2.
Rokko Kowalski lief mit langen Schritten den Hafen von Porto entlang auf der Suche nach einem weißen Seegelboot.
Am Tag davor...
"Die Kinder sind in Schwerigkeiten!"
Helga Plenske bestürmte Friedrich Seidel, der am Catering saß. Rokko hatte sich nichts weiter dabei gedacht, als Helga ihn nur kurz begrüßt und dann gegangen war, um etwas anderes zu erledigen. Was sollte er auch erwarten, eine Woche nachdem ihre Tochter nicht ihn, sondern David Seidel geheiratet hatte? Er selbst hatte sich ja auch nicht getraut, sie 'Helga' zu nennen und sie mit einem "Guten Morgen, Frau Plenske" begrüßt. Er war nur kurz zu Kerima gekommen, um seine fristlose Kündigung einzureichen, sowie Max seine neue Adresse zu geben, damit sein für diesen Monat ausstehendes Gehalt überwiesen werden konnte. Er war wieder auf dem Weg nach draußen und kam am Catering vorbei, um Helga Plenske, die er wirklich gern als Schwiegermama gehabt hätte, 'Lebe wohl' zu sagen. Als er gehört hatte, wie sie "Die Kinder sind in Schwierigkeiten!" gesagt hatte, konnte er nicht umhin noch nicht um die letzte Ecke zu biegen und den beiden zuzuhören. Lisa in Schwierigkeiten? Sein Herz blieb für einen Moment stehen. Rokkos Beschützerinstinkt in Bezug auf Lisa meldete sich sofort. 'Auf sie muss man wirklich aufpassen'. hatte er mal zu ihr gesagt, woraufhin Lisa trotzig geantwortet hatte, dass man das überhaupt nicht müsse. Und trotzdem war er immer wieder für sie dagewesen: nach dem Pelzskandal, vor, während und nach dem TV-Portrait, während Davids Entführung. Auch wenn es ihm selbst immer wieder Schmerzen bereitete, so konnte er nicht anders, als ihr, Lisa, zu helfen.
"Sie wurden ausgeraubt und haben kein Geld mehr für die Hafengebühren. Man hat David festgenommen! Und Lisa weiß nicht, was sie tun soll. Was können wir nur tun?"
"Ich kann gar nichts tun. Ich habe selbst kein Geld flüssig..."
Rokko war hinter der Wand hervorgetreten und ging ein paar Schritte auf Helga und Seidel senior zu.
"Wo sind sie?"
Helga blickte ihn eine Weile an, bevor sie antwortete: "In Porto."
Rokko nickte und fasste einen Plan. "Ich werde gelich heute Abend hinfliegen."
"Aber was wollen Sie denn tun?" fragte Friedrich Seidel verwirrt.
"Ich werde David aus dem Gefängnis holen."
"Danke! Vielen Dank, Herr Kowalski!" rief ihm Helga noch mit Tränen in den Augen hinterher.
Rokkos Schritte wurden immer schneller, als er ein kleines Boot am hinteren Ende des Hafens entdeckte. Schon von weitem erkannte er Lisa, die mit angezogenen Beinen auf dem Deck kauerte. Er blieb kurz stehen. Sofort kamen all die Gefühle in ihm hoch: seine unabänderliche Liebe zu der Frau, die ihm mehr als ein mal das Herz gebrochen hatte, sein Wunsch, sie glücklich zu sehen, seine Bereitschaft, ihr immer wieder zur Seite zu stehen in Notsituationen. Er atmete tief durch und ging auf das Boot zu.
"Lisa!", rief er, als er davor stand.
Sie blickte auf, wischte sich die Tränen aus dem Augen und rückte ihre Brille zurecht. Sie starrte ihn einen Moment an, als könne sie nicht fassen, dass er es wirklich war.
"Rokko?"
"Ja", versuchte er möglichst locker zu sagen und nickte.
Lisa sprang auf und lief vom Boot hinunter direkt in seine Arme. So nah hatte er ihr nicht kommen wollen. Doch was sollte er tun? Lisa weinte verzweifelt in seine Schulter und klammerte sich fest. Er strich sanft über ihre Haare und murmelte immer wieder "Ssshhh, shhhh, alles wird gut." Lisa erzählte ihm unter Tränen, was passiert war.
"Und ich weiß nicht, was ich tun soll, Rokko! Wir haben kein Geld! Und David sitzt dort fest und wenn wir nicht in den nächsten zwei Tagen bezahlen, wird man mich auch festnehmen!"
"Lisa, komm, leg dich erst mal hin."
"Ich kann mich nicht hinlegen! David-"
"Ich kümmer mich darum. Du legst dich hin und ruhst dich aus. Spätestens morgen früh ist er wieder frei und ihr könnt-" er stockte und musste den Kloß im Hals unterdrücken. "-könnt weiterfahren." Dann lächelte er ihr aufmunternd zu. "Großes Kowalski-Wort! Hey, du weißt doch, ich bin da, wenn du Hilfe brauchst."
Lisa nickte. Als ihr bewusst wurde, dass Rokko, dem sie so weh getan hatte, auch jetzt noch bereit war, ihr zu helfen. Rokko - ihr treuer Freund in jeder Situation. Sie blickte beschämt zu Boden. Dann spürte sie, wie Rokko ihr Kinn sacht anhob.
"Vertrau mir. Okay?"
"Okay", flüsterte Lisa. Sie ging zum Boot zurück, aber Rokko hielt sie noch kurz zurück.
"Ach, und Lisa?"
"Ja?
"Pass auf dich auf, okay? Vor allem auch auf deine Mitmenschen."
Lisa nickte, ging weiter und sah ihm dann hinterher, wie er den Weg zurück in die Stadt nahm.
Rokko dachte unterdessen nur an "seinen Auftrag". Er blendete wie schon damals bei Davids Entführung seine Gefühle für Lisa aus. Du willst, dass sie glücklich ist. Und wenn David der Mann ist, der sie glücklich machen kann, dann wirst du ihn jetzt auch aus dem Gefängnis holen. Er nahm sich ein Taxi und fuhr direkt zur Polizei. Dort angekommen genügten ein paar Sätze auf Portugiesisch, was er perfekt beherrschte, sowie das Geld, dass das Brautpaar der Stadt schuldete und schon war David frei. Der guckte nicht schlecht, als er seinen alten Rivalen sah.
"Kowalski - schon wieder hier, um meine Frau-"
"Herr Seidel, ich muss Ihnen sicher nicht sagen, warum ich hier bin. Ach ja", er holte einen Umschlag aus seiner Jackentasche, "das hier soll ich Ihnen von Ihrem Vater geben."
David nahm den Umschlag und war erfreut darin mehrere tausend Euro zu finden. "Danken Sie dem alten Herren dafür." Dann drehte sich David um und verschwand, ohne noch etwas zu Rokko zu sagen. Rokko nickte nur abwesend für sich und hoffte, dass er noch ein Zimmer für die Nacht finden würde. Er hatte David Seidel so eben drei Monatslöhne in die Hand gedrückt. Er wusste, dass er es nicht angenommen hätte, wenn er ihm gesagt hätte, dass das Geld seins war und nicht von Davids Vater kam. Und morgen geht's ab nach Köln. Hoffentlich schafft David Seidel es dann mal selbst, sich um sich und Lisa zu kümmern.
