XIV.

„Das frage ich mich auch und zwar seit über zwanzig Jahren: Wo treibt sie sich herum, diese Frau – und mit wem? Aber auch wenn sie mir tatsächlich weggelaufen ist: Wer sagt denn hier, dass das allein meine Schuld war?" trumpfte Vader auf.

Luke verdrehte andeutungsweise die Augen, um die Überflüssigkeit (oder noch schlimmer: Scheinheiligkeit!) dieser Frage wortlos zu unterstreichen, aber er konnte sich der Überzeugungskraft von Vaders Einspruch trotzdem nicht ganz und gar entziehen. Natürlich war Luke seit Bespin automatisch davon ausgegangen, dass sein Vater für den offensichtlich irgendwann erfolgten Zusammenbruch der immer noch unbekannten Familienkonstellation die Verantwortung trug – er musste einfach daran schuld sein, weil er Darth Vader war und damit grundsätzlich immer und ewig der Schurke in der Geschichte.

Doch jetzt sah Luke ein, dass er es sich möglicherweise ein klein wenig zu leicht gemacht hatte. Seiner Mutter unwillkürlich sofort die Rolle des unschuldigen Opferlammes zuzuschieben, war auch eine Art Vorurteil und stellte damit unweigerlich eine Verzerrung der Realität dar. Jede Geschichte hatte mindestens zwei Seiten und Luke Skywalker kannte bis jetzt noch nicht einmal die Sichtweise der einen Seite, von den Fakten ganz zu schweigen …

Vader merkte natürlich sofort, dass er einen Punkt gemacht hatte, und war einen Augenblick lang sehr zufrieden mit sich und seinem einsichtigen Jungen. Die zweigleisige und damit sehr jedimäßige Denkweise seines Sohnes stand natürlich in einem totalen Widerspruch zu seiner eigenen rigorosen Sith-Geradlinigkeit, aber das hatte auch seine Vorteile, wie er jetzt erkannte. Zumindest würde er niemals Schwierigkeiten damit haben, Luke mit dem einen oder anderen intellektuellen Zwiespalt zu ködern, ihn in ein Gespinst aus doppeldeutigen Zweifeln und Bedenken einzuwickeln und ihn damit wahrscheinlich hoffnungslos zu verwirren. Vader sah schon jetzt viele amüsante Diskussionen voraus…

„Also gut, du hast ja Recht", murmelte Luke schließlich. „Ich bin einfach davon ausgegangen, dass es an dir lag, weil … na ja … weil irgendetwas zwischen euch beiden gewaltig schief gelaufen sein muss. Sonst wäre ich ja nicht ständig mit Lügen oder Halbwahrheiten über dich abgefüttert worden, oder?"

„Was für Lügen?" fragte Vader, um Zeit zu gewinnen.

„Du warst angeblich Navigator auf einem Frachter. Nichts weiter."

Ich! Ein einfacher Navigator! Auf einem ordinären Frachter! Nichts weiter!

Vader war sprachlos vor Empörung. Er wusste selbst nicht genau, was seine Arroganz mehr traf: War es die Schamlosigkeit, mit der sich diese intriganten Tatooiner Kinderräuber einfach irgendeine völlig abwegige Legende über Lukes einzigartigen, galaxisweit berühmten, geradezu epochalen Erzeuger aus den Fingern gesogen hatten, oder war es die beklagenswerte Fantasielosigkeit, die diese unmöglichen, ungeschliffenen, grenzdebilen Farmertrampel dabei an den Tag gelegt hatten?

Luke, dem die spontane Gefühlsaufwallung seines sehr von sich selbst überzeugten Erzeugers nicht entgangen war, grinste verständnisinnig vor sich hin.

„Okay, ich muss zugeben, dass mir die Toter-Jediheld-Version von Ben auch viel besser gefallen hat. Das war immerhin ein gewaltiger Karrieresprung für meinen Traum-Dad."

Vader fühlte sich fast wieder besänftigt. Fast. „Du hast von mir geträumt?"

„Natürlich. Ständig. Bis du plötzlich als ziemlich lebendiger Alptraum–Dad wiederauferstanden bist …"

„UND NENN MICH NICHT DAD! ICH BIN DEIN VATER!" donnerte Vader. Was zu viel war, war zu viel.

Luke ignorierte seinen Einwurf einfach. Unterbrechungen dieser Art waren jetzt nur Ablenkung und damit reine Zeitverschwendung.

„Aber alles, was mit Mutter zu tun hatte, war von Anfang an so etwas wie ein Betreten-verboten-Bereich. Als ich noch klein war, dachte ich immer, es macht Tante Beru traurig, wenn ich nach ihr frage, weil sie meine Mutter sein wollte. Doch als ich älter wurde, begriff ich, dass bei uns grundsätzlich nie über die Vergangenheit geredet wurde – und über meine Herkunft schon gar nicht.

‚Wir wollten das doch vergessen!' – das war Onkel Owens Standardspruch, mit dem er mich immer sofort abwürgte, sobald ich damit anfing. Irgendwann fand ich mich damit ab, dass Mutter wohl tot sein muss – genau wie du. Aber nach Bespin …" Luke zögerte einen Moment lang. „Seit Bespin frage ich mich, ob sie womöglich genauso wenig tot ist wie du."

Er forschte in Vaders Gesicht, aber Vader brauchte schon lange keine Maske mehr, um gewisse Regungen zu verbergen.

„Ich weiß wirklich nicht, wo deine Mutter abgeblieben ist, Junge, wenigstens das musst du mir glauben", sagte er schroff. „Ja, sie ist mir weggelaufen und ich habe damals buchstäblich alles getan, um sie wieder zu finden. Doch sie war spurlos verschwunden – als hätte ein Sarlacc sie verschluckt."

Er erinnerte sich noch gut an die verdächtige Stille, die ihn in Empfang genommen hatte, als er damals zu Hause angekommen war, er, Anakin Skywalker, immer noch gefeierter Kriegsheld und Ex-Major der republikanischen Raumflotte und frisch gebackener, aber schon leicht berüchtigter Ex-Jedi. Zu Hause … das war zu dieser Zeit schon ein verwinkeltes und übertrieben elegantes Appartement in einer Luxus-Wohnanlage im sündhaft teuren Manarai-Bezirk gewesen – das erste von vielen diskret überreichten kleinen Geschenken eines überaus großzügigen Senators Palpatine an sein bemerkenswert erfolgreiches Protegé.

Ja, diese absolute, aber irgendwie spannungsgeladene Stille … Nicht einmal das allgegenwärtige leise Summen der Klimaanlage war zu hören gewesen, denn die Umweltkontrollen waren genauso abgeschaltet worden wie das Sicherheitssystem und die Haushaltsdroiden. Eine feine Staubschicht hatte auf den Designermöbeln gelegen und ein völlig verwelkter Strauß langstieliger alderaanischer Sternlilien hatte einen Schauer aus pulverisierten Pollen und papierartig vertrockneten Blütenblättern auf den dickflorigen Teppich hinunterrieseln lassen, als Anakin hereinmarschiert und mit wachsendem Argwohn an der edlen, von einem bekannten Innenarchitekten ausgewählten Bodenvase vorbeigestiefelt war.

Keine lebende Seele in Sicht: Weder die zweibeinige Bewohnerin, die er bestenfalls in einem Anfall von Reumütigkeit und schlimmstenfalls in einem Zustand fortgeschrittener Wehleidigkeit vorzufinden erwartet hatte, noch dieses idiotische fette Sofakissen von einem Hund, das neuerdings überall herumlungerte und büschelweise Haare verlor wie ein Wookieweibchen in der Menopause. (Bei diesem nervtötenden Vierbeiner handelte es sich übrigens um einen höchst unwillkommenen Familienzuwachs, den Taneela von einer allergiegeplagten Nachbarin geerbt und seither verhätschelt hatte wie ein Waisenkind mit Anti-Flohhalsband!)

In allen Räumen hatte eine gähnende, seltsam seelenlos wirkende Leere geherrscht. Es war beinahe so, als hätte seit Jahren niemand dort gehaust und als hätte die lange Abwesenheit von plaudernden, lachenden, weinenden, liebenden oder auch streitenden Besitzern die ganze Wohnung in die sterile Kulisse eines exklusiven Musterküchenstudios verwandelt.

Nur der riesige Schlafzimmer-Wandschrank, den Taneela sofort nach ihrem Einzug mit Beschlag belegt hatte, hatte sowohl auf die verschwundene Frau als auch auf ihren fluchtartigen Aufbruch hingewiesen: Eine Fülle von praktischen tunikaartigen Blusen und dazu passenden Hosen in allen Regenbogenfarben, drei oder vier Abendkleider aus schillernder Schimmerseide, zwei Wintermäntel aus schweren Wollstoffen und ein paar leichtere Übergangsjacken in den typischen Tatooine-Sandtönen, dazu Schuhe, Handtaschen und Koffer in allen nur denkbaren Formen – sie hatte offensichtlich nichts mitgenommen. Nicht einmal ein Nachthemd oder Unterwäsche zum Wechseln, wie er feststellte, als er damit anfing, die randvollen Kommodenschubladen methodisch zu durchsuchen. Auch ihren Creditchip hatte Taneela liegen lassen, was bemerkenswert war, ja, sogar ihre ID-Karte war noch da, was unerklärlich war.

Anakin Skywalker hatte regungslos dagestanden und das dreidimensionale elfenbeinblasse Oval mit dem goldbraunen fransigen Pixie-Haarschnitt betrachtet, das von der hauchdünnen transparenten Plasti-Karte in seiner Rechten unsicher zu ihm hinauflächelte. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er die unauslotbar tiefe, glühende, jederzeit mordbereite Rage verspürt, die nur ein verlassener Lover im Angesicht des vollkommenen Verrats oder Darth Vader in einem seiner schlimmsten Momente empfinden konnte.

Natürlich hatte sie keine Nachricht hinterlassen, keine Erklärung und schon gar keine Entschuldigung, die undankbare treulose kleine Hexe. Sie war einfach auf und davon gegangen (mit oder ohne ihre abscheuliche Flohquaste?) und hatte sich gleich anschließend entmaterialisiert oder war sonst wie entgegen aller Naturgesetze aus dem bekannten Universum entschwunden – und das alles offenbar genau neun Tage, bevor Anakin von einer streng geheimen Mission in Palpatines Auftrag zurückkehrte. Zumindest war das das Datum, an dem irgendjemand die Videokameras im ganzen Haus und auf der Straße deaktiviert und sämtliche Filesafe-Dateien in den Sicherheitslogs gelöscht hatte, ein nettes kleines Hacker-Kunststück, das eindeutig bewies, dass Taneela bei ihrer feigen Flucht professionelle Hilfe in Anspruch genommen hatte.

Ja, genau neun Tage vor Anakins Rückkehr – und fast auf den Tag genau zwei Monate nach seinem letzten Krach und seinem allerletzten … nun ja … stürmischen Techtelmechtel mit Taneela. Aber erst als viele Jahre später der mutmaßliche Nachname des Todessternkillers zu ihm durchgesickert war, hatte Vader die wahre Signifikanz dieses Acht-Wochen-Zeitraums begriffen. Und auch das nur, weil er sich ganz plötzlich mit einschneidender Klarheit an diese winzige, schamhaft zusammengeknüllte rosafarbene Schachtel erinnert hatte, die er an jenem einsamen ersten Abend unter seinem zerwühlten Doppelbett vorgefunden hatte, ein unauffälliger kegelförmiger Behälter, der sich zu seiner maßlosen Überraschung als die Verpackung eines gleichfalls spurlos verschwundenen Schwangerschaftstests entpuppt hatte …

Doch sein Schmerz über diesen möglichen zweiten Verrat war so intensiv gewesen, dass er sich damals einfach geweigert hatte, der Wahrheit ins Auge zu sehen und sich damit abzufinden, dass Taneela ihm tatsächlich so etwas Schreckliches antun konnte: Nicht nur klammheimlich wegzulaufen und einfach unterzutauchen wie eine Gangsterbraut nach einem erfolgreichen Banküberfall, sondern dabei auch noch etwas zu stehlen, was von Rechts wegen nicht nur ihr allein gehörte, sondern auch ihm. Nein, Anakin hatte es nicht glauben können, weil er es einfach nicht glauben wollte. Aber Vader hatte sich dieser Wahrheit gestellt und eine neue Stärke aus dem gezogen, was Skywalker in seiner gefühlsduseligen Schwäche nur vernichtet hätte: Ein Kind. Ein Sohn. Ein Erbe!

„Vater!" mahnte sein Erbe, der sich auf die Folter gespannt fühlte und diesen Zustand offensichtlich überhaupt nicht zu schätzen wusste.

Vader riskierte einen unauffälligen Blick auf ein Wandchrono, das im Hintergrund unbarmherzig und doch viel zu langsam die Minuten wegtickte, und wünschte sich sehnsüchtig das Auftauchen der Rebellenflotte herbei. Aber die Rebellen lungerten natürlich immer noch im Hyperraum herum – ein schlagender Beweis für einen geradezu lächerlichen Mangel an Koordination und Zeitmanagement! – und sein Sohn rollte schon wieder mit den Augen, was sein bevorzugter mimischer Ausdruck für eine Mischung aus innerer Unruhe und Übereifer zu sein schien.

Vader gab nach und sagte gnädig: „Aber ich fange wohl besser mit dem Anfang an."