IX.
Chewie, der zusammen mit den beiden Ewok-Spähern die Vorhut übernommen hatte, tauchte plötzlich mitten in einem Meer aus Farnkraut auf wie ein haariges U-Boot. Er winkte ihnen vergnügt mit seiner großen Pfote zu und gab das sanfte Muhen von sich, das das Wookie–Äquivalent zu einem menschlichen Flüstern war.
„Er hat unsere Männer gefunden. Sie sind direkt vor uns. Und bis zum Schutzschildgenerator ist es nur noch etwa eine halbe Meile. Schaffst du das?" sagte Han mit einer Stimme, die genauso gedämpft war wie seine Stimmung.
„Natürlich schaffe ich das", fauchte Leia.
Seit sie Han von ihren wundgescheuerten Fersen erzählt hatte – was sie inzwischen lebhaft bedauerte –, fragte er sie ungefähr alle zehn Meter, ob sie es noch schaffte, was nicht gerade zur Verbesserung von Leias Laune beitrug. Bildete Han sich etwa ein, dass sie sich von ein paar Blasen aufhalten ließ?
Trotzdem musste sie unwillkürlich an das reichlich melancholische Märchen von der Nixe denken, die für ihre hoffnungslose Liebe zu einem ausgesprochen undankbaren jungen Fischer alles geopfert hatte, was sie besaß, nur damit eine Hexe ihren Fischschwanz in zwei halbwegs hübsche Mädchenbeine verwandelte – eine magische Schönheitsoperation, die der armen kleinen Nixe nur eine Menge Schmerzen, ein gebrochenes Herz und sonst gar nichts eingebracht hatte.
Jeder Schritt ein Messerstich, dachte Leia grimmig und fühlte sich mit der leidenden Meerjungfrau vollkommen solidarisch, während sie Chewie, der wieder im Farn untergetaucht war, mit verbissenem Eifer hinterher humpelte. Aber das kommt eben davon, wenn sich Nixen in die falschen Männer verlieben – und wenn Mon Mothma am falschen Ende spart! Hauptsache, sie hat keinen Credit zuviel für unsere Ausrüstung ausgegeben …
Leia konnte es beinahe vor sich sehen, das selbstgefällige Vollmondgesicht des geschäftstüchtigen Vertreters der Firma Tramp & Camp, als er seine Waren in den höchsten Tönen angepriesen und die immer auf Sparsamkeit bedachte Hüterin der notorisch maroden Allianz-Finanzen mit viel Geschick um seinen plumpen kleinen Finger gewickelt hatte.
„Sie werden nirgendwo bessere oder preisgünstigere Outdoorkleidung für Ihre Leute finden, Lady!" hatte er gegurrt. „Sehen Sie sich doch nur mal diesen Umhang an: Reines Gerotex, federleicht, atmungsaktiv, aber trotzdem hundertprozentig wasserdicht. Damit könnten Sie einen reißenden Fluss überqueren und Sie wären immer noch knochentrocken, wenn Sie am anderen Ufer wieder rauskraxeln – knochentrocken, Lady!"
Auch auf die Stiefel hatte er eine wahre Lobeshymne gesungen:
„Unser Spitzenmodell und so was von preiswert! Sehen Sie sich das Musterexemplar nur in aller Ruhe an, Lady – diese Qualität, diese Verarbeitung, alles allererste Sahne: Extraweiches Innenfutter, ein orthopädisches Gelbett, das sich der individuellen Fußform des Trägers automatisch anpasst, Elasthansohlen, auf denen Sie so leise gehen können, dass sogar eine Katze neben Ihnen trampeln würde wie ein durchgehendes Pferd. Und dabei mindestens so bequem wie Großmutters Filzpantoffeln! Ich sage Ihnen, in diesen Stiefeln könnten Sie um eine ganze Welt herummarschieren wie auf Wolken und Sie wären immer noch taufrisch, wenn Sie ankommen – taufrisch, Lady!"
Mon Mothma hatte sich natürlich von diesem werbewirksamen, aber nicht unbedingt wahrheitsgetreuen Wortschwall einlullen lassen und ein paar hundert komplette Outdoor-Garnituren geordert. („Alles im Tarnfarben–Look und mit zehn Prozent Mengenrabatt wirklich spottbillig – spottbillig, Lady!")
Was Leia anging, so hatte sie gerade eben beschlossen, dass sie den schwergewichtigen Tramp & Camp–Mann bei Gelegenheit zusammen mit einem seiner keineswegs wasserdichten Umhänge ertränken würde – im nächst besten reißenden Fluss oder noch besser in Mon Mothmas eigener Badewanne. Aber zuerst würde sie seine Plattfüße mindestens vierundzwanzig Stunden lang mit dem blasenerzeugenden, zehenfolternden und garantiert schweißfußträchtigen Spitzenmodell der firmeneigenen Produktpalette malträtieren. Und dann …
Leia war so tief in die ausgesprochen befriedigenden Details ihres Racheplans versunken, dass sie erschrak, als statt Chewies zottigem Rücken plötzlich ein anderer atmungsaktiver, aber trotzdem durchgeschwitzter Umhang im Tarnfarben–Look genau vor ihrer Nasenspitze erschien.
„Major Galen!" stammelte sie, als sie das mit einem stacheldrahtartigen Zehn–Tage– Stoppelbart verzierte Gesicht hoch über ihrem eigenen Kopf entdeckt und identifiziert hatte.
„PSSST!!!" zischten Han, Galen und alle anderen Anwesenden im Chor.
„Oh … tut mir wirklich Leid. Entschuldigung", wisperte Leia betroffen, denn für einen Augenblick hatte sie tatsächlich ganz vergessen, wie nahe sie jetzt an den feindlichen Stellungen waren. Hier konnte jedes laute Geräusch unerwünschte Aufmerksamkeit erregen und verhängnisvolle Folgen haben.
Sie ließ sich so lautlos wie nur möglich neben den übrigen Rebellensoldaten nieder, die in kleinen Gruppen am Boden lagerten und trotz der stundenlangen Rast, die ihnen vergönnt gewesen war, alles andere als taufrisch aussahen. Zumindest machte keiner von ihnen den Eindruck, wie auf Wolken oder in Großmutters Filzpantoffeln hierher marschiert zu sein.
Leias Vermutungen wurden zur Gewissheit, als sie mit einer Grimasse ihre Stiefel auszog und ein mit Sommersprossen gesprenkelter junger Soldat, der im Schneidersitz neben ihr kauerte, sofort ein Medkit aus seinem Rucksack kramte, um ihr kommentarlos ein Päckchen Synthhautpflaster in die Hand zu drücken. So würde der Schutzschildgenerator nachher also von einer müden und fußwunden Rebelleneinheit gestürmt werden ...
Leia verarztete zornig ihre Fersen und wünschte dabei der gesamten Belegschaft von Tramp & Camp die Pest an den Hals und die imperiale Steuerfahndung gleich hinterher.
Galen, der zunächst die beiden Ewoks bestaunt hatte und seinerseits bestaunt worden war, starrte nun forschend in das Farngestrüpp hinein. Als er begriff, dass der Nachzügler, den er erwartete, nicht mehr kommen würde, wandte er sich an Han. „Wo ist Commander Skywalker?"
Leia blickte rasch auf – was jetzt kam, versprach interessant zu werden.
Doch Han bewahrte das undurchdringliche Sabaccgesicht, das er aufreizenderweise seit Beginn ihrer letzten hitzigen nächtlichen Debatte aufgesetzt hatte, und sagte ruhig: „Er ist schon vorausgegangen."
Galens nächste Frage war unvermeidlich. „Warum?"
Han zögerte ein wenig. (Ja, ja, es ist gar nicht so leicht, unseren Leute ins Gesicht zu lügen, was, General? dachte Leia giftig.) „Er … führt seinen eigenen Einsatz durch. Eine Ein-Mann-Sondermission. In meinem Auftrag."
Galen runzelte prompt die Stirn. Er gehörte zu den Menschen, die praktisch schon als Rebellen geboren wurden, weil sie nichts, aber auch gar nichts widerstandslos oder widerspruchslos hinnehmen konnten. „Was für eine Sondermission?"
„Das ist geheim. Strenggeheim", erwiderte Han und sah dabei selbst alarmierend streng aus.
Das konnte Galen natürlich nicht einfach so auf sich sitzen lassen – es war eine Frage des Prinzips. „Das hätten Sie uns ruhig ein bisschen früher erzählen können, General."
„Wenn ich jedem gleich von einer geheimen Mission erzählen würde, dann wäre sie ja nicht mehr geheim", konterte Han geistesgegenwärtig. (Wenn er unter Druck gesetzt wurde, konnte er so kaltblütig und zungenfertig schwindeln wie ein abgebrühter Senator vor einem Untersuchungsausschuss. Leia, die ihn schon früher in Hochform erlebt hatte, registrierte seine aalglatte Wendigkeit mit einer Mischung aus Ärger und widerwilliger Bewunderung.)
„Sie hätten uns trotzdem Bescheid sagen müssen, General", beharrte Galen. „Immerhin hätte das ganz leicht ins Auge gehen können. Wenn Commander Skywalker heute Nacht an uns vorbeigekommen wäre, dann hätten wir ihn womöglich erledigt, bevor wir überhaupt gemerkt hätten, wen wir da erwischt haben." (Er schien es beinahe zu bedauern, dass Hans Geheimniskrämerei keine derart fatale Verwechslung nach sich gezogen hatte.)
„Aber er ist ja gar nicht an euch vorbeigekommen!" trumpfte Han auf. „Er ist in Richtung Norden gegangen, um … na ja … um zu erledigen, was er eben zu erledigen hat. Und wir machen jetzt noch zwanzig Minuten Pause und dann starten wir auch durch. Noch irgendwelche Fragen, Major?"
Die leichte Schärfe, mit der er das letzte Wort aussprach, ermutigte garantiert niemanden dazu, weitere Fragen zu stellen, und genau so war es auch beabsichtigt. (Sabaccgesicht hin oder her: Leia konnte an einem winzigen Zucken seiner Lider erkennen, dass die ständigen Anfechtungen seiner Autorität an Hans Nervenkostüm zu zerren begannen.)
Galen kniff eigensinnig seine stoppelumkränzten Lippen zusammen. Vor vielen Jahren, in einem früheren Leben, das er längst hinter sich gelassen, aber niemals ganz vergessen hatte, war er der wortgewaltige Anführer einer pazifistisch angehauchten Studentenbewegung mit einem unbezähmbaren Drang zu lautstarken und auch sonst risikoreichen Anti–Kriegs–Demonstrationen vor den Toren der örtlichen Sturmtruppen–Garnison gewesen. Doch jetzt war er selber Soldat genug, um Hans Tonfall richtig zu interpretieren und entsprechend darauf zu reagieren, obwohl es ihm nicht gefiel, kein bisschen. Sein vorwurfsvoller Blick glitt von Hans steinerner Miene zu Leia, die verlegen wegsah, und wieder zu Han zurück.
„Nein, General", sagte er gerade hölzern genug um anzudeuten, dass er es eigentlich nicht nötig hatte, so mit sich umspringen zu lassen. (Immerhin war auch er innerhalb der Streitkräfte der Allianz zu Amt und Würden gelangt und überhaupt … Ach ja, man war schon tief gesunken, wenn man sich von einem dahergelaufenen Ex-Schmuggler so über den Mund fahren lassen musste.)
Leia musterte die ebenso steinernen Gesichter ringsum und stellte bedrückt fest, dass Hans Imponiergehabe genau das bewirkt hatte, was er hatte vermeiden wollen. Jetzt zerbrachen sich natürlich alle die Köpfe darüber, wo die erklärte Heldenikone der Allianz abgeblieben war und warum Solo, der sonst eigentlich ganz umgänglich und mitteilsam war, ein solches Mysterium daraus machte.
Für Han dagegen war die Angelegenheit offensichtlich erledigt. (Takt war ja noch nie seine Stärke, dachte Leia.) Er setzte sich neben sie und raunte ihr ins Ohr: „Und was machen diese anbetungswürdigen Fersen?"
Leia antwortete nur mit einem schnippischen Achselzucken, aber irgendwie fand sie seine Fürsorge jetzt doch ein klein wenig rührend. Han hatte durchaus so etwas wie Charme (die corellianische Waldschrat–Version von Charme, aber immerhin!) und er konnte einfach hinreißend sein, wenn er nicht gerade in einer seiner unerträglichen Ich-weiß-dass-ich-dein-Traummann-bin-Phasen war. Und es war wirklich nett von ihm, sich so um sie zu kümmern – und das nachdem sie ihm seit diesem Vorfall die kalte Schulter gezeigt und ihn auch sonst ganz abscheulich behandelt hatte. Aber das hatte er sich schließlich selbst zuzuschreiben. Nein, eigentlich hatte er es Luke zuzuschreiben. Luke, der …
Und plötzlich kam es mit der unwiderstehlichen Wucht eines Wasserfalls über Leia, dieses Gefühlschaos, das sie seit Stunden mühsam in Schach gehalten und unter einer Schutzschicht aus bissigem Groll versteckt hatte. Und jetzt musste sie doch tatsächlich mit den Tränen kämpfen … es war wirklich zu dumm und schrecklich peinlich noch dazu – was sollten denn die Leute von ihr denken? Und eigentlich hatte sie ja auch gar keinen Grund zum Weinen, nein, nicht den allergeringsten Grund.
Es war nur … sie war so schrecklich enttäuscht von Luke, ja, das war sie. Luke, der einfach weggegangen war, der sie alle im Stich gelassen hatte, um irgendwelchen Hirngespinsten nachzulaufen, um einem Trugbild nachzujagen, einer Illusion, die ihn das Leben kosten konnte, nein, zweifellos kosten würde. Und deshalb hatte Leia natürlich auch Angst um ihn, schreckliche Angst sogar, denn er war trotz allem immer noch ihr …
Bruder! Er ist mein BRUDER!
… engster Vertrauter gleich nach Han und sie hing wirklich an ihm wie eine Schwester …
Zwillingsschwester! Ich bin seine ZWILLINGSSCHWESTER!
… obwohl sie das ja gar nicht war. Denn was Luke sich da zusammengereimt hatte, war schlicht und einfach …
Unerträglich!
… unmöglich, ja, so einfach war das.
Großer Gott, wir sehen uns ja nicht mal ähnlich! Wir haben nicht mal die gleiche Haarfarbe, dachte Leia und bewies damit eigentlich nur, dass Wunschdenken sogar die Früchte einer privilegierten Schulbildung vergessen machen konnte – unter anderem zahlreiche Biologiestunden über das Thema Vererbungslehre, wobei es sicher auch einmal zur Sprache gekommen war, dass weder zwischen alltäglichen Geschwistern noch zwischen zweieiigen Zwillingen unbedingt eine sofort ins Auge springende Ähnlichkeit bestehen musste.
Übrigens gab es durchaus gewisse Ähnlichkeiten zwischen Luke und Leia, wenn man nur ein wenig danach suchte. Da waren zum Beispiel die fehlenden Zentimeter an ihrer eher zierlichen Statur, die beiden in jüngeren Jahren viel Kummer bereitet hatte. Und was war mit ihrer an Gefräßigkeit grenzenden Begeisterung für Froxxbeerenmarmelade, eine Gemeinsamkeit, die spätestens seit Hoth so etwas wie ein Insiderwitz war? Doch Leia zog es momentan vor, diese verdächtigen Übereinstimmungen entschlossen zu ignorieren – und alle anderen auch, denn je länger sie darüber nachdachte, desto mehr geteilte Vorlieben und Wesensmerkmale fielen ihr ein beziehungsweise auf, was nun wirklich ein höchst sonderbarer Zufall war.
Nein, nein, es war viel besser, sich auf ihre und Lukes Gegensätze zu konzentrieren. (Viel besser und vor allem sehr viel sicherer!) Und es gab da eine ganze Menge Gegensätze, oh ja, es gab sehr viel mehr Unterschiede zwischen ihr und Luke als Gemeinsamkeiten. Seltsamerweise fielen Leia gerade jetzt gar nicht so besonders viele oder gravierende Unterschiede ein, aber das konnte ihr wohl niemand verdenken, denn sie war schließlich ziemlich durch den Wind nach der ganzen Aufregung.
Aber glücklicherweise war sie wenigstens nicht so durcheinander, dass sie nicht dazu in der Lage gewesen wäre, das vollkommen überflüssige Papiertaschentuch zu akzeptieren, das Han ihr aufdrängte. Auch den Schokoriegel, den dieser sommersprossige Junge – hieß er nicht Brix oder Blix oder so ähnlich? – ihr anbot, nahm sie mit einem freundlichen Dankeschön entgegen.
Natürlich hatte sie nicht die geringste Verwendung für das Taschentuch (Mir ist nur eine Wimper ins Auge geraten, das ist alles!), aber sie steckte das zerknautschte und nicht gerade porentief reine Zeichen von Hans Aufmerksamkeit trotzdem ein.
Sie hatte auch nicht den geringsten Appetit auf diesen Schokoriegel, dem man übrigens deutlich ansehen konnte, dass er mindestens einen sonnenheißen Tag auf dem Grund eines Rucksacks verbracht hatte, zwischen Sprengkapseln, Ersatz–Energiezellen und anderen nützlichen Gegenständen eingekeilt. Aber Leia schälte trotzdem tapfer die klebrige Folie von dem zerschmolzenen, formlosen Ding herunter und aß es auf, denn das war es, was eine Führungspersönlichkeit ausmachte: Teamgeist! Und davon konnte sich dieser verantwortungslose, rücksichtslose, herzlose Querkopf von einem Bruder … also davon konnte sich LUKE ruhig eine Scheibe abschneiden, wenn er wiederkam. Falls er wiederkam …
„Fühlen Sie sich jetzt ein bisschen besser, Ma'am?" flüsterte Brix oder Blix teilnahmsvoll.
Leia nickte nur, denn irgendwie hatte sich schon wieder eine Wimper in ihr Auge verirrt oder eigentlich in beide Augen. Vielleicht waren es ja auch gar keine Wimpern, die ihr so zu schaffen machten, sondern irgendwelche einheimischen Pollen, denn ihre Nase drohte jetzt auch überzufließen und ihre Kehle war ohnehin wie zugeschnürt. Also das hatte ihr gerade noch gefehlt – sie wollte gegen das Imperium kämpfen, nicht gegen einen Heuschnupfenanfall!
Aber dieses Mal funktionierte ihre Verleugnungstaktik nicht mehr und als Han wortlos ein weiteres Papiertaschentuch präsentierte, steckte Leia es nicht weg. Sie benutzte es und gleichzeitig Han und Brix / Blix als kombinierten Sichtschutz, denn schließlich mussten nicht gleich alle wissen, was mit ihr los war. Das hätte die Leute nur verunsichert und Leia hätte niemals etwas getan, was den Kampfgeist der Truppe untergrub. Oh nein, sie nicht! Denn sie war eben nicht wie Luke, auch wenn er ihr Zwilling war. Falls er ihr Zwilling war …
Es war übrigens nicht so, dass Leia etwas gegen diesen unerwarteten Familienzuwachs einzuwenden gehabt hätte. Ganz im Gegenteil: Wäre es nur um Luke allein gegangen, sie hätte ihn ohne jeden Vorbehalt willkommen geheißen, hätte ihn ohne jedes Wenn und Aber als lange verlorenes Alter Ego in die Arme geschlossen, hätte sich über dieses neue Band zwischen ihnen einfach nur gefreut. Doch es ging eben nicht nur um Luke. Es ging auch um IHN.
Darth Vader … Die bloße Möglichkeit, dass er ihr Erzeuger sein mochte – sie weigerte sich, das für sie kostbare Wort „Vater" auch nur durch den kleinsten Zusammenhang mit diesem Raubtier auf zwei Beinen für immer zu entweihen –, die bloße Möglichkeit also erweckte in Leia das von klammen Schweißausbrüchen und Schwindelattacken begleitete Ekelgefühl, das für gewöhnlich früher oder später in einem heftigen Brechreiz endete.
Jeder! dachte sie wild, ein durchweichtes Viereck aus Recycling-Zellulose gegen ihre Augen pressend. Jeder von Palpatines Schergen könnte mich auf die Welt gesetzt haben, jeder skrupellose Raffzahn von Gouverneur, jeder Schlächter in Uniform. Mit jedem von ihnen könnte ich mich irgendwie und irgendwann abfinden – sogar mit Tarkin, diesem Bastard. Aber nicht mit IHM! Nicht mit Vader! Niemals!
Doch leider war es ausgerechnet Vaders mutmaßliche Vaterschaft, die eine vollkommen einleuchtende Erklärung für all die ungelösten kleinen Rätsel in Leias Leben offenbarte …
Wie alle Adoptivkinder, mochten sie auch noch so sehr geliebt, umsorgt und verwöhnt werden, hatte auch Leia ab einem gewissen Alter durchaus Interesse an ihren leiblichen Eltern bekundet. Es war nur normal, dass man wissen wollte, wer die Menschen waren, denen man sein eigenes Dasein verdankte, wo und wie sie gelebt hatten und warum man nicht in ihrer Obhut aufwachsen konnte.
Doch Leia hatte schnell lernen müssen, dass die freimütige Offenheit, zu der sie erzogen wurde, sich nur in eng gesteckten Grenzen entfalten durfte. Denn wenn Bail und Solvejn Organa ihrer Adoptivtochter auch schon früh Dinge anvertraut hatten, die man für gewöhnlich nicht mit Kindern erörterte („Sehr, sehr wichtige Dinge, über die wir nur in Papas abhörsicherem Arbeitszimmer sprechen dürfen und nirgendwo sonst, mein Herz, sehr, sehr gefährliche Dinge, die du auf gar keinen Fall jemals ausplaudern darfst!"), so war Leia doch bei jeder scheinbar noch so harmlosen Erkundigung über ihre richtigen Eltern auf eine Mauer des Schweigens gestoßen, die nie überwunden oder durchbrochen werden sollte.
Natürlich hatte man sie vertröstet: Später, wenn Leia ein großes Mädchen war, wenn sie alt genug dafür war, wenn sie erwachsen war, dann würde sie alles erfahren, was sie wissen wollte, und noch viel, viel mehr. Und dann würde sie auch verstehen, warum sie es nicht schon viel früher hatte erfahren dürfen.
Aber bis dahin waren alle Nachforschungen über Leias wahre Eltern verpönt. Weder öffentlich noch im privaten Rahmen, weder vor flüchtigen Bekannten noch im engsten Freundeskreis durften jemals Fragen über den Verbleib dieser Eltern gestellt werden – und schon gar nicht über den Verbleib von Tante Neela. Heiß und innig geliebte Tante Neela, die immer in Leias Nähe gewesen war, nur um in der Nacht vor ihrem siebten Geburtstag so spurlos aus dem Sommerpalast von Imris zu verschwinden wie ein Gespenst beim ersten Glockenschlag nach der Geisterstunde … Unsichtbare Tante Neela, die auf keinem einzigen der unzähligen Familienholos erschien … Anonyme Tante Neela, die offenbar nur einen abgekürzten Vornamen und überhaupt keinen Nachnamen ihr Eigen nannte, so dass es völlig hoffnungslos war, in dem weit verzweigten Stammbaum der Organas oder in irgendeiner Datenbank nach einem greifbaren Beweis für ihre Existenz zu suchen …
Und so waren die Jahre auf Alderaan verstrichen, glückliche Jahre und weniger glückliche, aber irgendwie war Leia zumindest in den Augen von Bail und Solvejn nie groß oder alt genug geworden, um endlich über ihre Eltern oder über Tante Neela aufgeklärt zu werden. Und als Leia schließlich ihre Volljährigkeit erreicht hatte und damit immerhin ganz offiziell in den Kreis der Erwachsenen eingerückt war, war sie sofort in einem niemals zur Ruhe kommenden Strudel aus Arbeit und gesellschaftlichen Verpflichtungen versunken. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, ihre Senatorenkarriere in Schwung zu bringen, für die verschiedensten Wohltätigkeitsprojekte die Werbetrommel zu rühren und gleichzeitig für die Allianz Informationen, Unterstützung und Geld zu sammeln, dass sie wahrhaftig Wichtigeres im Kopf gehabt hatte als ihre Adoptiveltern an die Einlösung eines alten Versprechens zu erinnern.
Zumindest war es das, was Leia sich seinerzeit eingeredet hatte, aber die Wahrheit sah ein klein wenig anders aus, wie sie sich jetzt eingestehen musste. Denn sogar wenn sie damals die Muße gefunden hätte, die Organas noch einmal darauf anzusprechen, so hätte sie wahrscheinlich freiwillig darauf verzichtet, dieses heikle Thema erneut anzuschneiden. Und dafür hatte sie auch einen guten Grund – den besten Grund von allen.
Denn obwohl ein ganzes Heer aus Gouvernanten, Lehrern, Höflingen und Dienstboten alles getan hatte, um Leia in die typische Rolle der sorgfältig behüteten Tochter aus gutem Hause hineinzuzwingen, so hatten sie es doch nie fertig gebracht, die heranwachsende Prinzessin so gründlich gegen die etwas raueren Realitäten des Lebens abzuschirmen, wie sie es wohl gehofft hatten. Dafür waren in erster Linie die Organas selbst verantwortlich gewesen: Von ihren Adoptiveltern war Leia von Anfang an darauf vorbereitet worden, dass unter der Fuchtel des Imperiums nicht einmal der klangvollste Adelstitel ein Bollwerk war, das für immer und ewig Sicherheit und Geborgenheit verhieß. Insbesondere Bail hatte dafür gesorgt, dass seine Tochter neben ihren Tanzstunden auch eine solide Ausbildung in verschiedenen Selbstverteidigungspraktiken erhielt, dass jeder gemütliche Campingausflug in die Berge unweigerlich in ein Survivaltraining ausartete und dass die königliche Garde durch einen Scharfschützen bereichert wurde, der der erst Dreizehnjährigen den Umgang mit jeder handelsüblichen Schusswaffe beigebracht hatte. Und das war nur die Spitze des Eisbergs gewesen.
Ja, Leia war von klein auf dazu ermutigt worden, die Augen offen zu halten und wachsam über den Rand ihres schützenden Kokons hinauszuspähen. Und so war sie mit ihren achtzehn Jahren nicht nur wesentlich weltklüger gewesen, als man allgemein von ihr angenommen hatte, sondern hatte auch längst ihre eigene Theorie über die Verschwiegenheit der Organas entwickelt.
Es war doch so offensichtlich, wenn man die Sache einmal ganz nüchtern und objektiv betrachtete: Leias Herkunft war eindeutig von etwas Anrüchigem umwittert, von etwas Schmachvollem, von etwas, das so haarsträubend skandalös war, dass die Organas es lieber ganz und gar unter den Teppich kehrten, als mit ihr darüber zu sprechen.
Alles hing irgendwie mit Tante Neela (Mutter?) zusammen, die scheinbar so etwas wie das schwarze Schaf der Familie war – ein schwarzes Schaf, das so sehr in Ungnade gefallen war, dass man es schließlich sogar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion weggeschafft hatte, um es seither buchstäblich totzuschweigen. Aber Leia war natürlich immer viel zu diskret und zu rücksichtsvoll gewesen, um die Organas mit diesem dunklen Kapitel der Familienhistorie zu konfrontieren. Sie hatte ihre Adoptiveltern viel zu sehr geliebt, um ihnen wehzutun, was zwangsläufig der Fall gewesen wäre, wenn sie eine Auseinandersetzung erzwungen hätte, die für Bail und Solvejn nur peinlich und schmerzvoll hätte sein können. Ja, Leia hatte die Organas sehr geliebt – und so hatte sie sich damals damit zufrieden gegeben, dass es schlafende Hunde gab, die man besser nicht weckte.
Nur ganz, ganz selten – vielleicht in einem besinnlichen Augenblick nach der letzten hochwichtigen Komiteesitzung des Tages oder in einer schlaflosen Nacht vor ihrem nächsten Treffen mit ihrem Allianz-Kontaktmann – nur ganz selten also hatte Leia darüber nachgegrübelt, was Tante Neela (Mutter!) wohl angestellt haben mochte. Was konnte so schrecklich, verwerflich oder ehrenrührig sein, dass niemand darüber reden wollte, dass alle den Mantel des Vergessens darüber ausbreiten wollten?
Immerhin waren die übrigen Angehörigen des Organa-Clans auch nicht gerade rein und unschuldig wie die Schneeglöckchen, nicht wenn man sich die Klatschkolumnen der alderaanischen Zeitungen ansah: Angesäuselte Herzöge, die während feuchtfröhlichen Partys ihre Luxushotelsuiten kurz und klein schlugen und sich mit Securityleuten prügelten; von ihrem goldenen Käfig gelangweilte Gräfinnen, die mit glutäugigen Opernsängern oder athletisch gebauten Sportchampions und ähnlich dekorativen, aber unstandesgemäßen Liebhabern durchbrannten und für Aufsehen erregende Hochzeiten und Scheidungsprozesse sorgten; erzürnte Prinzen von Geblüt, die sich mitten in einem pompösen Staatsbegräbnis an die Kehle gingen und sich gegenseitig unter großem Geschrei der Erbschleicherei, der Fälschung von Testamenten und der Unterschlagung von Familienjuwelen bezichtigten; mondsüchtige Großfürstinnen, die nächtlicherweise splitterfasernackt über die Dachfirste ihrer Schlösser schlafwandelten – diese und ähnlich sensationelle Auftritte hatten immer wieder für pikante und detailreiche Artikel über die ziemlich schillernde Verwandtschaft des sehr viel nüchterner veranlagten Vizekönigs gesorgt.
Konnte vor diesem farbenfrohen und schlagzeilenträchtigen Hintergrund eine so banale Kleinigkeit wie zum Beispiel ein uneheliches Kind (oder die unehelichen Kinder) irgendeiner jungen Frau aus der Organa-Sippe wirklich so viel öffentliche Aufmerksamkeit oder sogar Empörung erregen, dass diese unter allen Umständen vermieden werden musste? Konnte dieses Kind (oder vielmehr dieses Zwillingspaar) tatsächlich zu einem solchen Schandfleck auf der Familienehre werden, dass man seine Herkunft mit einer Adoption tarnen und seine leiblichen Eltern unter allgemeinem Stillschweigen begraben musste? Kaum. Es sei denn…
Es sei denn, der VATER dieser Kinder wäre so kompromittierend, so absolut und vollkommen unmöglich, dass schon seine kleinste Verbindung mit dem Haus Organa unseren Ruf oder wenigstens unsere politische Glaubwürdigkeit für immer ruiniert hätte, dachte Leia. Wenn Vader wirklich mein … unser … also WENN er ES wirklich wäre … Papa hätte niemals zugelassen, dass das bekannt wird! Das hätte uns doch für alle Zeiten als überzeugte Palpatine-Anhänger gebrandmarkt. Keiner von unseren alten Freunden hätte uns jemals wieder über den Weg getraut. Die Allianz wäre nie dazu bereit gewesen, mit uns zusammenzuarbeiten. Alderaan wäre mit einem Schlag völlig isoliert gewesen und das nicht nur politisch … Was hast du nur getan, Mutter?!
Doch die zarte Elfenbeinminiatur von einem Gesicht, die nach all den Jahren immer noch durch Leias früheste Erinnerungen spukte, gab wie üblich nichts preis. Die traurigen dunklen Augen, die sich oft genug mitten in einem fröhlichen Spiel mit unbegreiflichen Tränen gefüllt hatten, boten keine Rechtfertigung für alte Vergehen, baten nicht um Verzeihung für jugendliche Fehltritte.
Aber vielleicht hatte die Frau, die Leia nur unter dem Kosenamen „Neela" kannte, es ja auch gar nicht nötig, sich zu rechtfertigen oder um Verzeihung zu bitten. Vielleicht hatte sie ja gar nichts getan – vielleicht hatte man ihr etwas getan! Denn letzten Endes war es schlicht und einfach unvorstellbar, dass ein so sanftes zärtliches Geschöpf wie Neela … MUTTER … sich freiwillig mit IHM eingelassen haben konnte, nicht wahr? Und war ER nicht zu allem fähig, wenn es darum ging, seine Ziele zu erreichen?
Dem Mann, der sich selbst Darth Vader nannte, war nichts an menschlicher Bösartigkeit fremd – das hatte Leia schließlich schon am eigenen Leib erlebt. Und genau deshalb wünschte sie sich für ihre nächste Begegnung mit diesem Zerrbild von einem Vater nur zwei Dinge: Den größten Blaster, den sie finden konnte, und ein freies Schussfeld!
Zerrbild von einem Vater? In dieser sinkenden Sekunde begriff Leia zu ihrem eigenen Entsetzen, dass das Undenkbare in dem verborgenen Garten ihrer Gedanken bereits Wurzeln geschlagen hatte wie ein schnell wachsendes Unkraut, dessen zähe Ranken alle anderen Pflanzen zu umschlingen und zu ersticken drohten. Auf irgendeiner Ebene hatte sie Vader schon in ihre Biografie integriert, obwohl sie ihn noch nicht anerkennen konnte und auch niemals anerkennen würde.
Und was bedeutete diese immerhin mögliche oder sogar wahrscheinlich Abstammung für sie? Nichts, absolut gar nichts? Oder doch eher alles, einfach alles? Bedeutete es vielleicht sogar, dass die Person, die sie ihr ganzes Leben lang zu sein geglaubt hatte, plötzlich nicht mehr existierte, niemals existiert hatte? Denn eines stand fest: Wenn Darth Vader tatsächlich ihr Vater war, dann war Leia Organa von Alderaan selber nur eine Illusion, ein Trugbild. So würden es jedenfalls all die anderen sehen, wenn sie es herausfanden.
Die anderen … Leia versuchte sich ihre Gesichter vorzustellen, die Gesichter all der Menschen, die immer zu ihr aufgesehen hatten, weil sie ihr leuchtendes Vorbild war, ihre makellose Heroine, ihr Idol: Die Prinzessin ohne Furcht und Tadel, so mutig, so edel, so selbstlos ...
Von Kindesbeinen an hatte Leia auf einem Sockel gestanden, immer in ein enges Korsett aus perfekten Manieren eingeschnürt, immer bemüht, die hohen Erwartungen, die an sie gestellt wurden, zu erfüllen. Und doch hatte sie erst nach Alderaans Zerstörung wirklich begriffen, welchen Stellenwert sie in den Augen vieler Leute einnahm.
Es war ein großer Unterschied, ob man nur eine ganz gewöhnliche Prinzessin auf alltäglicher Tuchfühlung mit alltäglichen Untertanen war oder ob man die letzte Hoffnung für die wenigen Überlebenden einer einzigartigen Katastrophe war. Es war ein großer Unterschied, ob man dank einem hoffnungslos überfüllten Terminkalender nur für eine knappe Dreiviertelstunde an der feierlichen Eröffnung einer neuen Schule teilnehmen konnte, wo man mit Chorgesängen begrüßt und von niedlichen kleinen Mädchen in steif gestärkten weißen Kleidern mit Blumensträußen und auswendig gelernten Gedichten geehrt wurde, oder ob man ebenso spontane wie herzzerreißende Begegnungen mit Flüchtlingen überstehen musste, wo man für endlose Stunden die eigenen Tränen zurückhalten und trösten und Mut zusprechen musste, während man von wildfremden schluchzenden Menschen so heftig umarmt wurde, als wäre man eines ihrer getöteten Kinder.
„Jetzt, wo wir wenigstens Sie zurückhaben, hat unser Leben wieder einen Sinn bekommen, Hoheit … Wir haben unsere Heimat verloren, aber wir werden immer dort zu Hause sein, wo Sie sind, Hoheit … Sie sind unsere Zukunft. Wir glauben an Sie, Hoheit …", hatten sie ihr wieder und wieder versichert, all diese armen entwurzelten Menschen, die es nur simplen Zufällen verdankten, dass sie an dem Tag, an dem ihre Welt untergegangen und ihr Volk ausgelöscht worden war, weit genug weg gewesen waren, um nicht zusammen mit ihren Familien in einem von imperialer Hand geschaffenen Kataklysmus umzukommen.
Wie viele von ihnen würden noch an mich glauben, wenn sie es wüssten? Keiner! dachte Leia bitter. Die Sünden der Väter fallen immer auf ihre Söhne zurück – oder auf ihre Töchter.
Aber vielleicht würde es ja nie so weit kommen …
Bis jetzt wissen nur wir vier darüber Bescheid: Luke, Han, Chewie und ich selbst. Sonst niemand. Und dabei wird es auch bleiben! schwor sich Leia, während sie sich energisch die Nase putzte. Niemand wird je davon erfahren. Niemand! Ich BIN Leia Organa von Alderaan, Tochter von Bail und Solvejn, und das werde ich auch immer sein, egal, wer mein Vater ist. Zum Teufel mit Vader!
Und plötzlich war es überstanden und sie war wieder ganz sie selbst.
Es war nur der Schock, beruhigte sie sich selbst. Kein Nervenzusammenbruch, keine Identitätskrise, einfach nur der Schock. Ich habe nur einen Moment für mich gebraucht, um … um irgendwie damit klarzukommen. Aber jetzt bin ich wieder in Ordnung. Es geht mir gut. Es. Geht. Mir. Gut!
Und was den Rest angeht … Sie biss die Zähne zusammen. Darüber denke ich später nach. Sehr viel später. Irgendwann wenn ich Zeit dafür habe. Und wenn ich keine Zeit dafür habe, wenn ich in meinem ganzen Leben nie wieder auch nur fünf Minuten Zeit dafür habe, umso besser.
Sie hob den Kopf, ihre Schultern strafften sich, und kein verweintes Gesicht hatte je kämpferischer ausgesehen als ihres. Han und Brix / Blix (der übrigens mit dem beinahe unaussprechlichen oder jedenfalls schwer zu erfassenden Namen Bryllykzzyngyr geschlagen war) sahen es mit Erleichterung.
„Wir müssen uns langsam wieder auf die Socken machen, Süße, sonst fängt die Party noch ohne uns an", mahnte Han.
Leia stand sofort auf. „Ja. Lass uns gehen. Jetzt gleich."
„Äh … Ma'am? Wenn schon von Socken die Rede ist …" Brix / Blix starrte bedeutungsvoll auf den Boden.
Leia folgte seiner Blickrichtung und entdeckte mit mildem Erstaunen, dass ihre Füße zwar fachmännisch verpflastert, aber ansonsten nackt waren, denn diese grässlichen Tramp & Camp-Knobelbecher standen immer noch einsam und verwaist zwischen zwei Grasbüscheln, gekrönt von lieblos hineingestopften Strümpfen, die so trübselig von den Stiefelschäften herunterhingen wie auf Halbmast gesetzte Fahnen bei einer Trauerfeier.
„Oh!"
Sie setzte sich hastig wieder hin, um ihre bedauernswerten Füße erneut in das unbequemste Schuhwerk hineinzuzwängen, das ihnen jemals zugemutet worden war. (Natürlich abgesehen von den todschicken, aber mörderisch engen und hochhackigen Pumps, die Leias Debütantenball zu einem wahrhaft unvergesslichen Erlebnis gemacht hatten.) Doch immerhin hielten wenigstens die schmerzlindernden Synthhautpflaster, was ihre Hersteller versprochen hatten, wie Leia feststellte, als sie ein paar vorsichtige Probeschritte wagte.
„Alles in Ordnung", sagte sie leichthin, als sie Hans prüfenden Blick bemerkte.
Han zog nur eine skeptische Augenbraue hoch.
„Es geht mir gut. Siehst du nicht, wie gut es mir geht?" sagte Leia schroff. (Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war Han, der um sie herumtanzte wie ein übereifriges Kindermädchen.)
„Also wenn ich ehrlich sein soll …" Han zauderte.
„Ich fühle mich einfach fabelhaft", behauptete Leia, was mehr als nur eine kleine Übertreibung war. „Und ich laufe wie … wie auf Wolken."
Doch Han war nicht überzeugt. Er beugte sich zu ihr vor und wisperte ihr zu: „Wir können uns jetzt keinen Fehler leisten, Süße, nicht den allerkleinsten. Glaubst du wirklich, dass du das durchhältst? Oder willst du vielleicht lieber zurückgehen? Du könntest mit einem der Ewoks…"
„Natürlich halte ich durch. Was soll das? Ich halte immer alles durch, oder?"
„Schon, aber …" Was auch immer Han noch von sich geben wollte, es verdorrte unter ihrem flammenden Blick und zerfiel zu Staub.
Leia schäumte innerlich. So war das also: Ein paar Tränen und schon wurde man zum hysterischen Nervenbündel degradiert, das einen unkalkulierbaren Risikofaktor darstellte. Männer!
„Das ist nicht fair, Han."
„Nur keine Aufregung, ich habe es schließlich nur gut gemeint. Also schön, wenn du darauf bestehst, wenn du wirklich glaubst, dass du …"
„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es!" schnappte Leia.
Han kapitulierte, was hauptsächlich daran lag, dass Chewie gerade mit einer Miene näher rückte, die finster genug war, um die nächste handgreifliche Wookie-Intervention anzukündigen. „Ist ja gut", sagte er verdrossen. Und sehr viel leiser: „Dass dieser wandelnde Bettvorleger sich aber auch immer und überall einmischen muss!"
Leias Empörung versickerte so schnell, dass sie beinahe gelächelt hätte – hätte nicht Galens frostiger Blick ihr Lächeln im Keimstadium erfrieren lassen …
Sie hätte unmöglich sagen können, wie lange der Major schon direkt hinter Han stand, wie viel er von ihrem Wortwechsel mitbekommen oder was er sonst noch gesehen und gehört hatte. Aber sie hätte ihre Hand dafür ins Feuer legen können, dass Galen alles missverstanden hatte, was nur misszuverstehen war. Da war etwas in seinen Augen … etwas Undefinierbares, das Leia weder mit Logik nachvollziehen noch nachfühlen konnte. Sie wusste es noch nicht, aber es war der erste Schatten eines Verdachtes, der nur allzu bald eine Sturmflut aus Beschuldigungen und Verleumdungen nach sich ziehen und damit eine Lawine aus Hass und Gewalt lostreten sollte, die nicht nur Leia in ihren Grundfesten erschüttern würde …
Sie wusste es noch nicht, aber eines wusste sie hier und jetzt ganz genau: Sie fand die Art und Weise, wie Galen sie musterte, nicht direkt impertinent, aber irgendwie … unangemessen. Sehr unangemessen.
„Was ist?!" fragte sie irritiert.
„Nichts, Ma'am", sagte der Mann steif.
„Dann ist es ja gut", erwiderte Leia in einem Tonfall, der erkennen ließ, dass gar nichts gut war. Sie wandte sich an die übrigen Männer, die inzwischen aufgestanden waren und ihre Rucksäcke geschultert hatten – Männer, in deren Augen sie immer noch das Vertrauen und die Zuneigung lesen konnte, die sie mit jeder Faser ihres Seins verdient hatte. „Gehen wir", sagte sie kurz.
Wenige Minuten später war die kleine Lichtung in dem hohen Farnkraut, die dem Stoßtrupp der Allianz als Unterschlupf gedient hatte, wieder menschenleer. Eine Purpurammer, die in der ungewohnten Geräuschkulisse der fremdartigen Zweibeiner vorübergehend verstummt war, nahm ihr unterbrochenes Lied wieder auf und sang mit sorgloser Süße in den goldflirrenden duftenden Sommertag hinein …
*
Fortsetzung folgt ...
© 2008 by Nangijala
