Zurück im Hotel stand ihr Mann bereits im Foyer, eine Droschke wartete auf der Straße, das Gepäck wurde gerade verstaut. Edith verabschiedete sich von Margaret und sagte, sie würden am kommenden Tag, vor ihrer Abreise noch einmal in Marlborough Mills vorbeischauen. Dann wünschte Edith auch John einen guten Tag. John Thornton half seiner Gattin in die Kalesche und rückte dann an ihre Seite. Sofort nahm er ihre Hände auf und sah sie besorgt an: „Ich lasse dein Brautkleid mit einem extra Boten nach Hause bringen, ich wollte es nicht in mein Gepäck quetschen, das hätte ich mir nie verziehen. Aber das ist es schätzungsweise nicht, was dich heute Morgen bedrückt. Ich bitte dich nur, es gleich zu sagen, sollte es etwas mit der Rückkehr nach Marlborough Mills zu tun haben. Dann können wir gemeinsam eine Lösung finden, bevor es dort vielleicht zu Schwierigkeiten kommt."
Er sah sie eindringlich an, doch sie blickte wie abwesend zum Fenster der Kutsche hinaus. Er drückte ihre Hand fester: „Margaret, hörst du mir überhaupt zu?"
Sie drehte den Kopf kaum um zu ihm, als sie leise antwortete: „Ja, natürlich höre ich zu, aber ich versichere dir, es ist alles in Ordnung, nichts was dich beunruhigen sollte."
Er legte zwei Finger unter ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu ihm hin: „Es ist schon möglich, dass es nichts ist, was mich beunruhigt, aber es beunruhigt offensichtlich dich und das gibt mir zu denken." Dann, in einem weniger sanften, etwas schärferen Ton: „Liebste Margaret, ich würde gerne, dass wir als glückliches Paar zu Hause Einzug halten, aber ich kann nicht fröhlich pfeifen, wenn meine süße Frau so abwesend und teilnahmslos wirkt. Also sollten wir der Sache auf den Grund gehen, meinst du nicht?"
Margaret konnte dem Blick ihres Mannes nicht standhalten, das intensive Blau seiner Augen drang tief in sie hinein. Er konnte sie daher kaum verstehen, als sie undeutlich murmelte: „Es war mir sehr peinlich, nach all dem was heute Nacht… geschehen ist, vor die lieben Verwandten zu treten, sie haben es uns genau angesehen…. Und noch peinlicher wird es vielleicht sein, wenn deine Mutter uns nun gleich empfängt, sie wird mich ansehen… wie… wie… als wäre ich eine… und sie hat ja Recht, das bin ich auch, oh, ich schäme mich so!"
John atmete tief durch, dann legte er den Arm um ihre Taille, hielt sie sehr fest in seinem Arm und fing zu sprechen an: „Margaret, du bist meine Frau! Und selbst wenn die Verwandten uns nach der Hochzeitsnacht ein bisschen herausfordernd angesehen haben, so braucht dir das überhaupt nicht peinlich zu sein. Du wirst sehen, morgen ist das ungute Gefühl ihnen gegenüber schon wieder vorüber. Und was meine Mutter und unser Willkommen im Haus gleich anlangt, sie kann dich nicht anders als mit offenen Armen empfangen und eine… eine schamlose Person wird sie dich niemals wagen zu nennen. Wir sind verheiratet, vergiss das nicht!"
Jetzt schmiegte sich Margaret doch eng an ihren Mann, während sie in seine Schulter hinein murmelte: „Es ist so nett von dir, dass du das sagst, aber recht viel tröstet es mich nicht. John, ich weiß nicht, ob ich es richtig ausdrücke, aber ich komme mir so… so beschmutzt vor."
Er sah sie leicht erschrocken an: „Beschmutzt? Von mir? Wegen mir? Wegen… heute Nacht?"
Sie schüttelte den Kopf und nickte gleichzeitig: „Ja, nein, ich weiß nicht… einerseits war es ein unglaubliches Erlebnis, andererseits fand ich es aber auch so…", sie suchte krampfhaft nach Worten „… so animalisch und das kann nicht Recht sein."
„Wer sagt das, es wäre nicht Recht?" fragte er schnell nach.
Margaret zuckte mit den Schultern: „Es ist nur so ein Gefühl, vielleicht liege ich auch falsch damit, entschuldige."
Er war wie vom Donner gerührt von ihren Offenbarungen und unglückseligen Vorstellungen. Er rang nach Worten des Zuspruchs, es dauerte eine ganze Weile, bis er sich entsprechend äußernd konnte und eine Idee hervorbrachte: „Weißt du was", redete er nun liebevoll auf sie ein, „wenn wir gleich zu Hause sind und Mutter begrüßt haben und das Gepäck ist ausgeräumt, dann wirst du ein wunderbares, heißes Bad nehmen und darüber alles andere vergessen, ja?"
Sie schniefte ein wenig, er reichte ihr ein Taschentuch, sie tupfte sich damit die Augen und schaute ihn dann etwas vertrauensvoller von unten an: „Danke, das ist sehr lieb von dir, eine nette Idee, ich denke, das werde ich machen." Das Tor der Spinnerei kam gerade in Sichtweite.
Margaret wagte es kaum aufzusehen und sich dem prüfenden Blick ihrer Schwiegermutter zu stellen, aber diese hatte zum Glück fast nur Augen für ihren Sohn, der nach vielen Wochen im Hotel nun endlich wieder im Hause war. Mrs. Thornton fasste sie lediglich an den Schultern, drückte ihr einen kurzen Kuss auf den Haaransatz und sagte nett, aber ohne allzu große Emotionalität: „Willkommen zurück hier, liebe Margaret."
John beeilte sich seiner Mutter zu sagen, dass sowohl er als auch seine Frau sich nach einem Bad sehnten und sich deshalb für ein Weilchen zurückziehen wollten. Mrs. Thornton nickte nur recht unbeteiligt dazu. Das Mädchen kam herein und meldete, dass ein Bote vom Hotel mit dem eingepackten Brautkleid von Miss Margaret, bei diesem Versprecher entschuldigte sich das Mädchen und verbesserte sich sogleich, mit dem Brautkleid der jungen Mrs. Thornton angekommen sei. Margaret sagte, sie würde das Kleid schnell selbst in Empfang nehmen und verließ den Raum zusammen mit dem Dienstmädchen.
Mrs. Thornton kniff die Augen zusammen und fragte sofort: „John! Du hast Margaret doch hoffentlich nicht allzu wehgetan? Sie scheint mir völlig eingeschüchtert und ich bilde mir ein, diesmal nicht, weil sie Angst vor mir hat."
Sie hielt sich eine Hand vor die Stirn: „Eigentlich ist es doch meine Schuld, ich hatte die Pflicht mit dir darüber zu reden und ich habe es nicht getan. Ich hätte dir sagen müssen, wie man eine solche Blume behandelt. Bist du unbeherrscht über sie hergefallen? Oh, ich hätte es wissen müssen, da du so offensichtlich über keine dementsprechende Erfahrung bei Frauen verfügst."
Er ließ sich vor Überraschung auf einen Stuhl plumpsen. Dann fing er an zu lachen, sehr zur Verwunderung seiner Mutter: „Mutter, ich bin erstaunt, wie wenig du über mich weißt. Und ich bin erstaunt, wie anders ich dich doch so manches Mal einschätze. Du hättest tatsächlich ein Gespräch mit mir über… über die intimen Vorgänge zwischen Mann und Frau geführt? Das nötigt mir allerdings eine große Menge Respekt vor dir ab. Um deine Frage zu beantworten, auch wenn ich es eigentlich nicht nötig habe, dies zu tun: Ich bin nicht unbeherrscht über sie hergefallen, wie du dich auszudrücken pflegst. Ich habe ihr notgedrungen wehtun müssen, aber ich war keinesfalls ein plumper Ignorant. Ich denke, das muss vollauf als Information genügen, und frage mich nie, nie wieder derartige Dinge! Nicht, dass es mir peinlich wäre, aber ich finde, es geht dich schlicht und ergreifend nichts an. Und nun entschuldigst du mich wohl auch, Mutter!"
Damit ging er erhobenen Hauptes durch die Tür.
Er drehte den Knauf der Tür und begab sich in sein Schlafzimmer. Dann erst wurde ihm bewusst, dass es nicht mehr nur sein Schlafzimmer war, ja, er hätte sogar anklopfen sollen. Margaret zuckte auch prompt zusammen, als die Tür ins Schloss fiel. Sie hatte gerade ihr Brautkleid ausgepackt und in den Schrank gehängt. John sah sich neugierig in dem neu gestalteten Raum um.
In den Wochen der Verlobung, während er im Hotel untergebracht war und Margaret im Gästezimmer, war dieser Raum komplett renoviert worden. Zuerst hatte Mrs. Thornton die Oberaufsicht, aber nachdem John ja kategorisch erklärt hatte, er möchte nicht, dass sie Margaret ständig bevormunde und unterdrücke, hatte sie widerwillig die Arbeiten am Schlafgemach an Margaret abgegeben. Margaret bewies mit sicherem Geschmack, dass ihr die Neueinrichtung Freude machte, und sie brachte Leichtigkeit und Farbe in das früher triste und schwer eingerichtete Zimmer.
Als das neue Bett vor einiger Zeit geliefert wurde, war es ihr jedoch nicht gelungen, vor den Arbeitern nicht knallrot anzulaufen. Bislang hatte John Thornton in einem eher bescheidenen eisernen, schmalen Bettgestell geschlafen, das längs an einer Wand gestanden hatte. Das große Himmelbett mit den Portieren aus blumenbedrucktem Stoff stand nun sogar mit dem Kopfende über Eck, was dem Raum eine überaus reizvolle Note verlieh. Die neuen hellen Tapeten machten den Raum so frisch und freundlich, dass John Thornton zunächst dachte, er hätte sich in der Tür geirrt.
„Margaret", er lief erfreut auf sie zu, „das ist ja ein völlig neuer Raum. Es gefällt mir außerordentlich gut. Das Zimmer wirkt wesentlich größer so, obwohl das Bett mehr Platz in Anspruch nimmt, aber so fällt es gar nicht auf, es sieht alles so großzügig und stilvoll aus."
Er umarmte sie stürmisch, sie wehrte sich nicht, blieb aber passiv: „Ach John, es freut mich, dass es dir gefällt, danke für die netten Worte."
Er hielt sie auf Armeslänge von sich und schaute sie prüfend an: „Was ist mit dem Bad?"
Sie nickte: „Das Mädchen hat alles fertig, ich wollte nur mein Kleid noch weghängen."
„Gut", er lächelte minimal, „dann geh meinetwegen und lass es dir gut gehen, bis später."
Er küsste sie zart, aber auch da war keine große Erwiderung ihrerseits. Sie fragte jedoch, bevor sie zum Badekabinett verschwand: „Was tust du zwischenzeitlich?"
„Ich gehe jetzt einen guten Brandy trinken, ein paar Geschäftsbücher durchsehen und dann... dann sehen wir weiter, ja?" Damit verließ er den Raum.
Nach dem Bad fühlte sich Margaret ein klein wenig besser. Sie hatte sogar für einen Moment in der Wanne die Augen geschlossen und daran gedacht, wie Johns Hände sich auf ihrer Haut angefühlt hatten, wie sehr sie seine Berührungen doch eigentlich genossen hatte, wie unglaublich es war, als er sich in ihr bewegt hatte, wie er sinnlich und hart zugleich sein konnte, wie er fordernd und gebend auf einmal war, wie unverschämt gut er aussah – nackt…! Sie erschrak vor ihren eigenen Gedanken, schalt sich eine völlig schamlose und verdorbene Person. Doch als sie in einen Hausmantel eingewickelt am Feuer saß und ihre Haare trocknen ließ, wurde ihr klar, dass die Liebe, auch die körperlichen Aspekte davon, zu ihrem Mann nichts Verdorbenes, Schlechtes sein konnte. Das Schicksal hatte sie zueinander geführt und dafür sollte sie dankbar sein. Und sie sollte dankbar dafür sein, dass sie einen so attraktiven, rücksichtsvollen, aufmerksamen Gatten hatte. Dass er zudem im Bett – sie schlug sich instinktiv wieder die Hand vor den Mund, ließ die Gedanken dann aber immer entspannter werdend zu – durchaus versiert war und ein guter Lehrmeister zu sein schien, war das Zuckerl obendrauf.
Sie war völlig übermüdet eingeschlafen. Wie lange sie geschlafen hatte, konnte sie nicht genau sagen, aber sie wachte jedenfalls davon auf, dass ihr anscheinend eine penetrante Fliege ständig auf die Wange flog. Mit noch geschlossenen Augen wedelte sie mit der Hand in die Richtung und klatschte gegen ein raues Gesicht. Sie öffnete rasch die Augen und bekam einen Riesenschreck: Es war keine Fliege, ihr Mann hatte sie zart mehrere Male auf die Wange geküsst. Er lag fast komplett angezogen seitlich neben ihr. Nur der schwarze Gehrock hing über einer Stuhllehne. „Ich habe dir den Tee mitgebracht, mein Liebes", hörte sie ihn nun mit seiner sonoren Stimme sagen.
Sie rappelte sich ein wenig hoch, fuhr sich durch die zerzausten Haare und sagte dann mit belegter Stimme: „Oh, danke!"
Er drehte sich um, verließ das Bett, schenkte am Tisch den Tee ein und brachte ihr die Tasse dann rüber. Sie trank dankbar ein wenig von der heißen Flüssigkeit.
„Wie geht es dir, mein Schatz?" fragte er liebevoll nach.
„Gut, gut", beeilte sie sich zu antworten, „das Bad hat mir sehr gut getan, und ich glaube, dass ich ein wenig geschlafen habe, auch."
Er lächelte sie so zärtlich an, dass sie meinte, ihr Herz müsse gleich stehen bleiben. „Ein wenig geschlafen nennst du das? Ich meine, es wären fast vier Stunden gewesen. Ich war zweimal kurz bei dir, aber du hast so tief und fest geschlafen, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, dich eher zu wecken." Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie führte abermals die Tasse zu ihrem Mund, zitterte aber so dabei, dass sie fast etwas von dem Tee verschüttet hätte. Fürsorglich nahm er ihr die Tasse ab, stellte sie leicht klirrend auf den Nachttisch neben ihm. Dann rückte er so nahe zu ihr wie nur möglich, beugte sich über sie und küsste sie mit plötzlichem heißem Verlangen.
„Du machst mich wahnsinnig, allerliebste Margaret", murmelte er an ihrem Hals und küsste sie genau an dieser Stelle, „ich kann mich nicht zurückhalten, wenn ich dich ansehe, dich berühre, deinen Duft einatme. Ich liebe dich so sehr, und ich kann es immer noch kaum fassen, dass du meine Frau geworden bist."
Dann jedoch rückte er ein gutes Stück von ihr ab und seufzte recht laut. Margaret war überrascht, dass die Attacke, so schnell sie begonnen hatte, auch schon wieder vorüber war. Mit zittriger Stimme wagte sie es nach einer ganzen Weile nachzufragen: „Wa… warum hast du aufgehört?"
Er lehnte sich auf seinen Ellbogen hoch: „Machst du Witze?"
Sie schüttelte energisch den Kopf und antwortete stotternd: „Nein, nein. Na…natürlich nicht." Sie blieb sehr lange stumm, bis sie endlich wagte weiter zu sprechen: „Ich… ich habe nur viel Zeit zum Nachdenken gehabt und ich weiß, dass ich dich unbeschreiblich liebe." Er ergriff bei diesen Worten von ihr ihre Hand, die auf dem Bett lag und drückte sie sanft, wie zur Ermutigung.
Sie deutete diese Geste richtig und fuhr fort: „Vielleicht hatte ich die falschen Vorstellungen von… von… der körperlichen Liebe, ja, ich glaube so war es. Darin kam das Wort Lust gar nicht erst vor, also… ich meine, es war für mich unmoralisch, weil ich dachte, solchen Empfindungen gibt man sich nur in sehr fragwürdigen Etablissements hin und nicht… im… im Ehebett. Daher war heute früh für mich die logische Konsequenz, ich müsse eine sehr lose Person sein, weil ich… weil ich das alles mit dir so ungemein genossen hatte."
John nickte verständnisvoll, fragte dann sogleich nach: „Und das Gefühl eine lose Person zu sein hast du jetzt nicht mehr?"
Sie lächelte ein ganz klein wenig, dann kam die unglaubliche Antwort von ihr: „Wenn ich hinterher immer ein Bad nehmen kann, was mir ein wenig das Gefühl gibt, die Dinge abwaschen zu können, auch wenn es natürlich nicht wirklich so ist, so bin ich vorher vielleicht recht gerne eine lose Person."
Nun lächelte auch er, als er ihr ins Ohr flüsterte: „Ich schätze, du bist auf dem richtigen Weg und das Bad wirst du wahrscheinlich nicht mehr allzu lange brauchen, um dich wieder frisch und rein zu fühlen. Es ist nur ein letzter Strohhalm von überzogenen Moralvorstellungen, an den du dich da klammerst, mein Liebchen." Damit senkte er langsam seinen Mund auf den ihren und diesmal kam sie ihm äußerst willig entgegen.
Etliche Zeit später lag sie mit wild klopfendem Herzen neben John auf dem Bett. Er fragte sie ernsthaft und gänzlich ohne Spott: „Soll ich dir ein Bad richten lassen, Liebste?"
Sie schüttelte verwirrt und mit zusammengebissenen Lippen den Kopf: „John, ein ganzes Bassin voller Wasser könnte das nicht kompensieren. Liebe Güte, was hast du getan? Was habe ich getan?"
Er lachte ein klein wenig trocken bei seiner Antwort: „Nun, um es mit deinen Worten zu sagen, etwas derart Verwerfliches, das man es nicht mit anständigem Vokabular beschreiben kann."
Sie zog sich die Decke über den Kopf und rief empört. „John!"
Doch er fuhr ungerührt fort: „Obwohl es sehr reizvoll wäre, zu versuchen es in Worte zu kleiden."
Sie schrie auf und hielt sich die Ohren zu: „Untersteh' dich!"
Er zog ihr die Hand mit Gewalt vom Ohr weg, lachte dabei und raunte ihr dann direkt in ihren Gehörgang hinein: „Wie man seinen Mund nicht nur zum Reden, Essen oder Küssen benutzt."
Sie rollte sich voller Entsetzen sofort weg von ihm, er schnappte nach ihrem Arm und hielt sie daran fest. „Die Lektion war doch nicht unangenehm, oder?"
Sie schlug halb spielerisch, halb ernst nach der Hand die sie fest umklammert hielt und quiekte: „Das ist ja gerade das Schlimme daran. Wenn es unangenehm wäre, bräuchte man kein schlechtes Gewissen zu haben, dass man es so überaus genießt… so aber… ach John, ich bin völlig durcheinander."
Er zog sie fest an sich und drückte ihr einen Kuss auf ihre erhitzte Stirn. „Nicht doch, mein Herz, du brauchst nicht durcheinander zu sein. Nicht über die Dinge, die hier zwischen uns geschehen. Lehne dich einfach zurück, lass dich treiben, denke nicht darüber nach… du hast es doch vorhin so wunderbar demonstriert."
Sie barg ihr Gesicht an seiner muskulösen Brust: „Da hatte ich ja keine andere Wahl, nachdem ich kaum glauben konnte, was du da mit mir anstelltest... oh, ich darf gar nicht dran denken!"
Seine Stimme klang noch dumpfer durch seinen Brustkorb als normalerweise: „Dann denke doch noch einmal schnell daran, was du dann mit mir gemacht hast… du bist eine sehr gelehrige und gewissenhafte Schülerin, mein süßes Weib."
Sie trommelte wütend mit den Fäusten auf seiner Brust: „Du impertinenter, unmöglicher Mensch! Warum nur liebe ich dich so?"
Er packte sie lachend um die Taille: „Tja, das wüsste ich auch gerne." Dann rollte er mit ihr ganz herum, bis sie unter ihm zu liegen kam. Ohne große Vorwarnung drang er in sie ein, ihre Augen wurden riesengroß, dann sagte er, bevor er sie leidenschaftlich küsste: „Allerdings kann man auf diese Art hier wenigstens auch Kinder zeugen, wenngleich dies weit weniger schockierend ist als das lustvolle Spiel unserer Z…", sie hielt ihm rasch ihre Hand vor dem Mund, er brabbelte zwischen ihren Fingern durch weiter „…n von vorhin."
Margaret meinte, keinen ihrer Knochen mehr zu spüren am nächsten Morgen. Dann jedoch fuhr sie unter der Decke hoch, die Augen weit aufgerissen, rüttelte nachhaltig an der Schulter ihres Mannes, der auf dem Bauch liegend noch schlief. „John! John, wir waren gestern Abend gar nicht zum Dinner, großer Gott, was wird deine Mutter von uns denken!"
Schlaftrunken drehte er den Kopf zu ihr um und murmelte matt in die Kissen: „Ich habe dich wegen Kopfschmerzen und Erschöpfung von den Hochzeitsfeierlichkeiten bei ihr entschuldigt und habe ihr einfach erzählt, ich würde mit deinem Bruder im Hotel noch ein paar Runden Karten spielen und dort dinieren."
Margaret richtete sich halb auf: „Du hast deine Mutter angelogen?"
Er bewegte seinen Kopf bestätigend auf dem Kissen auf und ab: „Ich konnte ihr wohl kaum sagen, dass ich es sehr eilig hatte, meinen ehelichen Verpflichtungen nachzukommen, oder? Am späten Nachmittag!" Er fügte nach einer kurzen Pause jedoch hinzu: „Obwohl man sie ganz sicher nicht für dumm verkaufen kann, sie sieht und merkt, was ich für dich empfinde. Aber so haben wir wenigstens den Anstand gewahrt, auch wenn sie wahrscheinlich hinter die ganze Angelegenheit blickt."
Margaret stöhnte laut auf: „Mein ohnehin schon schlechter Ruf in diesem Haus ist nun ganz und gar dahin! Ich werde am besten dieses Zimmer nie wieder verlassen."
Er lachte so laut wie sie ihn noch nie hatte lachen hören, und sie schaute fasziniert auf seinen zuckenden Körper. Als er sich jedoch auf den Rücken drehte, wollte sie schnell woanders hinblicken, doch er hielt rasch ihren Kopf mit einer Hand fest und zwang sie so dazu, seine Nacktheit auch außerhalb des Aktes zu ertragen. „Und nicht mehr rot anlaufen, das hast du nun nicht mehr nötig, nach den Dingen, die bereits hinter uns liegen." Er küsste sie, kurz und heftig, dann schwang er seine langen Beine aus dem Bett, warf sich rücksichtsvoll einen Hausmantel über und ging ins Badekabinett, um sein Gesicht von den dunklen Stoppeln zu befreien, die Margarets zarte Haut bereits ein wenig geplagt hatten.
Während sie sich einige Dinge zum Ankleiden zusammenstellte, war seine Stimme aus dem Bad zu vernehmen, zuerst klar und deutlich, da er sich den Rasierschaum ins Gesicht schmierte, später etwas genuschelter, als er nämlich mit dem Rasiermesser hantierte und die jeweilige Gesichtshälfte zu komischen Grimassen verziehen musste, um die Rasur erfolgreich abzuschließen: „Sicher kommen deine Verwandten nun auch bald, um sich zu verabschieden. Bist du sehr traurig, dass sie abreisen?"
„Ach, schon ein wenig, aber wir sind ja nun nicht durch Ozeane voneinander getrennt. Wenn allerdings Frederick in ein paar Tagen dann auch geht, wird es wohl schlimmer werden, denn Spanien kommt mir wirklich schrecklich weit weg vor."
John war nun um ein Vielfaches undeutlicher zu vernehmen: „Hmh, konn öch vörstöhn, moch dör köinö Sorgön, wör wördön wögön dör Sochä möt dör Möitöröi bold vorstöllig wördön."
Margaret brauchte einen Augenblick, um das Genuschel richtig zu erfassen, wurde dadurch neugierig und wagte einen Blick um die Ecke, wo sie John mit einem großen Rasiermesser sich den Schaum mitsamt Bartstoppeln vom Gesicht kratzen sah. Es entstand ein regelrecht schabendes Geräusch. Sie trat noch ein Stück näher, legte ihm zart die Hand auf den noch nackten, breiten Rücken: „Ich habe noch nie einem Mann beim Rasieren zugesehen. Ich meine, ich kenne es zwar vom Hörensagen durch meinen Vater, der sich öfter mal geschnitten hatte und dann darüber gar nicht erbaut war, aber… ist das Messer sehr scharf?"
Er nickte und hielt es ihr zur Prüfung hin. Sie fuhr äußerst vorsichtig mit der Daumenkuppe darüber: „Oh ja, meine Güte, wie bringst du es fertig, dir damit nicht das ganze Gesicht aufzuschneiden?"
Er lächelte schief, die eine Wange noch ganz weiß eingeseift: „Übung, mein Schatz, wie bei so vielen Dingen."
Erneut hielt er ihr das Messer hin: „Möchtest du es versuchen?"
Sie legte den Kopf an sein linkes Schulterblatt: „Wie? Ich soll dich rasieren?"
Er nickte herausfordernd. Sie schüttelte den Kopf: „Du wärst innerhalb kürzester Zeit verblutet und ich nach zwei Tagen Ehe bereits Witwe. Nein, das traue ich mich nicht."
Er drückte ihr das Messer in die Hand und führte diese mit festem Griff zu seinem Gesicht. Er drehte ihr Handgelenk so, dass die Klinge des Messers in einem bestimmten Winkel auf seine Haut traf und zog dann das Messer mit erwähntem Kratzgeräusch über die mit Rasierschaum bedeckte Stelle. Das tat er noch zwei-, dreimal, dann ließ er langsam ihre Hand los. Sie zitterte leicht, als sie das erste Mal das Messer alleine führte. Es ging gut, sie atmete auf. Sie fasste etwas mehr Mut, langsam schien es ihr Spaß zu machen.
Er hatte sich inzwischen hingesetzt, damit sie besser an ihn heranreichen konnte. Dann wurden die Partien zunehmend kurviger, es ging bis an die Nase, die Oberlippe heran und die Unsicherheit überkam sie wieder. Sie setzte ein klein wenig verkehrt an – er brachte ein tiefes „Autsch" hervor und das Blut lief. Er tupfte es mit einem kleinen Tüchlein weg und drückte einen Alaunstift auf die Stelle, alles mit einer Hand, weil er mit der anderen tröstend die Taille seiner Frau umfangen hielt. Langsam stand er auf, küsste sie, was damit endete, dass sie die Nasenspitze voller Rasierschaum hatte und beendete das Werk selbst, sagte allerdings dazu: „Schau genau hin, dann kannst du beim nächsten Mal alles rasieren, wie du siehst ist es nur eine Frage der Routine."
Sie wehrte ab, immer noch entsetzt darüber, dass sie ihn geschnitten hatte: „John, nein, ich habe solche Angst, dich noch einmal zu verletzen."
„Vörlötzön, wos, dos öst nor öin mönömolör Krotzör, dos possört mör stöndög." Jetzt musste sie zu guter Letzt doch lachen, über den Kauderwelsch, den seine Grimassen vor dem Spiegel beim Reden produzierten.
Mrs. Thornton war glücklicherweise bereits nicht mehr beim Frühstück. John goss sich nur einen starken Kaffee ein, küsste Margaret liebevoll und ging dann sofort zur Arbeit. Es fiel ihm nicht leicht, Entscheidungen, die er früher alleine gefällt hatte nun mit seiner Frau und zum größten Teil auch mit seinem Vorarbeiter Higgins zu besprechen, aber die Zeiten änderten sich nun mal und er wusste, wenn er hier überleben wollte, musste er sich dieser Herausforderung stellen. Also bestellte er Margaret für in einer halben Stunde in sein Büro, gleiches ließ er an Nicholas Higgins ausrichten. Zwischenzeitlich setzte sich Margaret auf einen Stuhl im Esszimmer und genoss die Stille des kurzen Alleinseins. Sie trank zwei Tassen Tee und aß mit ungewohntem Appetit mehrere Toasts, wahrscheinlich weil sie gestern kein Dinner gehabt hatte.
Die Besprechung erwies sich als sehr fruchtbar, obwohl es John Thornton schwer fiel, seine Frau als Geschäftspartnerin anzusehen. Seine Blicke, die er schenkte, sprachen eine völlig andere Sprache. Higgins entging dies natürlich nicht, er grinste fast die ganze Zeit über. Der Gegenstand der Zusammenkunft war die Baumwolle: „Ich weiß, dass Margaret, meine Frau, sehr eigene Vorstellungen hat, vor allen Dingen, was die Lebensqualität der Arbeiter hier betrifft, doch dazu vielleicht ein andermal mehr. Mir geht es heute in erster Linie um die Herkunft der Baumwolle. Thornton's bezieht die Baumwolle seit ewigen Zeiten schon aus verschiedenen Quellen in Amerika, vor allen Dingen haben wir dort Händler in North Carolina, Alabama und auch Georgia. Diese Baumwolle wird jedoch auf großen Plantagen unter Sklavenarbeit gewonnen und ist natürlich nicht zuletzt deswegen relativ günstig. Margaret ist allerdings der Meinung, und in gewisser Weise ja zu Recht, dass man die Sklaverei nicht unterstützen sollte. Ich habe mich daher erkundigt, welche Alternativen es gibt, bin aber zu keinem sehr brauchbaren Ergebnis gekommen, um ehrlich zu sein. Wohl gibt es andere Baumwollanbaugebiete, aber die Handelswege sind uns dorthin nicht erschlossen, außerdem ist die Rohbaumwolle dann um einiges teurer. Da wir aber sehr auf den Preis achten müssen, denn schließlich investieren wir in neue Maschinen und auch in die Verbesserung der Arbeitsumstände der Fabrikarbeiter, sehe ich zur amerikanischen Baumwolle leider so gut wie keine Alternative."
Die Anwesenden blickten sich leicht ratlos an. Dann räusperte sich Nicholas Higgins und sagte: „Mr. Thornton, Margaret, also ich meine natürlich Mrs. Thornton, vielleicht könnten wir einen Kompromiss schließen." John Thornton sah den Mann zwar neugierig an, seine Miene war jedoch streng wie immer und nicht zu deuten, er ermunterte ihn jedoch, weiter zu sprechen: „Ja, Higgins, wir hören." Nick Higgins drehte seine Tweedmütze an die zwanzig Mal in den Händen, bevor er zur Antwort ansetzte: „Nun ja, wenn wir zuerst noch einmal amerikanische Baumwolle beziehen und dann nach und nach, wenn die Spinnerei gut läuft und die Investitionen sich rentieren, auf die Baumwolle aus den anderen Ländern umstellen, also immer schrittweise, meine ich, etwas weniger von Amerika, etwas mehr, ja aus Ägypten oder Nordafrika oder dem Mittleren Osten, bis dahin haben Sie, Mr. Thornton, vielleicht auch gute Händler dort ausgemacht und erzielen vielleicht einen günstigeren Einkaufspreis, weil die Handelsbeziehungen sich dann etabliert haben. Könnten Sie und Ihre Frau sich damit anfreunden?" Margaret sah hilflos von dem einen zu dem anderen Mann.
Ihr Mann ergriff das Wort: „Es könnte gehen, reelle Chancen sehe ich aber nur, wenn wir zunächst auf einen großen innovativen Schritt hier verzichten und ich stelle daher zur Disposition, entweder die Schule für die Arbeiterkinder oder die Kantine für die Arbeiter hinten an zu stellen. Beides auf einmal einzurichten wird nicht möglich sein, wenn wir für den Rohstoff in unserer Fabrik auf unbestimmte Zeit mehr als gedacht hinblättern müssen. Nun, wie seht ihr das? Margaret? Higgins?"
Margaret wandte schüchtern ein: „Ähm, John, musst du immer eine Rechenmaschine im Kopf haben? Geht das nicht auch ohne Abstriche, irgendwie?"
Ihr Mann beugte sich vor, stützte sich mit beiden Händen flach auf dem Schreibtisch ab: „Bitte, ich habe einen Betrieb zu führen und ich möchte ihn nicht noch einmal an die Wand fahren, diesmal möchte ich alles richtig machen. Was wir vorhaben, ist ohnehin schon eine Ungeheuerlichkeit, wir werden überall als komplette Narren abgestempelt, weil wir uns um die sozialen Belange der Arbeiterschaft kümmern. Was unser Geld kostet, verzeih Liebes, um ehrlich zu sein, zunächst einmal dein Geld."
Jetzt meldete sich Higgins: „Also Mr. Thornton, ich würde sagen, wir richten die Schule ein und lassen erst einmal die Sache mit dem Essen für die Arbeiter beiseite. Wir haben ja noch die alte Suppenküche, wo Sie ja auch schon einige Male gegessen haben, auch wenn die mittlerweile aus allen Nähten platzt und nur provisorisch eingerichtet ist. Also ist eine neue Kantine nun wirklich nicht gleich vonnöten, die Bildung der Kleinen ist eindeutig wichtiger. Und wie ich Mrs. Margaret einschätze, ist das auch in ihrem Sinne, nicht wahr?"
Diese nickte.
„Gut", John Thornton ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl zurückfallen, „dann wäre dies also beschlossene Sache. Baumwolle aus Amerika schrittweise immer weniger, andere Quellen für den Rohstoff erschließen und ausschöpfen, die Schule einrichten, das Betriebsessen hinten anstellen. Richtig?"
Die anderen beiden stimmten einmütig ein: „Richtig!"
Die Verwandten nahmen Abschied von Milton und von Margaret. Zum Tee waren sie alle im Hause Thornton versammelt und John hatte Recht behalten, es wurden weder anzügliche Bemerkungen gemacht noch ebensolche Blicke dem Paar zugeworfen. Nur Frederick, der ja noch ein paar Tage länger blieb, nahm einmal seine Schwester kurz zur Seite und fragte sie, wie es ihr denn gefiele, verheiratet zu sein. Ein Grund für Margaret, doch wieder zu erröten, auch wenn sie es sich vorgenommen hatte nicht zu tun. Frederick lachte leise und flüsterte ihr zu: „Ich sehe schon, verliebt wie ihr beide ineinander seid, dass dir das Eheleben in jeder Hinsicht zu gefallen scheint. Er ist also tatsächlich ein Gentleman, auch im Schlafzimmer?"
Margarets Gesicht überzog sich mit tiefer Röte, sie knuffte ihren Bruder in die Seite: „Frederick! Wie kannst du nur…"zu mehr kam sie nicht, da er wiederum zu ihr sprach: „Schwesterlein, vergiss nicht, dass ich Vaterstatt an dir vertrete, ich muss also schon wissen, wie es dir geht und ob du glücklich bist."
„Also gut, wenn du es unbedingt wissen willst, damit es dich beruhigt: Ja, ich bin glücklich mit John, sehr sogar. Und er ist ein Gentleman in jeder Hinsicht, und alles ist in Ordnung. Zufrieden?" Frederick strich ihr über das Gesicht, lächelte und ging wieder zurück zu den anderen.
Zum Glück konnte sie sich gleich in die Arbeit stürzen, so dachte sie nicht allzu viel darüber nach, was der Abschied von Edith, deren Gemahl und deren Mutter für sie bedeutete. Angenehm war es für sie, dass Frederick noch ein paar Tage länger in Milton weilte und sie in ihrer Arbeit unterstützte. Sie hatten einen alten Lagerschuppen zur zukünftigen Schule erkoren und räumten ihn nun aus. Margaret hatte ihr einfachstes Kleid an, ein Kopftuch fest um die Haare gebunden und fegte nun den Rest der alten Baumwolle aus der kleinen Halle. Sie hustete ab und zu und sah aus wie eine Magd. Frederick pfiff ein fröhliches Lied dabei. John hatte zuviel zu tun, um sich mit dieser Art von Arbeit abzugeben, aber Nicholas Higgins ließ es sich nicht nehmen, einmal vorbeizuschauen. So hockten sie alle drei auf einem alten Baumwollballen, tranken einen Schluck Wasser und beratschlagten, wie die Schule am besten einzurichten war.
Higgins versprach, in die eine Seite des dunklen Schuppens einige Fenster zu montieren, damit der Schulraum auch recht hell innen wurde. Ein Heizofen musste auch herbei, damit die Kinder im Winter nicht froren. Und natürlich Tische und Bänke. Um Bücher wollte sich Margaret dann später kümmern, ebenso um eine geeignete Lehrkraft. Jedes Kind, deren Eltern in der Fabrik arbeiteten oder das selbst eine Stelle dort hatte, war berechtigt, in diese Schule zu gehen. Die Arbeitszeit in der Fabrik für Kinder wurde auf maximal zwei Stunden pro Tag begrenzt. Die Schulstunden sollten dann nochmals vier Stunden betragen. Das war für die Kinder mehr als genug.
Während Higgins mit dem Gedanken an Fenster für die Schule wieder zurück in die Fabrik stiefelte, machten Frederick und Margaret weiter rein. Sie wurden durch das spitze Auflachen einer weiblichen Person unterbrochen. Sie schauten beide auf und direkt in das spöttische Gesicht von Fanny Watson. „Oh, ich wusste gar nicht, dass die neuen Arbeiter schon tätig hier sind. Das ist in der Tat eine Überraschung! Verehrte Schwägerin, was tust du da um Himmels willen? Du siehst aus wie eine Putzfrau, weiß John, was du hier in einem derart lächerlichen Aufzug treibst? Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass er das gutheißen würde. Ach, der Trauzeuge ist auch am Werk, nun Mr. Hale ich muss gestehen, ich freue mich sehr, Sie wieder zu sehen, auch wenn ich mir dafür nicht unbedingt eine staubige Lagerhalle gewünscht hätte." Sie hatte bis dahin ohne Punkt und Komma geredet, lächelte nun aber Frederick äußerst kokett zu.
Dieser war im ersten Moment sogar versucht, das Lächeln Fannys ebenso liebäugelnd zu erwidern, aber ein Rippenstoß seiner Schwester hielt ihn gerade noch davon ab. Daher nickte er ihr nur knapp zu: „Mrs. Watson, sehr erfreut!"
„Sehr erfreut", äffte Fanny ihn nach, „ist das alles, was Sie zu sagen haben? Ich dachte, wir würden vielleicht irgendwo eine Tasse Tee nehmen, wenn es Ihnen recht ist, Mr. Hale, dieses staubige Loch ist doch kein Aufenthaltsort für ein Mann wie Sie."
Frederick blickte wiederum kurz auf, ein schnelles Grinsen huschte über sein Gesicht, als er antwortete: „Das ist eine überaus reizende Idee, meine Schwester und mich zum Tee einzuladen, danke. Wenn Sie sich also ein paar Minuten gedulden würden…." Fanny zog eine ordentliche Flunsch, als sie fadenscheinig hervorbrachte: „Ach, ich vergaß ja völlig, dass ich noch eine andere Verabredung habe, ein anderes Mal vielleicht, ja? Guten Tag, Mr. Hale… Margaret." Damit trippelte sie raschen Schrittes davon.
Margaret und Frederick fingen lauthals an zu lachen. „Reichlich unverschämt, findest du nicht auch Fred? Sie ist verheiratet und du bist es auch, und dann derart unmissverständliche Aufforderungen, ich bin regelrecht schockiert!"
Ihr Bruder lachte noch immer und meinte dazu: „Vielleicht sollte ich mich ja geschmeichelt fühlen, schade, dass ich in Kürze abreise."
Margaret schimpfte: „Oh, du bist unmöglich, Fred!"
Ihr Bruder sah sie an: „Wirst du John davon erzählen? Sollte er davon erfahren, was meinst du?"
Margaret schüttelte den Kopf: „Nein, ich denke erst einmal nicht. Er hat so sehr den Kopf voll mit Geschäftsbelangen, da muss ich ihn nicht mit einer Bagatelle wie dieser behelligen. Das wäre unnötig und völlig über das Ziel hinaus geschossen. So viel Aufmerksamkeit hat Fanny und ihr Tun nicht verdient."
Frederick küsste Margaret auf die Wange: „Weise gesprochen, meine Gute. Und nun weiter ans Werk!" Sie machten sich wieder an das Herrichten des alten Schuppens.
Der Abschied von Frederick einige Tage später fiel dann doch sehr schwer. Margaret wollte zuerst gar nicht mit zum Bahnhof kommen, doch ihr Mann überredete sie dazu, allein schon, weil sich für sie beide damit auch irgendwie ein Kreis schloss. Auf dem Bahnsteig hing sie dann auch abwechselnd unter Tränen entweder an dem einen oder an dem anderen der beiden Männer. John hatte einen großen Umschlag unter dem Arm, den er nun hervorzog: „Fred, dies ist alles, was ich zunächst für dich tun konnte. Es sind Kopien der Schreiben, die durchaus hochgestellte und mir oder anderen Fabrikbesitzern bekannte Offiziere der Royal Navy beim Marineministerium eingereicht haben, die allesamt bestätigen, dass durch die Meuterei auf deinem Schiff eher Unheil abgewandt als heraufbeschworen wurde, da durch die Unberechenbarkeit des Kapitäns deutliche Gefahr für Schiff und Mannschaft drohte. Die Vorgänge wurden weitgehend neutral dargestellt, ohne Erwähnung deines Namens. Es wird aber auch noch einmal Druck auf die entsprechenden Stellen in Whitehall ausgeübt werden, um die Untersuchung gegen dich und deine Kameraden fallen zu lassen. Das braucht aber sicher noch einige Zeit, also habe Geduld. Sobald wir etwas wissen, werden wir dich in Kenntnis setzen."
Die Schwäger umarmten sich freundschaftlich, Margaret schluchzte erneut. Da wandte sich ihr Mann direkt an sie: „Meine Süße, ich kann verstehen, dass dir das Herz fast bricht, aber wie du siehst, sind viele Dinge bereits in die Wege geleitet, um Frederick zu rehabilitieren. Sollte dir jedoch die Zeit allzu lange werden, bis er als freier Mann nach England reisen darf, so habe ich auch noch eine kleine Überraschung für dich. Da wir ja um das Vergnügen einer Hochzeitsreise gekommen sind, können wir das, sobald es die Geschäfte zulassen, gerne nachholen und werden einen Teil Spaniens bereisen. Wie gefällt dir das?"
Margarets Augen blitzten kurz unter all der Tränenflut auf: „Oh wann, John, wann?"
„Das kann ich nicht genau sagen, aber ich verspreche, dass es wirklich sein wird, sobald sich die erste Lücke in all der vielen Arbeit auftut, ja?"
Sie nickte stumm. Dann warf sie sich noch einmal schnell an die Brust ihres Bruders, als dieser im Begriff war, in den Zug zu steigen. Dampf verhüllte den halben Bahnsteig, die Pfeife schrillte, der Zug fuhr los. Eng an John geklammert winkte Margaret wie verzweifelt ihrem Bruder hinterher. „Ich hasse Abschiede", jammerte sie gegen das Revers von Johns Gehrock.
Er strich ihr beruhigend über das Haar: „Oh ja, ich mittlerweile auch."
