TITEL: The past may sleep - But it NEVER dies
AUTOR: Nici Cavanaugh
TEIL: 7 von ?
FSK: ab 16 (um sicher zu gehen)
GENRE: Allgemein, Drama, Spannung
CHARAKTER(E)/PAAR(E): Annie, Woody, Jordan, Garret und der Rest
SPOILER: 3. Staffel
INHALT: An einem kalten Wintertag werden Annie, Woody und Garret zu einem Tatort gerufen, der ihr Leben nachhaltig verändern wird …
DISCLAIMER: Nichts gehört mir, alles gehört Tim Kring. Ich borge mir die Figuren und Orte nur aus und werde alles ordentlich gewaschen und gebügelt wieder zurückgeben! Nur die Handlung gehört mir.
WARNUNG: Es geht primär um einen Mordfall, in dem auch ein Baby verwickelt ist. Wer damit nicht klar kommt, sollte besser nicht weiterlesen.
Kapitel 6
Das Paradise's End lag einen Block von der Old City Hall entfernt, in einer kleinen Seitengasse, die Woody und Annie nie freiwillig betreten hätten. Umrahmt von verwahrlosten Mehrfamilienhäusern, deren Fassaden dringend einen neuen Anstrich gebraucht hätten, führte der Weg an verbeulten und überfüllten Müllcontainern und vergessenem Sperrmüll vorbei. Links von ihnen spielten ein paar Jungen mit einem Ball, den sie abwechselnd versuchten, in einen windschiefen Basketballkorb zu werfen. Der Korb hatte kein Netz mehr und wackelte bei jeder Ballberührung bedrohlich nach allen Seiten.
Als Woody den Wagen an der Gruppe vorbeilenkte, wandten sich alle Blicke dem Wagen zu.
„Nette Jungs", murmelte Woody und versuchte das Klappmesser zu ignorieren, dass einer der größeren Jungen eben in seiner Tasche verschwinden ließ.
„Genau wie die Gegend", sagte Annie, während sie die Gruppe nicht aus den Augen ließ.
„So richtig zum Kindergroßziehen."
Ein paar Meter vor ihnen machte die Straße einen scharfen Knick nach links. Woody folgte diesem und plötzlich kam es ihnen vor, als wären sie durch ein Wurmloch geschlittert und in einer parallelen Welt angekommen; nichts war mehr übrig von der schäbigen, anstößigen Straße, die sie gerade noch passiert hatten. Die Häuser am Straßenrand waren kleiner, hell angestrichen und hatten gepflegte Vorgärten vor der Haustür. Die Wege waren vom Schnee geräumt und nirgendwo lagen achtlos weggestellte Mülltonnen herum. An einer Hauswand lehnte ein ziemlich teuer aussehendes Fahrrad, während nebenan eine ältere Frau damit beschäftigt war, ihren Garten von seiner Weihnachtsdekoration zu befreien.
„Wow", sagte Annie erstaunt. „Was ist denn das?"
„Erschreckend, nicht?", fragte Woody, der genauso erstaunt war und beobachtete, wie die Frau einen großen Plastikschneemann unter dem Busch hervorzog und in eine Tüte packte. „Wie in Sliders. Dieselbe Welt, nur eine andere Dimension", sagte er mit geheimnisvoller Stimme.
Annie entgegnete darauf nichts, sondern warf Woody nur einen irritierten Blick zu, bevor sie wieder nach vorne auf die Straße blickte.
Als das rote Motelschild in Sicht kam, trat Woody vorsichtig auf die Bremse, lenkte den Wagen in eine freie Parklücke vor dem Gebäude und kam direkt vor einem großen Schneehaufen zum Stehen.
„Der Name passt aber irgendwie", murmelte er, als er den Wagen ausschaltete und die Tür öffnete. Das Ende des Paradieses. Wenn man es von dieser Seite der Straße aus betrachtete, war der Name mehr als passend.
Als Woody die Glastür aufdrückte, kündigte eine altersschwache Glocke über der Tür ihre Ankunft an. Er hatte das Gefühl, dass sie eine erneute Zeitreise durchmachten und nun mitten in den Sechzigern gelandet waren.
Der Eingangsbereich war klein und dunkel. Dicke Teppiche mit wirren gelblichbraunen Mustern führten zu einem kleinen Empfangstresen gegenüber der Tür. An den Wänden blätterte hier und da ein Teil der ebenfalls gelbbraunen Blumentapete ab, die zwischen Bildern in dicken Goldrahmen matt durchschien. Hinter dem Tresen lag ein weiteres Zimmer, aus dem leise Geräusche eines Fernsehers zu den beiden Polizisten drangen.
Ansonsten rührte sich nichts, als die Beiden auf die Theke zugingen. Woody drückte auf die angelaufene silberne Klingel, während Annie sich umsah. Rechts von ihnen führte eine Tür in einen weiteren Raum mit einigen klapprigen Tischen und Stühlen – vermutlich das Speisezimmer. Links lag ein schmaler langer Gang, der wahrscheinlich zu den Zimmern führte.
„Hallo?", rief Woody ungeduldig. „Niemand zuhause? Kundschaft!"
Annie trat neben ihn und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Theke. „Wahrscheinlich alles ausgebucht", meinte sie grinsend, bevor aus dem Hinterzimmer schlurfende Schritte zu hören waren.
Annie hatte einen kleinen, faltigen Opa mit Mütze und kariertem Hemd erwartet. Dazu vielleicht eine abgetragene braune Hose, die von braunen Hosenträgern gehalten wurde – ein typisches Klischee eben. Doch der Mann, der in der Tür erschien war alles andere als ein Opa.
Dunkle Augen blickten argwöhnisch zu ihnen hinüber, während der Junge, kaum älter als Siebzehn, seine Hände in den Hosentaschen seiner Jeans verschwinden ließ. Er trug ein dunkelrotes Kapuzen-Sweatshirt, das mit einer von diesen makabren Comicfiguren bedruckt war, die ihnen frech die Zunge entgegenstreckte. Dazu trug er hohe Basketballschuhe und diese weiten Hosen, deren Schritt irgendwo in der Nähe des Knies endete. Seine schwarzen Locken verschwanden halb unter einer roten Baseballmütze. Mit den vielen Pickeln im Gesicht war der Junge wahrscheinlich ein Clerasil-Großabnehmer – oder er sollte es dringend werden, dachte Annie.
„Ja?", fragte der Junge, Kaugummi kauend und kam gelangweilt näher.
„Hi", sagte Woody freundlich. „Wir hätten ein paar Fragen." Er hatte Mühe, seinem Gegenüber, das gut zwei Köpfe größer war als er, in die Augen zu sehen.
„Wer sind Sie?"
„Ich bin Det. Hoyt", antwortete Woody und zeigte dabei seine Marke. „Das ist Det. Capra."
„Polizei?", fragte der Junge, während er mit einer Hand sein Kaugummi aus dem Mund pulte. „Cool."
„Ja, sehr cool", sagte Woody. „Also, - ähm …"
„Bernie."
„Ja, Bernie. Wir hätten da ein paar Fragen an Sie. Kennen Sie diese Frau?" Er holte ein Bild von Michelle Quinn aus der Tasche und schob es Bernie über den Tresen.
Bernie ließ sein Kaugummi wieder im Mund verschwinden, kaute ein paar Mal darauf rum und sah sich das Bild an. „Nee, nie gesehen", sagte er kopfschüttelnd. „Heiße Schnecke. Die wär mir bestimmt aufgefallen."
„Ganz sicher?", fragte Woody. „Ich meine, vielleicht … arbeiten Sie den ganzen Tag hier?"
„Nur manchmal. Der Laden gehört meinem Onkel", sagte Bernie und schob Woody das Bild wieder zu.
„Könnten wir den Onkel bitte sprechen?", fragte Annie freundlich. „Es wäre wichtig."
„Der is nicht da", sagte Bernie. „Keine Ahnung, wann er wiederkommt."
„Dürften wir dann mal einen Blick in ihre Buchungsliste werfen?"
Bernie zog irritiert die Augenbraue hoch und grinste Woody schief an.
„So was hab'n wir nich. Die Leute kommen, zahlen und gehen irgendwann wieder. Wir stellen keine Fragen, Detective. Is nich unsere Art. Vergrault nur die Kunden, wenn Sie verstehen."
„Das ist aber schade", meinte Woody enttäuscht. „Können Sie uns den Namen und die Telefonnummer Ihres Onkels geben?"
Während Bernie nach einem Stift suchte und den Namen seines Onkels samt Telefonnummer auf die Rückseite eines Werbeprospektes kritzelte, wechselten Annie und Woody viel sagende Blicke. Beide waren davon überzeugt, dass hier etwas faul war.
Woody steckte den Zettel ein, bedankte sich und reichte Bernie seine Karte, mit der Bitte, er möge ihn anrufen, wenn ihm noch etwas einfiele.
„Ist die Schnecke tot?", rief Bernie den beiden nach, als Annie schon fast draußen war.
Woody blieb stehen und drehte sich um. „Ja", sagte er.
„Schade drum. Sah echt nett aus. Hübsches Lächeln. Heißer Feger!" Er grinste Woody an. „Bis dann!"
OoO
„Hast du die Frau von Quinn gesehen? Man, das ist ja mal ein heißer Feger!"
Sie saß an einem kleinen weißen Holztisch im Pausenraum und gab vor, mit ihrem Joghurt beschäftigt zu sein, während sie dem Gespräch am Nachbartisch folgte. Es war der Morgen nach dem Weihnachtsball – für sie war es der Tag Null. Sie hatte nicht auf den Ball gehen wollen, als sie erfahren hatte, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Jahr auch einige befreundete Anwälte eingeladen hatte. Und diese – sehr zu ihrem Leidwesen auch die Topanwälte von ‚Parker & Partner' – waren zahlreich erschienen, zusammen mit ihren Ehefrauen.
Sie hatte mit ein paar Kollegen am Buffet gestanden, als ein Raunen durch die männlichen Gäste gegangen war. Neugierig hatte sie zur Tür geblickt – und es zum ersten Mal an diesem Abend bereut gehabt, an jenem Nachmittag im November mit dem Wagen gefahren zu sein. Sie spürte auch jetzt noch diesen Stich im Herzen, den sie gespürt hatte, als sie seine Ehefrau (und damit ihre Vorgängerin, Rivalin oder was auch immer) gesehen hatte. Sie war hübsch, sehr hübsch. Ihr langes dunkelblaues Kleid hatte perfekt zu den braunen Haaren, die ihr lockig über die nackten Schultern gefallen waren, gepasst, während sie strahlend in die Menge geblickt hatte.
Dieses Lächeln … ihr Gesicht … das alles hatte so perfekt gewirkt, dass sie sich selber vorgekommen war, wie in kleines, hässliches Entlein.
oOo
„Das gestern Abend war nur Show", sagte er. „Mach dir keine Sorgen. Wir sind nur noch auf dem Papier verheiratet, glaube mir!" Er lächelte sie aufmunternd an und nahm ihre Hand. „Glaub mir, ich hätte alles dafür gegeben, mit dir auf den Ball zu gehen statt mit ihr. Aber du weißt doch, wie das ist. Ich -"
„Gar nichts weiß ich", murmelte sie und zog ihre Hand weg. „Und du weißt es auch nicht."
Sie schnappte sich ihre Handtasche und ihren Mantel und verließ fluchtartig das kleine Cafe. Sie wollte nicht, dass er ihre
Tränen sah. Sie wollte alleine sein, mit sich, mit ihrer Traurigkeit, mit ihrem Gefühl, minderwertig zu sein.
oOo
„Ach, Brooklyn!" Sie kraulte den kleinen Kater hinter dem linken Ohr. „Hätte ich ihn doch niemals getroffen. Dann wäre mir einiges erspart geblieben." Der Kater hob den Kopf und warf ihr einen anklagenden Blick zu.
„Ja, ich weiß, dann hätte ich dich auch niemals kennen gelernt, aber weißt du, ich ... ich fühle mich so unglücklich. Ich quäle
mich schon seit Tagen mit dem Gefühl herum, einen schrecklichen Fehler gemacht zu haben. Und ich weiß einfach nicht, was ich jetzt tun soll …"
OoO
„Also, wenn da nicht was faul ist, weiß ich es auch nicht", meinte Woody zwischen zwei Schlucken Cola.
Wie vereinbart hatten er und Annie nach ihrem Besuch in dem Motel ihre Mittagspause nachgeholt und saßen nun bei Luigi's an einem Tisch in Fensternähe. Draußen hatte es wieder angefangen zu schneien, und die Straßen waren fast wie leergefegt. Nur ab und an kam eine dick eingemummte Gestalt am Fenster des Restaurants vorbeigelaufen, den Kragen hochgezogen und die Mütze tief im Gesicht, um sich vor dem Schnee zu schützen. Mit dem Schnee war auch der Sturm gekommen und hatte die kleinen, weichen Schneeflocken in eisige Schneegeschosse verwandelt, die einem in jede Ritze krochen.
„Bei dem Wetter würde ich noch nicht mal meinen Hund vor die Tür schicken", hatte Annie gesagt, während sie das kurze Stück vom Wagen zum Restaurant zurückgelegt hatten.
„Soweit ich weiß, hast du keinen Hund, Annie."
„Na ja, aber vielleicht kaufe ich mir mal einen." Sie hatte Woody angegrinst und für einen kurzen Moment war die alte Annie wieder da gewesen. Woody hatte zurückgegrinst und freundschaftlich einen Arm um seine Kollegin gelegt.
„Schmeckt deine Pizza nicht?", fragte Annie. „Ich meine, wenn die Pilze schlecht sind oder komisch schmecken, dann solltest du das reklamieren. Sonst wirst du noch krank und -"
„Ich meinte das Motel, Annie!", sagte Woody, gespielt genervt. „Nicht die Pizza, die ist okay." Er grinste kurz. „Und nebenbei, ich habe gar keine Pilze drauf."
„Ach so", meinte Annie. „Na dann … also, dass dieser Bernie uns etwas verheimlicht hat, steht für mich fest. Die Frage ist nur, was und warum."
Woody nickte. Er stellte das Glas ab und griff wieder zu Messer und Gabel. „Wir sollten uns den Motelbesitzer auf jeden Fall mal vorknüpfen", beschloss er. „Und dann versuche ich, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen." Er fuchtelte wild mit der Gabel herum, und Annie ging vorsorglich in Deckung. „Vielleicht finden wir ja einen Hinweis darauf, dass Michelle Quinn im Paradise's End gewesen ist. Und wenn dem so ist, dann knüpfe ich mir diesen Bernie vor."
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„Jordan, das solltest du dir ansehen!"
„Was gibt's denn, Nigel?", fragte die Angesprochene und blickte neugierig von der Akte hoch, die sie gerade bearbeitete – eine von vielen, die momentan auf ihrem Schreibtisch drohten, zu Staub zu zerfallen. Das war zumindest das, was Garret befürchtete, und um dem vorzubeugen, hatte er Jordan in den letzten Wochen mehrmals täglich darauf hingewiesen, dass Brian aus dem Archiv dringend ein wenig Beschäftigung bräuchte und sie, Jordan, doch ein bisschen dazu beitragen sollte, indem sie ihrem Schreibtisch aufräumte.
„Nichts leichter als das", hatte Jordan gemeint, den Stapel Akten genommen und Garret demonstrativ hingehalten. Doch ein typischer strenger Garret-Blick hatte genügt, um Jordan maulend hinter ihrem Schreibtisch zu drängen. Also hatte sie am Mittag seufzend angefangen und auch schon ganze zwei Akten abgeschlossen.
„Also, schieß los!" Froh über die Ablenkung, klappte Jordan die Akte zu und schmiss sie achtlos auf den windschiefen Stapel, bevor sie aufstand und zu Nigel ging, der aufgeregt mit einem Blatt Papier wedelte.
-TBC-
Wer Lust hat, der schaue doch auch mal bitte bei Mariacharly vorbei! Sie hat nämlich seit heute morgen auch eine Geschichte zu „Crossing Jordan" online. Wenn die Geschichte hält, was der wunderschöne Prolog verspricht, dann kann ich bald einpacken und nehme mir Maria als Ghostwriter ;-)
