2. Kapitel, 6 Monate zuvor

Es herrschte Stille in dem großen Haus. Der Wind zog durch alle Spalten und Ecken, selbst ein lodernder Kamin konnte die Wärme im Haus nicht halten. Catherine stand fröstelnd am Fenster, die Gegend war gottverlassen, niemand war auf der Straße, selbst bei Tageslicht verließ kaum jemand das Haus, in dieser Gegend wohnte keiner gerne, London hatte die Stadtteil schon fast von der Karte gelöscht. Und sie konnte es nicht verdenken, ihr wäre es am liebsten, wenn sie auch alles einfach löschen könnte. Ihren Umhang wickelte sie noch etwas fester um ihren Körper, als sie wieder an ihr Bett trat und ihren aufgeschlagenen Koffer betrachtet, in dem sich ihr Hab und Gut befand, ihre Schulbücher, die Uniform ihrer Schule, ihre heißgeliebten Bücher und das Foto von ihrem Bruder. Als sie es ihn die Hand nahm, traten ihr wieder die Tränen in die Augen. Wie gerne würde sie jetzt mit ihm reden, er hatte sie immer aufbauen können, ihr den Mut gegeben und gesagt, dass alles besser werden würde, wenn sie nur zusammen halten, er wollte sie doch nie alleine lassen. Sie sollte abwarten, hatte er gesagt, als er gegangen war. „Ich werde dich hier rausholen, lass mich einige Sachen klären und dann hole ich dich aus der Hölle und zeige dir, wie schön das Leben wirklich ist." Das war jetzt ein Monat her, doch sie konnte nicht mehr auf ihn warten, wenn sie vorher die Hölle erlebt hatte, so hatte sie sich getäuscht, alles was danach kam, war unvergleichlich gewesen. Ihr schauderte es über den Rücken, wenn die Bilder vor ihr abliefen.

Und dann heute, kam die schwarze Eule, die sie fürchtet, die das Schlimmste verkündete. Als ihre Mutter den Brief vorlas, war sie erleichtert gewesen. Sie war froh, dass es Regulus getroffen hatte, sie war froh, dass es der Bruder war, dem sie nie nahe stand, der Bruder, der sich nie vor sie gestellt hatte, um sie zu schützen. Doch im gleichen Moment schämte sie sich ihrer Gedanken, es war nicht fair Regulus gegenüber.

Aber dieser Vorfall hatte ihr vor Augen geführt, dass es an der Zeit war, dass sie selbst loszog, um sich zu retten, damit sie eine Chance hatte zu überleben ohne in die Fängen des Bösen hinabzugleiten oder in ihrem Zuhause das Leben zu lassen, denn sie wusste, würde sie hier bleiben, würde es eines Tages dazu kommen und dann war es wirklich zu spät.

So nahm sie ihren Koffer, sah sich ein letztes Mal in ihrem kleinen kargen Zimmer um. Es war der Treppe am nächstgelegen, eng und kalt, da es keinen Kamin hatte. Das Bett stand genau vor dem Fenster, der Teppich bestand aus aneinandergereihten Fetzen, aus denen ihre Kleidung bestand, aus der sie rausgewachsen war. Das Kissen und die Bettdecke waren ohne Bezug, der Tisch neben der Tür, der ihr als Schreibunterlage dienen sollte, würde bei der kleinsten Belastung zusammenfallen. Dies alles, weil sie eine Tochter war, die ihr Vater nicht wollte. Er hatte sie immer verleugnet, für ihn gab es sie nicht. Sie wurde nie erwähnt, ihre Mutter hatte gesagt, dass sie bei der Geburt gestorben war, durch ihre fehlende Taufe war sie nicht mal im Familienstammbuch aufgenommen worden.

Leise schlich sie sich durch das Haus, die Hauselfe war in der Küche und konnte sie deshalb bei ihrer Flucht nicht erwischen, ihre Eltern schliefen bereits und so hatte sie die Möglichkeit ohne Probleme aus dem Haus zu kommen. Sie war sich sicher, dass sie nicht nach ihr suchen würden, sie würden sie nur aufhalten, wenn sie sie jetzt erwischen würden, aber sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, war sie für immer aus ihrem Leben verschwunden.

Catherine konnte erst aufatmen, als sie die Winkelgasse erreicht hatte. Diese war leer, selbst der tropfende Kessel hatte schon bessere Tage erlebt, gerade in den Ferien konnte man normalerweise kein Zimmer bekommen, doch heute war Tom ihr fast um den Hals gefallen, als sie ein Zimmer nahm und gab ihr einen heißen Teller Suppe, der sie aufheizen sollte. Sie setze sich in ein Ecke in der Kneipe, von der sie den Eingang im Blick hatte. Ein Zauberer saß am Tisch gegenüber, ein Buch in der Hand, völlig vertieft, er hatte nicht mal aufgesehen, als sie sich setzte. Sein Gesicht war zerfurcht, einige Narben zogen sich über den unbedeckten Körper, also Arme und Hals. Seine Haare standen strähnig vom Kopf ab, seine Augen rasten über den Text, das einzig Unruhige, das von ihm ausging.

Zwei Hexen saßen am Fenster, dass zum Eingang in die Winkelgasse führte, sie sprachen leise miteinander und warfen immer wieder einen Blick umher, um so bemerken, falls sich jemand für ihr Gespräch interessieren könnte. Wenn Tom oder seine Kellnerin ihre Runde drehten, verstummten sie augenblicklich und folgten ihnen mit den Blicken, bis sie außer Reichweite waren. Am Tresen saßen drei Männer, einer Zwielichter als der Andere, aber sie vermutete keinen Todesser, die waren zu zerlumpt. Todesser trugen ihren Kopf hoch und warfen böse, aggressive Blicke umher, so dass sie Streit vom Zaun brechen konnte, sie wollten ihre Macht bei jeder Möglichkeit unter Beweis stellen.

Noch während sie dabei war, sich ein Bild zu machen, wurde die Tür geöffnet, die zur Winkelgasse führte, ein Mann ganz in Schwarz betrat die Kneipe. Er hatte lange schwarze Haare, er war groß, bewegte sich geschmeidig und selbstsicher. Mit wenigen Schritten durchquerte den Raum, bestellte bei Tom und saß sich ans Fenster, dass nach London hinauszeigte, so dass er die Straße im Blick hatte, Besucher also schon von weiter her ausmachen konnte. Seine Haut war weiß, er hatte schwarze Augen, die sie kurz musterten, nicht herabschätzend, fast anerkennend. Seine ganze Aufmachung erinnerten sie an einen Vampir, doch ihr war klar, dass er sich zu langsam für einen bewegte und das diese in London nicht mehr alleine auftraten, nicht nach der kirchlichen Reform. Sie senkte den Kopf, nachdem er sie angesehen hatte. Sie war arm gekleidet, der Umhang hatte schon bessere Tage gesehen und diese mit Gewissheit lange er in ihren Besitz über gegangen war. Ihre beste Kleidung war ihre Schuluniform, doch sie zweifelte, ob es sich gut machte, wenn sie mit ihrer Schulkleidung hier aufgetaucht wäre, dann wäre es zu offensichtlich, dass sie als Minderjährige alleine unterwegs war, und sie wollte jeglichem Ärger aus dem Weg gehen. Die heutigen Zeiten waren zwar nicht dafür ausgerichtet, Familienprobleme nachzugehen, aber sie wollte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, denn eventuell würde sich doch das Zaubereiministerium die Zeit dafür nehmen.

Doch sie musste ihn wieder ansehen, er hatte eine Anziehungskraft auf sie, er hatte inzwischen sein Essen erhalten und stocherte lustlos in seinem Essen, seine Aufmerksamkeit galt ihr und sie versuchte seinem Blick aus dem Weg zu gehen. Doch ihre Blicke trafen sich, seiner war sanft, so untypisch für sein Auftreten und seine Haltung. Er lächelte nicht, aber sein Gesicht war entspannt und sie vertraute ihm. Ihr war, als würde sie ihn kennen, als wüsste sie, das er es gut mit ihr meinen würde.

Er schob den Teller beiseite, nahm seinen Kaffee und kam rüber, er setze sich wie selbstverständlich an ihren Tisch, genau neben sie. Sie mochte es nicht, wenn ihr Gesprächspartner neben ihr saß, es war schwierig ihn anzusehen, wenn man nebeneinander sitzt. Doch er wollte nicht reden. Er nahm sie in Arm, ihr Herz stockte. In diesem Moment merkte sie erst, dass sie weinte. Lautlos, die Tränen rollten ihr die Wange hinab, tropften auf ihren Umhang. Er zog sie in die Umarmung, hielt sie fest und gab ihr Halt.

Sie wusste nicht, wie lange sie so beieinander saßen. Der Kaffee war inzwischen kalt geworden, Tom brachte einen neuen und verschwand schnell wieder.

„Ich bin heute von zuhause weggegangen. Warum ich weine, das weiß ich gar nicht." Ihr Beschützer sah sie an, seine Augen waren tiefschwarz, so dass sie nicht erkennen konnte, wo seine Pupillen anfingen. Er sah ihr fest in die Augen, seine Stimme war sanft und bestimmt: „Ich werde dich nie wieder gehen lassen."

Sie war nicht erschrocken, sie wusste es genau wie er, dass was gerade passiert war, passierte nur wenigen und nur einmal im Leben. Sie hatte die Liebe ihres Lebens gefunden, der Partner, der einen nie verließ.