VIII.
Lando Calrissian gab vor, unsichtbare Flusen von den makellosen Manschetten seines cremefarbenen Uniformhemdes herunterzuzupfen. Aber in Wirklichkeit sah er so unauffällig wie nur möglich auf das Zifferblatt seines antiken Armbandchronos, was er in der letzten anderthalb Stunde schon so oft getan hatte, dass Nien Nunb, der neben ihm saß wie auf glühenden Kohlen, bereits damit gedroht hatte, Lando das Chrono in den Mund zu stopfen und ihn dazu zu zwingen, es hinunterzuschlucken, falls er sich noch einmal dabei erwischen ließ. Lando nahm seinem Copiloten diesen Ausbruch übrigens keineswegs übel. Sie waren alle ein klein wenig nervös ...
„Es ist gleich so weit", verkündete er ungefähr zum vierzehnten Mal. (Im Grunde sagte er es nur, um das zermürbende Schweigen zu durchbrechen, dass im Cockpit der Millenium Falcon herrschte.)
Nien Nunb warf ihm aus flachen schwarzen Scheibenaugen einen waidwunden Blick zu, verzichtete aber darauf, Calrissians linkes Handgelenk zu attackieren und auch sonst seinen Worten Taten folgen zu lassen. Stattdessen wandte sich der grauhäutige Sullustaner demonstrativ dem Nav-Computer zu, um seinen eigenen Kontrollzwang auszuleben, indem er die längst einprogrammierten Koordinaten für den bevorstehenden Hyperraumsprung wieder und wieder durchcheckte.
Landos sorgfältig manikürte Fingernägel tanzten in einem ruhelosen Trommelwirbel auf der Instrumententafel herum, während er durch das Cockpitfenster auf den kleinen Ausschnitt der Rebellenflotte starrte, den er von der Position der Millenium Falcon aus sehen konnte.
Aber er wusste auch so, dass die Allianz für die Endor−Kampagne wirklich alles aufgeboten hatte, was fliegen und schießen konnte, wodurch eine ebenso bunte wie eindrucksvolle Armada entstanden war: Kreuzer von Corellia und Fregatten von Calamari, Zerstörer von Bestine und Blockadebrecher von Kessel, Trägerschiffe von Sullust und Schlachtschiffe von Alderaan, dazu Bomber, Tanker, Transporter und ein wildes Sammelsurium von Jägern von hundert Welten mehr. Die Flotte der Allianz war ein Spiegelbild dieser Rebellion, die nicht nur die Menschen, sondern auch zahllose andere vom Imperium unterdrückten Spezies und Lebensformen erfasst hatte.
Was Calrissian anging, so war er heilfroh, dass Han ihm in einem unerwarteten Anfall von Großzügigkeit die Millenium Falcon überlassen hatte, wenn auch nur leihweise. Um keinen Preis hätte er in diesem Augenblick auf einem anderen Schiff sein wollen, denn nirgendwo hätte er sich auch nur annähernd so gut aufgehoben gefühlt wie auf diesem verbeulten, zusammengeflickten und jenseits aller technischen Sicherheitsbestimmungen aufgerüsteten Frachter, der Lando früher selbst gehört und ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte, bevor er ihn törichterweise bei einer Runde Sabacc als Einsatz missbraucht und ihn prompt an den mit allen Wassern gewaschenen Corellianer verloren hatte. Und obwohl Lando seit Monaten jedermann (aber vor allem einem leidgeprüften Wookie) praktisch ununterbrochen damit in den Ohren lag, dass Hans reichlich kreative Tuningmaßnahmen „sein" Schiff völlig ruiniert hätten, musste er im Stillen doch zugeben, dass die gute alte Falcon nie schneller oder besser in Schuss gewesen war als hier und jetzt.
„Und immerhin war diese Kiste schon damals beim ersten Todesstern mit von der Partie und das ist gut, weißt du, das ist wirklich gut. Unsere Jungs da draußen sehen in ihr nämlich einen fliegenden Talisman, ein Maskottchen oder so was in der Art. Und genau das ist es, was unsere Jungs jetzt dringend brauchen: Ein Maskottchen!" hatte Lando seinem Copiloten erklärt , als sie sich im Cockpit häuslich niedergelassen hatten.
Nien Nunb hatte nur weise genickt, obwohl er persönlich der Ansicht war, dass eine abergläubische Spielernatur wie Lando Calrissian noch viel dringender auf einen halbwegs überzeugenden Glücksbringer angewiesen war als „unsere Jungs da draußen".
Er sah sich auch jetzt wieder in seiner Meinung bestätigt, als Lando einen elegischen Seufzer ausstieß, die Steuereinheit tätschelte und dabei vor sich hinmurmelte: „Du hast mich noch nie im Stich gelassen, altes Mädchen, und ich dich auch nicht. Du wirst schon sehen, ich bringe dich heil wieder nach Hause. Ohne einen einzigen Kratzer – genau wie ich es Han versprochen habe."
Nien Nunb war ein überzeugter Pragmatiker und daher ohne jedes Verständnis für irgendwelchen Hokuspokus, einseitige Unterhaltungen mit Raumschiffen oder ähnlich neurotische Angewohnheiten (von seiner eigenen Besessenheit bezüglich der Sprungkoordinaten mal ganz abgesehen). Folglich litt er bereits unter erhöhter Temperatur, als Lando sich endlich wieder ein wenig fasste – besonders als der Ersatz−Captain der Millenium Falcon ganz mechanisch und dieses Mal auch völlig ungeniert sein Chrono erneut zu Rate zog, um mit sorgenumwölkter Stirn mitzuteilen, was ohnehin schon allgemein bekannt war.
„Es ist gleich so w..."
„Shgonk kodio! Mirkalenn hattakk!" fauchte der Sullustaner, was grob übersetzt eine sehr unhöfliche Vermutung über diverse irreparable Mutationen im Genpool von Landos Großeltern bedeutete.
„Ich bin sicher, du hast vollkommen Recht, mein Freund", erwiderte Lando in Unkenntnis des Sull´Con-Draal-Dialektes und der gerade geäußerten Verunglimpfung seiner Vorfahren friedfertig.
Nien Nunb stöhnte auf und kniff sich heftig in die mit Nervendruckpunkten versehenen Doppelfalten seiner Hängebacken, um seiner aufgewühlten Gefühle wieder Herr zu werden. Als auch das nicht half, wirbelte er seinen Drehsessel mit einem so aggressiven Schwung zur Nav−Konsole herum, dass das überbeanspruchte Gelenk protestierend knirschte, und stürzte sich mit fieberhaftem Eifer auf eine weitere Überprüfung der Koordinaten.
Lando hielt es für das Beste, die zwanghaft wiederholten Routinekontrollen seines Copiloten zu ignorieren. Es hatte eben jeder sein eigenes Ritual, wenn es darum ging, Stress zu kompensieren ...
Er bedauerte es zutiefst, dass er selbst im Augenblick nichts Sinnvolleres zu tun hatte, als abwechselnd auf sein Chrono oder aus dem Cockpitfenster hinaus zu starren. Aber was hätte er auch sonst tun sollen? Seine eigene Checkliste hatte er bereits doppelt und dreifach abgehakt. Und sein garantiert allerletzter Test−Rundruf über die Kampffrequenz hatte unerklärlicherweise für eine gewisse Verstimmung unter den Geschwaderführern gesorgt. (Wedge Antilles zum Beispiel hatte so laut geflucht, dass er für rund zwei Minuten alle anderen an die Millenium Falcon gefunkten Unmutsäußerungen fast völlig übertönt hatte. Lando nahm auch das mit Nachsicht hin − sie waren eben alle ein klein wenig nervös!) So gab es also nichts mehr, was Calrissian die Zeit verkürzt und ihn gleichzeitig von dem entschieden flauen Gefühl in seinem Magen abgelenkt hätte ...
Und genau das war das Problem, nicht wahr? Wie alle Hasardeure, Abenteurer und Glücksritter jeden Kalibers vertraute Lando bedingungslos auf sein Bauchgefühl, seinen Instinkt, sein Jhozz, wie es auf seinem Heimatplaneten genannt wurde. Und es ließ sich nun einmal nicht leugnen, dass sein Jhozz sich gerade jetzt besonders hartnäckig zu Wort meldete. Es war noch schlimmer als an diesem schaurigen Abend in dem Kasino von Changhiij, als es Lando gerade noch gelungen war, in einem prasselnden Flittergoldregen aus ehrlich gewonnenen Chips unter seinem Tisch in Deckung zu gehen, bevor die Schläger der lokalen Unterweltgröße den Saal gestürmt hatten, um mit Macheten und einem erstaunlichen Aufwand an roher Gewalt über alle anderen Gäste herzufallen. Ein Abend, der Lando beinahe noch viel mehr gekostet hätte als den märchenhaften Komtraya–Jackpot, den er nur geknackt hatte, um ihn sofort in die beutegierigen Klauen eines anderen fallen zu sehen …
Es war sogar noch schlimmer als an diesem gruseligen Morgen vor ein paar Monaten, als Darth Vader mit einem handzahmen Kopfgeldjäger und einem größeren Kontingent an uniformierten Profi–Mördern im Kielwasser in Landos elegantes Büro hineingefegt war und sich dort mit unnachahmlicher Dreistigkeit einfach auf seiner Schreibtischkante niedergelassen hatte, um dem damaligen Baron−Administrator von Bespin sofort ein ganzes Bündel von Befehlen und Drohungen um die Ohren zu schlagen. Ein Morgen, der Lando sehr viel mehr gekostet hatte als nur seine Selbstachtung und einen teuren Ersatz für die hoffnungslos zerkratzte Kryllglasplatte auf seinem Schreibtisch … Obwohl er natürlich schon dankbar dafür sein musste, auch bei dieser Gelegenheit mit dem Leben davongekommen zu sein, was nicht gerade selbstverständlich war, wenn man es mit einem echten Barbaren wie Vader zu tun hatte, der das Temperament eines angeschossenen Pardegs mit dem Feingefühl eines Verkehrsunfalls vereinte und dessen Ehrenwort ungefähr so viel wert war wie das Keuschheitsgelübde eines läufigen Huttweibchens …
Dabei hätte Lando nicht einmal den Finger darauf legen können, was genau sein Jhozz so in Aufruhr versetzte. Das konnte er nie. Er wusste nur, dass es eine eindeutige Warnung war, eine Flammenschrift an einer unsichtbaren Wand irgendwo in seinem Hinterkopf. Und heute musste er diese Warnung in den Wind schlagen, heute musste er zum allerersten Mal in seinem Leben seinen extrem stark entwickelten Selbsterhaltungstrieb einer neuen zwingenden Priorität völlig unterordnen. Denn der frischgebackene General Calrissian, der an Bord der Millenium Falcon vor sich hin brütete, konnte nicht einfach unter einen Komtraya−Spieltisch kriechen, wenn es brenzlig wurde, um seine eigene kostbare Haut zu retten. Er konnte nicht einmal den König der Barbaren an seiner gepanzerten und wahrscheinlich auch sonst wenig lieblichen Nase herumführen, um sich anschließend schnell aus dem Staub zu machen. Nein, der neue Calrissian war eine echte Respektsperson mit echter Verantwortung für einen echten Kampfeinsatz gegen einen echten Feind − ein Feind, der todsicher sehr viel mehr gezinkte Karten im Ärmel hatte als die Norulac−Piraten, denen Lando seinerzeit so erfolgreich den Garaus gemacht hatte.
Und genau das war der Kern des ganzen Problems, nicht wahr? Vielleicht konnte Lando ja wenigstens dieses eine Mal doch den Finger darauf legen, was sein nörgelndes Jhozz so in Wallung brachte. Vielleicht war es dieses eine Mal ja auch gar nicht sein Jhozz, das seine eingebaute Alarmsirene losschrillen ließ, sondern seine Intelligenz, seine Raffinesse, seine große Erfahrung bei Gaunereien und Husarenstückchen aller Art. Denn Tatsache war, dass Lando Calrissian nicht daran glauben konnte, was ihm bei der Einsatzbesprechung erzählt worden war, nicht wirklich. Es hatte sich alles so leicht und simpel angehört − ein bisschen zu leicht und simpel. Es war alles einfach ein bisschen zu schön, um wahr zu sein ...
Mon Mothma und Admiral Ackbar waren natürlichfelsenfest davon überzeugt, dass die imperiale Flotte überall verstreut war, dass sie völlig davon in Anspruch genommen war, Hunderte von Sternensystemen auf der Suche nach den neuesten Rebellenstützpunkten zu durchkämmen. Doch Lando konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Imperialen leichtsinnig genug waren, den im Ernstfall nicht einmal verteidigungsfähigen Todesstern praktisch unbewacht über diesem kleinen Waldmond vor sich hinkreiseln zu lassen wie ein Jahrmarktsbudenbesitzer einen mit knallrotem Zuckerguss überzogenen Spießapfel vor den gierigen Augen einer ausgehungerten Kinderschar. Umso unverständlicher war es, dass der Imperator ausgerechnet jetzt seine Hochsicherheitsgruft auf Coruscant verlassen haben sollte, um seinem künftigen Planetenkiller einen Besuch abzustatten.
Wenn ich Palpatine wäre, würde ich dann meinen faltigen alten Stinkmorchelhintern aus meinem schnuckeligen kleinen 1000−Zimmer−Bunker raushieven, nur um auf dem Todesstern bis zu den Knien im Bauschutt zu stehen, bei jedem Atemzug eine Ladung Schweißrauch zu schlucken und mir von morgens bis abends den Lärm von Nietenbohrern und Presslufthämmern anzuhören? grübelte Lando. Würde ich mir das wirklich antun − und das auch noch auf die Gefahr hin, womöglich mitten in meinem Fünf−Uhr−Tee mit irgendeinem Lamettaträger von den Rebellen wie ein Stück Toast geröstet zu werden?
Höchstens wenn ich völlig senil wäre. Oder verrückt. Oder beides! Denn ansonsten würde ich mich lieber zu Hause in meinen Lieblings−Whirlpool werfen, mich bis zu meinem Schildkrötenkinn in rosarotem Schaum einweichen und mich von ein paar niedlichen Hofdamen verwöhnen lassen.
Aber vielleicht war der Imperator tatsächlich völlig senil oder verrückt oder beides. Jedenfalls saß er laut dem Top−Secret−Bericht der Bothaner gerade auf dem Todesstern und trieb dort, was auch immer die vergreiste Geißel der Galaxis während einem langen inoffiziellen Arbeitstag treiben mochte.
Viele Bothaner mussten sterben um sicherzustellen, dass uns diese brisante Information noch rechtzeitig erreicht, hatte Mon Mothma bei der Einsatzbesprechung ernst gesagt. Prompt hatte sich eine andächtige Stille über die Versammlung gesenkt: Eine Schweigeminute für die toten Botha−Agenten und all die anderen namenlosen Spione, die hinter den Kulissen dieses Krieges ihr Leben gelassen hatten, damit die im Rampenlicht stehenden Helden kämpfen und ihre Lorbeeren einsammeln konnten.
Doch Lando war trotz einer spontanen sentimentalen Regung unmittelbar nach dieser Gedenkminute von einem ganz und gar unsentimentalen Gedanken überrascht worden: Hoffentlich sind sie nicht umsonst gestorben!
Denn auch wenn das bothanische Spionagenetz seit Jahrhunderten das Zünglein an der Waage der Geschichte war, so hieß das noch lange nicht, dass es unfehlbar war.
Sogar der ausgefuchsteste Spitzel kann am Ende nur das finden, was man ihn finden lässt, dachte Lando. Und wenn unsere kleinen Meisterschnüffler sich geirrt haben ... oder wenn irgend jemand sie ganz bewusst auf die falsche Fährte gelotst hat, dann können wir einpacken. Falls überhaupt noch genug von uns übrig bleibt, was eingepackt werden kann ...
Er zuckte unwillkürlich zusammen, als ein lautes Knistern aus den Lautsprechern der Kom–Konsole drang. Dann sagte Ackbars gurgelnde Calamari−Stimme: "Statusbericht, Calrissian?"
Und plötzlich wurde alles seltsam kühl und klar und ruhig in Lando und um ihn herum ... Es war genau wie im Kasino, wenn er irgendeiner steinäugigen Schönheit, die über die Hausbank wachte wie eine Priesterin über ihren Altar, gerade mit seinem charmantesten Lächeln seine letzten Credits überreicht hatte, entschlossen, das Schicksal selbst herauszufordern, mit einem Schlag alles zu gewinnen oder alles zu verlieren − aber immer mit Stil!
„Wir sind in Position, Admiral", meldete er. „Alle Geschwader sind in Gefechtsformation und startbereit." Und starten würden sie − und wenn der Teufel persönlich bei Endor auf sie wartete. Und kämpfen würden sie. Und siegen oder untergehen − aber immer mit Stil!
„Bestätigt, Calrissian. An alle Einheiten: Achtung! Countdown beginnt. Zehn ... neun ..."
Landos Hand schloss sich um den Hebel an der Steuereinheit, ganz leicht jetzt, ganz locker und gelöst. Wirklich, im Grunde war es nur ein weiteres Spiel ... wenn auch eine andere Art von Spiel ... das größte Spiel von allen ...
„... sieben … sechs ..."
Und schon rollte die Kugel durch das regenbogenbunte Zahlenlabyrinth im schimmernden Rund des Komtraya−Kessels. Jetzt gab es kein Zurück mehr ...
„... vier … drei ..."
... kein Zurück ...
„LOOOS!"
Die winzigen Funken der Sterne schmolzen und zerflossen zu langen Glutstreifen, verwandelten sich erst in Brandpfeile und dann in Feuerspeere, die von einer unbekannten Macht aus dem Nichts des Hyperraums geschleudert zu werden schienen, um aufzuhalten, was nicht aufzuhalten war. Die Millenium Falcon erschauerte und warf sich dem Lichtsturm entgegen wie ein geflügeltes Pferd aus dem Reich der Sagen ...
Fortsetzung folgt ...
© 2008 by Nangijala
