Ich habe leider noch keine Ahnung, wie ich Reviews an die Autorin weiterleiten kann. Wenn wer Tipps oder Voschläge hat, bitte melden. Danke.
Kapitel 2
Als Melinda am nächsten Tag vom lauten Gezwitscher der Vögel geweckt wurde, war die Sonne noch nicht aufgegangen. Sie drehte sich auf die andere Seite und schloss die Augen wieder, um noch ein bisschen zu schlafen, bevor sie hinunter in die Küche musste um beim Frühstückmachen zu helfen. Doch schon beim Gedanken an Frühstück knurrte ihr Magen.
Seufzend richtete sie auf und
blickte mit verschleiertem Blick auf ihren Wecker.
Es war zwanzig
nach fünf.
Stöhnend schwang Melinda die Beine aus dem Bett und rieb sich den Rücken.
„Die Betten sind eine Schande", murmelte sie und zog die grauen Leinenvorhänge, die den lapislazuliblauen Himmel hinter dem Fenster verdeckten, zur Seite. Ihr Magen knurrte schon wieder.
Und dann kam ihr ein verrückter Gedanke. So plötzlich, wie es verrückte Gedanken an sich haben und sie hatte ihn schon fast genauso schnell, wie er gekommen war, wieder verworfen, doch irgendwas ließ sie noch mal genauer darüber nachdenken.
Wenn Rose um sechs anfing das Frühstück vorzubereiten und die Kinder eine halbe Stunde später zum Essen gingen, hatte sie noch reichlich Zeit sich hinunter zu schleichen und eine Kleinigkeit aus dem Kühlschrank zu stibitzen.
Warum denn nicht, sagte sich Melinda, kehrte dem Fenster den Rücken und schlich sich aus dem kleinen Zimmer.
Die Fliesen unter ihren Füßen waren kalt und ihr kroch eine Gänsehaut über den Rücken, als sie die Einganshalle durchquerte. Leise stieß sie die Tür zur Küche auf und schlüpfte hindurch. Sie kam sich seltsam vor, wie in ihre Kindheit zurückversetzt, in der sie sich auch mehr als ein Mal, früh am Morgen in die Küche geschlichen hatte.
Melinda tapste zur Vorratskammer und hatte den rostigen Türriegel schon zur Seite geschoben, als sie Schritte von draußen näher kommen hörte.
Ein Versteck, dachte sie, doch es war schon zu spät. Die Küchentür schwang auf.
Es war Tom. Der kleine schwarzhaarige Junge bekam mindestens genauso einen Schreck, wie Melinda. Nachdem sie sich ein paar Sekunden reglos angestarrt hatten, fing Melinda plötzlich an zu lachen.
Tom machte unsicher einen Schritt zurück.
„Wirst du es ihnen sagen?", fragte er erschrocken.
Die Erzieherin lachte noch ein mal.
„Was soll ich ihnen sagen? Tom hat sich in die Küche geschlichen um etwas Essen abzuzweigen, während ich genau das selbe gemacht habe? Nein, natürlich nicht."
Eine kurze Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus. Dann fragte er:
"Du hattest auch Hunger?"
„Klar", antwortete Melinda und lächelte den kleinen Jungen sachte an. Es fiel ihr viel leichter ihn anzusehen, als am Tag zuvor. Ihr war noch gar nicht aufgefallen, wie hübsch er eigentlich war. Seine feinen Züge und sein glänzendes, rabenschwarzes Haar blieben einem beim ersten hinsehen verborgen, abgelenkt von den stechenden Augen und dem stählernen Ausdruck auf seinem Gesicht, der eher zu einem Geschäftsmann gepasst hätte, als zu einem Kind.
Eigentlich wollte Melinda raus aus der Küche und wieder ins Bett.
Er hat niemanden! Komm schon, Melinda, so schwer kann das doch nicht sein, hilf ihm ein bisschen, drängte sie ihre innere Stimme.
Melinda warf einen Blick aus dem
Fenster, dann ohne auf ihre Nackenhärchen zu achten, die sich
aufrichteten, als sie Tom wieder anblickte, sagte sie:
„Wollen
wir vielleicht ein bisschen raus gehen? Die Sonne ist gerade auf
gegangen, bestimmt ist es schon schön warm draußen!"
„Ich weiß nicht...", begann Tom, doch Melinda hatte ihn schon an die Hand genommen und durch die Hintertür hinaus in den Garten gezogen. Ein merkwürdiges Kribbeln breitete sich in ihrem Magen aus, als sie seine Hand ergriff, doch es war kein unangenehmes Gefühl.
Wie der Rest des Waisenhauses, war der Garten kein schöner Ort zum aufwachsen.
Eine Wiese zog sich an ein paar knorrigen Apfelbäumen vorbei, hier und da blühte ein Löwenzahn oder ein Gänseblümchen. Eine kaputte Schaukel hing an dem Ast einer kahlen Birke und auf den Fenstern eines kleinen, efeuüberwucherten Schuppen, dessen Dach in einer stürmischen Januarnacht eingestürzt war, glitzerte der Staub. Insgesamt machte er meist den Eindruck eines Friedhofes.
Doch an diesem Morgen war es anders. Die Morgensonne tauchte das taunasse Gras in ihr goldenes Licht, die Schaukel wippte leicht im Wind. Ein Vogel hatte sein Nest in einem der verdorrten Bäume gebaut und sang sein morgendliches Lied, während der Wind den Duft der wenigen Blumen zu ihnen hinüberwehte.
All das gab dem Garten etwas ungewohnt schönes und magisches.
Ohne lange zu zögern schlüpfte Melinda aus ihren Schuhen und lief über die taunasse Wiese. Einen Augenblick lang zögerte er, dann zog Tom sich ebenfalls die Schuhe aus und folgte der jungen Frau.
Melinda lief zu einem der Bäume
und ließ sich ins nasse Gras fallen. Tom lehnte sich an den
Baumstamm und ließ den Blick über den Himmel schweifen.
Irgendwo zwischen den Bäumen raschelte es. Melinda hörte,
wie Tom Luft holte, doch er sagte nichts. Sie sah zu ihm hoch.
„Irgendwann", sagte Tom zögernd und hielt sich die Hand
vor das Gesicht, damit die Sonne ihn nicht blendete,
„Geh ich weg von hier."
Melinda zog die Augenbrauen hoch.
„Natürlich", sagte sie und strich sich das Haar aus dem Gesicht, „Irgendwann bist du schließlich erwachsen."
„Nein, das meine ich nicht. Ich gehe schon früher. Viel früher."
Einen Augenblick lang schweifte sich in Überlegungen, dann fiel Melinda etwas auf. Sie hatte keinen Moment lang an Toms Worten gezweifelt. Viele Kinder behaupteten, sie würden schon bald weg gehen, doch nie schenkte irgendjemand ihm glauben, denn zum Schluss blieben sie alle da. Das Waisenhaus war immer noch besser, als auf der Straße zu leben. Aber Tom hatte so bestimmt gesprochen, ohne den geringsten Zweifel in der Stimme.
„Ich auch", sagte Melinda nach der kurz entstandenen Stille und ließ den Blick über die grauen, schlecht verputzten Mauern des Waisenhaus schweifen.
„Magst du Schlangen?", fragte der kleine Junge plötzlich.
„Nun", überlegte Melinda, „Ich hab vielleicht ein bisschen Angst vor ihnen, aber sie sind schon... außergewöhnliche Tiere. So elegant."
Tom schüttelte den Kopf, wie um eine lästige Fliege abzuschütteln.
„Du musst doch keine Angst haben", sagte er, „Du doch nicht!"
„Wie meinst du das?", fragte Melinda erstaunt.
„Du bist doch..."
Doch weiter kam er nicht. Die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er sah, wie die hintere Küchentür geöffnet wurde. Melinda wirbelte herum.
„Was haben sie sich dabei gedacht?", schimpfte Mrs. Cole und stampfte zu ihnen hinüber, „So früh am Morgen. Und dann noch ohne Schuhe, Melinda, das Kind erkältet sich noch!"
„Entschuldigen sie bitte", seufzte Melinda.
„Es war so schön warm draußen."
„Schön warm?", fragte Mrs. Cole aufgebracht, „Wissen sie was schön warm ist? Ein Urlaub in der Karibik, aber glauben sie mir, wenn sie so weiter machen, frage ich mich, ob Urlaub, je für sie in Frage kommt!"
„Jaja, schon gut. Wir gehen ja schon rein", murmelte Melinda und schob Tom vor sich her, hinein ins Haus. Und auch die Wärme, die sich langsam in Toms Gesicht und Augen geschlichen hatte, während sie gesprochen hatten, verschwand auf einen Schlag. Nun sah er wieder teilnahmslos und abweisend aus.
Mrs. Cole warf den Beiden noch einen giftigen Blick hinterher, als ihr etwas auffiel; Tom hatte nur selten und auch immer nur das nötigste mit irgendjemandem gesprochen. Nie hatte sich eins der anderen Kinder mit ihm befreundet, sogar zum Psychiater hatten sie ihn gebracht, natürlich erfolglos. Noch niemals zuvor hatte er die Nähe einer erwachsenen Person gesucht und jetzt kam diese junge, dumme Mädchen daher, das kein Geld zum studieren hatte und unterhielt sich allein, seelenruhig und in aller Herrgottsfrühe mit ihm.
Das soll erst mal ein zweiter schaffen, dachte Mrs. Cole, diesen Jungen zum Reden zu bringen, und machte sich auf den Weg zurück ins Haus.
