln und das rasch, denn Pippin hatte gesehen, dass die Männer Legolas mit grober Gewalt behandelten und sicher würde Rinyaviês Wut über den Elben grenzenlos sein!
Frodo fasste schnell einen Entschluss und wandte sich seinen Freunden zu, die ihn abwartend ansahen.
"Pippin, du wirst dich sofort auf die Suche nach Aragorn machen, hast du verstanden? Er soll so schnell wie möglich her kommen. Sag ihm, dass Rinyaviê hier ist und Legolas in seiner Gewalt hat, dann wird er wissen, was zu tun ist. Wir drei werden versuchen herauszufinden, wo er sich versteckt hat und uns ein Bild der Lage verschaffen, damit wir dann schnell handeln können, wenn ihr zurück seid!"
Pippin nickte, packte sein Schwert fester und setzte einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf.
"Ich werde bald wieder hier sein!", dann verschwand er durch die Seitentüre.

Frodo beschloss, dass es besser war, wenn sie sich trennten, was Sam ganz und gar nicht behagte, doch er sah ein, dass sie so schneller voran kamen. Also verließen auch sie nach und nach das Zimmer und begannen, nach Rinyaviês Versteck zu suchen.

Eine Gruppe von Orks und Haradrim stürzten auf Aragorn und die anderen zu, formierten sich zu ihrer Kampfaufstellung und eröffneten Augenblicklich den Angriff. Sie wehrten verbissen alle Schwertschläge ab und teilten ihrerseits einige aus, was dazu führte, dass bald viele der Feinde um sie herum auf der Erde lagen und sie in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten.
Immer mehr Feinde strömten durch das Tor des zweiten Rings, das soeben gefallen war und vor ihm, gingen zwei seiner eigenen Krieger zu Boden, von tödlichen Hieben getroffen.
Aragorn blickte sich suchend nach seinen Freunden um und erkannte erleichtert, dass sie sich erfolgreich verteidigten und die Mauer zum Schutz in ihren Rücken gebracht hatten.
Plötzlich drang ein warnender Ruf über den Kampflärm hinweg und ein riesiger Felsbrocken flog über das Stadttor und schlug krachend in die Mauer ein, an der die Freunde Schutz gesucht hatten. Die Wand wurde in tausend Stücke zerfetzt, die durch die Luft flogen, scharfkantige Geschosse, die unzähligen Männern und Feinden den Tod brachten. Aus allen Richtungen waren Schreie zu hören, die Aragorn durch Mark und Bein fuhren, als er sich selbst mit einem Sprung in Sicherheit brachte. Undeutlich hörte er die vertraute Stimme von Eomer, der sich wohl mit einigen ihrer Gefährten einen Weg aus der gefahrvollen Zone bahnte, während dichter, stickiger Staub ihre Sichtweite auf ein Minimum reduzierte.

Eine weitere Lawine hagelte auf Aragorn herunter und er kämpfte sich hoch, kletterte auf einen Haufen Schutt und versuchte sich einen Überblick über die Zerstörung zu verschaffen. Seine Freunde waren schnelle, erfahrene Kämpfer, doch er fürchtete, dass sie diesmal nicht schnell genug gewesen waren.
"Arwen!", schrie er und sprang an der anderen Seite des Schuttberges herunter. Verschüttete Körper ragten unter den Trümmern heraus und die Angst um die Freunde steigerte sich, doch dann sah er Arwen, die am Rand einer umgestürzten Mauer hockte und ihn zu sich winkte. Eilig rannte er auf sie zu und erblickte neben ihr Faramir, dessen Bein unter dem Schutt eingeklemmt war.
"Bei den Valar!", entfuhr es ihm, als er den leblosen Freund erreichte, doch Arwen schüttelte ihren Kopf, um seine schlimmsten Befürchtungen zu vertreiben.
"Hol Hilfe", wies er sie an, doch sie zeigte in die Richtung, aus der er vorhin Eomers Stimme gehört hatte und als er über die Schulter blickte, sah er bereits Eomer, Gandalf und Gimli auf ihn zu rennen, gefolgt von Eowyn, deren Augen sich vor Schreck weiteten, als sie ihren Mann erkannte.

"Faramir!", stieß sie aus und überholte die Anderen, um sich neben ihm auf die Knie fallen zu lassen und sie ließ ihr Schwert unachtsam zu Boden fallen. "Ist er..."
"Nein, aber wir müssen ihn hier wegschaffen!"
Sie begannen, die Steinbrocken so schnell sie vermochten, beiseite zu räumen, wobei sie darauf achteten, dass sie keine neue Trümmerlawine auslösten. Sie räumten die letzten Steinbrocken zur Seite und vernahmen ein gedämpftes Stöhnen aus Faramirs Mund.
"Ruhig, Faramir!", flüsterte Eowyn und legte ihm ihre Hand auf die Brust, die er mit einem schwachen Lächeln ergriff.
Aragorn sah, dass das Bein gebrochen war und Faramir war übel zerschunden, doch die Schürfwunden waren nicht tief. Sein Herz schlug gleichmäßig und kräftig und Aragorn sah entschlossen zu ihm auf.
"Das wird jetzt sicher sehr schmerzhaft sein...", sagte er, an Faramir gewandt, doch dieser nickte und verstärkte den Griff um Eowyns Hand.
Eomer trat neben Aragorn und packte das Bein am Schenkel, während Aragorn das Schienbein mit seinen Händen umschloss. Gandalf und Eowyn drückten die Schultern von Faramir herunter und nach einem letzten Blick, stemmte sich Aragorn mit seinem ganzen Gewischt auf den gebrochenen Knochen, der mit einem lauten Knacken wieder an seinen Platz sprang und Faramir einen Schmerzschrei entlockte, bevor er in Eowyns Schoß sank.
Aragorn nutzte die Bewusstlosigkeit des Freundes und schiente das Bein mit einem Stück Holz. Er wies Eomer und Gandalf an, den Freund in die Häuser der Heilung zu bringen. Eowyn und Arwen folgten ihnen, was Aragorn erleichtert zur Kenntnis nahm, der dort würden sie in Sicherheit sein.
Er wandte sich an Gimli, der nicht erst auf seine Worte wartete.
"Komm, Aragorn! Jetzt ist es an uns, hier die Stellung zu halten. Wir werden ihnen das Fürchten lehren!"
Sie waren noch nicht ganz am nächsten Stadttor angelangt, als in der Ferne ein Horn erschallte und Aragorn abrupt den Kopf in Richtung Norden hob. Erleichterung durchflutete ihn und er sah zu Gimli, der ebenfalls seine Freude nicht verbergen konnte.
"Da kommen endlich unsere Freunde aus Lôrien! Wurde ja auch langsam Zeit!", brummte er und Aragorn nickte zustimmend.

Frodo schlich so leise er es vermochte die Stufen des Turms herauf, Stich immer noch in seiner Hand, denn er wagte es nicht, es zurück in die Scheide zu schieben. Zum einen, weil er fürchtete, sich jederzeit damit verteidigen zu müssen und zum anderen, weil es ihn durch seinen blauen Schimmer vor Orks warnen konnte, die vielleicht auch schon in der Feste herumliefen. Frodos Herz klopfte wie wild und ein ungutes Gefühl regte sich in ihm, doch trotz seiner Furcht ging er tapfer vorwärts, getrieben durch die Sorge um Legolas und die Gewissheit, dass nur er und die anderen Hobbits da waren, um ihm zu helfen.
Durch die schmalen Fenster schien matt das Mondlicht und warf rechteckige Flecken an die gegenüberliegende Wand und Frodo wurde abwechselnd in Licht und Schatten getaucht. Kein Laut war in der näheren Umgebung zu hören, nur die Geräusche der Schlacht drangen hinauf aus der Stadt, Schreie, Waffen, die klirrend aneinander schlugen und hin und wieder der dumpfe Aufprall eines Wurfgeschosses, das in eine Mauer schlug und diese niederriss.
Frodo traute sich nicht, aus eines der Fenster zu sehen, aus Angst vor dem Anblick, der sich ihm bieten würde und er machte sich so schon genug Sorgen um die übrigen Freunde, die vielleicht in dieser Minute um ihr Leben kämpften. Gerne wäre er mit ihnen gegangen, um sie zu unterstützen, doch Sam hatte Recht behalten, sie hatten jetzt hier eine Aufgabe zu erfüllen und Frodo wollte alles tun, um diese zu erfüllen.

Er erreichte die letzte Etage des Turms, eine kleine Halle, von der drei Türen in die dort befindlichen Zimmer führten, in der nur wenige Möbelstücke standen. Zwei der Zimmer waren für Gäste eingerichtet, die jedoch äußerst selten benutzt wurden, da es im Haupthaus auch noch unzählige Räume gab, die Besuchern den nötigen Platz boten. Das andere Zimmer diente als kleiner Aufenthaltsraum und war ausgestattet mit einer Sitzgruppe, die um einen Kamin herum stand, einer Liege, einigen Regalen mit Büchern und einem schweren Schreibtisch. Gandalf nutze diesen Raum gerne, wenn er sich in Minas Tirith aufhielt, denn hier war er meist ungestört und vom Fenster hatte man die schönste Aussicht über die weiße Stadt und man konnte bei klarer Sicht sogar fast bis nach Lôrien blicken.
Die Halle wurde einzig und alleine vom Licht des Mondes erhellt und tauchte alles in ein Spiel aus Licht und Schatten, das die Umrisse der Möbel nur schemenhaft erkennen ließ und Frodo brauchte einen Moment, bevor er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte.

Durch den Türspalt des Aufenthaltsraums fiel ein schwacher Lichtschein, hin und wieder durch Schatten unterbrochen, die sich hin und her bewegten und darauf schließen ließen, dass sich die Haradrim darin befanden.
Frodo zwang sich dazu, ruhiger zu atmen und wagte es, sich der Türe zu nähern, damit er sein Ohr dagegen pressen konnte und schon vernahm er murmelnde Stimmen. Drohend hörte er die Stimme eines Mannes, die von Macht und Hass erfüllt war und in der auch ein beträchtliches Maß an Schadenfreude und Spott mitschwang. Als Frodo die andere Stimme nun vernahm, glaubte er, sein Herz würde einen Moment lang aussetzen, denn die helle und klare Stimme kannte er nur zu gut – sie gehörte Tanhis!
Plötzlich hörte er gedämpfte Geräusche, die auf ein Handgemenge schließen ließen, dann einen dumpfen Aufprall und wieder Stimmen, bevor es erschreckend still in der Kammer wurde und Frodo konnte sich nur schwer zurückhalten, seinem Gefühl nachzugeben und einfach in den Raum zu stürzen.
Schwere Schritte näherten sich der Türe und er schaffte es gerade noch, sich im Schatten einer Kommode zu verstecken, als sie sich auch schon quietschend öffnete und der Lichtstrahl sich in den Flur ergoss. Gegen das Licht erhob sich der riesige Umriss eines Mannes, der fast den ganzen Rahmen ausfüllte und Frodo spürte förmlich die Bedrohung, die von ihm ausging und drückte sich noch weiter gegen die Mauer. Der Mann ging mit weit ausschweifenden Schritten auf einen der anderen Räume zu und verschwand gleich darauf in ihm und Frodo erhaschte einen Blick in den Aufenthaltsraum, der ihn jedoch alles andere als beruhigte.

Er konnte die zierliche Gestalt von Tanhis ausmachen, die auf dem Boden kauerte und ihm den Rücken zuwandte und nach ihrer Haltung zu urteilen, beugte sie sich nach vorne und ihr Schluchzen erschütterte Frodo zutiefst. Es musste irgend etwas geschehen sein, schoss es Frodo durch den Kopf und dann erfasste er im letzten Augenblick, als die Türe fast wieder ins Schloss gefallen war, eine Strähne von langen, blonden Haaren, die über Tanhis Arm fiel und sich mit ihrem vermischten.
Der Anblick erweckte in Frodo kalte Angst, die sich mit festem Griff um sein Herz legte und es am Schlagen zu hindern drohte.
Nein, das durfte nicht sein! Er war zu spät gekommen, hatte die Feinde zu spät gefunden und das Unheil nicht verhindern können. Er musste schnell handeln und sich auf die Suche nach Merry und Sam machen, denn alleine konnte er wohl kaum etwas ausrichten!
Er kam schwerfällig wieder auf die Füße, denn er war kaum imstande sich zu rühren und versuchte entschieden, nicht vom Schlimmsten auszugehen, doch der Anblick, der sich ihm geboten hatte, machten es fast unmöglich. Tanhis hatte geweint, ihr ganzer Körper war von Tränen geschüttelt worden und sie hatte sich über Legolas gebeugt, der sich nicht mehr gerührt hatte.
Er ist nur bewusstlos, versuchte Frodo sich selbst zu beruhigen, doch wie von selbst beschleunigte er seinen Schritt, während er die Treppe herunter eilte. Er musste Merry und Sam finden – schnell!

Für einen langen, qualvollen Moment hatte Tanhis geglaubt, sie hätte Legolas für immer verloren und sie war kraftlos in die Knie gesunken, unfähig den Schock zu ertragen oder den entsetzlichen Schmerz auszuhalten. Sie hatte sich geweigert, zu glauben was sie gesehen hatte und sich an die einzige Hoffnung geklammert, die ihr noch die Kraft gab, die Hand auf seinen Brustkorb zu legen. Jetzt drückte sie ihn noch fester an sich, um mit jedem seiner schwachen Herzschläge zu spüren, dass er noch bei ihr war, noch lebte und sie wagte es nicht, sich von ihm zu lösen.
Erleichterung, so überwältigend, dass sie ihr die letzte Kraft raubte, durchströmte sie und trocknete schließlich ihre Tränen. Sie ergriff Legolas' Hand und rieb sie zwischen ihren Fingern, um sie wieder mit Wärme zu erfüllen, doch es erwies sich als vergeblicher Versuch und sie sah sich suchend im Raum um. Er musste so schnell wie möglich von den Steinfliesen herunter, die ihn noch zusätzlich auskühlen lassen würden und sie erfasste die Liege, die unter einem der Fenster stand. Entschlossen stand sie auf und packte Legolas unter den Schultern.
"Helft mir!", wies sie die Wachleute schroff an, um ihre Besorgnis und Unsicherheit zu verbergen und widerstreben löste sich einer der Männer und half ihr, Legolas auf das Lager zu heben, Es kostete den Haradrim nicht die geringste Anstrengung und Tanhis bettete sacht Legolas' Kopf auf eines der Kissen und rollte ihn auf die Seite, damit er nicht auf der Wunde am Rücken lag.
Sie strich ihm das feuchte Haar aus der Stirn und betrachtete voll Sorge und tiefster Zuneigung sein blasses Gesicht und flüsterte immer wieder seinen Namen, bis sie schließlich ein gedämpftes Stöhnen vernahm.
Legolas versuchte, die schweren Lider zu heben und schluckte schwer. Er wollte sich herumrollen, doch ein stechender Schmerz hielt ihn davon ab und er sank wieder auf das Kissen zurück und spürte, wie ihm jemand sanft über die Wange strich. Endlich fand er die Kraft, seine Augen zu öffnen und streckte zitternd die Hand nach Tanhis aus, um sich zu vergewissern, dass sie kein Trugbild war, sondern tatsächlich neben ihm saß. Ein tiefer Seufzer erschütterte ihren Körper und sie beugte sich zu ihm herunter und drückte ihm einen warmen Kuss auf die Stirn, während ihre Hände sein Hemd und seine Tunika packten, als wäre es ihr so möglich, ihn bei Bewusstsein zu halten.
Ihm war entsetzlich kalt und das Zittern durchlief ihn in kleinen, regelmäßigen Wellen und er fühlte sich entsetzlich schwach, sodass er es schließlich aufgab, seine Augen noch länger geöffnet zu halten.

Tanhis sah, wie er wieder in Bewusstlosigkeit sank und sie musste tatenlos dabei zusehen, wie er immer schwächer wurde, was ihr erneut die Tränen in die Augen trieb.
Wenn sie ihm doch nur helfen konnte und er durchhielt! Wenigstens so lange, bis Aragorn und Gandalf kamen, um ihnen zu helfen!
Plötzlich vernahm sie eine freundliche, ruhige Stimme hinter sich und als sie sich umwandte, stand der alte Mann hinter ihr, der sich bis jetzt völlig zurückgehalten hatte und kein Wort zu ihnen, oder mit seinen Leuten gesprochen hatte.
"Ich werde sehen, was ich für ihn tun kann.", murmelte er und setzte dann erklärend hinzu: "Mein Name ist Alcthon und ich habe ihn gepflegt, als er in die Höhlen gebracht wurde."
Tanhis war einen Augenblick hin und her gerissen zwischen Argwohn und Erleichterung, endlich Hilfe zu erhalten, denn immerhin war auch dieser Mann einer ihrer Feinde. Sie erhob sich widerwillig und beobachtete jeden seiner Handgriffe, die er jedoch geschickt und geübt durchführte, bis er schließlich zu ihr aufsah.
"Er ist schon sehr schwach. Das Gift breitet sich rasch aus und er benötigt dringend das Heilkraut."
Seine Worte trafen Tanhis wie ein Schwerthieb und entfachten Wut und Verzweiflung in ihr, die sie nicht mehr klar denken ließen. Sie packte Alcthon an seinem Gewand und zog ihn abrupt in die Höhe, um ihm in die Augen sehen zu können.
"Was wisst ihr? Und welches Gegenmittel benötigen wir, um ihn zu retten? Sprecht, oder...", fuhr sie ihn an.
Mit einem Ruck befreite Alcthon sich aus ihrem Griff und seine eben noch freundlichen Gesichtszüge verhärteten sich und seine Augen verzogen sich zu Schlitzen.
"Oder was? Ich muss euch nicht helfen, oder euch Rede und Antwort stehen! Ich habe euch schon zuviel gesagt!"
Damit wandte er sich von ihr ab und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Tanhis sank auf den Boden und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie fühlte sich so hilflos und die Verzweiflung und Angst schnürten sie so sehr ein, dass sie das Luftholen schmerzte. Ihr lief die Zeit davon und all ihre Fähigkeiten waren nicht imstande, Legolas zu retten. Sie würde ihn verlieren, noch in dieser Nacht, wenn sie nicht in Erfahrung brachte, welches Gift sich den Weg durch seinen Körper bahnte und welches Mittel notwendig war, um ihn noch zu heilen. Und selbst wenn sie das herausfand, so standen ihre Chancen, dass sie das Gegenmittel noch rechtzeitig ausfindig machte, gleich Null! Wie lange würde Legolas diese Qualen noch durchstehen? Sicher nicht lange genug! Die Freunde würden nicht schnell genug hier sein; sie wussten nicht einmal, dass sie gefangen genommen waren, oder wo sie sich befanden, noch, dass sie von Legolas' schlechtem Zustand wussten. Sie kämpften in der Stadt gegen die feindlichen Heere, während Legolas dazu verdammt war, nicht an der Seite seiner Freunde den Tod im Kampf zu finden, sondern in diesem Raum zu sterben, fernab der Schlacht.

Sie sah wieder zu ihm, in sein blasses, schweißnasses Gesicht, dass deutlich von Qual und Schmerz gezeichnet war, doch das selbst jetzt noch von seiner Schönheit zeugte. Sie erkannte, dass es auch noch von seiner Entschlossenheit und Kampfbereitschaft gezeichnet war und ein neues Gefühl ergriff von ihr Besitz.
Legolas würde nicht aufgeben! Er kämpfte immer noch und würde nicht wollen, dass sie schon aufgab, bevor noch die Hoffnung bestand, dass sie gefunden wurden.

Pippin bahnte sich einen Weg durch das Gedränge der Menschen, überwiegend Frauen, Kinder und alte Menschen, die vor der Schlacht flohen und Pippin mit sich gerissen hätten, wenn er nicht all seine Widerstandskraft eingesetzt hätte und gegen den Strom ankämpfte.
Endlich durchschritt er das fünfte Stadttor und augenblicklich war er nicht mehr von den Massen umgeben und konnte seinen Lauf wieder aufnehmen, um schnell sein Ziel zu erreichen. Der Boden wurde von Erschütterungen ins Beben versetzt und brachte ihn öfters aus dem Gleichgewicht, aber sein Wille trieb ihn immer weiter vorwärts, bis er schließlich vor sich die ersten Krieger Gondors ausmachte. Unter ihnen erkannte er auch Männer aus Edoras und einzelne Elben, was ihn mit Freude erfüllte, denn das bedeutete, dass endlich die Verstärkung aus Lôrien eingetroffen war, von der Sam erzählt hatte und die Aragorn vor wenigen Stunden angekündigt hatte.

Pippin rannte weiter und dankte den Valar dafür, dass er klein genug war, um von den Feinden nicht weiter beachtet zu werden und es gelang ihm immer weiter aus der Stadt heraus zu kommen. Er lief zwischen den Beinen der Krieger hindurch, über tote Körper hinweg und kletterte mühsam die Geröllhaufen herauf und herunter, wehrte hin und wieder einen der Feinde ab, die doch auf ihn aufmerksam wurden und ihn für eine leichte Beute hielten, aber immer feststellen mussten, dass sie sich getäuscht hatten.
Wieder wehrte er erfolgreich einen seiner Angreifer ab, als donnernd ein weiteres Wurfgeschoss in den Häusern unmittelbar in seiner Nähe einschlug und die Gesteinsbrocken auseinander stoben und mit ungeheurer Wucht in weiter Gebäude krachten, oder Männer und Elben gleichermaßen zerquetschten.
Pippin sprang zur Seite, doch als er sich zu Boden warf, traf ihn ein kleinerer Brocken an der Schulter und versetzte ihm einen solchen Stoß, dass er weitergeschleudert wurde und mit dem Kopf gegen eine halb eingestürzte Hauswand schlug. Pippin schrie gepeinigt auf und presste die Hand an seine Schläfe, während sich der Schmerz durch seinen ganzen Schädel bohrte und ihm Schwindel verursachte. Die Umgebung um ihn herum begann sich zu drehen und Übelkeit überkam ihn. Er rollte sich auf den Rücken und schluckte, immer noch völlig benommen, doch dann legte sich allmählich das Gefühl und er zog die Luft geräuschvoll ein.

Sein Blick wurde klar und zu seinem Schrecken erkannte er, dass sich ein weiterer Haradrim auf ihn zu bewegte, der ihn schon mit erfreulicher Genugtuung ansah und das Schwert erhoben hielt, um es auf ihn niederfahren zu lassen. Im letzten Moment rollte Pippin sich zur Seite, denn sein Schwert lag irgendwo unter den Trümmern begraben und er hatte nicht die kleinste Chance, sich gegen den Angreifer zur Wehr zu setzen. Das Schwert verfehlte ihn nur knapp und auf allen Vieren versuchte Pippin noch mehr Abstand zwischen sich und seinen Feind zu bringen, doch es gelang ihm nicht im Mindesten. Ein Tritt traf ihn in die Rippen und er fiel auf die Seite, unter neuen Schmerzen keuchend, und er konnte seinem Gegner jetzt in die Augen sehen.
Der Haradrim hielt sein Schwert mit beiden Händen über dem Kopf gepackt, jederzeit bereit, es auf Pippin nieder krachen zu lassen und ihm den Kopf zu spalten. Aus einem Reflex heraus riss Pippin die Arme hoch, obwohl er wusste, wie sinnlos dieser Abwehrversuch war. Er würde sterben, hier und völlig alleine, ohne einen seiner Freunde und er konnte Aragorn nicht mehr erzählen, was Frodo ihm aufgetragen hatte. Er schloss die Augen um die Tränen zu verbergen, denn er wollte nicht zeigen, dass er sich fürchtete.
Doch es geschah...nichts. er hatte noch gesehen, wie der Haradrim ausholte und dann seine Arme heruntergerissen hatte, doch er traf Pippin nicht mehr.
Als der Hobbit die Augen verwundert öffnete, sah er gerade noch, wie der Haradrim, mit einem Pfeil in der Brust, zu Boden ging und sein Schwert fiel klirrend vor Pippins Füße. Die Klinge war über und über mit Blut verschmiert, ein Zeichen dafür, dass viele Männer durch sie den Tod gefunden hatten, doch ihn würde sie nicht aus dem Leben reißen.
Verwirrt blickte er um sich, um seinen Retter auszumachen, sicher einen Elben, denn der Pfeil bewies diesen Umstand eindeutig. Schließlich erblickte er ihn, doch wieder riss er verwundert die Augen auf, als er sah, wer ihn gerettet hatte. Thranduil!

Leichtfüßig sprang er zu Pippin herunter, der nicht imstande war, auch nur ein Wort an den König zu richten, der nun Wasser über die Platzwunde an seiner Stirn goss und ihn prüfend ansah.
"Ihr seid ein Freund meines Sohnes. Doch ich hatte nicht erwartet, euch hier alleine zu sehen. Warum seid ihr nicht bei ihm oder euren übrigen Freunden."
Pippin wurde bei diesen Worten aus seiner letzten Benommenheit gerissen und ihm fiel Legolas wieder ein und sein Auftrag, Aragorn von seiner Gefangennahme zu berichten. Er sah Thranduil an und dachte einen Augenblick nach, bevor er alle Bedenken beiseite schob und es aus ihm herausplatzte. Er ließ nichts aus, jede Einzelheit sprudelte förmlich aus ihm heraus und erleichterte sein Herz, bis er schließlich seinen Bericht endete und den König abwartend musterte.
Dessen Gesicht zeigte keine Regung, nicht das kleinste aufblitzen irgend einer Emotion und er starrte den Hobbit einfach nur an, ohne sich zu rühren. Pippin packte die Verzweiflung und er vergaß, wen er da vor sich hatte und sprang auf die Füße.
"Was ist! Tut doch etwas! Muss ich euch zur Feste tragen, oder bewegt ihr euch endlich von selbst?"
Thranduil wurde aus seiner Lethargie gerissen und murmelte nicht verständliche Worte, doch dann schien er sich wieder zu fassen und legte Pippin die Hand auf die Schulter.
"Sucht König Elessar und berichtet ihm alles – ich werde meinen Sohn suchen!"
Pippin nickte nur, griff sich das Schwert zu seinen Füßen und rannte los, jedoch von dem Gefühl der Erleichterung erfüllt. Es war Hilfe zu seinen Freunden unterwegs.

Frodo fand schnell Sam, der sich schon auf den Weg in den Turm gemacht hatte, um Frodo zu folgen, nachdem er Ergebnislos seinen Teil der Feste durchsucht hatte. Hastig erklärte er ihm, dass er das Versteck gefunden hatte, doch irgend etwas hielt ihn davon ab, Sam etwas darüber erzählen, was genau er von Tanhis und Legolas gesehen hatte. Sam war auch so schon entsetzt, als er erfuhr, dass die Elbin sich ebenfalls in der Gewalt von Rinyaviê befand und Frodo wollte selbst nicht wahr haben, was er gesehen hatte. Er klammerte sich noch immer an die letzte Hoffnung, dass Legolas noch lebte und sie doch noch rechtzeitig eintreffen würden.
Schnell beschlossen sie, Merry zu suchen und glücklicher Weise, fanden sie ihn sehr schnell und nachdem Frodo auch ihn in Kenntnis gesetzt hatte, rannten sie zurück zur Treppe und eilten die Stufen hinauf.
Sie wussten nicht im mindesten, was sie tun würden, oder wie viele Feinde sich in der Kammer befanden, sie wussten nur, DASS sie etwas tun würden und gelangten schließlich wieder in die kleine Halle am Ende der Treppe.

Ihr Atem ging in raschen Zügen und sie brauchten einige Zeit, um wieder Luft zu bekommen, so schnell waren sie gerannt und nun sahen Sam und Merry abwartend zu ihm.
"Und nun, Herr Frodo?", wisperte Sam.
Frodo zog die Schultern hoch und flehte, ihm möge endlich etwas einfallen, doch sein Kopf war leer. Er hielt sich den Finger an die Lippen, um den Freunden zu signalisieren zu schweigen und schlich dann auf die Türe zu, hinter der Legolas und Tanhis sich befanden. Merry und Sam folgten dicht hinter ihm und als sie an der Türe ankamen, pressten sie ihre Ohren gegen das raue Holz und lauschten. Sie vernahmen nicht das kleinste Geräusch und konzentrierten sich so auf das Innere der Kammer, dass sie alle Vorsicht vergaßen und an nichts anderes mehr dachten, als an ihre Freunde.

Viel zu spät wurde Merry auf die Gefahr aufmerksam und als er sich umdrehte, traf ihn auch schon ein harter Schlag und er knallte gegen die Türe. Auch Frodo und Sam wirbelten herum, doch gegen Rinyaviê und seine Männer hatten sie keine Chance, ihnen blieb nicht einmal die Zeit, ihre Schwerter zu heben. Blitzschnell waren sie entwaffnet und um Sams Hals schloss sich der eiserne Griff eines riesigen Haradrim, der schon Merry unter seinen anderen Arm geklemmt hielt, der strampelte und sich wand, sich aber nicht befreien konnte.
Frodo sah sich Rinyaviê höchstpersönlich gegenüber, der schallend lachte und Stich amüsiert vor sich hielt und es im Mondschein hin und her drehte.
"So, so. Ihr dachtet also, mich mit so kleinen Dolchen überwältigen zu können, was?"
Binnen Sekunden änderte sich sein Gesichtsausdruck und er schlug Frodo ohne Vorwarnung mit der flachen Hand ins Gesicht.
Frodos Kopf flog zur Seite, als die Hand ihn mit voller Wucht traf und er schmeckte Blut, was seine Angst um ein vielfaches steigerte, wozu er auch allen Grund hatte, denn Rinyaviê packte ihn jetzt und stieß die Türe auf, schleifte ihn quer durch den Raum und warf ihn Tanhis vor die Füße, die immer noch vor der Liege auf dem Boden hockte und Legolas' Hand hielt.

Frodo erhielt einen solchen Schwung, dass er sich einige Male überschlug, bevor er zum Liegen kam und er schürfte sich Knie und Wange auf, als er dabei über den Steinboden rieb. Ein leichtes Brennen verriet ihm von den Wunden, ohne dass er sich durch einen Blick erst vergewissern musste und er verzichtet darauf, dies auch zu tun. Merry und Sam landeten nicht weniger unsanft neben ihm, Merry mit einer dicken Beule am Kopf und Sam, keuchend nach Luft schnappend.
Verdammt. Wären sie doch nur vorsichtiger gewesen! Jetzt saßen sie bis zum Hals im Schlamassel und konnten nichts mehr tun, um Tanhis und Legolas zu helfen. Sie waren aber auch zu leichtsinnig gewesen und waren Rinyaviê blindlings in die Arme gelaufen, noch drei Geiseln, die er nun gegen den Rest ihrer Freunde einsetzen konnte.
Frodo ärgerte sich maßlos über seine eigene Dummheit, rieb sich die schmerzenden Knochen und wurde sich dann Tanhis und Legolas bewusst. Er sah zu Tanhis, die ihn mit erschreckt geweiteten Augen anblickte und noch nicht zu begreifen schien, dass die Hobbits sich mit ihnen in Gefangenschaft befanden, doch Zeit für Erklärungen gab es nicht.
Als Frodo dann Legolas erfasste, wurde er nicht im Geringsten beruhigt. Der Elb lebte noch, doch selbst ohne mit Tanhis ein Wort zu wechseln, konnte er sehen, dass dieser Zustand nicht mehr lange andauern würde. Er war bewusstlos, aber durch seinen Körper lief ein beständiges Beben, seine Wangen waren eingefallen und er stöhnte immer wieder auf. Nach Halt suchend umklammerte er Tanhis' Hände, die versuchte, ihn zu beruhigen und mit ihm sprach, doch nichts deutete darauf hin, dass er etwas davon zur Kenntnis nahm, oder was um ihn herum geschah.

Tanhis hatte nicht glauben wollen, was sie da sah. Drei der Hobbits kauerten neben ihr auf dem Boden, alle mehr oder weniger angeschlagen und starrten zu ihr herüber, als wollten sie sich dafür entschuldigen, dass sie anwesend waren.
Rinyaviê lachte schallend und genoss es sichtlich, die Freunde einfach nur zu mustern und sich die Reaktionen von ihnen anzusehen, als sie einander erblickt hatten. Schließlich zog er Frodo am Kragen hoch, der ihm am Nächsten saß und funkelte ihn an.
"Wer seid ihr und was schnüffelt ihr hier herum, he? Rede gefälligst!"
Frodo verhielt sich so still wie möglich und hoffte, Rinyaviê würde wieder von ihm ablassen, doch sein Schweigen verursachte genau den Gegensatz und er wurde so sehr geschüttelt, dass sein Kopf von links nach rechts gerissen wurde. Ein weiterer Schlag traf ihn und er hörte Sam aufschreien und gleich darauf wurde er einfach fallen gelassen. Benommen blieb er liegen, doch als er die Augen wieder öffnete, sah er den Grund für seinen plötzlichen Sturz.

Sam hatte sich Rinyaviê entgegen geworfen, als er gesehen hatte, wie er Frodo behandelte und jetzt wurde er am Kragen gehalten und musste einige Schläge einstecken, das Blut lief ihm bereits von der Lippe am Kinn herunter und Frodo schrie auf.
"Nein, lasst ihn los!", doch er konnte sich nicht rühren, so sehr steckte der Schmerz des Sturzes noch in seinen Knochen.
Der Aufschrei weckte jedoch Rinyaviês Interesse und er musterte erst Frodo und dann Sam, während sich ein gefährliches Lächeln auf seine Lippen legte und er dann wissend die Augenbrauen hochzog.
"So ist das also. Wenn ich etwas hören möchte, muss ich nur die richtige Art der Aufmerksamkeit anwenden. Na, mal sehen, ob dich das hier zum Sprechen bringt!"
Er ging zum Fenster und noch eher einer sich versah, riss er Sam hoch und hielt ihn, immer noch am Kragen gepackt, mit den Oberkörper über den Sims.

Sam glaubte, seine Zeit wäre abgelaufen und von Panik ergriffen, starrte er in den Abgrund, der sich unter ihm öffnete. Als winzigen, kleinen Fleck machte er den Burghof mit seinem Brunnen aus und wie Ameisen tummelten sich die Menschen darauf, die vor der Schlacht in das Innere der Stadt geflüchtet waren. Ihm brach der Angstschweiß aus und seine Hände wurden so schwitzig, dass er es nicht einmal vermochte, sich an den Armen seines Feindes festzuklammern. Sein Magen zog sich zusammen und er dachte daran, dass er wohl nie mehr das Auenland wieder sehen würde, mit seinen saftigen, grünen Wiesen und den kräftigen Bäumen, oder gar seinen geliebten Garten in Beutelsend. Er hörte Frodo entsetzt aufschreien und schloss die Augen, um nicht mehr in den Abgrund sehen zu müssen.

"Seid ihr jetzt bereit, mir Auskunft zu geben? Oder seid ihr immer noch stur?" Er drückte Sam noch weiter ins Freie, sodass seine Beine das Einzige waren, die sich noch halbwegs im Zimmer befanden und Frodo kam auf die Füße, um nach Rinyaviês Arm zu greifen und Sam zurückzuziehen.
"Gebt ihn frei! Ich will euch auch alles sagen, was ihr wissen wollt! Aber bitte, lasst ihn nicht los!" Frodo konnte nicht mehr länger an sich halten und seine Furcht, Sam könnte von diesem Ekel tatsächlich fallen gelassen werden, steigerte sich ins unermessliche. Er sah Sam fallen, hilflos mit den Armen in der Luft rudern und weit aufgerissenen Augen, während er versuchte einen Halt zu finden, den es nicht gab, bis er schließlich immer kleiner wurde und...
Wieder schrie Frodo Rinyaviê an und diesmal begann dieser wieder laut zu lachen und brach dann abrupt ab und blickte listig auf Frodo herab.
"Ich werde ihn erst wieder herein ziehen, wenn ihr mich mit euren Auskünften zufrieden gestellt habt!"
Frodo nickte, was blieb ihm auch anderes übrig?

Thranduil rannte durch die Feste und suchte nach Spuren, die ihn zu den anderen Hobbits führen würden. Pippin hatte ihm gesagt, wo sie sich Anfangs verborgen gehalten hatten, doch er hatte sich erst gar nicht die Illusion gemacht, sie noch, oder wieder, in dem Raum anzutreffen. Er hatte inzwischen das Haupthaus völlig durchkämmt und befand sich nun in der ersten Etage des Turms.
Bei seiner Suche hallten die Worte des Hobbits noch immer in seinem Kopf und obwohl er es sich niemals eingestanden hätte, so verspürte er doch klar das Gefühl der Furcht in seinem Herzen. Der Freund seines Sohnes hatte ihm zwar nur von dessen Gefangennahme erzählt, doch zwischen den Zeilen hatte er noch weitaus beunruhigendere Gedanken erraten, die ihn zu der Annahme trieben, dass sich die Lage als weitaus bedrohlicher darstellte, als der Hobbit es gesagt hatte.
Sein Gespür trog ihn selten und so wurden seine Schritte schließlich immer schneller und er flehte zu den Valar, dass ihn sein Instinkt nur dieses eine Mal täuschte.
Ja, er sorgte sich um Legolas! Das wurde ihm immer bewusster und er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er ihm nie gesagt hatte, was ihm sein Sohn bedeutete. Ständig hatte er nur daran gedacht, ihn auf seine mögliche Herrschaft vorzubereiten und immer das Äußerste von ihm verlangt, selbst wenn er seine Pflichten und Aufgaben mit Bravour gemeistert hatte. Er hatte immer mehr von ihm verlangt, als er aufbringen müsste, weil er ihn zu einem noch besseren König machen wollte, als er selbst es war und dabei völlig übersehen, dass sein Sohn etwas ganz anderes benötigte, als einen strengen König. Er hätte einen liebenden Vater gebraucht, in letzter Zeit mehr denn je.

Thranduil sah ihn vor sich, wie er nach seiner Befreiung in Lôrien eintraf, blass, schwach und vor Kälte zitternd. Er hätte ihm die nötige Ruhe einräumen sollen, hätte ihn in seine Arme schließen sollen, um ihm seine Erleichterung über seine Befreiung zeigen sollen und ihn nicht auch noch mit Fragen und tadelnden Blicken quälen sollen, als er kaum noch in der Lage gewesen war, den Verhör zu folgen.
Doch jetzt war es zu spät für diese Einsicht. Er konnte die Zeit nicht zurückdrehen und musste darauf hoffen, das Legolas ihn verstand, wenn er ihn fand und er es ihm erklärte. Sicher würde er ihn verstehen und ihm verzeihen.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hastete er weiter den Turm hinauf.

Rinyaviê erhielt Antworten auf all seine Fragen, auch wenn es Frodo nur schwer über die Lippen kam, ihm alles von sich und den Anderen Preis zu geben, doch Sams Leben hing, im wahrsten Sinne des Wortes, einzig von diesen Auskünften ab. Er teilte Rinyaviê mit, wer sie waren, warum sie in sich in der Feste befanden und nicht in der Stadt an der Seite ihrer Freunde, aber auch, was sie über den König und seine Pläne wussten.
Glücklicherweise kam der Haradrim jedoch nicht auf die Idee danach zu fragen, ob sonst noch jemand von dessen Anwesenheit in der Feste wusste, und so geriet Frodo nicht in die Lage, etwas über Pippin zu erzählen, der nun ihre letzte Hoffnung war. Sicher wäre Frodo nicht Imstande gewesen zu Lügen, durch seine Angst um Sam wäre Rinyaviê sicher sofort darauf aufmerksam geworden und hätte auch ihre verbliebene Zuversicht auf Rettung zerstört, doch so atmete Frodo schließlich erleichtert auf, als sein Gegenüber Sam wieder ins Zimmer zog und ihn achtlos fallen ließ.

Frodo lief auf seinen Freund zu, der sich die Kehle rieb und am ganzen Körper zitterte, so sehr saß der Schock und die Angst noch in seinen Gliedern und er umarmte ihn erleichtert.
"Sam! Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung, oder hast du irgendwo Schmerzen?", sprudelte es aus ihm heraus und er suchte Sams Blick.
"Nein, mir geht es soweit ganz gut, nur etwas zittrig in den Knien. Aber was ist mit Legolas?"
Erst jetzt wurde sich Frodo seiner wieder gewahr und er half Sam wieder auf die Beine und sie eilten zu Merry, der sich schon zu Tanhis gesellt hatte und niedergeschlagen und traurig neben ihr hockte.
Tanhis sah ihnen entgegen und wandte sich dann wieder Legolas zu, doch Frodo war auch in diesem kurzen Moment ihre Angst und Verzweiflung aufgefallen, als ihre Blicke sich trafen.
Er verfluchte sich selbst, dass sie nicht vorsichtiger gewesen waren und sich hatten einfach überrumpeln lassen, ohne auch nur das Geringste versuchen zu können, um Tanhis und Legolas aus dieser Lage zu befreien. Sie hätten es zumindest schaffen können, die Wachen eine Zeit lang so abzulenken, sodass Tanhis vielleicht mit Legolas hätte fliehen können, doch nun gab es keine Gelegenheit mehr!
Etwas mehr als eine Hand voll Haradrim standen an der Türe und der gegenüberliegenden Wand und hielten sie ständig im Auge und ihre Waffen lagen auf dem Pult, gegen das sich Rinyaviê lehnte. Außerdem war noch ein Mann ins Zimmer getreten, älter als alle Anwesenden und in eine schlichte Kutte gekleidet, der sich in einem der Lehnstühle niedergelassen hatte und zu Tanhis herüber starrte.

Frodo wandte sich wieder Tanhis zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. Er hätte ihr gerne etwas Mut zugesprochen, ihr gesagt, dass immer noch Hoffnung bestand, doch er glaubte schon fast selber nicht mehr daran, vor allem nicht, nachdem er noch einen Blick auf Legolas warf. Die Zeit rann ihnen einfach davon, wie trockener Sand durch ihre Finger! Er wusste nicht was den Elben in diesen Zustand versetzt hatte, doch er ahnte, dass die Ursache dafür etwas verheerendes sein musste, wenn nicht einmal Tanhis ihm bisher hatten helfen können. Schließlich hielt er die Ungewissheit nicht mehr länger aus und zog sie zu sich herum.
"Was ist mit ihm? Wurde er verletzt? Erzähl schon Tanhis!", forderte er sie eindringlich auf.
Tanhis zuckte hilflos mit den Schultern.
"Er..., sie haben ihn vergiftet...schon in den Höhlen, bei seiner ersten Gefangenschaft. Ich weiß nicht was oder wie, aber ich weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Er wird immer schwächer und seid einer Stunde ist er nicht mehr zu sich gekommen."
Sie erzählte alles was sie wusste, auch über Alcthon und das er mehr wusste, als er ihr gesagt hatte. Frodo richtete bei ihrem Bericht seine Aufmerksamkeit wieder auf den alten Mann, dessen Identität er nun kannte und er hätte ihn gerne gepackt und so lange geschüttelt, bis er ihm verraten hatte, was sie tun konnten. Wie konnte er nur ruhig dasitzen und zusehen, wie Legolas starb?
Frodo presste seine Lippen zusammen und Bitterkeit legte sich auf sein Gesicht, während die Wut immer mehr in ihm hochstieg, bis sie ihn ausfüllte. Am liebsten hätte er sie lauthals heraus geschrieen, doch was hätte das gebracht? Sie mussten Handeln, jetzt, und keine wertvolle Zeit mehr verschwenden. Es war verrückt, einen Angriff zu wagen und zu versuchen, an ihre Waffen zu gelangen, aber – hatten sie eine andere Wahl?
Entschlossen drehte er sich wieder zu seinen Freunden und bedeutete ihnen, näher zusammen zu rücken, doch er kam nicht mehr dazu, mit ihnen einen Plan zu schmieden, denn plötzlich flog die Türe auf, schlug krachend gegen die Wand und ein Wachmann ging benommen zu Boden.

Binnen Sekunden überschlugen sich dann die Ereignisse. Tanhis schrie Thranduils Namen, völlig überrascht, ihn hier zu sehen, dann sprang sie auf und fing mit Leichtigkeit das Krummschwert auf, dass er ihr zuwarf. Es schien, als habe er gewusst, dass sie genau an dieser Stelle des Zimmers stand, denn er sah weder zu ihr herüber, noch schien er im Geringsten verwundert darüber, dass sie sich überhaupt in diesem Raum befand. Er stürzte sich auf eine Gruppe Haradrim, die auf Rinyaviês Befehl hin auf ihn zu stürmten und wehrte sie so gut er vermochte ab. Tanhis war blitzschnell an seiner Seite und Frodo war nur einen Moment lang verwirrt. Er schrie Merry und Sam zu und schon war er zum Tisch herüber gerannt und packte sein Schwert, das jetzt unbeaufsichtigt war und die beiden taten es ihm gleich.

Sie waren ihren Gegnern zahlenmäßig weit unterlegen, dennoch verteidigten sie sich verbissen. Tanhis tötete zwei Wachmänner und gelangte immer weiter auf ihr Ziel zu, Alcthon! Sie hatte nur noch im Sinn, ihm das Schwert an die Kehle zu drücken und aus ihm heraus zu holen, was er von dem Gift und dem Gegenmittel wusste, dass war Legolas einzige Chance. Ihre Verzweiflung ließ sie noch schneller und kraftvoller kämpfen und bald war sie wieder ein Stück näher an dem alten Mann.
Merry, Frodo und Sam kämpften Seite an Seite und gaben sich gegenseitig Deckung, doch ihre Gegner bedrängten sie sehr und Frodos Arme schmerzten, wenn seine Klinge auf die eines Haradrim traf und sich der Aufprall auf seine Glieder übertrug.
Thranduil war, neben Tanhis, einer der gefährlichsten Kämpfer im Zimmer und er führte mit vollkommener Sicherheit seine Schwerthiebe aus und die Zahl ihrer Angreifer schwand zusehends. Seine Gegner sahen dem Tod ins Auge und diese Gewissheit, veranlasste sie , vor Furcht zu zittern und es verschaffte Thranduil einen weiteren Vorteil. Aus den Augenwinkeln sah er Tanhis, die einen Lehnstuhl umwarf und sich einen Mann packte, der sich dahinter verbarg, um dem Kampf zu entgehen.

Tanhis Griff nach Alcthon und zog ihn zu sich empor, ihre Augen glitzerten und sie konnte sich nur noch mit Mühe beherrschen. Nichts um sich herum nahm sie noch zur Kenntnis, sondern richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf Alcthon, der seine Hände in einem Unheil abwehrenden Zeichen vor sich hielt und vor Angst schlotterte.
"Sprich! Was kann ihm noch helfen?", schrie sie ihn an und drückte ihm die Spitze der Klinge auf seine Brust. Als sie jedoch die Haltung seiner Hände sah, lachte sie amüsiert auf und begann, elbische Worte zu sprechen, denn sie erkannte den wahren Grund für Alcthons Furcht. Tatsächlich erbleichte er, als er ihre Worte vernahm und der Blick ihrer grünen Augen durchbohrte ihn. Gequält schrie er auf.
"Nicht! Haltet den Fluch zurück. Ich sage euch, was ihr verlangt: Es ist der Saft der
Cavanl ..."
Alcthon kam nicht dazu, den Satz jemals zu beenden. Er riss seine Augen auf, starrte Tanhis an, seine Augen weit aufgerissen, während er nach Luft schnappte und sich an ihr festkrallte. Als er den Mund mit einer letzten Anstrengung öffnete, quoll über seine Lippen Blut und seine Worte gingen in einem Ekel erregenden Gurgeln unter. Tanhis machte die Ursache für seinen Zustand aus, einen Dolch, der sich nur eine Handbreit von ihrem Arm mitten in sein Herz gebohrt hatte.
"Nein!", stieß sie hervor und hielt den erschlafften Körper des Mannes umfangen, dessen Gesicht mit weit aufgerissenen Augen zu ihr empor starrte. Mit einem letzten Stöhnen sank er in sich zusammen. Er war tot.

Thranduil zog sein Schwert aus seinem letzten Opfer, als ein Aufruhr hinter ihm seine Aufmerksamkeit erregte. Er warf sich zu Boden, als ein weiterer Haradrim zum Schlag ausholte und er rutschte ein Stück auf dem glatten Stein und rollte sich dann auf den Rücken und wehrte den Vergeltungsschlag seines Angreifers gerade noch rechtzeitig ab. Er holte aus und zerschnitt dem Mann die Sehnen seines Knies, der daraufhin niederfiel und seine Deckung aufgab, was ihm augenblicklich den Tod brachte.
Thranduil rappelte sich hastig vom Boden hoch und suchte den Grund für Tanhis' verzweifelten Aufschrei, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte und sah, wie sie auf den Mann starrte, der leblos in ihren Armen lag, ohne zu wissen, was sie so in Verzweiflung versetzte. Ein hämisches, schallendes Gelächter ließ ihn herumfahren und was er erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Auch die Hobbits verharrten regungslos, als sie die Situation in vollem Umfang erfassten. Alle Krieger waren besiegt, doch Tanhis hielt auch den toten Mann umfangen, der Legolas als einziger hatte retten können und als ob dies noch nicht ausreichte, so hatte Rinyaviê ihre ganze Schwäche erkannt.
Er stand neben der Liege und hatte Legolas empor gerissen, um den besinnungslosen Elben wie einen Schutzschild vor sich zu halten, in der Hand einen weiteren Dolch, den er ihm an die Kehle drückte, während er belustigt grinste, als er die entsetzten Blicke der Anwesenden musterte, die wie erstarrt dastanden und ihn fixierten.
"Zurück! Oder euer Prinz wird umgehend Alcthon folgen! Ihr dachtet wohl, ihr hättet gewonnen, doch noch ist der Krieg nicht entschieden."
Wieder lachte er auf und Tanhis glaubte, ihre Beine könnten sie keine Sekunde länger tragen. Kraftlos ließ sie Alcthon zu Boden sinken und war nicht Imstande, sich zu bewegen. Sie sah, wie Rinyaviê sich dem Ausgang näherte, um ihnen wieder zu entkommen.

Thranduil zögerte einen langen Moment, denn das erste Mal vertrau

te er seinen eigenen Fähigkeiten nicht, doch es galt alles zu verlieren, wenn er das Risiko nicht einging. Er war schnell, das wusste er, doch das Ziel, das es zu treffen galt, war viel zu klein und wurde immer wieder von seinem Sohn verdeckt und lag nur für Bruchteile frei vor ihm. Nicht auszudenken, wenn er nur einen Millimeter daneben traf...
Und doch wusste er es ganz sicher, mit jedem einzelnen Schlag seines Herzen, dass es nur diese eine Chance gab.
Schneller, als weder die Hobbits, noch Tanhis es wirklich sehen konnten, hatte er Pfeil und Bogen zur Hand, gespannt, geschossen und präzise getroffen. Der Pfeil schlug mit einem dumpfen Geräusch in den Kopf von Rinyaviê ein und trat an dessen Rückseite wieder aus, er fiel nach hinten über, wo sein Blut sich auf die Steinfliesen ergoss und sie rot färbten.

Tanhis keuchte noch erschrocken auf, als Thranduil auch schon vorwärts stürmte und Legolas auffing, ihn auf seine Arme hob und sich nach ihr umsah. Ihre Blicke trafen sich und Tanhis sah in seinen Augen plötzlich den unbeschreiblichen Schmerz und die Sorge, wie nur ein Vater sie empfinden konnte, der um das Leben seines Sohnes fürchtete. Sie konnte sich noch immer nicht rühren und sie brachte es nicht über sich, ihm und den Hobbits die Wahrheit zu sagen. Es gab keine Rettung mehr, Alcthon war tot und hatte sein Wissen mit sich in die Ewigkeit genommen und diese Erkenntnis, riss sie plötzlich von den Beinen. Schluchzend brach zusammen und stammelte immer wieder die gleichen Worte, die letzten Worte, die Alcthon gesagt hatte.

Aragorn wandte sich von Pippin ab und setzte sich in Bewegung, seine Schritte weit ausgreifend und entschlossen. Das waren wahrlich die schlechtesten Nachrichten, die der Hobbit ihm hatte überbringen können und jeder seiner Sinne sagte ihm, dass höchste Eile geboten war und trieb ihn vorwärts.
Ohne dass er sich umsehen musste, wusste er, dass Gimli und Pippin ihm folgten, er spürte ihre Anwesenheit in seinem Rücken – und seinem Herzen.
Die Armeen der Haradrim hatten einen verheerenden Schaden in der weißen Stadt verursacht und waren bis in den dritten Ring gelangt, doch mit der Unterstützung der Elben hatte sich das Blatt rasch gewendet. Es war ihnen gelungen, die Truppen zurück zu drängen, doch sie hatten viele Männer verloren, gute Krieger, aber gleichzeitig auch Ehemänner und Väter und die Trauer würde Minas Tirith noch lange erfüllen. Überall tobten kleinere Brände und Häuser waren niedergerissen, doch all das nahm Aragorn nicht zur Kenntnis. Die Angst, dass auch er bald um einen Freund trauern musste, erzeugte Kälte auf seiner Haut, die sich bis in sein Herz bohrte und in seiner Brust breitete sich ein Gefühl der Enge aus. Panik kroch durch seine Adern und er zwang sich, wieder zu atmen und das Gefühl zu verdrängen. Er musste Ruhe bewahren!

Gimli und Pippin konnten kaum mit ihm Schritt halten, doch sie wagten nicht, sich zu beschweren oder zu verlangen, dass er das Tempo zügelte, denn auch sie wurden von der Furcht getrieben und konnten nicht schnell genug die Feste erreichen, Noch nie hatte Pippin den Anblick des Turms mit solchen Augen gesehen, wie jetzt, doch er ragte fast bedrohlich vor ihnen auf, hob sich hell gegen den Nachthimmel ab. Seine Spitze stieß an die Wolken, Regenwolken, die heraufgezogen waren und ein Gewitter ankündigten, dessen Grollen den Kampflärm abgelöst hatte und einzelne Blitze zuckten bereits am Himmel.
Im Inneren des Turms lag die Wahrheit, die ihnen erbarmungslos mit dem Erreichen des Turms die Gewissheit bringen würde, ob sie noch Rechtzeitig kamen, oder zu spät...
Es brannte nur im oberen Turmzimmer ein schwaches Licht, dass nur schwer hinter den Wolken auszumachen war, ihnen aber den Weg zu weisen schien.
Als sie in die Feste gelangten, strebte Aragorn umgehend den Treppen zu und hastete die Stufen herauf...

Frodo war neben Tanhis geeilt und hatte sie versucht zu beruhigen, damit sie ihnen endlich mitteilen konnte, was sie wusste. Es war viel Zeit verstrichen, so kam es Frodo jedenfalls vor, bis sie sich endlich gefangen hatte und ihnen alles sagen konnte.
Danach waren alle wie betäubt, wechselten stumm entsetzte Blicke und vermochten nicht zu glauben, was Tanhis ihnen berichtet hatte. Das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein!
Thranduil stand da, während er Legolas noch immer in seinen Armen hielt und sah auf seinen Sohn nieder. Er vermochte nicht, klar zu denken, fühlte sich hilflos, schuldig und leer. Er konnte Legolas nicht helfen, ihm nicht mehr sagen, wie viel er ihm bedeutete.
Er drückte ihn an sich und wusste, er würde ihn nicht mehr loslassen, noch nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde. Sein ganzes Leben hatte er seinen Sohn alleine gelassen, jetzt würde er ihn wenigstens in seinen letzten Stunden nicht alleine lassen! Es schien ihn all seine Kraft zu kosten, einen Fuß vor den anderen zu setzen, als er sich zurück zu der Liege begab und Legolas vorsichtig niedersinken ließ.
Er spürte, wie Tanhis neben ihn trat und auch die Hobbits sich näherten, doch er konnte seine Augen nicht von Legolas nehmen. Plötzlich durchfuhr Thranduil ein Gedanke, eine Erinnerung, die weit aus seinem Gedächtnis in sein Bewusstsein drang und er wirbelte zu Tanhis herum.
"Was hat Alcthon gesagt? Cavanl...? Moment, ich erinnere mich an eine Pflanze...wie hieß sie noch gleich...? Cavanlhach! Sie konnte bei Entzündungen helfen, aber war auch giftig!
Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, so weist Legolas genau die Anzeichen für die Wirkungsweise dieses Giftes auf!"
Tanhis und die Hobbits wurden von neuer Hoffnung durchflutet, die Thranduil im nächsten Moment bestätigte.
"Ich erinnere mich, dass einer unserer Heiler vor vielen Jahren einen Elben unseres Volkes damit behandelt hat und ich glaube das Gegenmittel zu kennen! Melelda!"
"Drachenblut?", fragte Tanhis. "Aber wo sollen wir das hernehmen? Es sind schon seit Jahren keine mehr in Mittelerde gesichtet worden! Sie sind, soviel ich weiß, ausgestorben!"
Die Flamme der Hoffnung erlosch, noch bevor die Glut das Feuer richtig entfacht hatte, doch Thranduil schüttelte entschieden den Kopf.
"Die Drachen sind zwar ausgestorben, aber etwas von ihrem Blut, ist im Besitz der Elben. Seht!"
Er zog unter seiner Tunika eine Kette hervor, an der ein silberner Anhänger in Tropfenform hing. Drachen, mit langen, gebogenen Körpern und Schwänzen hielten eine Phiole aus Glas, die mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war und als der König sie ins Licht drehte, leuchtete sie schimmernd auf, erstrahlte in einem tiefen Rot.

Mit einem kurzen Ruck riss er sich die Kette vom Hals und löste den Anhänger, ging vor Legolas auf die Knie und hob seinen Kopf an. Während er ihm die zähe Flüssigkeit einflößte, murmelte er flehende Worte.
"Ich hoffe, ich handle richtig und meine Erinnerung trügt mich nicht!"
Das Blut rann Legolas' Rachen entlang und einige Tropfen gaben seinen Lippen einen Hauch von Farbe, die ihn nicht mehr so entsetzlich blass erscheinen ließ. Als Thranduil den Inhalt völlig gelehrt hatte, machte er Tanhis Platz, die sich auf die Knie niederließ und Legolas' Hände ergriff. Abwartend schauten alle auf den Elben nieder und eine geraume Zeit verstrich, in der nichts geschah.
Völlig unerwartet, sodass sie vor Schreck zusammenzuckten, stöhnte Legolas plötzlich auf und klammerte sich an Tanhis, die ihn voller Entsetzen beobachtete. Nebliger Rauch quoll zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor und er riss die Augen auf, ein gequältes aufblitzen von Blau, dann verdrehte er sie, bis nur noch das Weiße darin zu sehen war und sein Körper spannte sich an.
"Legolas!", rief Tanhis verzweifelt und Furcht ergriff sie, dass seine Kräfte nicht mehr ausreichen würden. "Legolas!"
Schließlich erschlaffte er in ihren Armen und sank auf die Liege zurück und sie vernahm sein gedämpftes Stöhnen. Legolas rollte sich auf die Seite und stieß langsam den Atem aus, und wieder drangen Rauchkräusel aus seinem Mund hervor.
Erleichterung durchflutete sie, als seine Züge sich entspannten und er gleichmäßig atmete; Thranduil hätte sie ruhig vor dem Rauch warnen können!
Sie strich Legolas einige zerzauste Strähnen aus der Stirn und ließ ihre Finger durch sein Haar gleiten. Seine Schläfen waren noch immer schweißnass, doch das Zittern hatte aufgehört und der nächste Laut, den er von sich gab, war mehr ein Seufzen als ein Stöhnen und er entspannte sich.

Tanhis fühlte Thranduils Hand auf ihrer Schulter und hörte, wie die Hobbits hinter ihr aufatmeten und dann vernahm sie eilige Schritte auf der Treppe. Im nächsten Augenblick stürmte Aragorn ins Zimmer, erfasste seine Freunde und war neben Tanhis. Er sah sie fragend an, doch ihr Blick, erfüllt mit Erleichterung, reichte ihm als Antwort.

Thranduil saß neben dem Lager, auf dem sein Sohn nun schon seit fünf Tagen ruhte, ohne wieder zu Bewusstsein gelangt zu sein. Er und Tanhis waren ihm nicht von der Seite gewichen und hatten sich immer abgewechselt, damit jemand bei Legolas war, sollte er erwachen. Dabei hatten sie aber lange Gespräche geführt und sich besser kennen gelernt, was dazu geführt hatte, dass Thranduil nun noch mehr verstand, warum er sich in die Elbin verliebt hatte. Sie war klug, wusste, was sie wollte und äußerst liebenswert – und hübsch. Dass sie auch noch kämpfen konnte, hatte sie ihm ausreichend bewiesen, selten hatte er eine schnellere, geschicktere Kriegerin gesehen.
Legolas! Ja, er würde mit ihr glücklich werden! Sie liebte ihn und er sie, dass bewies auch der Umstand, dass er im Schlaf immer wieder ihren Namen gemurmelt hatte. Er schien oft zu träumen, denn er sprach im Schlaf, und nicht immer schienen es gute Träume zu sein. Er hatte sich auch gequält hin und her geworfen, oder aufgeschrieen, doch sobald er eine Berührung gespürt hatte, wenn sie ihm beruhigend die Hand auf die Brust gelegt hatten, war er mit einem erleichterten Seufzer zurück in die Kissen gesunken.

Jetzt wand er sich wieder hin und her und Thranduil umschloss augenblicklich seine Hand und musterte das Gesicht seines Sohnes. Sein Blick fiel auf die Narbe, die sich in einer feinen, weißen Linie seine Wange entlang zog und von plötzlicher Neugier erfasst, öffnete er die Schnüre von Legolas' Tunika und zog sie mit vorsichtigen Bewegungen zur Seite.
Bei den Valar! Sein Oberkörper war gezeichnet mit einer Vielzahl von Narben, die er sich im Laufe seines langen Lebens im Kampf zugezogen hatte und einige zeugten davon, dass er nur knapp dem Tod entgangen war. Wie hatte er solche Verletzungen überlebt? Und wann hatte er sie sich zugezogen?
Wieder kam ihm ins Bewusstsein, dass er seinen Sohn kaum kannte und nichts über ihn wusste! Eine fast verblasste Narbe erregte dann Thranduils Aufmerksamkeit und ein Lächeln verzog seine Lippen, als er sich daran erinnerte, woher sie stammte. Legolas war als kleiner Junge beim Spielen auf einen Baum geklettert und war von seinem Kameraden heruntergeschubst worden, um ihn daran zu hindern, ihn zu überholen. Dabei hatte er mit der Schulter einen abgebrochenen Ast gestreift, der einen tiefen Riss hinterlassen hatte und Thranduil wusste noch, wie er seinen Sohn hochgehoben und ihn tröstend in den Armen gewiegt hatte. Das war schon so lange her!

"Sie sind schlimm, nicht?", sagte plötzlich jemand hinter ihm, und er erkannte Tanhis augenblicklich an der Stimme.
"Ja. Die schlimmsten, die ich je gesehen habe.", gestand er – er, der unzählige Schlachten gekämpft und unzählige Verwundete gesehen hatte.
Ohne weiter etwas zu sagen, setzte Tanhis sich neben ihn und leistete ihm Gesellschaft.

Legolas schlug die Augen auf, geweckt von dem Geräusch von Wasser, das in eine Schüssel gegossen wurde und dem Geruch von Tanhis' Haar, dass sich um ihren Kopf wand, der auf ihrem Arm ruhte, während sie neben seinem Lager saß und schlief. Beruhigt über ihre Anwesenheit, glitt er wieder in den Schlaf.

"Wir hätten ihn beinahe gehabt.", flüsterte Thranduil Gimli zu, der den Kopf zur Türe hereinsteckte. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass er das nächste Mal ganz erwachen wird."
Er blickte auf seinen Sohn und seine Geliebte, die immer noch schlafend an seiner Seite saß und lächelte.
"Ich werde sofort einen Boten nach euch und euren Freunden schicken, wenn er wieder zu Bewusstsein kommt."
Gimli brummte mürrisch, kam diese Äußerung doch der Aufforderung gleich, die Türe wieder zu schließen, von Außen!
Als Thranduil wieder ans Bett trat, steckte er die Decke um Legolas herum fest und strich ihm sacht über die Brust, wo er seine Hand einen Augenblick ruhe ließ. Sein Herz schlug regelmäßig und kräftig.

Als Legolas das nächste Mal erwachte, nahm er das Prasseln von Feuer wahr und sein Gefühl sagte ihm deutlich, dass er in Sicherheit war; in Minas Tirith. Er hatte diesen Ort auch mit geschlossenen Augen erkannt, er konnte die unverkennbaren Geräusche hören und die untrügliche Vielfalt von Gerüchen ausmachen, die diesen Umstand bewiesen.
Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und derart beruhigt öffnete er die Lider und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Die Wände waren gekrümmt und aus Stein, definitiv der Turm Ecthelion, es war Nacht und nur der Schein des Feuers warf ein schummriges Licht.
Er spürte die Anwesenheit einer Person neben sich und drehte den Kopf und machte die Umrisse eines Mannes aus, die sich gegen das Feuer im Kamin abhoben und er erkannte ihn sofort.
"Vater?", flüsterte er und erwartete, dass sich dieses Trugbild in Luft auflöste, doch stattdessen wandte Thranduil sich ihm zu.
"Du bist aufgewacht.", entgegnete er nüchtern, bevor sich der Klang der Erleichterung in seine Stimme legte. "Endlich!"