XXI

Leia lugte an dem Felsen vorbei, hinter dem sie Deckung genommen hatte, feuerte vier oder fünf hastige Schüsse ab und duckte sich schnell wieder. Doch die beiden Sturmtruppensoldaten im Gebüsch gegenüber schossen nicht zurück und als sie den nächsten vorsichtigen Blick riskierte, konnte sie sehen, dass ihre weißgepanzerten Gestalten in sich zusammengesackt waren und sich nicht mehr rührten.

Leia atmete ein wenig auf, obwohl der nächste Feind nicht weit sein konnte. Ihr war klar, dass sie nicht länger hier bleiben durfte. Sie musste zurück zu ihren Leuten, die sie im Chaos der letzten Minuten völlig aus den Augen verloren hatte...

Sie überprüfte ihren Blaster und stellte erschrocken fest, dass die LED-Anzeige am Griff bereits zwei rot leuchtende Striche aufwies. Die Energiezelle war fast leer.

Mechanisch grub sie ihre Hände in die Taschen ihres Tarnumhangs, aber die waren natürlich ganz leer. Die Imperialen, die sie beim Bunker verhaftet hatten, hatten sie gründlich durchsucht und ihr alles weggenommen, was sie bei sich getragen hatte. Sogar ihr Armbandchrono war beschlagnahmt worden, obwohl es bestimmt eher als Trophäe denn als Gefahr angesehen worden war. Sie stellte sich vor, wie einer der Soldaten vor seinen Kameraden damit prahlen würde, dass er die Uhr der Rebellen-Prinzessin gestohlen hatte. Bei den Imperialen galt so etwas vermutlich als Heldentat …

Der verletzte Ewok, der in der Schlammpfütze neben ihr lag, wimmerte wie ein krankes Kind. Sein braunes Fell war inzwischen pitschnass und stand in zottigen Büscheln ab und der Blutfleck an seiner Flanke war eindeutig größer geworden. Sehr viel größer. Leia beugte sich über ihn und legte zärtlich ihre Hand auf seine wollige Stirn.

„Schsch … alles wird gut. Alles wird wieder gut", flüsterte sie beruhigend, aber das war eine Lüge und sie war ziemlich sicher, dass der Ewok es wusste.

Denn für diesen armen kleinen Kerl würde nichts jemals wieder gut werden. Weder für ihn noch für seine unglückseligen Stammesgenossen …

Von ihrem Versteck aus konnte Leia ein ganzes Knäuel von Ewoks sehen, die wenige Meter entfernt in einer grasbewachsenen Senke lagen, regungslos wie ein Stapel Pelzmäntel auf dem Ladentisch eines Kürschners. Sie waren auf ihrer panischen Flucht vor einem AT-ST von denselben Soldaten niedergemäht worden, die Leia gerade erschossen hatte. Die Ewoks da drüben waren alle tot – Leia hatte sich davon überzeugt, bevor sie den einzigen Überlebenden der Gruppe mühsam in die zweifelhafte Sicherheit ihres Felsens hinübergeschleift hatte.

Ihr Ewok zitterte wie Espenlaub. Es war kein Wunder, dass er fror, nass wie er war und bei diesem Blutverlust. Leia schlüpfte aus ihrem Tarnumhang heraus und legte ihn wie eine Decke über die fröstelnde kleine Figur. Es war eine sinnlose Geste, die nichts bewirken würde, aber was hätte sie sonst machen sollen?

Ein Schatten fiel über sie. Sie griff hektisch nach ihrem Blaster, wirbelte herum und zielte auf die hochgewachsene Gestalt hinter ihr, wild entschlossen, jeden umzubringen, der ihr und ihrem Schützling zu nahe kam …

„He, he, nicht so schnell, Euer Gefährlichkeit! Ich bin's nur."

„Han!" Ihre Erleichterung war so groß, dass Leia unwillkürlich in sich zusammensank, als ihre Muskeln nachgaben. „Wo warst du denn? Ich habe schon gedacht, sie hätten dich wieder geschnappt."

„Sie hätten mich beinahe wieder geschnappt. Ich war da oben...", Han deutete auf die dicht bewaldete Anhöhe, die sich hinter ihnen erhob, „... um mal die Lage zu peilen. Und sie werden gleich uns beide schnappen, wenn wir nicht sofort von hier verschwinden. Ein AT-AT ist genau in unsere Richtung unterwegs und mit ihm ungefähr eine Trillion Imps.

Na ja, vielleicht sind es auch ein paar weniger... Ich bin nicht stehengeblieben, um sie zu zählen. Ich hab mich einfach den Abhang runterrollen lassen – und hier bin ich wieder."

Erst jetzt fiel Leia auf, dass Hans Kleidung ebenfalls voller Schlamm war, von seinen Stiefeln ganz zu schweigen. Und sein Mantel hing in Fetzen an ihm herunter. Er sah wirklich so aus, als wäre er gerade einen Abhang hinuntergerollt. Oder gleich einen ganzen Berg …

„Aber der Weg zum Bunker ist so gut wie frei, weil sie alle hinter uns her gerannt sind und jetzt mit uns Verstecken spielen. Wir müssen zurück. Sofort."

„Han ..."

„Wir müssen es wenigstens nochmal versuchen, oder nicht?"

„Ja, natürlich! Aber was machen wir mit dem Ewok hier? Wir können ihn nicht einfach so liegen lassen. Er ist verletzt, er braucht Hilfe. Vielleicht können wir ihn ja zu zweit tragen, er ist nicht so schwer. Er ..."

„Er ist tot, Leia", sagte Han sehr sanft.

Leia sah ungläubig auf ihren Schützling hinunter. Er lag tatsächlich still und stumm unter ihrem Tarnumhang, der jetzt getränkt war mit rostfarbenem Blut. Seine glasigen dunklen Augen waren weit geöffnet und starrten ausdruckslos in den sonnendurchfluteten blauen Himmel hinauf ... diesen gleichgültigen Himmel, aus dem so viel Leid zu ihm und seinem Volk heruntergekommen war...

Sie wandte sich ab, unfähig, diesen Anblick länger zu ertragen.

„Komm", sagte Han.

Und Leia kam. Hier gab es nichts mehr für sie zu tun und sie musste an ihre eigentliche Aufgabe denken. Obwohl es dafür eigentlich schon zu spät war. Viel zu spät …

Sie rannten los so schnell sie nur konnten, was auf keinen Fall schnell genug war, denn in dieser unwegsamen Wildnis war es schwer, wirklich Tempo zu machen. Überall waren Wurzeln und Steine, über die man stolpern konnte, überall war dichtes Gestrüpp mit Ranken, die sich an ihren Kleidern verhakten und sie fest hielten, bis sie sich wieder losreißen konnten. Es war wie in einem dieser endlosen Alpträume, in denen man um sein Leben laufen musste, aber nur im Zeitlupentempo vorwärts kam, egal, wie sehr man sich anstrengte…

Sie kämpften sich gerade durch ein besonders widerspenstiges Gebüsch, als plötzlich einer der imperialen AT-STs direkt vor ihnen auftauchte und eine Granate in die riesige Krone eines Mammutbaumes unmittelbar neben ihnen jagte.

Han schubste Leia mit unerwartetem Kraftaufwand über eine kleine Böschung und schrie: „Runter!", noch während er hinter ihr her hechtete.

Er fiel halb über sie und riss schützend seine Arme hoch, um seinen eigenen Kopf zu decken, als die Granate hoch über ihnen mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte, der ihnen fast die Trommelfelle zerriss.

Dann prasselte ein Schauer von dichtbelaubten Ästen und Zweigen auf sie herunter wie eine grüne Lawine … und darin verflochten andere Dinge, die über den blätterbedeckten Waldboden kullerten wie von einem Sturm abgeerntete Nüsse ...

Als Leia wieder die Augen öffnete, erblickte sie zwischen den Grasbüscheln vor ihrer Nase eine Pfote, eine kleine grau-schwarz getupfte Tatze, die immer noch eine Schleuder umklammerte... Und gleich daneben den dazugehörenden Arm, von dem sie abgetrennt worden war...

Sie starrte immer noch mit offenem Mund auf diese grausigen Überbleibsel, zu geschockt, um wirklich zu begreifen, was sie sah, als Han sie schon wieder hochzerrte.

„Weg hier! Los!"

Er zog sie hinter sich her wie einen Hund an der Leine. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, als sie ein markerschütterndes Kreischen hörten. Und im nächsten Augenblick raste eine lebende Fackel zwischen den Bäumen hervor und kam auf sie zu … ein Ewok, dessen ganzes Fell lichterloh in Flammen stand ... Seine Schreie waren entsetzlicher als alles, was Leia jemals gehört hatte …

Hans blitzschnelle Reflexe übernahmen das Kommando, lange bevor sein Gehirn eine bewusste Entscheidung treffen konnte. Wie auf Autopilot zuckte seine rechte Hand hoch und schon war sein Zeigefinger auf dem Abzug. Er schoss auf den brennenden Ewok, einmal, zweimal direkt in seinen Kopf und noch ein drittes Mal, um auch wirklich auf Nummer Sicher zu gehen. Er tötete wie ein erfahrener Profikiller, aber bei ihm war es ein Akt der Gnade …

„WEG HIER! LOOOS!"

Und wieder zerrte er seine Prinzessin mit sich, bevor der Schock sie völlig lähmte.

„Oh Gott, was haben wir nur getan?" schluchzte Leia, als sie weiterhetzten. „Die armen Ewoks … Wir hätten niemals zulassen dürfen, dass sie uns helfen ..."

Han schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Dass die Ewoks aus eigenem Antrieb den Entschluss gefasst hatten, ihren neuen Rebellenfreunden zu helfen? Dass sie keinen von ihnen auch nur nach seiner Meinung gefragt hatten, bevor sie sich eingemischt und die imperialen Truppen einfach so angegriffen hatten? Dass sie sich mit einer Unbekümmertheit, die schon an tödlichen Leichtsinn grenzte, auf einen Krieg eingelassen hatten, der nun wirklich ein paar Nummern zu groß für sie war, ohne auch nur einen Gedanken an die möglichen Konsequenzen zu verschwenden?

Jede Antwort wäre wahr gewesen – und sehr zynisch und vollkommen herzlos noch dazu. Und Han Solo mochte vielleicht ein Zyniker sein, aber herzlos war er nicht. Er war ein hartgesottener Mann in so mancher Beziehung – niemand, der seinen Lebensweg hinter sich hatte, hätte als Weichei enden und damit überleben können. Aber obwohl er schon so manches gesehen und erlebt hatte – besonders mit dem Imperium –, ging diese Sache hier auch an seine Substanz.

Also sagte er gar nichts. Aber sein Mund, der zu einer grimmigen Linie zusammengepresst war, sprach für ihn. Und vielleicht war das Antwort genug für Leia …

Als sie endlich wieder die Lichtung mit dem Bunker des Schutzschildgenerators erreichten, war dort niemand zu sehen außer C3PO, der sich um seine eigene Achse drehte wie ein außer Kontrolle geratener Kreisel und dabei ununterbrochen vor sich hin stotterte: „Ach dddu meine Gggüte … Ach dddu meine Gggüte … Ach dddu meine Gggüte..."

Er hatte offensichtlich einen Programmabsturz erlitten und als sie näher kamen, wurde ihnen auch klar, warum: In seinem Rücken prangte ein schwarz versengtes Loch, aus dem ein Bündel funkensprühender Drähte heraushing. Und R2D2 lag gleich neben ihm wie ein umgekippter Mülleimer. Sämtliche Klappen und Fächer an seinem Korpus standen offen – und es waren sehr viele Klappen und Fächer – und aus jeder Öffnung quollen dünne Rauchspiralen heraus.

Den Imperialen war es scheinbar zu riskant gewesen, zwei feindliche Droiden unbewacht zurückzulassen, als sie sich an die Verfolgung der Rebellen und der aufständigen Ewoks gemacht hatten. Und sie hatten das Problem auf typisch imperiale Weise gelöst …

„Oh nein! Auch das noch", sagte Leia unglücklich.

Hans Miene wurde noch grimmiger, wenn das überhaupt möglich war. Gerade der Verlust von R2 war jetzt ein besonders herber Schlag, denn er hätte den kleinen Astromech dringend für einen ziemlich großen Hackerangriff gebraucht.

„Na ja... Sehen wir mal, ob ich dem Ding vielleicht einen Kurzschluss verpassen kann. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt ..."

Sie eilten zum Bunkereingang hinüber, wo sie erneut vor verschlossenen Panzertüren standen. Han betrachtete die Schalttafel, die ihn heute schon einmal Zeit und Nerven gekostet hatte, mit tief empfundener Feindseligkeit. Es war wirklich ein Wunder, dass das Teil nicht vor lauter Schreck von selbst von der Wand fiel …

„Versuchs doch nochmal mit dem Code", drängte Leia.

Han bedachte sie mit einem Blick, den man nur als waidwund bezeichnen konnte. „Süße … sogar wenn ich mein Datapad noch hätte … Glaubst du wirklich, dass die Imps den Code nicht längst geändert haben?"

Leia biss sich auf die Unterlippe, verärgert über ihre eigene Naivität. Natürlich hatten die Imperialen auch Han alles abgenommen, was er bei sich gehabt hatte. Und natürlich hatten sie den Code inzwischen geändert. Alles andere wäre reine Fahrlässigkeit gewesen.

„Nein, wir haben nur noch eine Möglichkeit ..."

Han musterte seinen erbeuteten und bereits extrem stark beanspruchten Blaster mit Skepsis, dann veränderte er die Justierung auf maximale Feuerkraft. Er trat zwei Schritte zurück und schoss auf die Schalttafel, wieder und wieder und wieder. Die Tafel produzierte fast genauso viele Funken wie die Drähte in 3POs Rücken, aber das einzige, was schließlich einen Kurzschluss bekam, war der Blaster…

„VERDAMMT!" Han schleuderte die nutzlose gewordene Waffe mit einem angewiderten Keuchen von sich. „Das glaube ich jetzt einfach nicht! Hat sich denn heute wirklich alles gegen uns verschworen?"

Es sah ganz so aus …

Han riss sich am Riemen – mühsam, aber immerhin. Er drehte sich zu Leia um und fragte mit seinem berühmten schiefen Grinsen, das ihn wahrscheinlich sogar noch bis vor die Tore der Unterwelt begleiten würde: „Und was ist mit deiner Knarre, Euer Schießwütigkeit? Hast du noch ein bisschen Saft drauf?"

Das war leider nicht der Fall.

Leia fragte sich, wie sie ihrem geliebten Schmuggler die neueste und letzte Hiobsbotschaft einigermaßen schonend beibringen sollte, aber es gab auch für so eine Situation irgendwie keine passenden Worte.

Also hielt sie ihm ihren Blaster mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln hin, damit er es selber sehen konnte.

In diesem Augenblick brüllte eine Stentorstimme hinter ihnen: „KEINE BEWEGUNG!"

Han Solo, ehemals Schmuggler und seit kurzem General der Allianz, war trotz seiner normalerweise vorherrschenden Kaltblütigkeit so überrascht, dass er unwillkürlich einen kleinen Satz machte.

Und so kam es, dass Leia Organa, Ex-Prinzessin von Alderaan und galaxisweit berüchtigtes Postergirl der Rebellen, mit ausgestrecktem Arm und ihrem Blaster in der Hand dastand wie eine zielende Schützin. Oder wie eine Zielscheibe …

Und Captain Franjean Mavric, Kommandant der Endor-Garnison, der gerade vor zehn Minuten seinen Dienst wieder angetreten hatte und dank seiner letzten beruflichen Fehlzündung jetzt voller Tatendrang war, zögerte nicht eine Sekunde ...