Anm: Danke für die lieben Reviews!!!
"Soll ich nicht mehr weiterlesen?" Lucas war wie vor den Kopf geschlagen.
"Bitte. Mir ist jetzt absolut nicht nach einer Liebesromanze, mein Kopf tut noch immer weh und ich brauche dringend etwas Schlaf.", sagte Dr. Westphalen mit schwacher Stimme. Sie lag in der Mitte des großen Ehebettes leicht aufgerichtet die Decke bis zum Kinn gezogen.
"Na meine üblichen Bücher sind das hier auch nicht." Der Teenager seufzte. "Muss ich gehen?"
Kristin nickte.
"Ich kann auch frischen Tee holen." Der Enthusiasmus des Jungen kehrte zurück.
"Du hast mir bereits dreimal frischen Tee gebrüht. Jetzt ist es genug. Dadurch werde ich auch nicht schneller gesund. Du machst mich viel mehr noch kränker."
Lucas schlug das Buch des Doctors zu und legte es auf den Nachttisch. "Gut, wenn sie etwas brauchen, ich bin unten und gammle vor mich hin, weil ich vor lauter Langeweile nicht weiß was ich sonst tun soll und mir jeder Spaß vergönnt ist."
"Damit erreichst du bei mir nichts. Los, geh jetzt!"
Schweren Schrittes verließ das junge Computergenie das Schlafzimmer, schloss die Tür leise hinter sich und machte sich auf den Weg nach unten. Aus der Küche drang ihm leckerer Bratenduft in die Nase.
"Bist du endlich raus geflogen?", fragte Bridger grinsend am Herd stehend mit einem Holzlöffel in der Hand und rührte in der Pfanne.
"So kann man es nennen. Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben. Das wars dann wohl mit dem Familienausflug." Das Kinn trotzig auf die Hände gestützt setzte er sich an den Tisch.
"Nun mach nicht solch ein Gesicht. Wir werden dort schon noch hingehen und uns die Delphine ansehen, doch ich kann Kristin in ihrem jetzigen Zustand keinen ganzen Tag allein lassen."
"Ich kann doch auch allein hingehen."
"Auf keinen Fall. Deine eigenen Eltern mögen vielleicht so mit dir umgegangen sein, aber nicht bei mir. Wir gehen nur gemeinsam in das Aquarium."
"Und was soll ich die ganze Zeit hier machen? Mir fällt langsam aber sicher die Decke auf den Kopf. Mich mit Lenny oder den anderen treffen darf ich auch nicht, es könnte ja etwas raus kommen oder dieser dumme Junge sich verplappern." Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören.
"Darüber haben wir doch bereits gesprochen.", seufzte Nathan auf. "Die ganze Sache hätte bereits an dem einen Abend auffliegen können. Ich muss dir absolut vertrauen können, doch wenn du dich zutrinkst ist dieses Vertrauen nicht gegeben."
"Ja, fantastisch. Wie lange bekomme ich das jetzt noch nachgetragen?"
"Solange es nötig ist." Bridger holte zwei Porzellanteller aus dem Schrank. "Ich hoffe es schmeckt dir. Mein Essen ist nicht so gut wie Kristins aber ich bin zuversichtlich."
Argwöhnisch sah Lucas auf den Teller. "Sind sie sicher, dass das Zeug nicht krank macht?"
Der Captain aß bereits. "Absolut."
"Vor der nächsten Mathearbeit gibt es wohl kein Entrinnen.", meinte Lucas matt, als er den Löffel in die Hand nahm und vorsichtig einen kleinen Happen probierte. "Ist sogar richtig lecker."
Gegen Abend rief Bridger dann doch einen Arzt, da das Fieber von Dr. Westphalen wieder gestiegen war. Der Arzt legte ihm ans Herz vorsichtshalber ebenfalls sich zu schonen und auf die ersten Anzeichen zu achten. Eine schlimme Grippewelle sei gerade unterwegs und ließ für Bridger und Lucas zusätzliche Medikamente da. Die Ansteckungsgefahr war ziemlich groß zur Freude des Teenagers, der sofort wieder als Krankenschwester neben Kristins Bett Position bezogen hatte, bis ihn Nathan gegen Mitternacht ins Bett scheuchte.
********
Bridger stand bereits angezogen mit seinen Joggingschuhen vor dem Bett des Teenagers und zog an dessen Bettdecke. Leider krallte sich der blonde Junge daran fest, als würde sein Leben davon abhängen. "Lucas!"
"Nein, ich komme nicht mit! Ich bin noch nicht mal richtig eingeschlafen gewesen.", nuschelte Lucas.
Der ältere Mann ließ die Decke los. "Ich bekomme dich schon noch aus dem Bett raus."
Erleichtert stellte Lucas fest, dass Bridger sein Zimmer verließ. Sofort zog er seine halb aus dem Bett hängende Decke wieder zurück, klopfte sein Kissen zurecht und schlief fast sofort wieder ein bis etwas kaltes, glitschiges in sein Gesicht klatschte. Erschrocken fuhr er auf und warf das Ding weit weg. "Was soll das?", rief er empört.
"Stehst du jetzt auf? Ich habe noch weitere Lappen. Alle schön vorher in eiskaltes Wasser getaucht."
"Als Folterer wären sie ein Ass. Wirklich. Sie haben definitiv den falschen Job erwischt." Zufrieden stellte Bridger fest, dass sein kleiner Trick erfolgreich war. Lucas krabbelte bereits auf allen Vieren aus dem Bett. "Ich dachte wir dürfen den Patienten nicht allein lassen.", versuchte Lucas noch immer sich vor dem bevorstehenden Unheil zu bewahren.
Grinsend zwinkerte Bridger ihm zu. "Eine Stunde ist schon in Ordnung. Nun hör auf zu trödeln, sonst sind wir nicht mehr die einzigsten da draußen."
"Dagegen hätte ich nichts einzuwenden, so könnte ich schneller verloren gehen."
"Nichts da. Notfalls leg ich dich an die Leine, dann kannst du gar nicht verschwinden."
Wie war er nur da hinein geraten? Lucas kramte in seinem Schrank. Hatte er überhaupt etwas geeignetes fürs Jogging? Oh ... Schon waren ihm seine Sportsachen aus der Schule in die Hand gefallen. Vor dem Unterricht hatte er sich genauso wenig erfolgreich drücken können wie vor Bridgers Laufwahn. Die Schwimmmanschaft wäre was für ihn, doch er zog es vor so zu schwimmen wie er wollte und nicht auf Zeit und Schnelligkeit.
Als er hinunter ging schlief er bei jedem Schritt fast ein, der ältere Mann war stand schon halb vor der Haustür.
Blinzelnd sah Lucas auf den Vorgarten. "Da oben sind noch die Sterne zu sehen."
"Da sind gar keine Sterne mehr. Nun hör auf mit dem Unsinn und nimm deine Beine in die Hand." Bridger lief los und zog Lucas am Unterarm hinterher.
"Nicht so schnell, ich schlafe doch noch halb."
"Genau darum mach ich schneller. Du solltest langsam aufwachen."
Sie joggten bis zum Ende der Wohnsiedlung hinein in ein kleines Waldstück. "Wahnsinn, da vorn kommen noch mehr solche Verrückte wie sie.", keuchte Lucas als ihnen ein Joggerpaar entgegen kam.
"Oh nein, das darf nicht wahr sein. Charlie, aus! Ich kann doch nicht bremsen.", schrie von hinten jemand und im nächsten Moment lag Lucas am Boden. Ein fröhlich bellender Hund hüpfte auf seinem Rücken herum abwechselnd schleckte er ihm das Gesicht und sprang zu Bridger. Wenige Augenblicke später knallte Lenny über Lucas drüber, da er auf seinen Inline- Skates viel zu schnell war und nicht mehr ausweichen konnte.
"Ihr beiden zieht Pech an wie das Blut die Haie.", stellte Bridger kopfschüttelnd fest. Sein Atem ging keuchend. Er hatte seine Hände in die Hüften gestemmt und lies sich von Charlie, die Beine abschlecken. "Seid ihr in Ordnung?", fragte Nathan nun doch besorgt.
"Mit mir wohl schon. Das war nicht mein schlimmster Sturz.", sagte Lenny als er versuchte aufzustehen, doch er rollte immer wieder weg.
"Du solltest mit Charlie mal zum Tierpsychologen gehen, täte ihm bestimmt gut. Andauernd springt der mich an.", meckerte Lucas. Sein Knie blutete leicht.
"Hundetraining wäre billiger.", schlug Lenny immer noch auf dem Betonweg sitzend vor.
Lucas schüttelte energisch den Kopf. "Nein. Bei dem hilft da nichts mehr. Lass ihn hypnotisieren und ihm einreden er sei ein Fisch oder eine Raupe. Alles, bloß kein Hund mehr."
"Er mag dich aber.", lachte Bridger, denn der Hund war bereits wieder bei dem jungen Genie und sprang aufgeregt um ihn herum. Nathan half während dessen Lenny wieder auf die Beine, noch immer schwer keuchend. Heute strengte ihn der Morgensport mehr an als sonst. "Danke. Ich hielt es für eine gute Idee mit den Dingern mal Gassie zu gehen. Auf diese Weise kann er sich richtig austoben. Leider bin ich zu doof mit den Dingern zu fahren."
"Das ist eine gute Idee."
"Finde ich auch.", pflichtete Bridger Lucas bei.
"Keine gute Idee. Wenn ich mit gebrochenem Knöchel im Bett liege muss ich demnächst im Rollstuhl Charlie ausführen, was noch gefährlicher wird."
"Nein, das meinte ich nicht.", winkte Lucas ab. "Welche Größe haben die Skates?"
"Warum willst du das wissen?", fragte Bridger skeptisch. "Wir probieren hier jetzt keine Schuhe an, wir müssen weiter. Zu lange Pausen bringen das ganze Programm durcheinander."
"Das Programm habe ich im Nu wieder drinnen." Der blonde Teenager legte seinem Freund den Arm um die Schulter. "Denn im Gegensatz zu Lenny bin ich ein hervorragender Skater und das behagt mir weit mehr als dieses doofe Rumgehopse."
"Nimmst du Charlie mit?" Lenny hielt ihm sofort die Leine hin.
"Klar, ich nehme Charlie und du joggst mit meinem Vater. Das ist doch ein Deal! Ich kann skaten, der Hund ist schon vor dem Mittag bis an seine Grenzen gebracht worden und der verrückte Jogger befriedigt, weil er einen jüngeren Partner an seiner Seite während der Runde zu gottloser Stunde hat."
"Wenn es ihnen nichts ausmacht?", fragte Lenny Bridger.
"Um ihn zum Joggen zu bewegen ist er nicht aus dem Bett zu kriegen, aber mit diesen Rollschuhen will er plötzlich bis ans Ende der Welt fahren." Für den Captain stellte Lucas ein Rätsel dar.
"Unter den Umständen kann er ruhig jeden morgen mit Charlie seine Runde drehen. Ich leih dir die Teufelsdinger gerne, so wie es aussieht lerne ich das sowieso nicht mehr."
"Gerne.", strahlte der blonde Junge.
"Wie bitte? Ich habe mich wohl verhört?", fragte Nathan fassungslos.
Lenny zog bereits seine Skates aus.
"Nein, denn es besteht ein Unterschied zwischen Skaten und Hopsen durch den Wald wie ein Känguruh. Das eine kann man immer machen und bei dem anderen sind die Zeiten zu denen die Welt noch schläft am geeignetsten." Mit gerunzelter Stirn fügte Lucas noch hinzu. "Besonders bei meinem Fahrstil." Er zog den ersten Schuh an. Seine Turnschuhe übergab er Lenny. "Passt perfekt."
"Soll das heißen ich muss damit rechnen, dass wir die Krücken wieder brauchen?"
"Dein Vater traut dir nicht.", grinste Lenny. "Ehrlich gesagt meiner auch nicht, der hat mir schon einige Empfehlungen mitgegeben, wie ich am schnellsten bei einem Sturz ins Krankenhaus kommen kann. Darunter Ratschläge wie, schrei so laut du kannst, damit dich jemand findet, falls das nicht möglich ist, ruf mich an. So bin ich zu meinem neuesten elektronischen Spielzeug gekommen."
"Dafür gibt es keinen Grund. Der einzige der Krücken benötigt nachdem ich losgefahren bin, sind die Leute die mir im Weg stehen. Oder Radfahrer. Nichts ist schlimmer, als Radfahrer, die meinen sie könnten fahren wie sie wollen, nur weil sie es mit einem Skater zu tun haben. Die wissen gar nicht, wieviel Platz ich zum Schwung holen brauche. Gib mir Charlies Leine." Lenny drückte diese Lucas in die Hand. Schon fuhr er langsam einige Meter. "Bin zwar eine Weile nicht mehr gefahren, aber nach den ersten paar Metern sollte es gehen."
"Willst du nicht lieber noch Lenny's Schoner anziehen?", fragte Bridger als er Lucas hinterher sah wie dieser bereits um eine Kurve verschwinden wollte, dann kam er zurück.
"Klar. Habe ich ganz vergessen.", grinste er. "Ist toll wieder in solchen Dingern zu stecken."
"Besorg dir doch auch welche. Vielleicht kannst du es mir dann ja mal beibringen. Du siehst zumindest nicht so begossen aus wie ich." Lucas' Freund übergab ihm die Knie- und Ellenbogenschoner. "Für die Handgelenke habe ich auch welche." Er kramte in seinem Rucksack.
Als Lucas alles angelegt hatte sah er sich suchend nach dem Hund um. "Wo ist Charlie hin?"
"Oh nein.", stöhnte Lenny auf. "Nicht schon wieder."
"Wenn ihr beiden kurz eure mit Flausen gefüllten Köpfe dort rüber wendet, seht ihr das Tier wie es freudig einen Vogel ärgert."
Lenny lief von dem Teerweg hinunter zu seinem Hund. "Ich hol ihn."
"Wir sollten dann aber unsere Runde beenden. Kristin müsste bald aufwachen und ich wäre bis dahin gerne zu Hause.", sagte Bridger etwas leiser zu Lucas.
"Ja, keine Sorge. Ich bin auf den Dingern sowieso schneller. Charlie und ich sind schon lange vor euch wieder zu Hause. Komm her, mein Junge." Mit auf und ab hüpfenden Ohren sprang der Hund auf Lucas zu. "Wir zwei zeigen den beiden jetzt mal wie man ordentlich Spaß hat." Er nahm die Leine und fuhr kräftig Schwung holend los.
"Pass auf, Lucas. Einen Kranken zu pflegen reicht mir vorerst.", rief Bridger dem Teenager hinterher.
"Hat die Grippe bei ihnen auch zugeschlagen?", fragte Lenny den älteren Mann.
"Bei euch wohl auch?"
"Ja, meine Schwester. Doch solange ich ständig draußen bin und mein Immunsystem dank Charlie stärke, bin ich zuversichtlich es nicht zu bekommen."
"Dann werden wir dieses noch etwas mehr stärken. Joggen wir los. Ich habe so das Gefühl Lucas dreht hier mehrere Runde und wird nicht mehr von deinen rollenden Schuhen loskommen, wenn er zu lange damit spielen kann."
********
Lucas stand vor der Badezimmertür. "Ist wirklich alles in Ordnung mit ihnen, Captain?"
"Ja, ja, es geht schon wieder.", kam die gedämpfte Stimme Bridgers aus dem Badezimmer. "Das Essen scheint nicht so gut gewesen zu sein."
"Wieso denn das? Ich habe doch dieselbe Pizza gegessen wie sie. Sagen sie bloß nicht, sie werden auch noch krank. Wenn sie und der Doctor in einen Fieberwahn geraten weiß ich nicht, wie ich ihnen helfen soll. Über diese Art von Viren weiß ich nämlich nicht Bescheid."
"Hör auf mit deinen Witzen und geh von der Tür weg.", befahl Bridger.
Die unfreundliche Stimme brachte das Computergenie dazu wegzugehen.
"Lucas?", rief schwach die Stimme Westphalens.
"Ja?" Er sah um die Ecke ins Schlafzimmer.
"Geht es Nathan nicht gut?"
"Ich denke nicht. Er schien sich heute morgen beim Joggen schon angestrengt zu haben. So wie es aussieht, können sie beide demnächst sich Gesellschaft leisten. Brauchen sie etwas?"
"Nein. Aber sieh lieber nach, Nathan." Etwas fester fügte sie hinzu. "Und lass dich bloß nicht abwimmeln!"
"Ist gut.", lachte Lucas. Also ging er wieder zum Bad zurück, wo der Captain dieses gerade mit blaßem Gesicht verließ.
"Du bist ja schon wieder hier."
"Sie sollten sich lieber hinlegen und was von der Medizin nehmen, die uns der Arzt dagelassen hat.", meinte Lucas mit sorgenvoller Stimme.
"Erzähl keinen Unsinn. Ich bin kerngesund."
"Auf ihrer Stirn sind Schweißperlen und ihr Gesicht ist von der Tapete nicht mehr zu unterscheiden. Ihre Lippen waren noch nie so weiß wie jetzt. Zumindest nicht seit ich sie kenne."
"Du gibst nicht auf, was? Na gut, ich werde mich ein wenig hinlegen, aber tu mir bitte den Gefallen und komme nicht auf die Idee mir Tee bringen oder etwas vorlesen zu wollen. Ich habe gestern gesehen wie sehr du nerven kannst. Es ist lieb von dir gemeint, aber lass mich einfach nur krank sein, sollte ich es denn sein." Langsam schleppte der Captain sich ins Schlafzimmer. Dort redete ihm Kristin noch etwas ins Gewissen und Lucas musste anschließend ein Glas Wasser holen, damit er die Tabletten gegen die Übelkeit nehmen konnte.
Lucas ging hinunter ins Wohnzimmer. Was machte er nun? Nun war der Captain wohl auch noch krank. Besser wäre es gewesen hätte es ihn getroffen. Er hasste Mour mit jedem Tag mehr und wollte einfach nicht mehr in die Schule und das nicht nur wegen des Mathelehrers. Gerade hatte er sich auf die Couch fallen lassen und den Fernseher eingeschalten, als es klingelte. Genervt stand er wieder auf.
"Hallöchen! Als ich meiner Mutter erzählte, dass deine mit Grippe im Bett liegt hat sie gleich einen riesen Topf mit Hühnersuppe gekocht. Die eine Hälfte für meine Schwester die andere für deine Mutter." Lenny hielt ihm die Schüssel unter die Nase.
Der leckere Geruch ließ sämtliches Wasser aus seinem Mund schwinden. "Vielen Dank! Mein Vater liegt jetzt auch oben, die werden sich das Süppchen wohl teilen müssen.", grinste Lucas. "Obwohl, der hat gerade die Pizza die Toilette runter gespült. Ich glaube der isst wohl eher doch nichts."
Lenny nahm einen mitleidsvollen Gesichtsausdruck an. "So ein Mist. Musst du jetzt hier den Krankenpfleger spielen, was? Mich regt es schon auf das eine oder andere für meine Schwester zu holen, doch du musste für beide springen und hast noch nicht mal Eltern, die sich mehr drum kümmern könnten. Hm, dabei wollte ich gerade fragen, ob du Lust hättest nochmal mit mir und Charlie mitzukommen. Bei dem Wald von heute morgen gibt es ganz in der Nähe einen See. Zwar ist es zum schwimmen bereits zu kalt, aber trotzdem ist es immer ganz schön dort."
"Tut mir leid. Aber ich werde wohl nicht weg können." Liebend gerne wäre Lucas mit seinem neuen Freund mitgekommen. Alles wäre ihm lieber gewesen als dieser doofe Flimmerkasten und Zeitschriften, die er zur Verfügung hatte.
"Ach, kein Problem. Dann machen wir das ein anders Mal. Muss ich morgen früh dann wieder selbst mit den Skates zurechtkommen?"
"Fürchte ich. Fahr doch hier vor eurem Haus ein wenig ohne Charlie, einfach nur um wenigstens das Gleichgewicht schon mal halten zu können."
"Nein, das wird nichts. Charlie folgt mir überallhin. Außerdem würde mein Vater ihn spätestens wenn er mich draußen sieht raus jagen. Was unweigerlich dazu führt, dass entweder ich oder ein ahnungsloser Fußgänger wie du im Dreck liegt." Als Lenny erwähnte wie Charlie ihm überallhin folgte war es für Lucas wie ein Stich ins Herz. Zu gerne würde er ein wenig mit Darwin spielen oder einfach nur rumblödeln. Der Delphin fehlte ihm sehr.
"Ich frag nachher mal nach, ob ich morgen früh mit euch mit kann. Während ich in der Schule bin, wären die sowieso alleine."
"Danke, Lucas. Bis morgen früh dann, vielleicht sehen wir uns vor der Schule. Wäre schön."
"Bis morgen." Lucas schloss die Tür. Was sollte er jetzt mit der großen Schüssel machen? Kein Wunder, weshalb Lenny immer so hilfsbereit war. Das hatte er eindeutig von seiner Mutter. Die Frau kannte diese Leute nicht und kochte trotzdem für sie ein Essen. Die Nachbarn der Wolenczaks hatten sich auch ab und an mal um ihn gekümmert, aber das waren auch meist die Eltern seiner Freunde, die die Situation bei ihm in der Familie live mitbekamen. Er stellte die Schüssel auf den Küchentisch und sah nach seinen Patienten.
"Wer war denn da?", fragte Bridger, der immer noch ziemlich schlimm aussah.
"Lenny. Seine Mutter hat für Dr. Westphalen eine Hühnersuppe gekocht. Haben sie ihm heute morgen von der Grippe erzählt?" Er ließ sich auf der Bettkante am Fussende nieder.
"Ja, ich habe es erwähnt.", antwortete Bridger.
"Was? Du redest mit fremden Leuten über mich?", Kristin schien trotz fortgeschrittener Krankheit doch besser bei Kräften zu sein als der Captain.
"Nur ganz beiläufig, weil ich Angst hatte Lucas würde sich auf Lenny's Skates sämtliche Knochen brechen und ich keine zwei Kranken pflegen wollte."
"Satt dessen darf ich das nun tun.", meinte Lucas mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Dabei bin ich ein hervorragender Skater, bei dem mit Knochenbrüchen nicht bei jedem Ausflug zu rechnen ist. Im Gegensatz zu Lenny, sollte er nicht bald lernen wie er gefahrenlos geradeaus fahren kann."
Bridger ließ sich schwer ins Kissen fallen. "Du bist dazu nicht in der Lage uns zu pflegen." Westphalen sah ihn sorgenvoll an. Mit ihrer rechten Hand fuhr sie ihm liebevoll über die Stirn. "Du bist richtig niedlich, wenn du leidest.", kicherte sie. "Und du hast Fieber."
"Soll ich das Thermometer holen oder reichen die Tabletten?", fragte Lucas.
"Beides. Ich spüre auch schon wieder wie meine Temperartur steigt." Der Teenager tat wie ihm Kristin aufgetragen hatte. Zwei Minuten später nahmen die beiden Erwachsenen ihre Tabletten gegen das Fieber.
"Wenn ich auch krank werde, darf ich mich dann in die Mitte legen?"
"Du wirst nicht krank.", sagte Bridger. "Erstens ist dein Appetit nach wie vor ungebrochen und sobald du auf Rollschuhen stehst schnell wie der Blitz aus meiner Reichweite verschwunden. Raus jetzt, ich will schlafen."
"Das ist eine gute Idee. Ich bin auch müde." Kristin legte sich hin.
"Sie haben heute den ganzen Tag noch nichts gegessen, Doctor."
"Ich weiß, Lucas. Nachher werde ich etwas von der Hühnersuppe probieren, die uns unsere nette Nachbarin gemacht hat. Stellst du diese bis dahin in den Kühlschrank? Und lass hier bitte die Tür offen. Falls was ist, können wir dich so rufen. Bleib also nicht unten, sondern komm wieder rauf."
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Das konnte doch nicht wahr sein. Zum vierten Mal rief jetzt einer aus dem Schlafzimmer nach ihm. Gerade als er beinahe eingeschlafen wäre. Schweren Herzens schlurfte Lucas zu seinen beiden Patienten. "Was gibt's nun schon wieder? Ist der Tee zu kalt, die Wärmflasche undicht oder einfach nur die sadistische Veranlagung mich vom Schlafen abzuhalten?"
"Du weißt genau, dass ich das nicht machen würde. Könntest du bitte mal nach Nathan sehen? Seit dem du ihn vorhin zum Badezimmer begleitet hast ist er nicht mehr zurück gekommen.", bat ihn eine schwache Dr. Westphalen. Sie war heiser und brachte kaum noch einen Ton heraus.
"Er hätte ihnen die Suppe nicht wegessen sollen, dann müsste er es jetzt nicht ständig wieder rauswürgen. Wahrscheinlich hat er bereits nur eingesehen, dass es sich in der Badewanne besser schläft als in einem gemütlichen warmen Bett." Der Teenager drehte sich bereits herum. Da sowieso alle wach waren schaltete er das Licht im Flur an, sonst rannte er womöglich noch gegen irgend etwas. Würgegeräusche aus dem Badezimmer sagten ihm, dass der Captain sich nicht in die Badewanne schlafen gelegt hatte.
"Ist alles in Ordnung?" Ein selten dämliche Frage, wie Lucas erst nachdem er sie gestellt hatte in den Sinn kam. Natürlich war nichts in Ordnung. Der Doctor liegt mit hohem Fieber im Bett und der Captain übergab sich am laufenden Bann. Es wurde still im Bad. "Soll ich rein kommen?"
"Nein.", krächzte Bridger. "Es geht schon. Ich komme gleich."
"Ganz sicher?"
"Ja. Geh schlafen, du musst morgen früh raus."
Lucas wartete jedoch. Spätestens wenn er wieder fast eingeschlafen war, würde einer der beiden ihn erneut aus dem Bett holen. Die Schule war ihm egal. Für ihn spielte sie keine solche Rolle wie für andere. Das schienen seine beiden Scheineltern noch nicht so ganz begriffen zu haben. Er hatte sie am Nachmittag gehört, wie sie leise über seinen Brief gesprochen hatten. Nun ihm sollte es recht sein. Zumindest kümmerten sie sich um Angelegenheiten, die ihn betrafen. Nicht so seine eigenen Eltern. Er hatte zwar nie Probleme in der Schule gehabt, aber zu Elternabenden sind sie nie erschienen und auch wenn wegen seiner überdurchschnittlichen Intelligenz eine weitere Klasse überspringen sollte, haben sie sich nie mit den Lehrern unterhalten sondern nur einen Vertreter geschickt, der in Vollmacht die nötigen Papiere unterschrieb.
Bridger, mit roten Augen und tiefen schwarzen Ringen darunter und eingefallenem Gesicht, kam endlich wieder aus dem Bad. "Du solltest doch ins Bett gehen."
Der Teenager hakte sich am rechten Arm des UEO Captains ein. "Ich werde nicht viel schlafen können. Sie sehen schlimmer aus als ein Geist. So weiß sind sie im Gesicht. Sind sie überhaupt sicher, dass diese ganzen Medikamente wirken?"
"Das ist ganz normal. So etwas braucht seine Zeit. Eine Grippe ist nicht von heute auf morgen wieder weg."
"Dennoch kann ich sie nicht allein lassen morgen. Ich habe schon Lenny angerufen, dass ich nicht mit ihm und Charlie vor der Schule noch in den Wald gehe. Und für sie ist Jogging auch gestrichen." Dabei erhob der blonde Teenager ermahnend den Zeigefinger.
"Keine Sorge," Bridger versuchte zu lächeln. "ich lauf dir garantiert nicht weg. Du könntest mir aber noch etwas zum trinken bringen, wenn du schon nicht schlafen gehen willst." Der ältere Mann ließ sich schwer ins Bett fallen. Kristin sah ihn sorgenvoll an, dabei war ihr die Krankheit noch mehr anzusehen als ihm. "Du holst ihm nichts zu trinken, Lucas!", sagte sie zwar schwach aber dennoch energisch.
"Ich habe wahnsinnigen Durst, Kristin.", stöhnte Nathan.
"Das kann ich mir vorstellen, doch wenn du jetzt wieder etwas zu dir nimmst, dauert es nicht lange und du übergibst dich erneut. Du kannst ein paar Magentropfen zu dir nehmen, oder einen kleinen Löffel Tee, doch nicht mehr."
"Ein kleiner Löffel ist erlaubt?"
"Ja, aber nicht mehr."
"Dann will ich den haben."
Lucas nahm die leeren Tassen von den beiden Nachttischen und ging damit in die Küche. Nun musste er doch wieder Tee kochen. Langsam hatte er es echt drauf. Seine Mutter würde in Ohnmacht fallen, könnte sie ihn jetzt sehen. Mit dem Spülen klappte es ebenfalls einigermaßen. Na gut, nicht so ganz. Bridger hatte mehrmals neue Tassen verlangt, weil die die er von dem Teenager bekam nicht sauber genug war. Lucas war sich sicher, dass der Captain das nur machte um ihm mehr Disziplin im Haushalt einzutrichtern. Aus dem Besteckkasten zog er einen kleinen Löffel, vorsichtig stieg er die wenigen Stufen zum Obergeschoss mit einer vollen Tasse frisch gebrühten Kamillentee hinauf.
"Der Getränkemann ist da. Nur ein Löffel für den Herrn und die Dame bekommt die Tasse." Wie er es sagte, verteilte er auch. Den silbernen Teelöffel drückte er Bridger in die Hand und Westphalen bekam die Tasse auf den Tisch gestellt.
"Danke. Du solltest jetzt besser schlafen gehen, sonst schläfst du morgen in der Schule ein.", sagte Kristin.
"Und wir bekommen noch so einen Brief.", versuchte Bridger zu scherzen, doch sein Lachen ging in einem Hustenanfall unter.
"Ach, darüber wollte ich noch mit euch reden. Nicht über den Brief, sondern die Schule. Wäre es nicht besser, wenn ich morgen zu Hause bleibe. So kann sich rund um die Uhr jemand um euch kümmern. Ihr könnt doch nicht aus dem Bett. Selbst zum Bad schafft es keiner alleine."
Der Husten hatte sich etwas beruhigt. "Ich verstehe deinen Groll gegenüber dieser Schule und deinem Lehrer, aber ich werde es nicht dulden, dass du hier bleibst. Du gehst morgen in die Schule und Schluss damit."
"Captain!", bettelte Lucas. "Sehen sie sich doch an. Ihnen geht es hundeelend und wenn irgend etwas ist, dann kann Dr. Westphalen ihnen noch nicht einmal Hilfe rufen, weil sie keinen einzigen Ton herausbekommt."
"Vielen Dank.", krächzte Kristin. "Aber Nathan hat recht. Du schwänzt auf keinen Fall die Schule. Wärest du ebenfalls krank, würde es sich um eine andere Situation handeln, doch so nicht."
"Dann erwartet aber nicht, dass ich jetzt noch einmal komme.", meinte Lucas wütend und stapfte aus dem Schlafzimmer. Die beiden Erwachsenen hörten wie krachend die Zimmertür des Teenagers ins Schloss fiel.
Kristin lächelte Bridger an. Zärtlich fuhr sie ihm über die Stirn. "Ich werde jetzt auch versuchen etwas zu schlafen. Einer von uns beiden muss doch morgen früh aufpassen, dass unser lieber Sohn auch wirklich in die Schule geht."
"Ja, ich bin auch ziemlich müde. Kann ich vorher aber noch meinen versprochenen Löffel Tee haben?"
"Natürlich."
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"Einen wunderschönen guten Morgen alle miteinander.", kam Lenny mit ausgebreiteten Armen durchs Klassenzimmer rufend durch die Tür.
Lucas knallte mit dem Kopf auf die Tischplatte. "Ich bin so K.O!"
"Hey, was denn, du warst heute morgen gar nicht dabei als Charlie plötzlich Eichhörnchen jagen musste. Ein Glück, dass ich die Skates nicht anhatte." Er grinste breit. "Sonst würden mich jetzt noch welche vom Baum abzukratzen versuchen."
"Zum Glück war ich nicht dabei. Dann hätte ich es nämlich gar nicht erst bis hierher geschafft." Lucas dachte nach. "Oh, das war kein Glück, sondern Unglück!"
"Haha, sieht so aus. Was machen deine Eltern, geht es ihnen besser?" Der Freund des Computergenies ließ sich neben ihm auf den Stuhl sinken. Seine Jeans waren mit Grasflecken und kleineren Rissen übersäht, als er den Blick von Lucas bemerkte, meinte er nur beiläufig: "Ein kleines Unglück passiert pro Tag mit dem Hund."
Lucas nickte wissend. "Meine Eltern sind der Grund für meinen topfitten Zustand. Die ganze Nacht haben die irgend etwas von mir haben wollen. Nachdem mein Vater mit Kotzen fertig war haben sie mich ins Bett gejagt und mir zu verstehen gegeben, dass ich in die Schule zu gehen habe. Da war denn endlich einmal Ruhe." Der blonde Junge machte eine kurze Pause. Sein Blick hatte einen bestimmten Punkt an der Tafel fixiert ohne jedoch wirklich darauf zu sehen. "Für zwei Stunden. Dann musste ich wieder andauernd kommen und sie mit Zeitschriften, Büchern, Tee, heißes Wasser für die Wärmflasche, Eisbeutel gegen Fieber oder einfach nur Tabletten versorgen. Eins schwöre ich dir. Heute Nacht, gibt es das Theater nicht. Ich steck die beiden in ein Krankenhaus, ob die sie dort wollen oder nicht. Ich werde den Chef des Ladens mit all meinem Geld bestechen, dann müssen sie die nehmen."
"Hallo. Morgen. Her mit den Hausaufgaben!", flitzte Chris seinem alltäglichen Ritual vor der Mathestunde folgend zu Lenny. Der konnte gar nicht so schnell reagieren wie der blonde Junge seine Finger in seinem Rucksack hatte. "Nur keine Mühe, ich finde sie schon."
"Klasse! Das wird immer besser.", stöhnte Lucas.
"Morgen. Hey, du siehst aber gar nicht gut aus. Ist was?", fragte Nen. Nen war ein weiterer Freund von Lucas, den er gleich an seinem ersten Schultag hier kennengelernt hatte und zusammen mit Chris und Lenny dafür sorgte, dass diese ganze Sache nicht ganz so unangenehm für ihn war.
"Ja, ich habe diese doofe Hausaufgaben nicht. Vor lauter Krankenpflege bin ich nicht mehr dazu gekommen. Und damit mein Glück perfekt wird, taucht der Feldwebel auch noch fünf Minuten zu früh auf." Entmutigt ließ er zur Unterstreichung seines Elends die flache Handkante auf den Tisch fallen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
"Was? Mist.", stöhnte Chris auf und drehte sich blitzschnell auf seinem Stuhl herum, als hätte er nie mit Lenny gesprochen. Dessen Hausaufgaben ließ er unter der Bank wieder zurück gleiten.
"Guten morgen Herrschaften.", begrüßte sie Mr. Mour. Auch er hatte seine allmorgendliche Routine, die darin bestand seine Tasche und die Bücher abzulegen und anschließend die Anwesenheit der Schüler zu kontrollieren. Da er heute viel zu früh dran war, fehlten natürlich noch gut zwei fünftel der Klasse. Geduldig und mit strengem Blick wartete er auf die Nachzügler bis er pünktlich zum Unterrichtsbeginn die Hausaufgaben kontrollieren wollte. Bei Chris blieb er stehen. Er sah über den Rand seiner Brille hinweg den blonden Jungen an. "Mister Clearmont, können sie mir erklären, warum sie nur die Hälfte der Aufgaben haben?"
"Ähm, naja, wissen sie, es war einfach so, dass ich den ganzen Nachmittag mir den Kopf darüber zerbrochen habe und mehr konnte ich einfach nicht. Sie waren viel zu schwer.", versuchte Chris sich heraus zu reden.
"So, so?" Mr. Mour glaubte das ganz und gar nicht. Lucas würde es als Lehrer auch nicht glauben. Das derzeitige Thema der Klasse gehörte noch zu den Grundlagen und war außerdem etwas recht einfaches, bei dem man nicht viel denken musste, sondern nur die richtigen Formeln verwenden.
"Dann wird es ihnen sicherlich nichts ausmachen heute nach dem Unterricht zu mir zu kommen und die restlichen Aufgaben sowie die heutige Hausaufgabe beim Nachsitzen zu lösen."
"Och nö!", stöhnte Chris auf. "Das können sie doch nicht machen!"
"Das kann ich.", sagte Mr. Mour nur und ging weiter zu Lenny, nur um bei Lucas erneut stehen zu bleiben.
"Mr. Bridger!" Mour holte tief Luft, wie Lucas hören konnte. Jetzt würde es was tolles geben. Alle Gesichter der Klasse waren bereits auf ihn gerichtet. Chris würde heute bestimmt Gesellschaft haben. "Wie ich sehe interessiert es ihre Eltern nicht besonders, was sie von Hausaufgaben halten, nicht wahr? Oder ist mein Brief nicht bei ihnen angekommen. Eigentlich hatte ich erwartet gerade von ihnen heute einmal die Hausaufgaben gemacht zu sehen."
"Tja, den Brief haben sie bekommen und werden auch mit ihnen reden, leider gibt es da nur ein kleines Problem.", meinte Lucas locker.
"Das wäre." Der Lehrer drückte seinen Rücken durch und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Sie liegen beide krank im Bett und ich habe über den ganzen Trubel zu Hause schlichtweg die Hausaufgaben vergessen wie die zwei auch."
"Ich soll ihnen das doch wohl nicht wirklich abkaufen?", fragte Mr. Mour verächtlich.
"Das weiß ich doch nicht, wie weit ihr Vertrauen ihren Schülern gegenüber reicht. Ich habe ihnen gesagt, weshalb ich meine Hausaufgaben nicht habe und sie müssen jetzt entscheiden, ob ihnen das reicht oder sie einen weiteren Brief an meine Eltern schicken wollen."
"Für ihre Frechheiten dürfen sie Mr. Clearmont heute Gesellschaft leisten." Er hatte es gewusst. Hoffentlich ging es seinen beiden Kranken zu Hause auch wirklich gut genug. Chris schien die Aussicht auf Gesellschaft am Nachmittag zu freuen. Er zwinkerte dem Computergenie grinsend zu. "Damit aber nicht genug. Sie erhalten die einzigartige Ehre dies die ganze Woche zu tun, Mr. Bridger. Vielleicht lernen sie dann endlich einmal, dass man unter einer linearen Gleichung keine besondere Art von Lineal versteht."
"Nicht?" Das hatte der Teenager nicht unterdrücken können. Mr. Mours Gesicht war rot vor Wut angelaufen. Den hatte er mit diesem einen Wort ordentlich den Tag versaut. Zumindest ein guter Aspekt.
"Passen sie auf, junger Mann, sie sind auf dem besten Wege die seltene Gelegenheit zu erhalten einen ganzen Monat lang Nachsitzen zu dürfen.", warnte der Mathelehrer ihn bevor er die restlichen Schüler kontrollierte. Anschließend ging er wieder vor zur Tafel. "Nun, da sie bis auf unsere beiden Nachsitzkandidaten alle ihre Hausaufgaben gemacht haben, sehe ich keinen Grund, warum ich ihre Übung vom Wochenende nicht testen sollte. Packen sie sämtliche Unterlagen vom Tisch!"
Die Klasse stöhnte auf. Montag morgen gleich einen Test zu schreiben war schon nahe an der Grenze zur Hölle. Lucas hatte keine Lust sich wieder neue Lösungen auszudenken, die so falsch waren, dass man meinen könnte er hätte noch nie eine mathematische Gleichung gesehen. Ob er sich den Spaß erlauben sollte mal alles richtig zu lösen? Ja, das würde er tun! Genau, als Strafe für das Nachsitzen. In dieser Stunde saß für kurze Zeit Lucas Wolenczak im Klassenzimmer und versuchte wie ein normaler Teenager einen Test zu lösen auf den er sich sehr gut vorbereitet hatte. Er ließ sich Zeit mit den Aufgaben. In den vergangenen Stunden hatte er genügend mitbekommen um zu wissen, welche Lösungswege Anwendung fanden und welche er besser nicht benutzte, um nicht aufzufallen. Dem alten Mour würden bei der Korrektur die Augen raus fallen.
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"Ihr könnt, sobald ihr brav eure Aufgaben gelöst habt, doch zu mir in die Halle kommen. Wenn bei uns das Training aus ist, gehen die meisten Nachsitzer ebenfalls nach Hause. Was haltet ihr davon?", sagte Lenny als sie die Mathestunde endlich hinter sich hatten und zum nächsten Klassenzimmer gingen. Montagnachmittag fand immer das Training der Basketballmannschaft statt.
"Ich muss erst einmal zu Hause anrufen und Bescheid sagen, dass der nächste Teeexpress mit Verspätung kommt.", maulte Lucas.
"Gehen wir anschließend in den neuen Diner?", fragte Chris sofort.
"Wieso nicht. Ich muss nur kurz mit Charlie meine Runde drehen, danach bin ich frei."
"Klar, ich kann auch.", stimmte Nen dem Vorschlag zu. "Bei dir wird es wohl nicht gehen, was?", fragte er anschließend Lucas.
"Ich glaube nicht."
Lenny legte seinen Arm um Lucas' Schulter. "Dann kommst du am Wochenende mit."
"Wohin?", fragte Lucas skeptisch.
"Wir wollten raus zu einem wirklichen tollen Canyon. Dort sind wir früher immer Wandern gewesen mit der Familie, aber seit mein Vater an der Uni eine leitende Position hat, geht das nicht mehr. Es gibt dort einen großen See, der richtig tolle Höhlen in das Gestein gegraben hat. Wir nehmen uns ein Boot und erkunden diese. Was hälst du davon?"
Das Computergenie zögerte mit der Antwort. "Es klingt interessant."
"Hey, nicht so trocken. Da draußen ist es wirklich obergeil!", schwärmte Nen.
"Vor allem Mour ist nicht dort.", gab auch Chris seinen Senf dazu.
"Außerdem sollte es deinen Eltern bis zum Wochenende wieder besser gehen, somit dürfte es diesbezüglich auch keine Problem geben.", Lenny ließ nicht locker.
"Fahrt ihr beide?", fragte Lucas Nen und Chris. Die beiden nickten.
"Nicht nur wir. Es sind noch einige andere dabei. Recht coole Leute. Du wirst sehen, das macht einen Heidenspaß. Würde es nicht schon so kalt sein, könnten wir auch schwimmen gehen.", sagte Chris.
"Pha, das hält mich nicht davon ab rein zu springen wenn es mich verführerisch anglitzert. Dann muss mein Vater endlich einmal mit Charlie Gassie gehen, denn ich liege ja mit einer Erkältung im Bett." Lenny's Grinsen wuchs ins Unermeßliche.
"Ich werde mal mit meinen Eltern reden, aber versprechen kann ich nichts. Ihr habt es ja mitbekommen, denen steht noch ein Besuch bei Mr. Mour bevor. Bis dahin muss ich vorsichtig sein. Erst recht, wenn ich denen sage, dass ich die ganze Woche nachsitzen muss."
"Doch sie wissen, weshalb du die heutigen Hausaufgaben nicht hattest. Wenn du wirklich dich so um deine Eltern kümmern musstest, wie du erzählt hast, dann sollten die doch keinen Stress machen, oder?", fragte Chris schulterzuckend.
"Ich hoffe es."
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"Clearmont, sie sitzen dort hinten und Bridger bei mir hier vorn. Sie will ich besonders im Blick haben."
Voller Motivation nahmen die beiden Jungen die von Mr. Mour gewiesenen Plätze ein. Lucas zeigte seine Lust schon daran, wie er wieder kurz vorm einschlafen war und sich beinahe neben den Stuhl setzte. Captain Bridger fand es recht amüsant, als Lucas ihn in der Mittagspause angerufen hatte und von seiner zusätzlichen Stunde erzählte. Anfangs kam er auch mit Vorwürfen, wie er denn die Hausaufgaben vergessen könnte, gerade wo doch erst dieser Brief kam. Doch Lucas ging aufgrund der Müdigkeit nicht besonders nett dazwischen und hielt ihm seine Badexkursion und den Lieferservice diverser Dinge des vergangenen Sonntages und der dazugehörigen Nacht vor.
Hoffentlich würde dies hier schnell vorbei sein. Chris und er musste die Hausaufgaben vom Wochenende lösen und anschließend bei Mour abgeben. Der Lehrer selbst kontrollierte einige Test, die er den Tag über in den einzelnen Klassen geschrieben hatte. Lustlos stützte er seinen Kopf auf der linken Hand auf und versuchte so falsch wie möglich die Hausaufgaben zu lösen. Zumindest ein paar. Ihm war nicht danach so viel nachzudenken. Jeder normalen Teenager würde es nicht verstehen können. Sie mussten nachdenken um die Aufgaben richtig lösen zu können, bei Lucas war es umgekehrt. Es war wie atmen, es ging einfach so. Früher hatte er seinen Eltern angebettelt ihm neue Aufgaben aufzuschreiben, die er dann lösen konnte, wo andere in seinem Alter lieber mit ihren Spielzeugautos spielten oder Fern sahen.
"Mr. Bridger."
Lucas schreckte aus seinen Gedanken auf. "Ja?"
"Kommen sie mal bitte zu mir."
Anscheinend hatte der Lehrer gerade seine Arbeit kontrolliert. "Wie haben sie das hier gemacht?" Mr. Mour schob eine bereits korrigierte Arbeit auf die Seite, bei der Lucas zu ihm gekommen war.
"Genauso wie ich es mit den anderen Test auch gemacht habe. Versucht die Aufgaben zu lösen so gut es geht.", sagte Lucas unschuldig. Innerlich amüsierte er sich jedoch köstlich über den Ausdruck auf Mours Gesicht.
"So gut es geht, ah ja." Das Computergenie würde es nicht wundern im nächsten Moment Rauchwolken aus dem Kopf des Lehrers steigen zu sehen. In seinem Gehirn arbeitete jede Zelle auf Hochtouren. "Von Mr. March können sie nicht abgeschrieben haben, der hat wieder einige Formeln von seinem Vater benutzt um die Aufgaben zu lösen. Mr. Hon hat sein bestes gegeben ist jedoch nur bei zwei Aufgaben bis zur Endlösung ohne Fehler vorgedrungen und die junge Dame vor ihnen war heute krank. Also, wie haben sie es gemacht, den ganzen Test fehlerfrei und so richtig zu lösen, dass es sich dabei um meine Lösung handeln könnte." Er holte ein Blatt des Test hervor, das mit roter Tinte beschrieben war und fast genau die selbe Lösung zeigte wie Lucas sie hatte.
Chris blickte ungläubig nach vorne. Hatte er soeben richtig gehört? Er ließ die knoblige Aufgabe sein und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf das Geschehen am Lehrertisch. "Vielleicht habe ich nur einfach mal die richtigen Gedankengänge gehabt.", mutmaßte Lucas.
"Das denke ich nicht. Da ich die Arbeit erst am Vorabend geschrieben habe, kannst du nicht die Lösung gestohlen haben, was ich normalerweise in einem solchen Fall sofort glauben würde, doch ich muss es leider ausschließen. Also noch mal, wie haben sie es gemacht?" Mr. Mour nahm die randlose Brille ab und sah den blonden Teenager eindringlich an.
"Sie erwarten von mir jetzt eine Geschichte wie, dass ich bei jemanden abgeschrieben habe oder auf andere Weise an die Lösung ihrer Arbeit gekommen bin, richtig? Leider ist es nicht so. Ich könnte ihnen erzählen, dass ich Gedanken lesen kann oder einfach ein gewisses Talent habe welches eben nur nach eigener Laune mich in Mathe ein Genie sein lässt, doch dem ist nicht so. Ich kann ihnen auf ihre Frage keine Antwort geben. Sie waren die ganze Zeit im Klassenzimmer während wir den Test geschrieben haben. Bilden sie sich selber ihre Meinung wie ich es gemacht habe."
"Ihre Eltern sind derzeitig krank, wie sie sagen?"
"Richtig."
"Ich möchte sie jetzt dringender als vorher sprechen. Sagen sie ihnen das. Spätestens nächste Woche. Bis dahin werde ich den Test ungewertet lassen."
Das stank Lucas. Er hatte zwar keine Lust auf High School, aber ihm passte es genauso wenig eine gute Arbeit ungewertet zu lassen. "Nur weil ich einmal etwas richtig habe?"
"Mr. Birdger. Sie sind nicht nur in Mathematik eine absolute Niete. Ihre Schülerakte ist mit Notizen ihrer Unfähigkeit gespickt. Sie sind einer unserer Tagesordnungspunkte auf der nächsten Lehrerkonferenz. Es wäre keine schlechte Idee sich schon mal mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie entweder die Schule wechseln müssen oder einige Klassenstufen heruntergesetzt werden." Bei diesen Worten musste sich das Computergenie ein Grinsen verkneifen. Dies war eine Bestätigung seiner Brillianz. Besser hätte er seine Intelligenz noch nie verbergen können. Wieso machte sich Bridger eigentlich Sorgen? "Dazu jetzt diese Arbeit. Das wirkt mehr als verdächtig." Mr. Mour setzte seine Brille wieder auf. "Sie können sich wieder hinsetzen."
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Als Lucas die Haustür öffnete, kam ihm ein köstlicher Duft entgegen. Sofort stürmte er in die Küche. "Was machen sie da?" Entsetzt erblickte er Dr. Westphalen in einem rosafarbenen Bademantel. Sie holte eine Auflaufschüssel aus dem Backofen.
"Ein kleines Dankeschön für letzte Nacht und deinen verlängerten Schultag.", lächelte sie.
"Geht es ihnen schon so gut?", fragte er besorgt.
"Das geht schon. Ich lege mich auch gleich wieder hin. Los setzt dich und iss erst mal."
Lucas sah die Ärztin kritisch an. "Sie sehen nicht besonders gut aus. Geht es dem Captain schlechter als gestern?"
"Woran erkennst du das?"
"Sie sehen besorgt aus. Sehr besorgt."
Kristin atmete tief ein. "Er hat heute Mittag, kurz nachdem du angerufen hast, ziemlich hohes Fieber bekommen. Im Moment habe ich es etwas runter bekommen, aber ich habe Angst es könnte wieder steigen und alles was ich tue hilft nicht."
"Darum haben sie für mich gekocht. Sie mussten raus aus dem Zimmer und sich ablenken."
Ihr Lächeln bestätigte seine Annahme.
"Haben sie den Arzt gerufen?"
"Noch nicht. Als das Fieber etwas sank, hielt ich es nicht mehr für notwendig. Er schläft jetzt. Und er hat kein Essen in sich behalten können."
Lucas umarmte sie. "Genau deshalb wollte ich da bleiben."
Kristin seufzte. "Das darfst du morgen auch. Ich fühle mich nicht mehr so besonders. Jetzt wo du da bist, kann ich mich endlich auch etwas hinlegen. Mein Kopf tut wieder höllisch weh." Sie ging ins Wohnzimmer und legte sich dort auf die Couch. Lucas brachte ihr eine Decke. "Du sollst doch essen und nicht hier den Pfleger spielen."
"Bin schon weg.", lächelte Lucas. Dr. Westphalen schlief sofort auf der Couch ein. Anscheinend war sie seit dem Mittag auf den Beinen gewesen und wohl auch den Vormittag über, wie Lucas vermutete. Als er mit essen fertig war, brachte er seine Schulsachen nach oben und pfefferte diese in die hinterste Ecke seines Zimmers anschließend blinzelte er in das Schlafzimmer. Bridger war wach. "Lucas?", frage er mit rauer Stimme.
Der Teenager öffnete die Tür ganz und trat hinein. "Wie geht es ihnen? Der Doctor sagt es sei schlimmer geworden."
"So schlimm ist es nicht. Wie ist die Schule gewesen?"
"Naja," Lucas ließ sich auf der Bettkante an Bridgers Seite nieder. "entweder ich fliege von der Schule oder ich werde um mehr als nur eine Stufe hinunter gesetzt. Chris hat sich köstlich amüsiert, als Mour das eröffnete. Der Kerl will euch so bald wie möglich sehen und war ganz baff, als ich in meinem heutigen Test fast die selben Ergebnisse hatte wie er in seinem Lösungsblatt."
"Ah, du erzähltest mir ja, dass du entgegen deiner sonstigen Gewohnheit mal einen Test richtig gelöst hast. Wieso wollen die dich raus werfen? Ich dachte du benimmst dich."
"Das mache ich auch nur passen denen meine Leistungen nicht. Tja, und dann ärgere ich den guten Lehrer mit einer erstklassigen Arbeit."
"Darum wollen die dich gleich von der Schule werfen, weil deine Noten schlecht sind?"
"Genau oder mich in eine untere Stufe versetzen. Dem gutem Herrn Lehrer habe ich für heute zumindest mal einige Rätsel aufgegeben. Ich bin wohl das Mysterium des Schuljahres. Nun, vorerst jedenfalls. Westphalen hat bereits ihr okay gegeben, dass ich morgen zu Hause bleiben kann. Also, dieses Mal bleiben alle Kranken im Bett und Dr. Lucas kümmert sich um diese. Ich habe in der Mittagspause etwas gekauft." Er holte aus einer Innentasche seines Hemdes ein dünnes Buch hervor. Es war der träumende Delphin von Sergio Bambaren. "Wenn es sie zu sehr anstrengt kann ich es auch vorlesen. Das interessiert mich wenigstens mehr als diese ollen Liebesschinken." Bei diesen Worten sah er angeekelt auf den Nachttisch von Kristin und die darauf gestapelten Bücher.
Bridger gab Lucas das Buch zurück. "Fang an." Der Teenager macht es sich in dem Bett bequem und begann zu lesen. Als er fertig war schlief Bridger wieder.
"Na dann kann ich mich endlich auch einmal hinlegen.", seufzte Lucas und verschwand in seinem Zimmer wo er kurz darauf selber in einen tiefen Schlaf versank.
"Soll ich nicht mehr weiterlesen?" Lucas war wie vor den Kopf geschlagen.
"Bitte. Mir ist jetzt absolut nicht nach einer Liebesromanze, mein Kopf tut noch immer weh und ich brauche dringend etwas Schlaf.", sagte Dr. Westphalen mit schwacher Stimme. Sie lag in der Mitte des großen Ehebettes leicht aufgerichtet die Decke bis zum Kinn gezogen.
"Na meine üblichen Bücher sind das hier auch nicht." Der Teenager seufzte. "Muss ich gehen?"
Kristin nickte.
"Ich kann auch frischen Tee holen." Der Enthusiasmus des Jungen kehrte zurück.
"Du hast mir bereits dreimal frischen Tee gebrüht. Jetzt ist es genug. Dadurch werde ich auch nicht schneller gesund. Du machst mich viel mehr noch kränker."
Lucas schlug das Buch des Doctors zu und legte es auf den Nachttisch. "Gut, wenn sie etwas brauchen, ich bin unten und gammle vor mich hin, weil ich vor lauter Langeweile nicht weiß was ich sonst tun soll und mir jeder Spaß vergönnt ist."
"Damit erreichst du bei mir nichts. Los, geh jetzt!"
Schweren Schrittes verließ das junge Computergenie das Schlafzimmer, schloss die Tür leise hinter sich und machte sich auf den Weg nach unten. Aus der Küche drang ihm leckerer Bratenduft in die Nase.
"Bist du endlich raus geflogen?", fragte Bridger grinsend am Herd stehend mit einem Holzlöffel in der Hand und rührte in der Pfanne.
"So kann man es nennen. Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben. Das wars dann wohl mit dem Familienausflug." Das Kinn trotzig auf die Hände gestützt setzte er sich an den Tisch.
"Nun mach nicht solch ein Gesicht. Wir werden dort schon noch hingehen und uns die Delphine ansehen, doch ich kann Kristin in ihrem jetzigen Zustand keinen ganzen Tag allein lassen."
"Ich kann doch auch allein hingehen."
"Auf keinen Fall. Deine eigenen Eltern mögen vielleicht so mit dir umgegangen sein, aber nicht bei mir. Wir gehen nur gemeinsam in das Aquarium."
"Und was soll ich die ganze Zeit hier machen? Mir fällt langsam aber sicher die Decke auf den Kopf. Mich mit Lenny oder den anderen treffen darf ich auch nicht, es könnte ja etwas raus kommen oder dieser dumme Junge sich verplappern." Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören.
"Darüber haben wir doch bereits gesprochen.", seufzte Nathan auf. "Die ganze Sache hätte bereits an dem einen Abend auffliegen können. Ich muss dir absolut vertrauen können, doch wenn du dich zutrinkst ist dieses Vertrauen nicht gegeben."
"Ja, fantastisch. Wie lange bekomme ich das jetzt noch nachgetragen?"
"Solange es nötig ist." Bridger holte zwei Porzellanteller aus dem Schrank. "Ich hoffe es schmeckt dir. Mein Essen ist nicht so gut wie Kristins aber ich bin zuversichtlich."
Argwöhnisch sah Lucas auf den Teller. "Sind sie sicher, dass das Zeug nicht krank macht?"
Der Captain aß bereits. "Absolut."
"Vor der nächsten Mathearbeit gibt es wohl kein Entrinnen.", meinte Lucas matt, als er den Löffel in die Hand nahm und vorsichtig einen kleinen Happen probierte. "Ist sogar richtig lecker."
Gegen Abend rief Bridger dann doch einen Arzt, da das Fieber von Dr. Westphalen wieder gestiegen war. Der Arzt legte ihm ans Herz vorsichtshalber ebenfalls sich zu schonen und auf die ersten Anzeichen zu achten. Eine schlimme Grippewelle sei gerade unterwegs und ließ für Bridger und Lucas zusätzliche Medikamente da. Die Ansteckungsgefahr war ziemlich groß zur Freude des Teenagers, der sofort wieder als Krankenschwester neben Kristins Bett Position bezogen hatte, bis ihn Nathan gegen Mitternacht ins Bett scheuchte.
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Bridger stand bereits angezogen mit seinen Joggingschuhen vor dem Bett des Teenagers und zog an dessen Bettdecke. Leider krallte sich der blonde Junge daran fest, als würde sein Leben davon abhängen. "Lucas!"
"Nein, ich komme nicht mit! Ich bin noch nicht mal richtig eingeschlafen gewesen.", nuschelte Lucas.
Der ältere Mann ließ die Decke los. "Ich bekomme dich schon noch aus dem Bett raus."
Erleichtert stellte Lucas fest, dass Bridger sein Zimmer verließ. Sofort zog er seine halb aus dem Bett hängende Decke wieder zurück, klopfte sein Kissen zurecht und schlief fast sofort wieder ein bis etwas kaltes, glitschiges in sein Gesicht klatschte. Erschrocken fuhr er auf und warf das Ding weit weg. "Was soll das?", rief er empört.
"Stehst du jetzt auf? Ich habe noch weitere Lappen. Alle schön vorher in eiskaltes Wasser getaucht."
"Als Folterer wären sie ein Ass. Wirklich. Sie haben definitiv den falschen Job erwischt." Zufrieden stellte Bridger fest, dass sein kleiner Trick erfolgreich war. Lucas krabbelte bereits auf allen Vieren aus dem Bett. "Ich dachte wir dürfen den Patienten nicht allein lassen.", versuchte Lucas noch immer sich vor dem bevorstehenden Unheil zu bewahren.
Grinsend zwinkerte Bridger ihm zu. "Eine Stunde ist schon in Ordnung. Nun hör auf zu trödeln, sonst sind wir nicht mehr die einzigsten da draußen."
"Dagegen hätte ich nichts einzuwenden, so könnte ich schneller verloren gehen."
"Nichts da. Notfalls leg ich dich an die Leine, dann kannst du gar nicht verschwinden."
Wie war er nur da hinein geraten? Lucas kramte in seinem Schrank. Hatte er überhaupt etwas geeignetes fürs Jogging? Oh ... Schon waren ihm seine Sportsachen aus der Schule in die Hand gefallen. Vor dem Unterricht hatte er sich genauso wenig erfolgreich drücken können wie vor Bridgers Laufwahn. Die Schwimmmanschaft wäre was für ihn, doch er zog es vor so zu schwimmen wie er wollte und nicht auf Zeit und Schnelligkeit.
Als er hinunter ging schlief er bei jedem Schritt fast ein, der ältere Mann war stand schon halb vor der Haustür.
Blinzelnd sah Lucas auf den Vorgarten. "Da oben sind noch die Sterne zu sehen."
"Da sind gar keine Sterne mehr. Nun hör auf mit dem Unsinn und nimm deine Beine in die Hand." Bridger lief los und zog Lucas am Unterarm hinterher.
"Nicht so schnell, ich schlafe doch noch halb."
"Genau darum mach ich schneller. Du solltest langsam aufwachen."
Sie joggten bis zum Ende der Wohnsiedlung hinein in ein kleines Waldstück. "Wahnsinn, da vorn kommen noch mehr solche Verrückte wie sie.", keuchte Lucas als ihnen ein Joggerpaar entgegen kam.
"Oh nein, das darf nicht wahr sein. Charlie, aus! Ich kann doch nicht bremsen.", schrie von hinten jemand und im nächsten Moment lag Lucas am Boden. Ein fröhlich bellender Hund hüpfte auf seinem Rücken herum abwechselnd schleckte er ihm das Gesicht und sprang zu Bridger. Wenige Augenblicke später knallte Lenny über Lucas drüber, da er auf seinen Inline- Skates viel zu schnell war und nicht mehr ausweichen konnte.
"Ihr beiden zieht Pech an wie das Blut die Haie.", stellte Bridger kopfschüttelnd fest. Sein Atem ging keuchend. Er hatte seine Hände in die Hüften gestemmt und lies sich von Charlie, die Beine abschlecken. "Seid ihr in Ordnung?", fragte Nathan nun doch besorgt.
"Mit mir wohl schon. Das war nicht mein schlimmster Sturz.", sagte Lenny als er versuchte aufzustehen, doch er rollte immer wieder weg.
"Du solltest mit Charlie mal zum Tierpsychologen gehen, täte ihm bestimmt gut. Andauernd springt der mich an.", meckerte Lucas. Sein Knie blutete leicht.
"Hundetraining wäre billiger.", schlug Lenny immer noch auf dem Betonweg sitzend vor.
Lucas schüttelte energisch den Kopf. "Nein. Bei dem hilft da nichts mehr. Lass ihn hypnotisieren und ihm einreden er sei ein Fisch oder eine Raupe. Alles, bloß kein Hund mehr."
"Er mag dich aber.", lachte Bridger, denn der Hund war bereits wieder bei dem jungen Genie und sprang aufgeregt um ihn herum. Nathan half während dessen Lenny wieder auf die Beine, noch immer schwer keuchend. Heute strengte ihn der Morgensport mehr an als sonst. "Danke. Ich hielt es für eine gute Idee mit den Dingern mal Gassie zu gehen. Auf diese Weise kann er sich richtig austoben. Leider bin ich zu doof mit den Dingern zu fahren."
"Das ist eine gute Idee."
"Finde ich auch.", pflichtete Bridger Lucas bei.
"Keine gute Idee. Wenn ich mit gebrochenem Knöchel im Bett liege muss ich demnächst im Rollstuhl Charlie ausführen, was noch gefährlicher wird."
"Nein, das meinte ich nicht.", winkte Lucas ab. "Welche Größe haben die Skates?"
"Warum willst du das wissen?", fragte Bridger skeptisch. "Wir probieren hier jetzt keine Schuhe an, wir müssen weiter. Zu lange Pausen bringen das ganze Programm durcheinander."
"Das Programm habe ich im Nu wieder drinnen." Der blonde Teenager legte seinem Freund den Arm um die Schulter. "Denn im Gegensatz zu Lenny bin ich ein hervorragender Skater und das behagt mir weit mehr als dieses doofe Rumgehopse."
"Nimmst du Charlie mit?" Lenny hielt ihm sofort die Leine hin.
"Klar, ich nehme Charlie und du joggst mit meinem Vater. Das ist doch ein Deal! Ich kann skaten, der Hund ist schon vor dem Mittag bis an seine Grenzen gebracht worden und der verrückte Jogger befriedigt, weil er einen jüngeren Partner an seiner Seite während der Runde zu gottloser Stunde hat."
"Wenn es ihnen nichts ausmacht?", fragte Lenny Bridger.
"Um ihn zum Joggen zu bewegen ist er nicht aus dem Bett zu kriegen, aber mit diesen Rollschuhen will er plötzlich bis ans Ende der Welt fahren." Für den Captain stellte Lucas ein Rätsel dar.
"Unter den Umständen kann er ruhig jeden morgen mit Charlie seine Runde drehen. Ich leih dir die Teufelsdinger gerne, so wie es aussieht lerne ich das sowieso nicht mehr."
"Gerne.", strahlte der blonde Junge.
"Wie bitte? Ich habe mich wohl verhört?", fragte Nathan fassungslos.
Lenny zog bereits seine Skates aus.
"Nein, denn es besteht ein Unterschied zwischen Skaten und Hopsen durch den Wald wie ein Känguruh. Das eine kann man immer machen und bei dem anderen sind die Zeiten zu denen die Welt noch schläft am geeignetsten." Mit gerunzelter Stirn fügte Lucas noch hinzu. "Besonders bei meinem Fahrstil." Er zog den ersten Schuh an. Seine Turnschuhe übergab er Lenny. "Passt perfekt."
"Soll das heißen ich muss damit rechnen, dass wir die Krücken wieder brauchen?"
"Dein Vater traut dir nicht.", grinste Lenny. "Ehrlich gesagt meiner auch nicht, der hat mir schon einige Empfehlungen mitgegeben, wie ich am schnellsten bei einem Sturz ins Krankenhaus kommen kann. Darunter Ratschläge wie, schrei so laut du kannst, damit dich jemand findet, falls das nicht möglich ist, ruf mich an. So bin ich zu meinem neuesten elektronischen Spielzeug gekommen."
"Dafür gibt es keinen Grund. Der einzige der Krücken benötigt nachdem ich losgefahren bin, sind die Leute die mir im Weg stehen. Oder Radfahrer. Nichts ist schlimmer, als Radfahrer, die meinen sie könnten fahren wie sie wollen, nur weil sie es mit einem Skater zu tun haben. Die wissen gar nicht, wieviel Platz ich zum Schwung holen brauche. Gib mir Charlies Leine." Lenny drückte diese Lucas in die Hand. Schon fuhr er langsam einige Meter. "Bin zwar eine Weile nicht mehr gefahren, aber nach den ersten paar Metern sollte es gehen."
"Willst du nicht lieber noch Lenny's Schoner anziehen?", fragte Bridger als er Lucas hinterher sah wie dieser bereits um eine Kurve verschwinden wollte, dann kam er zurück.
"Klar. Habe ich ganz vergessen.", grinste er. "Ist toll wieder in solchen Dingern zu stecken."
"Besorg dir doch auch welche. Vielleicht kannst du es mir dann ja mal beibringen. Du siehst zumindest nicht so begossen aus wie ich." Lucas' Freund übergab ihm die Knie- und Ellenbogenschoner. "Für die Handgelenke habe ich auch welche." Er kramte in seinem Rucksack.
Als Lucas alles angelegt hatte sah er sich suchend nach dem Hund um. "Wo ist Charlie hin?"
"Oh nein.", stöhnte Lenny auf. "Nicht schon wieder."
"Wenn ihr beiden kurz eure mit Flausen gefüllten Köpfe dort rüber wendet, seht ihr das Tier wie es freudig einen Vogel ärgert."
Lenny lief von dem Teerweg hinunter zu seinem Hund. "Ich hol ihn."
"Wir sollten dann aber unsere Runde beenden. Kristin müsste bald aufwachen und ich wäre bis dahin gerne zu Hause.", sagte Bridger etwas leiser zu Lucas.
"Ja, keine Sorge. Ich bin auf den Dingern sowieso schneller. Charlie und ich sind schon lange vor euch wieder zu Hause. Komm her, mein Junge." Mit auf und ab hüpfenden Ohren sprang der Hund auf Lucas zu. "Wir zwei zeigen den beiden jetzt mal wie man ordentlich Spaß hat." Er nahm die Leine und fuhr kräftig Schwung holend los.
"Pass auf, Lucas. Einen Kranken zu pflegen reicht mir vorerst.", rief Bridger dem Teenager hinterher.
"Hat die Grippe bei ihnen auch zugeschlagen?", fragte Lenny den älteren Mann.
"Bei euch wohl auch?"
"Ja, meine Schwester. Doch solange ich ständig draußen bin und mein Immunsystem dank Charlie stärke, bin ich zuversichtlich es nicht zu bekommen."
"Dann werden wir dieses noch etwas mehr stärken. Joggen wir los. Ich habe so das Gefühl Lucas dreht hier mehrere Runde und wird nicht mehr von deinen rollenden Schuhen loskommen, wenn er zu lange damit spielen kann."
********
Lucas stand vor der Badezimmertür. "Ist wirklich alles in Ordnung mit ihnen, Captain?"
"Ja, ja, es geht schon wieder.", kam die gedämpfte Stimme Bridgers aus dem Badezimmer. "Das Essen scheint nicht so gut gewesen zu sein."
"Wieso denn das? Ich habe doch dieselbe Pizza gegessen wie sie. Sagen sie bloß nicht, sie werden auch noch krank. Wenn sie und der Doctor in einen Fieberwahn geraten weiß ich nicht, wie ich ihnen helfen soll. Über diese Art von Viren weiß ich nämlich nicht Bescheid."
"Hör auf mit deinen Witzen und geh von der Tür weg.", befahl Bridger.
Die unfreundliche Stimme brachte das Computergenie dazu wegzugehen.
"Lucas?", rief schwach die Stimme Westphalens.
"Ja?" Er sah um die Ecke ins Schlafzimmer.
"Geht es Nathan nicht gut?"
"Ich denke nicht. Er schien sich heute morgen beim Joggen schon angestrengt zu haben. So wie es aussieht, können sie beide demnächst sich Gesellschaft leisten. Brauchen sie etwas?"
"Nein. Aber sieh lieber nach, Nathan." Etwas fester fügte sie hinzu. "Und lass dich bloß nicht abwimmeln!"
"Ist gut.", lachte Lucas. Also ging er wieder zum Bad zurück, wo der Captain dieses gerade mit blaßem Gesicht verließ.
"Du bist ja schon wieder hier."
"Sie sollten sich lieber hinlegen und was von der Medizin nehmen, die uns der Arzt dagelassen hat.", meinte Lucas mit sorgenvoller Stimme.
"Erzähl keinen Unsinn. Ich bin kerngesund."
"Auf ihrer Stirn sind Schweißperlen und ihr Gesicht ist von der Tapete nicht mehr zu unterscheiden. Ihre Lippen waren noch nie so weiß wie jetzt. Zumindest nicht seit ich sie kenne."
"Du gibst nicht auf, was? Na gut, ich werde mich ein wenig hinlegen, aber tu mir bitte den Gefallen und komme nicht auf die Idee mir Tee bringen oder etwas vorlesen zu wollen. Ich habe gestern gesehen wie sehr du nerven kannst. Es ist lieb von dir gemeint, aber lass mich einfach nur krank sein, sollte ich es denn sein." Langsam schleppte der Captain sich ins Schlafzimmer. Dort redete ihm Kristin noch etwas ins Gewissen und Lucas musste anschließend ein Glas Wasser holen, damit er die Tabletten gegen die Übelkeit nehmen konnte.
Lucas ging hinunter ins Wohnzimmer. Was machte er nun? Nun war der Captain wohl auch noch krank. Besser wäre es gewesen hätte es ihn getroffen. Er hasste Mour mit jedem Tag mehr und wollte einfach nicht mehr in die Schule und das nicht nur wegen des Mathelehrers. Gerade hatte er sich auf die Couch fallen lassen und den Fernseher eingeschalten, als es klingelte. Genervt stand er wieder auf.
"Hallöchen! Als ich meiner Mutter erzählte, dass deine mit Grippe im Bett liegt hat sie gleich einen riesen Topf mit Hühnersuppe gekocht. Die eine Hälfte für meine Schwester die andere für deine Mutter." Lenny hielt ihm die Schüssel unter die Nase.
Der leckere Geruch ließ sämtliches Wasser aus seinem Mund schwinden. "Vielen Dank! Mein Vater liegt jetzt auch oben, die werden sich das Süppchen wohl teilen müssen.", grinste Lucas. "Obwohl, der hat gerade die Pizza die Toilette runter gespült. Ich glaube der isst wohl eher doch nichts."
Lenny nahm einen mitleidsvollen Gesichtsausdruck an. "So ein Mist. Musst du jetzt hier den Krankenpfleger spielen, was? Mich regt es schon auf das eine oder andere für meine Schwester zu holen, doch du musste für beide springen und hast noch nicht mal Eltern, die sich mehr drum kümmern könnten. Hm, dabei wollte ich gerade fragen, ob du Lust hättest nochmal mit mir und Charlie mitzukommen. Bei dem Wald von heute morgen gibt es ganz in der Nähe einen See. Zwar ist es zum schwimmen bereits zu kalt, aber trotzdem ist es immer ganz schön dort."
"Tut mir leid. Aber ich werde wohl nicht weg können." Liebend gerne wäre Lucas mit seinem neuen Freund mitgekommen. Alles wäre ihm lieber gewesen als dieser doofe Flimmerkasten und Zeitschriften, die er zur Verfügung hatte.
"Ach, kein Problem. Dann machen wir das ein anders Mal. Muss ich morgen früh dann wieder selbst mit den Skates zurechtkommen?"
"Fürchte ich. Fahr doch hier vor eurem Haus ein wenig ohne Charlie, einfach nur um wenigstens das Gleichgewicht schon mal halten zu können."
"Nein, das wird nichts. Charlie folgt mir überallhin. Außerdem würde mein Vater ihn spätestens wenn er mich draußen sieht raus jagen. Was unweigerlich dazu führt, dass entweder ich oder ein ahnungsloser Fußgänger wie du im Dreck liegt." Als Lenny erwähnte wie Charlie ihm überallhin folgte war es für Lucas wie ein Stich ins Herz. Zu gerne würde er ein wenig mit Darwin spielen oder einfach nur rumblödeln. Der Delphin fehlte ihm sehr.
"Ich frag nachher mal nach, ob ich morgen früh mit euch mit kann. Während ich in der Schule bin, wären die sowieso alleine."
"Danke, Lucas. Bis morgen früh dann, vielleicht sehen wir uns vor der Schule. Wäre schön."
"Bis morgen." Lucas schloss die Tür. Was sollte er jetzt mit der großen Schüssel machen? Kein Wunder, weshalb Lenny immer so hilfsbereit war. Das hatte er eindeutig von seiner Mutter. Die Frau kannte diese Leute nicht und kochte trotzdem für sie ein Essen. Die Nachbarn der Wolenczaks hatten sich auch ab und an mal um ihn gekümmert, aber das waren auch meist die Eltern seiner Freunde, die die Situation bei ihm in der Familie live mitbekamen. Er stellte die Schüssel auf den Küchentisch und sah nach seinen Patienten.
"Wer war denn da?", fragte Bridger, der immer noch ziemlich schlimm aussah.
"Lenny. Seine Mutter hat für Dr. Westphalen eine Hühnersuppe gekocht. Haben sie ihm heute morgen von der Grippe erzählt?" Er ließ sich auf der Bettkante am Fussende nieder.
"Ja, ich habe es erwähnt.", antwortete Bridger.
"Was? Du redest mit fremden Leuten über mich?", Kristin schien trotz fortgeschrittener Krankheit doch besser bei Kräften zu sein als der Captain.
"Nur ganz beiläufig, weil ich Angst hatte Lucas würde sich auf Lenny's Skates sämtliche Knochen brechen und ich keine zwei Kranken pflegen wollte."
"Satt dessen darf ich das nun tun.", meinte Lucas mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Dabei bin ich ein hervorragender Skater, bei dem mit Knochenbrüchen nicht bei jedem Ausflug zu rechnen ist. Im Gegensatz zu Lenny, sollte er nicht bald lernen wie er gefahrenlos geradeaus fahren kann."
Bridger ließ sich schwer ins Kissen fallen. "Du bist dazu nicht in der Lage uns zu pflegen." Westphalen sah ihn sorgenvoll an. Mit ihrer rechten Hand fuhr sie ihm liebevoll über die Stirn. "Du bist richtig niedlich, wenn du leidest.", kicherte sie. "Und du hast Fieber."
"Soll ich das Thermometer holen oder reichen die Tabletten?", fragte Lucas.
"Beides. Ich spüre auch schon wieder wie meine Temperartur steigt." Der Teenager tat wie ihm Kristin aufgetragen hatte. Zwei Minuten später nahmen die beiden Erwachsenen ihre Tabletten gegen das Fieber.
"Wenn ich auch krank werde, darf ich mich dann in die Mitte legen?"
"Du wirst nicht krank.", sagte Bridger. "Erstens ist dein Appetit nach wie vor ungebrochen und sobald du auf Rollschuhen stehst schnell wie der Blitz aus meiner Reichweite verschwunden. Raus jetzt, ich will schlafen."
"Das ist eine gute Idee. Ich bin auch müde." Kristin legte sich hin.
"Sie haben heute den ganzen Tag noch nichts gegessen, Doctor."
"Ich weiß, Lucas. Nachher werde ich etwas von der Hühnersuppe probieren, die uns unsere nette Nachbarin gemacht hat. Stellst du diese bis dahin in den Kühlschrank? Und lass hier bitte die Tür offen. Falls was ist, können wir dich so rufen. Bleib also nicht unten, sondern komm wieder rauf."
********
Das konnte doch nicht wahr sein. Zum vierten Mal rief jetzt einer aus dem Schlafzimmer nach ihm. Gerade als er beinahe eingeschlafen wäre. Schweren Herzens schlurfte Lucas zu seinen beiden Patienten. "Was gibt's nun schon wieder? Ist der Tee zu kalt, die Wärmflasche undicht oder einfach nur die sadistische Veranlagung mich vom Schlafen abzuhalten?"
"Du weißt genau, dass ich das nicht machen würde. Könntest du bitte mal nach Nathan sehen? Seit dem du ihn vorhin zum Badezimmer begleitet hast ist er nicht mehr zurück gekommen.", bat ihn eine schwache Dr. Westphalen. Sie war heiser und brachte kaum noch einen Ton heraus.
"Er hätte ihnen die Suppe nicht wegessen sollen, dann müsste er es jetzt nicht ständig wieder rauswürgen. Wahrscheinlich hat er bereits nur eingesehen, dass es sich in der Badewanne besser schläft als in einem gemütlichen warmen Bett." Der Teenager drehte sich bereits herum. Da sowieso alle wach waren schaltete er das Licht im Flur an, sonst rannte er womöglich noch gegen irgend etwas. Würgegeräusche aus dem Badezimmer sagten ihm, dass der Captain sich nicht in die Badewanne schlafen gelegt hatte.
"Ist alles in Ordnung?" Ein selten dämliche Frage, wie Lucas erst nachdem er sie gestellt hatte in den Sinn kam. Natürlich war nichts in Ordnung. Der Doctor liegt mit hohem Fieber im Bett und der Captain übergab sich am laufenden Bann. Es wurde still im Bad. "Soll ich rein kommen?"
"Nein.", krächzte Bridger. "Es geht schon. Ich komme gleich."
"Ganz sicher?"
"Ja. Geh schlafen, du musst morgen früh raus."
Lucas wartete jedoch. Spätestens wenn er wieder fast eingeschlafen war, würde einer der beiden ihn erneut aus dem Bett holen. Die Schule war ihm egal. Für ihn spielte sie keine solche Rolle wie für andere. Das schienen seine beiden Scheineltern noch nicht so ganz begriffen zu haben. Er hatte sie am Nachmittag gehört, wie sie leise über seinen Brief gesprochen hatten. Nun ihm sollte es recht sein. Zumindest kümmerten sie sich um Angelegenheiten, die ihn betrafen. Nicht so seine eigenen Eltern. Er hatte zwar nie Probleme in der Schule gehabt, aber zu Elternabenden sind sie nie erschienen und auch wenn wegen seiner überdurchschnittlichen Intelligenz eine weitere Klasse überspringen sollte, haben sie sich nie mit den Lehrern unterhalten sondern nur einen Vertreter geschickt, der in Vollmacht die nötigen Papiere unterschrieb.
Bridger, mit roten Augen und tiefen schwarzen Ringen darunter und eingefallenem Gesicht, kam endlich wieder aus dem Bad. "Du solltest doch ins Bett gehen."
Der Teenager hakte sich am rechten Arm des UEO Captains ein. "Ich werde nicht viel schlafen können. Sie sehen schlimmer aus als ein Geist. So weiß sind sie im Gesicht. Sind sie überhaupt sicher, dass diese ganzen Medikamente wirken?"
"Das ist ganz normal. So etwas braucht seine Zeit. Eine Grippe ist nicht von heute auf morgen wieder weg."
"Dennoch kann ich sie nicht allein lassen morgen. Ich habe schon Lenny angerufen, dass ich nicht mit ihm und Charlie vor der Schule noch in den Wald gehe. Und für sie ist Jogging auch gestrichen." Dabei erhob der blonde Teenager ermahnend den Zeigefinger.
"Keine Sorge," Bridger versuchte zu lächeln. "ich lauf dir garantiert nicht weg. Du könntest mir aber noch etwas zum trinken bringen, wenn du schon nicht schlafen gehen willst." Der ältere Mann ließ sich schwer ins Bett fallen. Kristin sah ihn sorgenvoll an, dabei war ihr die Krankheit noch mehr anzusehen als ihm. "Du holst ihm nichts zu trinken, Lucas!", sagte sie zwar schwach aber dennoch energisch.
"Ich habe wahnsinnigen Durst, Kristin.", stöhnte Nathan.
"Das kann ich mir vorstellen, doch wenn du jetzt wieder etwas zu dir nimmst, dauert es nicht lange und du übergibst dich erneut. Du kannst ein paar Magentropfen zu dir nehmen, oder einen kleinen Löffel Tee, doch nicht mehr."
"Ein kleiner Löffel ist erlaubt?"
"Ja, aber nicht mehr."
"Dann will ich den haben."
Lucas nahm die leeren Tassen von den beiden Nachttischen und ging damit in die Küche. Nun musste er doch wieder Tee kochen. Langsam hatte er es echt drauf. Seine Mutter würde in Ohnmacht fallen, könnte sie ihn jetzt sehen. Mit dem Spülen klappte es ebenfalls einigermaßen. Na gut, nicht so ganz. Bridger hatte mehrmals neue Tassen verlangt, weil die die er von dem Teenager bekam nicht sauber genug war. Lucas war sich sicher, dass der Captain das nur machte um ihm mehr Disziplin im Haushalt einzutrichtern. Aus dem Besteckkasten zog er einen kleinen Löffel, vorsichtig stieg er die wenigen Stufen zum Obergeschoss mit einer vollen Tasse frisch gebrühten Kamillentee hinauf.
"Der Getränkemann ist da. Nur ein Löffel für den Herrn und die Dame bekommt die Tasse." Wie er es sagte, verteilte er auch. Den silbernen Teelöffel drückte er Bridger in die Hand und Westphalen bekam die Tasse auf den Tisch gestellt.
"Danke. Du solltest jetzt besser schlafen gehen, sonst schläfst du morgen in der Schule ein.", sagte Kristin.
"Und wir bekommen noch so einen Brief.", versuchte Bridger zu scherzen, doch sein Lachen ging in einem Hustenanfall unter.
"Ach, darüber wollte ich noch mit euch reden. Nicht über den Brief, sondern die Schule. Wäre es nicht besser, wenn ich morgen zu Hause bleibe. So kann sich rund um die Uhr jemand um euch kümmern. Ihr könnt doch nicht aus dem Bett. Selbst zum Bad schafft es keiner alleine."
Der Husten hatte sich etwas beruhigt. "Ich verstehe deinen Groll gegenüber dieser Schule und deinem Lehrer, aber ich werde es nicht dulden, dass du hier bleibst. Du gehst morgen in die Schule und Schluss damit."
"Captain!", bettelte Lucas. "Sehen sie sich doch an. Ihnen geht es hundeelend und wenn irgend etwas ist, dann kann Dr. Westphalen ihnen noch nicht einmal Hilfe rufen, weil sie keinen einzigen Ton herausbekommt."
"Vielen Dank.", krächzte Kristin. "Aber Nathan hat recht. Du schwänzt auf keinen Fall die Schule. Wärest du ebenfalls krank, würde es sich um eine andere Situation handeln, doch so nicht."
"Dann erwartet aber nicht, dass ich jetzt noch einmal komme.", meinte Lucas wütend und stapfte aus dem Schlafzimmer. Die beiden Erwachsenen hörten wie krachend die Zimmertür des Teenagers ins Schloss fiel.
Kristin lächelte Bridger an. Zärtlich fuhr sie ihm über die Stirn. "Ich werde jetzt auch versuchen etwas zu schlafen. Einer von uns beiden muss doch morgen früh aufpassen, dass unser lieber Sohn auch wirklich in die Schule geht."
"Ja, ich bin auch ziemlich müde. Kann ich vorher aber noch meinen versprochenen Löffel Tee haben?"
"Natürlich."
********
"Einen wunderschönen guten Morgen alle miteinander.", kam Lenny mit ausgebreiteten Armen durchs Klassenzimmer rufend durch die Tür.
Lucas knallte mit dem Kopf auf die Tischplatte. "Ich bin so K.O!"
"Hey, was denn, du warst heute morgen gar nicht dabei als Charlie plötzlich Eichhörnchen jagen musste. Ein Glück, dass ich die Skates nicht anhatte." Er grinste breit. "Sonst würden mich jetzt noch welche vom Baum abzukratzen versuchen."
"Zum Glück war ich nicht dabei. Dann hätte ich es nämlich gar nicht erst bis hierher geschafft." Lucas dachte nach. "Oh, das war kein Glück, sondern Unglück!"
"Haha, sieht so aus. Was machen deine Eltern, geht es ihnen besser?" Der Freund des Computergenies ließ sich neben ihm auf den Stuhl sinken. Seine Jeans waren mit Grasflecken und kleineren Rissen übersäht, als er den Blick von Lucas bemerkte, meinte er nur beiläufig: "Ein kleines Unglück passiert pro Tag mit dem Hund."
Lucas nickte wissend. "Meine Eltern sind der Grund für meinen topfitten Zustand. Die ganze Nacht haben die irgend etwas von mir haben wollen. Nachdem mein Vater mit Kotzen fertig war haben sie mich ins Bett gejagt und mir zu verstehen gegeben, dass ich in die Schule zu gehen habe. Da war denn endlich einmal Ruhe." Der blonde Junge machte eine kurze Pause. Sein Blick hatte einen bestimmten Punkt an der Tafel fixiert ohne jedoch wirklich darauf zu sehen. "Für zwei Stunden. Dann musste ich wieder andauernd kommen und sie mit Zeitschriften, Büchern, Tee, heißes Wasser für die Wärmflasche, Eisbeutel gegen Fieber oder einfach nur Tabletten versorgen. Eins schwöre ich dir. Heute Nacht, gibt es das Theater nicht. Ich steck die beiden in ein Krankenhaus, ob die sie dort wollen oder nicht. Ich werde den Chef des Ladens mit all meinem Geld bestechen, dann müssen sie die nehmen."
"Hallo. Morgen. Her mit den Hausaufgaben!", flitzte Chris seinem alltäglichen Ritual vor der Mathestunde folgend zu Lenny. Der konnte gar nicht so schnell reagieren wie der blonde Junge seine Finger in seinem Rucksack hatte. "Nur keine Mühe, ich finde sie schon."
"Klasse! Das wird immer besser.", stöhnte Lucas.
"Morgen. Hey, du siehst aber gar nicht gut aus. Ist was?", fragte Nen. Nen war ein weiterer Freund von Lucas, den er gleich an seinem ersten Schultag hier kennengelernt hatte und zusammen mit Chris und Lenny dafür sorgte, dass diese ganze Sache nicht ganz so unangenehm für ihn war.
"Ja, ich habe diese doofe Hausaufgaben nicht. Vor lauter Krankenpflege bin ich nicht mehr dazu gekommen. Und damit mein Glück perfekt wird, taucht der Feldwebel auch noch fünf Minuten zu früh auf." Entmutigt ließ er zur Unterstreichung seines Elends die flache Handkante auf den Tisch fallen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
"Was? Mist.", stöhnte Chris auf und drehte sich blitzschnell auf seinem Stuhl herum, als hätte er nie mit Lenny gesprochen. Dessen Hausaufgaben ließ er unter der Bank wieder zurück gleiten.
"Guten morgen Herrschaften.", begrüßte sie Mr. Mour. Auch er hatte seine allmorgendliche Routine, die darin bestand seine Tasche und die Bücher abzulegen und anschließend die Anwesenheit der Schüler zu kontrollieren. Da er heute viel zu früh dran war, fehlten natürlich noch gut zwei fünftel der Klasse. Geduldig und mit strengem Blick wartete er auf die Nachzügler bis er pünktlich zum Unterrichtsbeginn die Hausaufgaben kontrollieren wollte. Bei Chris blieb er stehen. Er sah über den Rand seiner Brille hinweg den blonden Jungen an. "Mister Clearmont, können sie mir erklären, warum sie nur die Hälfte der Aufgaben haben?"
"Ähm, naja, wissen sie, es war einfach so, dass ich den ganzen Nachmittag mir den Kopf darüber zerbrochen habe und mehr konnte ich einfach nicht. Sie waren viel zu schwer.", versuchte Chris sich heraus zu reden.
"So, so?" Mr. Mour glaubte das ganz und gar nicht. Lucas würde es als Lehrer auch nicht glauben. Das derzeitige Thema der Klasse gehörte noch zu den Grundlagen und war außerdem etwas recht einfaches, bei dem man nicht viel denken musste, sondern nur die richtigen Formeln verwenden.
"Dann wird es ihnen sicherlich nichts ausmachen heute nach dem Unterricht zu mir zu kommen und die restlichen Aufgaben sowie die heutige Hausaufgabe beim Nachsitzen zu lösen."
"Och nö!", stöhnte Chris auf. "Das können sie doch nicht machen!"
"Das kann ich.", sagte Mr. Mour nur und ging weiter zu Lenny, nur um bei Lucas erneut stehen zu bleiben.
"Mr. Bridger!" Mour holte tief Luft, wie Lucas hören konnte. Jetzt würde es was tolles geben. Alle Gesichter der Klasse waren bereits auf ihn gerichtet. Chris würde heute bestimmt Gesellschaft haben. "Wie ich sehe interessiert es ihre Eltern nicht besonders, was sie von Hausaufgaben halten, nicht wahr? Oder ist mein Brief nicht bei ihnen angekommen. Eigentlich hatte ich erwartet gerade von ihnen heute einmal die Hausaufgaben gemacht zu sehen."
"Tja, den Brief haben sie bekommen und werden auch mit ihnen reden, leider gibt es da nur ein kleines Problem.", meinte Lucas locker.
"Das wäre." Der Lehrer drückte seinen Rücken durch und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Sie liegen beide krank im Bett und ich habe über den ganzen Trubel zu Hause schlichtweg die Hausaufgaben vergessen wie die zwei auch."
"Ich soll ihnen das doch wohl nicht wirklich abkaufen?", fragte Mr. Mour verächtlich.
"Das weiß ich doch nicht, wie weit ihr Vertrauen ihren Schülern gegenüber reicht. Ich habe ihnen gesagt, weshalb ich meine Hausaufgaben nicht habe und sie müssen jetzt entscheiden, ob ihnen das reicht oder sie einen weiteren Brief an meine Eltern schicken wollen."
"Für ihre Frechheiten dürfen sie Mr. Clearmont heute Gesellschaft leisten." Er hatte es gewusst. Hoffentlich ging es seinen beiden Kranken zu Hause auch wirklich gut genug. Chris schien die Aussicht auf Gesellschaft am Nachmittag zu freuen. Er zwinkerte dem Computergenie grinsend zu. "Damit aber nicht genug. Sie erhalten die einzigartige Ehre dies die ganze Woche zu tun, Mr. Bridger. Vielleicht lernen sie dann endlich einmal, dass man unter einer linearen Gleichung keine besondere Art von Lineal versteht."
"Nicht?" Das hatte der Teenager nicht unterdrücken können. Mr. Mours Gesicht war rot vor Wut angelaufen. Den hatte er mit diesem einen Wort ordentlich den Tag versaut. Zumindest ein guter Aspekt.
"Passen sie auf, junger Mann, sie sind auf dem besten Wege die seltene Gelegenheit zu erhalten einen ganzen Monat lang Nachsitzen zu dürfen.", warnte der Mathelehrer ihn bevor er die restlichen Schüler kontrollierte. Anschließend ging er wieder vor zur Tafel. "Nun, da sie bis auf unsere beiden Nachsitzkandidaten alle ihre Hausaufgaben gemacht haben, sehe ich keinen Grund, warum ich ihre Übung vom Wochenende nicht testen sollte. Packen sie sämtliche Unterlagen vom Tisch!"
Die Klasse stöhnte auf. Montag morgen gleich einen Test zu schreiben war schon nahe an der Grenze zur Hölle. Lucas hatte keine Lust sich wieder neue Lösungen auszudenken, die so falsch waren, dass man meinen könnte er hätte noch nie eine mathematische Gleichung gesehen. Ob er sich den Spaß erlauben sollte mal alles richtig zu lösen? Ja, das würde er tun! Genau, als Strafe für das Nachsitzen. In dieser Stunde saß für kurze Zeit Lucas Wolenczak im Klassenzimmer und versuchte wie ein normaler Teenager einen Test zu lösen auf den er sich sehr gut vorbereitet hatte. Er ließ sich Zeit mit den Aufgaben. In den vergangenen Stunden hatte er genügend mitbekommen um zu wissen, welche Lösungswege Anwendung fanden und welche er besser nicht benutzte, um nicht aufzufallen. Dem alten Mour würden bei der Korrektur die Augen raus fallen.
*****
"Ihr könnt, sobald ihr brav eure Aufgaben gelöst habt, doch zu mir in die Halle kommen. Wenn bei uns das Training aus ist, gehen die meisten Nachsitzer ebenfalls nach Hause. Was haltet ihr davon?", sagte Lenny als sie die Mathestunde endlich hinter sich hatten und zum nächsten Klassenzimmer gingen. Montagnachmittag fand immer das Training der Basketballmannschaft statt.
"Ich muss erst einmal zu Hause anrufen und Bescheid sagen, dass der nächste Teeexpress mit Verspätung kommt.", maulte Lucas.
"Gehen wir anschließend in den neuen Diner?", fragte Chris sofort.
"Wieso nicht. Ich muss nur kurz mit Charlie meine Runde drehen, danach bin ich frei."
"Klar, ich kann auch.", stimmte Nen dem Vorschlag zu. "Bei dir wird es wohl nicht gehen, was?", fragte er anschließend Lucas.
"Ich glaube nicht."
Lenny legte seinen Arm um Lucas' Schulter. "Dann kommst du am Wochenende mit."
"Wohin?", fragte Lucas skeptisch.
"Wir wollten raus zu einem wirklichen tollen Canyon. Dort sind wir früher immer Wandern gewesen mit der Familie, aber seit mein Vater an der Uni eine leitende Position hat, geht das nicht mehr. Es gibt dort einen großen See, der richtig tolle Höhlen in das Gestein gegraben hat. Wir nehmen uns ein Boot und erkunden diese. Was hälst du davon?"
Das Computergenie zögerte mit der Antwort. "Es klingt interessant."
"Hey, nicht so trocken. Da draußen ist es wirklich obergeil!", schwärmte Nen.
"Vor allem Mour ist nicht dort.", gab auch Chris seinen Senf dazu.
"Außerdem sollte es deinen Eltern bis zum Wochenende wieder besser gehen, somit dürfte es diesbezüglich auch keine Problem geben.", Lenny ließ nicht locker.
"Fahrt ihr beide?", fragte Lucas Nen und Chris. Die beiden nickten.
"Nicht nur wir. Es sind noch einige andere dabei. Recht coole Leute. Du wirst sehen, das macht einen Heidenspaß. Würde es nicht schon so kalt sein, könnten wir auch schwimmen gehen.", sagte Chris.
"Pha, das hält mich nicht davon ab rein zu springen wenn es mich verführerisch anglitzert. Dann muss mein Vater endlich einmal mit Charlie Gassie gehen, denn ich liege ja mit einer Erkältung im Bett." Lenny's Grinsen wuchs ins Unermeßliche.
"Ich werde mal mit meinen Eltern reden, aber versprechen kann ich nichts. Ihr habt es ja mitbekommen, denen steht noch ein Besuch bei Mr. Mour bevor. Bis dahin muss ich vorsichtig sein. Erst recht, wenn ich denen sage, dass ich die ganze Woche nachsitzen muss."
"Doch sie wissen, weshalb du die heutigen Hausaufgaben nicht hattest. Wenn du wirklich dich so um deine Eltern kümmern musstest, wie du erzählt hast, dann sollten die doch keinen Stress machen, oder?", fragte Chris schulterzuckend.
"Ich hoffe es."
********
"Clearmont, sie sitzen dort hinten und Bridger bei mir hier vorn. Sie will ich besonders im Blick haben."
Voller Motivation nahmen die beiden Jungen die von Mr. Mour gewiesenen Plätze ein. Lucas zeigte seine Lust schon daran, wie er wieder kurz vorm einschlafen war und sich beinahe neben den Stuhl setzte. Captain Bridger fand es recht amüsant, als Lucas ihn in der Mittagspause angerufen hatte und von seiner zusätzlichen Stunde erzählte. Anfangs kam er auch mit Vorwürfen, wie er denn die Hausaufgaben vergessen könnte, gerade wo doch erst dieser Brief kam. Doch Lucas ging aufgrund der Müdigkeit nicht besonders nett dazwischen und hielt ihm seine Badexkursion und den Lieferservice diverser Dinge des vergangenen Sonntages und der dazugehörigen Nacht vor.
Hoffentlich würde dies hier schnell vorbei sein. Chris und er musste die Hausaufgaben vom Wochenende lösen und anschließend bei Mour abgeben. Der Lehrer selbst kontrollierte einige Test, die er den Tag über in den einzelnen Klassen geschrieben hatte. Lustlos stützte er seinen Kopf auf der linken Hand auf und versuchte so falsch wie möglich die Hausaufgaben zu lösen. Zumindest ein paar. Ihm war nicht danach so viel nachzudenken. Jeder normalen Teenager würde es nicht verstehen können. Sie mussten nachdenken um die Aufgaben richtig lösen zu können, bei Lucas war es umgekehrt. Es war wie atmen, es ging einfach so. Früher hatte er seinen Eltern angebettelt ihm neue Aufgaben aufzuschreiben, die er dann lösen konnte, wo andere in seinem Alter lieber mit ihren Spielzeugautos spielten oder Fern sahen.
"Mr. Bridger."
Lucas schreckte aus seinen Gedanken auf. "Ja?"
"Kommen sie mal bitte zu mir."
Anscheinend hatte der Lehrer gerade seine Arbeit kontrolliert. "Wie haben sie das hier gemacht?" Mr. Mour schob eine bereits korrigierte Arbeit auf die Seite, bei der Lucas zu ihm gekommen war.
"Genauso wie ich es mit den anderen Test auch gemacht habe. Versucht die Aufgaben zu lösen so gut es geht.", sagte Lucas unschuldig. Innerlich amüsierte er sich jedoch köstlich über den Ausdruck auf Mours Gesicht.
"So gut es geht, ah ja." Das Computergenie würde es nicht wundern im nächsten Moment Rauchwolken aus dem Kopf des Lehrers steigen zu sehen. In seinem Gehirn arbeitete jede Zelle auf Hochtouren. "Von Mr. March können sie nicht abgeschrieben haben, der hat wieder einige Formeln von seinem Vater benutzt um die Aufgaben zu lösen. Mr. Hon hat sein bestes gegeben ist jedoch nur bei zwei Aufgaben bis zur Endlösung ohne Fehler vorgedrungen und die junge Dame vor ihnen war heute krank. Also, wie haben sie es gemacht, den ganzen Test fehlerfrei und so richtig zu lösen, dass es sich dabei um meine Lösung handeln könnte." Er holte ein Blatt des Test hervor, das mit roter Tinte beschrieben war und fast genau die selbe Lösung zeigte wie Lucas sie hatte.
Chris blickte ungläubig nach vorne. Hatte er soeben richtig gehört? Er ließ die knoblige Aufgabe sein und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf das Geschehen am Lehrertisch. "Vielleicht habe ich nur einfach mal die richtigen Gedankengänge gehabt.", mutmaßte Lucas.
"Das denke ich nicht. Da ich die Arbeit erst am Vorabend geschrieben habe, kannst du nicht die Lösung gestohlen haben, was ich normalerweise in einem solchen Fall sofort glauben würde, doch ich muss es leider ausschließen. Also noch mal, wie haben sie es gemacht?" Mr. Mour nahm die randlose Brille ab und sah den blonden Teenager eindringlich an.
"Sie erwarten von mir jetzt eine Geschichte wie, dass ich bei jemanden abgeschrieben habe oder auf andere Weise an die Lösung ihrer Arbeit gekommen bin, richtig? Leider ist es nicht so. Ich könnte ihnen erzählen, dass ich Gedanken lesen kann oder einfach ein gewisses Talent habe welches eben nur nach eigener Laune mich in Mathe ein Genie sein lässt, doch dem ist nicht so. Ich kann ihnen auf ihre Frage keine Antwort geben. Sie waren die ganze Zeit im Klassenzimmer während wir den Test geschrieben haben. Bilden sie sich selber ihre Meinung wie ich es gemacht habe."
"Ihre Eltern sind derzeitig krank, wie sie sagen?"
"Richtig."
"Ich möchte sie jetzt dringender als vorher sprechen. Sagen sie ihnen das. Spätestens nächste Woche. Bis dahin werde ich den Test ungewertet lassen."
Das stank Lucas. Er hatte zwar keine Lust auf High School, aber ihm passte es genauso wenig eine gute Arbeit ungewertet zu lassen. "Nur weil ich einmal etwas richtig habe?"
"Mr. Birdger. Sie sind nicht nur in Mathematik eine absolute Niete. Ihre Schülerakte ist mit Notizen ihrer Unfähigkeit gespickt. Sie sind einer unserer Tagesordnungspunkte auf der nächsten Lehrerkonferenz. Es wäre keine schlechte Idee sich schon mal mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie entweder die Schule wechseln müssen oder einige Klassenstufen heruntergesetzt werden." Bei diesen Worten musste sich das Computergenie ein Grinsen verkneifen. Dies war eine Bestätigung seiner Brillianz. Besser hätte er seine Intelligenz noch nie verbergen können. Wieso machte sich Bridger eigentlich Sorgen? "Dazu jetzt diese Arbeit. Das wirkt mehr als verdächtig." Mr. Mour setzte seine Brille wieder auf. "Sie können sich wieder hinsetzen."
********
Als Lucas die Haustür öffnete, kam ihm ein köstlicher Duft entgegen. Sofort stürmte er in die Küche. "Was machen sie da?" Entsetzt erblickte er Dr. Westphalen in einem rosafarbenen Bademantel. Sie holte eine Auflaufschüssel aus dem Backofen.
"Ein kleines Dankeschön für letzte Nacht und deinen verlängerten Schultag.", lächelte sie.
"Geht es ihnen schon so gut?", fragte er besorgt.
"Das geht schon. Ich lege mich auch gleich wieder hin. Los setzt dich und iss erst mal."
Lucas sah die Ärztin kritisch an. "Sie sehen nicht besonders gut aus. Geht es dem Captain schlechter als gestern?"
"Woran erkennst du das?"
"Sie sehen besorgt aus. Sehr besorgt."
Kristin atmete tief ein. "Er hat heute Mittag, kurz nachdem du angerufen hast, ziemlich hohes Fieber bekommen. Im Moment habe ich es etwas runter bekommen, aber ich habe Angst es könnte wieder steigen und alles was ich tue hilft nicht."
"Darum haben sie für mich gekocht. Sie mussten raus aus dem Zimmer und sich ablenken."
Ihr Lächeln bestätigte seine Annahme.
"Haben sie den Arzt gerufen?"
"Noch nicht. Als das Fieber etwas sank, hielt ich es nicht mehr für notwendig. Er schläft jetzt. Und er hat kein Essen in sich behalten können."
Lucas umarmte sie. "Genau deshalb wollte ich da bleiben."
Kristin seufzte. "Das darfst du morgen auch. Ich fühle mich nicht mehr so besonders. Jetzt wo du da bist, kann ich mich endlich auch etwas hinlegen. Mein Kopf tut wieder höllisch weh." Sie ging ins Wohnzimmer und legte sich dort auf die Couch. Lucas brachte ihr eine Decke. "Du sollst doch essen und nicht hier den Pfleger spielen."
"Bin schon weg.", lächelte Lucas. Dr. Westphalen schlief sofort auf der Couch ein. Anscheinend war sie seit dem Mittag auf den Beinen gewesen und wohl auch den Vormittag über, wie Lucas vermutete. Als er mit essen fertig war, brachte er seine Schulsachen nach oben und pfefferte diese in die hinterste Ecke seines Zimmers anschließend blinzelte er in das Schlafzimmer. Bridger war wach. "Lucas?", frage er mit rauer Stimme.
Der Teenager öffnete die Tür ganz und trat hinein. "Wie geht es ihnen? Der Doctor sagt es sei schlimmer geworden."
"So schlimm ist es nicht. Wie ist die Schule gewesen?"
"Naja," Lucas ließ sich auf der Bettkante an Bridgers Seite nieder. "entweder ich fliege von der Schule oder ich werde um mehr als nur eine Stufe hinunter gesetzt. Chris hat sich köstlich amüsiert, als Mour das eröffnete. Der Kerl will euch so bald wie möglich sehen und war ganz baff, als ich in meinem heutigen Test fast die selben Ergebnisse hatte wie er in seinem Lösungsblatt."
"Ah, du erzähltest mir ja, dass du entgegen deiner sonstigen Gewohnheit mal einen Test richtig gelöst hast. Wieso wollen die dich raus werfen? Ich dachte du benimmst dich."
"Das mache ich auch nur passen denen meine Leistungen nicht. Tja, und dann ärgere ich den guten Lehrer mit einer erstklassigen Arbeit."
"Darum wollen die dich gleich von der Schule werfen, weil deine Noten schlecht sind?"
"Genau oder mich in eine untere Stufe versetzen. Dem gutem Herrn Lehrer habe ich für heute zumindest mal einige Rätsel aufgegeben. Ich bin wohl das Mysterium des Schuljahres. Nun, vorerst jedenfalls. Westphalen hat bereits ihr okay gegeben, dass ich morgen zu Hause bleiben kann. Also, dieses Mal bleiben alle Kranken im Bett und Dr. Lucas kümmert sich um diese. Ich habe in der Mittagspause etwas gekauft." Er holte aus einer Innentasche seines Hemdes ein dünnes Buch hervor. Es war der träumende Delphin von Sergio Bambaren. "Wenn es sie zu sehr anstrengt kann ich es auch vorlesen. Das interessiert mich wenigstens mehr als diese ollen Liebesschinken." Bei diesen Worten sah er angeekelt auf den Nachttisch von Kristin und die darauf gestapelten Bücher.
Bridger gab Lucas das Buch zurück. "Fang an." Der Teenager macht es sich in dem Bett bequem und begann zu lesen. Als er fertig war schlief Bridger wieder.
"Na dann kann ich mich endlich auch einmal hinlegen.", seufzte Lucas und verschwand in seinem Zimmer wo er kurz darauf selber in einen tiefen Schlaf versank.
