XIX.
„Dann warst du also nie freiwillig ein Jedi? Sie haben dich wirklich dazu gezwungen?!"
Luke war sichtlich erschüttert. Vader sah es mit Befriedigung.
„Und das war noch lange nicht alles", sagte er. „Ich könnte dir Dinge erzählen von deinen edelmütigen, porentief reinen Jedis … Na ja, lassen wir das. Dazu fehlt uns jetzt wirklich die Zeit. Vielleicht bei einer anderen Gelegenheit."
Und wie er es genießen würde, seinen ahnungslosen vertrauensseligen Sohn endgültig über die Doppelmoral und Doppelzüngigkeit dieser bigotten Sippschaft aufzuklären, wenn es soweit war!
Und doch …
Vader betrachtete die Frucht seiner Lenden nicht ohne eine gewisse Rührung. Er empfand beinahe Mitleid angesichts der völligen Desillusionierung, die dem Jungen noch bevorstand. Beinahe.
„Ich kann mir einfach nicht erklären, wie Ben so handeln konnte", murmelte Luke. „Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Er ist … war immer so ..."
Er verstummte plötzlich, als ihm bewusst wurde, wie absurd sich das in den Ohren seines Vaters anhören musste.
Tatsächlich konnte man von Obi-Wan alles mögliche behaupten, aber nicht gerade, dass er ein Verfechter der ultimativen Wahrheitsliebe war. Seine Wahrheiten hingen grundsätzlich alle von einem gewissen Standpunkt ab. Seinem eigenen Standpunkt. Sogar jetzt noch behielt er das Kleingedruckte lieber für sich, wichtige Dinge wie zum Beispiel die Tatsache, dass Leia ebenfalls eine Skywalker war, was er erst preisgegeben hatte, als ein weiteres Verschweigen dieses Umstandes zu riskant geworden war. Und niemand konnte leugnen, dass er skrupellos genug gewesen war, Luke mit Halbwahrheiten zu manipulieren, um ihn als Waffe gegen seinen eigenen Vater einzusetzen.
Vader sprang sofort darauf an, als er Lukes Unsicherheit bemerkte. Er konnte nie widerstehen, wenn der Gegner leichtsinnigerweise eine Schwachstelle in seiner Deckung zeigte.
„Immer so was? Fürsorglich? Väterlich? Alles nur Getue. Also ich bitte dich", sagte Vader, als Luke hochfuhr. „Sogar du musst zugeben, dass seine Verlogenheit dich beinahe umgebracht hätte. Oder mich. Oder uns beide."
„Er wollte mich nur schützen. Vor mir selbst", behauptete Luke wider besseres Wissen. „Und natürlich auch vor dir."
Vader runzelte die Stirn. „Hast du mir nicht zugehört?"
„Ja, aber..."
„Als ob ich mit einer Wand reden würde!"
„Oder ich", murmelte Luke.
Aber er lenkte hastig wieder ein oder vielmehr ab, bevor Vader eine entsprechend bissige Antwort einfiel.
„Hast du jemals jemanden getroffen, der es geschafft hat, dem Jedi-Orden zu entwischen?"
„Du meinst, abgesehen von mir?" fragte Vader spöttisch. „Nein, habe ich nicht. Aber es gab damals Gerüchte über irgendeinen lichtschwertschwingenden Psychopathen, der durch die Straßen von Triivago gerannt ist und ein Dutzend Touristen zerstückelt hat, bevor er von der örtlichen Polizei erschossen wurde..."
Er hielt inne, als er Lukes verstohlenen Seitenblick bemerkte. Es kam ihm in den Sinn, dass sein Sohn ihn nach ihrem unglückseligen Duell auf Bespin womöglich ebenfalls für einen lichtschwertschwingenden Psychopathen mit einer Tendenz zum Zerstückeln von Leuten hielt.
Er überlegte, ob er Luke darauf hinweisen sollte, dass er sein Lichtschwert grundsätzlich nur in ehrenhaften Duellen einsetzte, während er bei Hinrichtungen eine fachmännisch durchgeführte Strangulation der Delinquenten bevorzugte, was normalerweise schnell, sauber und gänzlich ohne abgetrennte Körperteile über die Bühne ging. Er entschied sich dann aber doch dagegen. Es hätte zu sehr nach einer Rechtfertigung ausgesehen. Außerdem konnten nicht alle Missverständnisse zwischen ihm und Luke in einem einzigen Vater-Sohn-Gespräch abgeklärt werden. Nicht nur Staatsstreiche brauchten ihre Zeit …
„Die Sache wurde natürlich vertuscht", fuhr er fort. „Angeblich war er nur irgendein drogensüchtiger Amokläufer.
Und dann war da natürlich noch diese idiotische Neimodianerin auf Ramana, die sich tatsächlich eingebildet hat, sie könnte die Croupiers in sämtlichen Casinos dort austricksen und kräftig absahnen, ohne dass ihr jemand auf die Schliche kommt. So viel ich weiß, hat man kurz nach ihrem kleinen Beutezug ihre sterblichen Überreste in einem Aquarium voller Zackenrücken-Piranhas gefunden. Die Glücksspiel-Mafia kann ja so rabiat sein, wenn sie es mit Betrügern zu tun hat ...
Diese Affäre hat wohl zuerst etwas Staub aufgewirbelt, wurde aber trotzdem erfolgreich unter den Teppich gekehrt.
Und das war's dann auch schon. Falls es damals noch jemand geschafft haben sollte, den Jedis zumindest vorübergehend zu entkommen, dann habe ich nie davon erfahren. Mit gutem Grund, wie ich annehme..."
Luke nickte nachdenklich. Natürlich hätte Ben ... der Jedi-Orden ... alles getan um zu verhindern, dass Anakin Skywalker allzu viel von diesen Vorgängen mitbekam. Es hätte ihn dazu inspirieren können, seine eigene Situation noch einmal zu überdenken.
„Und was ist aus den anderen geworden, die sich nicht dem Orden anschließen wollten? Die irgendwo eingesperrt waren oder … Na ja, du weißt schon, was ich meine. Was ist mit ihnen passiert?"
Vader unterzog seine Fingernägel einer genaueren Betrachtung und sagte betont beiläufig: „Die wenigen, die wir noch gefunden haben, waren zu nichts mehr zu gebrauchen und auch sonst völlig am Ende. Wir haben sie von ihrem Elend erlöst."
Er gab keine weiteren Erklärungen dazu ab und Luke verzichtete dieses Mal auf Nachfragen. Er hatte schon genug zu verdauen.
„Und damit nähern wir uns langsam dem Ende unseres kleinen Rückblicks", sagte Vader im inneren Gleichklang mit seinem Sohn.
Er sah wieder zu dem Wandchrono hinüber. Luke folgte unwillkürlich seiner Blickrichtung und erschrak, als er sah, dass es inzwischen schon fast Mittag war. Er konnte es kaum fassen. Wo war die Zeit geblieben? Hatten er und Vader wirklich stundenlang Erinnerungen ausgetauscht?
Leia und Han mussten inzwischen den Schutzschildbunker erreicht haben. Und jetzt? Er wagte es kaum sich auszumalen, was sich gerade auf Endor abspielen mochte …
„Lass es mich ganz kurz zusammenfassen – oder hast du angesichts der dramatischen Gegenwart plötzlich das Interesse an der Familienhistorie verloren?" fragte Vader mit bewusster Ironie.
„Nein! Natürlich nicht!" Luke fühlte sich fast ein wenig schuldbewusst. Es war schier unmöglich, vor Vader etwas zu verbergen. Und es war alarmierend, mit welcher Leichtigkeit er – Skywalker junior – zu durchschauen war.
„Also dann – in aller Kürze ... Ich habe natürlich getan, was Palpatine von mir verlangt hat. Ich habe den braven kleinen Jedi gespielt, fleißig gelernt – jedenfalls das Wenige, was die Jedis mir beizubringen bereit waren – und gleichzeitig Augen und Ohren offen gehalten. Wenn irgendwo irgendetwas Interessantes passiert ist, dann habe ich Palpatine so schnell wie möglich darüber informiert. Das war gar nicht so einfach, denn ich war viel unterwegs, weil die Jedis inzwischen tatsächlich in den Krieg involviert worden waren.
Valorum hatte es geschafft, das Ruder herumzureißen und den Senat von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Jedis zusammen mit den regulären Truppen gegen die Separatisten einzusetzen. Jedenfalls sah es – von außen her betrachtet – so aus.
Aber in Wirklichkeit hatten Palpatine und seine Parteigenossen den Kanzler so unter Druck gesetzt, dass er gar keine andere Wahl hatte. Außerdem hatten sie die meisten Senatoren, die sich normalerweise seinem Erlass widersetzt hätten, durch eine clevere Kombination aus Bestechung und Erpressung auf Kurs gebracht. Gleichzeitig starteten sie mit Hilfe ihrer Medienkontakte eine Verleumdungskampagne gegen Valorum. Das war relativ einfach, denn die Streitkräfte der Separatisten waren uns inzwischen zahlenmäßig haushoch überlegen und wir bezogen immer öfter Prügel, statt den Feind aufzuhalten oder ihn gar zurückzutreiben.
Ein paar reißerische Zeitungsartikel hier und da und ein völlig missglücktes Holo-Interview, in dem Valorum durch raffiniert platzierte Suggestivfragen so in die Enge getrieben wurde, dass er den Kopf verlor und sich rettungslos blamierte, und schon galt er als Kriegstreiber, der seine Politik ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen versuchte. Man warf ihm vor, unsere Armee sinnlos zu verheizen, indem er sie in Einsätze schickte, die man wegen der ungeschickten Verteilung der Einheiten und einer eher wirrköpfigen Strategie auch als Himmelfahrtskommandos betrachten konnte.
Die öffentliche Empörung wuchs und Valorums Stuhl begann zu wackeln. Jetzt fehlte nur noch der berühmte Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Palpatine sorgte auch dafür. Er schob einem der Reporter auf seiner Gehaltsliste gefälschte Beweise dafür zu, dass der Kanzler sich angeblich aus dem endlich genehmigten Hilfsfond zur Bereitstellung neuer Kriegsschiffe bedient und eine riesige Summe auf ein privates Nummernkonto überwiesen hatte. Das schlug ein wie eine Bombe. Valorum war erledigt und er wusste es. Er hatte nicht einmal den Mut, vor dem Untersuchungsausschuss im Senat zu erscheinen und sich zu verteidigen. Er legte einfach sofort sein Amt nieder, was wohl auch daran lag, dass man ihm für dieses Entgegenkommen Immunität zugesagt hatte. Danach verschwand er von Coruscant und von der Bildfläche. Palpatine hatte gewonnen.
Innerhalb von vierundzwanzig Stunden wurde er zum neuen Kanzler ernannt. Seine Anhängerschaft im Senat war nun so groß, dass es bei seiner Wahl nur achtzehn Stimmenthaltungen und elf Gegenstimmen gab – unter ihnen auch Mon Mothma von Chandrila und Bail Organa von Alderaan.
Und was war mit mir? Ich führte inzwischen wirklich ein Doppelleben, denn wenn ich nicht bei den Jedis war, dann war ich mit meiner Staffel unterwegs. Und wenn ich nicht im Tempel oder im Einsatz war, dann war ich bei Palpatine. Es gab immer so viel zu besprechen und zu planen, es gab so viel zu tun ...
Ich konnte Taneela also noch seltener sehen als zuvor und wir litten beide darunter, obwohl sie natürlich immer behauptete, es würde mir gar nichts ausmachen, ich würde sie nur ausnutzen, sie im Stich lassen oder was auch immer. Wenn wir uns gesehen haben, dann haben wir uns praktisch nur noch gestritten. Obwohl Obi-Wan uns den Jedi-Rat vom Hals gehalten hatte, so dass uns niemand Knüppel zwischen die Beine werfen konnte, war es beinahe so, als wären wir tatsächlich getrennt. Wir hatten uns einfach völlig auseinander gelebt. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn wir damals schon einen Schlussstrich gezogen hätten, aber irgendwie war trotz allem keiner von uns dazu bereit, den ersten Schritt zu tun …
Außerdem schien sich unsere Situation kurzfristig sogar wieder ein wenig zu entspannen, als Palpatine sein Versprechen endlich wahrmachte und mich aus dem Jedi-Orden rausholte. Er nutzte dazu die Notstandsvollmachten, die ihm gerade vom Senat erteilt worden waren, und erklärte mich einfach zur „kriegswichtigen Person". Der Jedi-Rat legte natürlich Widerspruch ein – Obi-Wan war außer sich, während Windu wahrscheinlich eher froh war, mich von hinten zu sehen – aber niemand kümmerte sich mehr darum.
Das Klima im Senat war zu dieser Zeit schon ausgesprochen winterlich, was die Jedis anging, und das galt umso mehr für die Durchschnittsbürger auf der Straße. Es gab einfach zu viele Leute, die genug hatten von dieser Wir-sind-euch-gewöhnlichen-Sterblichen-haushoch-überlegen-Aura, die die Jedis immer ausstrahlten. Und es gab zu viele frustrierte Offiziere und Soldaten, denen die Zusammenarbeit mit den Jedi-Truppen ein Dorn im Auge war und die ihren Familien zu Hause wilde Geschichten über Sondereinsätze erzählten, so dass irgendwie der Eindruck entstand, die Jedis könnten sich die Rosinen herauspicken und eher harmlose Missionen übernehmen, während die regulären Truppen in gefährlichen Einsätzen ihre Pflicht erfüllen mussten. Das war natürlich nur ein Gerücht und ein besonders schwachsinniges noch dazu, aber es war Wasser auf Palpatines Mühle und er sorgte dafür, dass es sich weiter verbreitete, was die Gemüter erregte und die geladene Stimmung noch mehr aufheizte.
Wie auch immer, ich war jetzt wieder frei wie der Wind – zumindest sah es so aus. Der Jedi-Rat hatte mir jedenfalls nichts mehr zu sagen und musste auch sonst immer öfter die Füße still halten. Palpatine hatte mich in den Generalstab geholt und ich gehörte nun offiziell zu seinen militärischen Beratern. Und ganz nebenbei hatte ich auch noch ganz andere Dinge für ihn zu erledigen, denn jetzt, nachdem er Kanzler geworden war, war er nur noch einen Schritt von seinem wahren Ziel entfernt: Der Gründung des Imperiums.
Inzwischen wusste ich natürlich, wer und was er wirklich war, und ich kann nicht sagen, dass ich überrascht war, als er mir gegenüber endlich offen zugab, ein Sith zu sein. Er hatte es mir auch sehr leicht gemacht, das zu akzeptieren. Er war schon lange genug mein Mentor, Gönner und sogar so eine Art Ersatzvater gewesen. Nun wurde er auch noch mein Lehrer und ich war nur allzu bereit, alles zu nehmen, was er mir geben konnte. Und er konnte mir eine ganze Menge geben in diesen Jahren. All dieses Wissen, das er aussprudelte wie eine Quelle und das ich aufsog wie ein ausgetrockneter Schwamm: Verbotenes Wissen, faszinierendes Wissen, tausend Möglichkeiten und Fähigkeiten, von denen die Jedis nicht einmal zu träumen wagten. Er legte mir alles zu Füßen wie ein Geschenk, er öffnete mir eine neue Welt, ein neues Universum, und ich war wie im Rausch.
Ich hätte alles für ihn getan, alles, was er von mir verlangte. Und er verlangte eine ganze Menge von mir, Dinge, die einfach getan werden mussten und das ohne Wenn und Aber oder Herumgewälze in Schuldgefühlen. Man kann kein Imperium aus dem Staub erschaffen, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Wer so etwas behauptet, ist entweder ein Narr oder ein Lügner.
Eines musst du verstehen, Luke, wenn du überhaupt irgendetwas verstehen willst: Natürlich war Palpatine nie das, was deine Rebellenfreunde als echten Philantropen bezeichnen würden. Dazu war er immer viel zu sehr Aristokrat, viel zu sehr in einer klassischen feudalistischen Denkweise verhaftet. Ich schätze, das lässt sich auch gar nicht vermeiden, wenn man mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund geboren wurde und sozusagen sein ganzes Leben in einem gut gepolsterten und sehr privaten Erste-Klasse-Abteil verbracht hat."
„Das ist nicht wahr!" protestierte Luke, der natürlich sofort an seine Schwester denken musste.
„Ich rede jetzt nicht von deiner Prinzessin und all diesen anderen weichgespülten Organas oder Mothmas oder wie sie sonst noch alle heißen. Die ganzen Blaublüter, die heutzutage in deiner Allianz oder sonstwo herumlungern und auf edelmütige Wohltäter machen, sind nicht nur mit einem goldenen Löffel im Mund, sondern auch noch mit einem gewaltigen goldenen Besenstiel in ihrem Hintern geboren worden."
„Also wirklich!"
„Stimmt es oder habe ich Recht?"
„Ist das nicht ein bisschen sehr scheinheilig für jemanden, der inzwischen selber zum Blaublüter mutiert ist, Mylord?" fragte Luke sarkastisch. „Obwohl von dir garantiert niemand je sagen wird, dass du auf Wohltäter machst, edelmütig hin oder her."
„Das werden wir dann ja noch sehen. Das Leben ist lang und voller Möglichkeiten und das Volk hat ein bemerkenswert kurzes Gedächtnis und ist sehr leicht zu beeinflussen, wenn du die Medien auf deiner Seite hast", erwiderte Vader. „Aber um zu unserem gegenwärtigen Imperator zurückzukehren: Palpatine war nie ein edelmütiger Wohltäter, obwohl er als Senator und Kanzler bei jeder Gelegenheit sehr nobel und großherzig tat und vor allem sehr spendabel mit seinem Bankkonto umging, weil es von ihm so erwartet wurde.
Doch er war wirklich großzügig auf seine ganz eigene Weise. Zum Beispiel mir gegenüber. Und gegenüber seinen anderen Verbündeten. Und davon gab es damals schon sehr viele und es wurden mit jedem Tag mehr. Denn seine Visionen für unsere Zukunft ... für die Zukunft der ganzen Galaxis … waren zu dieser Zeit noch großartig, nicht größenwahnsinnig.
Nein, Palpatine war damals nicht so wie jetzt, Luke. Und niemand hätte voraussehen können, was eines Tages aus ihm werden wird."
„Er ist ein Ungeheuer!" sagte Luke entschieden.
„Er ist alt und ich fürchte, was wir jetzt an ihm sehen, ist die Sith-Version von Senilität."
In Wirklichkeit war es sehr viel mehr als nur das – der Imperator war eindeutig wahnsinnig geworden –, aber Vader hielt es für unklug, seinen Sohn jetzt schon über dieses beunruhigende kleine Detail zu informieren.
„Dann ist er eben ein altes und durchgeknalltes Ungeheuer – und du weißt es!" sagte Luke.
Vader zog es vor, nicht auf diesen Seitenhieb einzugehen.
„Jedenfalls war das Imperium, das du heute kennst, ursprünglich nie so geplant. Aber uns allen war klar, dass die Republik ausgedient hatte und dass die Verwirklichung eines besseren Systems harte Arbeit und Opfer erforderte. Man kann eben keinen Kuchen backen, ohne dafür ein paar Eier zu zerschlagen. Und damals gab es eine ganze Menge Eier und es war mein Job, sie zu zerschlagen. Ich war natürlich nicht der Einzige, der mit dieser Aufgabe betraut war, aber ich musste auch noch ein paar faule Eier aussortieren und entsorgen und das war nicht gerade die Art von Arbeit, über die ich mit Taneela hätte reden können.
Natürlich war auch alles geheim, alles lief unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Aber selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich sie niemals mit diesen Dingen konfrontieren können. Ich konnte und wollte sie nicht mit der Wahrheit belasten.
Unwissenheit kann ein Segen sein. Aber sie kann auch zu einem Fluch werden. Taneela spürte, dass ich ihr vieles vorenthielt, und warf mir natürlich auch das vor. Und irgendwann kam sie unweigerlich auf die Idee, dass ich sie betrüge, dass ich eine Geliebte habe, bei der ich meine ganze Zeit vertrödle, und dass ich sie belüge, damit sie es nicht herausfindet.
Das war natürlich völlig absurd. Als ob ausgerechnet ich damals Zeit für so etwas Nebensächliches wie eine Affäre gehabt hätte! Als ob eine Frau allein mir nicht schon genug Scherereien gemacht hätte!
Aber ich konnte sagen, was ich wollte, sie glaubte mir kein Wort mehr, und ihre angebliche Rivalin wurde schnell zu einer Obsession bei ihr. Doch sie wollte sich immerhin Gewissheit verschaffen und eines Abends, als ich gerade im Bad war, schnappte sie sich mein Kom, um mich auszuspionieren, um nachzusehen, ob es vielleicht irgendeinen Hinweis auf die andere Frau gab, Nachrichten oder Bilder oder sonst was.
Ich erwischte sie auf frischer Tat und riss ihr das Kom aus der Hand, denn es waren wirklich Nachrichten und Bilder darauf, die sie auf keinen Fall zu Gesicht bekommen durfte, Informationen von Palpatines Agenten und Aufnahmen von Zielpersonen, die ich ausschalten sollte, doch das durfte sie ja nicht wissen.
Aber dass ich ihr nicht zeigen wollte, was auf meinem Kom gespeichert war, bestätigte ihren Verdacht natürlich nur noch. Was dann passiert ist, kann ich nur damit erklären, dass wir beide ein Glas Wein zu viel intus hatten und dass wir schon einen Riesenkrach hinter uns hatten. Sie ging auf mich los wie eine Furie und ich … ich rastete aus und schlug zurück."
Vader schwieg einen Moment lang, denn hier war sie endlich, die Wahrheit, mit der er Luke weder belasten konnte noch wollte, die ultimative Wahrheit, mit der er seinen Sohn niemals konfrontieren durfte. Luke sollte nie erfahren, dass Anakin Skywalker Taneela auf dem Höhepunkt seiner Rage auf den Wohnzimmerteppich geworfen hatte und über sie hergefallen war. Und dass er sich eine halbe Stunde später ein paar Kleidungsstücke übergeworfen hatte und einfach auf und davon gegangen war, ohne sich auch nur einmal nach ihr umzusehen...
Luke sagte kein Wort, aber er dachte an Bespin. Er wusste nur zu genau, was geschehen konnte, wenn Vader ausrastete und zurückschlug – und das für gewöhnlich ohne jede Rücksicht auf Verluste. Der Gedanke bedrückte ihn sehr. Er fragte sich, ob seine Mutter nach diesem traumatischen Erlebnis wohl auch verletzt gewesen war und wenn ja, wie schwer, aber er wagte nicht, diese Frage laut zu stellen. Noch nicht.
Unwissenheit konnte wirklich ein Segen sein...
„Danach bin ich sofort weg. Ich musste wieder auf eine von meinen Missionen und es dauerte dieses Mal eine kleine Ewigkeit. Und als ich zurückkam, war deine Mutter weg. Spurlos verschwunden, wie ich dir vorhin schon erzählt habe. Und das blieb sie auch, obwohl ich mich wirklich lange Zeit bemüht habe, sie aufzustöbern. Ich habe nie wieder etwas von ihr gesehen oder gehört – das schwöre ich dir!
Es war immer klar, dass jemand ihr dabei geholfen hat unterzutauchen und für mich besteht kein Zweifel daran, dass Obi-Wan dahintersteckte. Er hatte von Anfang an eine kleine Schwäche für deine Mutter, er hatte die Mittel ihr zu helfen und er hatte von seinem Standpunkt aus inzwischen einen guten Grund für den Wunsch, mir einen Denkzettel zu verpassen. Außerdem … wen hätte Taneela sonst um Hilfe bitten sollen? Sie kannte ja kaum jemanden ..."
Dass er selbst Kenobis perfide Einmischung als weiteren Verrat an seiner Person ansah und dass dieser Akt seine ohnehin schon bestehende Feindseligkeit gegenüber den Jedis ganz allgemein auf die Spitze getrieben hatte, verstand sich wirklich von selbst und musste jetzt nicht weiter kommentiert werden, wie Vader fand. Auch die schlussendliche Auslöschung der Jedis und die Folgen, die sich unweigerlich daraus ergeben hatten, mussten hier nicht erörtert werden. Es war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort dafür …
„Ich war wirklich unglaublich wütend auf deine Mutter und ich will gar nicht behaupten, dass ich das längst überwunden habe. Aber ich kann dir sagen, dass ich trotzdem aufrichtig bedaure, was damals geschehen ist. Es hätte alles auch ganz anders enden können und sollen. Doch ich bin nicht alleine dafür verantwortlich, wie es mit uns ausgegangen ist, auch wenn du das jetzt vielleicht immer noch nicht wahrhaben willst, Luke. Deine Mutter hat auf ihre Weise durchaus dazu beigetragen. Und egal, was zwischen uns schiefgegangen ist, sie hatte nicht das Recht, mir meinen Sohn vorzuenthalten!"
Vader atmete einmal tief durch, bevor er sein Fazit abgab. „Und das war es. Der Rest ist Geschichte, wie du vorhin schon so treffend gesagt hast."
Luke nickte nur. Ein Schlusswort von ihm wäre äußerst unangemessen gewesen. Außerdem wusste er beim besten Willen nicht, was er zu alldem hätte sagen sollen.
Aber eines wusste er jetzt genau: Was zwischen seinen Eltern vorgefallen war, war im Grunde etwas, was jedem Paar zu jeder Zeit und in jeder nur denkbaren Lebenssituation hätte zustoßen können. Die Verwandlung seines Vaters in Darth Vader hatte nur am Rande damit zu tun. Die Geschichte seiner Eltern war alles in allem eine traurige … nein, eine tragische Angelegenheit, aber die Sith hatten wahrhaftig kein Monopol auf unglückliche Liebesbeziehungen. Oder auf häusliche Gewalt...
Er fragte sich, wie es wohl mit Anakin Skywalker und Taneela Whitesun weitergegangen wäre, wenn er und Leia auf Coruscant geboren worden wären und ihre Kindheit bei ihnen verbracht hätten. Doch dann sagte er sich, dass es sinnlos war, über eine Vergangenheit nachzugrübeln, die nur als der Schatten einer Möglichkeit existierte. Es war höchste Zeit, in die Gegenwart zurückzukehren, eine Gegenwart, die die Geburtsstunde ihrer aller Zukunft war …
Irgendwo aus den Tiefen der Executor löste sich ein langgezogener Hupton wie der Kampfschrei eines aufgescheuchten Kraytdrachens. Luke, so alarmiert wie man nur sein konnte, wenn man eine Alarmsirene hörte, sprang von seinem Sitz auf und war schon auf halbem Weg zu dem Panoramafenster, als Vader ihn zurückhielt.
„Warte!"
„Sie sind hier!"
„Ich weiß", sagte Vader ruhig. „Es ist so weit. Aber bist du wirklich sicher, dass du das sehen willst, Junge?"
„Ich muss es sehen", sagte Luke leise. „Es ist das Einzige, was ich jetzt noch für sie tun kann."
„Ich würde dir diesen Anblick lieber ersparen, mein Sohn."
Hoffnungslosigkeit fiel auf Luke hinab wie ein unsichtbares, aber bleischweres Netz, das ihn zu Boden zu drücken versuchte.
„Haben sie denn überhaupt keine Chance?" fragte er verzweifelt.
„Nein. Nicht die geringste."
Die absolute Endgültigkeit in Vaders Stimme ließ Luke innerlich frösteln. Und doch …
„Ich muss es sehen", wiederholte er.
„Dann geh und sieh es dir an. Aber was auch immer jetzt da draußen geschieht, denk immer daran, dass es nicht deine Schuld ist. Es gibt nichts, womit du das hättest verhindern können..."
Und damit ließ Vader ihn los und Luke stürmte zu dem Fenster hinüber.
Die Hände gegen das kalte Glas gepresst, jeder Muskel in seinem Körper angespannt, starrte er in die eisig funkelnde Leere des Alls hinaus.
Und vor seinen Augen … so nah und doch so fern … unerreichbar fern ... strömten die Schiffe der Allianz aus dem Hyperraum heraus wie ein Sternschnuppenschauer … Feuerpfeile in der endlosen Nacht ...
