TITEL: The past may sleep - But it NEVER dies
AUTOR: Nici Cavanaugh
TEIL:6 von ?
FSK: ab 16 (um sicher zu gehen)
GENRE: Allgemein, Drama, Spannung
CHARAKTER(E)/PAAR(E): Annie, Woody, Jordan, Garret und der Rest
SPOILER: 3. Staffel
INHALT: An einem kalten Wintertag werden Annie, Woody und Garret zu einem Tatort gerufen, der ihr Leben nachhaltig verändern wird …
DISCLAIMER: Nichts gehört mir, alles gehört Tim Kring. Ich borge mir die Figuren und Orte nur aus und werde alles ordentlich gewaschen und gebügelt wieder zurückgeben! Nur die Handlung gehört mir.
WARNUNG: Es geht primär um einen Mordfall, in dem auch ein Baby verwickelt ist. Wer damit nicht klar kommt, sollte besser nicht weiterlesen.
Kapitel 5
„Du hast ihn gehen lassen?", fragte Jordan entgeistert. „Einfach so?" Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und nippte an ihrem Kaffee, während Woody und Garret es sich auf dem Sofa gegenüber bequem gemacht hatte.
„Was sollte ich denn machen?", verteidigte sich Woody. „Ich hatte keine Beweise, um ihn festzuhalten. Also konnte ich ihn doch nur gehen lassen."
„Ja, aber trotzdem. Was, wenn er es war?"
„Dann kriegen wir ihn, Jordan", sagte Woody. „Habt ihr mit den Proben was anfangen können, die ich euch geschickt habe?"
„Nigel ist noch dabei", schaltete sich Garret in das Gespräch. „Das mit dem Haar könnte länger dauern, aber diese Blutflecken sahen viel versprechend aus. Wenn es das Blut von Michelle Quinn ist, dann wissen wir zumindest schon mal, wie sie in den Park gebracht wurde."
„Die Spurensicherung nimmt den Wagen heute noch mal auseinander", berichtete Woody. „Falls sie noch was finden, melden sie sich bei mir. Aber ich denke schon, dass es der Wagen ist, den diese Mrs. Schneider am Park gesehen hat."
„Und der große, dunkelhaarige Mann, das könnte Maximilian Quinn sein", beharrte Jordan.
„Oder ungefähr zwanzigtausend andere Männer aus Boston und Umgebung. Jordan, solange wir keine Beweise haben, dass Quinn seine Frau umgebracht hat, kann Woody nichts machen." Garret sah seine Mitarbeiterin eindringlich an. „Ich weiß, wie sehr Sie sich in Fälle wie dieser reinhängen, aber wir müssen uns an die Vorschriften halten."
Jordan machte den Mund auf, schloss ihn aber wieder, als sie Garrets mahnenden Blick sah. „In Ordnung", sagte sie seufzend. „Dann gehe ich mal wieder an die Arbeit. Ich wollte mir die Plastiktüte noch einmal vornehmen, wenn es den Herren denn genehm ist."
Die beiden angesprochenen Herren nickten synchron.
„Gut, dann bis später!" Jordan stand auf, nahm ihren Kaffee und ließ die beiden Männer alleine zurück.
„Glauben Sie, dass Quinn es war?", fragte Garret, nachdem die Tür hinter Jordan ins Schloss gefallen war.
„Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung", antwortete Woody wahrheitsgemäß. „Mein Gefühl sagt mir, er war es nicht, aber da ist diese Vorahnung … ich weiß auch nicht genau. Irgendwas stimmt mit dem Mann nicht. Aber ich kann noch nicht greifen, was es ist."
In diesem Moment klingelte Woodys Handy. Er entschuldigte sich bei Garret, stand auf und ging ran. Er lauschte dem Gesprächspartner am anderen Ende, nickte ein paar Mal und legte dann wieder auf.
„Die Spurensicherung konnte einen Schuhabdruck aus der Fußmatte des Wagens rekonstruieren", berichtete Woody. „Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen robusten Herrenschuh, vielleicht ein Wanderschuh in Größe 45 bis 47. Ich glaube, da werde ich Mr. Quinn noch mal einen Besuch abstatten müssen." Er grinste Garret an und drückte ihm seine leere Kaffeetasse in die Hand. „Bis später, Doc!"
„Ja, bis später, Woody."
Garret blickte kopfschüttelnd auf die beiden Tassen in seiner Hand. War er jetzt hier auch noch Kellner oder fürs Aufräumen zuständig?
Er blickte sich um und stellte die Tasse dann seufzend zu den zehn anderen, die auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Sofa standen. Sollte Jordan sich drum kümmern.
-o-
„Nigel, kannst du dir das mal ansehen?" Jordan winkte den Briten zu sich, als dieser gerade den Autopsiesaal betreten hatte.
„Was hältst du davon?" Sie zeigte auf den Monitor, der an das Mikroskop angeschlossen war.
„Lass mal sehen … Hm, das könnte …" Nigel drehte an den Schärfereglern herum, vergrößerte einen Ausschnitt und schnippte dann mit den Fingern.
„Bingo", rief er. „Wo hast du das her?"
„Aus der Plastiktüte", antwortete Jordan. „Meinst du, es ist brauchbar?"
„Aber, Schätzchen", sagte Nigel tadelnd. „Selbst wenn es das nicht ist. Nigel bekommt das schon hin. Lass mich mal machen." Er grinste Jordan an, schnappte sich den Objektträger und verschwand in Richtung Labor.
Jordan sah ihrem Kollegen grinsend nach und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu.
-o-
„Hi Annie. Hier ist Woody. Hast du Lust auf einen Ausflug?" Woody klemmte sich das Handy unters linke Ohr, während er sich in den Verkehr einfädelte. Er hatte Maximilian Quinn in seinem Hotelzimmer aufgesucht und sich dessen Schuhe zeigen lassen. Wie der Zufall es so wollte, hatte Quinn ein paar Wanderschuhe im Koffer liegen, die zum Profil passten, das in dem SVU gefunden worden war.
Quinn hatte immer noch einen verzweifelten Eindruck gemacht, war aber nicht mehr ganz so unkooperativ wie am Vorabend im Revier gewesen. Der New Yorker Anwalt hatte Woody mit zerzausten Haaren und dunklen Rändern unter den Augen die Tür geöffnet und ihn bereitwillig in sein Hotelzimmer geführt. Das Chaos, das Woody vorgefunden hatte, passte so gar nicht zu dem Eindruck, den er von Quinn gewonnen hatte. Entweder war Quinn ein Blender, der nur nach außen vorgab, perfekt zu sein, oder er trauerte wirklich um seine Frau und das Baby … oder aber, er versuchte den Eindruck zu erwecken, zu trauern, um den Verdacht von sich abzulenken.
„Klar habe ich Lust", sagte Annie. „Was gibt's denn? Und wo bist du?"
„Ich kann in zehn Minuten im PD sein", antwortete Woody, während er in den Rückspiegel blickte und dann auf die Linkabbiegerspur wechselte. Es hatte zwar in der letzten Nacht aufgehört zu schneien, aber es war immer noch eisigkalt und der Schnee lag zentimeterdick auf gefährlichem Glatteis. Der Commonwealth war gesäumt von verunfallten Fahrzeugen, und die Streu- und Abschleppwagen waren im Dauereinsatz.
„Ich wollte noch ein paar Adressen abklappern, wo Michelle Quinn laut Kreditkartenrechnung eingekauft hat. Wenn du nichts Besseres vorhast … also, ich würde mich über Gesellschaft freuen. Vielleicht können wir dann auch zusammen Mittagspause machen."
Und endlich mal reden, fügte er in Gedanken hinzu.
„Ja …" Annie schien einen Moment zu überlegen und Woody rechnete schon fest damit, dass sie absagen würde.
„Ok, dann sehen wir uns gleich", sagte Annie dann. „Ich warte auf dem Parkplatz auf dich. Möchtest du Kaffee?"
Woody wollte.
Zehn Minuten später bog Woody langsam auf den Parkplatz ab, wo Annie schon auf ihn wartete. Sie trat auf der Stelle und hielt in ihren behandschuhten Händen zwei braune Kaffeebecher.
„Da bist du ja endlich!", sagte sie, als sie die Beifahrertür öffnete und einstieg. „Ich dachte schon, ich müsste erfrieren. Hier, für dich." Sie reichte ihm einen der Becher, deren Inhalt den Wagen sofort mit dem angenehmen Duft, frischen Kaffees füllte.
„Danke", sagte Woody brav und trank vorsichtig einen Schluck. Dann stellte er den Becher auf das Armaturenbrett und griff hinter sich, um einen Plastikbeutel vom Rücksitz zu ziehen.
„Ich muss den noch schnell ins Labor bringen. Wartest du so lange?"
Annie warf einen Blick auf dem Beutel und den hellbraunen Lederschuh darin und nickte.
OoO
„Du hättest mitkommen sollen. Es war einfach nur traumhaft schön! Die Luft, das Wetter, das Angeln, die Jungs …" Er ließ sich auf das Sofa fallen und zog sie auf seinen Schoss.
„Ich habe dich vermisst", murmelte er, während er ihre Haare beiseite schob und sanfte Küsse auf ihrem Nacken verteilte.
„Ich habe dich auch vermisst", sagte sie, seufzend und schlang ihre Arme um seinen Oberkörper. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr."
Während sie ihm durchs Haar strich und seine Zärtlichkeiten genoss, wanderte ihr Blick zu dem leeren Schlafplatz auf der Kommode. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht, die bunte weiche Decke wegzuräumen und alles so gelassen, wie es war; der Futternapf stand noch in der Küche, der Kratzbaum im Flur, das Katzenklo mit frischem Streu im Bad und die vielen Plastikmäuse und Bälle lagen in der Gegend verstreut – so, wie Brooklyn sie hinterlassen hatte.
Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden und wischte sich schnell die Tränen weg. Seinen Erzählungen von den aufregenden Jagdausflügen und Lagerfeuern lauschte sie nur halbherzig, während ihre Gedanken immer wieder zu dem blutenden Fellknäuel zurückwanderten.
oOo
„Aber wie konnte er denn aus der Wohnung entwischen?" Er sah sie traurig an, während sein Daumen zärtlich über ihre tränenfeuchte Wange fuhr.
„Ich weiß nicht", sagte sie. „Er muss entwischt sein, als ich die Post geholt habe. Wahrscheinlich habe ich die Tür nicht richtig zugezogen und -" Sie brach ab und senkte betroffen den Blick. „Es ist meine Schuld, dass er tot ist."
„He, sag so was nicht!", sagte er leise, legte eine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf. „Das hätte jedem passieren können."
„Ja, können – aber nicht dürfen."
OoO
„Annie? Alles in Ordnung?", fragte Woody und stieß sie leicht an. Er hatte sich beeilt und sie zusammengesunken und mit einem Blick, der in weite Ferne gerichtet war, vorgefunden.
„Ja, alles klar!", sagte Annie schnell und lächelte Woody an. „Bin wohl eingenickt", erklärte sie weiter. „Ich habe in den letzten Nächten nicht viel geschlafen." Wenn man es genauer nahm, hatte sie gar nicht geschlafen, sich nur von einer Seite auf die andere gewälzt und versucht, die Bilder des Tages zu verdrängen.
Ein Hoch auf den Entdecker des Koffeins, dachte sie und trank einen Schluck ihres Kaffees.
Während der Fahrt sprachen sie nicht viel. Annie merkte zwar, dass Woody tausend Fragen an sie hatte, aber sie schaffte es immer wieder, diesen ausweichend zu antworten, bis Woody es schließlich aufgab und sich auf dem Verkehr konzentrierte.
Annie fühlte sich schlecht deswegen. Sie wollte Woody alles erklären, aber noch nicht. Sie musste erst einmal selber damit zurecht kommen und überhaupt … das war ihr mittlerweile alles viel zu viel geworden. Doch sie war auch kein Mensch, der gerne Schwäche zeigte, dafür aber ein wunderbarer Schauspieler, wenn es darum ging, die eigenen Gefühle zu verbergen.
Drei Stunden später verließen sie die letzte Tankstelle, an der Michelle Quinn vor einer Woche getankt und mit ihrer Kreditkarte bezahlt hatte, und stiegen wieder in den Wagen. Viel hatten sie nicht herausgefunden; die meisten der Verkäufer der Bediensteten konnten sich zwar an die hübsche schwangere Frau erinnern, aber keinem war irgendetwas aufgefallen, was ihnen bei den Ermittlungen hätte weiterhelfen können.
„Lust auf Mittagessen?", fragte Woody, während er den Wagen startete. „Ich kenne hier einen gemütlichen, ruhigen Italiener, bei dem wir sicher noch einen Tisch bekommen. Lust auf Pasta oder Pizza, Bella?" Er grinste Annie jungenhaft an und entlockte ihr damit das erste Lachen des Tages.
„Aber gerne, ähm – heißt das jetzt Bello?", fragte sie lachend. „Oder bist du dann beleidigt, weil es wie ein Hundename klingt?"
„Nein, schon in Ordnung", antwortete Woody. „Ich bin vieles gewöhnt, wenn man mich -"
Das Klingeln seines Handys verhinderte, dass Annie erfuhr, mit welchen Spitznamen Woody sich sonst noch herumschlagen musste. Sie schnallte sie an und versuchte dem Gespräch zu lauschen - viel mehr, als das Jordan am Apparat war und scheinbar gute Neuigkeiten hatte, erfuhr sie nicht.
„Ja und?", fragte sie, als Woody endlich auflegte und das Handy vorne auf die Ablage legte. „Sag schon. Gibt es Neuigkeiten?"
Woody nickte. „Ja, ich denke, wir wissen jetzt, wo Michelle Quinn genächtigt hat", sagte er und notierte sich etwas auf einem Zettel.
Sie hatten anhand der Kreditkartenabrechnung rekonstruieren können, welchen Weg Michelle Quinn von New York nach Boston gefahren war und wann sie wo halt gemacht hatte. In Boston verlor sich dann allerdings ihre Spur, nachdem sie in Downtown einen größeren Betrag Bargeld am Automaten geholt hatte. Wie es aussah, wollte sie entweder ihre Spuren verwischen oder sie hatte aus anderen Gründen auf den Einsatz ihrer Kreditkarte verzichtet.
„Wunderbar", sagte Annie voller Tatendrang. „Dann nichts wie hin, oder? Halt, warte mal", meinte sie. „Woher wissen wir das denn? Ich meine, wie hat Jordan das herausgefunden?"
„Nicht Jordan. Eher Nigel", antwortete Woody. Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr los.
„So genau habe ich das nicht verstanden", erklärte er. „Aber ich glaube, Jordan hat an der Innenseite dieser Plastiktüte ein Stück Papier gefunden. Durch das Blut und die Feuchtigkeit war die Schrift verlaufen und kaum noch zu erkennen, aber du kennst ja Nigel." Er sah Annie an und verdrehte grinsend die Augen, „Der Typ hat ja für alles ein Gerät, und so hat er es wohl geschafft, die Schrift irgendwie – frag mich nicht wie – wieder sichtbar zu machen."
Annie nickte. Ja, sie hatte mit Nigel schon so ihre ganz persönlichen, leidlichen Erfahrungen gemacht. Aber der Mann war ein Genie, daran gab es nichts zu rütteln.
„Auf dem Zettel stand die Adresse eines kleinen Motels in der Nähe der Old City Hall", fuhr Woody fort. „Jordan meint, dass Quinn vielleicht in dem Motel übernachtet hat. Und genau das werden wir nun überprüfen. Es sei denn – du möchtest unbedingt vorher etwas essen …" Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Nein, das kann warten", sagte Annie. „Erst der Fall, dann das Vergnügen. Je eher der Fall gelöst ist, desto besser."
Und das meinte sie auch so: Je eher der ganze Alptraum vorbei war, desto eher konnte sie wieder zum Alltag zurückkehren und alles vergessen.
-TBC-
Mal ein eher ruhiges Kapitel zur Abwechslung. Ich hoffe, es gefällt Euch (immer noch).
