Kapitel 10: Der Verrückte mit den Handschuhen

Severus Snape verschwendete nicht einen Gedanken an die kleine Hufflepuff und ihre Ängste, als er fast eine Woche später am Nachmittag mit wehendem Umhang Schloss Hogwarts verließ und den Verbotenen Wald betrat. Diesmal hatte er seine eigenen Sorgen und Ängste. Der Dunkle Lord hatte ihn wieder gerufen, und er konnte froh sein, dass dies nicht während einer Unterrichtsstunde geschehen war. Nun, heute würde er wahrscheinlich beim Abendessen fehlen, aber das war irrelevant. Er glaubte kaum daran, dass ihn jemand vermissen würde. Es dauerte einige Zeit, bis er endlich das Schutzschild Hogwarts hinter sich gelassen hatte und apparieren konnte.

Das heutige Treffen der Todesser fand wider Erwarten in der ‚Resistenz' des Dunkeln Lords statt, einer alten Klosterruine, die Voldemort und auch die Todesser ein wenig mit magischen Mitteln modifiziert hatten, um sie etwas wohnlicher zu gestalten. Der Dunkle Lord schien mit seinem Heim ganz zufrieden zu sein, doch selbst Snape, der die dunkeln Kerker Hogwarts als Wohnung hatte, fühlte sich hier ziemlich fehl am Platz.

Als er den ‚Thronsaal' betrat, den Raum, in dem sie sich in der Regel versammelten, fiel ihm auf, wie wenige diesmal gekommen waren. Normalerweise war er der letzte, der bei einem Treffen eintrudelte, doch diesmal standen nur fünf weitere Todesser in Masken und dunklen Kutten herum. Snape dachte noch einmal schnell nach, ob er in letzter Zeit irgendwelche Verhaftungen überlesen hatte, erinnern konnte er sich jedenfalls an keine. Natürlich, die Auroren machten wieder Jagd auf Todesser und dank ihm und Dumbledore hatten sie eine ganze Menge Tipps, wo sie zu suchen hatten, doch noch immer (oder besser gesagt schon wieder) waren Personen wie Lucius Malfoy auf freiem Fuß. Sie waren einfach zu reich an Einfluss und Geld in der Zaubererwelt, was zu erheblichen Schwierigkeiten führte, wenn man ihnen etwas vorwerfen wollte. Da nützten nicht einmal die Aussagen von Potter und seinem Haufen, seine eigenen zählten ja noch weniger. Der Junge und mein Sohn sind erbitterte Rivalen. Trotzdem kann ich nicht verstehen, warum er so viel Schmach und Schande über meine Familie bringen will. Snape konnte sich nicht vorstellen, wie die Leute im Ministerium das glauben konnten, schließlich gab es mehrer Augenzeugen, doch sie hatten es getan – oder sich von Malfoys saftigen Geldspenden kaufen lassen. Er hatte gehört, dass es auch bei den Muggels Korruption und Bestechung gab, aber das, was derzeit im Zaubererministerium vor sich ging, überstieg alles Vorstellbare. Lucius war einfach zu geschickt und reich für sie und konnte sich ohne Schwierigkeiten aus jedem Schlamassel herauswinden, eine echte Slytherinschlange eben.

Als ob dieser Gedanke ein Stichwort gewesen wäre, tauchte plötzlich Lucius direkt hinter ihm auf. Zwar trug auch er eine Maske, doch hier lernte man schnell sein Gegenüber an der Stimme, der Körperhaltung und auch ganz einfach an der Art, wie sie Maske und Kutte trugen, zu unterscheiden. Malfoy konnte man zum Beispiel leicht an dem weißblondem Haarschopf erkennen, der unter der Verkleidung hervorschaute. „Auch schon da, Giftmischer?", wollte Lucius süffisant wissen und sah sich nun ebenfalls um. „Der Herr hat diesmal nur wenige gerufen. Seltsam, nicht wahr? Wie geht es mit deinem Veritaserum voran?"

„Gut", log Snape und wandte sich ab. Er mochte vielleicht Draco Malfoy, hatte irgendwie Mitleid mit ihm, kein Wunder bei so einem Vater, aber Lucius verachtete er aus tiefstem Herzen.

Seine schwarzen Augen schätzten jeden Anwesenden ein und er war sich sicher, dass er sich nicht allzu sehr irren konnte, zumindest nicht bei Malfoy, Goyle und den beiden Lestranges. Bei dem Neuen allerdings sah die Sache ganz anders aus. Der Fremde, ein gewisser Bethan (nie gehört) war erst seit zwei Monaten dabei und stand in der Rangfolge noch ganz unten, direkt unter ihm. Keiner wusste so recht, was man von ihm halten sollte, anscheinend auch nicht der Dunkle Lord, denn Bethan bekam so gut wie nie Aufträge und bereicherte die Todesser einfach nur durch seine Anwesenheit. Aber vielleicht hatte Bethan ja etwas mit den neuen Verbündeten zu tun, von dem der Dunkle Lord in letzter Zeit immer wieder sprach, von denen aber noch immer niemand wusste, um wen oder was es sich dabei überhaupt handelte. Die Dementoren? Das wusste mittlerweile sogar das Ministerium, allen Bestechungsversuchen zum Trotz. Die Riesen? Unwahrscheinlich, dass er jene nicht beim Namen nannte. Er sollte sich mal mit Bethan unterhalten, ganz unauffällig natürlich. In diesem Augenblick sah der Neue zu ihm herüber und ging zielsicher auf ihn zu. Nun, eigentlich hatte Snape mit ihm ein Gespräch anfangen wollen, aber umgekehrt war auch nicht so schlecht, sogar viel besser.

„Sind Sie der Giftmischer?", wollte Bethan wissen, als er Snape gegenüberstand. „Ich hab schon eine Menge von Ihnen gehört." Seine Stimme klang freundlich, doch Snape vermeinte einen gewissen herablassenden Unterton daraus zu hören.

„Ich würde Snape bevorzugen", knurrte er ihn an und gab nun seiner Stimme einen gefährlichen Klang. „Außerdem beherrsche ich eine Menge Flüche, von denen ein Grünschnabel wie Sie nicht einmal eine Ahnung hat."

Entweder war Bethan taub, dass er diese Warnung nicht hörte, verrückt oder er hielt sich um einiges besser als Snape. Dem Glitzern in seinen Augen nach traf wohl letzteres zu. „Man hat mir schon erzählt, dass Sie etwas exzentrisch sind, welcher hier wäre das nicht. Ich zum Beispiel trage immer meine Handschuhe." Erst jetzt fielen sie Snape auf, schwarze Handschuhe aus Maulwurfspelz. „Aber vor Ihrer scharfen Zunge hat man mich nicht gewarnt. Ich heiße übrigens Bethan, aber hier nennen mich alle Neuer, obwohl Grünschnabel klingt auch nicht so schlecht."

Snape wollte langsam gar nicht mehr mit diesem Bethan reden. Der Lord hatte diesem Quasselmaul sicherlich nichts von Bedeutung anvertraut, Voldemort war ja schließlich nicht lebensmüde. Der Neue könnte weiß Merlin was ausplaudern. Warum sollte er sich also mit Bethan noch abgeben. Er versuchte sich wieder Lucius zuzuwenden, der mittlerweile aber am anderen Ende des Saals mit Goyle diskutierte (oder besser gesagt auf ihn einredete – Goyle war zu dämlich, um einen vernünftigen Beitrag bei einem Gespräch zu liefern), doch Bethan ließ nicht von ihm ab.

„Ich weiß, andere halten mich für aufdringlich", stellte Bethan betrübt fest. „Sogar der Dunkle Lord. Können Sie sich das vorstellen?"

Das konnte sich Snape tatsächlich, ganz gut sogar.

„Ich meine, da bin ich schon ganze zwei Monate dabei, und ich hab noch immer keinen einzigen Auftrag erhalten", beklagte sich der Neue.

Wie schon gesagt, Snape hielt Voldemort für alles andere als dumm. Der Grünschnabel hätte garantiert jede Mission vermasselt.

„Verstehen Sie mich nicht falsch", jammerte Bethan weiter. „Der Dunkle Lord ist unfehlbar und so, aber vielleicht hat er ja vergessen, dass es mich gibt, oder er hat ganz andere Sorgen als die Wünsche eines kleinen Todessers wie mich?"

Was machte der Spinner überhaupt hier? Solche Reden könnten ihm seinen Kopf kosten.

„Ich meine, vielleicht könnten Sie den Lord einmal daran erinnern, dass ich auch noch da bin. Nur wenn es Ihnen nichts ausmacht, versteht sich."

Snape hätte am liebsten losgelacht. Darum also das Ganze. „So einflussreich bin ich auch nicht. Wenn Sie etwas wollen, dann sollten Sie lieber zu dem dort gehen." Er deutete mit der Hand auf Lucius. Sollte der sich doch mit dem Neuen abmühen.

Bethan blickte zuerst zu Lucius, dann wieder zu ihm. Seine Augen waren vor Schrecken geweitet. „Malfoy!", hauchte er voller Ehrfurcht.

„Der hat hier wesentlich mehr Einfluss als ich. Zu mir sollten Sie nur kommen, wenn sie einen Zaubertrank brauchen." Ein Intelligenztrank würde Bethan richtig gut tun, leider war ein solcher noch nicht erfunden, sonst hätte er längst Neville Longbottom einen verabreicht.

„Aber… nein, ich glaube, das ist doch keine so gute Idee", stellte der Grünschnabel fest. „Der wirkt auf mich irgendwie gefährlich. Verstehen Sie, was ich meine?"

„Er ist ein Todesser, so wie Sie und ich. Natürlich ist er gefährlich!" Gegen den hier war Lockhart richtig angenehm.

„Ich meine, der könnte dem Herrn sagen, dass ich schlecht über ihn rede, das tu ich nämlich nicht. Ich bin ein Todesser mit Leib und Seele. Aber Malfoy vertrau ich nicht so richtig, anders als Ihnen; Sie sind eine ehrliche Haut. Ich kenn mich nämlich ein wenig mit Menschen aus."

Nein, das tat er definitiv nicht. Snape war mittlerweile so gut gelaunt, dass er den neu gelernten Vertrocknete-Zunge-Fluch gerne an Bethan ausprobiert hätte. Doch gerade noch rechtzeitig gelang es ihm sich zu beherrschen. Er durfte es sich nicht erlauben aufzufallen. Dem Dunklen Lord würde es alles andere als gefallen, wenn er einen seiner Anhänger so offen verfluchte, selbst wenn es sich dabei nur um Bethan handelte.

Plötzlich schlängelte sich eine beeindruckende Riesenschlange, Voldemorts Maskottchen Nagini, aus dem Gang, der zu den Gemächern des Dunklen Lords führte, zumindest glaubte das jeder, und die wenigen anwesenden Todesser bildeten einen Kreis, beziehungsweise sie versuchten es. Es waren einfach zu wenige da, um einen anständigen Kreis zusammen zu bringen, und schließlich einigte man sich auf eine Reihe.

Zu Snapes Überdruss stand Bethan direkt neben ihm und dieser konnte einfach nicht den Mund halten. Warum verlangte das Dumbledore von ihm? Warum hatte er überhaupt seine Wünsche befolgt? In diesem Augenblick erschien Voldemort direkt vor ihnen, hätten sie einen Kreis zusammen gebracht, wäre er in dessen Zentrum aufgetaucht. Apparieren war zwar in seiner Resistenz unmöglich, aber die Gesetze der Magie galten nicht für Magier wie Voldemort.

Der Dunkle Lord sagte kein Wort und schien nicht einmal zu bemerken, wie alle, sogar Bethan, ehrfürchtig ihre Häupter vor ihm senkten. Der Grünschnabel hätte aber ganz sicher den Cruciatus-Fluch kennen gelernt, wenn er es nicht getan hätte. Snape hatte aber andere Probleme als Bethan. Der Lord wanderte vor ihnen auf und ab und taxierte jeden einzelnen von ihnen. Snape schaltete all seine Gefühle aus, schaffte es sogar den ahnungslosen Bethan zu ignorieren und dann spürte er, wie sich etwas durch seine Gedanken grub. Snape dachte an nichts, schon gar nicht daran, dass dies sein letzter Tag sein könnte. Voldemort ging weiter zu Bethan und Snape war in diesem Augenblick sehr dankbar für die Maske, die seinen Angstschweiß zuverlässig verbarg.

Vor Bethan blieb Voldemort etwas länger stehen und Snape erkannte, wie dieser langsam zu zittern begann. Konnte es sein, dass der Grünschnabel etwas vor Voldemort zu verbergen hatte, oder ließen ihn lediglich seine Nerven im Stich? Schließlich warf sich Bethan sogar vor ihm auf den Boden und wimmerte um Gnade. Voldemort ließ ihn mit einem kalten Lachen zurück.

„Es sind also alle gekommen, die ich gerufen habe", stellte der Dunkle Lord zufrieden fest.

Ein leises Murmeln ging durch den Saal, doch auf einen leisen Wink von Voldemort verstummte wieder alles. „Die Zeiten werden härter, meine treuen und nicht so treuen Todesser. Das Ministerium weiß wieder von uns. Unsere ganzen Bemühungen unerkannt zu bleiben, waren mit einem Schlag zunichte. Die Leute im Ministerium sind dumm." Voldemorts Blick wanderte zu Lucius Malfoy, der sich ängstlich duckte. „Aber von blind und taub war nie die Rede."
Voldemort sprach in letzter Zeit immer wieder von dem missglückten Einbruch im Ministerium. Mittlerweile hatte er sich schon beruhigt, doch die ersten Versammlungen danach hatte jeder Todesser (außer Bethan natürlich) noch in sehr guter Erinnerung. Voldemort hatte vor Wut geschäumt, fast jeden mit dem Cruciatus belegt, sogar ihn, obwohl er ja gar nichts für das Desaster konnte (oder eigentlich doch) und Schimpftiraden auf Potter und Dumbledore gehalten. Lediglich die Tatsache, dass Sirius Black tot war, hatte sie alle vor Schlimmerem bewahrt. Harry Potter und vielleicht sogar Dumbledore hätten sich sehr gewundert, aber es hatte Snape sehr getroffen, dass er Blacks Leben nicht hatte retten können. Er hatte ihn zwar vom ersten Tag an gehasst, ihm schon hunderte Male den Tod gewünscht, doch echt hatte er das nie gemeint – außer vielleicht ein- oder zweimal – und er trauerte sehr wohl um den Verlust. Ein Krieger weniger im Kampf gegen das Böse, auch wenn es nur Black war.

„Doch die Tage, an denen wir uns wie Verbrecher hinter Schlammblüter und Muggel verbergen müssen, sind gezählt. Das Schicksal gibt jenen die Macht, die ihrer würdig sind und mir wurde eine Macht gegeben, gegen die nicht einmal der ach so große Dumbledore etwas ausrichten kann."

Snape schaute hoch. Voldemort hatte in letzter Zeit immer von besonderen Verbündeten gesprochen, niemals von einer Macht.

„Aber um diese Macht zu entfachen, muss ein Preis bezahlt werden, etwas, was ich nun vorhabe zu tun." Voldemort musterte wieder seine sechs anwesenden Todesser und diesmal fiel sein Blick wieder auf den Grünschnabel, der noch immer wie ein Häufchen Elend am Boden kauerte. „Mein guter, treuer Bethan." Seine Stimme klang fast freundlich, aber nur fast. „Du bist mir doch ein treuer Diener?"

Bethan presste sich noch fester auf den Boden. „Ja, mein Meister. Ich bin Euch ein treuer Diener. Alles würde ich für Euch tun, selbst mein Leben geben, wenn es denn Euer Wunsch ist." Er schien seine Worte aber nicht ganz ernst zu nehmen, vor allem den Teil mit dem Leben.

„Das weiß ich doch, Bethan. Steh auf! Ich hab eine Aufgabe für dich." Bethan erhob sich, konnte aber nicht verhindern, dass sein ganzer Körper schlotterte. Voldemort bemerkte das natürlich. „Keine Sorge, diese Aufgabe wird dich nicht dein Leben kosten. Das wäre ja eine Verschwendung."

Für einen Augenblick hatte Snape richtiges Mitleid mit dem Quasselmaul und gleichzeitig war er dankbar, dass es diesmal nicht ihn getroffen hatte.

Zu seiner Überraschung wandte der Dunkel Lord sich wieder von Bethan ab. „Nur noch kurze Zeit und die Welt wird wieder vor mir erzittern. Und dann wird es keinen Potter geben, der sich meinen Wünschen widersetzt, keinen Dumbledore, der sich mir in den Weg stellt und kein Hogwarts, dass unsere Kinder verdirbt."

Mit diesen Worten entließ er seine Todesser, außer den bebenden Bethan, dessen Wunsch anscheinend etwas zu schnell in Erfüllung gegangen war. Snape warf noch einen letzten Blick des aufrichtigen Bedauerns auf ihn und wollte schon gehen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. „Nicht so schnell, mein Giftmischer. Auch du bleibst noch hier."

Snape glaubte vor Angst tot umfallen zu müssen, doch er drehte sich ruhig um und sah in Voldemorts rot flackernde Augen. „Wie Ihr wünscht, mein Herr", antwortete er und senkte demütig seinen Blick.

Der Dunkle Lord lächelte irgendwie unangenehm. „Unser lieber Bethan hat seine erste Aufgabe zu bewältigen, und da du schon Freundschaft mit ihm geschlossen hast, solltest du ihm dabei helfen, dass er sie nicht gleich beim ersten Mal vermasselt."

Snape hätte am liebsten Bethan in Stücke gerissen und offenbar schien Voldemort seine Wut zu spüren, denn sein Lächeln wurde noch fieser.

„Die Masken könnt ihr übrigens abnehmen, die werdet ihr dabei nicht brauchen. Außerdem möchte ich eure Gesichter sehn. Kommt mit!"

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Ich weiß, ein gemeiner Cliffhanger, aber ihr müsst eh nur bis morgen warten. Ihr hoffe, euch gefällt Bethan bis jetzt.

Cyberrat: Vielen Dank für das nette Review. Nadja kommt zwar in dem Kapitel nicht vor (und auch im nächsten nicht), aber dafür gibt es einen neuen Charakter.

Ich hab keine Ahnung warum, aber irgendwie hat das Kapitel am Sonntag nicht genommen. Hoffentlich geht es jetzt. (War wirklich nicht meine Schuld.)