A/N: Dies ist das zweite neue Kapitel von heute. Also bitte noch mal ein Kapitel zurück falls ihr versehentlich direkt zu Kapitel 8 gesprungen seid. Ansonsten viel Spaß beim Lesen, lg, N.Snape

ACHT

Craving Building
Manhattan, New York
Sonntag, 0.57 Uhr

Der helle Schein des halbvollen Mondes drang durch die Seidengardinen, die im Schlafzimmer der O'Brians die trostlosen Fenster schmückten. Das junge Ehepaar lag schon seit Stunden im Bett, da Daniel am nächsten Morgen schon früh raus musste, um rechtzeitig in dem Reisebüro zu erscheinen. Er war dafür bestimmt worden eine Reisegruppe, die aus zwanzig Rentnerinnen bestand, auf eine Rundreise durch Europa zu begleiten.

Connie O'Brian lag mit offenen Augen neben ihrem schon seit Ewigkeiten schnar­chenden Mann, der wieder mal dachte sie mit Bedauern an die andere Wohnung zurück, die sie sich angesehen hatten bevor sie den Vertrag für dieses Apartment unterschrieben hatten, nur weil es hundert Dollar im Monat billiger war. Diese andere Wohnung hatte nämlich ein Schlafzimmer mehr gehabt, in das sie sich jetzt hätte zurückziehen können. Wenn sie jetzt nicht auf dem unbequemen Sofa im Wohnzimmer die Nacht zubringen wollte, musste sie sich wohl oder übel mit dem lauten Schnarchen ihres Mannes abfinden. Je lauter es wurde, um so mehr wünschte sie sich jedoch das schmale, harte grüne Ledersofa, um in dieser Nacht wenigsten noch ein bisschen Schlaf finden konnte. Aber die Gefahr im Schlaf von dem Sofa herunterzufallen war einfach zu groß. Immerhin war sie bereits im fünften Monat, und ein Sturz konnte dem Baby großen Schaden bereiten. Also harrte sie weiter neben ihm aus und wartete auf friedlichen Schlaf. Ein paar Minuten später stand sie auf, und suchte im Dunkeln den Weg ins Badezimmer. Dort schaltete sie das Licht ein und schleppte sich müde zum Waschbecken. Sie tauchte ihr erhitztes Gesicht, das eine Folge ihrer Schlaflosigkeit war, in kühles Wasser. Sogar hier konnte sie das laute Zischen ihres Mannes hören, und auf einmal war sie furchtbar wütend auf ihn. Warum konnte er sie nicht einfach schlafen lassen, damit auch sie ihrem Körper etwas Ruhe gönnen konnte. Immerhin war sie hier schwanger, während er sich morgen auf einen amüsanten Trip nach Europa machte. Sie löschte das Licht wieder und legte sich neben Daniel. Widererwartend fiel sie schon nach wenigen Sekunden in einen ruhigen, leichten Schlaf, als sie von der anderen Seite des Bettes ein brummiges Murmeln hörte. „Schatz, hör auf zu schnarchen, ich kann nicht schlafen!"

Aus war es mit dem Schlaf, sie war wieder hellwach. Am liebsten hätte sie ihm eine runter gehauen. Statt dessen tat sie jetzt genau das, wonach sie sich sehnte, seit er eingeschlafen war. Sie stand auf, nahm ihr Kopfkissen und ihre Bettdecke und stapfte schwer beladen ins dunkle Wohnzimmer, und Schloss die Tür hinter sich. Auf der Couch streckte sie sich dann wohlig aus und gab sich für einen Augenblick der Illusion hin, nun schlafen zu können. Doch damit war es vorbei, sie war wach. Wieder lag sie mit geöffneten Augen da, ihre Gedanken schweiften ab zu ihrer Mutter, die sie in diesem Jahr kein einziges Mal gesehen hatte. Nicht einmal an ihren Geburtstagen hatten sie es einrichten können einander zu besuchen. Nach dem Tod ihres Vaters vor fünf Jahren war ihre Mutter viel auf Reisen gewesen, die meiste Zeit in Europa und Afrika. Sie hatte schon immer eine Vorliebe für die alte Geschichte der europäischen Länder gehabt, insbesondere von Italien und Griechenland. Fasziniert hatte Rebecca Prescott ihrer Tochter von den alten Tempeln und Arenen in Athen und Rom, in der man förmlich spüren konnte, wie die Vergangenheit Gegenwart wurde. Sie hatte Connie einen ganzen Berg von Fotos geschickt, die ihre Mutter in der Toskana in der Villa Oplonti, in der einst die zweite Ehefrau des berüchtigten Kaisers Nero, Poppea, gelebt hatte, von der Tempelanlage in Peastum, und vom Collosseum in Rom zeigten. Dieses Land war aber nicht das Ende ihrer Reise gewesen. Im darauf folgenden halben Jahr hatte sie Paris, London und St. Petersburg kennen gelernt, bis sie sich schließlich auf den Weg nach Afrika gemacht hatte. In den Maghreb Staaten – Marokko, Algerien und Tunesien – hatte ihre afrikanische Reise angefangen, bis sie auf dem Nil in Ägypten ihren Höhepunkt gefunden hatte. Auch hier hatte sie massenhaft Fotos gemacht, die die ehrwürdigen Bauten von Luxor, Karnak und Abu Simbel zeigten. Danach war sie wieder zurück nach Rom gereist, da diese Stadt es ihr besonders angetan hatte. Deshalb war es für Connie auch nicht sehr verwunderlich gewesen, als sie einen Anruf von Rebecca erreicht hatte, bei dem diese ihr berichtet hatte, ihren dauerhaften Wohnort nach Italien zu verlegen. Obwohl Connie damals schon mit Daniel verheiratet gewesen war, hatte die Entscheidung ihrer Mutter sie hart getroffen, da sie ein sehr enges Verhältnis zueinander hatten. Gerade in dieser Zeit fehlte Rebecca ihr. Sie war wieder einmal seit Monaten auf einem Ausflug quer durch Europa, so dass Connie noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt hatte ihrer Mutter von der bevorstehenden Ankunft ihres ersten Enkelkindes zu berichten. Sie fragte sich, ob Rebecca noch vor der Geburt erfahren konnte, dass sie Großmutter werden würde, als sie plötzlich ein Geräusch hörte. Sie zuckte erschrocken zusammen. Was war das gerade gewesen? Mit Sicherheit war es nur Daniel gewesen, der sich wie immer von einer auf die andere Seite warf, doch jetzt hörte Connie nichts mehr. Vielleicht hatte sie es sich ja auch nur eingebildet. Noch ein wenig zitternd, legte sie sich wieder zurück.

Da war es wieder.

Abermals fuhr Connie zusammen. Sie war sich jetzt sicher, dass es nicht aus Daniels Richtung kam, aber wo kam es her?

Ein lautes Poltern schallte durch die dunkle Wohnung. Jetzt war es endgültig um Connie geschehen. Sie war überzeugt, dass da jemand sein musste. Womöglich war es ein Einbrecher oder irgend so ein Kerl, der sich in die Wohnung geschlichen hatte, als es den ganzen Tumult um das Verhör von Daniel gegeben hatte. Da waren so viele Leute im Haus gewesen, man konnte schließlich nie wissen. Außerdem waren sie hier in New York.

Nein, das war Blödsinn. Völliger Schwachsinn. Bloß einer von den Gedanken, die einem durch den Kopf schossen, wenn man mitten in der Nacht als einzige in einem derart riesigen Haus wach war. Nachts gab es so viele Geräusche, die man sich nicht erklären konnte. Als sie in dieses Haus gezogen waren, hatte Connie das Unbekannte Probleme bereitet, bei jedem noch so winzigen Geräusch war sie im Bett aufgeschreckt und hatte mehr als einmal Daniel geweckt, damit er nachsehen ginge, ob sich nicht irgendwer in der begehbaren Vorratskammer versteckt hatte, um sie mitten in der Nacht zu erstechen, wenn sie in die Küche ging, um einen Schluck Wasser zu trinken. Mit der Zeit hatte sie sich aber an die neue Umgebung und die damit verbundenen Geräusche gewöhnt und schlief wieder etwas ruhiger.

Was sie jetzt hörte, war ein kratzendes Geräusch, als würde jemand mit den Fingernägeln langsam über eine Tafel fahren.

Diesmal wollte das Geräusch nicht aufhören, es klang vielmehr so, als käme es immer näher.

„Chchchmtttthhhh."

Sie bekam es mit der Angst zu tun. Für einen Augenblick zog sie in Erwägung aufzu­stehen, sich der Angst zu stellen und nachzusehen, was sich dort abspielte, doch dann wurde ihr bewusst, dass in all den schlechten Filmen, die die privaten Sender nach Mitternacht wiederholten, damit das ganze Übel erst begann. Also würde sie wohl den sicheren Weg gehen. Connie wollte aufstehen und so schnell wie möglich zu Daniel, ich wecken, auch auf die Gefahr hin, dass sich alles als Hirngespinst herausstellte.

In diesem Moment erblickte sie es. Es war real. Es war wirklich da. Diesmal war es keine ihrer unbegründeten Ängste, sie konnte es wirklich und wahrhaftig vor sich sehen.

Zwei große, hell leuchtende Augen starrten sie von einem Körper aus an, der eine Mischung aus einem Tier und einem Menschen war. Das Wesen machte einen weite­ren, großen Schritt vorwärts und stand jetzt nicht mehr im Schatten der Wohnung. Es hatte kurze, schwarze Haare, die ihm wirr vom Kopf standen, und es leckte genüsslich über seine hell leuchtenden Reißzähne.

Connie wollte sich abwenden, wollte wegrennen, doch eine große, starke Klaue, die sie an Asche erinnerte, packte sie an der Schulter. Die Krallen bohrten sich schmerzhaft in ihre Haut. Und in diesem Augenblick war ihr bewusst, dass sie sterben würde.