TITEL: The past may sleep - But it NEVER dies
AUTOR: Nici Cavanaugh
TEIL: 1 von ?
FSK: ab 16 (um sicher zu gehen)
GENRE: Allgemein, Drama, Spannung
CHARAKTER(E)/PAAR(E): Annie, Woody, Garret und der Rest
SPOILER: 3. Staffel
INHALT: An einem kalten Wintertag werden Annie, Woody und Garret zu einem Tatort gerufen, der ihr Leben nachhaltig verändern wird …
DISCLAIMER: Nichts gehört mir, alles gehört Tim Kring. Ich borge mir die Figuren und Orte nur aus und werde alles ordentlich gewaschen und gebügelt wieder zurückgeben! Nur die Handlung gehört mir…


Prolog

„Du hast dich verfahren. Gib es doch endlich zu."
Annie zog sich den Mantel etwas enger um den Körper, denn trotz laufender Heizung war es im dem Wagen schrecklich kalt. Ihre Nase fühlte sich an, als wäre sie schon abgestorben, und auch ihre Finger konnte sie kaum noch bewegen.
Sie wandte den Kopf und blickte aus dem Fenster. Dichter Schneefall nahm ihr die Sicht. Ganz Bosten war unter einer glitzernden weißen Schneedecke verschwunden – und das nun schon seit fast vier Wochen.
Wenn das so weiter geht, wird man die Stadt bald in den Bundesstaat Alaska eingliedern, dachte sie, während sie den feuchten Tropfen, die ihr Atem auf der Scheibe hinterlassen hatte, wegwischte.
Es war der Tag nach Neujahr, und Annie hatte das große Glück, heute Dienst zu haben; zusammen mit Seely, Woody und all den anderen Singles im PD, die nicht das Glück hatten, eine Familie als Urlaubsgrund vorschieben zu können.
Sie waren zu einem Tatort nahe Worchester gerufen worden. Ein Rentner hatte beim spazieren gehen mit seinem Hund eine Leiche gefunden, die halb unter einem Busch vergraben lag.

„Ich habe mich nicht verfahren", sagte Woody, schon leicht angenervt von dem vielen Schnee, den glatten Straßen und Annies ständigen Sticheleien.
Schon seit ein paar Wochen war es mit ihr kaum auszuhalten; Annie war ständig schlecht gelaunt, lachte nicht mehr über seine Witze und zog sich auch ansonsten immer mehr zurück. Es war, als wäre die alte Annie, die er vor ein paar Monaten kennen gelernt hatte, plötzlich über Nacht verschwunden und durch eine andere ersetzt worden.
Niemandem schien die Veränderung aufgefallen zu sein, doch Woody kannte die blonde Kollegin mit den faszinierend grünen Augen schon so gut, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte. Doch was dieses ‚etwas' war, hatte er noch nicht herausfinden können.

Als die Ampel vor ihnen auf rot sprang, und Woody den Wagen ohne allzu sehr ins Schlittern zu geraten, zum Stehen gebracht hatte, drehte er sich zu seiner Beifahrerin. Sie hatte ihre rote Pudelmütze tief ins Gesicht gezogen und starrte gedankenverloren auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoss knetete. Ihre geröteten Wangen zitterten leicht, und sie schauderte.

„He", sagte er leise und legte eine Hand auf ihren Arm. „Alles in Ordnung?"
Annie sah ihn einen Moment schweigend an als müsste sie über seine Frage erst nachdenken. Dann nickte sie schließlich.
„Ja, alles in Ordnung. Mir ist nur etwas kalt." Mit ihrem halbherzigen Lächeln konnte sie nicht mal Woody überzeugen. Trotzdem nickte er nur verstehend und zog seine schwarzen Lederhandschuhe aus.
„Hier, nimm die", sagte er lächelnd und reichte sie ihr. „Dürften zwar etwas groß sein, aber warm sind sie."
Er wartete, bis Annie ihm die Handschuhe abgenommen und angezogen hatte. Erst dann sprach er weiter.
„Ich lad dich gleich auf einen Kaffee ein. Da hinten habe ich einen Starbuck's gesehen." Und dann reden wir, fügte er in Gedanken hinzu.
„In Ordnung." Annie lächelte und nickte leicht.

Doch es sollte alles anders kommen...

Fünf Minuten später bogen sie von der Lincoln Street in den kleinen Zufahrtsweg des Green Hill Parks ab.
Sie hatten während der Fahrt nicht mehr viel gesprochen, und auch jetzt, als sie den Wagen verließen und durch die Kälte gingen, sprachen sie nicht viel.

Sie ließen sich von einem Officer zu der kleinen Lichtung führen, die die Kollegen der Spurensicherung schon mit gelbem Flatterband abgesperrt hatten. Der schneebedeckte Boden war von einem wirren Muster aus durcheinander laufenden Fußspuren übersät, und Woody fragte sich, wie man da noch ein Muster erkennen wollte.
Rund um einen kleinen, kahlen Busch herum standen einige Beamte mit Fotoapparaten oder Notizbüchern. Inmitten der Gruppe glaubte Woody Garret Macys Rücken ausfindig zu machen.

„Dann wollen wir mal", sagte er voller Tatendrang und lächelte Annie aufmunternd an, während er seine Hände aus den warmen Manteltaschen zog. In diesem Moment bereute er es, so großzügig gewesen zu sein, Annie seine Handschuhe zu überlassen. Aber er war nun mal ein echter Gentleman und konnte nicht aus seiner Haut.
Gemeinsam stiegen sie unter dem Absperrband hindurch und gingen zu der kleinen Gruppe hinüber.
Als Woody Garret erkannte, trat er neben den Gerichtsmediziner und ging ebenfalls in die Hocke.
„Hi Doc", begrüßte er ihn mit einem leichten Klaps auf dem Rücken. „Was gibt's?"
Garret blickte auf und sah Woody gequält lächelnd an.
„Eine Leiche", sagte er. „Weiblich, etwa Mitte 30. Hat eine unschöne Schädelfraktur am Hinterkopf. Ob das die Todesursache ist, kann ich noch nicht sagen, aber ich gehe davon aus."

Woody nickte und blickte die Frau am Boden an. Sie war einmal sehr hübsch gewesen. Lange braune Haare umrahmten das schmale Gesicht. Sie war zierlich und nicht allzu groß. Mit den geschlossenen Augen und den entspannten Gesichtszügen wirkte sie fast, als würde sie schlafen. Sie trug eine für diese Jahreszeit viel zu dünne rotbraune Bluse, einen ebensolchen Rock und schwarzen, kniehohe Stiefel, von denen ihr einer vom Fuß gerutscht war und in einem grotesk wirkenden Winkel im Schnee lag.

„Wie lange ist sie schon tot?", fragte Woody.
„Schwer zu sagen", sagte Garret und richtete sich wieder auf. „Die Totenflecke lassen sich nicht mehr wegdrücken, doch bei dem kalten Wetter … nun, ich würde sagen, mehr als 24 Stunden, aber weniger als vier Tage. Alles andere, wenn ich sie im Institut auf dem Tisch habe."
„Haben wir schon einen Namen?", fragte Woody und stand ebenfalls wieder auf.
„Nein, Detective", schaltete sich ein Officer ein. „Bisher nicht. Wir -"

„Michelle Quinn." Annies Stimme zitterte, als sie den Namen aussprach, und Woody war sich sicher, dass das nicht nur an der Eiseskälte lag.

Alle Blicke richteten sich auf die blonde Polizistin, die wie erstarrt da stand. Aus ihrem Gesicht war jede Farbe gewichen und sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Tote.
Lange Zeit sagte niemand etwas. Dann traten Woody und Garret zu Annie.
„Du kennst sie?", fragte Woody und legte einen Arm auf Annies Schulter, während er einen kurzen Blick mit Garret tauschte. Dieser schien ebenso verwirrt zu sein wie er selber.
„Ja. Ich meine … nein." Die Antwort war kaum mehr als ein Flüstern, doch Annies tränenüberflutete Augen, sprachen Bände.

Woody legte einen Arm um seine Kollegin und führte sie vom Tatort weg, nachdem er Garret mit einem Nicken zu verstehen gegeben hatte, dass er sich um die Leiche kümmern sollte.

Annie ließ sich wie in Trance von Woody wegführen. Nur am Rande bekam sie mit, dass sie wieder unter dem gelben Band hindurch und zurück zum Wagen gingen. Mit ihren Gedanken war sie immer noch bei dem Alptraum, den sie gerade jenseits des Flatterbandes erlebt hatte.

oOo

Den ganzen Abend habe ich auf dich gewartet! Ich wollte doch für uns kochen. Hast du das vergessen?"
Tut mir Leid." Der dunkelhaarige Mann in dem unverschämt teuren dunkelblauen Anzug trat einen Schritt auf sie zu und machte Anstalten, sie zu umarmen. Sie trat einen Schritt von ihm weg und schüttelte den Kopf.
Ich habe es nicht eher geschafft", fuhr er mit seiner Erklärung fort. „Du weißt doch, wie das ist. SIE hat mich nicht eher gehen gelassen."
Hast du immer noch nicht mit ihr gesprochen?"
Schatz, du weißt, dass das nicht einfach ist. Ich –"
Erzähl mir nicht, was einfach ist!" Ihre Stimme klang schrill und zitterte vor Wut. „Ich weiß, wie einfach das alles nicht ist." Sie deutete auf den in Kerzenschein getauchten Raum, den festlich geschmückten Tisch und das kalt werdende Essen.
Ich weiß es. Das kannst du mir glauben. Ich kann…" Ihre Stimme brach und sie sank schluchzend auf das Sofa.

oOo

„Annie?" Woody hatte Annie in den Wagen gesetzt und kniete nun vor ihr.
„He, was ist los?" Er legte eine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf sanft an. „Ich mache mir Sorgen, Annie. Red mit mir! Bitte!"
Er sah Annie flehend an, wischte ihr eine Träne von der Wange und hielt dann Ausschau nach jemandem, der wie ein Sanitäter aussah.
Annie stand unter Schock, soviel stand für ihn fest. Sie brauchte Hilfe; professionelle Hilfe, die er ihr nicht geben konnte.
Als er Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um und sah Garret auf sie zukommen. Dieser sah besorgt zu Annie, die immer noch regungslos da saß, und deutete Woody mit einen Kopfnicken an, dass er mit ihm reden musste.

Nur unwillig trennte sich Woody von Annie und ging ein paar Schritte mit Garret von Wagen weg.
„Wie geht es ihr?", fragte Garret.
„Nicht gut", antwortete Woody und sah besorgt zu Annie hinüber. „Ich weiß nicht, was auf einmal los ist. Sie ist schon seit Tagen so seltsam, aber das …" Hilflos brach er ab und senkte den Blick.
„Das wird schon wieder." Garrets Ton war väterlich und beruhigend zugleich, doch Woody zweifelte trotzdem an seinen Worten. Wie sollte so etwas wieder gut werden, wenn er doch nicht einmal wusste, was genau passiert war.

„Was ist mit der Leiche?", fragte er, das Thema wechselnd.
„Sie wird gerade für den Abtransport fertig gemacht", antwortete Garret. „Doch das ist nicht alles." Der Blick des MEs wurde traurig, als er fortfuhr. „Haben Sie die Walmarttüte neben der Leiche gesehen?"
Woody nickte. Die blauweiße Tüte war ihm aufgefallen, doch er hatte ihr keine weitere Beachtung geschenkt, da er davon ausging, dass es sich um weggeworfenen Müll handelte.
„Was ist damit?"
„Wir haben eine zweite Leiche gefunden", antwortete Garret. „Ein Säugling. Wahrscheinlich eine Todgeburt und zu früh auf die Welt gekommen. Genaueres kann ich erst nach der Autopsie sagen."
Woody schluckte und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er hatte schon Probleme, mit Leichen von Erwachsenen umzugehen, doch ein toter Säugling … wenn Kinder im Spiel waren, war es doppelt so schlimm.
„Glauben Sie, dass es ihr Kind war?", fragte Woody leise.
„Ich weiß es nicht", sagte Garret ebenso leise und seufzte. „Ich habe keine Ahnung."

Beide Männer blickten zu Annie, deren glasige Augen in weite Ferne gerichtet waren.


-TBC-