Ben schlich sich um das Haus herum und ging über den Garten direkt ins Wohnzimmer. Erschrocken sprang Kristin von ihrem Platz auf, aber als sie sah, wer es war, beruhigte sie sich sofort wieder. Zuerst sah es so aus, als würde der Versorgungsoffizier etwas sagen wollen, aber dann ließ er es bleiben. Stumm ging er zur Couch und setzte sich dort nieder.
„Wo waren Sie so lange?", wollte Kristin von ihm wissen.
„Spazieren."
„Bisschen sehr lange", sagte sie finster.
„Ich bin geschockt, okay?", sagte Ben und ließ keinen Zweifel daran, wie sehr ihn die Ereignisse der letzten Stunden mitgenommen hatten. Und tatsächlich ging es ihm nicht wirklich besser.
Betrübt kam Nathan Bridger in das Wohnzimmer und sah, dass Ben zurück war. „Es gibt schlechte Nachrichten", sagte dieser leise, um Krieg über die neuesten Ereignisse zu informieren.
Kristin seufzte auf und kämpfte mit den Tränen. „Das hat er nicht verdient", sagte sie und der Captain trat an ihre Seite, um ihr tröstend einen Arm um die Schultern zu legen, ehe er sich Ben zuwandte. „Wir haben ein Video bekommen, das man Lucas' Vater geschickt hat."
Vorsichtig sah sich Ben nach den Leuten der Sektion Sieben um, ehe er näher an den Sessel von Westphalen und Bridger rückte. Vertrauensvoll reckte er den Kopf vor. „Ich weiß von dem Video."
Erstaund blickten die beiden den Versorgungsoffizier an. Fassungslos runzelte Kristin den Kopf. „Aber woher denn? Wir haben doch selbst erst vor zehn Minuten davon erfahren."
Ben winkte ab und bedeutete ihnen sich näher zu ihm zu beugen. „Ich habe zwar gesagt, dass es unter uns bleibt, aber wenn die zwei etwas finden, dann werden wir es als Erste erfahren."
„Wovon reden Sie?", fragte Bridger und blickte alarmiert auf seinen wohl windigsten Crewmen.
Erneut versicherte er sich, ob keiner zu ihnen sah oder sich auch nur annähernd um ihre Angelegenheiten kümmerte, bevor Ben mit einem tiefen Durchatmen anfing von seiner kürzlich stattgefundenen Begegnung mit Lucas' Freunden Lenny und Chris zu erzählen.
Während er sprach, weiteten sich die Augen der Ärztin vor Ärger und Besorgnis. „Sind die den wahnsinnig?", zischte sie ärgerlich. „Die können sich doch nicht so einfach in diese Sache hineinstürzen!"
„Psscchhtt!", machte Ben und legte den Finger alarmiert auf den Mund. Verlegen lächelnd, winkte er einem der Sektion Sieben Männer zu, der einen kurzen Blick in den Raum warf.
„Gibt es etwas Neues?", fragte Bridger und brachte ihn somit sofort von irgendwelchen Verdächtigungen ab.
„Nein, Sir, das Hauptquartier versucht immer noch heraus zufinden, von wo das Signal gekommen ist, das das Video an Dr. Wolenczak übermittelt hat", sagte der Mann mit einer Hand auf seinen Kopfhörern. Anschließend drehte er sich wieder aus der Tür und war somit außer Hör-und Sichtweite für die weiteren Aktivitäten der drei seaQuest Offiziere. Bridger wandte sich Ben zu.
„Die Zwei versuchen jetzt also allen Ernstes Lucas mittels eines Computers zu finden?", fragte er seinen Versorgungsoffizier, der nickend bestätigte.
„Ja, Sir. Chris hat irgendwie Kontakt mit jemanden aufgenommen, der Lucas kennt und in Sachen Hacken ziemlich gut sein soll, da sich der Computer von Lenny für die Arbeit, die sie machen müssen, nicht eignet. Ich weiß nicht, was genau das Problem ist, aber ich denke mal die Kids wissen schon, was sie da tun."
„Solange sie nicht lebensmüde sind", warf Kristin missbilligend ein. „Wissen die denn überhaupt in was für eine Gefahr sie sich da begeben?", begann sie von neuem.
„Ich denke, das ist ihnen durchaus bewusst. Die haben genausoviel Angst um Lucas wie wir und ich glaube bei dem was unsere Leute hier schon verbockt haben in dieser Sache, ist es wirklich Zeit, mal jemanden anderen das machen zu lassen", sagte Ben.
„Ich kann das nicht gut heißen", schüttelte Kristin den Kopf und sah Nathan an. „Wir müssen jemanden von den Leuten sofort zu Lenny schicken und das unterbinden!"
Bridger schien in Gedanken, denn bis er antwortete, dauerte es noch einige Augenblicke. „Nein, ich denke Mr. Krieg hat Recht. Wir lassen die Jungs machen. Lucas hat mir gegenüber einmal erwähnt, dass er mit den besten unter den Hackern befreundet ist und genau das ist es, was wir jetzt brauchen. Wir finden deren Versteck nur, wenn wir schnell sind und von da angreifen, wo keiner mit rechnet."
„Ich bitte dich, das ist doch vollkommener Blödsinn", sagte Kristin entschieden.
Hinter ihnen klopfte jemand an die Glasscheibe der Verandatüren. „Das ist Lenny!", sagte Ben und sprang vom Sofa auf. „Schnell war er bei der Tür und hatte sie zur Seite geschoben. „Habt ihr etwas gefunden?"
Sich nach den Leuten der Sektion Sieben umdrehend, folgten Bridger und Kristin an die Verandatür. So wie sie standen, konnte unmöglich einer der Männer Lenny sehen.
„Allerdings haben wir etwas gefunden", sagte Lenny nickend und hielt ihnen einen Audruck entgegen. „Kurz nachdem du weg bist, kam bereits eine Nachricht von dem Hacker, den Chris gefunden hat und der uns bei der Suche half. Er hat sich ein wenig bei den Verbindungen der Telefongesellschaft umgesehen, die den Anschluß bei Lucas' Vater hat und dort fand er dann heraus, woher die letzten Anrufe kamen. Eines der Signale ging von dieser Stadt aus. Auf der beiligenden Karte ist das genaue Gebäude verzeichnet." Er übergab die Karte mit den Straßen und Grundstücken der Stadt und zog einen weiteren Ausdruck hervor. „Anschließend soll er sich irgendwie mit einem Satelliten verbunden haben und die Gegend nach Personen ausgekundschaftet haben. Ich hab keine Ahnung wie das genau abläuft, aber seiner Meinung nach befinden sich im gesamten Komplex, in welchem sie Lucas gefangen halten, lediglich fünf Leute. Die sollten zu überwältigen sein. Eventuell ist die fünfte Person Lucas selbst. Das kann man nicht mit Sicherheit sagen. Chris vermutete sogar, dass diese Aufnahmen aus einem Militärsatelliten stammen, da er sich sonst nicht vorstellen kann, wie man mit einem von diesen Dingern solche Aufnahmen und Daten bekommt." Auch das zweite Blatt fand seinen Weg in Bridgers Hände.
Der Captain überflog die beiden Ausdrucke nur kurz, ehe er in die Küche zu den Männern der Sektion Sieben eilte, um sie über die Neuigkeiten zu unterrichten. Mittels Funkverbindung nahm man Kontakt zur Basis auf und innerhalb von nur fünf Minuten waren alle Vorbereitungen für das Erstürmen des betroffenen Gebäudes, das sich tatsächlich nur achthundert Meter vom derzeitigen Wohnhaus der Bridgers befand, getroffen. Unter Aufsicht einiger zurück gebliebener Söldner, saßen Kristin, Ben und Lenny und Chris, die man hierher befohlen hatte, im Wohnzimmer. Keinem war es gestattet dieses zu verlassen, bis man wieder etwas von der Befreiungsmanschaft hörte. Da Bridger sich nicht hat davon abbringen lassen, hatten sie diesen notgedrungen mitgenommen. Kristin hoffte am allermeisten von allen, dass er sofort anrufen würde, wenn sie Lucas hatten und nicht erst wartete, bis sie vor der Haustür standen.
Unendlich langsam schienen sich die Zeiger auf der Uhr voranzuschieben. Ab und an war es ihnen, als würden sie sich gar nicht bewegen oder wären stehen geblieben, doch dann geschah das Wunder und sie rutschten doch um eine Minute vor. Quälend lang saßen sie in stummer Stille beisammen, hielten sich die Hände, kauten an den Fingernägeln oder auf den Lippen herum. Nervös mit schwitzigen Händen wurden Lehnen und Zierkissen umklammert.
Als das Telefon klingelte, zuckten sie allesamt erschrocken zusammen. Kristin brauchte mehrere Anläufe, bis sie die richtige Taste gedrückt hatte und bang in den Höhrer lauschte. „Nathan?", brachte sie aufgregt mit zittriger Stimme hervor, ehe sie vor Erleichterung halb in Tränen ausbrach. „Dem Himmel sei Dank, ich bin ja so froh!" Sie legte das Vidphon auf den Tisch und schob die Hände vors Gesicht, wo Tränen der Erleichterung ihre Wangen hinab rollten, nachdem ihr Bridger noch kurz etwas mitgeteilt hatte.
„Sie haben ihn?", fragte Ben nach, was alle hofften.
Kristin nickte und nahm die Hände vom Gesicht. „Ja, sie haben ihn und bringen ihn jetzt in ein Krankenhaus, wo man sich seine Verletzungen ansehen wird. Aber es geht ihm gut und er hat bereits mit Nathan geschimpft, warum er denn keine Pizza mit hätte", sagte sie mit einem tapferen Lächeln, ehe sie Ben vor Erleichterung umarmte.
Auch Lenny und Chris fielen in die Umarmung mit ein und Chris griff zu seinem Handy, da er von jemanden darum gebeten wurde Bescheid zu geben, wie es ausgegangen war.
„Wird Lucas im Krankenhaus über Nacht bleiben?", fragte Lenny, während Chris telefonierte.
„Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Es wäre gut möglich. Am besten geht ihr jetzt wieder zu dir, Lenny, und schlaft euch aus. Ich bin sicher, Lucas möchte euch gerne sehen, wenn er wieder da ist und da müsst ihr fit sein", sagte die Ärztin, als sie sich aus der Umarmung mit Ben löste.
„Wir können nicht gehen, nicht bevor wir nicht ganz genau wissen, ob Lucas heute noch her kommt und wenn nicht, dann fahren wir auf der Stelle ins Krankenhaus!", sagte nun auch Chris, als er sein Handy wegsteckte und genauso war es dann auch. Anstatt sofort das Krankenhaus wieder verlassen zu können, wollte man das Computergenie noch etwas zur Beobachtung da behalten. Eine Entscheidung, die man später bereute, denn als vier weitere Personen das Krankenzimmer stürmten und darauf bestanden dort zu bleiben, bis der Patient das Hospital wieder verließ, waren die Ärzte und Pfleger vollkommen machtlos gegen diese Übermacht. Schon am nächsten Mittag entließ man guten Glaubens den verletzten Lucas, um endlich etwas Ruhe ins Krankenhaus bringen zu können.
Bei der Befreiungsaktion war aber nicht nur Lucas aus den Fängen seiner Entführer befreit worden, sondern auch noch die Köpfe und somit Drahtzieher der Erpresserbande gefasst worden. Ihr entscheidender Fehler war einfach der gewesen, dass sie sich in den letzten Wochen durch das passive, defensive Verhalten der UEO in Sicherheit gewogen haben und meinten, sich weiter hinaus wagen zu können, als sie eigentlich dachten. Nun saßen sie in kleinen Gefängniszellen und konnten höchstens noch träumen von ihren doch etwas eigentümlichen Vorstellungen der neuen Weltordnung, die sie anstrebten.
ENDE
written: 25.09.06
Anm: Das war es also, das idyllische Familienleben. Es wird noch ein Epilog kommen, aber der ist nicht von mir und dort geht es um die Tage nach der Entführung.
