XVII.
„Ähm …"
Luke Skywalker hob behutsam die Hand wie ein schüchterner Klassenprimus, der sich anschickte, einen besonders cholerischen Mathelehrer auf einen kleinen, aber entscheidenden Fehler in der Gleichung an der Tafel hinzuweisen. „Wenn ich mal kurz etwas fragen dürfte …"
„WAS?!" röhrte Vader, erzürnt, weil er so abrupt und so völlig unerwartet aus den tiefschürfenden Ereignissen seiner fernen Jugendjahre herausgerissen wurde. (Warum musste der Junge auch ausgerechnet jetzt dazwischen quasseln, wenn sein Vater doch gerade so schön im Fluss war, berauscht von der Lebendigkeit seiner Erinnerungen und seiner eigenen Rhetorik?)
„Woher weißt du, was Ben bei eurer ersten Begegnung so alles gedacht hat?"
„Und wegen so einer banalen Kleinigkeit unterbrichst du mich?!" Vader starrte seinen Erstgeborenen (und Letztgeborenen!) an, doch Luke erwiderte seinen flammenden Blick mit einer gewissen sanften Mutwilligkeit, die den stürmischen Sith-Lord fast mehr in Wallung versetzte als eine offene Kampfansage.
„Ja!"
So einfach kam das heraus. Kurz und bündig. Keine Ausflucht, keine Rechtfertigung. Einfach nur: Ja! Der Junge hatte wirklich mehr Ähnlichkeit mit seiner Mutter, als man ihm ansah.
Vader schüttelte diese alarmierende Feststellung als irrelevant ab (vorläufig irrelevant!) und erwiderte ebenso kurz und bündig: „Er hat es mir selber erzählt. Später."
Luke zog eine Augenbraue hoch. „Ben Kenobi hat dir erzählt, dass er sich selbst für einen zynischen Seelenfänger … äh … Jäger hält? Für einen berechnenden … nein … kühl kalkulierenden Verführer?"
„Nein! Das natürlich nicht. So etwas hätte er mir gegenüber auch niemals zugegeben – genau so wenig wie irgendwelche negativen Aspekte zum Thema Jedi-Orden. Ehrliche Selbstkritik war nicht gerade Obi-Wans Stärke."
„Wenn ein Bantha ein anderes Bantha Trampeltier nennt …", brummte Luke, schmunzelte aber ein wenig dabei.
Vader zog es trotzdem vor, nicht auf dieses absurde Zitat eines beliebten Tatooiner Sprichwortes einzugehen. Er fühlte sich ohnehin nicht davon angesprochen. Nicht wirklich.
"Er hat mir nur ganz allgemein gesagt, was für einen Eindruck er von mir hatte an diesem allerersten Tag. Den Rest - die Wahrheit über ihn und den Orden! - habe ich mir später selber zusammengereimt … als ich ihn besser kannte und wusste wie er tickt … und als mir klar wurde, wem ich da eigentlich in die Falle gegangen bin", fügte er grimmig hinzu.
Luke strapazierte erneut seine Stirnmuskeln, bis seine linke Braue fast in seinem Haaransatz zu verschwinden schien. „In die Falle gegangen! Ach komm schon … das ist jetzt aber wirklich ziemlich extrem – sogar für deine Maßstäbe."
„So? Findest du?"
Vader pflanzte sich vor seinem Sohn auf, die Hände in die Hüften gestemmt und ein Glitzern in den Augen, das halb Zorn, halb Triumph war. „Das Problem mit dir ist, dass du keine Ahnung hast, was damals wirklich los war. Vom Jedi-Orden weißt du doch nur das, was Obi-Wan dir ins Ohr gewispert hat, und von der alten Republik kennst du nur diesen ganzen romantischen Zimt, den deine ewig gestrigen Rebellenfreunde endlos wiederkäuen."
„Das ist nicht meine Schuld!" rief Luke und es kam viel hitziger heraus, als er es beabsichtigt hatte, und vor allem sehr viel lauter. „Du und dein Imperator und eure ganzen Helfershelfer, ihr habt doch alle Aufzeichnungen über die Jedis und den Niedergang der alten Republik vernichtet. Es heißt nicht umsonst, dass es immer die Sieger sind, die die Geschichtsbücher schreiben. Ihr habt die Geschichte umgeschrieben! Ihr habt die Vergangenheit verdreht und sie euch zurechtgebogen und sie auf den Kopf gestellt! Und das alles nur, um die Geburt eurer ganz persönlichen Diktatur zu rechtfertigen. Von der gezielten Ausrottung der Jedis ganz zu schweigen …"
Vader war unwillkürlich beeindruckt von dieser unerwarteten Retourkutsche, aber nur ungefähr zwei Sekunden lang. Dann sagte er sarkastisch: „Die gezielte Ausrottung der Jedis – oh weh, oh weh! Das hört sich ja dramatisch an. Wie aus einem Theaterstück: ‚Darth Vader und die Nacht der langen Messer' oder so ähnlich …"
Lukes Gesicht gewann ein wenig an Farbe, nicht viel, aber immerhin. Doch er bemühte sich sehr um Gelassenheit als er konterte: „Die Jedis waren bestimmt nicht perfekt – das weiß ich auch. Ich bin nicht halb so naiv wie du denkst. Aber sie waren trotzdem die Hüter von Frieden und Gerechtigkeit und das immerhin tausend Generationen lang! Tausend Generationen! Was sagst du dazu?!"
„Ich sage, dass das eine verdammt lange Zeit ist und zwar für jede Art von Institution. Ich sage, dass es für keine einzige religiöse oder spirituelle Gruppierung überhaupt möglich ist, ihre ach so reinen Ideale so lange hochzuhalten, ohne dass sie dabei eine mächtig dicke Staubschicht ansetzen. Ich sage, deine Jedis waren längst nicht mehr das, was sie zu sein vorgaben oder sogar selber zu sein glaubten", antwortete Vader heftig.
Luke schnappte nach Luft, kam aber nie dazu, Einspruch einzulegen. Sein Vater war zu sehr daran gewöhnt, das Wort zu führen.
„Du willst es natürlich nicht wahrhaben, Junge, weil es nicht zu deiner Vorstellung von noblen Friedenshütern und selbstlosen Gerechtigkeitsfanatikern passt, aber es ist nun mal eine Tatsache: Der Jedi-Orden war längst zu einem Staat im Staat geworden. Und das ist etwas, was keine Regierung in diesem Universum auf die Dauer dulden kann, möge sie auch noch so stabil, demokratisch und pazifistisch sein.
Die Tragik und zugleich die größte Ironie in der Geschichte der Jedis besteht darin, dass sie letzten Endes selbst zu einer Gefahr für das geworden waren, was sie ursprünglich nur beschützen wollten – und das durch ihre bloße Existenz!"
Vader beugte sich ein wenig vor, bevor er weiter sprach, wieder ein wenig gedämpfter jetzt, aber dafür umso eindringlicher.
„Ja, wir haben sie ausgelöscht, deine Jedis. Nicht in einer Nacht der langen Messer, nicht in hundert Nächten, denn dafür waren sie einfach zu viele und zu weit verstreut, als wir endlich zuschlugen. Aber wir haben sie systematisch gejagt und ausgerottet – und die ganze Galaxis hat einfach die Hände in den Schoß gelegt und uns dabei zugesehen! Niemand ist aufgestanden und hat ganz offiziell protestiert. Niemand hat versucht uns aufzuhalten. Niemand hat auch nur einen Finger gerührt, um die Jedis zu retten. Hast du dich nie gefragt, warum? Ich sage dir warum: Weil die meisten Leute heimlich durchaus einverstanden waren mit unserer kleinen Säuberungsaktion.
Oh, sie hätten es natürlich niemals offen zugegeben, deine braven zivilisierten Durchschnittsbürger hier auf Coruscant oder irgendwo sonst, aber in Wirklichkeit hatten sie alle einfach nur Angst vor deinen Jedis: Angst vor ihren Fähigkeiten, Angst vor ihrem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Einfluss, aber vor allem Angst vor den unvorstellbaren Gräueln, die eine organisierte Gruppe von Lebewesen mit praktisch unkontrollierbaren übermenschlichen Kräften anrichten könnte, wenn sie plötzlich die Lust dazu überkommt."
„Zu schade, dass es all diesen undankbaren Leuten nie in den Sinn gekommen ist, dass es immer die Sith waren, die unvorstellbare Gräuel angerichtet haben und bis zum heutigen Tag noch anrichten, während von den Jedis immer nur Gutes kam", sagte Luke heiser.
„Immer nur Gutes? Da wäre ich an der Stelle nicht so sicher. Außerdem waren die Sith längst zu Staub zerfallen und ihre Taten vergessen, während deine Jedis immer noch jeden Tag gut sichtbar durch die Straßen stolzierten wie die Superhelden-Riege aus einer Holo-Oper und sich überall einmischten – und das auch dann, wenn gar niemand sie um ihre Hilfe gebeten hatte."
Vader legte eine kurze Pause ein, dann fuhr er fort: „Natürlich haben die Sith im Lauf der Jahrtausende die Leute das Fürchten gelehrt, was die Macht und ihre Nutzer angeht. Aber im Grunde ist diese Angst auch das Natürlichste von der Welt. Wir alle fürchten, was uns eindeutig überlegen ist. Und wir alle hassen, was wir fürchten. Und wir alle vernichten früher oder später, was wir hassen – oder wir hoffen, dass jemand anderer das für uns erledigt. Nein, Junge, deine Jedis waren nie so beliebt, wie sie es sich in ihrer Arroganz gerne eingebildet haben. Und die Leute waren froh, dass wir sie erledigt haben."
„Das glaube ich einfach nicht", protestierte Luke.
„Ach nein? Dann sag mir eins, mein Sohn: Wie viele von deinen Rebellen wissen wirklich Bescheid über deine kleine … nennen wir es ruhig … Spezialität? Oder willst du allen Ernstes behaupten, dass inzwischen die ganze Allianz weiß, dass ein Nachwuchs-Jedi unter ihnen weilt?"
„Nein, natürlich nicht. Mon Mothma war der Meinung, dass wir es aus Sicherheitsgründen besser geheim halten sollten. So geheim wie nur möglich. Das weiß also eigentlich nur der innerste Kreis … Also Leia und das Oberkommando … Und meine Freunde natürlich … Die Piloten in meiner Staffel … oder jedenfalls die Veteranen, die mich von Anfang kennen … und vielleicht noch zwei oder drei aus einer anderen Einheit. Aber nicht die ganze Allianz, nein", murmelte Luke. „Und schließlich … also irgendwie ist das ja auch immer noch meine Privatangelegenheit … oder sowas in der Art …"
Er ließ den Satz versickern, als Vader mit einem zynischen Grinsen die Arme über der Brust verschränkte.
„Mit anderen Worten: Sogar der Held der Rebellion scheut davor zurück, jedem gleich auf die Nase zu binden, welchen Talenten er sein Heldentum verdankt. Diese ganz spontane Reaktion der Leute, wenn sie herausfinden, wer oder was du bist – das ist dir unangenehm, nicht wahr?"
„Blödsinn! Ich hatte noch nie ein Problem damit, ein Jedi zu sein. Noch nie!" sagte Luke entschieden. Aber das war nicht die ganze Wahrheit und sie wussten es beide.
Denn ob Luke es nun wahrhaben wollte oder nicht, es gab wirklich gewisse spontane Reaktionen, wann immer sein Jeditum zur Sprache kam, nicht oft, aber immerhin. So erinnerte er sich zum Beispiel mit Unbehagen an die vielen Fragen, mit denen gerade Mon Mothma ihn nach jeder Rückkehr von Dagobah gelöchert hatte. Dann war da noch die offene Antipathie von General Madine, der sich bei jeder Besprechung, an der Luke teilnahm, demonstrativ auf der entgegengesetzten Seite des Konferenztischs niederließ und ihn von dort aus mit Argusaugen beobachtete. Und dann gab es da die vielen gutmütigen, aber immer ein klein wenig taktlosen Witze von so notorischen Spaßvögeln wie Wes Janson oder Hobbie Klivian, der – von Lukes Spezialität inspiriert – allzu gerne sorgfältig präparierte Helme oder Werkzeuge an praktisch unsichtbaren Kunststofffäden gezogen über den Hangarboden rutschen ließ – ein beliebter Streich, der schon viele veräppelte Neuzugänge dazu gebracht hatte, über die möglichen medizinischen Auswirkungen von eingeatmeten Treibstoffausdünstungen nachzugrübeln.
Nein, sein eigener Status als Jedi war durchaus nicht so klar und einfach, wie Luke es sich gewünscht hätte. Sollte es bei seinen Vorgängern genauso oder sogar noch viel schlimmer gewesen sein? Obi-Wan Kenobi und Meister Yoda hatten niemals auch nur ein Wort über dieses spezielle Problem verloren. Aber Lukes Lehrer hatten über so viele Dinge niemals ein Wort verloren ...
Wir hatten einfach nie genug Zeit, dachte Luke und fühlte sich angesichts dieser Erkenntnis selber ein wenig verloren. Wir hatten verdammt noch mal nie genug Zeit für irgendwas!
Und doch saß er jetzt hier zusammen mit diesem Mann, mit diesem Vater, mit diesem lebenden Monument einer persönlichen und einer historischen Geschichte, die er einfach erfahren musste, auch wenn die Quelle vielleicht nicht ganz und gar vertrauenswürdig war …
„Na schön", sagte Luke mit einer Spur von Resignation. „Spuck es aus: Was war denn nun so verkehrt an deiner Staat-im-Staat-Superhelden-Riege?"
„Einfach alles!" klang es gebieterisch zurück.
Fortsetzung folgt …
An dieser Stelle ein kleines Dankeschön an meine Reviewer! Eure Meinung bedeutet mir viel und eure Geduld noch mehr. Ich wünschte, ich könnte schneller updaten, aber c'est la vie!
