Schwer mit der Müdigkeit kämpfend, saß Lucas nun in einer der hintersten Reihen bei den einzelnen Vorträgen. Es waren bisher nur zwei Sprecher dran gewesen und noch sechs weitere sollten folgen. Lange würde er das nicht durchhalten und wenn er dann auch noch im Schlaf anfangen sollte zu sprechen oder zu schnarchen, hatte er nicht nur sich, sondern auch seine Mutter und den Wissenschaftler beleidigt, der da mit vollem Elan seinen Vortrag hielt. Wobei voller Elan bei dem zweiten Präsentanten eine wahre Übertreibung gewesen wäre.
Es folgte eine kürzere Pause von zehn Minuten, bis der nächste dran kommen würde. Ausgiebig streckte sich der Teenager. Seine Mutter war bereits nach dem ersten Vortrag verschwunden gewesen und langsam spielte auch er mit den Gedanken diese ganze Sache hier einfach hinzuschmeißen. Wenig interessiert sah er nach vorn, wo jemand einige Pläne und Skizzen auszurollen begann und den Overheadprojektor auf seine Funktion testete. Auch da probierte er sämtliche Folien aus, um zu sehen, ob man sie auch deutlich erkennen konnte.
War das zu fassen? Gerade als er den Entschluss gefasst hatte zu gehen, kam tatsächlich einer mit einem interessanten Thema an. Die Fotos, die er bei den Vorbereitungen des Mannes sehen konnte, machten ihn neugierig. Vielleicht konnten ihm die dabei gewonnenen Informationen helfen sein Referat ein wenig aufzupeppen.
Kurz vor den Ferien waren die Themen in den einzelnen Fächern für die Fachreferate vergeben worden und Lucas hatte das unheimliche Glück gehabt in Geschichte das Thema Cheops aufs Auge gedrückt zu bekommen. Nun, mit dem konnte man ja einiges anfangen und wenn er hier den Plänen Glauben schenken konnte, dann handelte es sich um die Pyramiden von Gizeh. Eben jene Pyramiden, die Cheops erbaut haben soll. Glück muss man haben, aber einen Block und einen Stift dazu wären auch nicht schlecht.
Sofort war alle Müdigkeit von ihm gefallen. Bevor er jedoch Gefahr lief, dass es vielleicht doch langweilig werden konnte, stand er auf und ging die wenigen Stufen nach unten, um den nervös wirkenden Mann ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
"Hallo!"
Der Mann erschrak, als Lucas ihn plötzlich von hinten mehr oder weniger mit seiner zu fröhlichen Art begrüßte. Er war furchtbar aufgeregt, schließlich handelte es sich hier nicht um ein paar interessierte Studenten, die seinem Vortrag lauschen würden, sondern renommierte Wissenschaftler von Rang und Namen. "Ich sagte doch bereits, dass ich bei dem Buffet am Abend nicht dabei sein werde."
Lucas blickte sich um, konnte aber niemand anderen erblicken, der damit gemeint gewesen sein könnte. "Äh, ich glaube sie verwechseln mich da mit jemanden. Ich weiß überhaupt nichts von einem Buffet."
Der Mann atmete tief durch. Beinahe verzweifelt wie dem Teenager schien. "Was ist denn dann? Sag mir nicht, ihr hättet kein Verlängerungskabel für meinen Projektor! Das wäre eine ganz üble Sache, denn ohne den geht hier gar nichts."
Das Computergenie legte seine Stirn in Falten und kam sich gerade ein wenig mehr als nur veräppelt vor. "Zum einen, bin ich weder der Hotelboy noch der Laufbursche in diesem Laden. Zum zweiten, wollte ich mit ihnen über ihren Vortrag reden, denn wie ich sehe, geht es hierbei um die Gizehpyramide." Er zeigte auf die Plakate hinter sich.
Nun schien es bei dem nervösen Handtuch doch geklickt zu haben und er erkannte, dass Lucas wirklich nichts von ihm wollte außer reden. "Interessierst du dich für die Pyramiden?"
"Interessieren wäre etwas zu positiv ausgedrückt. Ich finde das Thema wirklich interessant, aber ich muss es nicht ständig um mich haben oder jede Information in mich einsaugen, die ich darüber finden kann." Er hielt dem Mann seine Hand hin. "Ich bin Lucas." Den Nachnamen ließ er geflissentlich unter den Tisch fallen. Das hatte er schon früher so gehandhabt. Egal ob er nun Wolenczak oder Bridger hieß, die Leute gingen mit einem normaler um, wenn sie nur den Vornamen wussten.
"Jason Powl.", erwiderte der Mann, der nicht älter als Mitte dreißig sein konnte. "Du wolltest mit mir reden? Hat das nicht bis nach meinem Vortrag Zeit?"
Lucas lächelte. "Ich fürchte, ein wenig Ablenkung ist genau das, was sie jetzt brauchen. So nervös bin ja selbst ich nicht, wenn ich irgendwelche Vorträge halten muss. Sie machen das nicht oft, nicht?"
"Bist ja ein schlaues Kerlchen."
"Ja, da gibt es einige, die das behaupten."
"Genau genommen, bin ich nur Gastdozent an der Universität, die mich her geschickt hat. Der Professor, der eigentlich den Vortrag halten sollte ist unvorhergesehen erkrankt und weil ich mich mit seiner Arbeit auskenne und ihm bei den Vorbereitungen geholfen habe, hat man mich dann auch her geschickt."
"Ist das ein Problem?"
"Natürlich, ich bin es gewohnt, wenn nur vor Studenten zu sprechen und sonst habe ich nur mit Ausgrabungen zu tun."
"Fühlen sie sich kein bisschen geehrt, hier sprechen zu dürfen? Das macht sich doch bestimmt super in ihrer Akte, wenn da drinnen steht, sie hätte bei der Tagung hier mitgewirkt." Mit den Händen in den Hosentaschen vermied er kein einziges Mal den Blick von den grünen Augen Jason Powls zu nehmen.
"Natürlich ist das eine Ehre, eine große sogar, doch wenn ich etwas falsches von mir gebe, oder mich völlig in eine Sackgasse begebe, dann wird man das sofort merken. Diese Leute wissen, worum es geht."
"Na und? Fehler passieren. Was meinen sie, was ihre Vorgänger bereits für Dinger gebracht haben? Niemand ist so perfekt und bekommt alles mit Leichtigkeit hin. Jeder, der hier sprechen muss, hat eine gewisse Nervosität in sich. Ich auch, wenn ich an mein Referat denke. Deswegen möchte ich ja auch mit ihnen reden. Es soll über Cheops gehen und ich muss ihnen ehrlich sagen, ich möchte da nicht mir in einer Bibliothek oder im Internet Massen an Informationen zusammen suchen, wenn ich jemanden fragen kann, der mir ganz genau sagt, was an diesem Pharao wichtig war."
Jason Powl zog die Augenbrauen hoch. "Deswegen kommst du vor meinem Vortrag zu mir?"
Lucas nickte. "Natürlich, warum denn nicht? So können sie sich die nötige Sicherheit für ihre kleine Rede gleich holen und ich die aktuellen Informationen über unseren großen Erbauer. Nachdem was ich auf ihren Schaubildern gesehen habe, sitzen sie direkt an der Quelle, wenn es um neue Erkenntnisse geht."
Der Mann dachte nach, ehe er antwortete. "Dir scheint es ernst zu sein, mit dem was du da erzählst, daher denke ich, kann ich dir etwas erzählen. Hast du denn etwas zum notieren?"
"Genau das fehlt mir noch zu meinen Glück. Einen Stift habe ich in meiner Tasche gefunden, nur keine Zettel."
Der Wissenschaftler bückte sich und kramte aus seiner Tasche einen Block mit kariertem Papier heraus. "Hier bitte, den kannst du nehmen. Zehn Minuten haben wir ja Zeit. Was genau willst du also von mir wissen?"
Lucas begann ihn mit allen möglichen Dingen zu befragen, die er meinte für sein Referat zu benötigen und erhielt am Ende sogar einige Folien und Skizzen. Auch hatte er recht behalten. Sobald er Lucas erst einmal einige wichtige Hintergründe zu Cheops erklärt hatte, nahm seine Nervosität ab und der darauf folgende Vortrag vor den anderen Wissenschaftlern und wichtigen Leuten, die es sich nicht nehmen ließen diesem zu lauschen, gehörte zu den besten der Tagung.
Gegen Mittag entschloss sich Lucas jedoch dann, dass es Zeit wurde zu gehen. Seine Mutter hatte ihre eigene Präsentation erst am späten Nachmittag und so gerne er es sehen würde, aber das wurde ihm dann doch zu viel. Das sagte er ihr und als diese ihn nicht weiter zum bleiben überreden wollte, ging er Achselzuckend zum Hotel zurück, in welchem er mit dem Captain und Dr. Westphalen die nächsten zwei Tage, bis zu ihrer Rückreise wohnen würden.
In der Lobby erhielt er den Schlüssel für ihr Zimmer. Dieses Mal gab es keine getrennten, was ihm nicht so ganz gefiel, denn sein eigener Herr zu sein, war schon um einiges besser, als ständig unter dem Pantoffel der Erwachsenen zu leben. Außer Minki wartete niemand auf ihn und er hatte fast schon die Befürchtung, das würde sich bis zum Abend nicht ändern. Er rief den Zimmerservice und ließ sich etwas zum Essen bringen. Ein leckeres Schnitzel mit Pommes. Bestimmt konnte er nach Ende des Urlaubes keine Pommes mehr sehen. Davon hatte er in letzter Zeit einfach zu viele gegessen, aber sie schmeckten auch so gut. Bevor er sich sein Mittagessen schmecken ließ, sprang er noch schnell unter die Dusche. So erfrischt und in lockeren Trainingshosen mit einem schlapperigen T-Shirt machte er es sich auf seinem Bett bequem und schaltete den Fernseher ein. Es lief nichts besonderes, doch er fand eine Dokumentation, die er nebenher laufen ließ. Minki sprang zu ihm und kuschelte sich sofort an ihn. Sie vermisste einfach nur seine Liebkosungen, die sie auch sofort erhielt. Auf ihn war ja schließlich verlass und wenn sie gekrault und gestreichelt werden wollte, musste sie nur zu ihm kommen.
Erst über eine Stunde später ließ sich mal jemand von seinen Pseudoeltern blicken. "Hoi, ich hatte nicht gedachte, dass du schon zurück sein würdest.", sagte Bridger die Tür hinter sich schließend.
Lucas setzte sich hin. Bis eben hatte er auf dem Bauch gelegen und gelangweilt das Fernsehprogramm verfolgt. Minki wurde zur Seite geschubst, aber das bemerkte das Kätzchen gar nicht, so verträumt wie es sich in die Kissen gekuschelt hatte. "Ich weiß nicht, was sie den ganzen Tag bisher gemacht haben, aber ich wette es war um einiges interessanter als das was ich erlebt habe. Nichts ist anstrengender als sich selbst vom einschlafen abzuhalten."
Der Captain lächelte. "Falls du glaubst, ich hätte einen schönen Tag am Strand gehabt, muss ich dich enttäuschen."
"So? Wo waren sie denn?" Lucas nahm Minki auf den Arm und streichelte über ihr weiches Fell. Schnurrend beantwortete sie die Geste.
Einen Moment schwieg der Captain. Es hatte den Anschein, als würde er darüber nachdenken, ob er dem Teenager über seinen Tag informieren wollte, oder es eher für besser hielt, es weiter für sich zu behalten.
Lucas zog die Augenbrauen höher und höher mit jedem Moment der verstrich. "Sollen wir Ratespiele veranstalten?"
"Du lässt mich nicht in Ruhe, wenn ich sage, dass es dich nichts angeht?"
Jetzt war es an dem Computergenie nachzudenken. "Ich fürchte nein.", schüttelte er letztendlich den Kopf. "Ich muss nur nachher dem Doc stecken, dass sie hier mit Geheimnissen anfangen und ich muss jedesmal sagen, wenn ich weggehen will und notfalls auch Telefonnummern hinterlassen."
"Das ist etwas ganz was anderes. Ich bin erwachsen und du befindest dich gerade an der Schwelle dazu. Es ist wichtig für uns zu wissen, wo du dich aufhälst, damit wir uns keine Sorgen machen müssen."
"Sie vergessen dabei nur, dass wir uns im Moment in einer sehr außergewöhnlichen Situation befinden in der keine Unterschiede gemacht werden, ob wer schon älter ist oder nicht."
Bridger atmete schwer aus. Der Junge war echt ein harter Brocken. Was er sagte, klang durchaus nachvollziehbar und er hatte damit auch recht. Würden sie unter anderen Umständen hier sein, hätte er durchaus ein Recht darauf zu schweigen. "Aber noch immer bin ich der Captain und habe die absolute Entscheidungsvollmacht."
"Und ich bin der kleine Junge, der nur einem Computer zu nahe kommen braucht, um hinter ihre Geheimnisse zu kommen.", platzte Lucas sofort heraus. Der Captain musterte ihn sofort mit einem strengen Blick. "Keine Sorge. Auch wenn ich könnte, mache ich es nicht. Sie werden schon ihre Gründe haben, warum sie mir nicht sagen wollen, wo sie waren. Ich habe mich auf jeden Fall nicht in der Stadt herum getrieben, sondern bin sofort aufs Zimmer zurück. Diese Tagung ist für absolute Ägyptenfreaks wirklich toll, leider nur oft sehr langweilig vorgetragen. Mir sind bei einigen fast die Augen im Dauerlauf zugefallen."
"Hört sich nicht so an, als hättest du sehr viel Spaß dabei gehabt."
Lucas schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Es war schon etwas dabei, aber bevor ich auf den großen Knaller warte und mich ewig langweile, bin ich dann gegangen."
"Hast du dich von deiner Mutter verabschiedet?"
"Ja, habe ich. Nur ich glaube, das hat sie dann nicht mehr so interessiert. Sie hat sich zwar daran gehalten, mich nicht ihren ganzen Kollegen vorzustellen, solange die Verrückten es auf die seaQuest abgesehen haben, aber ich habe ihr angesehen, wie gerne sie das getan hätte. Ging ihr wohl ziemlich auf den Wecker, mich da zu haben und dann doch nicht mit mir prahlen zu können." Sein Blick ging ins Leere. Dem Captain schien fast, als würde sein jüngstes Crewmitglied in alten Erinnerungen schwelgen.
Nathan stand von dem Stuhl auf und setzte sich neben Lucas auf das Bett. "Ich bin im UEO Krankenhaus gewesen."
Sofort fixierten ihn die blauen Augen des Teenagers. "Sie waren bei unseren Leuten?" Er konnte nicht glauben, was er da hörte. "Warum haben sie mir davon nichts gesagt? Ben muss doch noch immer dort sein, ich hätte ihn zu gerne gesehen!"
Der ältere Mann legte ihm die Hand auf die Schulter. "Beruhige dich, mit Ben ist alles in Ordnung. Er macht schon wieder schmutzige Witze mit den Schwestern, also kann es ihm nicht so schlecht gehen."
Als nichts mehr kam, sah ihn Lucas erwartend an. "Und?"
"Nichts und. Ich bin nur kurz bei ihm gewesen und habe ihm Grüße von uns allen übermittelt. Anschließend musste ich mit der UEO reden. Da diese ganze Sachen jetzt doch sehr lange dauert, bis man diese Leute schnappt, überlegt man derzeit, wie man das anders umgehen kann, damit die seaQuest nicht noch länger außer Gefecht ist."
"Sie glauben doch wohl nicht etwa, das machen die nur, weil die sich um uns sorgen. Die haben nur Angst, dass sie im Falle eines Angriffes, nichts entgegen zu setzen haben, weil das Boot im Trockendock liegt."
"Genau das befürchte ich auch. Ich bin dafür, vorerst alles so zu belassen wie es ist."
"Auf unbestimmte Zeit?"
Bridger zog Lucas fester an sich, da er das Gefühl hatte, dass seinem jüngsten die Aussicht weiterhin zur Schule gehen zu müssen und ein ganz normaler Teenager sein zu müssen, nicht sonderlich gefiel. "Mach dir da mal keine Gedanken. Ich bin sicher, früher oder später müssen wir unsere Identität preis geben und können unser eigenes Leben wieder aufnehmen. Kristin und ich wollen genausowenig wie du noch länger dieses Versteckspiel mitmachen und so geht es der gesamten Mannschaft. Lieutenant Krieg hat ebenfalls sehr darüber geschimpft."
"Können wir zu Ben? Bitte! Ich möchte mich selbst davon überzeugen, dass es ihm gut geht!"
Der Captain schüttelte den Kopf und ließ ihn los. "Das ist nicht möglich!"
"Dann werde ich weglaufen und mich selbst in das Krankenhaus schleichen!"
"Das wirst du nicht tun!"
"Sie wissen genau, mich wird das nicht aufhalten. Sie hätten mir eben nicht sagen dürfen, wo er sich aufhält."
"Mir klingt das schwer nach Erpressung."
"Sie nennen es Erpressung, ich eine Arrangement unter zwei in die Klemme geratenen Menschen, die einen Grund brauchen um da weiter zu machen, wo sie heute sind."
Bridger seufzte erneut schwer auf. "Können wir nicht einmal vernünftig miteinander sein? Ich mache das nicht um dich zu ärgern, sondern um dich vor Schaden zu bewahren!"
Lucas sah betrübt zu Boden. "Schon gut, ich werde damit aufhören."
"Danke."
"Sie haben bereits oft genug gesagt, was ihnen wichtig ist. Es wäre unfair von mir ihnen gegenüber, da jetzt in den Rücken zu fallen."
"Versprich mir bitte nur eines, dass wir über dieses Sache einfach nicht mehr reden und versuchen da weiter zu machen, wo wir gestern abend auf gehört haben."
"Versprochen."
"Gut, wollen wir dann etwas zum Strand runter gehen? Mit Glück finden wir Kristin, die wollte sich ein wenig in die Sonne legen."
"Klar, ich ziehe mich nur schnell um." Lucas stand auf und verschwand im Badezimmer nachdem er sich etwas aus seiner Tasche zum anziehen gezogen hatte.
Der dunkelhaarige Mann lag schlaflos in seinem Zimmer. Zu gerne würde er die Augen schließen und sich unbesorgt seinen Träumen hingeben, doch das war leider nicht so einfach. Nicht bei dem was er durchgemacht hatte. Die Psychologen sagten, das sei normal, doch ihm wäre es lieber, wenn er diese Quacksalber gar nicht erst brauchte.
Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich und eine Gestalt huschte schnell in den dunklen Raum. Panik schien ihn einnehmen zu wollen, als er einige Zeit nichts von dem Eindringling vernahm. Wenn es jemand vom Krankenhauspersonal war, dann würde bereits das Licht an sein, doch dem war nicht so. Er entschied sich dazu, sich ruhig zu stellen. Vielleicht konnte er den Eindringling übermannen, wenn er glaubte er würde schlafen. Schon hörte er wie sich leise Schritte seinem Bett näherten und dann stieß der Eindringling mit dem Hocker zusammen, der unweit des Bettes stand und gelegentlichen Besuchern als Sitzplatz diente. Der darauf folgende Schwall an Verfluchungen ließ ihn erleichtert durchatmen.
"Lucas?"
"Pscht! Offiziell bin ich nicht hier! Bridger bringt mich um, wenn er mitbekommt, dass ich ihn so hintergehe!", sagte die Stimme des Junggenies.
"Was machst du hier? Willst du nicht lieber das Licht einschalten, dann läufst du nicht Gefahr dir die Knochen zu brechen."
"Ein paar blaue Flecke habe ich schon und wenn ich mir was breche, bin ich hier doch am richtigen Ort. Oder ist das etwa kein Krankenhaus? Ich könnte mich zu dir ins Zimmer legen lassen."
"Sehr verlockende Aussicht."
Lucas war endlich bis zum Bett vorgedrungen. "Kann ich mich hier irgendwo hinsetzen?"
"Warte, ich rutsche etwas zur Seite." Es war das Rascheln von Bettwäsche zu hören. "Jetzt."
"Danke. Wie geht es dir, Ben?"
"Naja, wie soll es dir schon gehen, wenn einer mit ner Knarre auf dich gezielt hat? Wie bist du eigentlich an meiner Wache vorbei gekommen. Ich dachte, die haben mir hier einen vor die Tür gesetzt."
Lucas zog ein Bein an den Körper. "Frag lieber nicht, das weiß ich selber nicht so genau, wie ich den los geworden bin. Ich habe einen annonymen Anruf gestartet, dass eine verdächtige Person um das Krankenhaus schleicht und da haben die den glücklicherweise abgezogen und zur Suche raus geschickt. Du bist also unbewacht im Moment. Wie ich aber wieder raus kommen soll, weiß ich noch nicht."
"Das lass mal mein Problem sein. Ich finde es schön, endlich einen Freund bei mir zu haben und nicht mit tausenden von Fragen gelöchert zu werden." Ben suchte auf der Decke nach der Hand seines jungen Freundes.
"Geht mir genauso. Als ich hörte dir sei etwas passiert, hatte ich furchtbare Angst und ich habe sie bis jetzt gehabt, denn wir wussten ja gar nichts. Da die mich zu Bridger gesteckt haben, bin ich dennoch relativ nah an den Informationen dran, aber es ist immer nur vage. Ich hatte keine Ahnung wie schwer oder leicht verletzt du warst. Bridger sagte zwar, du würdest es überstehen, aber das kann alles mögliche bedeuten."
Ben lachte leise. "Eines musst du mir jetzt aber mal erklären. Du hast es sehr gut geschafft an meinem Wachhund vorbei zu kommen, aber wie bist du Bridger entkommen? Ich gehe doch mal davon aus, dass der auf dich jetzt mit Argusaugen aufpasst."
"Das ist auch so eine Sache. Der Mann kümmert sich mehr um mich als meine eigenen Eltern und dabei ist meine Mutter gerade auch hier in der Stadt. Das erzähle ich dir aber ein anderes Mal. Ich hatte Glück heute Abend, denn Dr. Westphalen hat sich von einem Musical hinreißen lassen, das man ihr an der Rezeption unseres Hotels empfohlen hat. Ich habe drei Stunden bis ich wieder in unserem Zimmer sein muss."
"Was? Die wollten dich nicht mitnehmen?"
"Nein, das hat mich auch gewundert. Bridger hat mich zwar mit diesem Blick angesehen, ich soll ja nichts anstellen, aber er wäre nie mit mir her gekommen. Die Diskussion hatten wir schon und irgendwie werde ich in letzter Zeit auch schnell ungehalten und respektlos ihm gegenüber. Da ist es besser, wenn ich dem ein Ende setze und lieber heimlich mich raus schleiche. Der Doc hat mich ja glücklicherweise zurück gelassen, als ich sagte, ich hätte keine Lust und sei müde. Mich würde die Singerei nur langweilen."
"Du bist ja schon immer ihr Liebling gewesen.", meinte Ben abschätzig.
Lucas schickte ihm mehrere Blitze aus seinen Augen entgegen, obwohl er nicht genau sehen konnte wo sein Freund in dem Bett lag. Doch dieses heimliche Treffen mit Ben machte ihn locker und er fühlte sich nicht mehr so allein.
