Soah, jetzt gibt's schon heute das nächste Kapitel, weil ich bin heute nett :) Da ich ja nicht die Autorin bin, kann ich eure Reviews leider nicht beantworten, aber die Autorin hat Zugang zu den Reviews, und wird sich bei Gelegenheit darum kümmern. Ich bitte um Verständnis.

Kapitel 3

„Wollen sie etwas trinken?", fragte einer der Krankenschwestern freundlich.
Melinda schüttelte den Kopf. Doch als die Krankenschwester sich umgedreht hatte und das kleine, stickige Wartezimmer verließ, bereute Melinda ihren Entschluss schon wieder.
Das Krankenhaus war wirklich sehr klein und im Sommer staute sich die Hitze schnell in den kleinen Räumen an, da halfen auch die weit aufgestoßenen Fenster nichts.
Melinda fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Seit ihre Mutter in einem Krankenhaus gestorben war, waren Krankenhäuser für sie der wohl schrecklichste Ort, bis auf die alten Folterkammern, die im Ratshausmuseum so treffend dargestellt wurden. Melinda blickte nach rechts auf den Stuhl neben ihr.
„Alles in Ordnung, Judy?", fragte sie leise. Das kleine Mädchen nickte, ohne den Blick vom Boden abzuwenden.
Melinda wurde schlecht, wenn sie daran dachte, was für ein schrecklicher Zufall das hier alles war.
„Ähm, Mrs. Carmichael, sie können jetzt kommen." Die Krankenschwester war wieder da. Sie warf ihnen einen leicht verwirrten und doch sehr mitleidigen Blick zu und hielt den Beiden die Tür auf.
Melinda schluckte, doch den gewaltigen Kloß in ihrer Kehle blieb wo er war. „Judy, Kommst du?"
Judy nickte, den Blick immer noch auf den Boden gerichtet und ein Erinnerung schoss durch Melindas Kopf. Eine einzelne Träne lief über ihre Wange und zum ersten Mal, wandte Judy den Blick hoch zu ihr. Ihre großen blauen Augen weiteten sich, als sie Melindas Träne sah.
„Es geht schon", sagte Melinda rasch und schob das kleine Mädchen sanft weiter.
Die Krankenschwester warf ihnen noch einen letzten, mitfühlenden Blick zu, dann fiel die Tür hinter ihnen zu und sie standen allein auf einem dunklen Flur.
„Judy, warte einen Moment", sagte Melinda und hielt das Mädchen am Arm fest. Melinda wusste genau, wie schwer es ihr fallen würde die Worte auszusprechen, die sie sich geschworen hatte, der Siebenjährigen zu sagen.
Judy sah fragend zu ihr hoch. Melinda ging in die Knie um auf einer Höhe mit ihr zu sein.
„Also du weißt", begann Melinda etwas hilflos, „Das deine Mutter sehr krank ist." Judy nickte, die Augen des kleinen Mädchen füllten sich mit Tränen.
„Und du weißt auch, dass meine Mutter gestorben ist, als ich so alt war, wie du?" Wieder ein Nicken.
„Nun, also ich will nur, dass du auch weißt, dass ich für dich da bin, egal, was heute passiert", schloss Melinda und jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurück halten.
„Ja", antwortete das kleine Mädchen leise.
„Gut", sagte Melinda und stand wieder auf. Sie drückte die Klinke, der Tür, die ihnen am nächsten war hinunter.
Die Beiden gingen hindurch.
In dem kleinen Zimmer wa es noch stickiger, als es im Warteraum gewesen war. Kein Fenster stand offen und erlaubte dem Wind, ein bisschen Erfrischung zu spenden.
Ganz in der Ecke stand ein Bett. Eine Frau lag darin, die Decke bis zum Kinn gezogen. Ihre Haut war fahl und weiß und spannte sich wie Leder über die hohen Wangenknochen. Ihr blondes Haar, das Melinda noch aus alten Zeiten kannte, glänzend, wie flüssiges Gold, war erschlafft und von grauen Strähnen durchzogen. Die Augen der Frau lagen tief in den Höhlen und waren milchig.
„Mama", rief Judy und lief zu ihr hin.
Die Frau richtete sich langsam auf und blickte sich um. Als sie ihre Tochter erblickte, stiegen ihr Tränen in die Augen.
„Mein Kind", flüsterte sie, „Meine kleines Mädchen."
Judy lief auf sie zu und schlang ihr die dünnen Armchen um den Hals.
„Mama", rief sie noch mal und küsste ihre Mutter.
Es war als würde in Melindas Kopf parallel ein Film ablaufen. Sie hatte das alles schon mal erlebt, dass wusste sie. Sie sah ein kleines blondes Mädchen, Judy sogar gar nicht unähnlich, zu ihrer Mutter laufen, deren frühere Schönheit und Stärke, von einer Krankheit gefressen wurden.
„Melinda?", fragte die Frau und ließ für einen Augenblick von ihrer Tochter ab.
„Ja?", fragte diese mit schwacher Stimme.
„Nimm sie mit zu dir", sagte die Frau, „In ein paar Monaten hast du das Sorgerecht für sie, doch ich vermute, es macht keinen Unterschied, sie wird im Waisenhaus bleiben?"
„So langen ich dort arbeite, ja Tante Carol", flüsterte Melinda. Die Tränen strömten unaufhaltsam ihre Wangen hinunter. Wie sie spricht, dachte Melinda, sie hat keine Hoffnung mehr.
Judy hatte den Kopf an die Brust ihrer Mutter gelehnt. Melinda konnte zwar nicht sehen, ob sie weinte, doch sie wusste es.
„Bitte versprich mir", sagte ihre Tante nun ebenfalls leiser werdend, „Dass dich immer um sie kümmerst und nie..." Ihr stockte die Stimme.
„Alleine lässt?", fragte Melinda. Sie kannte diese Worte. Die Frau nickte.
„Natürlich lass ich sie nie allein."
Judy hob den Kopf, ihre Augen waren rot und verquollen. Angst stand in ihrem Gesicht.
„Mama, bleib hier", flüsterte sie und sah ihr Mutter bittend an.
„Ich bleibe doch, meine Kleine", antworte Carol und streichelte ihr sanft den Kopf, „Ich bleibe immer bei dir. Auch wenn du mich nicht siehst, sei dir sicher, dass ich bei dir bin, egal, was tust, oder wohin du gehst. Ich bleib da drin."
Sie tippte ihrer Tochter dort hin, wo das Herz war.
Und plötzlich sank sie in ihre Kissen, ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen.
„MAMA!", schrie Judy, doch es war schon zu spät, ihre Mutter konnte sie nicht mehr hören. Schweigend liefen Melinda und Judy die sonnenbeschienene Straße entlang.
Der Tag neigte sich dem Ende, doch es blieb warm und schwül.
Melinda dachte nach. Heute war etwas geschehen, was ihr Leben wohl für immer verändern würde. Ihre kleine Cousine Judy hatte ihre Mutter verloren, wie Melinda selbst vor zehn Jahren.
„Ich weiß, wie du dich fühlst", sagte Melinda leise und legte ihre Hand auf Judys Schulter.
„Weißt du nicht", wiedersprach Judy und blickte hoch. Ihr Gesichtsausdruck war vollkommen ruhig.
„Du weißt, dass ich es kann", meinte Melinda und wischte sich unwirsch über die Augen. Judy sah sie einen langen Moment an, dann strich sie sich das helle Haar aus dem Gesicht.
„Vielleicht wusstest du es mal. Aber dann hast du es wieder vergessen."
Und dann rannte sie plötzlich los. Melinda zögerte einen Moment, dann lief sie ihr hinterher.
„Judy", rief sie, „Komm bleib stehen!" Und noch bevor sie diese Worte ausgesprochen hatte, wusste sie, dass es stimmte. Sie wusste nicht mehr, wie es war.
Melinda ließ sich auf eine Bank am Straßenrand fallen. Es dauerte keine zwei Minuten, da saß Judy neben ihr. Wortlos nahm Melinda sie in den Arm. „Tut mir leid", murmelte das kleine Mädchen und schluchzte laut auf.
„Macht nichts. Du hast ja recht", antworte Melinda und streichelte ihren kleinen Kopf. Und so saßen die beiden schweigend bis in die Dämmerung da und weinten.