Nach langer Zeit gibt es hier mal wieder ein neues Schnipselchen, ganz frisch von heute. Ernie ist hier etwa 10.
Sorgfältig bürstete der Junge sein Haar. Der Spiegel, der ihm dabei half, war am oberen Rand schon etwas angelaufen und der efeuverzierte Goldrahmen war nichts, was er sich selbst ausgesucht hätte, doch er war stolz, daß die Eltern ihm dieses Erbstück anvertraut hatten. Immerhin hatte es seinen Großeltern gehört. Auch die Möbel in seinem Zimmer, ja das ganze Haus, atmete Geschichte. Dabei war es erst seit gut hundert Jahren in Familienbesitz. Die Burg hingegen, zu der sie heute reisen würden, war der Stammsitz der MacMillans. Er liebte dieses Gemäuer und war immer froh, wenn er ein paar Tage dort bleiben durfte, auch wenn es bei den Mahlzeiten etwas steif zuging und die Cousinen lieber Picknick als Drachen jagen spielten.
Zufrieden mit den Haaren begann er, sich in die Robe zu zwängen, die seine Mutter für ihn ausgesucht hatte. Außen tannengrüner Samt und Goldstickerei, so weich, daß es Freude machte, den Stoff zu streicheln, als sei das Kleidungsstück ein Kniesel. Aber das Futter war steif und der Schnitt um Schultern und Rumpf ziemlich eng. Lange hatte er diese formalen Roben verabscheut, weil sie unbequem waren und völlig ungeeignet zum Klettern oder Fliegen. Doch inzwischen verstand er, daß sie auch Stolz transportierten. Und als er ein halbes Jahr zuvor erstmals eine knöchellange tragen durfte, hatte er sich nicht beschwert, daß er zunächst das Treppensteigen üben mußte, sondern sich groß gefühlt. Und Fiona, seine älteste Cousine, hatte ihm verraten, daß man in Hogwarts jeden Tag eine lange Robe trug, nur weiter und weniger formell.
„Ernie, bist du soweit?"
„Ja, Mutter."
Er huschte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Die letzten drei Stufen übersprang er. Doch das erwies sich als Fehler: Sein Fuß setzte schief auf und knickte weg. Mit einem Laut er Überraschung fiel er zu Boden. Der Teppich dämpfte den Aufschlag. Trotzdem tat es weh. Doch am heftigsten war der dumpfe Schmerz in seinem Fußgelenk. Er keuchte und Tränen schwammen in seinen Augen.
Seine Mutter half ihm, sich aufzusetzen und nahm ihn in den Arm.
„Wo tut es denn weh?"
„Am Fuß. Und am Ellenbogen. Aber vor allem am Fuß", stieß er hervor.
„Was ist passiert?", hörte er seinen Vater fragen.
„Ein kleiner Unfall. Das haben wir gleich." Seine Mutter befreite den Knöchel von Hosenbein, Schuh und Strumpf und betastete die wachsende Schwellung. Ernie schluckte.
„Ist das schlimm?"
„Bestimmt verstaucht. Das tut bestimmt weh, und laufen kannst du so nicht." Sie sah ihn mit einem verschmitzten Lächeln an. „Aber zum Glück bin ich eine Hexe. Sie her."
Sie zog den Zauberstab aus der Rocktasche und führte kreisende Bewegungen über dem Fußgelenk aus, das mittlerweile bestimmt seine Größe verdoppelt hatte. Ihre Worte konnte er sich nicht merken. Latein mußte es sein, wie die meisten Zaubersprüche. Er würde sie später danach fragen. Jetzt genoß er es, daß der Schmerz nachließ und das Gelenk allmählich wieder seine vertraute Form annahm. Heilmagie war wirklich wunderbar.
