4. Kapitel
Hermine saß tief über ein dickes Buch gebeugt an einem Tisch in der Bibliothek. Erst kürzlich hatte sie durch Zufall diese interessante Abhandlung über alte Zaubertränke gefunden. Es war in einem der unteren Regale halb hinter einem anderen Buch gestanden. Anscheinend war es schon lange nicht mehr herausgezogen worden, da es eine recht dicke Staubschicht vorgewiesen hatte. Beinahe liebevoll hatte Hermine das alte Buch gesäubert und sich dann sogleich neugierig daran gemacht, die leicht vergilbten Seiten durchzublättern. Seitdem verbrachte sie jede freie Minute in der Bibliothek über dem Werk. Es handelte sich über alte und zum Teil inzwischen nicht mehr verwendete Zaubertränke. Fasziniert ging Hermine einen Trank nach dem anderen durch. Zu allen Tränken machte sie sich Notizen und Anmerkungen. Es waren bereits einige sehr komplizierte Rezepte dabei gewesen, bei denen sie trotz größter Bemühungen einige Schritte der Zubereitung einfach nicht nachvollziehen konnte. In diesen Fällen sah man sie besonders eifrig Notizen schreiben. Wenn sie auch nach Stunden die Lösung noch nicht gefunden hatte, war sie bereits mehrmals drauf und dran gewesen Professor Snape aufzusuchen um ihn um Erklärungen zu bitten. Mit einem tiefen Seufzer hatte sie aber jedes Mal den Gedanken gleich darauf wieder verworfen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie er sie erst abfällig, der unerwünschten Störung wegen, runterbuttern und anschließend hochkant vor die Tür setzen würde. Diese Erniedrigung konnte sie sich ersparen. Er hackte schon während des Unterrichtes mehr als genug auf ihr herum.
„War ja klar, dass wir dich hier finden würden!", wurde Hermine plötzlich von einer wohlbekannten Stimme aus ihrer Konzentration gerissen. „Kommst du mit uns raus? Heute Nacht ist richtig schön viel Schnee gefallen.", versuchte Ginny ihre Freundin zu überreden. Hermine sah kurz von ihrem Buch auf und sah, dass ihre Freunde vollzählig angetreten waren. Hinter Ginny standen Harry, Ron und Neville und grinsten sie an. Sie waren bereits vollständig gerüstet für eine anständige Schneeballschlacht und warteten jetzt ungeduldig auf sie.
„Eigentlich wollte ich noch dieses Kapitel hier fertig lesen. Ich komme dann gleich nach.", meinte Hermine und wollte sich bereits wieder ihrem Buch zuwenden.
Ginny schnaubte kurz unwillig und stemmte ihre Fäuste in die Hüften. „Nichts da, du hast dich schon lang genug heute in deinen Büchern vergraben."
Kurz sah Hermine das rothaarige Mädchen mit einem gespielt bösen Blick an.
Obwohl Hermine sonst immer sehr empfindlich auf Kommentare über ihren Lerneifer reagierte, so machte es ihr bei Ginny eigentlich nie etwas aus. Sie wusste, dass sie es nicht böse meinte.
„Du weißt schon, dass du aussiehst wie deine Mutter, wenn du so dastehst, oder?" warf sie ihr schließlich entgegen und grinste. Ginny schnaubte daraufhin gleich noch mal und hielt Hermine dann deren Wintermantel entgegen.
Lachend packte diese ihre Unterlagen in ihre Tasche und nahm dem jüngsten Weasley-Sproß den Mantel, Mütze, Handschuhe und Schal ab.
Eine Stunde und etliche Schneebälle später, lagen die Freunde erschöpft nebeneinander im Schnee und unterhielten sich. Gerade eben waren sie auf das kurz bevorstehende Wochenende zu sprechen gekommen.
„Klasse, dass Dumbledore am Ende doch noch die Ausgangssperre aufgehoben hat. Ich war schon so lange nicht mehr im Geschäft von Fred und George. Sie haben mir geschrieben, sie haben ein paar neue ganz tolle Sachen, die wir in den Weihnachtsferien ausprobieren können. Sie wollten mir aber nicht verraten um was es sich handelte.", erzählte Ron aufgeregt.
Harry hingegen war nachdenklich. „Ich trau dem Frieden ja nicht. Sicher unterbricht Voldemort nicht Weihnachten zuliebe seine Angriffe. Dumbledore hat uns bestimmt nicht alles gesagt."
„Aber er hat versichert, es wird für ausreichend Schutz gesorgt sein. Er würde uns doch sicher nicht erlauben nach Hogsmeade zu gehen, wenn es für uns zu gefährlich wäre.", warf Neville ein, aber man sah allen fünf an, dass sie doch ein wenig unsicher waren.
„Sicher ist auf jeden Fall, dass wir uns nicht so frei bewegen können wie sonst, sondern immer unter Aufsicht sind. Was heißt, dass wir wohl kaum die Gelegenheit haben werden die Scherzartikel der Zwillinge ins Schloss zu schmuggeln."
Hermine musste über den enttäuschten Gesichtsausdruck ihrer Freunde lachen und fing sich auch gleich vier böse Blicke ein. Entschuldigend hob sie die Hände und unterdrückte ihr kichern.
„Fred und George schicken euch doch bestimmt wieder genug von ihren Erfindungen zu Weihnachten, dass ihr das Gelände für Wochen unsicher machen könnt!"
Der Gedanke daran besänftigte Ron und Ginny wieder, die an verrückten Einfällen ihren Brüdern in nichts nachstand.
„Du hast schon Recht. Auf jeden Fall bin ich froh, dass wir mal wieder hier raus kommen. So schön es hier ist, aber allein das Wort „Ausgangssperre" gibt einem schon das Gefühl ein Gefangener zu sein! Und jetzt lasst uns wieder hineingehen. Ich hab schon einen Riesenhunger und ein bisschen kalt ist mir inzwischen auch.", plapperte Ginny wieder fröhlich vor sich hin und half Hermine beim aufstehen.
Sie waren auf den Weg in die große Halle zum Abendessen, als ihnen Draco Malfoy mit Grabbe und Goyle im Schlepptau den Weg abschnitt. Ginny und Neville bewusst ignorierend, rempelte er Harry unsanft an.
„Wenn ich du wäre würde ich am Wochenende lieber nicht nach Hogsmeade gehen. Das Schlammblut und dein rotes Wiesel können dir ja nicht immer aus der Patsche helfen!", zischte er Harry im Vorbeigehen abfällig ins Ohr.
Harry wollte Draco schon am Arm festhalten und ihm gehörig die Meinung sahen, aber Hermine hielt ihn zurück. „Geh nicht darauf ein, der will uns doch nur provozieren. Laß uns jetzt essen gehen."
Also warf Harry dem blonden Jungen nur noch einen vernichtenden Blick zu, den dieser kalt lächelnd abtat und vor den Gryffindors hocherhobenen Hauptes die Halle betrat.
Severus hatte den Zwischenfall aus einer Nische beobachtet und saß nun mit grimmiger Miene am Lehrertisch. Der Direktor hatte ihm berichtet, dass Draco nicht im Schlosse gewesen war am vorherigen Sonntag und hatte Severus deshalb darum gebeten ein besonderes Auge auf den Slytherin zu werfen. Zu Anfang hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich den Jungen zu schnappen und mittels Veritasserum dazu zu bringen zu sagen was er weiß. Letztendlich hatte Albus aber entschieden, dass das Risiko zu groß war, dass Lucius davon Wind bekommen würde, denn das würde dann Severus Rolle noch mehr gefährden. Schließlich sollte es ja so aussehen, als wäre Albus vollkommen ahnungslos, was die jüngsten Pläne Voldemorts betrifft.
Zum wiederholten Mal fiel sein Blick auf den Griffondortisch. Während Potter und der Weasley-Junge in ein angeregtes Gespräch, vermutlich über Quidditch, vertieft waren und die giftigen Blicke die Draco ihnen immer wieder mal zuwarft geflissentlich übersahen, so schien das Verhalten des Slytherin der Granger wesentlich mehr auszumachen, als sie kurz vorher zu verstehen gegeben hatte. Sie wirkte nervös und es schien fast so, als könnte sie Dracos Blicke in ihrem Rücken spüren. Ab und zu kaute sie nachdenklich auf ihrer Unterlippe und warf einen Blick auf den Lehrertisch. Severus war klar, dass das Mädchen mit den buschig-lockigen braunen Haaren dem Wochenende wesentlich kritischer entgegenblickte, als das die anderen Schüler taten. Nicht mal Potter schien allzu besorgt, obwohl er ja das primäre Ziel des dunklen Lords war.
Wieder einmal musste er sich eingestehen, dass das Mädchen, obgleich sie eine fürchterliche Besserwisserin war und ihn meist mit ihrer ewigen Fragerei in den Wahnsinn trieb, wohl die begabteste und klügste Schülerin war, die Hogwarts seit langen hatte. Und wie jedes Mal, ärgerte es ihn tierisch, dass sie ausgerechnet eine Gryffindor sein musste.
Severus wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Draco sich ein weiteres Mal kurz Richtung Gryffindor-Tisch drehte. Was hatte der Junge nur im Sinn? Es war offensichtlich, dass Draco in der Sache mit drin steckte. Aber er bezweifelte, dass Lucius seinem Sohn eine wichtige Rolle zugedacht hatte. Zu viel stand für ihn auf dem Spiel. Wie viel also wusste der Junge und was wollte er mit seinen Drohungen gegenüber den Gryffindors bewirken?
