Knapp sechs Wochen später konnte die Schule eröffnet werden. Trotz des Protestes von Mrs. Thornton setzte Margaret sich auch bei der Namensgebung durch, anstatt wie ihre Schwiegermutter vorgeschlagen hatte, ihr den eigenen Familiennamen oder den Spinnereinamen zu geben, wurde unter großem Applaus ein Schild über dem Eingang montiert, das verkündete: „Rev. Richard Hale Schule". Margaret hatte bis dahin viel gearbeitet, teilweise noch bis spätabends über Bücherlisten gesessen und Bestellungen ausgefüllt. Mehrere Lehrerinnen und Lehrer waren bei ihr vorstellig gewesen, bis die richtige Person für diese Aufgabe anscheinend gefunden war. Margaret war eindeutig überarbeitet und erschöpft. Sie aß zu wenig und fühlte sich ganz und gar nicht wohl. Abgenommen hatte sie auch, ihre Röcke waren ihr fast alle im Bund zu weit. Jetzt aber, ausgerechnet am Eröffnungstag der Schule, fühlte sie sich regelrecht krank. Zum Glück hatte sie den offiziellen Teil geradeso herumgebracht. Sie saß völlig apathisch auf einem Stuhl, als Nicholas Higgins auf sie zukam: „Mrs. Margaret, Sie sehen mir gar nicht gut aus. Beobachte Sie schon eine ganze Weile."

Er tätschelte ihr fürsorglich die Hand. Sie zitterte ein wenig, so übel war ihr. Dann sprang sie plötzlich ohne ein Wort der Erklärung auf und stürzte davon. Fünf Minuten später kam sie kreidebleich zurück. Higgins fragte nur eine Sache: „Übergeben?"

Sie nickte schwach und sank wieder auf den Stuhl. Higgins sprach weiter: „Hab' ich mir schon gedacht. Weiß John, ich meine ihr Mann, davon?"

Sie schaute Nicholas verständnislos an. Der kratzte sich nun am Kopf, fiel wieder in seinen breiten Dialekt: „Naja Missus, wissense, missverstehn se mich nich, aber ich hab schon ne Menge Frauen gesehn die wo'n Kind gekriegt ham, und se mach'n da auch nich gerade'n großen Unterschied." Mit dieser Erkenntnis ließ er sie alleine, allerdings um sich auf die Suche nach ihrem Mann zu machen, damit dieser sich um die Angelegenheit kümmerte.

John kam im Sturmschritt auf Margaret zu. Higgins hatte ihm nur erklärt, seiner Frau ginge es gar nicht gut und er müsse sich dringend um sie kümmern. Sie hockte wie ein Häufchen Elend auf dem Stuhl und hatte den Kopf in die Hände vergraben. Er beugte sich zu ihr runter: „Liebes, was hast du? Möchtest du, dass ich dich rüber ins Haus bringe?"

Sie nickte nur dazu. Er zog sie langsam vom Stuhl hoch: „Kannst du laufen?"

Abermals ein Nicken. Er klemmte ihren Arm fest unter den seinen, stützte sie zusätzlich mit der anderen Hand und brache sie über das Gelände zum Wohnhaus. Seine Mutter kam ihnen entgegen gelaufen: „John, was ist los, was hat Margaret denn? Ist sie gestürzt?"

„Nein, gestürzt ist sie nicht, aber ich schätze, dass sie ernsthaft krank ist, du solltest den Arzt rufen lassen. Ich bringe sie derweil zu Bett."

Mrs. Thornton eilte weiter, den Auftrag auszuführen, den ihr Sohn ihr erteilt hatte. Zwar war sie noch immer nicht ein Herz und eine Seele mit ihrer Schwiegertochter, aber ernsthaft erkranken, nein, das wünschte sie ihr wahrhaftig nicht. Besorgnis machte sich in ihr breit.

Als Margaret auf dem Bett lag, ging es ihr etwas besser. Die Übelkeit hatte nachgelassen, der Schwindel auch. Ihr Mann saß auf der Bettkante und hielt ihre Hand: „Ich hoffe, dass der Arzt schnell wird kommen können."

Margaret befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und fing an zu sprechen: „Es wird vielleicht nicht nötig sein, mir geht es auch schon viel besser. Higgins meinte… also Higgins meinte…", weiter kam sie nicht, da sie von John unterbrochen wurde: „Margaret, mein Engel, Higgins kann viel erzählen, ich bin ihm auch dankbar, dass er dich gefunden und mich darüber informiert hat, aber einen Arzt kann er noch lange nicht ersetzen."

Sie gab es auf, vorerst. Es klopfte an der Tür, John eilte hin um zu öffnen. Seine Mutter war mit dem Arzt da. Doktor Reese, der vor kurzem erst den mittlerweile pensionierten Doktor Donaldson abgelöste hatte, kam an das Bett getreten und forderte John auf, das Zimmer zunächst einmal zu verlassen, man würde ihn dann später wieder rufen lassen. Unwillig ging John in Begleitung seiner Mutter hinaus.

Vor der Tür blieb John Thornton an eine Wand gelehnt stehen: „Mutter, wenn Margaret etwas Ernsthaftes fehlen sollte, ich… ich würde nicht mehr weiterleben wollen."

Mrs. Thornton drehte sich liebevoll zu ihrem Sohn, strich ihm leicht über Gesicht und Haare und sagte dann: „Soweit wird es sicher nicht kommen. Aber es zeigt mir, was du für Margaret fühlst. Ich wusste zwar schon lange, dass sie dir den Kopf verdreht hat, dass sie dir dein Herz gestohlen hat, aber ich hatte keine Ahnung, dass du sie so sehr liebst. Es tut mir leid, dass ich die Tiefe deiner Gefühle nicht erkannt hatte, es tut mir leid, dass ich sie falsch behandelt habe, es tut mir leid, dass ihr so sehr füreinander habt kämpfen müssen. Sollte es ihr bald wieder besser gehen, so hat sie von mir unter Garantie nichts mehr zu befürchten. Ich muss sagen, ich bewundere sie, weil sie so tapfer für euch und eure Liebe kämpft. Und ja, ich liebe sie dafür, dass sie dich liebt. Und dich liebe ich sowieso, John, aber das weißt du ja." Er ließ stumm seinen Kopf auf die Schulter seiner Mutter sinken.

Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis Doktor Reese die Tür öffnete und zuerst John hereinbat. Dann ergriff der Arzt das Wort: „Ich habe mit Mrs. Thornton lange gesprochen, da sie mir zunächst einen sehr abgearbeiteten Eindruck machte. Das konnte sie mir auch soweit bestätigen. Auf die richtige Spur allerdings bin ich gekommen, nachdem sie mir sagte, dass ihr in letzter Zeit öfter mal übel ist und sie sich heute auch übergeben hat. Im Übrigen ist sie wohl von jemandem bereits auf diese Symptome aufmerksam gemacht. Trotzdem mussten wir erst noch sichergehen, unter anderem durch eine kurze Untersuchung und eine weitere Befragung ihrer Gattin."

John Thornton machte eine ungeduldige Handbewegung: „Nun, was fehlt ihr denn? Bitte Doktor, sagen sie es ruhig, auch wenn es etwas Schlimmes sein sollte!"

Der Doktor gab nichts weiter preis: „Ob es etwas Schlimmes ist, sollten Sie beide für sich alleine entscheiden, aber nach dem was ich von Ihrer Frau hörte, besteht diese Gefahr anscheinend nicht. Und es fehlt ihr auch nichts, im Gegenteil, ich würde sagen, sie hat eher etwas zu viel."

John schien nun vollends verwirrt, vor allen Dingen, da auch Margaret zu lächeln anfing. Der Doktor packte seine Tasche und beendete seinen Besuch mit dem Satz: „Und Sie denken daran, was ich Ihnen sagte, Mrs. Thornton, nicht wahr? Wie nett auch, dass Ihr Vorarbeiter ein schlaues Bürschchen zu sein scheint und Ihnen schon mal eine Vorwarnung gegeben hat." Damit war er verschwunden.

Mrs. Thornton steckte den Kopf zur Tür rein: „John, Margaret, ist alles in Ordnung?"

„Einen Augenblick noch Mutter", rief John, „warte bitte, ja?"

Die Tür ging wieder zu, das Paar war alleine. Margaret blickte verklärt auf ihren Mann. Der fragte nun: „Also für mich spricht dieser Arzt in tausend Rätseln. Was ist denn nun los?" Margaret beschloss, ihn noch ein wenig zappeln zu lassen, da er so offensichtlich nicht von selbst auf die Lösung kam. Daher zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Nichts ist los. Gar nichts."

Jetzt wurde er langsam ungeduldig: „Herrgott, wollen mich alle hier zum Narren halten. Dir fehlt nichts, du hast etwas zuviel, es ist wohl nichts Schlimmes und Higgins ist ein schlauer Hund. Nein, Margaret das ist eindeutig zu viel für mich."

Sie kuschelte sich ein wenig ran an ihn: „Die Reise nach Spanien müssen wir auch deswegen aufschieben."

Er brauste auf: „Wunderbar, und eine geplante Reise fällt der geheimnisvollen Sache auch noch zum Opfer."

Sie nickte; „Was hat der Arzt noch gesagt, was dir noch einfällt?"

Er überlegte: „Er sagte, du wärest abgearbeitet – und dir wäre oftmals übel. Lieber Schatz, ich kann mir beim besten Willen daraus nichts zusammenreimen."

Sie setzte neu an: „Gut, dann denke mal den Weg zu Ende, der mit dem Hinweis anfängt, ich hätte etwas zu viel…"

„Zu viel, zu viel", sinnierte John „was könntest du zu viel haben? Zu viel Gewicht? Nein, eher im Gegenteil, du bist so dünn in letzter Zeit…"

Sie unterbrach ihn an dieser Stelle lächelnd: „Aber ich werde bald viel mehr wiegen, so wie die Dinge liegen, also mit dem Gewicht hat es durchaus auch zu tun. Fasse noch mal zusammen, bitte."

John tat, wie ihm geheißen: „Dir ist übel, du hast etwas zu viel, dein Gewicht wird mehr werden und es ist nichts Schlimmes, die Reise muss verschoben werden und Higgins weiß…", er schrie es hinaus: „Nein!"

Er packte sie bei den Schultern und wollte sie schütteln, besann sich aber schnell anders, schaute sie fassungslos an: „Wir bekommen ein Kind? Sag, sag, ist das wahr?"

Sie nickte, während ihr die Tränen in Strömen die Wangen herunter liefen. Er sprang auf, raste im Zimmer umher wie verrückt. Dann setzte er sich wieder hin, nur um sogleich wieder hochzuspringen. „Dass ich da nicht drauf gekommen bin, oh Margaret, welch einen ausgemachten Trottel hast du da als Mann! Darf ich Mutter hereinbitten, sie wartet schon so lange und macht sich Sorgen?"

Abermals nickte Margaret, aber sie hielt ihn noch kurz am Ärmel fest und zog ihn zu sich aufs Bett: „Bekomme ich keinen Kuss für diese wunderbare Nachricht?" fragte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag. Er beeilte sich, dieser Aufforderung mit allem was in seiner Macht stand nachzukommen. Mrs. Thornton musste vor der Tür noch länger als nur einen Augenblick ausharren.

Mrs. Thornton schlug wenige Minuten später voller Freude die Hände über dem Kopf zusammen. Sie trat zu Margaret ans Bett und küsste sie sehr herzlich auf beide Wangen. Dann umarmte sie John und hielt ihn eine ganze Weile fest. Dann hob sie den Kopf und gab in ihrem üblichen neutralen Tonfall bekannt: „Margaret muss natürlich versprechen, jetzt nicht mehr so lange und intensiv zu arbeiten. Das wäre auf keinen Fall gut für sie. Aber andererseits ist eine Schwangerschaft keine Krankheit, ich für meinen Teil bin nie ganz untätig gewesen, als ich erst John und dann später Fanny erwartete. Wir sehen uns später zum Dinner?" Sie nickte den beiden noch einmal zu, dann ging sie hinaus.

John sprang mit einem Satz zu Margaret ins Bett, hielt sein Ohr an ihren noch völlig flachen Bauch: „Kann man es schon hören, oder spüren?"

Sie schob ihn lachend weg: „Nein, der Doc sagte, das könne noch viele Wochen oder Monate dauern, denn genau das Gleiche habe ich ihn auch gefragt."

Sie verschränkte ihre Hand mit der seinen, dann sprach sie leise weiter: „Ähm, ich habe ihn auch gefragt, weil ich mir da ziemlich unsicher war, ob es dem Kind etwas ausmacht, wenn wir… wenn du… also wenn wir weiterhin miteinander… du weißt schon…"

Er schaute sie erstaunt an: „Das hast du gewagt den Doc zu fragen? Respekt, meine Liebste, Respekt. Was hat er geantwortet?"

Sie flüsterte: „Er war sich selbst nicht recht sicher. Er meinte, er würde es nicht direkt empfehlen, aber es würde in unserem Ermessen liegen, wenn ich mich gut fühle und alles mit der Schwangerschaft gut verläuft und du das Bedürfnis hast…"

Er brummte sofort los: „Ich das Bedürfnis, meine Güte! Was redet der Kerl da! Als ob immer nur die Männer Bedürfnisse in dieser Richtung hätten." Er drehte sich zu Margaret hin: „Ha, der kennt meine Frau nicht, diese kleine unersättliche, stets fordernde lustvolle Bettprinzessin!" Sie musste lachen. Er beugte sich über sie, küsste sie wie ein Ausgehungerter und stellte dann lakonisch fest: „Ich glaube, ich habe gerade das dringende Bedürfnis, mein Kind zu besuchen. Verspüren sie dieses Bedürfnis auch, junge Frau Mama?" Und als sie glücklich nickte, beeilte er sich, diesen Bedürfnissen nachzukommen.

Viele Wochen später lag John Thornton wiederum neben seiner Frau, die Hand auf ihrem deutlich angeschwollenen Leib. „Da", rief er voller Verzücken aus, „eben hat es wieder getreten. Aber mir kommt das komisch vor, es tritt in einer Sekunde hier oben und in der nächsten Sekunde da ganz an der Seite. Boxt es vielleicht mit Händen und Füßen? Und findest du nicht auch, dass dein Bauch in letzter Zeit sehr schnell gewachsen ist? Du siehst jetzt schon aus wie eine Kugel und Mama sagt, es wären noch so viele weitere Wochen hin. Ich will nicht hoffen, dass du platzt."

Sie schlug nach ihm in spielerischer Manier. „John, du bist nicht sehr galant!"

Er küsste sie, dann rollte er sich auf den Rücken und seufzte künstlich: „Ach, hoffentlich breche ich nicht unter dir zusammen, wenn du gleich… auf mir sitzt."

Sie quiekte entsetzt, aber er hatte ihr bereits das Nachtgewand abgestreift und starrte unverhohlen ihre um einiges zugelegten Brüste an. „Weißt du eigentlich, wie schön du bist, gerade als werdende Mutter? Es ist unglaublich, ich hätte nicht gedacht, dass dem so wäre, aber seit du das Kind trägst, hat sich mein Verlangen nach dir noch um ein Vielfaches gesteigert. Ich würde dich am liebsten gar nicht mehr loslassen und wenn es möglich wäre, für immer an dieses Bett hier fesseln."

Er zog sie vorsichtig auf sich drauf, spielte eine Zeitlang mit ihr, bis sie die Augen schloss und tief durchatmete, dann ließ er sie sich langsam auf ihn nieder senken. Er genoss es, dabei ihren runden Bauch zu sehen, ihre so prallen Brüste, alles an ihr war warm und weich. Er konnte es nicht lange an sich halten, er war so verrückt nach ihr, dass er schon nach wenigen leichten Bewegungen wieder zusammensackte.

Margaret war gerade auf dem Weg in die Ordination von Doktor Reese, war dorthin gelaufen, auch wenn es ihr zunehmend schwer fiel, aber sie wusste, der Doc würde die leichte Bewegung, den Spaziergang für gutheißen, als sie einmal mehr auf Fanny traf. Diese brach sofort ein hyänenartiges Gelächter aus: „Meine Güte, Margaret, du siehst aus wie eine Tonne. Da kann ich mich überaus glücklich schätzen, dass mir eine Schwangerschaft bislang erspart geblieben ist, ich wäre überaus entsetzt, derart aus dem Leim zu gehen, nein, das ist ja schon fast abartig."

Sie beobachtete genau die Reaktion ihrer Schwägerin, um gegebenenfalls noch einen draufsetzen zu können. Margaret aber war inzwischen fast schon immun gegen die ständigen Sticheleien, sagte deshalb nichts und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Fanny blickte weiterhin geringschätzig, als sie fragte: „Du konsultierst den guten Doktor Reese? Nun ja, vielleicht empfiehlt er dir ja endlich mal eine Diät, denn das kann unmöglich alles von dem Kind kommen. Aber so sieht John nun endlich, was er sich da eingehandelt hat, ich schätze, er hat sich sicherlich des Nachts bereits von dir abgewandt. Man kann es ihm nicht verdenken."

Und sie stolzierte ohne weiteren Gruß von dannen. Margaret schüttelte fassungslos den Kopf. Sie verstand die Verbitterung ihrer Schwägerin ganz und gar nicht. Was hatte sie ihr getan?

Sie saß ganz still auf dem Bett und lauschte in ihren Körper hinein. Wenn Doktor Reese mit seiner Vermutung recht hatte…. Sie legte beide Hände auf ihren Bauch. Mit etwas Mühe kam sie vom Bett hoch und stand auf. Sie wanderte über das Werksgelände. In der einen Fabrikhalle, die sie nicht mehr so gerne wegen des großen Lärms betrat, winkte sie Nicholas Higgins zu. Der winkte fröhlich zurück. Dann kam sie endlich zum Kontor ihres Mannes. Sie klopfte an, wartete auf sein dumpfes, immer etwas ungehaltene „Herein", das sie aber schon lange nicht mehr einschüchterte. Sie schlüpfte zur Tür herein, er sah nicht gleich von seinen Papieren auf dem Schreibtisch auf und so betrachtete sie ihn einen ganz kurzen Moment in seiner Konzentration.

Dann schaute er zur Tür, sah seine Frau und die Mundwinkel bogen sich ein klein wenig zu einem Lächeln hoch. „Was gibt es, Liebste?"

Sie drehte nervös an ihrem Ehering, bevor sie das Wort ergriff: „Ich war bei Doktor Reese."

Er nickte: „Gut, ich hoffe, er ist zufrieden und alles ist in Ordnung."

Margaret konnte dies soweit bestätigen: „Ja, zufrieden ist er schon…", es klang nicht sonderlich erbauend, deswegen hakte John sofort nach: „Da höre ich jedoch ein ‚aber' folgen, ist das richtig?"

Er stand sofort auf und ging um den Schreibtisch herum, um Margaret einen Arm um die Schulter zu legen. Sie zögerte ein klein wenig, dann sprach sie weiter: „Nun ja, also wir haben ja beide schon selbst bemerkt, dass diese Schwangerschaft irgendwie ungewöhnlich zu sein scheint, und auch deswegen wollte ich den Doktor konsultieren. Er gab uns Recht, er hat mir bestätigt, dass meine Leibesfülle schon ein bisschen erstaunlich ist und so hat er mit einem großen Holzrohr versucht, den Herzschlag des Kindes abzuhören. Es hat eine ganze Weile gedauert, aber dann war er sich ziemlich sicher, dass… ähm, dass es wahrscheinlich zwei Kinder sind!"

Ein Paukenschlag hätte nicht wirkungsvoller sein können. John Thornton starrte seine Frau ungläubig an: „Wie zwei?"

Sie zuckte mit den Schultern: „Eben zwei zugleich - Zwillinge."

Er setzte sich rasch auf den Rand seines Schreibtisches, um irgendwo Halt zu haben und fuhr sich reichlich verwirrt mit der Hand durch die Haare. Dann fing er an zu lachen, fast klang es hysterisch.

„Zwillinge", japste er „das hätten wir uns ja auch denken können! Natürlich!"

Dann hörte das Gelächter abrupt auf, er blickte auf Margaret: „Wie kommen die heraus?"

„Wie meinst du das?" fragte ihn seine Frau.

Er räusperte sich, präzisierte seine Frage: „Ich meine, wenn es zwei sind, was geschieht dann bei der Geburt? Ich denke mir, eines ist schon kompliziert, aber Zwillinge…", er ließ das Satzende offen.

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, legte ihm beide Hände in den Nacken und faltete sie dort, dann sprach sie ganz nah an seinem Gesicht: „Ich weiß es nicht, Doktor Reese meinte nur, dass man im äußersten Notfall einen operativen Eingriff machen müsste…"

Sie konnte den Satz nicht zu Ende reden, denn John sprang wie ein Wilder vom Schreibtisch auf und polterte los: „Einen operativen Eingriff? Ja, ist denn der Doktor völlig von Sinnen? Wie kommt er darauf? Niemals! Dazu gebe ich keine Einwilligung! Das ist absurd, absurd, absurd!"

Margaret strich ihm beruhigend über den Kopf: „John, es ist doch gar nicht gesagt, dass dies auch so sein wird, warten wir es doch erst einmal ab."

Er schüttelte den Kopf voller Unmut und Unbehagen, ließ ihn auf Margarets Schulter herabsinken: „Wenn dir oder dem Kind… den Kindern etwas passiert - nein, es wäre zu schrecklich, ich darf gar nicht daran denken."

Sie musste aber noch etwas loswerden: „Mit den Zwillingen gehen aber leider noch andere Dinge einher, die ich ansprechen muss, auch wenn es mir schwer fällt."

John blickte sie müde an: „Was denn noch?"

Sie seufzte: „Der Doktor meinte, es wäre bei Zwillingsschwangerschaften häufiger der Fall, dass die Geburt sich früher ankündigt als angedacht. Um dies zu vermeiden und dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder voll ausgetragen werden können, sollten wir auf keinen Fall mehr… also wir dürfen jetzt nicht mehr… keine körperliche Vereinigung mehr, Liebster."

Er nickte: „Gut, dafür kann ich das erforderliche Verständnis aufbringen, ich bin mir allerdings sicher, er meinte damit aber nur das direkte… ja also die Vereinigung als solche. Alles Weitere schätze ich als harmlos für das Kind... will sagen die Kinder ein, was meinst du?"

Sie zuckte ratlos mit den Schultern: „Ich weiß es nicht, aber ich denke auch, er bezog sich nur auf das eigentlich Körperliche, ja."

Sie küsste ihn sanft, erst auf die Wange, dann fanden sich ihre Münder. Seine Hände legten sich zärtlich auf ihren Bauch, dann beugte er sich dorthin runter, küsste die Stelle auf ihrem Kleid und flüsterte: „Ihr zwei Süßen da drinnen, ihr macht ja schon jetzt ganz ordentlich Mühe."

Mrs. Shaw und Edith hatten sich rechtzeitig auf den Weg nach Milton gemacht, um die Niederkunft nicht zu verpassen, da Margaret geschrieben hatte, es könnte durchaus auch früher als geplant vonstatten gehen, wegen der Zwillingsschwangerschaft. Aber die Babys hatten es dann zum Glück nicht ganz so eilig, was Doktor Reese als sehr gutes Zeichen ansah. John half seiner Frau morgens aus dem Bett, da sie von alleine kaum noch von der Matratze hoch kam, als plötzlich beide in einer Lache von klarer Flüssigkeit standen. Sie schauten sich beide perplex an, dann nötigte John Margaret sofort wieder aufs Bett und rannte um Beistand suchend hinaus. Mrs. Thornton und Mrs. Shaw kamen umgehend zu Margaret und befanden, dass dies wohl das Zeichen für die anstehende Geburt sei. Im Hintergrund trommelte John nervös mit den Fingern auf dem Türstock. Man kam überein, Doktor Reese zu bestellen und der Hebamme Bescheid zu geben, alles aber ohne übertriebene Eile, da die Frauen wussten, es konnte sich unter Umständen noch um viele Stunden handeln.

Bis der Doktor ankam, durfte John noch bei Margaret bleiben. Diese lag gefasst im Bett. John nahm sie zärtlich in den Arm und fragte sogleich: „Wie geht es? Hast du Schmerzen?"

Sie schüttelte den Kopf: „Nein, das ist ja das Merkwürdige, ich spüre rein gar nichts."

In der Zwischenzeit war auch Edith hereingekommen und hatte sich nach Margaret erkundigt. Da sich diese aber wohl befand, ging Edith wieder hinaus, auch um den beiden noch eine kurze Zeit gemeinsam zu gönnen. John Thornton war es fast unmöglich, ein paar Worte herauszuwürgen, seine freie Hand, die auf der Bettdecke lag, zitterte: „Ich… ich würde so gerne bei dir bleiben. Warum schickt man die Männer immer weg, wenn es ans Kinderkriegen geht, das verstehe ich nicht. Würde ich dich stören?"

Margaret konnte keine befriedigende Antwort geben: „Allerliebster John, ich weiß es nicht. Aber selbst wenn du hier wärest, was würdest du helfen können? Nichts. Also gehst du schön brav an deine Arbeit und ich verrichte hier die meine, ja?"

Nach einer guten Dreiviertelstunde war Doktor Reese da, in seinem Fahrwasser die Hebamme, Mrs. Longmuir, offensichtlich schottischer Abstammung. Die kannte nun gar kein Pardon und komplimentierte als erstes den Hausherrn hinaus. Als John gerade die Tür hinter sich schließen wollte, kam ein lang gezogenes „Aaaaaah" von seiner Frau, was ihn veranlasste, sofort wieder zurück ans Bett zu eilen. Doch die Hebamme blickte ihn nur streng an: „Mr. Thornton, das war nur die erste von vielen Wehen, die ihre Frau da verspürte, und jetzt müssen sie wirklich gehen." Er fügte sich widerwillig der Anordnung.

Ruhe hatte er keine in seinem Büro. Er ließ Higgins zu sich rufen und der gab sich redlich Mühe, seinem Dienstherren etwas Ablenkung zu verschaffen, indem er plapperte was das Zeug hielt, egal um welches Thema es sich auch handelte. Die Männer tranken sogar eine Tasse Tee zusammen, dann nahm Higgins ihn noch mit rüber in die Schule, wo selbst die Lehrerin belanglose Konversation machen musste, um den werdenden Vater einigermaßen zu beruhigen. Zur Mittagszeit war John nicht einmal in der Lage, etwas zu sich zu nehmen, alles was er bis dahin gegessen hatte, war ein Apfel. Nicholas Higgins persönlich ging in die Küche und ließ einen Teller mit Fleischpastete und Bohnen zurechtmachen. Den trug er dann ins Büro und stellte ihn mit lautem Gescheppere vor die Nase John Thorntons: „So, unn wennse nu nich essen, dann kriegenses so richtig mit mir zu tun!" Higgins zuliebe versuchte er es, stopfte sich zwei Gabeln mit Bohnen und ein Stück Pastete in den Mund und schob dann den Teller fast angewidert von sich.

Am frühen Nachmittag kam Fanny. Sie war nicht direkt besorgt, als sie ihren Bruder so teilnahmslos im Schreibtischstuhl sitzen sah, aber es ging ihr merkwürdigerweise doch näher als gedacht. Wie immer überspielte sie es mit ihrer spöttischen Art: „Ach, du liebe Güte! Sieht so ein werdender Vater aus? Was sollen denn deine Söhne oder Töchter von dir denken? Reiß dich gefälligst zusammen, John!"

Sie nötigte ihn dann endlich, mit ins Haus zu kommen und mit ihr Tee zu trinken. Er aß wenigstens ein Stückchen Obstkuchen, das war schon mal etwas. Dann jedoch, als Fanny einmal nicht ständig wie ein Wasserfall redete, hörte er einen markerschütternden Schmerzensschrei aus dem oberen Stockwerk und sprang auf.

Er jagte den Flur entlang, hörte nicht, wie seine Schwester ihn zurückbeordern wollte, und stieß an der Treppe mit seiner Mutter zusammen: „Mutter, was ist da oben los? Ich habe Margaret schreien gehört, bitte!"

Mrs. Thornton nahm die Hände ihres Sohnes und hielt sie beruhigend fest: „Glaube mir, es ist nichts, was nicht der Doktor und Mrs. Longmuir in den Griff bekommen würden. Und das Frauen unter der Geburt mal jammern und schreien ist völlig normal."

Fanny kam nun auch den Gang entlang und stellte sich dazu. Der nächste Schrei ertönte durchs Haus. Mrs. Thornton bremste den Reflex ihres Sohnes, die Treppe hinauf rennen zu wollen: „Du könntest sowieso nichts tun, bleib hier." Damit ging sie wieder nach oben und ließ John in der Obhut seiner Schwester.

Das Mädchen zündete die Leuchter an, da es mittlerweile dunkel geworden war. Fanny blickte von ihrer Stickarbeit zu ihrem Bruder, der zunächst versucht hatte, Zeitung zu lesen, dann eine Weile mit wippendem Fuß am Fenster stand und nun mit unruhigen Schritten das Zimmer durchmaß. Da ging die Tür auf und Mrs. Thornton stand mit Mrs. Shaw in der Tür. Beide Frauen sahen reichlich müde aus. John sah sofort an ihren Blicken, dass etwas nicht stimmte: „Was ist los, Mutter? Mrs. Shaw?"

Mrs. Shaw begann: „Margaret ist ziemlich erschöpft, verständlicherweise, und so recht geht die Sache nicht voran, obwohl sie ordentlich Wehen hat."

John schaute mit flackernden Augen von einer zur anderen: „Was soll das heißen?"

Seine Mutter ergänzte nun: „Der Doktor und die Hebamme sind der Meinung, dass das eine Kind nicht richtig liegt und somit nicht voran kommt und damit auch dem zweiten den Weg versperrt."

John schrie es heraus: „Mutter, nein!"

Mrs. Thornton legte ihrem Sohn eine Hand auf den Arm: „Es ist nicht sonderlich schlimm, sie werden nun erst versuchen, das Baby zu drehen."

Sogar Fanny war nun blass geworden, sie sagte kein Wort mehr. Ihre Mutter fuhr fort: „Allerdings stellt der Doktor eine Operation in Aussicht, sollte die Drehung nicht gelingen. Er möchte auf alle Fälle, dass weder Margaret noch die Kinder Not leiden, wenn du verstehst..."

Er schluchzte förmlich: „Ich will nicht, dass Margaret leidet, unter keinen Umständen und die Kinder – Mutter, sag doch was!"

Er blickte mit trüben Augen auf: „Diese Operation, wie wird sie vonstatten gehen?"

Mrs. Thornton zuckte vage mit den Schultern: „Soweit er mir das plausibel machen konnte, wird Margaret chloroformiert, damit sie betäubt ist und dann setzt er einen Schnitt…", John stöhnte auf, „…und holt die Kinder raus, die Hebamme übernimmt diese und der Doktor näht dann die Stelle wieder zu." Ihr Sohn sank mit schreckgeweiteten Augen auf das Sofa im Salon.

In diesem Augenblick hörte man einen ohrenbetäubenden Schrei, dann war wieder Stille. Mrs. Shaw rannte los, Mrs. Thornton etwas gemessener hinterher. Diesmal ließ John sich nicht davon abhalten, ebenfalls die Treppe hinaufzusteigen, sogar seine Schwester kam, wenn auch langsam, nach. Die Frauen hatten die Tür zum Schlafzimmer natürlich wieder hinter sich geschlossen, also marschierte er im Korridor auf und ab. Er heute undeutlich das Stimmengemurmel, dann wieder ein Schrei, dann eine Art unterdrücktes Stöhnen. Fanny hielt ihn letztendlich davon ab, das Zimmer zu stürmen, sie sagte: „Ich gehe hinein und sehe was los ist, dann komme ich sofort wieder raus und sage dir Bescheid, ja?"

Er warf ihr einen dankbaren Blick zu, als sie die Tür einen winzigen Spalt öffnete und schnell hinein huschte. Er hörte merkwürdige keuchende Geräusche während der kurzen Zeit, in der die Tür geöffnet war. Fanny war noch nicht lange drinnen, als Margaret offensichtlich wieder schrie und stöhnte. Er hörte den Doc und die Hebamme irgendwelche Anweisungen geben, verstand aber nicht genau, was sie da sagten. Nach knapp zehn Minuten ging die Tür wieder kurz auf und seine Schwester erschien. Sie drückte ihm kurz den Arm und sagte halblaut: „Soweit ich Mutter verstanden habe, steht keine Operation an, ich glaube…"

Ein mörderischer Schrei unterbrach sie an dieser Stelle, von aufgeregten Stimmen begleitet. Dann war eine Weile völlige Stille, bis auf einmal ein klägliches, dünnes Weinen zu hören war. Fanny stürzte wieder hinein. Es wurde lebhaft geredet im Zimmer. Nach wie vor verstand John kein Wort davon draußen auf dem Flur. Nach einigen Minuten öffnete sich die Tür abermals und direkt vor John stand seine Mutter mit einem Bündel weißer Tücher im Arm. Sie legte das Bündel merkwürdigerweise ganz vorsichtig in seinen Arm und flüsterte tränenerstickt: „Deine Tochter, mein Sohn!" Dann ging sie wieder hinein.

John war so schockiert, dass er nicht genau erfasste, was er da im Arm hielt. Erst als von drinnen erneut ein durchdringender Schrei kam, fasste er sich und blickte auf das eingewickelte Etwas vor ihm. Er schob mit zittrigen Fingern die Leinentücher etwas zur Seite und schaute voller Faszination auf ein winziges Gesichtchen, umrahmt von fast schwarzen Haaren. Dann begann das Bündel in seinem Arm zu quäken und er erschreckte sich regelrecht. Von drinnen ertönte ein ähnliches Weinen, nur etwas gedämpfter. Mrs. Shaw öffnete diesmal die Tür und geleitete eine leichenblasse Fanny heraus: „So, meine Liebe, sie setzen sich sofort hin, nicht dass sie uns noch einmal in Ohnmacht fallen. Das konnten wir nun wahrhaft nicht auch noch gebrauchen, wo das hier so eine schwere Geburt war."

Sie nickte John freundlich zu und schloss die Tür wieder. Fanny befeuchtete sich die trockenen Lippen mit der Zunge, bevor sie zu ihrem Bruder sprach: „Das zweite Kind ist ein Junge."

Dann setzte sie sich mit geschlossenen Augen auf einen Stuhl und meinte: „Ich bin Gott mittlerweile wirklich dankbar, dass er mich und Watson nicht mit Nachwuchs gesegnet hat, ich glaube, ich hätte das nicht ausgehalten. Kompliment an deine Margaret, sie ist eine wahrhaft tapfere Frau."

Die Tür ging auf und Mrs. Longmuir zerrte wortlos John mitsamt dem Baby ins Zimmer. Seine Mutter drückte ihm ein zweites Knäuel Laken in den anderen Arm, zupfte ein wenig an den Tüchern und das Gesicht des Babys kam zum Vorschein. Etwas schmaler als das des Mädchens, auch nicht ganz so dunkelhaarig: „Und dies ist dein Sohn, John!"

In dem Augenblick hörte er die schwache Stimme Margarets: „John, zeig sie mir, bitte!"

Er blickte zum Bett und sah eine völlig aufgelöste Margaret dort liegen, Edith noch an ihrer Seite, die jetzt aufstand und Platz machte. Fast hätte er über den Anblick Margarets die Babys in seinem Arm vergessen, aber so ging er dann doch ganz vorsichtig zum Bett hinüber. Er legte ihr auf jede Seite eines der Kinder und strich ihr sogleich über das verschwitzte Gesicht. Dann erst merkte er, dass ihm Sturzbäche von Tränen die Wangen herunter liefen. Er ließ seinen Kopf auf ihr Kissen sinken und schluchzte laut. Als er sich nach einer Weile wieder ein wenig gefasst hatte, küsste er Margaret mit Inbrunst, ungeachtet all der Leute im Raum.

Higgins strahlte über das ganze Gesicht, als er zwei Tage später die Babys und die junge Mutter besuchen durfte, denn gerade hatte ihm Margaret mitgeteilt, auf welche Namen die Kinder getauft werden sollten: Elizabeth (ja, es war tatsächlich eine Reminiszenz an Bessy Higgins) Maria Hannah Thornton und Frederick Nicholas Richard Thornton. Dann erzählte Nicholas Higgins Margaret, wie schlimm ihr Mann am Tag der Geburt gelitten hatte, schmückte die Erzählung aber so plastisch und deutlich aus, dass Margaret sehr lachen musste, obwohl alles an ihr schmerzte. Higgins wurde immer eifriger und fiel prompt nach einer Weile vom mühsamen Oxford-Englisch wieder in seinen üblichen Dialekt: „… und dann, also Mrs. Margaret, es war ein Bild für die Götter, wirklich, hat ihm Miss Carmichael etwas von den Mathematikstunden in der Schule erzählt und … unn er hat natürlich mit keim Wort nich zugehört, sondern ständig nervös auf'm Tisch getrommelt mit sein' Fingern unn hat mich dauernd angeschaut, als wär ich sein Gefängniswärter. Nee, nee Missus, ich sach's Ihnen, den Tag vergess' ich nie unn der Master sicher auch nich."

Er zuckte jedoch zusammen, als hinter ihm eine tiefe Stimme ertönte: „Higgins, was erzählen Sie da, was werde ich nie vergessen?"

Margaret lief ein Lächeln über das Gesicht, als ihr Mann den Raum betrat. Sofort erhob sich Higgins, macht eine angedeutete Verbeugung, aber John Thornton kam raschen Schrittes auf ihn zu, und reichte ihm sehr freundschaftlich die Hand: „Higgins, ich danke Ihnen, ohne Ihre Unterhaltung vorgestern wäre ich wahrscheinlich durchgedreht. Sie haben etwas gut bei mir! Und das Wort ‚Master" will ich aus Ihrem Mund nie wieder hören, ist das klar? Mein Name ist John!"

Nachdem sich die Männer überaus einvernehmlich die Hände geschüttelt hatten, verabschiedete sich Nicholas Higgins von Margaret.

John heftete den Blick auf seine Frau: „Nun, der Doc sagte, du sollst heute für eine Weile aufstehen. Er hält das Liegen für nicht so vorteilhaft, ich muss sagen, er vertritt reichlich moderne Ansichten, aber die müssen ja nicht unbedingt schlecht sein. Dann wollen wir mal."

Er legte ihr einen Morgenrock aufs Bett und sie schlüpfte in die Ärmel hinein. Dann schlug er die Decke zurück, damit Margaret ihre Beine raushängen lassen konnte. Nachdem sie einen Moment mit angehaltenem Atem auf der Bettkante gesessen war, zog John sie ganz langsam nach oben auf die Beine. Er blickte sie fragend an: „Nun, wie fühlst du dich?"

Sie lächelte unsicher, krallte sich an seine Schultern und sagte: „Ziemlich schwindelig, und sehr schwach."

Ihr Mann nickte: „Deswegen wollte der Doktor auch, dass du aufstehst, er sagt, es wäre für den Kreislauf besser, was immer er damit auch meint."

Er stützte sie sehr fest, hatte einen Arm um ihre Taille gelegt, mit dem anderen ihren Arm unterhakt. Dann gingen sie einige Schritte umher, sehr langsam. Sie atmete tief durch und nickte. So liefen sie um das große Bett herum, dorthin wo die Wiegen der Babys standen. Die kleine Bessy schlief, während Frederick lautstark krakeelte. Von ihrem Mann unterstützt holte Margaret den Schreihals aus der Wiege. Sie tastete sich vorsichtig zurück zum Bett, kam mit einem leicht schmerzverzerrten Gesicht zum Sitzen, und legte das Baby selbst an ihre Brust. Bislang hatte ihr immer jemand die Kinder zum Stillen ans Bett gebracht, von nun an musste sie es selbst tun. Allerdings war es das erste Mal, dass John direkt mit zusah, er schaute fasziniert auf das mit feinem Flaum bedeckte Köpfchen seines Sohnes, der gierig an Margarets Brust trank. In der Zwischenzeit fing auch das Mädchen an, leise zu weinen. Auf einen stummen Wink seiner Frau hin, holte John die Kleine ebenfalls aus der Wiege. Sie hörte sofort mit dem Weinen auf, als sie in den Armen ihres Vaters gewiegt wurde. Zwei blaue Babyaugen blickten auf zwei blaue Männeraugen. Margaret und John tauschten einen Moment später die Kinder aus, damit auch Bessy gestillt werden konnte. Frederick gähnte herzhaft und schlief fast augenblicklich in seines Vaters Armen ein.

Dann sagte John leise, sehr leise zu Margaret: „Ich habe die neuen Bücher komplett durchgerechnet, und zwar wieder und wieder, weil ich es nicht glauben konnte, aber ich komme stets auf das gleiche Resultat. Ich habe Higgins, ich meine Nicholas, den ich hinzu gebeten hatte, eingeschärft, dir nichts zu sagen, weil ich es selber tun wollte", er holte tief Luft und strahlte sie dann an „die Spinnerei hat einen ordentlichen Gewinn eingefahren und zwar mehr, als zunächst kalkuliert. Thornton's, ich meine Marlborough Mills geht es wieder gut!" Margaret beugte sich in stiller Freude zu ihm rüber, ungeachtet der beiden Kinder in ihren Armen, und küsste ihn. Sehr lange, sehr ausdauernd.

T H E E N D