Liebe Leser,
sorry, dass das neue Update wieder mal eine kleine Ewigkeit auf sich hat warten lassen. Doch manchmal kommt es eben vor, dass ich zwar durchaus willig bin, meine Muße aber lieber in einer Art Dornröschenschlaf versinkt. Zum Glück nicht gleich für 100 Jahre …
Aber hier ist die Fortsetzung nun endlich. Und es gibt auch ein kleines Trostpflaster für alle, die jetzt schon ungeduldig mit den Hufen scharren: YES! It's Luke and Vader again!
Viel Spaß und ein (hoffentlich) baldiges Wiedersehen!
XII.
Der grauschwarze Metallboden unter seinen Füßen war so blank, dass Luke Skywalker sein stark verwischtes Spiegelbild darin sehen konnte. Er starrte auf die verschwommene Reflexion hinunter, unwillkürlich betroffen von der leuchtenden Blässe seines Gesichtes, das sich geisterhaft von der noch vageren schwarzen Form darunter abhob. Nur mit Mühe löste er seinen Blick von diesem beunruhigend substanzlosen Schattenzwilling und sah sich in der grell beleuchteten hallenden Kaverne des riesigen Hangars um.
Aber auch hier fanden seine müßig umherwandernden Augen nichts, was nicht vor Sauberkeit geblitzt und geblinkt hätte. Die Dockbucht der Executor präsentierte sich in einem Zustand steriler Makellosigkeit, die man an Bord eines Rebellenkreuzers höchstens im OP-Bereich des Lazarettes vorgefunden hätte. Nirgendwo ein Schmierölfleck oder ein verstreutes Sammelsurium von Ersatzteilen, nicht einmal eine vergessene Werkzeugtasche oder ein liegen gebliebener Tankschlauch. Alles schrie förmlich nach imperialer Gründlichkeit und Effizienz. Luke fand so viel Perfektion eher deprimierend als beeindruckend.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem zackigen kleinen Admiral zu, der immer noch in stocksteifer Habtachtstellung vor seinem Vater stand und einen schier endlosen Rapport herunterspulte. Es sah ganz so aus, als müsste Vader über jedes einzelne Vorkommnis in jeder einzelnen Minute seiner Abwesenheit von seinem Flaggschiff genauestens informiert werden, mochte es auch noch so trivial sein.
Und jemand mit so messerscharfen Bügelfalten ist bestimmt in seinem Element, wenn es um Genauigkeit geht, dachteLuke, als er die Uniformjacke des Admirals einer näheren Betrachtung unterzog.
Ja, jemand wie dieser Admiral war zweifellosder geeignete Kandidat, wenn ein Schiff von der Größe der Executor kommandiert, beaufsichtigt, verwaltet und betreut werden musste. Er war sichtlich ein Mann, der mit einer Hand eine riesige Besatzung dirigieren und mit der anderen stapelweise Formulare ausfüllen konnte, ohne dabei jemals den Überblick oder den Kopf zu verlieren. Um seinen Hals schien ein unsichtbares Schild mit der Aufschrift „UNBEDINGT ZUVERLÄSSIG!" zu hängen. Er wirkte kompetent und selbstsicher. Aber war er tatsächlich selbstsicher genug, um einen Sithlord im Chefsessel zu verkraften?
Genau in diesem Moment schweifte der schwerlidrige Blick des Admirals von seinem anspruchsvollen Vorgesetzten ab und streifte Luke mit der behutsamen Neugier einer Katze, die zum ersten Mal mit einem unberechenbaren Fremden auf Tuchfühlung ging.
„Soll ich den Gefangenen abführen lassen, Mylord?"
Für einen Außenstehenden mochte diese Frage genauso kühl und geschäftsmäßig klingen wie der endlich vollendete Statusbericht, aber Luke hätte jeden Eid darauf schwören können, dass der Imperiale nur eine Show abzog. Der Admiral wusste längst, dass dieser junge Mann neben Lord Vader kein Durchschnittsgefangener auf dem Weg in die nächst beste Arrestzelle war. Aber wusste er auch, wer Lord Vaders Begleiter war?
Offenbar nicht, denn im nächsten Augenblick zog Vader in aller Ruhe einen Schlussstrich unter ziemlich viele Kapitel seines Lebens und legte die Karten ganz ungeniert offen auf den Tisch.
„Ich glaube, darauf können wir verzichten. Darf ich vorstellen? Admiral Piett – Luke Skywalker ... mein Sohn!"
Es sprach für Pietts Qualität, dass er seine Züge sogar jetzt vollkommen in der Gewalt behielt. Nichts in seinem beherrschten Gesicht verriet auch nur die geringste Überraschung, während die anderen Offiziere des kleinen Empfangskomitees nach Luft schnappten wie Fische auf dem Trockenen. Es war aber auch eine unerhörte Sensation: Lord Vader hatte einen Sohn! Und sein Sprössling war niemand anderer als die unbestrittene Nummer Eins auf der imperialen Fahndungsliste – der Todessternkiller höchstpersönlich. Es war unglaublich!
Und es war peinlich, weil niemand genau wusste, welche Reaktion jetzt von ihm erwartet wurde. Sollte man nun gute Miene zum bösen Spiel machen oder sich sein Befremden anmerken lassen oder sicherheitshalber einfach nur Gleichgültigkeit heucheln? Natürlich hing alles von Lord Vaders eigener Meinung über seinen Filius ab, aber die war für alle Anwesenden vorläufig noch ein Buch mit sieben Siegeln.
War der Chef stolz auf seinen gelungenen Ableger, der sich bei der Allianz immerhin seine Sporen verdient und nicht nur dort den Glorienschein militärischen Ruhms erobert hatte? Oder schämte er sich für sein missratenes Balg, das so hoffnungslos vom rechten Weg abgeirrt war? Wollte er als Erzeuger von so viel fehlgeleiteter Verwegenheit beglückwünscht oder bedauert werden? Oder wollte er einfach nur sachdienliche Informationen wie zum Beispiel eine Statistik über die Erfolgsquote der Umerziehungslager für High-Society-Rebellen oder am besten gleich für die Resozialisierung krimineller Jugendlicher? Woher sollte man eigentlich wissen, was Lord Vader überhaupt wollte?! Ach ja, es war schon ein starkes Stück, was einem hier so alles zugemutet wurde … und das auch noch ohne jede Vorwarnung!
Die meisten waren bereits davon überzeugt, dass Lord Vader besser daran getan hätte, das fragwürdige Resultat seiner Vaterfreuden in einem diskreten Memo vorzustellen, statt ihnen den subversiven Junior einfach so um die Ohren zu knallen. Doch die kollektive Verwirrung war trotzdem groß und die daraus resultierende Unruhe noch größer. Hätte jetzt ein Med-Tech mit einem Blutdruckmessgerät die Runde gemacht, er hätte bei der ganzen Versammlung einen alarmierend steilen Anstieg der Pulsfrequenz registriert.
Luke brauchte kein Blutdruckmessgerät oder ähnliche technische Hilfsmittel – er konnte die allgemeine Bestürzung und Unsicherheit beinahe riechen. Und auch sein Vater hatte den stummen emotionalen Aufruhr ringsum sofort bemerkt, denn Vaders Aura strömte jetzt eindeutig eine dunkle Belustigung aus, die ihren Ursprung einem ziemlich finsteren Sinn für Humor verdankte. Es bestand jedenfalls kein Zweifel daran, dass er das Dilemma seiner Untergebenen von ganzem Herzen genoss.
„Wenn das so ist: Willkommen zu Hause, Mylord", sagte Piett der Unerschütterliche gelassen.
Die Begrüßung kam so prompt, so schnell und glatt, dass es einen Augenblick dauerte, bis Luke begriff, dass der Admiral tatsächlich ihn angesprochen hatte und nicht Vader. Und dieses Mal war die Verwirrung auf seiner Seite. Wie antwortete ein Rebell und Jedi-Anwärter, wenn er von einem hochrangigen imperialen Offizier in aller Form begrüßt und dabei auch noch mit einem gänzlich unverdienten Titel angesprochen wurde? Sollte er sich für Pietts Höflichkeitsfloskel bedanken oder sich einfach nur in ein viel sagendes Schweigen hüllen?
Wie so oft wünschte sich Luke auch jetzt wieder, er hätte Leias Begabung in diesen Dingen. Seine Schwester tanzte auf dem gefährlich rutschigen Parkett gesellschaftlicher Umgangsformen mit der selbstverständlichen Anmut einer Ballerina. Sie wusste jederzeit haargenau, wie sie sich zu benehmen hatte. Sogar wenn sie Han die Flügel stutzte oder an irgendeine andere verdiente Adresse handfeste Beleidigungen austeilte, tat sie es immer mit einer Grandezza, die unbestreitbar die harte glänzende Lackschicht einer erstklassigen Kinderstube aufwies. Luke beneidete sie ein klein wenig darum.
„Ich … äh …" Er verstummte verlegen und war beinahe froh, als sich Vaders Hand wie eine Stahlklammer um seinen Ellbogen schloss. Beinahe froh!
„Ich glaube, wir können auch darauf verzichten. Sie haben Ihre Anweisungen, Piett. Komm, Junge!"
Und damit wurde Luke nun doch noch abgeführt. Als Vader ihn quer durch einen Pulk von mehr oder weniger konsternierten Imperialen lotste und ihn aus dem Hangar hinausmanövrierte wie ein erfahrener Testpilot ein widerspenstiges neues Schiff, schoss Luke der Gedanke durch den Kopf, wie paradox der Anblick sein musste, den sie den Zurückbleibenden boten, was für ein tragisches und zugleich unweigerlich komisches Paar sie in ihren Augen abgeben mussten: Vater und Sohn, voneinander so verschieden wie nur irgend möglich und trotz aller persönlichen und politischen Querelen nach einer halben Ewigkeit und unvorstellbaren Schicksalsschlägen endlich vereint. Wenn auch keineswegs Arm in Arm – immerhin trug Luke nach wie vor Handschellen und wurde gerade auf und davon geschleift wie ein ungezogenes Gör.
„Nicht so schnell!" protestierte er, als Vader ihn im Sturmschritt, aber zielsicher durch ein wahres Labyrinth aus dicht bevölkerten Schiffskorridoren navigierte.
„Ich kann es eben kaum noch erwarten, mit meinem eigenen Fleisch und Blut endlich wieder unter vier Augen zu sein, damit wir uns in trauter Zweisamkeit weiter zanken können", klang es trocken zurück.
„Witzig. Wirklich witzig", murmelte Luke in einem unbewussten Echo seiner Schwester.
„Kannst du nicht einmal für fünf Minuten Ruhe geben?!" Vader bugsierte seinen Sohn unsanft in einen sich öffnenden Turbolift hinein und stellte mit Missvergnügen fest, dass der Aufzug bereits besetzt war.
„RAUS!" schnappte er. (Ihm stand jetzt wirklich nicht der Sinn nach noch mehr überflüssiger Gesellschaft!)
Die beiden eingeschüchterten Techniker, denen diese schroffe Aufforderung galt, sprangen sofort aus dem Lift hinaus, als wäre Feuer darin ausgebrochen.
„Ich wette, jedes einzelne Mitglied deiner Crew würde jederzeit seinen rechten Arm für dich hergeben", sagte Luke sarkastisch, als der Lift sich in Bewegung setzte.
„Nur seinen rechten Arm? Das will ich doch nicht hoffen."
„Du bist wirklich unmöglich!"
„Das hast du dann wohl von mir", konterte Vader.
Luke brütete immer noch über einer angemessen bissigen Replik, als der Lift auch schon wieder anhielt und er in den ersten menschenleeren Bereich hinausgeschoben wurde, den er seit seiner Ankunft auf der Executor zu Gesicht bekam.
„Wo bringst du mich eigentlich hin?"
„Wart's einfach ab."
Vader blieb vor einer Wand stehen, die ihren Weg abrupt in eine Sackgasse verwandelt hatte, und hob gebieterisch die rechte Hand. Gleich darauf zeichneten sich in der Wand die haarfeinen Umrisslinien einer bis dahin unsichtbaren Tür ab.
„Netter kleiner Zaubertrick", sagte Luke, als die Tür lautlos aufglitt.
„Tatsächlich reagiert die Tür einfach nur auf den Resonator in meinem Handschuh."
„Soll das heißen, dass ohne dieses Ding niemand hier rein oder rauskommt?"
„Nein, was für einen cleveren Sohn ich doch habe! Jetzt geh schon rein", fügte Vader ein wenig milder hinzu.
Luke trat nur widerstrebend durch die geheimnisvolle Tür, die ihn allzu sehr an den Zugang zu einer Luftschleuse erinnerte, denn jenseits der unergründlichen Dunkelheit, die ihn plötzlich umgab, konnte er nichts anderes erkennen als das kalte gleichgültige Glitzern von zahllosen Sternen.
„Was ist das hier? Wo sind wir?"
„Um es mit Pietts unsterblichen Worten zu sagen: Willkommen zu Hause!" erwiderte Vader. „Aber sieh es dir selbst an. Licht!"
Doch sein kryptisches Kommando erweckte nur eine einzelne Leuchtspirale zum Leben, die weniger Licht als ein angenehm dämmriges Halbdunkel verbreitete. Im Hintergrund war eine mehrteilige Sitzlandschaft eher zu erahnen als wirklich zu sehen. Und genau im Zentrum des hohen weiten Raumes, in dem sie sich nun befanden, schien eine riesige schwarze Kugel schwerelos über dem Boden zu schweben.
Luke achtete zunächst nicht weiter darauf – das gigantische Panoramafenster, das die gesamte Rückwand vom Boden bis zur Decke einnahm, bot vorläufig die größere Attraktion. Magisch angezogen schritt er darauf zu und genoss den fantastischen Ausblick, der sich seinen staunenden Augen bot. Nicht einmal auf einem der Calamari-Kreuzer, die für ihre eindrucksvollen Observationsdecks berühmt waren, hatte er je etwas Vergleichbares gesehen.
„Wie ich sehe, bist du für eine Weile beschäftigt. Genieß die schöne Aussicht ruhig, ich bin gleich wieder da. Und Luke … fass nichts an, ja?"
Luke riss sich nur mit Mühe von dem faszinierenden Anblick los. „Was?!" sagte er gereizt, aber er bekam keine Antwort. Sein Vater war spurlos verschwunden.
Luke sah sich um, konnte aber weder einen Hinweis auf Vaders Verbleib noch sonst viel Bemerkenswertes erkennen.
„Fass nichts an – von wegen!" murmelte er vor sich hin. „Hier gibt es doch gar nichts, was ich anfassen könnte, oder?"
Diese Feststellung war natürlich ein klein wenig übertrieben, aber sehr viel Mobiliar oder andere Dinge, die zu einer eingehenden Untersuchung einluden, gab es hier tatsächlich nicht. Luke beäugte wehmütig die Sitzgruppe, widerstand jedoch entschlossen der Versuchung, sich auf der voluminösen Couch oder auf einem der kaum weniger voluminösen Sessel, die alle ausgesprochen behaglich wirkten, niederzulassen und seine Beine ein wenig hochzulegen. Sogar die legendäre Ausdauer eines Jedis hatte irgendwo ihre Grenzen, aber er hätte es sich niemals verziehen, wenn er dieser prekären Situation womöglich einfach eingeschlafen wäre wie ein übermüdetes Kind.
Um diesem Risiko vorzubeugen, machte er sich lieber daran die rätselhafte Kugel zu inspizieren, deren Sinn und Zweck er nicht deuten konnte. Moderne Kunst vielleicht? Luke umkreiste das seltsame Artefakt zweimal, ohne zu einer Erleuchtung zu kommen, aber bei seiner dritten Runde entdeckte er etwas, das nach einem im Boden versenkten Kontrollpult aussah. Ob er nicht doch wenigstens einen ganz kurzen Blick ...?
„Denk nicht mal daran!"
Die tiefe Stimme klang nicht mehr ganz so sonor und volltönend wie sonst, verfügte aber immer noch über ihren gewohnten Kommandoton. Luke drehte sich auf dem Absatz um … und erstarrte.
„Enttäuscht?" sagte Vader ruhig.
„Ja … Nein! Auf keinen Fall! Es kommt nur so … plötzlich. Ich … bin ein bisschen überrascht, das ist alles", stammelte Luke.
Tatsächlich war er wesentlich mehr als nur überrascht, er war schlicht und einfach überwältigt. Und dazu hatte er auch allen Grund ...
In seinen Jahren bei der Allianz hatte Luke die verschiedensten Vermutungen darüber zu hören bekommen, was sich wohl hinter der prominentesten und zugleich verhasstesten Maske der Galaxis verbergen mochte. Wer oder was Darth Vader „in Wirklichkeit" war beziehungsweise was genau der Grund für seine reichlich melodramatische Verpackung war, hatte immer wieder ein hochinteressantes Thema abgegeben, das in den zweckmäßig-eleganten Lounges, in denen Mon Mothma mit Vorliebe ihre Konferenzen abhielt, für mindestens genauso viele hitzige Diskussionen gesorgt hatte wie an den verschrammten Tischen in den schäbigen Mannschaftsmessen.
Die wildesten Theorien waren über Vaders „wahre" Identität aufgestellt worden und es muss an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt werden, dass die klugen und kultivierten Köpfe des Oberkommandos der eher schlicht gestrickten, aber dafür blühenden Phantasie des einfachen Fußvolkes in nichts nachstanden, wenn es darum ging, eine abstruse Hypothese nach der anderen auszubrüten.
Man hatte Luke schon weiszumachen versucht, dass Vader angeblich der Sohn des Imperators war oder der Imperator selbst in Verkleidung oder vielleicht sogar ein Klon, der das alte Scheusal möglichst unauffällig ersetzen sollte, falls Palpatine irgendwann doch noch ganz von selbst das Zeitliche segnete.
Falls Vader aber zufällig doch so etwas wie eine eigenständige Person war, dann war er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein von Minderwertigkeitskomplexen geplagter Zwerg, der seine Autorität unbedingt als künstlicher Riese geltend machen musste, weil er sich nur in dieser Aufmachung Respekt verschaffen konnte. Vielleicht kam Vader aber auch von einer Welt mit einer extrem niedrigen Gravitation, so dass sein Skelett der Beanspruchung durch die normale Schwerkraft nicht gewachsen war und durch eine Art Ganzkörperkorsett gestützt werden musste. Oder er war einfach nur ein ganz normaler Mann (falls man Vader überhaupt als normal bezeichnen konnte!), der an einer unbekannten unheilbaren Seuche litt, die eine galaxisweite Pandemie auslösen konnte, weshalb er für immer und ewig unter strikter Quarantäne gehalten werden musste.
Vielleicht gehörte er aber auch einer humanoiden Insektenspezies an oder war sogar ein Alien aus einem Paralleluniversum, möglicherweise auch eine Kreuzung aus beidem. Auf jeden Fall atmete er Methan oder Tibannagas oder irgendein noch exotischeres Luftgemisch, weshalb jeder Kontakt mit Sauerstoff seinen sicheren Tod bedeutet hätte, daher die Maske und der ganze Rest.
Dann gab es natürlich auch noch die streng wissenschaftlich veranlagte Fraktion, die energisch dafür plädierte, dass Vader überhaupt kein Lebewesen war. Er war offensichtlich ein Cyborg, eine ganz neue Art von Droide, eine unglaublich komplexe und raffinierte Maschine, die dank ihrer hohen künstlichen Intelligenz völlig selbstständig agieren konnte – es sei denn, dass sie von irgendeinem Imperialen, der nur scheinbar zufällig in der Nähe herumlungerte, ferngesteuert wurde.
Diese technikgläubigen Zeitgenossen ernteten für gewöhnlich nur höhnisches Gelächter, wenn andere, noch radikalere Skeptiker anwesend waren, die ihrerseits felsenfest davon überzeugt waren, dass Vader gar nicht existierte. Ja, ja, Vader war einfach nur ein Phantom, das in Palpatines Auftrag vom imperialen Geheimdienst ersonnen worden war und jetzt regelmäßig von irgendeinem Schauspieler oder einer ähnlich jämmerlichen Figur öffentlich in Szene gesetzt wurde, um die Galaxis das Fürchten zu lehren. Er war nicht mehr als das klassische Schreckgespenst aus einem drittklassigen Horrorholo von der nicht jugendfreien Sorte. Also wirklich! War etwa irgendjemand aus dieser Runde von Warmduschern diesem Fabelwesen überhaupt schon einmal persönlich begegnet? Hatte irgendeines der hier anwesenden Muttersöhnchen dem ultimativen bösen schwarzen Mann schon einmal Auge in Auge gegenüberstanden? Nein? Na also! Und genau das war DER Beweis! Es gab gar keinen Vader, es hatte nie einen Vader gegeben und es würde auch nie einen geben! (Luke war übrigens auch der Meinung, dass keiner von diesen Besserwissern Vader jemals Auge in Auge gegenübergestanden hatte, behielt diese Schlussfolgerung aber aus Gründen der Diskretion für sich – vor allem seit Bespin.)
Doch die absolute Krönung all dieser Mutmaßungen hatte sich Luke erst kürzlich von einer stark religiös angehauchten Seele anhören müssen, die über die beinahe schon ketzerische Verblendung ringsum nur milde den Kopf geschüttelt hatte, um schließlich im Flüsterton, aber mit großem Ernst darauf zu beharren, dass Vader nichts anderes war als ein waschechter Dämon aus den tiefsten Abgründen der Hölle, von Palpatine unter blutrünstigen Ritualen heraufbeschworen, um totale Verdammnis über die zweifellos kurz vor der Apokalypse stehende Zivilisation zu bringen.
Und deshalb konnte man diese Ausgeburt des Bösen natürlich auch nicht mit so primitiven weltlichen Waffen wie einem ganz normalen Blaster töten, dafür brauchte man dann schon mindestens ein geweihtes Messer aus purem Gold plus einen Unschuldigen, dessen grundsätzlich reines Wesen durch viele Gebete, möglichst schmerzhafte Bußübungen und gründliche rituelle Waschungen zusätzlich geläutert werden musste, auf dass er ausreichend gewappnet war, wenn er gegen diesen Sendboten der Unterwelt in den Kampf zog. (Übrigens hatte Luke den leicht angejahrten Mechaniker, der ihn mit diesen ausgesprochen aufschlussreichen Auskünften verblüfft hatte, gleich anschließend mit viel Geduld und sanftem Nachdruck dazu überredet, unter seiner Aufsicht das Lazarett aufzusuchen, wo eine durch akute Erschöpfung und Aufputschmittel ausgelöste Psychose diagnostiziert worden war. Inzwischen hatte der Mann seinen Entzug durchgestanden und befand sich laut Auskunft des zuständigen Arztes bereits auf dem Weg der Besserung.)
Die widersprüchlichen Ansichten und Einsichten, die all diesen abenteuerlichen Behauptungen zugrunde lagen, hatten Luke im Lauf der Zeit also mit einer Menge Stoff zum Nachdenken versorgt – vor allem seit Bespin. Aber nichts davon hatte ihn auf das vorbereitet, was jetzt vor ihm stand: Vader demaskiert – buchstäblich demaskiert! Vader im Naturzustand! Naturzustand?!
Luke rief sich die sparsamen Informationsschnipsel ins Gedächtnis zurück, die Ben ihm anlässlich ihrer Konfrontation auf Dagobah nur widerwillig überlassen hatte. Von einem Duell war da die Rede gewesen, von einem Duell mit verheerenden Folgen. Folgen, von denen Luke hier und jetzt aber nicht einmal Spuren entdecken konnte. Der Mann, der vor ihm stand, schien nicht nur völlig unversehrt zu sein, nein, er war auf seine ureigene Art und Weise … vollkommen.
Könnte ein Sandlöwe menschliche Gestalt annehmen, er würde genau so aussehen, genau so! dachte Luke hingerissen.
Er hätte selbst nicht erklären können, was diese Assoziation in ihm hervorrief. War es die üppige lohfarbene Mähne, die das gebieterische Gesicht zusammen mit einem kurzen Vollbart nahtlos einrahmte? Oder war es dieses Gesicht selbst, das mit seiner breiten Stirn, seinen aristokratischen Backenknochen und dem herrischen Mund unter der langen geraden Nase dieseunverwechselbare Mischung aus Arroganz und Selbstsicherheit ausstrahlte, die man nur mit dem königlichsten aller Raubtiere in Verbindung bringen konnte?
Luke war wie gebannt von Vaders Augen, weit auseinander stehenden klaren blauen Augen, die seinen eigenen in Farbe und Form durchaus glichen, sich aber im Ausdruck völlig von ihnen unterschieden; Augen, die seinen Blick jetzt kühl abschätzend erwiderten.
Seine Gedanken schlugen Purzelbäume, aber alles, was er herausbrachte, war: „Warum?"
In den vertrauten und doch so fremden Augen blitzte es auf. "Warum was?" fragte Vader herausfordernd zurück.
Luke dachte an die groteske totenkopfartige schwarze Larve, die dieses bemerkenswerte Gesicht vor den Augen der Welt verbarg, ihm jede Menschlichkeit nahm. „Warum diese absurde Maskerade? Warum versteckst du dich hinter diesem … Ding?"
Wieder dieses kurze Wetterleuchten in den tiefblauen Augen, eine eindeutige Sturmwarnung. Aber dieses Mal blieb der Sturm aus. Vader wandte sich ab und für einen Augenblick, in dem Schweigen zwischen ihnen hing wie ein eiserner Vorhang, sah es beinahe so aus, als würde er erneut hinausgehen, um nie wieder zurückzukehren. Doch stattdessen sagte er einfach nur: „Es war nicht immer eine Maskerade."
Und da schwang eine mit Müdigkeit gepaarte Bitterkeit in seinem Tonfall mit, die ganz unerwartet eine Saite in Luke anschlug, eine Saite, die bisher völlig unberührt geblieben war, wann immer er über seinen Vater nachgegrübelt hatte: Mitleid.
Er erinnerte sich daran, mit welcher Heftigkeit Vader seinen Vorschlag (und damit den einzigen Ausweg, das einzige Schlupfloch, das ihnen beiden noch offen stand) abgelehnt hatte, mit welcher Leidenschaftlichkeit sein Vater sich geweigert hatte, das Imperium einfach sich selbst zu überlassen. Was hatte er Luke auf Endor entgegengeschleudert? „Ich habe dafür mehr geopfert und mehr gelitten, als du dir überhaupt vorstellen kannst, Junge!"
Und plötzlich wurde Luke klar, dass er tatsächlich nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was Vader für das Imperium geopfert und gelitten hatte. Er hatte keine Ahnung, was für eine Art von Leben dieser Mann geführt hatte und noch führte, welche Erfahrungen ihn geformt und geprägt hatten, was ihn auf seinen Weg gebracht hatte und ihn jetzt dort hielt. Er kannte die Geschichten und Geschicke wildfremder Menschen besser als die seines eigenen Vaters – vom Rest der Familie ganz zu schweigen.
„Ich weiß nichts von dir, gar nichts."
„Dann wird es Zeit, dass wir das ändern. Übrigens: Wie wäre es mit einem Frühstück?"
„Frühstück? JETZT?!"
Um Vaders Mundwinkel erschien ein ironischer Zug, der schon beinahe ein Lächeln war, nicht ganz, aber immerhin.
„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Um diese Tageszeit frühstückt man doch für gewöhnlich, oder nicht? Aber wenn es dir den Appetit verschlagen hat oder wenn du es in Anbetracht der Umstände einfach für pietätlos hältst, dich ausgerechnet heute zum allerersten Mal mit mir an einen Tisch zu setzen, dann können wir unsere Unterhaltung natürlich auch so fortsetzen, nüchtern wie ein Bischofskonklave.
Ich persönlich glaube allerdings nicht, dass ein Fastentag von Luke Skywalker die Überlebenschancen der Allianz wesentlich erhöht. Und ich bin ganz sicher, dass ein Fastentag von mir die Überlebenschancen der Allianz ganz entscheidend verringert. Außerdem habe ich irgendwie den Eindruck, dass dir ein kleiner Imbiss ganz gut tun würde."
Noch bevor Luke sich danach erkundigen konnte, wie Vader zu diesem Eindruck kam, gab sein Magen ein leises, aber durchdringendes Gurgeln von sich. Denn sogar Jedis mussten ab und zu etwas zu sich nehmen und Lukes letzte Mahlzeit lag nicht nur schon Stunden zurück, sondern war darüber hinaus nicht gerade befriedigend gewesen. Seine zunehmend vegetarische Lebensweise ging mit der Standardverpflegung der Ewoks, die zu neunzig Prozent aus tierischen Proteinen bestand, nicht unbedingt konform – zumal ihm niemand garantieren konnte, dass besagte Proteine tatsächlich nur tierischen Ursprungs waren! (Der ernsthafte Versuch der Ewoks, Han Solo in einen Festtagsbraten zu verwandeln, hatte Lukes ohnehin nur mäßig entwickelte Begeisterung für exotische kulinarische Experimente noch mehr abgekühlt.)
„Ich könnte wirklich eine Kleinigkeit vertragen", gestand er. „Obwohl ich ganz sicher bin, dass es sehr pietätlos ist, in so einem Augenblick ans Essen zu denken."
Jetzt lächelte Vader wirklich. Aber alles, was er sagte, war: „Na, dann komm."
Und Luke kam …
*
Fortsetzung folgt ...
© 2009 by Nangijala
